Seit Beginn des Kriegs in der Ukraine nimmt die Zahl der aus der Ukraine geflüchteten Menschen in Deutschland zu. Sie alle können bei Bedarf die hausärztliche Versorgung nutzen. Hausärzt*innen wurden jedoch kaum auf den Kontakt vorbereitet und über Herausforderungen und Unterstützungsbedarfe ist wenig bekannt.

Hintergrund und Fragestellung

Über 7,6 Mio. Personen aus der Ukraine sind seit Kriegsbeginn in europäischen Staaten als Geflüchtete registriert [1]. In Deutschland wird die Anzahl auf über 1 Mio. geschätzt (Stand Oktober 2022; [2]). Ein Asylverfahren müssen ukrainische Geflüchtete nicht durchlaufen, da sie vorübergehenden Schutz in der Europäischen Union für bis zu 3 Jahre erhalten und somit einer Arbeit nachgehen, Schulen besuchen und medizinische Versorgung nutzen können [3]. Hausärzt*innen sind dabei meist die ersten Ansprechpartner*innen im Gesundheitswesen. Auch die Bundesregierung weist darauf hin, dass ukrainische Geflüchtete „bei neu aufgetretenen Beschwerden oder zur Behandlung längerfristig bestehender Erkrankungen […] in der Regel zunächst eine hausärztliche Praxis […] auf[zu]suchen“ sollen [4].

Hausärzt*innen wurden jedoch kaum auf den Kontakt mit und die medizinische Behandlung von ukrainischen Geflüchteten vorbereitet. Es ist bereits bekannt, dass es Unterschiede im Gesundheitssystem, bei Krankheitsprävalenzen, Inanspruchnahme von Präventionsmaßnahmen und im Gesundheitsverhalten zwischen der Ukraine und Deutschland gibt [5]: So besteht eine hausärztliche Versorgung mit freier Praxiswahl aber vertraglicher Bindung in der Ukraine erst seit dem Jahr 2019 [6]. Die Lebenserwartung bei Geburt in der Ukraine ist mit durchschnittlich 67 Jahren bei Männern (Deutschland: 78,6 Jahre) und 77 Jahren bei Frauen (Deutschland: 83,4 Jahre) deutlich geringer als in Deutschland [7, 8]. Die Durchimpfungsraten Einjähriger liegen häufig unter dem Schnitt Deutschlands, beispielsweise im Jahr 2019 bei 78 % bezüglich Polio (Deutschland: 93 %) oder bei 80 % bezüglich Diphtherie, Tetanus und Keuchhusten (Deutschland: 93 %) [9, 10].

Auch einige Infektionskrankheiten sind in der Ukraine verbreiteter: Tuberkulose (TB) ist laut Angaben der World Health Organization (WHO) mit 32.000 Fällen im Jahr 2020 bzw. einer Inzidenz von 73 Fällen pro 100.000 Einwohnende (Deutschland: 4127 Fälle, Inzidenz: 5 pro 100.000) sehr verbreitet [11]. Das HIV ist im Jahr 2020 mit 38,8 Neuinfektionen pro 100.000 Einwohner*innen (Deutschland: 3,0 pro 100.000) verbreitet [12]. Zusätzlich können psychische Belastungen aufgrund von Erlebnissen im Heimatland, während der Flucht oder im Ankunftsland auftreten [13].

Aufgrund dieser und weiterer Besonderheiten stellen sich Fragen nach den Behandlungsanlässen von ukrainischen Geflüchteten in hausärztlichen Praxen, ob Barrieren wahrgenommen werden und ob, und falls ja, welche Informationsbedarfe bestehen. Diese Aspekte wurden in der hier beschriebenen Querschnittsstudie aus der Perspektive von Hausärzt*innen in Deutschland erfasst.

Methodik

Studiendesign

Die RefUGe-Studie wurde als anonyme Querschnittsstudie von Mitte Juli bis Mitte September 2022 unter Hausärzt*innen in Deutschland (Bruttostichprobe: n = 513) durchgeführt. Die Befragung erfolgte online. Der Link zum Fragebogen wurde per E‑Mail versendet. Eine einmalige Erinnerung wurde nach 6 Wochen versendet, nach 8 Wochen wurde die Erhebung geschlossen.

Studienpopulation

Kontaktiert wurden Hausärzt*innen, die in den E‑Mail-Verteilern der 2 Institute/Abteilungen zum Zeitpunkt der Erhebung erfasst waren (insgesamt n = 513 E‑Mail-Adressen brutto). Diese Ärzt*innen sind mit den Einrichtungen entweder als Lehrarztpraxen oder über Forschungsprojektteilnahmen verbunden.

Erhebungsinstrument

Aufgrund des sehr aktuellen und neuen Themas wurden ein Anschreiben, eine Datenschutzerklärung sowie ein 2‑seitiger Fragebogen neu entwickelt. Der Fragebogen wurde auf Basis von Vorarbeiten des Forscherteams sowie Literaturrecherchen entwickelt. Außerdem wurden 2 Diskussionsrunden mit Hausärzt*innen und Forschenden durchgeführt.

Als Antwortkategorien wurden Felder zur Mehrfachauswahl, Einfachantworten sowie Freitextfelder für ergänzende Angaben verwendet. Aufgrund der hohen Belastung der Praxen im Zuge der Coronapandemie wurde darauf geachtet, den Fragebogen sehr kurz (maximal 5 min) zu halten. Die Umsetzung in ein Onlineformat erfolgte mittels der Software LimeSurvey (LimeSurvey, Hamburg, Deutschland). Von Ende Mai bis Anfang Juni 2022 wurde eine Pretestphase unter 5 Hausärzt*innen durchgeführt.

Statistische Analysen

Die Daten wurden in IBM SPSS Statistics Version 28 (IBM, Armonk, NY, USA) überführt, plausibilitätsgeprüft, aufbereitet und mittels uni- und bivariater Analysen ausgewertet. In deskriptiven Analysen wurden fehlende Angaben („missings“) als separate Kategorie berichtet (Alter: n = 3, Geschlecht: n = 5).

Ergebnisse

Charakteristika der Studienpopulation

Insgesamt haben 82 Hausärzt*innen an der Befragung teilgenommen (Rücklaufquote: 16,0 %). Soziodemografische und praxisbezogene Charakteristika sind in Tab. 1 dargestellt.

Tab. 1 Charakteristika der teilnehmenden Hausärzt*innen (n = 82)

Behandlungsanlässe

In den letzten 2 Wochen haben 63,4 % der Ärzt*innen (n = 52 von 82) ukrainische Geflüchtete (durchschnittlich 3,71 [0–20, Standardabweichung, SD = 4,86]) in ihren Praxen behandelt. In Folge werden Behandlungsanlässe sowie Herausforderungen in der Behandlung ukrainischer Geflüchtete nur unter diesen n = 52 Hausärzt*innen analysiert. Als häufigste Behandlungsanlässe gaben die Hausärzt*innen an, Therapien aus der Ukraine fortzusetzen (80,8 %) und Erstdiagnostiken mit ggf. Einleitung einer Therapie (69,2 %) durchzuführen. Auch die Vervollständigung des Impfstatus (40,4 %) und präventive Leistungen (21,2 %), z. B. Schilddrüsensonographien, wurden angegeben.

Herausforderungen

Von den Ärzt*innen mit Behandlungsanlässen gaben 75,0 % an, damit verbunden Schwierigkeiten bzw. Besonderheiten erlebt zu haben. In Abb. 1 werden diese als relative Häufigkeiten dargestellt. Mehrheitlich wurden Kommunikationsprobleme angegeben, da u. a. Patient*innen nur Russisch oder Ukrainisch sprachen und kein/e Dolmetscher*in anwesend war oder Laiendolmetschende bzw. Apps die Kommunikation erschwerten. Auch das Fehlen von Informationen zu Vorerkrankungen sowie Erwartungen der Patient*innen an zur Verfügung zu stellende Leistungen (z. B. Blutabnahme, Schilddrüsenuntersuchung, Multivitaminpräparate) sowie bezüglich Medikamentenverschreibung (v. a. nicht erhältliche/bekannte/unübliche Medikamente) wurden als hinderlich angegeben. Als sonstige Herausforderung wurde der große Zeitaufwand angegeben.

Abb. 1
figure 1

Schwierigkeiten bzw. Besonderheiten in der Behandlung ukrainischer Geflüchteter; Prozentuale Angaben von n = 52 Hausärzt*innen, die in den letzten 2 Wochen Behandlungsfälle hatten

Informationsbedarfe

Informationsbedarfe gaben die Hausärzt*innen in Form von mehrsprachigen Informationen für ihre ukrainischen Patient*innen an (59,8 %; siehe Tab. 2), vor allem Informationen über das Gesundheitssystem Deutschlands sowie zu Hilfemöglichkeiten bei psychischen Beschwerden. Kontaktstellen für ukrainische Geflüchtete sowie Informationen zu Unterschieden im Arzneimittelumgang werden ebenfalls häufig nachgefragt. Informationen für den/die Ärzt*in selbst sowie für das Praxisteam werden von über einem Drittel der Teilnehmenden benötigt: zu Sprachbarrieren, Impfquoten in der Ukraine und Umgang mit fehlenden Impfunterlagen, Behandlung bei fehlender Dokumentation sowie Arzneimittellisten.

Tab. 2 Informationsbedarfe der teilnehmenden Hausärzt*innen bezüglich der Versorgung ukrainischer Geflüchteter in ihren Praxen (n = 82)

Diskussion

In der RefUGe-Studie wurde erstmalig für Deutschland aufgezeigt, dass drei Viertel der teilnehmenden Hausärzt*innen mit Kontakt zu ukrainischen Patient*innen Schwierigkeiten in der Versorgung haben. Vor allem im Bereich der Kommunikation, bezüglich fehlender Informationen zu Vorerkrankungen, Erwartungen an zur Verfügung zu stellende Leistungen sowie unbekannter Medikamente werden Herausforderungen angegeben. Informationsbedarfe werden für Patient*innen (z. B. deutsches Gesundheitssystem, Hilfemöglichkeiten bei psychischen Beschwerden, Kontaktstellen, Unterschiede im Arzneimittelumgang) und das Praxisteam (z. B. Sprachbarrieren, Impfquoten in der Ukraine und Umgang mit fehlenden Impfunterlagen, Arzneimittellisten) benannt.

Die hohe Relevanz der Thematik wird dadurch verdeutlicht, dass 63,4 % der teilnehmenden Hausärzt*innen bereits in den letzten 2 Wochen ukrainische Geflüchtete in ihren Praxen behandelt haben. Die von der Ärzteschaft angegebenen häufigsten Behandlungsanlässe können auf Krankheitsprävalenzen und dem Impfstatus in der Ukraine beruhen: Fortzusetzende Therapien (80,8 %) können durch den hohen „burden of disease“ durch chronische nichtübertragbare Erkrankungen (NCD) in der Ukraine begründet werden. Die 5 häufigsten NCD (Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs, chronische Atemwegserkrankungen, psychische Erkrankungen) sind für 84 % aller Todesfälle in der Ukraine verantwortlich [14]. Hinzu kommt, dass die Ukraine eine der höchsten Belastungen durch chronische Infektionskrankheiten in Europa aufweist, vor allem durch HIV und TB [14]. Die häufig durchgeführte Vervollständigung des Impfstatus (40,4 %) kann durch die fehlende allgemeine Impfpflicht in der Ukraine und eine der niedrigsten Durchimpfungsraten bei Kindern in der WHO-Euroregion erklärt werden [14]. Zudem war der Anteil von Ukrainer*innen mit vollständigem Impfschutz gegen die Coronaviruserkrankung 2019 (COVID-19) zu Beginn des Kriegs im Februar 2022 mit 34 % gering [15].

Dass drei Viertel der Hausärzt*innen mit Behandlungskontakt zu ukrainischen Geflüchteten dabei Schwierigkeiten/Herausforderungen angaben, verdeutlicht Unterstützungsbedarf. Kommunikationsprobleme zwischen Hausärzt*in und ukrainischen Patient*innen können auf den fehlenden Zugang zu professionellen Dolmetschenden bzw. deren Abrechnung [16] in hausärztlichen Praxen zurückzuführen sein. Folglich wird sich in Praxen häufig mit digitalen Übersetzungsprogrammen oder Angehörigen als Laiendolmetschenden beholfen. Dies wird oft als problematisch und zeitaufwändig bezeichnet. Ein universeller Zugang zu medizinischen Dolmetschenden sollte ermöglicht werden, wie bereits in Kanada [17] und Deutschland [18] gefordert. Unterstützung bieten befristete Angebote wie die telefonische Dolmetsch-Nothilfe (https://dolmetsch-nothilfe.org).

Die häufig angegebene Schwierigkeit, ukrainische Patient*innen ohne Informationen zu Vorerkrankungen und Impfungen behandeln zu müssen, kann durch die oft plötzliche Flucht begründet werden. Mit diesem Aspekt hängt auch die Schwierigkeit zusammen, Patient*innen mit nicht bekannten/verfügbaren/empfohlenen Medikamenten weiter zu versorgen. Das damit einhergehende große Informationsbedürfnis der Ärzt*innen über Arzneimittellisten macht deutlich, dass ukrainische und entsprechende deutsche Präparate publik gemacht werden müssen.

Die häufig genannten Bedarfe an mehrsprachigen Informationen für ukrainische Patient*innen sind relativ niedrigschwellig bedienbar. Eine unzureichende Vernetzung und Kommunikation von Hilfestellen für ukrainische Patient*innen wird ebenfalls deutlich. Auch Poppleton et al. [19] betonen, dass die Allgemeinmedizin Kontakte mit lokalen und nationalen Organisationen für ukrainische Geflüchtete knüpfen sollte. Die häufigen Informationsbedarfe zu Hilfemöglichkeiten bei psychischen Beschwerden zeigt, dass muttersprachliche psychotherapeutische Unterstützung benötigt wird und eine Vernetzung mit Praxen erfolgen sollte. Schätzungen zufolge erlebte schon vor dem Krieg fast ein Drittel der ukrainischen Bevölkerung im Lauf des Lebens mindestens eine psychische Störung [20]. Der Hilfebedarf wird aufgrund von Erlebnissen im Heimatland, während der Flucht und im Ankunftsland stark steigen [13]. Blutenop et al. [18] fordern daher, niedrigschwellige psychosoziale inklusive sozialpädagogische Angebote initial in Sammelunterkünften und Erstaufnahmeeinrichtungen zu erwägen. Murphy et al. [21] betonen die Notwendigkeit einer multisektoralen Zusammenarbeit. Greenaway et al. [17] empfehlen in Kanada, sensibel für psychische Beschwerden zu sein und zur Diagnostik und Behandlung weiter zu verweisen.

Stärken und Schwächen

Die vorliegende Studie detektiert erstmals in Deutschland Herausforderungen und Unterstützungsbedarfe in der sehr aktuellen Versorgung ukrainischer Geflüchteter in hausärztlichen Praxen. Es konnten Bereiche identifiziert werden, über die Ärzt*innen und ukrainische Patient*innen informiert werden und Vernetzungen entstehen sollten, um eine chancengerechte medizinische Versorgung zu gewährleisten. Als Limitation ist die geringe Rücklaufquote zu nennen, begründbar durch das hohe Arbeitspensum der Praxen aufgrund der COVID-19-Pandemie, den erst kürzlich begonnenen Krieg, die ebenfalls in zentralen Einrichtungen stattfindende medizinische Erstversorgung sowie das Onlineformat. Des Weiteren wurde die Studie nur in dem Gebiet der 2 Einrichtungen durchgeführt. Ein potenzieller Selektionsbias kann nicht ausgeschlossen werden, da möglicherweise eher Hausärzt*innen an der Studie teilgenommen haben, die sich für das Thema interessieren. Es wurde ein sehr dynamisches Geschehen abgebildet, daher ist nur eine Momentaufnahme möglich.

Schlussfolgerungen

Die gesundheitliche und im Speziellen allgemeinmedizinische Versorgung ukrainischer Geflüchteter wird aufgrund des nicht absehbaren Endes des Kriegs voraussichtlich weiter an Relevanz zunehmen. Informationen für Praxisteams, vor allem aber mehrsprachige Informationen für ukrainische Patient*innen über das deutsche Gesundheitssystem, Hilfe bei psychischen Beschwerden, Kontaktstellen und Arzneimittel sollten dringend in Hausarztpraxen und unter Geflüchteten verbreitet werden, um soziale Ungleichheiten zu vermeiden. Zugänge zu Dolmetschenden sollten ermöglicht werden und eine bessere Vernetzung mit fremdsprachigen Psychotherapeut*innen, Kontaktstellen bzw. Informationsangeboten sowie Arzneimitteldatenbanken erfolgen.

Fazit für die Praxis

  • Drei Viertel der teilnehmenden Hausärzt*innen mit Kontakt zu ukrainischen Patient*innen in den letzten 2 Wochen geben Schwierigkeiten in der Versorgung an, vor allem in der Kommunikation, bezüglich fehlender Informationen zu Vorerkrankungen, Erwartungen an zur Verfügung zu stellende Leistungen sowie unbekannte Medikamente.

  • Es bestehen Informationsbedarfe für Patient*innen (z. B. deutsches Gesundheitssystem, Hilfemöglichkeiten bei psychischen Beschwerden, Kontaktstellen, Unterschiede im Arzneimittelumgang) und Praxisteams (z. B. Sprachbarrieren, Impfquoten in der Ukraine und Umgang mit fehlenden Impfunterlagen, Arzneimittellisten).

  • Um soziale Ungleichheiten zu vermeiden, sollten Zugänge zu Dolmetschenden in hausärztlichen Praxen ermöglicht werden und eine bessere Vernetzung mit fremdsprachigen Psychotherapeut*innen, Kontaktstellen, Informationsangeboten sowie Arzneimitteldatenbanken erfolgen.