1 Einleitung – Angst als Quelle für Vorurteile?

Man benötigt eigentlich gar nicht die jüngsten antisemitischen Anschläge in Halle, um die Relevanz und Gefährlichkeit von gruppenbezogenen Vorurteilen und Ressentiments für die Demokratie zu verstehen.Footnote 1 So haben sich diese in der deutschen Geschichte zeitlich versetzt immer wieder in Gewaltakten niedergeschlagen, ganz abgesehen von täglichem Alltagsrassismus, Diskriminierungen und Gesprächen, privaten und öffentlichen Äußerungen, in denen ihre tiefe Verwurzelung in der Gesellschaft zu Tage tritt.Footnote 2 Auf Gruppen bezogene, pauschalisierende, Vorurteile reflektieren häufig eine Ablehnung von gesellschaftlicher Pluralität, die emotional, meist aus Angst begründet ist (Adorno 1973, S. 287–297; Tajfel 1982). Da die heutigen europäischen Gesellschaften durch weitreichende Prozesse der Pluralisierung und gesellschaftlichen Differenzierung geprägt sind, weitet sich die Zahl sozialer Gruppen aus, die Ziel sozialer Abwertung und von Vorurteilen werden können.Footnote 3 Innerhalb dieser Pluralisierung, die eine Pluralisierung der Vorurteile beinhaltet, sind in den letzten Jahren soziale Gruppen, die über ihre Religionszugehörigkeit definiert werden, stärker ins Zentrum der Vorurteilsforschung gerückt. Wohlmöglich bietet sich gerade heute, in zunehmend säkularer werdenden Gesellschaften, die Zugehörigkeit zu bestimmten religiösen Gemeinschaften als guter Referenzpunkt für gruppenbezogene Vorurteile an. Neben dem Eindruck, dass allein die Unterschiedlichkeit zu dem, was viele Bürger*innen als „normale Bürger*innen“ ansehen, ausreicht, um massive Abgrenzungen und Abwertungsprozesse einzuleiten oder aufrecht zu erhalten, strahlen gerade religiöse Gruppen eine Aura von (nicht mehr bekannter) kultureller Bedrohung aus, die anderen sozialen Gruppen nicht in gleichem Maße innewohnt. Als Beispiele zu nennen sei nur die hartnäckige Existenz von Antisemitismus in vielen europäischen Ländern und die jüngste Verbreitung antimuslimischer Vorurteile (Beller 2015; Blume 2019; Decker et al. 2016, S. 95–136; Decker und Brähler 2018; Helbling 2012; Pickel 2018; Salzborn 2014; Strabac und Listhaug 2007; Yendell 2013; Zick et al. 2016, 2019).

Nun stehen Vorurteile gegenüber Religionsgemeinschaften nicht alleine oder singular. Es gibt mannigfaltige Hinweise auf eine enge Verwobenheit von gruppenbezogenen Vorurteilen, wie sie z. B. das Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit herausstellt (Heitmeyer 2002, 2010; Zick et al. 2019, S. 55–64; Zick und Küpper 2009). Zudem existieren Hinweise auf eine Verzahnung von Vorurteilen in Bezug auf unter Vorurteilen leidenden sozialen Gruppen, bei Personen, welche sich intersektionaler Abwertung ausgesetzt sehen. Diese Überlegungen führen uns in diesem Aufsatz zu vier Fragen:Footnote 4

  1. 1.

    Wie verteilen sich gruppenbezogene Vorurteile in heterogenen Gesellschaften?

  2. 2.

    Sind religiöse Gruppen wirklich stärker davon betroffen als andere soziale Gruppen?

  3. 3.

    Welche Rolle spielt ein Gefühl der Bedrohung durch eine sozialen Gruppe für gruppenbezogene Vorurteile ihr gegenüber?

  4. 4.

    Welche Folgen besitzen diese Bedrohungsgefühle und Vorurteile für die politische Kultur – oder: Sind es gerade Vorurteile gegenüber einer als gefährlich eingestuften religiösen Sozialgruppe, welche derzeit Rechtspopulisten zu ihren Erfolgen verhelfen?

Unsere Thesen sind: (1) Soziale Gruppen die als bedrohlich und gefährlich wahrgenommen werden, sind stärker von Vorurteilen und Ressentiments betroffen als andere soziale Gruppen. (2) Religiöse Sozialgruppen werden als besonders gefährlich eingeschätzt, da sie den Eindruck hoher kultureller Fremdheit vermitteln und entsprechende (kollektive) Ängste hervorrufen. (3) Die Markierung einer gefährlichen Fremdgruppe – über ihre Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft – ist eine für Rechtspopulisten erfolgsträchtige Strategie (gerade auch über den Einsatz von Verschwörungstheorien). Unsere vorausgehende Annahme ist, dass Bedrohungsgefühle kausal Vorurteilen vorgeschaltet sind. Wir gehen davon aus, dass Ängste Vorurteile hervorbringen oder bestärken, ohne dabei allerdings in Abrede zu stellen, dass reziproke Prozesse Folge sein können oder gar vorangehen.

Als Referenzbeispiel wählen wir die Berliner Stadtbevölkerung. Sie weist eine hohe ethnische, religiöse und soziale Heterogenität auf und ist starken Dynamiken der Zuwanderung und Mobilität ausgesetzt. In gewisser Hinsicht kann sie als Paradefall bzw. Representative oder gar Crucial Case (Muno 2009, S. 117) für eine moderne Stadtgesellschaft angesehen werden. Wir gehen davon aus, dass die Bedingungen für positive wie negative Wirkungen von Heterogenität in Berlin stark ausgeprägt sind. So müssten angesichts der dynamischen Pluralisierung in Berlin Bedrohungswahrnehmungen mit Fokus auf Zuwanderung stärker ausfallen, wie ihnen die dadurch erhöhten Kontaktmöglichkeiten wiederum entgegenwirken. Entsprechend erscheint uns das im bundesdeutschen Vergleich als besonders multikulturell und offen eingestufte Berlin als guter Testfall für die aufgestellten Thesen.

Entsprechend werden aufbauend auf Überlegungen der Vorurteilsforschung, sozialpsychologischen Bedrohungstheorien (Integrated Threat Theory) (Stephan und Renfro 2002), der Autoritarismusforschung (Adorno 1973) und der Kontakthypothese (Tajfel 1982) im folgenden Beitrag aktuelle Daten zur Berliner Stadtgesellschaft quantitativ-empirisch untersucht. Als Quelle für die vorgestellten Überlegungen verwenden wir die Anfang 2019 erhobenen Daten des Berlin-Monitors 2019 (Pickel et al. 2019). Abgesehen von ihrer Aktualität, enthalten die Daten verschiedene gruppenbezogenen Vorurteile, die miteinander kontrastiert werden können. Zudem wurden unter den Berliner*innen Bedrohungsgefühle hinsichtlich von Mitgliedern von Religionsgemeinschaften, wie verschiedene potentielle Erklärungsfaktoren für gruppenbezogene Vorurteile erfasst.

2 Konzeptionelle Überlegungen

2.1 Gruppenbezogene Vorurteile, Menschenfeindlichkeit und Ressentiments – Begriffe

Die Unterscheidung zwischen gruppenbezogenen Vorurteilen und Ressentiments ist nicht ganz einfach. Gruppenbezogene Vorurteile, ein Begriff aus der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung, bildet Abgrenzungen und Kategorisierungen sozialer Gruppen aufgrund wahrgenommener und zugeschriebener Gruppenmerkmale ab. Er schließt damit an die zentralen Überlegungen der Vorurteilsforschung an (Allport 1979; Pelinka et al. 2009). Dabei wird ein Vorurteil als „eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet“ (Klein 2014, S. 29) und in gruppenbezogener Erweiterung als „Einstellung oder Orientierung gegenüber einer Gruppe (bzw. ihren Mitgliedern), die sie direkt oder indirekt abwertet, verstanden. Grund ist oft Eigeninteresse oder der Nutzen der eigenen Gruppe“ (Jonas et al. 2014, S. 509; auch Allport 1979, S. 6). Vorurteile können grundsätzlich positiv wie negativ sein. Z. B. Chinesen sind immer sehr disziplinierte und hart arbeitende Menschen, Sinti und Roma neigen per se zu Kriminalität. Diese Vorurteile beruhen nicht zwingend auf Erfahrungen, sondern können sekundär (z. B. über Hörensagen, Medienberichte) konstruiert sein. Gelegentlich fehlen Erfahrungen gänzlich. Vorurteile können sich auf einzelne Personen richten, aber auch auf soziale Gruppen, denen man Eigenschaften zuweist – und sie deswegen ablehnt. Neben die Fremdkategorisierung tritt somit eine affektive Ablehnung, der oft auch in Abwertung Ausdruck verliehen wird. Ressentiments greifen in der Regel tiefer als Vorurteile und gründen in einer, fast immer auf Unterlegenheitsgefühlen beruhenden, unbewussten Abneigung, bzw. Projektionen des eigenen Scheiterns auf den Anderen (Decker et al. 2018, S. 183).Footnote 5 Aspekte des Gefühls eines persönlichen Zurückgesetztseins spielen genauso eine Rolle für Distanz und Abwertung, wie unterdrückte Schuldgefühle, die man ablegen möchte und deren Existenz man der abgelehnten Gruppe zuschreibt. Anders als Vorurteile sind Ressentiments nie positiv und drücken sich in einer tief im (Unter)Bewusstsein verankerten Ablehnung der „anderen“ Gruppe aus. Der klassische Fall für ein Ressentiment ist der, oft mit Verschwörungstheorien und dem Kampf um innergesellschaftliche Dominanz verbundene, Antisemitismus (Decker und Brähler 2018, S. 185, 207). Diese Differenzen berücksichtigend, reflektieren allerdings sowohl Ressentiments als auch negativ gefärbte gruppenbezogene Vorurteile Ablehnungshaltungen gegenüber anderen sozialen Gruppen, verbunden mit deren Abwertung und einem Verständnis von „natürlicher“ Ungleichwertigkeit.

Bei der Betrachtung gruppenbezogenen Vorurteilen hat sich in Deutschland ein Konzept etabliert, dem in den meisten vorliegenden Studien das Gros der wissenschaftlich verwendeten Messinstrumente entnommen ist. Es handelt sich um den Ansatz der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (Heitmeyer 2010; Zick und Klein 2014; Zick et al. 2016, 2019, S. 52–55). Das Konzept greift Aspekte der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung, mit dem Schwerpunkt gruppenbezogener Vorurteile auf (Allport 1979; Tajfel 1982) und verdichtet diese zu einem generellen Befund. Alle diese Einstellungen sind den Autor*innen nach getragen von der Einschätzung der Ungleichwertigkeit anderer sozialer Gruppen der Gesellschaft der eigenen Gruppe gegenüber.Footnote 6 Gruppenbezogene Vorurteile sind also stark untereinander verbunden und in unterschiedlichen Ausprägungen Ausdruck ein und derselben Neigung – der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit. Forschungstheoretisch wird ein gemeinsames Syndrom, vielleicht noch mit Varianten in der „Feindesgruppe“ angenommen. Es wird davon ausgegangen, dass Personen, die den entsprechenden Aussagen in repräsentativen Umfragen zustimmen, empfänglicher für Parolen sind, die auf Gruppenabgrenzung, Nationalismus und völkische Exklusivität zielen. In diesem Konzept wird die gestiegene Relevanz von Religion in diesem Sektor erkennbar. So wurden neben des Einbezuges von Antisemitismus (als Merkmal von Rechtsextremismus) auch abwertende Haltungen zu Islam und Muslimen in frühen Versionen der Skala Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aufgenommen (siehe Leibold und Kühnel 2003). Andere Religionsgemeinschaften stehen, aufgrund angenommener geringer Betroffenheit durch Vorurteile, nicht im Fokus der Forschung und werden nicht abgeprüft. Als Problem der Annahme eines Syndroms erweist sich der Verlust der inhaltlichen Reflexion der doch beachtlichen Differenzen in den Zustimmungsraten zu unterschiedlichen gruppenbezogenen Vorurteilen. So geraten diese vor dem Hintergrund des Gesamtkonzeptes etwas ins Hintertreffen. Gleichwohl hilft die Bündelung mit Blick auf eine gemeinsame Triefkraft für Vorurteile weiter.

Einen Bezugspunkt, den Heitmeyer (2002, 2018) ebenfalls aufgreift, ist die Wirkung der Einstellung des Autoritarismus. Er sieht diesen als einen von drei zentralen Faktoren für die Ausprägung Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit. Die Überlegungen zum Autoritarismus gehen auf Studien von Adorno (Adorno 1973, S. 315–328) zur autoritären Persönlichkeit zurück und identifizieren diese als eine auf Erziehungserfahrungen resultierende Persönlichkeitsstruktur. Die Abwertung des Anderen wird dabei zum Bedürfnis – und ist nur begrenzt Folge veränderter Lebensumstände.Footnote 7 Spätere Studien erweiterten diese Vorstellungen in Richtung einer Mischung aus Persönlichkeitsmerkmalen und sozialer Einbettung (Decker und Türcke 2019; Pettigrew 1958). Entscheidend ist die Feststellung von Wirkungsbeziehungen. So wie sie Heitmeyer (2002) auf Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit feststellte, konnte Autoritarismus in jüngeren Studien immer wieder als Prädiktor für rechtsextreme Einstellungen identifiziert werden (exemplarisch Decker und Brähler 2018, S. 52–53, 174). Dabei wurde eine Prozesshaftigkeit herausgearbeitet und eine Dreiteilung in Konventionalismus, autoritäre Unterwerfung und autoritäre Aggression vorgenommen. Während Konventionalismus eine Orientierung am Konzept der Sicherheit und des Traditionalismus abbildet, beschreibt die autoritäre Unterwerfung den Wunsch nach Führung. Die autoritäre Aggression beschreibt das Bedürfnis, scheinbar schwächere oder abweichende Personen zu verfolgen oder ihre Verfolgung und Bestrafung zu fordern. Gerade letztere Komponente des Autoritarismus erweist sich als massiv Vorurteile fördernd. Auch Religion und Religiosität spielt hier eine Rolle. So betonte Adorno die funktionale Relevanz von Religion für Vorurteile: „Ethnozentriker halten Religion oft für eine praktische Hilfe zur seelischen Hygiene“ (Adorno 1973, S. 288). Speziell sieht Adorno Verbindungen zwischen parawissenschaftlichen Denkweisen des Religiösen und Vorurteilen. Religion kann allerdings auch als Medium der Verbreitung von Vorurteilen dienen (Adorno 1973, S. 426–450). Zudem zeigten sich Hinweise auf eine empirische Verbindung von religiösem Dogmatismus oder Fundamentalismus mit autoritären Einstellungen (Decker et al. 2018, S. 179–216). Dabei kamen neben Konkurrenzeffekten zwischen Religionsgemeinschaften auch Überschneidungen in konservativen und autoritären Vorstellungen der Gestaltung der Lebenswelt zu Wahlverwandtschaften zusammen. Entsprechend liegt es für die folgenden Analysen nahe, Bezüge zwischen einem dogmatischen Verständnis von Religion, Autoritarismus und Vorurteilen zu erwarten.

2.2 Angst als (schlechter) Ratgeber? Integrated Threat Theory

Dabei gehen wir davon aus, dass empfundene Bedrohungen in diesem Zusammenhang als Verstärker von Vorurteilen eine Rolle spielen. Hier stellt die Integrated Threat Theory den Ausgangspunkt unserer Überlegungen hinsichtlich der Wirkungen von Bedrohungsgefühlen dar. Dieser Ansatz ist der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung zuzuordnen, an die auch Heitmeyer anschließt und der die Social Identity Theory (SIT) zugrunde liegt (Tajfel 1982). Letztere geht von einem grundsätzlichen Bedürfnis nach positiver Identität aus und das durch die Identifikation mit einer als positiv bewerteten Gruppe erreicht werden kann (Tajfel und Turner 1986, S. 10).Footnote 8 Innerhalb der In-Group bildet sich eine gemeinsame Identität auf Grundlage von z. B. kulturellen Gemeinsamkeiten heraus. Sie gibt dem Einzelnen Selbstbewusstsein. Die In-Group profitiert durch eine Abwertung bzw. Unterordnung der Out-Group. Die Aufwertung der eigenen Gruppe führt, in Abgrenzung zu Anderen, zu einer Betonung insbesondere negativer Aspekte der Out-Group. Der zentrale Grund für die Mitglieder der Gruppe sich der In-Group anzuschließen ist also die Erhöhung des eigenen Selbstwertgefühls. Wichtig ist die emotionale Bindung des Gruppenmitglieds zu der jeweiligen In-Group. Gerade im Falle von geringer Gruppenzugehörigkeitsmobilität (social mobility) nimmt die emotionale Bedeutung zu und die Gruppenzugehörigkeit erlangt Bedeutung für die eigene Identität (Tajfel und Turner 1986, S. 11, 16).

Dieser Prozess birgt das Potenzial zur Ausbildung von Vorurteilen, ist es doch gerade die Abwertung anderer sozialer Gruppen, die den eigenen Selbstwert sichern helfen. Dadurch wird die Out-Group als ein von den eigenen Werten abweichendes Objekt betrachtet, welches ein Gefahrenpotenzial für die In-Group birgt. So entstehen im Abwertungsprozess Vorurteile gegenüber der anderen Gruppe, die sich festsetzen und Eigenständigkeit erlangen. Dies folgt einem klassischen Muster der Vorurteilsbildung über (1) Kategorisierung, (2) Stereotypisierung und (3) affektiver Aufladung (Zick et al. 2011, S. 32–35). Wird dieser Prozess mit Gefahrzuschreibungen verbunden, dann kommt es zu einer Bestärkung bzw. Verstärkung der Vorurteile, aufgrund einer Steigerung des emotionalen Investments (Jonas et al. 2014, S. 543–546; Hirschmann 1970). Diese Konstellation verursacht mit der Zeit die Entstehung von Ängsten und Bedrohungserleben. Während das Bild des „gefährlichen Anderen“ immer stärker internalisiert wird, steigt der Stellenwert der Nähe zu der eigenen Kollektivgruppe.Footnote 9 Unter Umständen entwickelt sich eine Dynamik, die zur Konstruktion weiterer gruppenbezogener Vorurteile führt und die Ablehnung der sozialen Gruppe zum Selbstzweck werden lässt.

Die solche Wirkungen von Bedrohungen fokussierende Integrated Threat Theory (ITT) (Stephan et al. 2000; Stephan und Stephan 1996) geht davon aus, dass diese Ängste und Zuschreibungen von Bedrohlichkeit eine Abgrenzung steigernde Wirkung besitzen (Jonas und Fritsche 2013). Die ITT unterscheidet zwischen symbolischen und realistischen Bedrohungen, mit denen sich die In-Group wie ihre Mitglieder konfrontiert sehen könnte. Symbolische Bedrohungen (symbolic threats) resultieren aus der wahrgenommenen Unterschiedlichkeit der In- und Out-Group. Die Sorge vor einer Verdrängung vermeintlich exklusiver eigener Werte durch die Out-Group ist eine Variante von symbolischer Bedrohung (Gonzalez et al. 2008, S. 669; Quillian 1995). Demgegenüber stehen die realistischen Bedrohungen (realistic threats), die sich anders als die symbolischen Bedrohungen auf physische, manifeste Bedrohungsgefühle zurückführen lassen. Dies kann die Angst vor terroristischen Anschlägen sein, aber auch eine Zunahme der Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt. Letztere thematisiert die eher ökonomisch angelegte Gruppenbedrohungstheorie (Blumer 1958; Blalock 1967). Die Bedrohungen werden der abgelehnten Referenzgruppe pauschal zugeschrieben. Aus diesen Bedrohungsgefühlen können Vorurteile entstehen, oder sie können diese zumindest massiv verstärken (Schlueter und Scheepers 2010).Footnote 10 Die aus diesen Überlegungen ableitbare Annahme ist, dass eine starke Wahrnehmung einer Bedrohung durch eine religiöse Gemeinschaft und ihre Mitglieder deren Abwertung bestärkt (auch Uenal 2016). Dabei ist es wichtig diesen Prozess nicht als eine „nur durch das Gefühl von Bedrohung“ erzeugte Abwertung und Ablehnung zu verstehen, die durchaus akzeptabel scheint, sondern als einen Bestandteil der Verstärkung und Verbreitung von Vorurteilen in einer Gesellschaft, in der bereits Ansätze von Vorurteilen und ggf. Ressentiments vorliegen. So schließt eine Identifikation von Beziehungen zwischen Bedrohungsgefühlen und Vorurteilen keineswegs die Existenz von Rassismus und Ressentiments aus.Footnote 11

2.3 Der Gegenpart zum Abbau von Ängsten – die Kontakthypothese

Immer wieder geht aus den Daten verschiedener Studien hervor, dass Ressentiments gegenüber Muslim*innen besonders an Orten verbreitet sind, in denen der Anteil der muslimischen Bevölkerung sehr gering ausfällt (Pickel und Öztürk 2018). Wie lässt sich dies in das Konzept der Integrated Threat Theory einbetten? Hier kann die sogenannte Kontakthypothese, eine weitere sozialpsychologische Theorie, weiterhelfen (Allport 1979; Allport und Ross 1967; Pettigrew 1998). Sie legt nahe, dass der konkrete Kontakt zur jeweiligen Out-Group die Bedrohungsgefühle – und damit die Vorurteile – verringern kann. Die Idee ist, dass persönliche Kontakte positive Erfahrungen mit sich bringen, oder zumindest Vorstellungen von Normalität erzeugen. Dieser mit Erfahrung verbundene Kontakt wirkt Verschwörungstheorien oder nicht durch Kontakterfahrungen abgesicherten Vorurteilen entgegen. Bereits Allport nahm allerdings Einschränkungen vor, die später wiederholt aufgenommen wurden: Zum beurteilte er die Annahme einer universalisierten positiven Wirkung von Kontakten als zu oberflächlich, zum anderen verweis er auf die große Variation von Kontakten und Kontaktkontexten (Allport 1979). Speziell die Berücksichtigung von Statushierarchien in den Kontakten, Kooperationsbereitschaft und gemeinsame Ziele wurden als förderlich für den Kontakterfolg angesehen (Jonas et al. 2014, S. 548–550; Sherif et al. 1961; Brown und Abrams 1986). So bedenkenswert diese kritischen Anmerkungen sind, konnte die empirische Forschung doch wiederholt die Effektivität von Kontakten belegen. So erbrachte eine breite Metaanalyse von Pettigrew und Troop (2006) den Hinweis auf eine überwiegende Bestätigung der Kontakthypothese. Auch die Naivitätsannahme musste eingeschränkt werden, verweis doch Allport (1979) selbst frühzeitig auf die Bedeutung von Differenzen im Status von Kontaktgruppen hin oder betonte die hohe Relevanz des normativen Klimas im Umfeld (Pettigrew 1998). Positive Framings und Voraussetzungen unterstützen die positive Wirkung von Kontakten, wie auch Varianten der Kontakthypothese gezielte Interventionsmöglichkeiten gegenüber Vorurteilen bereitstellen (Hewstone und Swart 2011). Gleichzeitig kann die Hypothese einer positiven Wirkung von Kontakten auf den Abbau von Vorurteilen aufrecht erhalten bleiben.

Interessant ist zudem für unsere Zwecke die Erweiterung der Kontakthypothese durch para-soziale Kontakte (Horton und Wohl 1956). Wenn keine Möglichkeit des direkten sozialen Kontakts besteht, ist der parasoziale Kontakt die nächstgelegene Informationsquelle. Für ihn ist kein direkter Kontakt notwendig. Parasozialer Kontakt kann etwa in Form von medialer Berichterstattung stattfinden und das Meinungsbild innerhalb der Bevölkerung in Bezug auf eine bestimmte Bevölkerungsgruppe prägen. Ein gutes Beispiel für solche Wirkungen stellt die Einschätzung der muslimischen Bevölkerung dar. So fällt z. B. die mediale Rezeption für die Gruppe der Muslim*innen deutlich negativ aus. Yasin Baş hält in seiner Presseschau für 2018 etwa die Themen Flüchtlingskrise, IS, Terroranschläge, steigender Antisemitismus in Deutschland, Probleme bei Abschiebungen, Islamistisches Gefahrenpotential in Deutschland und Angelegenheiten des Verfassungsschutzes als einige relevante Bereiche für die Berichterstattung (Baş 2019, S. 11–45). Zu ähnlichen Befunden kommen Hafez und Schmidt (2015). Die mediale Rezeption zur muslimischen Bevölkerungsgruppe liefert eine wichtige Voraussetzungen für die genannten Formen der Bedrohungsgefühle – symbolische wie realistische Bedrohungen. Während realistische Bedrohungsgefühle ein Produkt para-sozialer Kontakte mit Islamisten und radikalen Gruppierungen im Islam darstellen, referieren symbolische Kontakte auf eine undefinierbare, kulturelle Bedrohung. Diese kann durch Debatten über Kopftuch- oder Burkaverbote intensiviert werden (z. B. Carol et al. 2015) und findet teilweise Übergänge zu einem Ressentiment oder rassistischen Positionen im Rahmen diskursiver Ethnisierung (Shooman 2014).

Es zeigen sich allerdings Unterschiede zwischen einer breiteren, durchaus auch mit Vorurteilen behafteten Sichtweise und einem ethnisch geprägten Rassismus. So wie Rassismus und rassistische Vorstellungen vorherrschen, scheinen sie doch seltener verbreitet als die Bedrohungsgefühle. Nicht, dass aus den Vorurteilen heraus rassistische Einstellungen werden können oder diese im Rahmen der Ethnisierung belebt werden. Insgesamt können allerdings Effekte von Kontakten, positive bei direkten und persönlichen Kontakten zu Mitgliedern einer Religionsgemeinschaft, negative bei para-sozialen Kontakten oder keinen Kontakten erwartet werden. Die Vermutung ist, dass Kontakte bestehende Bedrohungsgefühle konterkarieren und zu ihrem Abbau beitragen, liegen nicht sowieso bereits grundsätzlichere Ressentiments oder gar Rassismus vor.

3 Methodik: Die Messung gruppenbezogener Vorurteile im Berlin-Monitor

In aktuellen gesellschaftlichen Diskussionen spielt die Haltung zu anderen sozialen Gruppen eine große Rolle. So wird in den letzten Jahren öffentlich eine Zunahme von Rechtspopulismus und Rechtsextremismus, wie von antimuslimischem Rassismus und Antisemitismus diskutiert (Pickel und Pickel 2019; RIAS 2019). Diese Diskussionen können allerdings oft auf keine klaren empirischen Belegstrukturen zurückzugreifen, da sich das Phänomen das Populismus weitgehend durch eine unklare Messstruktur auszeichnet (statt vieler Castanho Silva et al. 2019). Deutlich besser zu fassen (wenn auch in Teilen mit Einschränkungen) sind rechtsextreme Einstellungen, Aussagen sozialer Abwertung, Ungleichheitsvorstellungen, Rassismus, gruppenbezogene Vorurteile und Ressentiments. Diesen Einstellungen wohnt ein bedrohliches Potential für die liberale Demokratie inne (Decker et al. 2016), stellen sie doch ein Einfallstor für Rechtsextremismus und Nichtdemokraten in gesellschaftliche Debatten und Bezüge dar. Soziale Distanzen und Abneigungen, wie Stereotypen und Vorurteile werden zu Grundvorstellungen vieler Menschen und führen zu antidemokratischen und antipluralistischen Positionen. Dabei reichen Vorurteile und Abwertung weit über Rassist*innen und Rechtsextremist*innen hinaus, teilweise bis in gesellschaftlichen Schichten, welche man als politische Mitte bezeichnen könnte (siehe Decker et al. 2016; Rippl und Seipel 2018; Zick et al. 2019). Um sie empirisch fassen zu können wurden in den letzten Jahrzehnten verschiedene Erhebungsinstrumente konzipiert. Sie alle basieren auf dem System von vorgegebenen Aussagen, welche in ihrer Auswertung Auskunft über Vorurteile und soziale Ungleichwertigkeitswahrnehmungen geben sollen.Footnote 12 Dabei muss man sich klar sein, dass man allein auf der Ebene dieser Operationalisierung nicht zwischen Vorurteilen und Ressentiments unterscheiden kann, fehlt doch die Verbindung zum Grund der Ablehnung und Abwertung. In der Einordnung hilft dementsprechend nur eine aus der Theorie begründete Entscheidung. Auf dieser Basis entscheiden wir uns Antisemitismus als Ressentiment und Ablehnungshaltungen gegenüber dem Islam vorerst als gruppenbezogene Vorurteile einzuordnen. Gleichwohl wäre eine andere Einordnung der zuletzt genannten Haltung, z. B. als antimuslimisches Ressentiment oder antimuslimischer Rassismus möglich. Da es uns aber im Kern um inhaltliche Erkenntnisse geht, lassen wir weitere definitorische Diskussionen hier offen und legen – quasi etwas autoritär – eine möglichst gut empirisch umsetzbare Definitorik fest.

Unterschiedliche der potentiell von Vorurteilen betroffenen Gruppen werden im bereits angesprochenen Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (GMF) erfasst (Heitmeyer 2010; Zick et al. 2019). Die Kernannahme im Konzept der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit ist, dass es sich bei diesen verschiedenen Einzelvorurteilen um ein miteinander verbundenes Syndrom und ein vernetztes Phänomen handelt. Dieses Syndrom wird nach Ansicht der Autoren des Konzeptes getragen von generellen Vorstellungen der Ungleichwertigkeit verschiedener Menschen in einer Gesellschaft. Auch jenseits einer zusammenfassenden Verwendung der erhobenen Vorurteile sind die Erhebungen einzelner Referenzgruppen von Abwertung für eine Kartographie gruppenbezogener Vorurteile hilfreich, werden doch Abgrenzungsbedürfnis und Betroffenengruppen erkennbar. So belegen Ergebnisse mit dem Erhebungsinstrument der GMF immer wieder beachtliche Differenzen im Umfang der Vorurteile, je nach jeweiliger Referenzgruppe. Teile dieses Instrumentariums wurden auch im Berlin-Monitor 2019 eingesetzt. Da einige Fragestellungen der klassischen GMF-Skala aufgrund des Voranschreitens der Debatten in die Diskussion geraten sind und zudem einige Referenzgruppen gruppenbezogener Vorurteile nicht enthalten sind, wurde die Erhebung der Vorurteile an einigen Stellen ausgeweitet und Fragestellungen variiert (siehe Tab. 1). Dafür muss das Risiko von Abweichungen gegenüber anderen, bundesweiten Studien, aufgrund unterschiedlicher vorgegebener Statements, in Kauf genommen werden. Im Berlin-Monitor versuchen wir durch eine Mischung aus negativ und positiv ausgerichteten Aussagen der üblichen, dominanten Ausrichtung auf abwertende Urteile zu begegnen. Auf diese Weise wird man den methodischen Bedürfnissen von Skalenkonstruktion, nämlich Aussagen mit Ausrichtung auf die beiden Pole einer Dimension, besser gerecht als teilweise in bisherigen Erhebungen. In der folgenden Tab. 1 sind die verschiedenen erhobenen Konstrukte aufgeführt.

Tab. 1 Gruppenbezogene Vorurteile und ihre Indikatoren (Konzeptionelle Zuordnung)

Als Ergänzung zu teilweise aus anderen Studien übernommenen Aussagen im Bereich Antisemitismus und der Muslimfeindlichkeit, wurde die Abwertung Schwarzer Menschen, die Abwertung Transsexueller/Transgender und Bisexueller, aber auch die zuletzt immer häufiger in den Blick kommende Beobachtung des gegen Gleichstellung und Frauenrechte gerichteten „Anti-Feminismus“ im Berlin-Monitor berücksichtigt.Footnote 13 Ebenfalls einbezogen wurden Erhebungsinstrumente für Homophobie, Transphobie, Antiziganismus, Feindlichkeit gegenüber Geflüchteten, antimuslimische Ressentiments und Antisemitismus. Für den Antisemitismus verwenden wir eine dreigliedrige Messung, in der neben dem (klassischen) primären Antisemitismus, sekundärer Antisemitismus (inklusive Schuldabwehrantisemitismus) sowie israelbezogener Antisemitismus enthalten sind. Während die Abfrage zu Antisemitismus aus Vergleichsgründen anhand einer Skala mit fünf Antwortmöglichkeiten durchgeführt wurde, erfolgte die Messung der Vorurteile über eine 4‑Punkt-Skala (ebenfalls untereinander vergleichbar).

4 Gruppenbezogene Vorurteile in Berlin – Unterschiedliche Grade

4.1 Gruppenbezogene Vorurteile in Berlin in der Übersicht

Gehen wir in die Daten und werfen einen ersten Blick auf die Verteilung der Vorurteile und Ressentiments. Die Berliner*innen stehen den im Berlin-Monitor abgefragten Gruppen mehrheitlich positiv gegenüber. Selbst die heftig diskutierten Fragen der Zuwanderung – speziell der muslimischen Zuwanderung – führen zu keiner mehrheitlichen Ablehnung unter den Berliner*innen. Vorurteile sind also im pluralistischen Berlin – wie ein wenig erwartet – ein Minderheitenphänomen. Doch selbst wenn sich keiner sozialen Gruppe gegenüber eine Mehrheit an ablehnenden Haltungen findet, existiert eine ansehnliche Bandbreite sozialer Abwertung und von sozialen Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Die Einstellungen gegenüber den beiden religiösen Gruppen – Muslim*innen und Jüd*innen – fallen unterschiedlich aus.Footnote 14 Während der Antwortvorgabe für antimuslimische Vorurteile relational mit am häufigsten, wenn auch nicht mehrheitlich, zugestimmt wird, bewegen sich antisemitische Äußerungen eher im Mittelfeld der abgefragten Vorurteile.Footnote 15 Nun ist es aufgrund der Ungleichheit der Frageformulierungen schwer, bis nur begrenzt zulässig, direkte Zustimmungsvergleiche zwischen den Gruppenabwertungen vorzunehmen. Gleichwohl kann man über Plausibilitätsüberlegungen doch aus den Relationen vorsichtige Schlussfolgerungen ableiten.

Richten wir unser Augenmerk auf die religiösen Gruppen. Beginnen wir mit den Muslim*innen, da diese nach Adida et al. (2016) die größten Schwierigkeiten besitzen sollen in christlichen Gesellschaften Fuß zu fassen. Selbst wenn wir Berlin von der Zugehörigkeit als mehrheitlich konfessionslos oder säkular einstufen können, besteht doch ein christlicher Kulturhintergrund. Nur 13 % der Berliner*innen stimmen einem generellen Zuwanderungsstopp für Muslim*innen zu, obwohl immerhin 29 % der Berliner*innen die Zahl der Muslim*innen in Deutschland als zu hoch empfindet.Footnote 16 Dieser Wert (Zuwanderungsstopp) liegt unter dem Bundesschnitt von 18 % (Zick et al. 2019, S. 72–73). Damit findet sich eine Zwischengruppe von Berliner*innen, die zwar eine gewisse kulturelle „Überfremdung“ durch Muslim*innen empfinden, aber daraus nicht die Forderung eines Zuwanderungsstopps ableiten. Zwischen der Sicht auf Muslim*innen und Geflüchtete besteht eine enge Verbindung (Pickel und Pickel 2018, 2019, S. 297). Die statistischen Überschneidungen im Antwortverhalten gegenüber Muslim*innen und Geflüchteten sind beträchtlich (in der Regel Korrelationen um r > 0,50). Geflüchtete werden von vielen der befragten Berliner*innen gleichzeitig als Muslim*innen eingestuft (Pickel und Pickel 2019, S. 295–298) (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Gruppenbezogene Vorurteile in Berlin im Überblick (in %). Quelle: Eigene Darstellung auf Grundlage der Ergebnisse der Berlin-Monitor Umfrage; N = 2005 Berliner*Innen; Ausgewiesen sind gültige Prozentwerte der Zustimmung zu den jeweiligen Aussagen (stimme stark zu, stimme eher zu) bei vier Antwortvorgaben; Daten repräsentativ gewichtet

Entsprechend ist die Ablehnung von Geflüchteten auf ähnlichem Zustimmungsniveau, wie das Antwortverhalten auf die Frage, nach einem Zuwanderungsstopp für Geflüchtete, den 17 % der Berliner*innen befürworten, belegt. Im Berlin-Monitor haben wir zudem mit einer positiven Frageformulierung die Haltung gegenüber Geflüchteten ermittelt. Das Ergebnis ist eindeutig: Drei Viertel der Berliner*innen finden, dass Flüchtlinge in Deutschland immer willkommen sein müssten. Von einer weit verbreiteten oder gar generellen Ablehnung von Fluchtzuwanderung kann – zumindest in Berlin – nicht die Rede sein. Ähnlich Verhältnisse zeigt das Antwortverhalten in Richtung Muslim*innen: Die Berliner Gesellschaft teilt sich in eine drei Viertel-Gruppe und eine ein Viertel-Gruppe. Ein Viertel der Berliner*innen sieht eine Offenheit für Geflüchtete und Muslim*innen nicht als angebracht und befürwortet einen Einreisestopp.Footnote 17 Umgekehrt finden drei von vier Berliner*innen, dass Flüchtlinge immer in Deutschland willkommen sein müssten, was auf eine weit verbreitete interkulturelle Toleranz in Berlin hinweist.

Wie in bundesweiten Umfragen sind antisemitische Einstellungen in Berlin relativ wenig verbreitet. Dabei ist nicht zu bestimmen, wie hoch die soziale Erwünschtheit bei entsprechenden Fragen ist. So finden sich aufgrund der prekären deutschen Geschichte Zustimmungsblockaden und Effekte sozialer Erwünschtheit, speziell, wenn es um den primären Antisemitismus geht. Dieser ist im Berlin-Monitor auf dem niedrigem Bundesniveau (Decker und Brähler 2018; Zick et al. 2019). Allerdings finden sich Unterschiede zwischen dem primären Antisemitismus, dem sekundären Antisemitismus mit einem Schuldverdrängungskomplex und einem israelbezogenen Antisemitismus (Frinte und Wammelsberger 2008; Pickel et al. 2019, S. 56; auch Lipstadt 2019). Die Werte des sekundären Antisemitismus, die eine Art Schuldabwehrantisemitismus beschreiben (Schönbach 1961, S. 80–81), fallen höher aus als die Zustimmung zum primären Antisemitismus. Der israelbezogene Antisemitismus liegt noch etwas höher.Footnote 18 Wenn auch die große Mehrheit der Berliner*innen keine Antisemit*innen sind, finden sich doch größere Spurenelemente einer Umwegkommunikation des Antisemitismus in Berlin. So werden, aufgrund der sozialen (Un)Erwünschtheit von Antisemitismus in Deutschland, eigentlich bestehende antisemitische Einstellungen anders, über den Umweg einer gegen Israel gerichteten Kritik, Abwertung und Ablehnung oder unter Verweis auf eine übertriebene Konzentration auf den Nationalsozialismus in der Behandlung der deutschen Historie zum Ausdruck gebracht.

Wie sieht es mit anderen Vorurteilen aus. Generell fallen die Ergebnisse im Vergleich zu bundesweiten Studien eher moderater aus. Dies zeigt sich zum Beispiel bei der Abwertung von Sinti und Roma (Zick et al. 2019, S. 72–73). Auf niedrigem Niveau, nimmt man bundesweite Ergebnisse als Referenzpunkt, liegt die Abwertung von Sinte*zze und Rom*nja (17 %). Dieser Wert ist im Bundesvergleich als eher moderat einzustufen. Auffällig ist die relativ hohe Bereitschaft zur sozialen Deklassierung, festgemacht an der Abwertung von Hartz-V-Empfängern. Soziale Disparitäten werden in einer stark auf Leistung ausgerichteten Gesellschaft von nicht wenigen Menschen als gerechter Ausdruck des individuellen Einsatzes gesehen – und sozial Deprivierte dann als selbst an ihrem Unglück schuld. Die stärksten Vorurteile unter den Berliner*innen existieren unter den abgefragten Referenzgruppen gegenüber Langzeitarbeitslosen. 27 % gehen davon aus, dass sie sich auf Kosten der Allgemeinheit ein „schönes Leben“ machen. Diese starke Betroffenheit von sozialer Abwertung nehmen sie auch in bundesweiten Umfragen (bei einem variierten Befragungszugriff) ein, wo ungefähr 50 % der Deutschen davon ausgehen, dass Langzeitarbeitslose gar keinen Arbeitsplatz suchen (Zick et al. 2019, S. 74–75). Dem klassischen Rassismus am nächsten kommt die Haltung gegenüber People of Colour (POC) oder Schwarzen Menschen. Nur 8 % der Befragten nehmen an, dass sich Schwarze Menschen in Deutschland nicht zurechtfinden können. Mehr zu denken gibt eine fundamentale Ungleichwertigkeit abbildende Aussage, welche eine (natürlichen) Hierarchie zwischen Weißen und Schwarzen Menschen sieht. Sie wird immerhin von knapp 12 % der Berliner*innen bejaht. Selbst wenn Abwertungen von Schwarzen Menschen kein Mehrheitsphänomen sind, existieren sie doch auch im multikulturellen Berlin.

Neben diesen sozialen Gruppen rücken in aktuellen Diskussionen immer wieder Fragen der sexuellen Orientierung, Geschlechtsidentität und Geschlechtergleichheit in den Fokus. Im Berlin-Monitor bestätigt sich unter den Berliner*innen das Bild einer weitgehenden Akzeptanz einer selbstbestimmten Ausübung von Sexualität. 86 % der Berliner*innen sehen Homosexualität als etwas vollkommen normales an und 83 % widersprechen in vollem Umfang der Aussage, dass Homosexualität heilbar wäre. Gerade die zweite Aussage beschreibt ein problematisches Verständnis von Homosexualität, dass speziell in Kreisen dogmatischer Christ*innen immer noch Relevanz besitzt.Footnote 19 So wird Homosexualität mit der Zustimmung zu einer solchen Formulierung – immerhin noch bei 5–6 % der Berliner*innen – als Krankheit eingeordnet. Ähnlich verhält es sich beim Antwortverhalten hinsichtlich Transsexualität. Wieder sind es ca. 9 %, welche Transsexualität (sogar) als Gefahr für die gesellschaftliche Ordnung einschätzen. Hier handelt es sich um eine explizite Ablehnung einer sozialen Gruppe, welche die eigenen gesellschaftlichen Normen und ihre Gültigkeit in Frage zu stellen droht. Fasst man die Ergebnisse zusammen, dann wird von einer, wenn auch kleinen, Gruppe von Berliner*innen die Verbreiterung binärer Geschlechtsidentitäten in Frage gestellt oder abgelehnt. Insgesamt sind in Berlin die vielfältigen Lebensformen breitflächig akzeptiert. Nur eine kleine Minderheit steht ihnen nicht aufgeschlossen gegenüber und lehnt sie ab. Allerdings sollte man hinsichtlich einer zu weit reichenden positiven Interpretation der Akzeptanz pluraler Lebensformen und Geschlechtsidentitäten Vorsicht walten lassen. So reduziert sich die Zahl der toleranten Personen, wenn man die Vorgabe variiert. So fällt die Befürwortung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Diskriminierung von Lesben, Schwulen und Bisexuellen auf die mittlere Größe von 57 % der Berliner*innen. Dies ist an sich kein schlechter Wert, zeigt aber eine Differenz zwischen dem Toleranzmodell einer passiven Duldung und dem Toleranzmodell einer aktiven Akzeptanz (Forst 2003) – oder einer auf Wertschätzung basierenden Toleranz (Klein 2014, S. 59). Da ist es beachtlich, dass nur ein Fünftel der Berliner*innen sieht, dass sich „überzogene Forderungen der Gleichberechtigung“ gegen die Natur von Männern und Frauen richten. Gerade mit dem Präfix „überzogene“ wäre eine höhere Ablehnung ohne weiteres möglich gewesen. Nichtsdestotrotz sollte man die Einschätzung einer, hinsichtlich einer Ausweitung von Gleichberechtigung skeptischen Haltung eines doch sichtbaren Teils der Berliner*innen, nicht ignorieren.Footnote 20

Eine solch aufmerksame Deutung ist für alle der betrachteten gruppenbezogenen Vorurteile angebracht. Insgesamt sind die Zustimmungsgrade zu den einzelnen gruppenbezogenen Vorurteilen auf deutliche Minderheiten der Berliner*innen begrenzt. Allerdings befürworten immerhin 45 % der Berliner*innen zumindest ein gruppenbezogenes Vorurteil. Selbst wenn eine solche additive Messung, noch dazu bei relativ vielen Antwortvorgaben, wie im Berlin-Monitor vorgelegt, methodische Schwierigkeiten beinhaltet, zeigt dies eine fluide Verbreitung von (teils unterschiedlichen) Ungleichwertigkeitsvorstellungen in einem beachtlichen Teil der Berliner Bevölkerung. Selbst wenn die Mehrheit der Berliner*innen vorurteilsfrei ist und 15 % nur eine Antwort unterstützen.

4.2 Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit oder unterschiedliche Dimensionen

Vorurteile können untereinander stark verzahnt sein. So ist die Wahrscheinlichkeit, dass jemand Muslim*innen ablehnt und eine kritische Haltung zu Genderfragen besitzt hoch, wenn der Zusammenhang auch nicht natürlich gegeben und zwingend ist. Eine solche Verzahnung entspricht den Annahmen im Konzept der gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit (Zick et al. 2019, S. 76–77), verweist aber auch darüber hinaus. So ist es genauso plausibel das Zusammenfallen verschiedener Ablehnungshaltungen als Effekt einer autoritären Aggression (Decker und Brähler 2018, S. 172) zu interpretieren, quasi mit einer in der Sozialisation internalisierten persönlichen Disposition als gemeinsamen Ausgangspunkt für Vorurteile und Ressentiments.

Korrelationsanalysen zwischen den verschiedenen Indikatoren der sozialen Abwertung erbringen dann auch starke empirische Beziehungen zwischen allen Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Allerdings besitzen diese bei weitem keine 100 %ige Beziehungsstärke (Tab. 2). Bestimmte Abwertungen sind enger miteinander verknüpft als andere. Bereits angesprochen wurde die enge Verzahnung zwischen Haltungen gegenüber Muslim*innen und Geflüchteten. Diese Korrelation ragt aus den auffindbaren Beziehungsmustern heraus (Tab. 2). Beide Vorurteile überschneiden sich in einer Dimensionsanalyse, wie in den Korrelationsmustern mit der sozialen Abwertung von Sinte*zze und Rom*nja.Footnote 21 Zudem bindet sich die Abwertung von Langzeitarbeitslosen statistisch an diese Aussagen an. Dieses Set an Vorurteilen kennzeichnet Muslim*innen als Fremdgruppen mit einer spezifischen Einordnung als kulturell fremd, oder normativ stark abweichend aus Sicht der Urteilenden. Soziale Deklassierung koppelt sich mit kulturellen Abwertungsmustern. Daneben korrelieren noch – wenig überraschend – die Aussagen zum Antisemitismus. Selbst wenn die Unterschiede zu den Korrelationen mit anderen Abwertungsitems relational sind, zeigen sie eine etwas stärkere Nähe in der Abwertung der beiden „Religionsgruppen“ auf: Manch eine Berliner*in, die antisemitische Ressentiments aufweist, besitzt auch Vorurteile gegenüber Muslim*innen. Interessant, spricht man heute von Fremdenfeindlichkeit, dann haben die Bürger*innen überwiegend Muslim*innen vor Augen.

Tab. 2 Vernetzte Abwertung (Beziehungen zwischen verschiedenen Abwertungsformen)

Auch andere Abwertungen bündeln sich unterhalb einer gemeinsamen Menschenfeindlichkeit. Führt man die Einzelaussagen strukturierende Faktorenanalysen durch, dann findet sich eine Dreiteilung der Vorurteilsstrukturen. So lassen sich die Haltungen zu Geschlechtsidentitäten und Aspekte von Fremdenfeindlichkeit genauso voneinander unterscheiden, wie ein eigenständiges Syndrom des Antisemitismus zu identifizieren ist.Footnote 22 Auf Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen bezogene Aussagen liegen näher beieinander, als Haltungen gegenüber Langzeitarbeitslosen und Muslim*innen. Wenig überraschend wird Transsexualität bzw. Transgeschlechtlichkeit abgelehnt, wenn man Homo- und/oder Bisexualität als falsch empfindet. Die Vorurteile gegenüber Schwarzen Menschen, welche man als klassischen Rassismus bezeichnen kann (auch Diangelo 2018; Hasters 2019), machen wiederum eine eigenständige Dimension auf – und liegen etwas quer zu den anderen Formen der Ungleichwertigkeitsvorstellungen. Ebenfalls quer dazu ordnet sich statistisch die Haltung zu Geschlechtergerechtigkeit an. Sie steht mit allen Formen sozialer Abwertung in Verbindung, scheint aber eine Art generelle Skepsis gegen dieser „modernistischen“ Maßnahme in Demokratien abzubilden. Insgesamt wird deutlich, dass unterhalb der Ebene einer von nicht wenigen Berliner*innen geteilten, in ihrer Ausrichtung breit gefächerten, gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit, bei einigen Berliner*innen eine Differenzierung der Vorurteile existiert. Anders gesagt: Nicht jeder lehnt alle anderen sozialen Gruppen ab, aber viele zumindest eine und auch nicht wenige alle Anderen.

5 Bedrohungsgefühle – und ihre Wirkung auf Vorurteile und Ressentiments?

5.1 Bedrohungsängste – Angst vor wem?

Eine unserer zentralen Thesen war nun, dass eine gefühlte Bedrohung durch eine soziale Gruppe zu deren Ablehnung beiträgt. Anschließend an diese Annahme der Integrated Threat Theory wollen wir für die beiden in gruppenbezogenen Vorurteilen und Ressentiments immer wieder besonders herausgehobenen religiösen Gruppen, Jüd*innen und Muslim*innen, diese These – auch in Relation zu konkurrierenden Erklärungsmöglichkeiten – testen. Hierzu wurde im Berlin-Monitor die Wahrnehmung von Bedrohung durch verschiedene soziale Gruppen gemessen.Footnote 23 Insgesamt weist nur etwas mehr als jede vierte Berliner*in solche Gefühle auf. Am stärksten noch werden Muslim*innen (von einem Fünftel der Berliner*innen) als bedrohlich angesehen, knapp darauf Geflüchtete. Beide Bedrohungswahrnehmungen sind wieder stark untereinander verbunden, wie eine Binnenkorrelation der Bedrohungsgefühle von r = 0,68 eindrucksvoll belegt. Die Gleichsetzung von Geflüchteten mit Muslim*innen setzt sich auch in der gefühlten Bedrohungslage fort (auch Pickel und Pickel 2019, S. 295–299; Pollack et al. 2014). Andere Gruppen fallen deutlich hinter diese Einschätzung zurück. Immerhin sind es noch die Jüd*innen, welche knapp vor Christ*innen und Atheist*innen liegen. (Abb. 2).

Abb. 2
figure 2

Bedrohlichkeit von Religionen in Berlin. Frage: Wenn Sie an folgende Religionen und sozialen Gruppen denken: Als wie bedrohlich nehmen sie die folgenden sozialen Gruppen wahr? Anteil sehr bedrohlich/eher bedrohlich auf einer Antwortskala mit vier Antwortmöglichkeiten; Quelle: Berlin-Monitor (N = 2005)

Das Gefühl der Bedrohung ist unter den Berliner*innen sozialstrukturell unterschiedlich verteilt. Während jüngere Menschen in der Regel eine niedrigere Furcht vor anderen sozialen Gruppen äußern, steigt diese Angst mit höherem Alter und einer formal niedrigeren Bildung in beachtlichem Ausmaß an. Dieser Effekt gilt noch am geringsten für die Christ*innen, aber bei der Angst vor den Muslim*innen erreicht das Gefühl einer Bedrohung 30 % und gegenüber jüdischen Bürger*innen mit formal niedriger Bildung mehr als den doppelten Wert zum Durchschnitt. Folgt man den internationalen Diskussionen hierzu wäre es durchaus angebracht von einer Islamophobie zu sprechen (Bleich 2011; Halliday 1999; Helbling 2012), beschreibt diese Zahl doch eine furchtbezogene Ablehnung und Abgrenzung – deren objektive Gefährdung kaum nachgehalten werden kann. Hierfür können unterschiedliche Gründe angeführt werden. Neben einer tendenziell stärkeren Wahrnehmung eines Konkurrenzdrucks, sind nationalistische Positionen in älteren Altersgruppe und unter Personen mit niedriger Bildung häufiger vertreten. Auch das Gefühl weniger als den gerechten Anteil am Lebensstandard zu erhalten erweist sich als, allerdings nur schwach, Bedrohungsängste steigernd. Bedrohungsgefühle haben entsprechend durchaus mit sozialen Lagen zu tun, sie sind aber keineswegs ein direktes Abbildung des sozialen Umfeldes. Insgesamt fallen die Bedrohungsängste für Berlin sowieso eher niedrig aus, vergleicht man sie zum Bertelmann Religionsmonitor. 2013 wie 2017 wurde danach gefragt, ob man andere Religionen als eher bedrohlich oder bereichernd für die eigene Gesellschaft ansieht (Pickel 2019, S. 82–83; auch Pickel et al. 2016). Die zustimmenden Antworten zu einem Bedrohungsgefühl liegen in Berlin durchweg unter dem Bundesschnitt. Dies kann neben der unterschiedlichen Zielpopulation auch an der unterschiedlichen Fragestellung in beiden Studien liegen. So wie im Bertelsmann Religionsmonitor eine Kombination von bedrohlich und bereichernd abgefragt wurde, richtete sich dort die Einschätzung auch auf die Religionen an sich – und nicht exakt deren Mitglieder. Eine Ähnlichkeit ist allerdings zwischen beiden Umfragen erkennbar: Die Reihenfolge der zugewiesenen Bedrohlichkeit. Während der Buddhismus, der Hinduismus, und das Christentum in deutlicher Mehrheit als bereichernd eingeschätzt werden und nur von einem Zehntel der Befragten als bedrohlich, sieht dies beim Judentum und beim Islam anders aus. Immerhin die Hälfte der Bürger*innen in West- und Ostdeutschland empfinden den Islam in einer Globalbewertung als bedrohlich.Footnote 24 (Abb. 3).

Abb. 3
figure 3

Bedrohlichkeit und Bereicherung von Religionen in Deutschland. Frage: Wenn Sie an die Religionen denken, die es auf der Welt gibt: Als wie bedrohlich bzw. wie bereichernd nehmen sie die folgenden Religionen wahr? Anteil sehr bedrohlich/eher bedrohlich auf einer Antwortskala mit vier Antwortmöglichkeiten; Quelle: Religionsmonitor 2017; Basis: Bevölkerung Deutschland (N = 1511); siehe Pickel 2019

Interessant ist, dass die Werte zwischen 2013 und 2017 im Bertelsmann Religionsmonitor faktisch keine Veränderung erfahren haben. Es scheint sich bei den Einschätzungen, speziell des Judentums und des Islams, um tiefer liegende Ressentiments zu handeln – die der „Flüchtlingskrise“ nicht bedurften, außer um zum visuell sichtbaren öffentlichen Thema zu werden (Pickel 2019, S. 83).

5.2 Bedrohungsängste – und ihre Bedeutung für Ressentiments?

Die Annahme ist nun, dass diese Ängste ein zentraler Faktor für Ressentiments gegenüber Mitgliedern der beiden Religionsgemeinschaften nach sich ziehen. Bereits ein einfaches Korrelationsmodel zeigt die Beziehungen zwischen Bedrohungsgefühlen und Vorurteilen den entsprechenden Gruppen gegenüber (bei Muslim*innen (p = +0,41), bei Jüd*innen (r = +0,32 bis r = +0,16 bei Israelbezogenem Antisemitismus.)). Nun sind neben Bedrohungsängsten natürlich auch andere Erklärungen für antimuslimische Ressentiments und Antisemitismus denkbar. Wie im theoretischen Teil des Beitrages bereits diskutiert, können Effekte der relativen Deprivation (also einer auf ökonomische Konkurrenz zielende Intergruppeneffekt), ein geringer Bildungsstand, autoritäre Einstellungen und Nationalismus Vorurteile bestärken und hervorbringen. Ebenfalls nicht grundsätzlich auszuschließen ist eine unterschiedliche reale Bedrohung durch die verschiedenen Gruppen (Koopmans 2015, 2020). Diese reale Bedrohungslage ist nur im vorliegenden Modell nicht zu modellieren. Insgesamt kann allein ein multivariates Modell Auskunft über die relative Relevanz der Bedrohungsängste für die Vorurteile geben. Zu diesem Zweck haben wir OLS-Regressionsmodelle auf antimuslimische Ressentiments und die drei Dimensionen des Antisemitismus durchgeführt.Footnote 25

Beginnen wir mit den antimuslimischen Vorurteilen (oder Ressentiments).Footnote 26 Es findet sich in der Tat eine Vielzahl an Einflussfaktoren, welche mit antimuslimischen Vorurteilen in Beziehung steht. Neben Bildungseffekten befördert vor allem eine rechte Positionierung auf der politische Ideologie messenden Links-Rechts-Skala antimuslimische Vorurteile. Das Gefühl fehlender Responsivität der Politiker*innen (External Efficacy) erweist sich als nicht bedeutsam, anders als das Gefühl keinen Einfluss auf politische Entscheidungen (Internal Efficacy) zu besitzen. Scheinbar ist es nicht eine Politikerverdrossenheit, die Vorurteile hervorbringt, sondern das Gefühl eines Kontrollverlustes in der eigenen Gemeinschaft, der sich aus der Einschätzung einer geringen oder des Verlustes der eigenen Wirksamkeit auf Politik ergibt.Footnote 27 Für die Relevanz von Persönlichkeitseigenschaften und Erziehung sprechen die Effekte autoritärer Einstellungen. Speziell die Dimensionen der autoritären Aggression und des Konventionalismus steigern antimuslimische Vorurteile. Diesen Effekten entgegen wirken – die in Berlin aufgrund der hohen Multikulturalität besonders ausgeprägten – Kontakte sowie die Existenz von Sozialkapital in Form von Sozialvertrauen (Putnam 2000). Die Indikatoren für die beide zuletzt genannten Theoriestränge scheinen – allen ihnen gegenüber kritischen Einwürfen zum Trotz – bereits auf einfache Art Vorurteile und Ressentiments zu reduzieren. Beachtenswert ist der, (wenn auch schwache) Vorurteile hemmende Einfluss von persönlicher Religiosität und einer guten wirtschaftlichen Situation (nach eigener Beurteilung). Die relative Deprivation besitzt keinen Einfluss. Sollte es keine Besonderheit von Berlin sein, sind soziale Ungleichheiten und ihre Wahrnehmung keine Erklärung für antimuslimische Vorurteile, was z. B. gegen den Ansatz der ökonomischen Gruppenbedrohung spricht. Für seine Relevanz spricht der Effekt der Einschätzung der eigenen Wirtschaftslage, während das Haushaltseinkommen ohne Effekt bleibt.

Integriert man Bedrohungsängste in das Erklärungsmodell (siehe Tab. 3), so weisen diese in Berlin auf Anhieb den stärksten Einfluss auf antimuslimische Ressentiments auf. Sieht man Muslim*innen und den Islam als bedrohlich oder gefährlich an, dann steigert sich Ressentiments gegenüber Muslim*innen in hohem Maße. Vergleicht man Modelle mit und ohne Einbezug der Bedrohungsangst (hier nicht gesondert ausgewiesen), steigert sich die Gesamterklärungskraft des Modelles bei Einbezug der Bedrohungsgefühle erheblich. Bedrohungsgefühle besitzen somit eine eigene – über eine Mediatorfunktion hinausgehende – Wirkungsmacht. Auch etwas anderes wird sichtbar: Im Vergleich reduzieren sich mit Einbezug des Bedrohungsgefühls zwar die Wirkungen der weiteren eingesetzten Erklärungsfaktoren, sie bleiben aber neben dem, nun dominanten Element der Bedrohungsangst, eigenständig als signifikante Einflussfaktoren bestehen: Antimuslimische Ressentiments sind ein vielfältig beeinflusstes Phänomen, in dem die Angst vor der Referenzgruppe der Muslim*innen eine dominante – unabhängige – Bedeutung besitzt. Dieser Befund steht etwas im Gegensatz zu der Annahme, dass Bedrohungsgefühle in entsprechenden Modellen eine reine Mediatorfunktion besitzen. Wäre dies der Fall, hätten nach Einführung der Bedrohungsgefühle die alternativen Effekte weitgehend verschwinden müssen und der Gesamtkoeffizient wäre stabil geblieben. Dies ist aber, wie gerade gesagt, nicht der Fall. Gleichwohl ist diese Annahme einer Mediatorfunktion nicht vollständig falsch. Eine parallele Regressionsanalyse auf Bedrohungsgefühle durch Muslim*innen zeigt ein ähnliches, wenn auch nicht deckungsgleiches, Erklärungsmuster. Überlappungen in den Prädiktoren sind also gegeben, allerdings verbleiben vielfältige eigenständige Effekte. (Tab. 4).

Tab. 3 Regression auf antimuslimische Ressentiments
Tab. 4 Regression auf antisemitische Ressentiments

Somit besitzen Bedrohungsgefühle auf der einen Seite eine Mediatorfunktion, allerdings entfalten sie für antimuslimische Haltungen einen eigenständigen (emotionalen) Effekt, der neben grundsätzlich vorhandene Ressentiments gegenüber Muslim*innen tritt. Denn diese existiere auch, wie die noch beachtliche fehlende Erklärungsvarianz für die gemessenen Vorurteile belegt. So beruhen Vorurteile gegenüber Muslim*innen weder allein auf Ängsten, noch kann dies als Entschuldigung für Vorurteile und gar ablehnende Verhaltensweisen genutzt werden. Gleichzeitig weisen aber nicht nur Rassist*innen Vorurteile gegenüber Muslim*innen auf, was für die Prävention gegenüber einer Ausbreitung antimuslimischer Ressentiments durchaus Wege aufzeigt. Speziell, wenn man die Bedrohungsgefühle als weitgehend symbolische Bedrohungen und nicht als realistische Bedrohungen versteht. Und so widerspricht die Betrachtung der Effekte der Regression (zumindest in weiten Teilen) Annahmen, dass sich antimuslimische Vorurteile aus realen Bedrohungen speisen (Koopmans 2020). Wäre dies der Fall, dürften nicht Einstellungen wie Autoritarismus, rechte Ideologie oder Kontakthäufigkeit die stärksten Faktoren in der Analyse sein.

Das Ergebnis für antisemitische Einstellungen entspricht an vielen Stellen dem Ergebnis für die antimuslimischen Ressentiments.Footnote 28 Auch dort befördern eine rechte ideologische Positionierung und eine fehlende Selbstwirksamkeit auf der politischen Ebene antisemitische Einstellungen. Hinzu treten nun aber der Einfluss einer Verschwörungsmentalität, sowie ein Effekt aufgrund eines Migrationshintergrundes (Rees und Lamberty 2019, S. 204, 209–211). Da gleichzeitig eine größere Kontaktbreite der Personen kaum mehr etwas gegen Antisemitismus bewirkt, haben wir es im Kern mit einem doch anderem Erklärungsmodell als bei antimuslimischen Ressentiments zu tun. Aufgrund der geringen Zahl an Jüd*innen in Deutschland ist der direkte Kontakt mit Jüd*innen im Lebensalltag generell sehr gering. Dazu trägt bei, dass Jüd*innen auf der Straße zusätzlich selten als solche identifiziert werden. Im Kontext der fehlenden Kontakte bilden sich Bürger*innen auf anderem Wege eine Meinung über und Haltung zu Jüd*innen. Da zudem die Zahl der parasozialen Kontakte (über mediale Berichterstattung) begrenzt ist, speisen sich Vorurteile gegenüber Jüd*innen in wesentlichem Maß aus Hörensagen sowie Verschwörungstheorien. Letztere drücken sich in den Bedrohungsängsten gegenüber Jüd*innen aus. Diese besitzen, wie bereits die Ängste vor Muslim*innen bei den antimuslimischen Ressentiments, einen signifikanten Einfluss auf antisemitische Ressentiments aller Richtungen. Dies gilt für primären, sekundären wie israelbezogenen Antisemitismus. Allerdings fällt der Einfluss der Bedrohungsängste im Vergleich zum Einfluss der Ängste vor Muslim*innen deutlich schwächer aus. Ob in Umwegkommunikation oder direkt, eine verschwörungstheoretisch untermauerte Furcht vor Jüd*innen als Drahtzieher einer Weltverschwörung ist in Deutschland und in Berlin noch immer vorhanden (vgl. Decker et al. 2018, S. 190–199; Zick et al. 2019, S. 102–108). Dies wird auch daran deutlich, dass die Verschwörungsmentalität für antimuslimische Ressentiments ohne jeglichen signifikanten statistischen Einfluss ist. Während bei Muslim*innen teilweise reale Ängste und eine wahrgenommene realistische Bedrohung Einfluss auf die Haltungen besitzen, reflektiert eine geäußerte Bedrohung durch Jüd*innen eher eine Übertragung eines bestehenden Stereotyps und Ressentiments. Anders gesagt könnte es sein, dass antimuslimische Vorurteile oft eine Folge von Ängsten ihnen gegenüber ist, während die Äußerung einer gefühlten Bedrohung durch Jüd*innen die Folge grundlegender antisemitischer Ressentiments ist.

Wir finden noch einen weiteren Effekt. So erweist sich ein Migrationshintergrund und die Zugehörigkeit zur Glaubensgruppe der Muslim*innen, oder besser zu Migrant*innen mit muslimischen Hintergrund, als Verstärker für antisemitische Einstellungen. Speziell beim israelbezogenen Antisemitismus kommt es zu merklichen Unterschieden zwischen den verschiedenen Religionszugehörigkeiten. Dieses Phänomen des muslimischen Antisemitismus hat in jüngerer Zeit beachtliche öffentliche Aufmerksamkeit erfahren und wird seitens rechtspopulistischer Parteien und Politiker*innen gerne in antimuslimischen Kampagnen instrumentalisiert. Dabei wird eine der islamischen Religion innewohnende kulturelle antisemitische Prägung propagiert, die durch Umwelterfahrungen nicht veränderbar sei. Diese Einschätzung ist ethnisierend, blendet sie doch Anpassungseffekte an eine neue Umwelt vollständig aus (siehe Cakir 2014; Shooman 2014).Footnote 29 Auch ein anderer Grund revidiert einen „religiösen Effekt“. So können kulturelle Prägungen aus den Herkunftsgebieten bei Muslim*innen mit Migrationshintergrund, Grund für die ablehnende Haltung gegenüber Jüd*innen sein. Solche Einstellungen sind sozial gebunden, also vor anderen Erfahrungshorizonten veränderbar. Zudem gilt es zu berücksichtigen, dass es sich um eine deutliche Minderheit handelt, die eine religiöse Ablehnung von Jüd*innen aufgrund der Religion äußert (Tab. 5), sich bedroht fühlt (30 %) oder antisemitische Einstellungen aufweist. Die Mehrheit der Muslim*innen in Berlin steht Jüd*innen weitgehend neutral bis wohlwollend gegenüber.

Tab. 5 Dogmatismus in den Religionen

Trotzdem kann die eigene Religiosität ein Grund für die Einstellungen sein, z. B., wenn es sich um eine dogmatischere Religiosität mit antijüdischer Ausrichtung handelt. So geben immerhin 15 % der im Berlin-Monitor befragten Muslim*innen an, dass ihre Religion ihnen vorgibt, Jüd*innen zu misstrauen und sie abzulehnen. Dieser „Antijudaismus“ kommt in Berlin nur bei einem Prozent der Christ*innen zum Tragen. Überhaupt steht unter den Muslim*innen ihre Religion höher im Kurs und dient häufiger als bei den Christ*innen als Richtlinie für den Lebensalltag. Mehr als die Hälfte unter ihnen hält die Regeln des Koran für wichtiger als die deutschen Gesetze und sieht eine stark auf die Ursprungsschrift begrenzte Deutung des Korans.Footnote 30 Diese dogmatische Position teilt nicht einmal jede vierte Christ*in. Die beachtliche Zahl von Berliner Muslim*innen, die diesen Aussagen voll und ganz zustimmen, verweisen auf eine tragende Rolle der Religion für ihr Leben. Dies unterscheidet viele Muslim*innen in Berlin von ihren christlichen und konfessionslosen Nachbar*innen. Allerdings muss man die Relationen im Blick behalten: Sowie die Zahl derjenigen, welche zustimmt, gerade einmal ein Achtel der in Berlin lebenden Muslim*innen ausmacht, so zeigt sich bei einer weiteren Frage eine deutliche Distanz auf, Gewalt zur Durchsetzung ihrer religiösen Vorstellungen einsetzen zu wollen. Gleichwohl ist die höhere Zahl dogmatisch denkender Muslim*innen für antisemitische Einstellungen von Relevanz – besteht doch ein empirischer Wirkungszusammenhang. Diesen strukturellen Zusammenhang finden wir auch bei dogmatischen Christ*innen, nur ist eben der prozentuale Anteil der dogmatischen Christ*innen unter allen Christ*innen in Berlin niedriger (Tab. 6; auch Pickel et al. 2020).Footnote 31

Tab. 6 Dogmatismus in den Religionen und antisemitische Einstellungen

Zu diesem Niveauunterschied mit seinen Auswirkungen treten zwei interessante Effekte: Zum einen fallen die Zusammenhänge zwischen antisemitischen Einstellungen und einer religiösen Begründung unter Muslim*innen wesentlich höher aus als unter den Christ*innen. Bei aller sozialer Relativierung wirkt sich eine dogmatische Religionszugehörigkeit ungünstig auf die Haltung zu Jüd*innen aus. Entsprechend früher Überlegungen in der Theorie des Autoritarismus (Adorno 1973) wirkt hier eine tiefer gehende (dogmatische verstandene) Religiosität förderlich für Vorurteile. Mindestens ebenso bemerkenswert ist aber ein zweites Ergebnis. So besteht zwischen den antisemitischen Einstellungen bei Muslim*innen und der Bereitschaft seine (teils religiösen) Interessen mit Gewalt durchzusetzen kein signifikanter Zusammenhang. Einfach gesagt: Antisemitische Einstellungen sind unter Muslim*innen weiter verbreitet und werden auch religiös begründet, sie münden aber (wenn man diese Selbstangabe ernst nimmt) nicht zwingend in antisemitische Handlungen. Dies sieht bei den wenigen Christ*innen mit gleicher Einstellung anders aus, sind diese eindeutig häufiger bereit Gewalt zur Durchsetzung ihrer Haltungen einzusetzen.

Fassen wir zusammen: Antisemitische Einstellungen speisen sich in Berlin aus unterschiedlichen Quellen. Dabei sind die Begründungen für antisemitische Einstellungen sichtbar unterschiedlich zu antimuslimischen Vorurteilen. Resultieren sie auf der einen Seite aus Herkunft und möglicherweise religiöser Ablehnung, ist auf der anderen Seite bei anderen Personen eine rechte Ideologie und eine tief verankerte Verschwörungsmentalität die Triebkraft für Einstellungsantisemitismus. Letztere Aspekte sind zusammen mit autoritären Einstellungen ein deutlich stärkerer Prädiktor von antisemitischen Einstellungen als die Zugehörigkeit zu einer muslimischen Glaubensgemeinschaft. Dort ist es nur die Minderheit der der Dogmatiker und Fundamentalisten (und nicht einmal alle von diesen), welche entsprechende Vorurteile aufweisen. Selbst diese sind allen Ergebnissen zufolge nur in sehr begrenzter Form gewaltbereit. Gleichwohl ist somit unter den religiöseren und öfter dogmatisch religiösen Muslim*innen ein Potential für Antisemitismus. Wenn, dann begründen sie diese Vorurteile häufiger religiös, während Nichtmuslim*innen eher eine völkische Ideologie zum Ausdruck bringen. Es ist anzunehmen, dass diese Ergebnisse im Bundesgebiet nicht grundsätzlich anders sind.

6 Bedrohungswahrnehmungen, Ressentiments und Wahl von Rechtspopulisten

Nun ist das Zustandekommen von gruppenbezogenen Vorurteilen und Ressentiments die eine Sache, eine andere ist, welche politische Relevanz Vorurteile entfalten. Zum einen stellt sich die Frage nach den Auswirkungen von Vorurteilen auf die Demokratie. Ein einfacher Blick auf eine Korrelationsmatrix zeigt Zusammenhänge zu antidemokratischen Einstellungsmustern und zur Demokratiezufriedenheit, die sich teilweise unterscheiden. Die Tabelle zeigt aber auch: Vorurteile sind eher unproduktiv für eine liberale, pluralistisch ausgerichtete Demokratie. Beginnen wir auf der Ebene von Demokratiebeurteilungen, wo sich Legitimität und Effektivitätsbeurteilung treffen – der Zufriedenheit mit der aktuellen Demokratie (Pickel und Pickel 2020). Eine Unzufriedenheit mit der aktuellen Demokratie wird zentral von der Ablehnung von Geflüchteten, Muslim*innen und antisemitischen Einstellungen getragen. Auch soziale Deklassierung, Antiziganismus und der klassische Rassismus sind mit einer antidemokratischen Grundhaltung verzahnt. Andere gruppenbezogene Vorurteile stehen hinter diesen Zusammenhängen zurück. Wenn sie mit der gegenwärtigen Demokratie nicht zufrieden sind, dann liegt dies bei den meisten Berliner*innen an Ängsten, die stark mit Geflüchteten und dem Umgang mit den Fluchtbewegungen sowie diesbezüglichen spezifischen wie unspezifischen Ängsten in Beziehung stehen. Auch tiefer liegende Vorurteile befördern allerdings eine Distanzhaltung zur aktuellen Demokratie. (Tab. 7).

Tab. 7 Korrelationen zwischen Vorurteilen und (anti-)demokratischen Einstellungen

Demokratietheoretisch bedeutsamer sind die Beziehungen zu einer klar antidemokratischen Haltung, wie sie die Befürwortung eines starken Führers operationalisiert. Das Ergebnis fällt kaum anders aus als bei der Demokratiezufriedenheit, und ist sogar etwas deutlicher in seinen Konturen: Vorurteile, autoritäre Einstellungen sowie der Wunsch nach autoritärer Herrschaft scheinen Hand in Hand zu gehen. Allein wieder die Haltungen zu Gleichstellung, Homophobie und Transphobie fallen in der Stärke der Beziehungen ein wenig hinter die anderen Vorurteile zurück. Doch in Relation zu einem „starken Führer“ weisen sie immer noch signifikante Zusammenhänge auf. Fasst man diese Ergebnisse zusammen, so sind Vorurteile und Ressentiments ein Baustein antidemokratischer Einstellungen und Haltungen. Eine antipluralistische Haltung ist häufig auch eine antidemokratische Haltung. Damit wird dann die Ablehnung und Abwertung anderer Sozialgruppen zu einem demokratietheoretischen Problem, dass aus dem Spektrum reiner Unzufriedenheit mit der Tagespolitik heraustritt. Unter den abgelehnten Gruppen sind die religiös identifizierbaren diejenigen, welche am stärksten mit einer antidemokratischen Haltung in Bezug stehen. Die gefühlte Bedrohung durch Jüd*innen und Muslim*innen ist ein tragender Faktor für grundsätzliche Offenheit gegenüber Autokratie, wie auch einer konkreten Unzufriedenheit mit der gegenwärtigen Demokratie.

Diese Aktualität der gleichzeitigen Ablehnung von Muslim*innen und Geflüchteten gibt einen Hinweis auf deren Relevanz für die aktuellen rechtspopulistischen Erfolge (Mudde und Kaltwasser 2017; Quendt 2019). Es stellt sich die Frage, ob auch im eher multikulturellen Berlin entsprechende Vorurteile das Wahlverhalten in Richtung rechtspopulistischer Parteien verschieben. Mehrere Befunde in der Wahlforschung (Hambauer und May 2018; Pickel, S. 2019; Pickel und Yendell 2018) verweisen auf den hohen Bedeutungsgehalt antimuslimischer Ressentiments und der Ablehnung von Migration nach Deutschland für die Wahl der rechtspopulistischen und rechtsradikalen AfD (Tab. 8). Unsere Befunde deuten auch für Berlin in diese Richtung. Erneut kommt den Bedrohungsängsten eine zentrale Bedeutung zu. Der Effekt der gefühlten Bedrohung vor Muslim*innen übertrifft alternative Erklärungsmodelle, wie z. B. fehlende soziale Anerkennung, relative Deprivation und wirtschaftliche Deprivationslagen (Manow 2018). AfD-Wähler*innen in Berlin wählen ihre Partei vor allem aufgrund einer autoritären Einstellung und einer politisch-ideologischen Selbsteinordnung als rechts. Diese Effekte werden gestützt durch Bedrohungsängste gegenüber Geflüchteten und Muslim*innen sowie dem Hang zu einer Verschwörungsmentalität. Nimmt man die Bedrohungsängste aus dem Modell, so gewinnen Vorurteile gegenüber den entsprechenden Gruppen an Relevanz, auch wenn die Gesamterklärungskraft des Modells leicht sinkt. Dies spricht für einen eigenständigen Effekt der Bedrohungsängste und einen gleichzeitigen Mediatoreffekt für bestehende Vorurteile durch die Äußerung von Bedrohungsängsten. Zudem passt dieses Bild einer Verselbständigung von Bedrohungsängsten, die man zur Erklärung der Abgrenzung zu einer sozialen Gruppe heranzieht perfekt in die Überlegungen der Integrated Threat Theory und der Social Identity Theory. Beide Theorien markieren dies als einen sich wechselseitig stärkenden und verstärkenden Prozess, der die Abgrenzung etabliert und bestärkt. Die Konstruktion der Bedrohung und ihre andauernde mediale Visibilisierung und Mobilisierung durch die AfD und ihre Politiker*innen tut ihr übriges für diesen Prozess.Footnote 32

Tab. 8 Regressionsergebnisse für gruppenbezogene Ressentiments nach Parteipräferenz

7 Fazit: Religiöse Gemeinschaften als Bedrohungsszenario und Push-Faktor für die Wahl von Rechtspopulis*innen – auch in Berlin!

Die Ergebnisse des Berlin-Monitors zeigen, selbst wenn die Werte in Berlin zumeist unter vergleichbaren Werten im Bundesgebiet liegen (Pickel et al. 2019), finden sich auch in Berlin Rassist*innen, Antisemit*innen und Muslimfeind*innen. Allerdings drückt sich der Status von Berlin als multikulturelle Stadt, mit einer Vielzahl von interethnischen und interreligiösen Kontaktmöglichkeiten in einer vergleichsweise moderaten Ausprägung von gruppenbezogenen Vorurteilen und Ressentiments aus. Diese Beschreibung trifft auch die Abwertung religiöser Gruppen. In ihrer multikulturellen Zusammensetzung nimmt Berlin eine gewisse Sonderstellung in Deutschland ein, ist aber auch in Teilen prototypisch für moderne Stadtgesellschaften in Demokratien. So wie es gruppenbezogene Vorurteile gegenüber vielen Gruppen in der Gesellschaft gibt, fallen diese – angesichts der Differenzen der verwendeten Items mit Vorsicht interpretiert – unterschiedlich stark aus. Zwar finden sich Personen, welche aufgrund ihrer gebündelten Ablehnung gleich mehrerer sozialer Gruppen als menschenfeindlich im Sinne der Gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit eingestuft werden können, allerdings existieren beachtliche Gruppengrößen in der Berliner Bevölkerung, die spezielle Vorurteile und Ressentiments aufweisen. So sind Vorurteile gegenüber Mitgliedern der islamischen Glaubensgemeinschaften nennenswert, wenn auch ein Minderheitenphänomen in Berlin.

Zu diesen Vorurteilen trägt unter vielen Berliner*innen neben rechter Ideologie, autoritären Einstellungen und übergreifendem Rassismus auch das Gefühl einer eigenen Bedrohung durch diese Gruppe bei. Folgt man weiteren Forschungsergebnissen, dann sehen einige Bürger*innen Muslim*innen aufgrund ihrer scheinbar „aggressiven, gefährlichen und sich ausbreitenden“ Religion als eine Bedrohung der eigenen Ordnung und der eigenen Gesellschaft an (auch Pollack et al. 2014; Pickel und Yendell 2016). Stichworte wie „Überfremdung“ oder „Umvolkung“ machen hier die Runde. Dabei verbinden sich realistische mit symbolischen Bedrohungswahrnehmungen zu einem unguten Gefühl gegenüber Muslim*innen und „dem Islam“. Auch gegenüber Jüd*innen existiert bei einigen – in Berlin wenigen – Bürger*innen das Gefühl einer Bedrohung. Diese Bedrohung scheint aber – so unsere Interpretation – eher Konsequenz tiefer liegender Verschwörungstheorien zu sein, als Folge eines aktuellen Bedrohungsgefühls. Alte Verschwörungstheorien des „jüdischen Strebens nach Weltherrschaft“ befördern antisemitische Einstellungen und nicht zuletzt antisemitische Handlungen. Teilweise laufen die verschiedenen Vorurteile sogar zusammen, werden doch Jüd*innen als Drahtzieher hinter dem von Rechtspopulist*innen propagierten „großen Austausch“, durch die forcierte Zuwanderung von Muslim*innen, gesehen. Autoritäre Einstellungen befördern eine solche Sicht genauso, wie eine formal geringe Bildung oder ein höheres Lebensalter. Da die vorherrschenden Bedrohungsgefühle oft nicht als Reaktion auf echte Erfahrungen oder Bedrohungslagen einzuschätzen sind, und zudem nur eine Erklärung neben grundsätzlicheren Erklärungsmustern darstellen, sind die Überlegungen der Integrated Threat Theory der eigenen Gruppenabschottung als Interpretation funktionstüchtig und keineswegs als Entschuldigung für Vorurteile einzustufen. So wie bei einem Teil derjenigen, welche Vorurteile gegenüber Muslim*innen äußern, tatsächlich Ängste für die Vorurteile bedeutsam sind, betonen andere die Bedrohungen aus einem tiefer liegendem Ressentiment, wenn nicht Rassismus heraus.

Und so ergeben sich – zumindest in Berlin – funktionale Unterschiede. Während antimuslimische Ressentiments weitgehend aus einer Kombinatorik von kulturellem Bedrohungsszenario, Überfremdungsangst und rechter Gesinnung getragen wird, besitzt der Antisemitismus auf allen Ebenen zwei unterschiedliche Einflussfaktoren, oder Gruppen. Zum einen sind antisemitische Einstellungen unter rechtsorientierten Verschwörungstheoretikern stark verbreitet. Sie glauben noch immer an eine jüdische Weltverschwörung und kombinieren dies mit Schuldabwehrmechanismen und Umwegkommunikation. Diese Haltung ist insbesondere im rechten Spektrum der politischen Landschaft stark verbreitet und stellt den wichtigsten Faktor für antisemitische Einstellungen dar. Daneben existiert aber auch eine andere Triebkraft für Antisemitismus: Dieser gründet in einer schwer zu entflechtenden Mischung aus Antijudaismus, israelbezogenen Antisemitismus und Herkunftserfahrungen von Muslim*innen. Speziell das häufigere Auftreten dogmatischer Vorstellungen unter den Berliner Muslim*innen erweist sich als begünstigend für die Ausprägung antisemitischer Einstellungen. Dies ist kein zwingender Zusammenhang und gläubige Muslim*innen sollten keineswegs unter den Generalverdacht eines muslimischen Antisemitismus fallen, gleichwohl scheint die Anfälligkeit in dieser sozialen Gruppe signifikant höher als in anderen Gruppen (höchstens noch vergleichbar mit der geringeren Zahl an christlichen Dogmatikern).

Die Existenz gruppenbezogener Vorurteile ist aus Sicht einer Perspektive einer demokratischen politischen Kultur alles andere als nebensächlich. Gruppenbezogenen Vorurteile, wenn sie vorhanden sind, erzeugen eine politische Wirkung. Ressentiments gegenüber Muslim*innen und Ängste ihnen gegenüber und Geflüchteten gegenüber sind ein zentrales Vehikel für Wahlerfolge rechtspopulistischer Parteien in Europa, wie es in Deutschland die AfD ist. Unter AfD-Anhänger*innen sind fast alle gruppenbezogenen Vorurteile und Ressentiments signifikant stärker als in anderen Teilen der Berliner Bevölkerung. Dies gilt speziell für die auf Muslim*innen und Jüd*innen bezogenen Ressentiments wie für die gefühlte Bedrohung seitens dieser Religionsgemeinschaften. In multivariaten Analysemodellen dominiert dann auch die Angst vor Muslim*innen und Geflüchteten und überdeckt die meisten anderen, intersektional vorhandenen, Vorurteile. Konkret gesagt: Bedrohungsgefühle und Ressentiments spielen eine beachtliche Rolle für die Wahl der AfD – in Berlin. Damit kann man nicht sagen, dass antipluralistische bis demokratiefeindliche Haltungen reines Merkmal der AfD-Spitze sind, während die Wählerschaft weitgehend aus protestorientierten Bürger*innen besteht. Letztere mögen durchaus Wähler*innen der AfD sein, sie teilen sich ihr Wahlverhalten aber mit überdurchschnittlich muslimfeindlichen Wähler*innen.

Die Angst vor religiösen Gruppen scheint eine zentrale Kraft unter den gruppenbezogenen Vorurteilen und für deren Auswirkungen auf die Haltung zur Demokratie und das Wahlverhalten zu sein. Und dies geht über die damit verbundene Verletzung des Grundrechts auf Religionsfreiheit hinaus. Die Zugehörigkeit zu religiöse Gruppen ist gut zu identifizieren und zu klassifizieren, was ein Bestandteil der Vorurteilsbildung ist. Sie sind vom Hauch der auch durch Umfeldbedingungen nicht veränderbaren Kulturalität umweht und eignen sich gut für ein Feindbild mit Bedrohungspotential. Dies unterscheidet Vorurteile und Ressentiments gegenüber Muslim*innen und Jüd*innen von anderen Vorurteilen: Sie sie nicht unbedingt weiter verbreitet, besitzen aber eine stärkere Wirkung auf antidemokratische Einstellungen und rechtspopulistische Mobilisierungserfolge. Zudem sind sie gut mit Verschwörungstheorien zu verknüpfen. Man kann sagen: Religion matters, aber etwas anders als man sich dies vielleicht wünschen würde.