Selbstwert und Prüfungsangst, Ausdauer und Gewissenhaftigkeit, Impulsivität und Selbstregulation, Empathie und soziale Kompetenzen oder Charakterbildung sind beispielhafte sozioemotionale Konstrukte (oft auch als noncognitive skills bezeichnet), die mit unterschiedlich langer Tradition im Bildungsdiskurs zu finden sind. Der Gedanke ist intuitiv wie theoretisch einleuchtend: Schüler:innen, die sich motiviert, gewissenhaft und zielstrebig dem Unterricht, dem peer-Learning oder den Hausaufgaben widmen, sollten erfolgreicher lernen und dies letztlich auch mit mehr Freude tun, als diejenigen, die lustlos, unordentlich und ohne Ziele arbeiten. Entsprechend ist auch in den Schulvorschriften der meisten Länder in Deutschland und auch in vielen OECD-Staaten seit geraumer Zeit die Idee verankert, dass Schüler:innen nicht nur fachliche Kompetenzen erwerben, sondern auch in ihrer Persönlichkeitsbildung und Pflege der psychischen Gesundheit unterstützt und als mündige Bürger:innen befähigt werden sollten, kritisch-reflektierend und selbstreguliert allein und mit anderen zu lernen und Konflikte zu erkennen und zu lösen. Die OECD hat spätestens ab 2010 damit begonnen, sich verstärkt mit sozioemotionalen, nichtkognitiven Fähigkeiten zu beschäftigen (OECD 2013, 2015) und Wohlbefinden und psychische Gesundheit als Outcome-Dimensionen schulischer Bildung definiert, die in allen Bildungssystemen von zentraler Bedeutung sind. Dementsprechend sind diese Konstrukte seit 2015 auch im PISA-Programm prominent verankert (OECD 2015). Schließlich hat die COVID-19-Pandemie der Frage nach psychischer Gesundheit, sozialer Integration und Selbstregulation und welche Rolle dabei Kindertagesstätten, Schulen und andere Bildungsorte und -kontexte spielen, drängende Aktualität verliehen. Gerade für die jüngeren Schüler:innen wurde deutlich, welche Bedeutung die Schule und andere außerfamiliale bildungs- und erziehungsrelevante Orte für die kindliche Entwicklung haben – und zwar sowohl für den Kompetenzerwerb als auch für alle Aspekte der psychischen Gesundheit. Institutionalisierte und nichtinstitutionalisierte Bildungsprozesse und sozioemotionale Adaptivität sind also vielfach verknüpft. Diese Beziehungen konstituieren ein breites und außerordentlich komplexes Forschungsfeld, in dem sehr unterschiedliche theoretische Konstrukte, unterschiedliche Entwicklungsphasen und unterschiedliche Bildungs- und Entwicklungskontexte diskutiert und untersucht sowie Prozesse sozioemotionaler Adaptivität sowohl als Voraussetzungen als auch als Ergebnis von Bildung betrachtet werden.

Entsprechend bietet der vorliegende Schwerpunkt einen breiten Kranz an Beiträgen, die das Thema mit unterschiedlichem Fokus, in unterschiedlichen Anwendungsbereichen und Altersstufen sowohl theoretisch als auch empirisch bearbeiten. Michael Becker (2024) sortiert in seinem Stichwortartikel „Sozioemotionale Charakteristika und Bildung“ die verschiedenen Definitionen und Taxonomien, um Gemeinsamkeiten herauszuarbeiten, die die sehr unterschiedlichen Herangehensweisen und Ansätze in diesem Themenbereich aufweisen. Darüber hinaus werden zentrale theoretische Wirkmechanismen und empirische Befunde zu den Zusammenhängen zwischen sozioemotionaler Adaptivität und Bildung systematisiert. Dies umfasst ergänzend eine systematische Übersicht über die Zusammenhänge, die auf korrelativer Ebene zwischen sozioemotionalen Charakteristika und Bildung bestehen, und über kausalanalytische (v. a. experimentelle Interventions‑)Studien, die Evidenz dafür erbringen können, wie sozioemotionale Charakteristika im Rahmen von Schule und anderen Lernkontexten beeinflusst werden können bzw. in welchem Maße sich diese Effekte auf Bildungsprozesse und -ergebnisse auswirken. Der Beitrag schließt mit einem Ausblick auf zentrale Forschungsdesiderata.

Der zweite Beitrag von Jenny Wagner, Naemi D. Brandt, Kristina Bien und Margarete Bombik (2023) zu „The Longitudinal Interplay of Self-Esteem, Social Relationships, and Academic Achievement During Adolescence: Theoretical Notions and Bivariate Meta-Analytic Findings“ verfolgt zunächst das Ziel, in der integrativen Zusammenführung von Entwicklungs‑, Persönlichkeits- und Bildungstheorien ein mögliches Zusammenspiel von Selbstwert, sozialen Beziehungen und schulischen Leistungen während der Adoleszenz theoretisch zu begründen. Daran anschließend werden empirische Befunde metaanalytisch ausgewertet, wie die sozioemotionalen Facetten des Selbstwertes und der sozialen Beziehungen mit der Entwicklung von Schulleistungen (bivariat) zusammenhängen. Der Beitrag unterstreicht einerseits die Wichtigkeit einer multidimensionalen Perspektive auf Bildungsprozesse und andererseits verweist er auf den großen Mangel an Studien, die Entwicklungsprozesse wirklich mehrdimensional und nicht nur in zwei Entwicklungsdomänen längsschnittlich untersuchen.

Der anschließende Beitrag von Linda P. Juang, Miriam Schwarzenthal, Maja K. Schachner (2023) zu „Heritage culture and national identity trajectories: Relations to classroom cultural diversity climate and socioemotional adjustment for adolescents of immigrant descent“ fokussiert auf die Subgruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund in ihrer Entwicklung von der 7. zur 8. Klasse. Die Autorinnen untersuchen, inwieweit die Klassengemeinschaft und ihr geteiltes kulturelles Diversitätsklima für die Entwicklung von Herkunfts- und nationalen Identitäten (als „Deutsche“) von Bedeutung ist und wie diese Entwicklung wiederum mit der sozioemotionalen Anpassung zusammenhängt. Es wird ein personenzentrierter Ansatz gewählt, der drei unterschiedliche Entwicklungstypen identifizieren konnte: eine Gruppe mit doppelter hoher Identifikationen, eine mit moderater Herkunfts- und nationaler Identität und eine niedrig identifizierte Gruppe. Diese Typen werden einerseits mit dem kulturellen Diversitätsklima der Klasse in Zusammenhang gebracht. Andererseits wurden die Entwicklungsverläufe und das kulturelle Diversitätsklima der Klasse zur Vorhersage der sozioemotionalen Anpassung verwendet. Der Beitrag unterstreicht die Bedeutung die Schule in ihrer sozialen und sozialisatorischen Funktion.

Drei weitere Beiträge sind im tertiären Bildungsbereich zu verorten. Im Beitrag von Kaspar Burger und Diego Strassmann Rocha (2023) zu „Mental Health, Gender, and Higher Education Attainment“ wird die Bedeutung psychischer Gesundheit und Geschlecht für den Erwerb eines Universitätsabschlusses untersucht. Die Autoren nutzen die Schweizer Längsschnitt-Studie TREE, die die Schüler:innen des PISA-2000-Jahrgangs bis in das Erwachsenenleben hinein verfolgt. Die Arbeit zielt zunächst darauf ab zu testen, inwiefern sich Personen in universitärer Ausbildung in ihrer sozioemotionalen Adaptation und psychischen Gesundheit von denjenigen unterscheiden, die keine Universität besuchen. Hier finden sich wenige Unterschiede, und diejenigen, die berichtet werden, erscheinen ambivalent mit einem etwas höheren Selbstwert der Studierenden, die aber auch ein höheres Stressempfinden berichteten. Darüber hinaus wird untersucht, inwiefern psychische Gesundheit (und Geschlecht) den späteren Erwerb eines Hochschulabschlusses auch unter Kontrolle von vorausgehenden (Leistungs‑)Unterschieden in der Jugend vorhersagen. Trotz der Zusammenhänge, die sich auf bivariater Ebene zwischen den unterschiedlichen Dimensionen mentaler Gesundheit und Studienabschlüssen fanden, erwiesen sich nur die „positiven Einstellungen gegenüber dem Leben“, also eine Art allgemeiner Optimismus, als zusätzlich prädiktiv für einen Studienabschluss, auch wenn vorausgehende Unterschiede aus der Jugend kontrolliert wurden.

Während sich auf dieser globalen Ebene schon (oder nur, je nach Betrachtungsweise) leichte Hinweise für die Bedeutung sozioemotionaler Adaptivität für die Bildungsverläufe auch im Hochschulbereich finden, differenzieren Luise von Keyserlingk, Julia Moeller, Jutta Heckhausen, Jacquelynne S. Eccles und Richard Arum (2023) dieses Bild vor allem in Hinblick auf eine mögliche Domänenspezifität der Prozesse. In ihrem Beitrag zu „Adjusting to college—Do ability beliefs and confidence in getting support matter for performance and mental health?“ untersuchen die Autor:innen die Bedeutung sozioemotionaler Adaptivität in der Studieneingangsphase in unterschiedlichen Lebenslagen: einmal vor und einmal während der COVID-19-Pandemie. Die Daten kommen von zwei längsschnittlich begleiteten Studierenden-Kohorten, die entsprechend ihr Studium begonnen hatten. Erwartungsgemäß berichtete die 2. Kohorte, die unter den erschwerten Bedingungen ihr Studium begann, höheres Stressempfinden und niedrigere Zufriedenheit mit dem Studium. Sozioemotionale Faktoren waren hierbei differenziell von Bedeutung: Insbesondere die Überzeugungen über die eigenen Fachkompetenzen (ability beliefs) waren prädiktiv für die späteren Leistungen. Die Zuversicht auf Unterstützung durch die Peers und die Universität hingegen war prädiktiv für die Zufriedenheit mit dem Studium. Das Stressempfinden selbst war maßgeblich durch das eigene Eingangsniveau des Stresserlebens und die Kohortenzugehörigkeit bestimmt.

Der Schwerpunkt umfasst schlussendlich einen weiteren Beitrag aus dem Hochschulbereich von Andreas Neubauer und Florian Schmiedek (2023) zu „Approaching academic adjustment on multiple time scales“. Der Beitrag zielt vor allem auf die Frage ab, welche Bedeutung die Erfassung und Modellierung sozioemotionaler Adaptivität hat, d. h. wie sich einmalige, punktuelle Messungen, wie sie in den gängigen Large-Scale-Studien üblich sind, im Vergleich zu messintensiven Designs, die mehrmalige (tägliche oder wöchentliche) Befragungen vorsehen, verhalten. Die zunehmende Popularität der messintensiven Designs, lässt eine solche Untersuchung besonders relevant erscheinen. Die Autoren analysieren Daten, die das Timing, die Taktung und Frequenz der Erfassung der Studienzufriedenheit und der Studienanforderungen variieren: einmalige Prä-Post-Messungen, wöchentliche oder tägliche Messungen. Den theoretischen Überlegungen entsprechend (etwa zu Gedächtnisprozessen, die die Zufriedenheitseinschätzungen beeinflussen sollten) finden sich je nach Methode sowohl Unterschiede in den Mittelwerten als auch in der Vorhersagekraft auf die spätere Zufriedenheit und Bewertung der Studienanforderungen. Damit liegt ein inhaltlich und methodisch weiterführender Beitrag zur Diskussion über die Bewertung der Effekte von sozioemotionalen Prädiktoren und Outcomes in schulischen und Bildungsbereich vor.