1 Einleitung

Die Befunde des IQB-Bildungstrend 2021 (Stanat et al. 2022) und von IGLU 2021 (McElvany et al. 2023) unterstreichen die besonderen Herausforderungen, vor denen die Schulen und das deutsche Bildungssystem stehen. Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass die Anzahl an leistungsschwachen Grundschulkindern, die die Mindeststandards im Lesen und in Mathematik nicht erreichen, im Vergleich zu 2011 und 2016 weiter zugenommen hat. Dabei belegen die Daten auch eine Verstärkung des Zusammenhangs zwischen sozialer Herkunft und dem erreichten Kompetenzniveau. Grundschulkinder aus Familien mit einem geringeren sozialen Status sowie Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund verzeichnen entsprechend stärkere Kompetenzrückgänge als Schülerinnen und Schüler aus sozial privilegierteren Familien und ohne Zuwanderungshintergrund in Deutschland (Henschel et al. 2022; Sachse et al. 2022). Generell zählen soziale und migrationsbezogene Disparitäten zu den am stabilsten belegten Befunden der empirischen Bildungsforschung (Mahler und Kölm 2019; Müller und Ehmke 2016; Sachse et al. 2022). Die Befunde von IGLU 2021 zeigen, dass soziale Disparitäten seit 2001 in Deutschland nicht reduziert werden konnten (McElvany et al. 2023) und erste Erkenntnisse (Hammerstein et al. 2021) weisen darauf hin, dass die Covid-19 Pandemie diese Disparitäten noch verstärkt zu haben scheint.

Die fachliche und überfachliche Professionalisierung von Lehrkräften wird als wichtiger Baustein zur Förderung insbesondere der leistungsschwächeren Schülerinnen und Schüler angesehen (Köller et al. 2022). Entsprechende Studien weisen zum einen darauf hin, dass leistungsschwache Schülerinnen und Schüler, die wenig lernrelevante familiäre Ressourcen mitbringen, von qualifizierten Lehrkräften mit hoher professioneller Kompetenz profitieren (Klusmann et al. 2016; Nye et al. 2004) und zum anderen, dass die professionelle Kompetenz ein relevanter Faktor für den erfolgreichen Umgang mit heterogenen Lernvoraussetzungen von Grundschülerinnen und -schülern ist (Köller et al. 2022). Um die Professionalisierung der Lehrkräfte kontinuierlich zu fördern, sind regelmäßige Fortbildungen ein zentraler Ansatz (OECD 2012). Qualitativ hochwertige Fortbildungen stellen formale Lerngelegenheiten dar, die relevant für die Entwicklung der Unterrichtsqualität und damit auch für das Lernen und die Leistungen (leistungsschwacher) Schülerinnen und Schülern sind (Kennedy 2016; E. Richter und Richter 2020; Yoon et al. 2007).

Bisherige Studien zeigen allerdings, dass nicht alle Lehrkräfte regelmäßig Fortbildungen besuchen (Kuschel et al. 2020) und dass es dafür u. a. motivationale Gründe gibt (Gorozidis und Papaioannou 2014; E. Richter et al. 2018). Hierfür könnte auch eine fehlende Passung zwischen Angeboten und inhaltlichen Bedarfen der Lehrkräfte bedeutsam sein. Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften werden sowohl in den meisten nationalen Studien (u. a. Benner und Kaufmann 2020; D. Richter et al. 2012; Hoffmann und Richter 2016; Leuders 2017) als auch in internationalen Studien (z. B. in der TALIS Studie; siehe u. a. Fang et al. 2021) über Selbstberichte der Lehrkräfte erhoben. Bei Themenbereichen, in denen sich Lehrkräfte nach eigener Angabe weiterqualifizieren möchten, handelt es sich entsprechend um subjektive Fortbildungsbedarfe (D. Richter et al. 2012). Diese können abgegrenzt werden von eher objektiven Fortbildungsbedarfen (z. B. vorhandenes Wissen in einem bestimmten Bereich und ein daraus resultierender Fortbildungsbedarf; siehe Fütterer et al. 2023). Der Begriff subjektiver Fortbildungsbedarf ist eng verwandt mit dem Begriff Fortbildungsinteresse und wird in der Literatur teilweise auch synonym verwendet (u. a. Kabilan und Veratharaju 2013). Generell kann postuliert werden, dass der Einbezug von subjektiven Fortbildungsbedarfen oder auch Interessen von Lehrkräften relevant ist, damit Lehrkräfte an Fortbildungen teilnehmen (Krille 2020; E. Richter et al. 2018).

Während eine Vielzahl von Studien das Fortbildungsverhalten bzw. Fortbildungsbarrieren (Johannmeyer und Cramer 2021; Krille 2020; D. Richter et al. 2012; E. Richter et al. 2018) oder die allgemeine Bereitschaft zur Teilnahme an Fortbildungen (Hauk et al. 2022; D. Richter et al. 2019b) untersucht haben, gibt es nur wenige Studien, die den subjektiven Fortbildungsbedarf von Lehrkräften in Deutschland analysieren. Die bisherigen empirischen Studien berücksichtigen entweder nur ein spezifisches Bundesland (Benner und Kaufmann 2020), Lehrkräfte einzelner Fächer (Hoffmann und Richter 2016; D. Richter et al. 2012) oder bestimmte Themenbereiche (z. B. differenzierender Mathematikunterricht; Leuders 2017). Im Hinblick auf subjektive Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen gibt es bislang keine empirische Evidenz. Nach van Ackeren et al. (2021) zeichnen sich sogenannte Schulen in herausfordernden Lagen durch eine „Kumulation negativer Kompositionsmerkmale“ (S. 20) aus, wie beispielsweise einen hohen Anteil an Schülerinnen und Schülern aus bildungsfernen oder von Armut betroffenen Elternhäusern. Entsprechend sind Erkenntnisse über Lehrkräfte, die an diesen Schulen arbeiten, von hohem Interesse, da sie vor besonderen beruflichen Herausforderungen stehen, die insbesondere in der beruflichen Fortbildung angemessen berücksichtigt werden sollten. In der aktuellen Studie untersuchen wir bundesweit und anhand einer Stichprobe von 2923 Lehrkräften an 196 Schulen in herausfordernden Lagen die subjektiven Fortbildungsbedarfe der Lehrkräfte. Im Folgenden gehen wir daher genauer auf die spezifische Situation an diesen Schulen und die damit verbundenen Herausforderungen ein.

1.1 Schülerinnen und Schüler und Lehrkräfte an Schulen in herausfordernder Lage

An Schulen in herausfordernden Lagen sind überzufällig viele Schülerinnen und Schüler mit einem Migrations- und/oder niedrigem sozioökonomischen Hintergrund (Beierle et al. 2019). Ein niedriger sozioökonomischer Status von Schülerinnen und Schülern ist dabei assoziiert mit einer schlechteren physischen und psychischen Gesundheit und sozial-emotionalen Problemen (für einen Überblick siehe Bradley und Corwyn 2002). Zudem ist der sozioökonomische Status ein wichtiger Prädiktor für schulische Leistungen (Dietrichson et al. 2017; OECD 2012). Entsprechend lassen sich an Schulen in herausfordernden Lagen eine Vielzahl leistungsschwacher Schülerinnen und Schüler, motivationale Probleme von Seiten der Schülerinnen und Schüler, vermehrte Störungen im Unterricht, aggressives Verhalten und Mobbing gegenüber Mitschülerinnen und Mitschülern sowie den Lehrkräften identifizieren (Hoglund et al. 2015; Morgan und Shackelford 2018). Des Weiteren sind die Eltern in geringerem Maße in schulische Aktivitäten integriert und bieten ihren Kindern weniger schulische Unterstützung (Hoglund et al. 2015; Morgan und Shackelford 2018). Im Gegensatz zu schulstrukturellen Veränderungen sind Lehrkräfte sowie das Unterrichtsgeschehen enger mit den Leistungen und der Motivation der Schülerinnen und Schüler stärker assoziiert (Hattie 2008; Jansen et al. 2022) und dies gilt im besonderem Maße für Schülerinnen und Schüler an Schulen in herausfordernden Lagen (Nye et al. 2004). Vor dem Hintergrund der beschriebenen Anforderungen sind Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen daher besonders gefordert, wenn es darum geht, ihre Schülerinnen und Schüler zu fördern.

Im Widerspruch zu ihrem erhöhten Bedarf an qualitativ hochwertigen Unterricht zeigen Studien jedoch, dass Schulen in diesen Lagen häufiger unter Lehrkräftemangel leiden (D. Richter et al. 2018; Sass et al. 2012). Zudem verfügen Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen tendenziell über eine geringere Professionalität (weniger Berufserfahrung, mehr Quer- und Seiteneinsteiger und mehr fachfremder Unterricht) und weisen eine geringere Unterrichtsqualität auf (Allen und Sims 2018; Dietrichson et al. 2017; D. Richter et al. 2018; Sass et al. 2012). Van Ackeren et al. (2021) postulieren, dass diese institutionellen Rahmenbedingungen zum einen zu ungleichen Bildungschancen für Schülerinnen und Schüler führen und zum anderen zu ungünstigeren Arbeitsbedingungen für Lehrkräfte, die wiederrum dazu führen könnten, dass Lehrkräfte in ihrem beruflichen Handeln an diesen Schulen besonders beansprucht werden (z. B. höhere Investition von Anstrengung, um alle Schülerinnen und Schüler zu fördern).

Zwar zeigen bisherige Befunde (van Droogenbroeck et al. 2021), dass schulische Faktoren bei der Entstehung emotionaler Erschöpfung weniger Varianz aufklären als individuelle Unterschiede der Lehrkräfte, aber dennoch können beispielsweise vermehrte Störungen im Klassenraum oder ungünstige Konfliktlösungsstrategien Prädiktoren für emotionale Erschöpfung darstellen (Klusmann et al. 2008). Dies ist besonders bedenklich vor dem Hintergrund, dass die emotionale Erschöpfung von Lehrkräften mit den Leistungen und der schulischen Zufriedenheit von Schülerinnen und Schülern zusammenhängt (Arens und Morin 2016; Klusmann et al. 2016).

Beierle et al. (2019) stellen zusammenfassend fest, dass Schulen in herausfordernden Lagen einer kumulativen Benachteiligung unterliegen, wobei es dennoch Schulen gibt, die trotz widriger Umstände überdurchschnittliche Schülerinnen- und Schülerleistungen erzielen.

1.2 Ansatzpunkte zur Unterstützung von Schülerinnen und Schülern und Lehrkräften in schwieriger Lage

Um soziale Ungleichheiten im Bildungssystem auszugleichen, lassen sich verschiedene Ansatzpunkte identifizieren. Dietrichson et al. (2017) unterscheiden in ihrer Metaanalyse verschiedene Interventionsmöglichkeiten, um die schulischen Leistungen von Schülerinnen und Schülern mit einem niedrigen sozioökonomischen Status zu fördern. Unter anderem differenzieren sie zwischen extracurricularer Förderung der Schülerinnen und Schüler (nachschulische Programme, Sommerprogramme, Tutoring, Coaching und Mentoring der Schülerinnen und Schüler), Programmen innerhalb der Schule (Kooperatives Lernen, computerunterstütztes Lernen, curriculare Änderungen), schulorganisatorischen Interventionen (erhöhte Ressourcen, Anreize schaffen für Schülerinnen und Schüler und/oder Lehrkräfte) sowie zwischen Interventionen, die die Professionalisierung der Lehrkräfte betreffen (Coaching/Mentoring des schulischen Personals, Fort- und Weiterbildungen für Lehrkräfte und Schulleitungen). Dabei fallen die Effekte insgesamt eher niedrig aus – auch für den Bereich der Professionalisierung von Lehrkräften. Zwischen den im Review eingeschlossenen Studien zeigt sich jedoch eine große Heterogenität der Effekte auf die Leistungen von Schülerinnen und Schülern (Coaching/Mentoring: Effektstärken −0,15 bis 0,50; Fortbildungen: Effektstärken −0,15 bis 0,33). Hier postulieren Dietrichson et al. (2017), dass spezifische Interventionen zu wirken scheinen, die Frage aber dennoch offen bleibt, wann und unter welchen Bedingungen sie wirken.

Unterschiede in diesen Befunden lassen sich möglicherweise darauf zurückführen, dass bisherige Interventionen zu wenig auf die Bedürfnisse von Lehrkräften mit vielen leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern ausgerichtet waren. Entsprechend erscheint es notwendig, die Fortbildungsangebote stärker an den Bedarfen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen anzupassen (OECD 2012). Dabei ist neben der Erstausbildung insbesondere auch die kontinuierliche berufliche Weiterbildung von Bedeutung, um sicherzustellen, dass Lehrkräfte für die Arbeit mit sehr heterogenen Klassen und damit anspruchsvolleren pädagogischen Herausforderungen vorbereitet sind. Entsprechend beinhalten auch die meisten Förderprogramme für Schulen in herausfordernden Lagen in Deutschland den Aspekt der systematischen Weiterentwicklung des schulischen Personals durch Fort- und Weiterbildungen (u. a. im Aktionsprogramm „Schule macht sich stark“ des Landes Bremen, im Förderprogramm „23+ Starke Schulen“ der Behörde für Schule und Berufsbildung Hamburg oder im bundesweit laufenden Projekt „Schule macht stark – SchuMaS“).

1.3 Subjektive Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften

Die berufsbegleitende Professionalisierung von Lehrkräften erfolgt in Deutschland zumeist über Fort- und Weiterbildungen; dabei besteht in allen Bundesländern eine gesetzliche Verpflichtung zur Teilnahme an Fortbildungen (Hauk et al. 2022; Kuschel et al. 2020; Schewe et al. 2022). Regelungen zum Umfang gibt es jedoch aktuell nur in den Bundesländern Bayern, Bremen und Hamburg (Schewe et al. 2022). Bezüglich der Wahl der Fortbildungsangebote und der Themenbereiche, in denen sie sich fort- und weiterbilden, entscheiden die Lehrkräfte in der Regel autonom (Kuschel et al. 2020) oder in Abstimmung mit der Schulleitung (Schewe et al. 2022). Infolgedessen hängt die Teilnahme an Fortbildungsangeboten in erster Linie von den Lehrkräften selbst und ihren subjektiven Bedarfen ab (Krille 2020). Auch Gorges (2015) betont, dass es sich bei der Entscheidung für eine Fortbildung um eine individuelle Bildungsentscheidung handelt. Vor diesem Hintergrund erscheint die Frage nach subjektiven Fortbildungsbedarfen als relevant.

Bislang mangelt es an empirischen Befunden zu Fortbildungsbedarfen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen. In einer Studie von Darge et al. (2022) wurden Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst (LiV) zu ihren geplanten Fortbildungsaktivitäten befragt und es zeigte sich, dass LiV an Schulen in herausfordernder Lage mehr Fortbildungen für ihren Professionalisierungsprozess einplanen als LiV an Schulen in nicht-herausfordernden Lagen. Darge et al. (2022) interpretieren dieses Ergebnis als Anzeichen eines erhöhten Unterstützungs- und Fortbildungsbedarfs. In welchen Bereichen die Probanden Fortbildungsbedarfe äußern, wurde in der Studie jedoch nicht erfasst.

Im Hinblick auf verschiedene Themenbereiche zeigen dafür schulartspezifische Analysen zum Fortbildungsverhalten, dass Gymnasiallehrkräfte deutlich häufiger an fachlichen und fachdidaktischen Fortbildungsveranstaltungen teilnehmen, während Lehrkräfte an nichtgymnasialen Schularten „häufiger an Fortbildungsangeboten zur Gewaltprävention, zum Umgang mit Störungen im Unterricht, zur Integration/Inklusion von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie zur Förderung lernschwacher Schülerinnen und Schüler“ (D. Richter et al. 2019a, S. 398) teilnehmen und damit häufiger fachübergreifende pädagogisch-psychologische Themen wählen (siehe auch Hoffmann und Richter 2016; D. Richter et al. 2012).

Die bisherigen Befunde zu subjektiven Fortbildungsbedarfen unterstreichen ebenfalls die Relevanz des fachübergreifenden pädagogisch-psychologischen Wissens. So gaben in der Studie von D. Richter et al. (2012) mit 1744 Lehrkräften mehr als zwei Drittel der Lehrkräfte an, einen besonderen Fortbildungsbedarf im Bereich der Integration von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie im Bereich der Förderung lernschwacher Schülerinnen und Schülern zu haben. In einer aktuellen Studie aus dem Bundesland Hessen wiesen die Befunde auf einen erhöhten Fortbildungsbedarf im Bereich der Lehrkräftegesundheit und im Hinblick auf inklusionsspezifische Themen hin (Benner und Kaufmann 2020). Auch internationale Studien kamen zu ähnlichen Ergebnissen. In einer breit angelegten Studie mit türkischen Lehrkräften (Gokmenoglu et al. 2016) zeigte sich der höchste Fortbildungsbedarf im Bereich der Lernförderung von besonders begabten Schülerinnen und Schülern, von Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf, im Bereich der Gewaltprävention und beim Umgang mit Heterogenität.

Diese Themenbereiche lassen sich nach Voss et al. (2015) dem pädagogischen Wissen zuordnen, welches definiert wird als „Kenntnisse über das Lernen und Lehren, die sich auf die Gestaltung von Unterrichtssituationen beziehen und die fachunabhängig, das heißt auf verschiedene Fächer und Bildungsbereiche anzuwenden sind“ (S. 194). Dieses fachübergreifende, pädagogische Wissen gilt als bedeutsam für erfolgreiches Unterrichten und die Lernerfolge von Schülerinnen und Schülern (Voss et al. 2015).

1.4 Faktoren zur Erklärung individueller Unterschiede in den Fortbildungsbedarfen

Bislang liegen keine Studien vor, die untersuchen, welche sozio-demographischen und motivational-emotionalen Merkmale individuelle Unterschiede in den Fortbildungsbedarfen erklären können. Es gibt jedoch mehrere Studien, die das Fortbildungsverhalten oder die Bereitschaft zur Teilnahme an Fortbildungen untersuchen und dabei individuelle Merkmale wie Geschlecht, Ausbildung oder Berufserfahrung mit einbeziehen, um ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, welche Merkmale die Nutzung von Fortbildungsangeboten bedingen (Krille 2020). Vor dem Hintergrund des Angebots-Nutzungs-Modells (Lipowsky 2010) kann davon ausgegangen werden, dass auch der subjektive Fortbildungsbedarf durch personenbezogene sowie motivational-emotionale Merkmale der Lehrkräfte bedingt wird (Rzejak et al. 2014).

Beim Vergleich zwischen traditionell ausgebildeten Lehrkräften und Quereinsteigenden zeigt sich beispielsweise, dass Quereinsteigende häufiger Fortbildungen zu fachübergreifenden pädagogisch-psychologischen Themen besuchen (u. a. Umgang mit Störungen, Förderung von lernschwachen Schülerinnen und Schülern oder zu Unterrichtsformen und -methoden; D. Richter et al. 2019a). In der Studie von Hoffmann und Richter (2016) waren die Unterschiede zwischen Quereinsteigenden und regulär ausgebildeten Lehrkräften nur im Hinblick auf die Teilnahme an Fortbildungsveranstaltungen zu Unterrichtsformen und -methoden signifikant.

In Bezug auf die Berufserfahrung zeigen Studien einheitlich, dass Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung zum einen weniger Bereitschaft äußern, an Fortbildungen teilzunehmen (Hauk et al. 2022), und zum anderen auch mit weniger Wahrscheinlichkeit an Fortbildungsangeboten teilnehmen (E. Richter et al. 2018). Befunde zu geschlechtsspezifischen Unterschieden sind hingegen uneinheitlich (E. Richter et al. 2018, 2021). Männer scheinen nach Krille (2020) öfter an Veranstaltungen im Bereich des Einsatzes Digitaler Medien teilzunehmen. In der Studie von Gokmenoglu et al. (2016) gaben hingegen weibliche Lehrkräfte und Lehrkräfte mit weniger Berufserfahrung einen höheren Bedarf im Bereich des Umgangs mit Schülerinnen und Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf sowie im Bereich Digitaler Medieneinsatz an als männliche Lehrkräfte und Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung. Jedoch konnte nur wenig Varianz durch demografische und berufsbiografische Merkmale (Geschlecht, Berufserfahrung und Ausbildung) aufgeklärt werden (Gokmenoglu et al. 2016). Entsprechend erscheint es wichtig, noch zusätzliche relevante Merkmale zu identifizieren, die einen Einfluss auf subjektive Fortbildungsbedarfe haben.

Zusätzlich zu sozio-demographischen Merkmalen sind motivationale Orientierungen wie Kompetenzeinschätzungen Prädiktoren für die Teilnahme an Fortbildungen. Die subjektive Einschätzung der eigenen Kompetenz in spezifischen Inhaltsbereichen (oder als generelle Kompetenzeinschätzung im Sinne der Selbstwirksamkeit), müsste aus theoretischer Perspektive erklären können, warum es Unterschiede zwischen Lehrkräften in ihrem Fortbildungsverhalten gibt (Eccles und Wigfield 2002). Dabei weisen die bisherigen Befunde darauf hin, dass Lehrkräfte, die über eine hohe allgemeine Selbstwirksamkeit verfügen, häufiger an Fortbildungsangeboten teilnehmen (Krille 2020; D. Richter et al. 2013). Dies widerspricht der intuitiven Annahme, dass Lehrkräfte besonders hohen Fortbildungsbedarf in Bereichen haben, in denen sie ihre Kompetenzen weniger gut einschätzen. Empirische Befunde zum Zusammenhang zwischen spezifischen inhaltlichen Kompetenzeinschätzungen und subjektivem Fortbildungsbedarf liegen jedoch bislang nicht vor.

Neben der subjektiven (generalisierten) Kompetenzeinschätzung der Lehrkräfte ist es plausibel, dass weitere motivationale Orientierungen dafür relevant sind, ob Lehrkräfte einen Bedarf für ihre individuelle Fortbildung sehen. So postulieren klassische motivationspsychologische Ansätze, dass die Erwartung darüber, ob ein bestimmtes Verhalten zu Erfolg führt, beeinflusst, ob das Verhalten gezeigt wird (Eccles und Wigfield 2002). Auch Gorges (2015) greift auf dieses Erwartungs-Wert-Modell zurück und überträgt es auf den Fort- und Weiterbildungskontext. Bezogen auf die Fortbildungsaktivitäten kann als angestrebte Folge der individuellen Kompetenzentwicklung und zentraler Erfolgsindikator eine positive schulische Entwicklung der Schülerinnen und Schüler angesehen werden. Sieht eine Lehrkraft allerdings die schulische Entwicklung der Schülerinnen und Schüler primär durch Faktoren bestimmt, die außerhalb der eigenen Handlungsmöglichkeiten liegen, d. h. erfolgt die Attribution auf externale, relativ stabile Faktoren (z. B. das Elternhaus oder die kognitiven Fähigkeiten) der Schülerinnen und Schüler selbst, sinkt die Wahrscheinlichkeit sich und seine Kompetenz weiterzuentwickeln.

Eine mögliche Ursache für die Nichtteilnahme an Weiterbildungsmaßnahmen könnte zusätzlich auch im beruflichen Beanspruchungserleben von Lehrkräften liegen (Krille 2020; E. Richter et al. 2018). Laut der Conservation of Resource Theorie (Hobfoll 1989) folgt aus dem Erleben von Beanspruchung, dass Personen ihre zur Verfügung stehenden Ressourcen wie Zeit und Energie versuchen zu schonen und diese – um weiterem Ressourcenverlust vorzubeugen – nur investieren, wenn sie einen wahrscheinlichen Gewinn, im Sinne von neuen Ressourcen (z. B. Kompetenz, Selbstwert, soziale Unterstützung) erwarten. Die Ergebnisse von D. Richter et al. (2013) weisen allerdings darauf hin, dass die berufliche Belastung nicht mit Fortbildungsintensität zusammen hing.

1.5 Forschungsfragen und Hypothesen

  1. 1.

    Wie schätzen Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen ihren Fortbildungsbedarf im Hinblick auf fachübergreifende Kompetenzen ein?

Die fehlende Passung von Fortbildungsangeboten und subjektiven Bedarfen ist ein häufig angeführter Grund, warum Lehrkräfte nicht an Fortbildungen teilnehmen (Schulze-Vorberg et al. 2021). Vor dem Hintergrund der besonderen Anforderungen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen benötigen diese Lehrkräfte Fortbildungsangebote, die dieser besonderen Situation gerecht werden. Aus der Forschung liegen bislang Erkenntnisse über Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften im Allgemeinen vor. Es ist jedoch unklar, welche Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen benannt werden. Vor dem Hintergrund der Herausforderungen für Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen (Beierle et al. 2019) sowie bisherigen Befunden zu Fortbildungsbedarfen von Lehrkräften an nichtgymnasialen Schularten (Benner und Kaufmann 2020; D. Richter et al. 2012) erwarten wir einen erhöhten Fortbildungsbedarf im Bereich der Lernförderung von leistungsschwachen Schülerinnen und Schülern. Zudem könnte sich – bedingt durch die aktuellen Digitalisierungsbemühungen – ein erhöhter Bedarf im Bereich Digitaler Medieneinsatz zeigen (Schulze-Vorberg et al. 2021). Neben standardisierten Items wurden die Lehrkräfte zudem offen nach weiteren Fortbildungsbedarfen gefragt. Hier erwarten wir ebenfalls Themenbereiche, die den Herausforderungen von Lehrkräften an diesen Schulen entsprechen (u. a. Umgang mit Heterogenität; Gewaltprävention etc.).

  1. 2.

    Welche sozio-demographischen und motivational-emotionalen Merkmale erklären individuelle Unterschiede in den Fortbildungsbedarfen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen?

Basierend auf bisherigen empirischen Befunden (Gokmenoglu et al. 2016; Krille 2020) erwarten wir, dass Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung generell weniger Fortbildungsbedarf äußern. Zudem gehen wir davon aus, dass Quereinsteigende einen höheren Fortbildungsbedarf im Bereich Lernförderung und Interaktionsqualität angeben als traditionell ausgebildete Lehrkräfte (D. Richter et al. 2019a). In Bezug auf motivational-emotionale Merkmale nehmen wir an, dass Lehrkräfte, die in einem bestimmten Themenbereich über hohe Kompetenzeinschätzungen verfügen, weniger Fortbildungsbedarf in diesem Bereich äußern. Bei den Attributionen von Schülerinnen- und Schülerleistung erwarten wir, dass Lehrkräfte, die auf externale Faktoren attribuieren (z. B. das Elternhaus oder die kognitiven Fähigkeiten), weniger Bedarfe äußern als Lehrkräfte, die die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler auf veränderbare Umstände (z. B. zum Beispiel Probleme im Unterricht) attribuieren. Zudem vermuten wir, dass Lehrkräfte, die eine hohe emotionale Erschöpfung angeben, tendenziell weniger Zeit und Energie in den Besuch von Fortbildungen investieren und daher auch weniger Fortbildungsbedarf äußern, außer bei Themenbereichen, die zu ihren konkreten Bedürfnissen passen.

2 Methode

2.1 Stichprobe

Im Rahmen des Bund-Länder-Programms „Schule macht stark“ (SchuMaS) wurden bundesweit 200 Schulen in herausfordernden Lagen verschiedener Schularten der Primar- und Sekundarstufen ausgewählt, um an der ersten Phase der Initiative teilzunehmen. Die ausgewählten Schulen entsprechen der Definition von van Ackeren et al. (2021) für Schulen in herausfordernden Lagen. Ziel des Projektes ist es, das soziale Lernen und die Lernmotivation der Schülerinnen und Schüler zu stärken und soziale Ungleichheiten im Bildungserfolg zu senkenFootnote 1. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Professionalisierung der Lehrkräfte mit dem Ziel, die professionelle Kompetenz der Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen zu fördern (Weber et al. 2022). Die nachfolgenden Analysen basieren auf einer schriftlichen Befragung von Lehrkräften an diesen Schulen. Die Befragung der Lehrkräfte wurde mittels eines Online-Fragebogens im Zeitraum von August bis Oktober 2021 durchgeführt. Der Link zum Fragebogen wurde dabei den Schulleitungen der an SchuMaS beteiligten Schulen zugeschickt und diese leiteten den Link an ihr Kollegium weiter. Die Teilnahme an der Befragung war freiwillig und wurde von den Lehrkräften außerhalb ihrer Arbeitszeit durchgeführt. Insgesamt beantworteten 2923 Lehrkräfte aus 196 Schulen den Fragebogen (79 % weiblich). Im Schnitt arbeiteten die Lehrkräfte seit 12,6 Jahren in ihrem Beruf (SD = 10,4 Jahre); davon 8 Jahre an ihrer aktuellen Schule (SD = 7,6 Jahre). 87 % gaben an, ein Lehramtsstudium absolviert zu haben; davon 32 % Lehramt der Grundschule bzw. Primarstufe, 16 % übergreifendes Lehramt der Primar- und Sekundarstufe, 16 % Lehramt für die Sekundarstufe I, 14 % Lehramt für die Sekundarstufe II (allgemeinbildende Fächer) oder Gymnasien, 1 % Lehramt für die Sekundarstufe II (berufliche Fächer) oder berufliche Schulen und 8 % Sonderpädagogisches Lehramt [14 % fehlende Angaben]. Den Vorbereitungsdienst absolvierten nach eigenen Angaben 83 % der befragten Lehrkräfte.

2.2 Instrumente

2.2.1 Hintergrundmerkmale der Lehrkräfte

Im Rahmen der schriftlichen Befragung wurden die Lehrkräfte gebeten, neben demografischen Angaben zur eigenen Person (Geschlecht und Alter) auch berufsbezogene Angaben zu machen. Die Berufserfahrung wurde anhand der Anzahl der Jahre als aktive Lehrkraft (ohne Vorbereitungsdienst) ermittelt. Bezogen auf die Qualifikation der Lehrkräfte wurde gefragt, ob und wenn ja, welches Lehramtsstudium absolviert wurde und ob der Vorbereitungsdienst durchlaufen wurde (0 = nicht-traditionelle Qualifikation, 1 = traditionelle Qualifikation, d. h. absolviertes Lehramtsstudium und Vorbereitungsdienst). Als weitere berufsbezogene Variable wurde die Teilnahme an Fortbildungen im Schuljahr 2020/21 erfragt. Für die weiteren Analysen wurde diese Variable gruppiert nach Personen, die „keine“, „1 bis 5“ und „mehr als 5“ Fortbildungen besuchten. In die Analysen sind die Gruppen „1 bis 5“ und „mehr als 5“ jeweils dummy-codiert mit der Referenzkategorie 0 = „Keine besuchten Fortbildungen“ aufgenommen worden. Die Fragen zu den Hintergrundmerkmalen erhielten alle Lehrkräfte.

2.2.2 Fortbildungsbedarfe

Die Fortbildungsbedarfe der Lehrkräfte wurden zunächst in einem geschlossenen Frageformat anhand von 10 Items erfasst. Dabei sollten die Lehrkräfte angeben, wie hoch ihr Fortbildungsbedarf in ausgewählten Themenbereichen ist. Die ausgewählten Themenbereiche basieren auf Forschungsbefunden zu besonderen Anforderungen an Schulen in herausfordernden Lagen und beziehen sich allesamt auf überfachliche Inhalte (Voss et al. 2015). Die Instruktion lautete: „In welchen Bereichen Ihrer beruflichen Tätigkeit wünschen Sie sich das Angebot einer Weiterbildung?“ (Bsp.: „Im Bereich der fachlichen Förderung von lernschwachen Schüler*innen ist mein Bedarf an Weiterbildung …“; „Im Bereich Belastung und Stressbewältigung ist mein Bedarf an Weiterbildung …“). Die Lehrkräfte berichteten ihren Bedarf in einem siebenstufigen Antwortformat von 0 = kein Bedarf bis 6 = großer Bedarf. Mithilfe von Faktoranalysen wurden die Themenbereiche zu aggregierten Fortbildungsbedarfen zusammengefasst. Zunächst wurden 50 % der Daten als Zufallsstichprobe gezogen und mit einer explorativen Faktorenanalyse mit Oblimin-Rotation ausgewertet. Dieses Verfahren extrahierte genau vier Faktoren mit Eigenwert über 1, die 62 % der Gesamtvarianz aufklärten. Zur Überprüfung der faktoriellen Validität wurde an den übrigen 50 % eine Kreuzvalidierung vorgenommen. Die Modellgüte wurde anhand des Comparative-Fit-Index (CFI), des Tucker-Lewis-index (TLI), des Root-Mean-Square-Error-of-Approximation (RMSEA) sowie des Standardized-Root-Mean-Square-Residual (SRMR) beurteilt (CFI/TLI ≥ 0,95; RMSEA/SRMR ≤ 0,05; Hu und Bentler 1999). Das Messmodell wies eine gute Passung zur Datenstruktur auf (CFI = 0,94, TLI = 0,92, RMSEA = 0,07, SRMR = 0,05) und ist in Abb. 1 zu sehen. Die latenten Korrelationen zwischen den Faktoren bewegen sich allesamt auf einem niedrigen bis mittleren Niveau (0,18 < r < 0,52, p < 0,001). Die Faktoren bilden die folgenden Kompetenzbereiche ab: Lernförderung (2 Items, α = 0,77); Interaktionsqualität (3 Items, α = 0,75); Digitaler Medieneinsatz (2 Items, α = 87); Umgang mit Belastungen (3 Items, α = 0,70).

Abb. 1
figure 1

Messmodell der Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften auf Basis einer zufälligen Teilstichprobe zur Kreuzvalidierung (N = 1224)

Um zu prüfen, ob für die Lehrkräfte weitere Fortbildungsbedarfe in den geschlossenen Fragen fehlen, wurden die Lehrkräfte zudem anhand einer offenen Frage nach weiteren Themenbereichen gefragt („Gibt es darüber hinaus weitere Themen, zu denen Sie sich gern weiterbilden möchten?“). 280 Lehrkräfte (12 % der Lehrkräfte, die die standardisierten Items beantworteten) gaben weitere Themenbereiche an, in denen sie Weiterbildungsbedarf sahen. Diese offenen Antworten wurden auf Basis deduktiv gewonnener Kategorien in Anlehnung an bisherige Studien zum Fortbildungsbedarf (Benner und Kaufmann 2020; D. Richter et al. 2019a) kategorisiert und anschließend induktiv weiter ausdifferenziert. Da für die offenen Antworten kein weiteres Rating bezgl. der Höhe des Bedarfs vorgenommen wurde, konnten diese nicht in die Strukturgleichungsmodelle aufgenommen werden.

2.2.3 Kompetenzeinschätzungen

Für jeden Themenbereich, zu dem der Fortbildungsbedarf ermittelt wurde, erfolgte auch eine Erfassung der jeweiligen Kompetenzselbsteinschätzung. Die Instruktion lautete: „Wie sicher fühlen Sie sich in den folgenden Bereichen Ihrer beruflichen Tätigkeit?“. Die Lehrkräfte gaben ihre Kompetenzeinschätzung in einem siebenstufigen Antwortformat von 0 = nicht sicher bis 6 = sehr sicher an. Die Itemformulierungen waren kongruent zu den Formulierungen der Fortbildungsbedarfe. Da die Fortbildungsbedarfe zu insgesamt 10 verschiedenen Themen erfasst wurden, liegen auch Kompetenzeinschätzungen zu diesen Bereichen vor. Die Modellgüte für ein entsprechendes vier-faktorielles Modell ist akzeptabel (CFI = 0,93, TLI = 0,90, RMSEA = 0,08, SRMR = 0,05) und die Faktoren erweisen sich als reliabel (0,72 ≤ α ≤ 0,86).

2.2.4 Attribution von Schülerinnen- und Schülerleistung

Die Attributionen der Leistungen von Schülerinnen und Schülern geben an, auf welche Faktoren Lehrkräfte die Misserfolge ihrer Schülerinnen und Schüler zurückführen. Aus bisherigen Studien lassen sich insgesamt vier Faktoren identifizieren, die mit Hilfe standardisierter Instrumente erfasst werden können. In dieser Untersuchung nutzen wir angepasste Instrumente aus der COACTIV-Studie, in der diese Variablen reliabel erfasst werden konnten (Baumert et al. 2009). Die Instruktion lautete: „Jede/r Lehrer/in erlebt, dass Schüler oder Schülerinnen ihrer Klasse Schwierigkeiten haben, den behandelten Unterrichtsstoff zu verstehen. Wenn Sie einmal an Ihre leistungsschwächeren Schüler und Schülerinnen denken, woran könnten deren Misserfolge liegen?“. Die Subfacette „Motivation“ gibt an, inwiefern Lehrkräfte die Misserfolge von leistungsschwächeren Schülerinnen und Schülern auf mangelnde Anstrengung und Motivation zurückführen (4 Items, Beispielitem: „unzureichende Motivation“, α = 66). Die Subfacette Intelligenz beschreibt die Überzeugung der Lehrkraft, dass Misserfolge auf die mangelnde Intelligenz und fehlende Begabung zurückgeführt werden können (3 Items, Beispielitem: „unzureichende Begabung für das Fach“, α = 0,80). Darüber hinaus wurden in zwei weiteren Skalen die Misserfolge auf Probleme im Unterricht (4 Items, Beispielitem: „Schwierigkeiten beim Unterrichten durch eine leistungsheterogene Schülerschaft“ α = 0,66) und auf die Lebensumstände im Elternhaus (3 Items, Beispielitem: „erhalten weniger Unterstützung von ihren Eltern bei schulischen Problemen“, α = 0,73) zurückgeführt. Die vierstufige Ratingskala ging von 1 = trifft nicht zu bis 4 = trifft zu.

2.2.5 Emotionale Erschöpfung

Emotionale Erschöpfung beschreibt ein Kernmerkmal der Burnout-Symptomatik und äußert sich bei Lehrkräften in einer chronischen Erschöpfung von der Arbeit und dem häufigen Auftreten negativer Emotionen wie Ärger oder Anspannung. Das Merkmal wurde mit einer adaptierten Version der Items des Maslach-Burnout-Inventory (MBI, Maslach und Jackson 1981) erhoben (Enzmann und Kleiber 1989) und umfasste vier Items. Die Instruktion lautete „Die folgenden Aussagen beziehen sich auf alle Aktivitäten und Tätigkeiten Ihres Berufs. Bitte geben Sie an, wie häufig Sie dabei die folgenden Empfindungen erleben.“ (Bsp. „Ich fühle mich durch meine Arbeit erschöpft“, α = 0,85). Alle Items wurden auf einer Skala von 0 = nie bis 6 = täglich beantwortet.

2.3 Fehlende Werte

Im Gesamtfragebogen wurden einzelne Skalen den Lehrkräften randomisiert zugewiesen, um eine zu hohe Befragungsdauer zu vermeiden. Deshalb liegen für die Attributionsskalen (807 ≤ n ≤ 842) und emotionale Erschöpfung (890 ≤ n ≤ 901) nur Werte für eine Substichprobe an Lehrkräften vor. Aufgrund des Rotationsdesigns sind die daraus designbedingt fehlenden Werte als zufällig anzusehen (Missing Completely at Random, MCAR). Der Umgang mit fehlenden Werten erfolgte in den latenten Strukturgleichungsmodellen mittels Full-Information-Maximum-Likelihood (FIML). Eine mit multipel imputierten Datensätzen (m = 25) durchgeführte Robustheitsanalyse lieferte nahezu identische Befunde und änderte nichts an den zentralen Aussagen dieser Studie. Die deskriptiven Befunde basieren auf den vorliegenden Datensätzen.

2.4 Statistische Analysen

Zur Beantwortung der ersten Fragestellung nach dem Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte werden zunächst deskriptiv die Mittelwerte und Standardabweichungen der aggregierten Fortbildungsbedarfe berichtet. Die offenen Antworten zu den Fortbildungsbedarfen werden als absolute und prozentuale Häufigkeiten berichtet und sind als Ergänzung zu den standardisiert erhobenen Fortbildungsbedarfen zu verstehen. Zur Beantwortung der zweiten Fragestellung, inwieweit sich die Fortbildungsbedarfe mit individuellen Merkmalen erklären lassen, wurden separate latente Strukturgleichungsmodelle für die vier Fortbildungsfaktoren spezifiziert (siehe Abb. 1). Um ein besseres Verständnis darüber zu erlangen, welche Merkmale die subjektiven Bedarfe bedingen, beziehen wir bei unseren Analysen zunächst sozio-demografische Merkmale (Geschlecht, Berufserfahrung und Ausbildungsweg) mit ein. Da diese in der Studie von Gokmenoglu et al. (2016) nur wenig Varianz aufklären konnten, nehmen wir in einem zweiten Schritt motivational-emotionale Lehrkraftmerkmale (subjektive Kompetenzeinschätzungen, emotionale Erschöpfung und Attributionen von Schülerinnen- und Schülerleistung) als relevante Prädiktoren für bestimmte subjektive Fortbildungsbedarfe mit auf. Aus den beiden Angaben (Lehramtsstudium und Vorbereitungsdienst) bildeten wir eine dummy-codierte Variable, ob es bei den Lehrkräften um traditionell ausgebildete Lehrkräfte handelte (Lehramtsstudium und Vorbereitungsdienst) oder Quer‑/Seiteneinsteiger. Quer‑/Seiteneinsteigende werden in dieser Arbeit zusammengefasst, da keine spezifischen Hypothesen für beide Subgruppen getestet werden sollen. Außer Berufserfahrung, Geschlecht, Quer- und Seiteneinstieg und die Anzahl besuchter Fortbildungen im Schuljahr 2020/21 werden alle Merkmale latent mit R (Version 4.2.1) und dem R‑Paket lavaan (Version 0.6-12; Rosseel 2012) modelliert. Damit latente Faktoren aus zwei Indikatoren identifiziert werden können, wurden die beiden Faktorladungen gleichgesetzt. Zwischen den gleichen Themenbereichen der Fortbildungsbedarfe und Kompetenzeinschätzungen wurden Residualkorrelationen im Strukturgleichungsmodell zugelassen. Das ist notwendig, weil die Fehlervarianzen aufgrund indikatorspezifischer Residualvarianz miteinander korreliert sind (z. B. aufgrund des individuellen Verständnisses von Belastungen). Aufgrund der hierarchischen Datenstruktur (Lehrkräfte genestet in Schulen; 1 bis 66 Lehrkräfte pro Schule) wurden clusterrobuste Standardfehler geschätzt. Wir schätzen kein Mehrebenen-Modell, weil wir uns auf interindividuelle Unterschiede zwischen Lehrkräften fokussieren und nicht auf aggregierte Fortbildungsbedarfe von Kollegien. Alle Lehrkrafteinschätzungen beziehen sich auf das individuelle Erleben und nicht auf die Einschätzung von Merkmalen der Schulumwelt. Zudem ist der Anteil an Varianz in den subjektiven Fortbildungsbedarfen, der auf die Schulzugehörigkeit zurückzuführen ist, relativ gering (0,011 ≤ ICC(1) ≤ 0,081). In die Regressionsanalysen gehen schrittweise demografische und berufsbiografische Merkmale (Modell 1), die subjektive Kompetenzeinschätzung (Modell 2), die Attribution von Schülerinnen- und Schülerleistungen (Modell 3) und die emotionale Erschöpfung (Modell 4) ein. Dabei folgen wir den Empfehlungen von Hayes (2021) für ein schrittweises Modell im saturated correlates approach, damit die Modelle miteinander vergleichbar sind.

3 Ergebnisse

Betrachtet man die aggregierten Fortbildungsbedarfe, wird ein erhöhter Fortbildungsbedarf für den Faktor Lernförderung (M = 3,54, SD = 1,57) sowie für den Faktor Digitaler Medieneinsatz (M = 3,27, SD = 1,72) ersichtlich. Im Durchschnitt ist der angegebene Bedarf für den Faktor Lernförderung statistisch signifikant höher als für den Faktor Digitaler Medieneinsatz (t (2,396) = 6,21, p < 0,001, d = 0,13, 95 % KI [0,09; 0,17]). Ein geringerer Bedarf wird für die Faktoren Umgang mit Belastungen (M = 2,63, SD = 1,45) angegeben. Dieser Unterschied ist im Vergleich zum Faktor Digitaler Medieneinsatz statistisch signifikant und von mittlerer Effektstärke (t (2,395) = 15,59, p < 0,001, d = 0,32, 95 % KI [0,28; 0,36]). Für den Faktor Interaktionsqualität (M = 2,39, SD = 1,35) wird der geringste Bedarf berichtet. Dieser Unterschied ist im Vergleich zum Faktor Umgang mit Belastungen statistisch signifikant (t (2,408) = 8,05, p < 0,001, d = 0,16, 95 % KI [0,12; 0,20]). Die offenen Antworten dienten als Ergänzung der standardisierten Items und zur Überprüfung der Vollständigkeit der abgefragten Themenbereiche. Hier zeigte sich zum einen, dass nur 12 % der befragten Lehrkräfte weitere Fortbildungsbedarfe äußerten und zum anderen, dass sowohl Themen genannt wurden, die durch die standardisierten Items bereits erfasst wurden (u. a. Weiterbildungsbedarf im Hinblick auf spezielle Förderschwerpunkte), als auch Bereiche, die darüber hinausgingen (siehe Tab. 1). Themen, die ergänzend zu den standardisierten Items genannt wurden, waren beispielsweise der Umgang mit aggressiven, verhaltensauffälligen oder traumatisierten Schülerinnen und Schülern, der Umgang mit Heterogenität, Sprachförderung, Umgang mit Gewalt, Schulorganisation, fachspezifische Weiterbildungen und Zusammenarbeit mit Eltern. Insgesamt handelte es sich jedoch – gemessen an der Gesamtstichprobe – bei allen Subthemen nur um einige wenige Angaben, was die Abdeckung des subjektiven Fortbildungsbedarfes durch die standardisierten Items unterstreicht.

Tab. 1 Übersicht über die genannten Weiterbildungsbedarfe mit Anzahl an Nennungen

Zur Beantwortung der zweiten Forschungsfrage zur Vorhersage des Fortbildungsbedarfs wurden mehrere Regressionsmodelle geschätzt, wobei die einzelnen Prädiktoren und Prädiktorgruppen jeweils schrittweise in das Modell aufgenommen wurden.

In Modell 1 wurden zunächst sozio-demografische Merkmale aufgenommen. Hier zeigt sich, dass das Geschlecht, die Berufserfahrung und der Ausbildungsweg zwar signifikante Prädiktoren darstellen, aber nur wenig Varianz (zwischen 2 und 8 %) aufgeklärt wird (siehe Tab. 2 und 3, jeweils Modell 1). Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung äußern geringere Bedarfe bei allen Themenbereichen außer im Bereich Digitaler Medieneinsatz. Hier ist die Berufserfahrung ein positiver Prädiktor; d. h. Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung äußern einen höheren Bedarf in diesem Bereich. Im Bereich Lernförderung zeigen Frauen einen erhöhten Fortbildungsbedarf (Tab. 2). Für Quer- und Seiteneinsteigende zeigt sich ein höherer Bedarf in den Bereichen Lernförderung und Interaktionsqualität (Tab. 2). Die Anzahl an besuchten Fortbildungen im vorangegangen Schuljahr ist nur für den Bereich Digitaler Medieneinsatz ein Prädiktor zur Vorhersage der Fortbildungsbedarfe.

Tab. 2 Ergebnisse des latenten Strukturgleichungsmodells für die Fortbildungsbedarfe Lernförderung und Interaktionsqualität
Tab. 3 Ergebnisse des latenten Strukturgleichungsmodells für die Fortbildungsbedarfe Digitaler Medieneinsatz und Umgang mit Belastungen

In Modell 2 wurde die jeweilige subjektive Kompetenzeinschätzung für alle abhängigen Variablen miteinbezogen. Die Kompetenzeinschätzung klärt zwischen 29 und 40 % an Varianz in den Faktoren der Fortbildungsbedarfe auf. Lehrkräfte, die sich in dem jeweiligen Bereich kompetent fühlen, geben signifikant weniger Fortbildungsbedarf in diesem Bereich an. Bei den Attributionen von Schülerinnen- und Schülerleistung zeigen sich Unterschiede zwischen den einzelnen Bereichen (Modell 3). Lehrkräfte, die die geringen Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler auf den Unterricht attribuieren, äußern signifikant mehr Fortbildungsbedarf im Bereich Umgang mit Belastung (und Lernförderung in Modell 4), während Lehrkräfte, die Misserfolge auf mangelnde Intelligenz und fehlende Begabung ihrer Schülerinnen und Schüler attribuieren, einen geringeren Bedarf im Bereich der Interaktionsqualität angeben. In Modell 4 wurde als letztes die emotionale Erschöpfung als Prädiktor mit einbezogen. Lehrkräfte, die eine höhere emotionale Erschöpfung berichten, geben signifikant weniger Fortbildungsbedarf in den Bereichen Lernförderung und Digitaler Medieneinsatz an, äußern dafür aber einen höheren Fortbildungsbedarf im Bereich Umgang mit Belastungen. Insgesamt können die Modelle mit allen Prädiktoren zwischen 31 und 42 % an Varianz in den abhängigen Variablen erklären.

4 Diskussion

Das Ziel der vorliegenden Studie war die Beschreibung von subjektiven Fortbildungsbedarfen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen sowie die Erklärung individueller Unterschiede in den Fortbildungsbedarfen von Lehrkräften an diesen Schulen durch verschiedene sozio-demographische und motivational-emotionale Merkmale. Hierfür wurden Daten aus einer breit angelegten Untersuchung von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen genutzt.

Im Hinblick auf die erste Fragestellung nach dem subjektiven Fortbildungsbedarf der Lehrkräfte zeigte sich zunächst, dass aus den standardisiert abgefragten Items zum Fortbildungsbedarf vier Bereiche faktorenanalytisch extrahiert werden konnten. Diese bezogen sich auf folgende Fortbildungsbedarfe: Lernförderung, Interaktionsqualität, Digitaler Medieneinsatz und Umgang mit Belastungen. Die befragten Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen äußerten einen erhöhten Bedarf in den Bereichen Lernförderung und Digitaler Medieneinsatz. Der Befund, dass im Bereich der Lernförderung ein erhöhter Bedarf angegeben wurde, ist kongruent zu den Erkenntnissen bisheriger Studien (Gokmenoglu et al. 2016; D. Richter et al. 2012; D. Richter et al. 2019a), die nicht explizit Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen untersuchen. So berichteten in der Studie von D. Richter et al. (2019a) über 60 % der Lehrkräfte einen hohen bis sehr hohen Fortbildungsbedarf im Bereich der Förderung lernschwacher Schülerinnen und Schüler. Somit berichten nicht nur Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen einen erhöhten Fortbildungsbedarf in diesem Themenbereich, sondern auch Lehrkräfte an anderen Schulen, die in anderen sozialen Kontexten tätig sind. Der überdurchschnittliche Bedarf im Bereich Digitaler Medieneinsatz lässt sich mutmaßlich zum einen durch die zunehmenden Digitalisierungsbemühungen der Schulen erklären und zum anderen durch die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie. Entsprechend betonen auch andere Studien die zunehmende Relevanz und den Bedarf von Lehrkräftefortbildungen zu digitalen Medien (Schulze-Vorberg et al. 2021). Da nur ein geringer Anteil der von uns befragten Lehrkräfte weitere Weiterbildungsbedarfe äußerte, scheinen die extrahierten Faktoren einen Großteil der subjektiven Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen abzubilden. Die zusätzlich genannten Bedarfe betreffen zudem mehrheitlich Themenbereiche, die mit den Herausforderungen von Schulen in diesen Lagen einhergehen (u. a. Umgang mit speziellen sozio-emotionalen Bedürfnissen der Schülerinnen und Schüler, Umgang mit Heterogenität, Sprachförderung und Umgang mit Gewalt). Hier müsste in weiterführenden Studien analysiert werden, inwieweit sich diese Bedarfe mit bisherigen Angeboten decken und ob Lehrkräfte die entsprechenden Angebote wahrnehmen. In der Studie von D. Richter et al. (2019a), die nicht explizit Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen untersuchten, zeigte sich, dass insbesondere der Bedarf und die Nutzung von Fortbildungsangeboten zum Thema Förderung lernschwacher Schülerinnen und Schüler nicht übereinstimmen; so gaben zwar 60 % der befragten Lehrkräfte an, einen hohen bis sehr hohen Fortbildungsbedarf in diesem Bereich zu haben. Jedoch gaben nur 14 % der Befragten an, eine entsprechende Veranstaltung besucht zu haben. Ob dieser Befund an mangelnden Angeboten in diesem Bereich liegt, sollte in zukünftigen Studien geprüft werden. Im Hinblick auf unsere Studie stellt sich zudem die Frage, inwiefern Lehrkräfte ihre Bedarfe gut einschätzen können und ob die wahrgenommenen Bedarfe auch zu einer tatsächlichen Nutzung führen.

Die zweite Fragestellung bezog sich auf individuelle Unterschiede in den Fortbildungsbedarfen. Bei unseren Analysen haben wir zunächst sozio-demographische Merkmale (Geschlecht, Berufserfahrung und Ausbildungsweg) als Prädiktoren aufgenommen. Die Befunde sind größtenteils kongruent mit bisherigen Erkenntnissen zum Fortbildungsverhalten. So konnten wir zeigen, dass Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung einen geringeren subjektiven Fortbildungsbedarf äußern. Dies passt zu den Erkenntnissen von Hauk et al. (2022), dass Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung weniger motiviert sind, an Fortbildungen teilzunehmen sowie zu dem Befund, dass sie auch an weniger Angeboten teilnehmen (E. Richter et al. 2018). Unsere Ergebnisse ergänzen die bisherige Befundlage, da wir zusätzlich feststellen konnten, dass es themenspezifische Unterschiede gibt. So gaben in unserer Studie Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung einen erhöhten Bedarf im Bereich Digitaler Medieneinsatz an. In einer aktuellen Studie von Schulze-Vorberg et al. (2021) konnte durch latente Profilanalysen gezeigt werden, dass Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung über weniger technologiebezogenes Wissen und weniger digitale Selbstwirksamkeitserwartung verfügen und digitale Medien zudem weniger nutzen. Dies erklärt den erhöhten Fortbildungsbedarf in diesem Themenbereich für Lehrkräfte mit mehr Berufserfahrung. Allerdings zeigen die Befunde einer aktuellen Studie von Fütterer et al. (2023), dass weder die Berufserfahrung noch der objektive Bedarf (getestet durch Wissenstests) einen Beitrag für die Intention von Lehrkräften zur Teilnahme an technologiebezogenen Fortbildungen leistet.

Dies wirft erneut die Frage auf, ob Lehrkräfte tatsächlich in der Lage sind, ihren Bedarf gut einzuschätzen. Eine aktuelle Studie von Ernst et al. (2023) zeigt, dass zumindest Lehrkräfte im Vorbereitungsdienst ihre Stärken und Schwächen nicht gut einschätzen können. Vor dem Hintergrund, dass Lehrkräfte in Deutschland autonom darüber entscheiden, welche Fortbildungen sie besuchen möchten, könnte darüber diskutiert werden, wie eine individuelle Diagnostik und Beratung zu eher objektiv relevanten Fortbildungsangeboten aussehen könnte. Hier könnten zukünftige Interventionsstudien ansetzen und überprüfen, ob Lehrkräfte stärker von Fortbildungsangeboten profitieren, wenn sowohl der objektiv gemessene (z. B. über Wissenstest oder Unterrichtsbeobachtungen) als auch der subjektive Fortbildungsbedarf miteinander übereinstimmen. Dennoch stellt sich auch hierbei die Frage, wie genau das Wissen und Können der Lehrkräfte erfasst werden können, ab wann sich daraus ein Fortbildungsbedarf ergibt und ob die Teilnahme an einer entsprechenden Fortbildung dann auch nachweislich das Wissen und Können verbessert.

Weibliche Lehrkräfte gaben in unserer Studie einen erhöhten Fortbildungsbedarf im Bereich der Lernförderung an, was mit den Ergebnissen von Gokmenoglu et al. (2016) einhergeht. Die Effektstärke ist dabei jedoch gering und sollte nicht überinterpretiert werden. Quer- und Seiteneinsteigende äußerten in unserer Studie kongruent zu den Befunden von D. Richter et al. (2019a) einen höheren Fortbildungsdarf in den Bereichen Lernförderung und Interaktionsqualität. Hier liegt die Vermutung nahe, dass diese Bereiche im Lehramtsstudium stärker thematisiert werden als die anderen beiden Bereiche (Digitaler Medieneinsatz und Umgang mit Belastungen) und Quer- und Seiteneinsteigende hier entsprechend einen Nachholbedarf haben.

Insgesamt konnte durch die sozio-demographischen Merkmale ebenso wie in der Studie von Gokmenoglu et al. (2016) nur wenig Varianz für die subjektiven Fortbildungsbedarfe aufgeklärt werden. Daher wurden in die Modelle weitere motivational-emotionale Lehrkraftmerkmale aufgenommen. Ein signifikanter Prädiktor für alle Themenbereiche war dabei die subjektive Kompetenzeinschätzung. Bisherige Studien zeigen, dass Lehrkräfte mit einer hohen Selbstwirksamkeit (generelle Kompetenzeinschätzung) häufiger an Fortbildungsangeboten teilnehmen (Krille 2020; D. Richter et al. 2013). Unsere Befunde zeigen jedoch, dass Lehrkräfte, die über eine hohe subjektive Kompetenzeinschätzung in einem bestimmten Bereich verfügen, in diesem Bereich weniger Fortbildungsbedarf angeben. Eine Erklärung hierfür könnte zum einen sein, dass bisherige Studien die allgemeine Selbstwirksamkeitserwartung zugrunde legen und keine themenspezifischen Kompetenzerwartungen (D. Richter et al. 2013) und zum anderen, dass Lehrkräfte, die einen Bedarf in einem Bereich äußern, dennoch nur partiell entsprechende Fortbildungsangebote besuchen (Krille 2020). In zukünftigen Studien könnten beide Konstrukte (Selbstwirksamkeit und themenspezifische Kompetenzeinschätzungen) mit einbezogen werden, um die Rolle von allgemeinen vs. themenspezifischen Kompetenzeinschätzungen für subjektive Fortbildungsbedarfe näher zu beleuchten.

Im Hinblick auf die Attributionen von Schülerinnen- und Schülerleistung als möglichen Prädiktor zeigte sich wie erwartet, dass Lehrkräfte, die die Leistungen ihrer Schülerinnen und Schüler auf den Unterricht und damit auf einen für sie veränderbaren Faktor attribuieren, signifikant mehr Fortbildungsbedarf im Bereich der Lernförderung äußern. Lehrkräfte, die Misserfolge auf mangelnde Intelligenz und fehlende Begabung ihrer Schülerinnen und Schüler attribuieren und damit Leistungen auf externale und relativ stabile Faktoren zurückführen, geben weniger Bedarf im Bereich der Interaktionsqualität an. Diese Befunde ergänzen bisherige Erkenntnisse zu Fortbildungsbedarfen und verweisen auf die Relevanz von Attributionen für Fortbildungsbedarfe und möglicherweise auch für das konkrete Fortbildungsverhalten. Dies müsste jedoch in weiterführenden Studien untersucht werden.

Bezogen auf die emotionale Erschöpfung konnten unsere Befunde die Vermutung stützen, dass Lehrkräfte, die über fehlende Ressourcen verfügen, also emotional erschöpft sind, weniger Fortbildungsbedarfe angeben, außer wenn die Themen zu ihren Bedürfnissen passen. So gaben emotional erschöpfte Lehrkräfte in unserer Studie im Sinne der Conservation of Resource Theorie (Hobfoll 1989) einen signifikant höheren Fortbildungsbedarf im Bereich Umgang mit Belastungen an und benötigen anscheinend zunächst einmal Fortbildungsangebote, um ihre eigenen Ressourcen zu stärken, bevor sie Fortbildungsangebote zu unterrichtsbezogenen Themen wahrnehmen können. Dies könnte auch die Befunde aus der Studie von D. Richter et al. (2013) erklären, bei der kein Zusammenhang zwischen beruflicher Belastung und Fortbildungsintensität festgestellt werden konnte, da hier keine themenspezifischen Unterschiede untersucht wurden.

4.1 Limitationen

Die Ergebnisse der vorliegenden Studie ergänzen bisherige Befunde zu subjektiven Fortbildungsbedarfen von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen und können einen Beitrag dazu leisten, dass Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen passgenauere Angebote unterbreitet werden könnten. Dennoch zeigen sich auch einige Limitationen. Erstens, liegen unserer Studie Querschnittsdaten zugrunde, sodass wir keine Annahmen über die Kausalität machen können. Zweitens, ist es möglich, dass durch die standardisieren Items nicht alle Fortbildungsbereiche erfasst wurden, in denen Lehrkräfte einen subjektiven Fortbildungsbedarf besitzen. Um dies zu vermeiden, wurden ergänzend in einem offenen Antwortformat weitere Fortbildungsbedarfe erfragt. Diese offenen Antworten wurden nicht hinsichtlich der Stärke des Bedarfs bewertet, sodass ein direkter Vergleich zu den standardisiert erfassten Items nicht möglich ist. Drittens, die Befragung fand während der Covid-19-Pandemie statt, was möglicherweise einen Einfluss auf die Antworten der Lehrkräfte hatte. Viertens, da es sich um einen umfangreichen Gesamtfragebogen handelte, wurden einzelne Skalen den Lehrkräften randomisiert zugewiesen. Hierdurch ergeben sich unterschiedlich große Substichproben bei den Attributionen und der emotionalen Erschöpfung. Fünftens, beziehen wir uns in unserer Studie auf ein enges Verständnis von Bedarfen, indem wir zum einen nur subjektive Bedarfe erfasst haben und zum anderem, indem diese sich nur auf inhaltliche Bedarfe beziehen. In weiterführenden Studien sollte entsprechend ein breiterer Fokus verfolgt werden, indem Fortbildungsbedarfe auch in Bezug auf die Gestaltung der Fortbildungen (z. B. Länge, Format, Methoden etc.). miteinbezogen werden. Zudem wäre es erstrebenswert gewesen, die subjektiven Bedarfe mit dem konkreten Fortbildungsverhalten in Verbindung zu setzen. Da Lehrkräfte nur partiell Fortbildungen besuchen, in denen sie einen Bedarf geäußert haben (Krille 2020), stellt sich zum einen die weiterführende Frage, wie stark die Bedarfe eine Teilnahme an entsprechenden Fortbildungen vorhersagen können, und zum anderen, wie Lehrkräfte motiviert werden könnten, an diesen Fortbildungen teilzunehmen. Abschließend ist auch zu bemerken, dass an den teilnehmenden Schulen unterschiedlich viele Lehrkräfte teilnehmen und die Kollegien in unterschiedlichem Anteil repräsentiert waren. Obwohl insgesamt eine hohe Zahl an Lehrkräften aus herausfordernden Lagen befragt wurde, ist nicht jede Schule gleichermaßen mit einer großen Zahl an Lehrkräften vertreten.

4.2 Ausblick und Implikationen für Forschung und Praxis

Um Lehrkräfte an Schulen in herausfordernden Lagen durch Professionalisierungsmaßnahmen unterstützen zu können, ist es notwendig, zunächst die subjektiven Bedarfe zu kennen und individuelle Merkmale zu identifizieren, die diese Bedarfe vorhersagen (OECD 2012). Erst dann ist es möglich, passgenaue Angebote zu schaffen, um Lehrkräfte und damit auch Schülerinnen und Schüler an Schulen in herausfordernden Lagen zu unterstützen und somit einen Beitrag zur Verringerung soziokultureller Disparitäten zu leisten. In der vorliegenden Studie wurden diese Bedarfe benannt und individuelle Merkmale identifiziert, sodass auf dieser Grundlage weitere Fortbildungsangebote sowohl für Schulen als auch für individuelle Lehrkräfte unterbreitet werden können. Dabei sollten diese Fortbildungsangebote nicht nur in hoher Qualität verfügbar sein (Darling-Hammond et al. 2017; Lipowsky und Rzejak 2021), sondern die Lehrkräfte sollten bundeslandübergreifend im Rahmen ihrer Arbeitszeit die Möglichkeit bekommen, an Fortbildungen teilzunehmen. Im Vergleich der Bundesländer zeigt sich, dass bislang lediglich Hamburg Fortbildungen in die Arbeitszeitzumessung integriert (Rackles 2023).

Generell lässt sich postulieren, dass die subjektiven Fortbildungsbedarfe von Lehrkräften an Schulen in herausfordernden Lagen einen wichtigen Ansatzpunkt darstellen, um sowohl Lehrkräfte als auch Schülerinnen und Schülern an diesen Schulen zielgenau zu unterstützen. Offen bleibt jedoch die Frage, inwiefern Lehrkräfte entsprechende Fortbildungsangebote, die auf diesen Bedarfen basieren, dann auch nutzen. Für weiterführende Studien bedeutet dies, dass überprüft werden sollte, ob die Angabe der subjektiven Bedarfe mit der Nutzung von Fortbildungsangeboten übereinstimmt bzw. welche anderen Faktoren bei der tatsächlichen Nutzung eine Rolle spielen.