1 Einleitung

Ein zentrales Ziel der beruflichen Karriere besteht darin, einen Beruf zu finden, der zur eigenen Person passt. So beginnen sich bereits in der Kindheit überdauernde Tätigkeitspräferenzen zu entwickeln, welche sich bis ins Jugendalter zunehmend ausschärfen. Vor dem eigentlichen Übergang ins Berufsleben ist es von zentraler Bedeutung, diese persönlichen Präferenzen und deren Passung zu spezifischen beruflichen Umwelten zu erkunden, um sich auf dieser Basis für einen geeigneten Beruf zu entscheiden. Sofern sich die getroffene Berufswahl als passend erweist, folgt zumeist der Versuch, sich im gewählten Berufsfeld dauerhaft zu etablieren (Gottfredson 2002; Savickas 2002; Super 1980). Auch weil heutzutage immer häufigere Wechsel innerhalb der beruflichen Karriere eher die Regel als die Ausnahme darstellen, erscheint es von hoher Bedeutung, passende Berufe von eher unpassenden Berufen unterscheiden zu können (Nagy et al. 2018; Savickas et al. 2009). Als nicht passend empfundene Berufswahlen ziehen häufig größere berufliche Umorientierungen nach sich, welche mit erheblichen zeitlichen und finanziellen Kosten auf individueller, institutioneller und gesellschaftlicher Ebene verbunden sein können (Grunschel und Dresel 2021). Beispielsweise bricht etwa ein Drittel aller Studierenden das Studium ab (Grunschel und Dresel 2021), was unter Umständen auch auf zu geringe Passungsgrade der individuellen Interessen zum jeweils gewählten Studienfach zurückzuführen ist. Um zu verhindern, dass derartige Kurskorrekturen notwendig werden, sollte eine ausgiebige Exploration in der vorberuflichen Phase stattfinden (Johnson und Mortimer 2002). Dazu gibt es innerhalb der Schulsysteme mancher Länder die Möglichkeit, sich durch Kurs- oder berufsfeldbezogene Schulwahlen bereits während der Schulzeit zu erproben (Andersen und van de Werfhorst 2010; Shavit und Müller 2000).

So besteht in Deutschland beispielsweise die Möglichkeit, mit dem Besuch der beruflichen gymnasialen Oberstufe berufsbezogene Erfahrungen zu sammeln. Schülerinnen und Schüler können zwischen verschiedenen beruflichen Gymnasialzweigen mit unterschiedlichen inhaltlichen Ausrichtungen wählen, wobei sie dort ebenso wie an allgemeinbildenden Gymnasien die allgemeine Hochschulreife erwerben können, sodass ihnen weiterhin alle Berufs- und Studienfelder offenstehen (Neumann 2009). Entscheidungen für eine Schulform sind damit – im Gegensatz zu späteren beruflichen Wahlentscheidungen – noch nicht bindend. Die Schülerinnen und Schüler können sich somit auf explorative Weise im Umgang mit berufsfeldspezifischen Inhalten erproben (Gottfredson 2002; Savickas 2002; Super 1980; Swanson und Fouad 1999).

Die Wahl eines beruflichen Gymnasialzweiges kann als eine erste berufsbezogene Wahlentscheidung angesehen werden, welche üblicherweise nicht zuletzt auf der antizipierten Kongruenz der persönlichen Tätigkeitspräferenzen zu den Tätigkeitsschwerpunkten einer (beruflichen) Umwelt basiert (z. B. Gottfredson 2002; Holland 1997; Parsons 1909; Savickas 2002). Derartige Wahlentscheidungen sollten also in vielen Fällen zu einer hohen Passung der Schülerinnen und Schüler zur gewählten Richtung des beruflichen Gymnasiums führen (z. B. Nagy et al. 2012). Allerdings können Schülerinnen und Schüler auch – nicht zuletzt aufgrund eines Mangels an bisherigen Erprobungsmöglichkeiten – von falschen Vorstellungen über die schulformspezifischen Anforderungen geleitet werden, was zu Unterschieden im Grad der erreichten Passung führen kann (Gottfredson 2002). Zusätzlich können externe Faktoren (z. B. familiäre Erwartungen, Nähe der Schule zum Wohnort) die Wahl einer Schulform und damit auch den Grad der erreichten Passung beeinflussen (Gati und Saka 2001; Savickas 2002).

Für berufsbezogene Umwelten wird angenommen, dass sich der Grad der Passung unter anderem in der erlebten Zufriedenheit widerspiegelt (Holland 1997). Da berufliche Gymnasien berufsbezogene Inhalte aufweisen, ist zu erwarten, dass sich dieser Kongruenzeffekt bereits in diesem schulischen Kontext zeigt. Das Vorliegen des Kongruenzeffekts in der beruflichen Oberstufe würde es den Schülerinnen und Schülern ermöglichen, im Rahmen der zeitlich nachfolgenden Berufswahlentscheidungen ihre Interessenkongruenz und somit ihre berufliche Karriere zu optimieren. Damit würde der Nachweis des Kongruenzeffekts auch für die Erfüllung einer zentralen Zielsetzung beruflicher Gymnasien sprechen, die darin besteht, den Übergang in ein passendes Studium vorzubereiten. Bisher liegen diesbezüglich jedoch kaum Untersuchungen vor (siehe aber Eder 1988). Insbesondere fehlen Studien, die sich aktueller Analyseverfahren und repräsentativer Stichproben bedienen. Die vorliegende Studie setzt hier an und überprüft die Gültigkeit des Kongruenzeffekts auf die Schulzufriedenheit im Kontext beruflicher Gymnasien.

1.1 Berufliche Interessen und Interessenkongruenz

Die berufsbezogenen Tätigkeitspräferenzen eines Menschen spiegeln sich im Konzept der beruflichen Interessen wider. Um die beruflichen Interessen von Personen zu erfassen, können berufsbezogene Tätigkeitslisten herangezogen werden, wobei jede Person ihr Interesse (oder ihre Präferenz) für die verschiedenen dargebotenen Tätigkeiten angibt. In gängigen Inventaren (z. B. Bergmann und Eder 2005; Donnay et al. 2005; Holland et al. 1994) werden die einzelnen Angaben anschließend zu homogenen Interessenbereichen zusammengefasst.

Eine Möglichkeit, berufliche Interessen durch eine „überschaubare“ Anzahl verschiedener Interessenbereiche zu beschreiben, bietet die Taxonomie von Holland (1997), die sechs Domänen unterscheidet: praktisch-technische (R: Realistic), intellektuell-forschende (I: Investigative), künstlerisch-sprachliche (A: Artistic), soziale (S: Social), unternehmerische (E: Enterprising) und ordnend-verwaltende (C: Conventional) Domäne (RIASEC). Hollands Klassifikationssystem bietet darüber hinaus die Möglichkeit, berufliche Umwelten aufgrund ihrer Tätigkeitsschwerpunkte durch dieselben sechs RIASEC-Domänen zu beschreiben. Die sechs Interessen- beziehungsweise Umwelt-Domänen und die zugehörigen Tätigkeitspräferenzen beziehungsweise Tätigkeitsschwerpunkte sind in Tab. 1 genauer beschrieben.

Tab. 1 Interessen- bzw. Umwelt-Domänen und Tätigkeitspräferenzen bzw. Tätigkeitsschwerpunkte nach Holland (1997) in Anlehnung an Nagy und Husemann (2010)

Hollands (1997) Theorie beinhaltet auch Aussagen zur Struktur der beruflichen Interessen: So postuliert er ein spezifisches Zusammenhangsmuster zwischen den verschiedenen Interessendomänen. Das sich daraus ergebende Strukturmodell liefert eine Grundlage, um individuelle Interessenprofile und umweltseitige Tätigkeitsprofile auf sparsame Weise zu erfassen (Nagy et al. 2009). Des Weiteren macht Holland (1997) in seiner Theorie Aussagen zu berufsbezogenen Wahlentscheidungen und zum Erleben und Verhalten in berufsbezogenen Umwelten, wofür jeweils das Konzept der Person-Umwelt-Passung, welches im Rahmen der Theorie von Holland (1997) auch mit dem Begriff der Interessenkongruenz umschrieben wird, eine zentrale Rolle spielt.

1.2 Die Circumplextruktur beruflicher Interessen

Nach Holland (1997) stehen die sechs RIASEC-Domänen in unterschiedlicher psychologischer Nähe zueinander. Diese Ähnlichkeitsbeziehungen können in Anlehnung an die sogenannte Calculus-Hypothese anhand eines Hexagons dargestellt werden: Domänen, die einander sehr ähneln (z. B. praktisch-technische (R) und intellektuell-forschende (I) Domäne), sind dabei auf dem Hexagon direkt benachbart. Je unähnlicher sich zwei Domänen sind, desto weiter liegen sie auf dem Hexagon auseinander (maximale Distanz z. B. zwischen A und C). Eine graphische Veranschaulichung eines ebenmäßigen Interessenhexagons findet sich in Abb. 1. Darin wird auch die in der Interessentheorie von Holland (1997) postulierte Abfolge der Interessen ersichtlich, aus der sich die Bezeichnung RIASEC ableitet.

Abb. 1
figure 1

Circumplexdarstellung der beruflichen Interessen zweier Personen sowie zweier beruflicher Umwelten mit den Prediger-Achsen „Personen vs. Dinge“ und „Ideen vs. Daten“ (Prediger 1982)

Abb. 1 beinhaltet eine alternative Darstellung der Ähnlichkeitsbeziehungen mittels einer kreisförmigen Circumplexstruktur (Guttman 1954), bei der die RIASEC-Domänen auf einem Kreis lokalisiert sind. Den sechs Domänen können zusätzlich angulare Winkelpositionen zugeordnet werden (beispielsweise beginnend bei R = 0°, fortlaufend gegen den Uhrzeigersinn in 60°-Schritten). Die graphische Darstellung eines Circumplex erfolgt mittels eines Koordinatensystems, das die Positionen der Domänen als Koordinatenwerte ausweist. Für die beruflichen Interessen haben sich hierfür die von Prediger (1982) vorgeschlagenen Koordinatenachsen mit den Polen „Personen vs. Dinge“ und „Daten vs. Ideen“ etabliert (Abb. 1). Dabei spiegelt die Lokalisation eines Interessenbereichs im Koordinatensystem das „Mischungsverhältnis“ der durch die Achsen repräsentierten bipolaren Eigenschaften wider. So entsprechen im Interessencircumplex die Domänen R und S den Polen „Dinge“ (R) und „Personen“ (S) der Achse „Personen vs. Dinge“, während die Domänen I und E eine Mischung der Pole „Dinge“ und „Ideen“ (I) beziehungsweise der Pole „Personen“ und „Daten“ (E) repräsentieren.

Der Circumplex ermöglicht es, Personen und Umwelten auf einer gemeinsamen Struktur zu verorten (z. B. Nagy 2006). Dazu werden Koordinatengewichte herangezogen, welche die Ausprägungen einer Person oder einer Umwelt auf den bipolaren Achsen „Personen vs. Dinge“ und „Daten vs. Ideen“ quantifizieren (Nagy et al. 2012). Eine Person mit hohen Ausprägungen auf beiden Achsen weist beispielsweise ihre höchsten Interessen im Bereich I und ihre geringsten Interessen im gegenüberliegenden Bereich E auf, während die Ausprägungen auf den übrigen Domänen (R, A, S und C) zwischen diesen Extremwerten liegen. Analog verhält es sich mit den durch eine Umwelt gewährten Tätigkeitsmöglichkeiten.

Abb. 1 beinhaltet die Verortung einer hypothetischen Person X und zweier Umwelten (Pflegeberuf und Ingenieurberuf) auf dem Interessencircumplex. Der Vergleich der Position von Person X mit den Positionen der Umwelten weist aus, inwieweit das Interessenprofil mit den umweltseitigen Tätigkeitsprofilen übereinstimmt: Je näher eine Person und eine Umwelt auf dem Circumplex beieinander liegen, desto höher ist die Interessenkongruenz. Im gegebenen Beispiel weist das Interessenprofil X eine hohe Passung zum Umweltprofil des Pflegeberufs und eine geringe Passung zum Umweltprofil des Ingenieurberufs auf.

Traditionell wird die Interessenkongruenz mithilfe von Kongruenzindizes bestimmt, die die Übereinstimmung der am höchsten ausgeprägten beruflichen Interessenbereiche mit den zentralen Tätigkeitsschwerpunkten erfassen (z. B. Eder 1988). Ein Nachteil dieser Verfahren ist jedoch, dass sie lediglich einen kleinen Teil der verfügbaren Profilinformation verwenden (sog. 3‑Letter-Codes). Ein weiteres Unterscheidungsmerkmal verschiedener Ansätze der Kongruenzbestimmung bezieht sich auf die Quantifizierung der Umwelteigenschaften. In den bisherigen Studien wurden diese entweder auf Grundlage von Einschätzungen der jeweiligen Tätigkeitsmöglichkeiten und Tätigkeitsanforderungen (z. B. Phan und Rounds 2018) oder aufgrund der mittleren Interessenprofile der anderen Personen in den jeweiligen Umwelten ermittelt (z. B. Bai und Liao 2019). Die so gebildeten Kongruenzwerte unterscheiden sich konzeptionell in ihrer Bedeutung voneinander (Passung zur Tätigkeitsstruktur vs. Passung zur sozialen Gruppe), sodass die Entscheidung für die jeweilige Art der Umweltbeschreibung in Abhängigkeit der Fragestellung erfolgen sollte.

Eine alternative Möglichkeit besteht darin, auf die Quantifizierung der Umweltmerkmale zu verzichten und den Kongruenzeffekt aufgrund der Interaktionen der Interessenprofile mit den betrachteten Umwelten zu untersuchen (z. B. Volodina et al. 2015a). Bezugnehmend auf den Interessencirumplex können die betrachteten Outcomes (z. B. Zufriedenheit) auf die individuellen Koordinatengewichte unter Berücksichtigung der Umweltzugehörigkeit regrediert werden, sodass ein Outcome in Abhängigkeit der Gruppe auf dem Circumplex lokalisiert wird. Die entsprechenden Positionen lassen sich durch deren Distanz vom Ursprung des Koordinatensystems (Vektorlänge), sowie durch deren angulare Orientierung beschreiben (z. B. Nagy et al. 2019). Die Vektorlänge ist ein Maß für die Stärke des Effekts, während die angulare Orientierung die individuellen Interessenorientierungen ausweist, für die die höchsten Ausprägungen auf der Outcomevariable erwartet werden. Als Beispiel für diesen Ansatz kann Abb. 1 herangezogen werden. Werden die Positionen der Umweltprofile durch ein Outcome (z. B. Zufriedenheit) ersetzt, gibt die angulare Orientierung der Zufriedenheit die Interessenorientierung an, bei der in der Gruppe der Ingenieurinnen und Ingenieure (ca. 0° bzw. R) und der Pflegemitarbeiterinnen und -mitarbeiter (ca. 180° bzw. S) die höchste Zufriedenheit erwartet wird. Die indirekte Evaluation des Kongruenzeffekts ohne Kongruenzindizes hat eine Reihe von Vorteilen: (1) Sie berücksichtigt das volle Interessenprofil, (2) sie vermeidet Annahmen, die bei der Verrechnung von Personen- und Umweltmerkmalen notwendig sind (Edwards 1994) und (3) sie vermeidet die Festlegung auf spezifische Umweltaspekte (Tätigkeiten vs. soziale Komposition). Die Ergebnisse können dennoch herangezogen werden, um die Bedeutung der Passung zur Tätigkeitsstruktur und zur dominierenden Interessenorientierung der Gruppen zu erkunden.

Die Interessenstruktur gilt ab dem Jugendalter als gut validiert (Tracey und Rounds 1993; Tracey und Ward 1998; Xu und Tracey 2016) und konnte auch für den deutschen Sprachraum nachgewiesen werden (Nagy und Husemann 2010; Nagy et al. 2010, 2012; Volodina et al. 2015b). Nagy (2006) konnte zudem zeigen, dass die von Hochschulstudierenden wahrgenommen Tätigkeitsmöglichkeiten im Studium ebenso eine Circumplexstruktur aufweisen, die invariant zu deren Interessenstruktur ausfiel. Ebenso konnte gezeigt werden, dass die Ähnlichkeitsstruktur von Berufen eine gute Entsprechung zum RIASEC-Circumplex aufweist (Armstrong et al. 2004).

1.3 Die Bedeutung der Interessenkongruenz

Ein zentrales Ziel bei berufsbezogenen Wahlentscheidungen besteht nach Holland (1997) darin, maximale Interessenkongruenz herzustellen. Zudem beeinflusse das Niveau der Interessenkongruenz, das mit dem Übertritt in eine berufsbezogene Umwelt erreicht wird, die individuelle Zufriedenheit, die Tendenz, im entsprechenden Beruf(sfeld) zu bleiben (Laufbahnstabilität), sowie die Leistung in berufsbezogenen Kontexten. Demnach stellt die Interessenkongruenz weitgehend eine Funktion berufsbezogener Übergänge dar, die kaum durch kontextuelle Sozialisationserfahrungen verändert wird. Befunde zur hohen zeitlichen Stabilität und Änderungsresistenz beruflicher Interessen stützen diese Sichtweise (Low et al. 2005; Nagy und Husemann 2010; Xu und Tracey 2016; Etzel und Nagy 2021).

Die Bedeutung beruflicher Interessen für Wahlentscheidungen wurde vielfach belegt. Studien, die sich tatsächlichen Berufsübergängen widmeten, liefern Belege, dass berufliche Interessen gegenüber anderen Merkmalen (z. B. Geschlecht, Schulnoten) eine weit höhere Vorhersagekraft aufweisen (z. B. Humphreys und Yao 2002; Nagy 2006; Tracey und Hopkins 2001; Volodina und Nagy 2016). Zudem gibt es Hinweise, dass die beruflichen Interessen auch bereits im vorberuflichen schulischen Kontext für die Wahl eines Oberstufenprofils oder eines beruflichen Gymnasialzweiges prädiktiv sind (Nagy et al. 2012; Nagy und Husemann 2010; Volodina et al. 2015b), wobei hier neben den beruflichen Interessen andere Prädiktoren eine größere Rolle zu spielen scheinen als im nachschulischen Kontext (Nagy et al. 2012; Volodina et al. 2015b). Insgesamt unterstützen die vorliegenden Befunde die These, dass sich die Vorhersageleistung beruflicher Interessenprofile für berufsbezogene Wahlen aus dem Motiv der Maximierung der Interessenkongruenz speist, wobei diesem Motiv bei Wahlen mit konkretem Berufsbezug (z. B. Ausbildungsplatz- und Studienfachwahlen) eine größere Bedeutung zuzukommen scheint.

Nach Holland (1997) wirkt sich die Interessenkongruenz förderlich auf die Leistung, die Zufriedenheit und die Laufbahnstabilität aus. Diese Kongruenzhypothese wurde in einer Vielzahl von Studien untersucht, wobei nahezu alle Untersuchungen in späteren Phasen der beruflichen Entwicklung durchgeführt wurden (Ausbildung, Studium und Berufsleben). In älteren Meta-Analysen zeigten sich zunächst nur eher schwache Effekte auf die Zufriedenheit, wobei die entsprechenden Studien größtenteils auf Kongruenzindizes basierten, die nicht die vollständige Profilinformation berücksichtigten (Assouline und Meir 1987; Tranberg et al. 1993; Tsabari et al. 2005). Neuere Studien, in denen die Interessenkongruenz über Profilkorrelationen ermittelt wurde, fanden hingegen deutlich größere Effekte auf die Zufriedenheit (z. B. Bai und Liao 2019; Etzel und Nagy 2021). So zeigt sich für die späteren Berufsphasen, dass eine geringe Interessenkongruenz die Arbeits- und die Ausbildungszufriedenheit senkt (Nagy 2006; Volodina et al. 2015a). Ebenfalls nachgewiesen werden konnte der Kongruenzeffekt auf die Laufbahnstabilität, in dem Sinne, dass eine geringe Kongruenz das Risiko des Ausscheidens aus dem eingeschlagenen Karriereweg erhöht (Allen und Robbins 2008; Assouline und Meir 1987; Volodina et al. 2015a) beziehungsweise dazu motiviert, in ein besser passendes berufliches Umfeld zu wechseln (Donohue 2006). Bezogen auf die Leistung lieferten aktuelle Meta-Analysen einen statistisch signifikanten Kongruenzeffekt (Nye et al. 2012, 2017), der sich in dieser Form aber nicht in aktuelleren, großen und profilbasierten Studien findet (z. B. Allen und Robbins 2010).

Inwieweit diese Zusammenhänge auch für die dem tertiären Bildungssystem vorgeschalteten berufsbezogenen Bildungsphasen gelten, wurde noch nicht genauer untersucht. Aufgrund der vorliegenden Befunde ist die Untersuchung des Kongruenzeffekts auf die Zufriedenheit zentral, da sich der Effekt auf die Leistung als wenig robust erwiesen hat und Schulabbrüche beziehungsweise Schulformwechsel in späten Phasen der Sekundarstufe II kaum vorkommen.

1.4 Korrelate beruflicher Interessen

Neben beruflichen Interessen beeinflussen auch weitere Konstrukte das Erleben und Verhalten. Von besonderer Relevanz sind hierbei relativ zeitstabile Merkmale, die sowohl mit den beruflichen Interessen als auch mit der schulischen Zufriedenheit assoziiert sind, da diese Alternativerklärungen für die Effekte interessenkongruenter beziehungsweise -inkongruenter Wahlentscheidungen liefern. Die Forschung zu Korrelaten beruflicher Interessen weist diesbezüglich auf drei Personenmerkmale hin: Allgemeine Persönlichkeitsmerkmale, welche üblicherweise durch die sogenannten „Big Five“-Persönlichkeitsdispositionen (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit, Verträglichkeit und Gewissenhaftigkeit) beschrieben werden (Costa und McCrae 1992), die kognitive Grundfähigkeit, welche die Fähigkeit im Umgang mit komplexen Aufgaben beschreibt (Spearman 1904), sowie das Geschlecht.

In verschiedenen Meta-Analysen konnten für alle drei Merkmale Zusammenhänge mit den beruflichen Interessen nachgewiesen werden: So zeigten sich bedeutsame Korrelationen zwischen einigen Persönlichkeitsdispositionen und einzelnen RIASEC-Domänen (Extraversion mit E und S, Offenheit mit A und I, Gewissenhaftigkeit mit C; Barrick et al. 2003; Hoff et al. 2019; Larson et al. 2002; Mount et al. 2005). In einer aktuellen Meta-Analyse wurden schwächere Zusammenhänge zwischen beruflichen Interessen und Big Five ermittelt (Hurtado Rúa et al. 2019), wobei dieses Ergebnis eventuell darauf zurückgeführt werden könnte, dass diese Meta-Analyse auch Studien umfasst, in denen die beruflichen Interessen aufgrund von Berufsklassifikationen erfasst wurden. Für die kognitive Grundfähigkeit zeigten sich positive Korrelationen mit den Interessendomänen R und I und eine negative Assoziation mit S (Achse „Personen vs. Dinge“; Päßler et al. 2015). Bezüglich Unterschieden in den beruflichen Interessen zwischen Frauen und Männern zeigte sich eine große Effektstärke auf der Dinge-Personen-Achse. Demnach bevorzugen Männer Tätigkeiten mit Dingen (R- und I), während Frauen vorzugsweise Tätigkeiten mit Personen ausüben (A und S) (Su et al. 2009).

Auch potenzielle Zusammenhänge der drei Personenmerkmale mit der Zufriedenheit in akademischen und beruflichen Kontexten wurden bereits empirisch untersucht (Judge et al. 1999). Dabei erwiesen sich die Big-Five-Dispositionen als bedeutsam mit der Zufriedenheit in der Anfangsphase der beruflichen Erstausbildung sowie mit der Studienzufriedenheit assoziiert (Trapmann et al. 2007; Volodina et al. 2015a). Für die kognitive Grundfähigkeit konnte bisher kein Zusammenhang mit der Zufriedenheit in berufsbezogenen Kontexten nachgewiesen werden (Gonzalez-Mulé et al. 2017; Salgado und Moscoso 2019; Volodina et al. 2015a), wobei Zusammenhänge in der gymnasialen Oberstufe noch nicht untersucht wurden. Studien zu Geschlechterunterschieden ergaben wiederum, dass weibliche Personen eine etwas höhere Schul- und Berufszufriedenheit aufzuweisen scheinen als männliche Personen (Grönlund und Öun 2018; Hägglund und Lörz 2020; Hauret und Williams 2017; Perugini und Vladisavljević 2019). Die Ergebnisse von Volodina et al. (2015a) indizieren, dass in der beruflichen Erstausbildung der Kongruenzeffekt beruflicher Interessen robust gegenüber konkurrierenden Einflüssen von Persönlichkeitsdispositionen und kognitiven Grundfähigkeiten ist, wobei unklar ist, inwieweit sich dieser Befund auf die gymnasiale Oberstufe übertragen lässt.

1.5 Die vorliegende Studie

Die vorliegende Studie untersucht Zusammenhänge der beruflichen Interessenprofile von Schülerinnen und Schülern der gymnasialen Oberstufe mit der Schulzufriedenheit. Konkret widmen wir uns dem Kongruenzeffekt und dessen Robustheit gegenüber Einflüssen des Geschlechts, von Persönlichkeitsdispositionen und der kognitiven Grundfähigkeit. Wir wenden uns mit der Sekundarstufe II einer Phase zu, die in diesem Zusammenhang bisher kaum beforscht wurde, aber umfangreiche Möglichkeiten bietet, berufsfeldbezogene Erfahrungen zu sammeln und berufliche Karrieren einzuleiten. Diese Forschungslücke zu schließen ist von Relevanz. Die berufliche Oberstufe wurde nicht zuletzt mit dem Ziel gegründet, die Schülerinnen und Schüler auf spezifische Berufsfelder vorzubereiten und ihnen die Möglichkeit zu gewähren, ihre Interessen zu erproben (z. B. Brauckmann und Neumann 2004; Neumann 2009). Dieser Perspektive folgend würde der Nachweis des Kongruenzeffekts auf die schulische Zufriedenheit ein wichtiges Indiz für den Erfolg einer zentralen Zielstellung der beruflichen Oberstufe liefern. Schülerinnen und Schüler, deren Interessenprofile eine gute Passung zum in der Oberstufe gewählten Berufsfeld aufweisen, werden in ihrer Entscheidung für das Berufsfeld gestärkt, während diejenigen mit einer geringen Interessenkongruenz zu einer besser passenden Neuorientierung angeregt werden (z. B. Donohue 2006).

1.5.1 Berufliche Gymnasien und ihre inhaltlichen Schwerpunkte

An beruflichen Gymnasien können Schülerinnen und Schüler vor dem Eintritt in die Berufswelt berufsbezogene Schwerpunkte setzen. Neben schulformübergreifenden allgemeinbildenden Fächern werden jeweils weitere Fächer unterrichtet, die der inhaltlichen Ausrichtung des beruflichen Gymnasiums entsprechen. Dabei gilt, dass die mit der Wahl eines beruflichen Gymnasialzweigs verbundenen Schwerpunktsetzungen mit vergleichsweise geringen individuellen Kosten reversibel sind, da berufliche Oberstufen den Erwerb der allgemeinen Hochschulzugangsberechtigung ermöglichen. Die Offenheit beruflicher Oberstufen ist eine notwendige Voraussetzung für die Erfüllung der Zielsetzung, den Schülerinnen und Schülern die Möglichkeit zu gewähren, ihre Interessen zu erproben und somit ihre Einmündung in das tertiäre Bildungssystem, in dem Kurskorrekturen (z. B. Studienfachwechsel) höhere individuelle Kosten implizieren, zu optimieren (Köller et al. 2004). Insofern berufliche Gymnasien diese Funktion erfüllen, sollten sich in diesem Kontext zentrale Vorhersagen der Berufswahltheorie von Holland (1997) bestätigen. Demnach sollte eine höhere Interessenkongruenz mit einer positiveren Bewertung des Schulkontextes einhergehen, während eine geringe Kongruenz eine negativere Bewertung des Kontextes nach sich ziehen sollte.

In der vorliegenden Studie betrachten wir das Bundesland Baden-Württemberg, da hier der Weg zum Abitur über die beruflichen Gymnasien besonders stark ausgebaut ist (Neumann 2009): Schülerinnen und Schüler können hier zwischen sechs verschiedenen Richtungen wählen (Agrarwissenschaft, Biotechnologie, Ernährungswissenschaft, Sozialpädagogik, Technik, Wirtschaftswissenschaft), deren Schwerpunkte beziehungsweise Profilfächer in Tab. 2 dargestellt sind (Ministerium für Kultus, Jugend und Sport Baden-Württemberg 2021).

Tab. 2 Berufliche Gymnasialzweige und deren Schwerpunkte sowie erwartete Verortung der Regressionseffekte auf die Schulzufriedenheit auf dem Interessencircumplex

Auf Grundlage der Profilfächer wurden in Anlehnung an gängige Berufsregister (Bergmann und Eder 2005; Jörin et al. 2003) die an den beruflichen Gymnasialrichtungen vorherrschenden Tätigkeitsschwerpunkte hinsichtlich der RIASEC-Typologie beschrieben. Hierzu wurden die Drei-Buchstaben-Kodes einer exemplarischen Auswahl von Berufen mit einer großen Nähe zu den Profilfächern betrachtet, die die Abfolge der drei am wichtigsten erachteten Tätigkeitsbereiche ausweisen (z. B. BioingenieurIn [IRE], MolekularbiologIn [IRA] und BiophysikerIn [IRC] im Fall des biotechnologischen beruflichen Gymnasiums; vgl. Tab. 2). Basierend auf diesen Kodes wurden Erwartungen über die zwei auf dem Interessencircumplex benachbarten zentralen Anforderungsbereiche eines jeden beruflichen Gymnasialzweigs formuliert (z. B. IR im Fall des biotechnologischen Gymnasiums). Die Beschreibung der Tätigkeitsschwerpunkte hat tentativen Charakter, was sich zum einen aus der nicht immer eindeutigen Zuordnung von Berufen zu beruflichen Gymnasialzweigen und zum anderen aus der nicht perfekten Übereinstimmung der Drei-Buchstaben-Kodes verschiedener Berufsregister ergibt. Die vergebenen Kodes wurden anschließend noch einmal mit den Kodes passender Studiengänge aus entsprechenden Registern überprüft (Bergmann und Eder 1999), wobei sich größtenteils vergleichbare Zuordnungen ergaben. Da zu einigen Studiengängen (z. B. Biotechnologie) in den bisherigen Registern keine Kodierung vorlag, dienten die Klassifizierungen ähnlicher Berufe als finale Grundlage für die Kodierung der Gymnasialzweige.

Die so abgeleiteten Tätigkeitsschwerpunkte der verschiedenen Richtungen des beruflichen Gymnasiums sind anhand des Interessencircumplex in Abb. 3 dargestellt. Dort sind diejenigen Regionen ausgewiesen, die die in Tab. 2 dargestellten Tätigkeitsschwerpunkte umfassen. Beispielsweise liegt der Tätigkeitsschwerpunkt IR innerhalb des Kreissektors, der den Bereich zwischen der Position von I und dem halbem Weg zur Position von R umfasst. Alle Punkte, die sich in diesem Sektor befinden, haben die größte Nähe zu I und die zweigrößte Nähe zu R und können somit als IR klassifiziert werden.

1.5.2 Fragestellungen

Ein Charakteristikum der vorliegenden Studie ist, dass wir auf die Berechnung von Kongruenzindizes verzichten, da diese eine explizite Klassifikation beruflicher Gymnasialzweige anhand des RIASEC-Systems voraussetzen, die allenfalls tentativ zu bewerkstelligen ist (s. oben). Stattdessen untersuchen wir den Kongruenzeffekt, indem wir Unterschiede in den Zusammenhängen der individuellen Koordinatengewichte der Achsen „Personen vs. Dinge“ und „Daten vs. Ideen“ mit der Schulzufriedenheit betrachten. Wir schließen auf das Vorliegen eines Kongruenzeffekts, wenn sich der relative Vorhersagebeitrag der beiden Koordinatengewichte zwischen den Oberstufenzweigen unterscheidet und das Muster der gymnasialzweigspezifischen Regressionsgewichte den vermuteten Tätigkeitsschwerpunkten der Gymnasialzweige (Tab. 2; Abb. 3) entspricht.

Die Auswertung der Daten umfasste folgende Schritte: Im ersten Schritt wurden die mittleren Interessenprofile eines jeden beruflichen Gymnasialzweigs anhand der mittleren individuellen Koordinatengewichte der Personen-Dinge- und der Daten-Ideen-Achse auf dem Circumplex abgetragen (vgl. Abb. 1). Ein Befund, wonach die so konstruierten Profile eine hohe Übereinstimmung mit den beobachteten Mittelwertprofilen aufweisen, indiziert, dass die Koordinatengewichte die wesentliche Information der RIASEC-Skalen an sich binden.

Im zweiten Schritt wurden die individuellen Koordinatengewichte zur Vorhersage der Schulzufriedenheit verwendet. Konkret wurde erwartet, dass die Koordinatengewichte mit Ausnahme des allgemeinbildenden Gymnasiums in allen Oberstufenrichtungen statistisch signifikant mit der Zufriedenheit assoziiert sind (Hypothese 1a). Ebenso wurde erwartet, dass sich die Muster der Zusammenhänge zwischen den Richtungen des beruflichen Gymnasiums signifikant unterscheiden (Hypothese 1b).

Im dritten Schritt wurde die Übereinstimmung der Lokalisation der Outcomebeziehungen mit den inhaltlichen Schwerpunkten der beruflichen Gymnasialzweige evaluiert. Konkret wurde erwartet, dass jeweils diejenigen Schülerinnen und Schüler die höchste Zufriedenheit aufweisen, deren Interessenorientierung in dem Bereich liegt, der an der besuchten Schulform schwerpunktmäßig unterrichtet wird (Hypothese 2; vgl. Tab. 2).

Im letzten Schritt wurde schließlich die Robustheit der ermittelten Effekte gegenüber Kovariaten geprüft. Hier wurde erwartetet, dass die Zusammenhänge der Interessenprofile mit der Schulzufriedenheit auch nach Kontrolle der Big-Five-Dispositionen, der kognitiven Grundfähigkeit sowie des Geschlechts unverändert ausfallen (Hypothese 3).

2 Methode

2.1 Stichprobe

Die vorliegende Studie basiert auf Daten zweier Erhebungen (TOSCA-2002 und TOSCA-2006) der in Baden-Württemberg durchgeführten TOSCA-Studie. Für unsere Analysen wurden die Daten des ersten Messzeitpunktes verwendet (Ende der Sekundarstufe II). Die intendierte Stichprobe in TOSCA-2002 umfasst N = 5897 Schülerinnen und Schüler. In unseren Analysen wurden jedoch ausschließlich die Schülerinnen und Schüler berücksichtigt, die zu mindestens einer der von uns untersuchten Variablen eine Angabe gemacht haben (N = 4724; 54,6 % weiblich). Die intendierte Stichprobe in TOSCA-2006 umfasst N = 6177 Schülerinnen und Schüler, wobei eine randomisierte Zuordnung zu zwei unterschiedlichen Schülerfragebögen vorgenommen wurde und nur eine Version Fragen zur Schulzufriedenheit sowie zu den Big-Five-Dispositionen beinhaltete. Somit reduzierte sich die Stichprobe auf N = 2504 Schülerinnen und Schüler (55,7 % weiblich), die mindestens eine Angabe zu den betrachteten Analysevariablen gemacht haben. Die Verteilung der Gymnasialzweige in der Analysestichprobe ist in Tab. 3 dargestellt. Wie aus Tab. 3 hervorgeht, beinhalten die TOSCA-Teilstudien nur eine geringe Zahl von Schülerinnen und Schülern an einzelnen Richtungen des beruflichen Gymnasiums (z. B. sozialpädagogisches und agrarwissenschaftliches Gymnasium). Da diese kleinen Stichproben keine präzise Schätzung der Effekte ermöglichen, war eine Zusammenlegung der beiden Kohorten sinnvoll, um so eine robustere Schätzung der Effekte zu ermöglichen.

Tab. 3 Verteilung der Schulzweige in der Analysestichprobe

2.2 Messinstrumente

Berufliche Interessen

Die beruflichen Interessen wurden anhand des revidierten Allgemeinen Interessen Strukturtests (AIST‑R; Bergmann und Eder 2005) erhoben. Der AIST‑R besteht aus sechs Skalen, mit der die sechs RIASEC-Domänen nach Holland (1997) erfasst werden. Jede Skala des AIST‑R umfasst 10 Items, die verschiedene berufsbezogene Tätigkeiten beschreiben. Die Schülerinnen und Schüler gaben für jedes dieser Items auf einer Skala von 1 („gar nicht“) bis 5 („sehr“) an, wie sehr sie sich für die jeweilige Tätigkeit interessieren. In Anlehnung an vorherige Studien (Nagy et al. 2010) wurden in der vorliegenden Arbeit insgesamt drei Items aus den Skalen R und I des AIST‑R ausgeschlossen, da diese auf einem zusätzlichen Faktor laden. Die internen Konsistenzen der sechs Skalen lagen in beiden Teilstichproben im Bereich zwischen α = 0,84 und α = 0,91. Frühere Studien erbrachten positive Belege für deren Circumplexstruktur (Nagy et al. 2012; Volodina et al. 2015b) und auch für die von uns untersuchten Stichproben TOSCA-2002 (Nagy et al. 2010) und TOSCA-2006 (Nagy und Husemann 2010) konnte die Circumplexstruktur nachgewiesen werden.

Schulzufriedenheit

Die Schulzufriedenheit, welche sich auf die individuelle Bewertung der Qualität des Schullebens bezieht (Löfstedt et al. 2020), wurde mit vier Items abgefragt („Insgesamt bin ich mit meiner Schule zufrieden“, „Hätte ich nochmals die Wahl, würde ich eher auf eine andere Schule gehen“ (rekodiert), „Es gibt viele Dinge in meiner Schule, die mir nicht gefallen“ (rekodiert), „Ich kann anderen den Besuch meiner Schule sehr empfehlen“), die die Schülerinnen und Schüler auf einer Skala von 1 („trifft überhaupt nicht zu“) bis 4 („trifft völlig zu“) einschätzten. Die Items sind eng an das Instrument von Bos et al. (2016) angelehnt, das sich bereits in anderen Studien bewährt hat (z. B. Nikolov und Dumont 2020). Die Skala hatte eine Reliabilität von α = 0,83 (TOSCA-2002) bzw. von α = 0,84 (TOSCA-2006).

Big-Five-Persönlichkeitsdispositionen

Die Persönlichkeitseigenschaften wurden mit einer deutschen Version (Borkenau und Ostendorf 1991) des NEO-Fünf-Faktoren-Inventars (NEO-FFI; Costa und McCrae 1992) mittels 60 Items gemessen. Diese wurden auf einer leicht veränderten Skala von 1 („trifft überhaupt nicht zu“) bis 4 („trifft völlig zu“) bewertet. Die internen Konsistenzen der fünf Skalen lagen in beiden Teilstichproben zwischen α = 0,70 und α = 0,84.

Kognitive Grundfähigkeit

Die kognitive Grundfähigkeit wurde mit den zwei Untertests „Figurenanalogien“ (25 Items) und „Wortanalogien“ (20 Items) des Kognitiven Fähigkeitstests für 4. bis 12. Klassen, Revision (KFT4–12 + R; Heller und Perleth 2000) erfasst. Aus den Items wurde ein Gesamttestwert gebildet (α = 0,74 bzw. α = 0,75), der eine enge Entsprechung zum Konzept der fluiden Intelligenz aufweist (Baumert et al. 2007).

Geschlecht

Informationen zum Geschlecht (männlich/weiblich) der Schülerinnen und Schüler wurden den Schulakten entnommen, wobei fehlende Angaben mit Selbstauskünften ergänzt wurden.

2.3 Statistische Analysen

2.3.1 Fehlende Werte

Der Anteil fehlender Werte lag zwischen 0,26 und 5,78 % je Variable. Die fehlenden Werte wurden mit dem Verfahren der Multiplen Imputation ersetzt (Rubin 1987). Mithilfe des Programms Mplus 7 (Muthén und Muthén 1998–2012) wurden dazu insgesamt 25 vollständige Datensätze erzeugt, wobei das von uns verwendete Imputationsverfahren mögliche Interaktionen zwischen allen Schülermerkmalen und dem besuchten Gymnasialzweig berücksichtigte.

2.3.2 Bestimmung von Koordinatengewichten

Die beruflichen Interessen der Schülerinnen und Schüler wurden als Interessenprofile modelliert. Konkret haben wir auf Grundlage der sechs anhand der Daten des allgemeinbildenden Gymnasiums z-standardisierten RIASEC-Variablen mithilfe eines Ansatzes nach Gurtman (2009) für jede Person drei Koeffizienten berechnet: Einen Koeffizienten, der das Profilniveau widerspiegelt, sowie zwei weitere Koeffizienten, welche die Position des Interessenprofils im Circumplex anhand der Koordinatengewichte auf den Achsen Personen-Dinge und Daten-Ideen beschreiben. Konkret wurden die drei Koeffizienten wie folgt berechnet.

Das Profilniveau einer Person i (i = 1, 2, …, N), (LE)i, entspricht der mittleren Ausprägung der standardisierten RIASEC Skalenwerte:

$$\left(LE\right)_{i}=\frac{1}{6}\left[R_{i}+I_{i}+A_{i}+S_{i}+E_{i}+C_{i}\right],$$
(1)

während die Koordinatengewichte der Achsen Personen-Dinge PD und Daten-Ideen DI sich aus den Summen der Produkte der Skalenwerte mit dem Kosinus beziehungsweise dem Sinus der theoretischen Circumplexpositionen (Abb. 1) ergeben:

$$\left(PD\right)_{i}=\frac{1}{3}\left[\cos \left(0^{\circ}\right)R_{i}+\cos \left(60^{\circ}\right)I_{i}+\cos \left(120^{\circ}\right)A_{i}+\cos \left(180^{\circ}\right)S_{i}+\cos \left(240^{\circ}\right)E_{i}+\cos \left(300^{\circ}\right)C_{i}\right],$$
(2)
$$\left(DI\right)_{i}=\frac{1}{3}\left[\sin \left(0^{\circ}\right)R_{i}+\sin \left(60^{\circ}\right)I_{i}+\sin \left(120^{\circ}\right)A_{i}+\sin \left(180^{\circ}\right)S_{i}+\sin \left(240^{\circ}\right)E_{i}+\sin \left(300^{\circ}\right)C_{i}\right]$$
(3)

Die Gewichtung der Produkte um den Faktor 1/3 dient der Angleichung der Varianzen der Koordinatengewichte und somit der besseren Interpretierbarkeit der Befunde.

2.3.3 Mehrebenenanalyse

In der vorliegenden Studie lag eine hierarchische Datenstruktur vor (Schülerinnen und Schüler genestet in Schulen). Um die hierarchische Datenstruktur angemessen zu berücksichtigen, wurden die Analysen mittels Mehrebenenregressionen in Mplus 7 (Muthén und Muthén 1998–2012) durchgeführt. In einem ersten Modell wurde die Variabilität der Schulzufriedenheit in einen Individualebenen-Anteil und einen Schulebenen-Anteil zerlegt (M0). In einem zweiten Modell (M1) wurden potenzielle Unterschiede in der Schulzufriedenheit zwischen den Schulformen überprüft, wobei zusätzlich der Prädiktor Interessenniveau auf Schülerebene sowie die Prädiktoren PD und DI berücksichtigt wurden, die die individuellen relativen Präferenzen und Abneigungen gegenüber den verschiedenen berufsrelevanten Tätigkeiten ausweisen. In M1 wurden Cross-Level-Interaktionen zwischen den Regressionsgewichten von PD und DI und den Gymnasialzweigen zugelassen. Signifikante Interaktionseffekte indizieren, dass die Vorhersageleistung der Koordinatengewichte in Abhängigkeit der Schulform variiert und sind somit eine Voraussetzung für die Interpretation der Zusammenhänge im Sinne eines Kongruenzeffekts. Um diese Interpretation zu stützen, wurden die ermittelten Zusammenhänge graphisch dargestellt (vgl. Abb. 3) und die ermittelten Muster mit den erwarteten gymnasialzweigspezifischen Anforderungen (Tab. 2) verglichen.

Die nachfolgenden Modelle dienten der Evaluation der Robustheit der in M1 ermittelten Zusammenhänge. Im Modell M2 wurden die weiteren Individualvariablen (Geschlecht, Kognitive Grundfähigkeit und Persönlichkeitsvariablen) als Prädiktoren auf der Schülerebene hinzugenommen, um die Frage zu klären, inwieweit diese Variablen zur Vorhersage der Schulzufriedenheit beitragen und inwieweit sich die in M1 ermittelten Effekte nach Kontrolle der weiteren Variablen verändern. Um weitere mögliche Cross-Level-Interaktionen zu evaluieren, wurden weitere Modelle spezifiziert, in denen diese Effekte für die unterschiedlichen Merkmalsbereiche zugelassen wurden (M3: Geschlecht, M4: Interessenniveau, M5: Kognitive Grundfähigkeiten und M6: Persönlichkeitsvariablen). Cross-Level-Interaktionen wurden beibehalten, wenn sie zu einer Verbesserung der Datenanpassung führten.

Zur Evaluation der Modelle wurden die Informationskriterien Akaike-Information-Criterion (AIC; Akaike 1974), Bayesian-Information-Criterion (BIC; Schwarz 1978) und das um die Stichprobengröße adjustierte (sample-size-adjusted) Bayesian-Information-Criterion (SBIC bzw. SABIC; Sclove 1987) herangezogen.

3 Ergebnisse

3.1 Interessenprofile nach Gymnasialzweigen

Tab. 4 fasst die mittleren Koordinatengewichte der verschiedenen Gymnasialzweige zusammen. Da das allgemeinbildende Gymnasium als Referenzgruppe diente, sind ausschließlich die Werte der beruflichen Gymnasialzweige dargestellt. Das Profilniveau unterschied sich in keiner Gruppe signifikant von null, wohingegen die Mittelwerte der Koordinatengewichte Personen-Dinge und Daten-Ideen den Erwartungen entsprachen.

Tab. 4 Mittelwerte der Interessenparameter an den beruflichen Gymnasialzweigen (Standardfehler in Klammern)

In Abb. 2 sind die Ergebnisse zu den mittleren Koordinatengewichten im Interessencircumplex dargestellt (die mittleren Koordinatengewichte lassen sich in gleicher Weise wie einzelne Personen oder Umwelten im Circumplex verorten; vgl. Abb. 1). Da die Daten am allgemeinbildenden Gymnasium zentriert wurden, liegt dessen Profil im Zentrum. Das mittlere Interessenprofil am sozialpädagogischen Gymnasium weist eine deutliche Orientierung hin zum Personen-Pol auf, während Schülerinnen und Schüler am technischen Gymnasium im Mittel an dingebezogenen Tätigkeiten interessiert sind. Am wirtschaftlichen Gymnasium zeigt sich eine Interessenorientierung hin zum Daten-Pol, wohingegen die mittleren Interessenprofile am haus- und ernährungswissenschaftlichen, agrarwissenschaftlichen und biotechnologischen Gymnasium zum Ideen-Pol verschoben sind. Die Abbildung bietet darüber hinaus eine alternative Darstellung der mittleren Interessenprofile, in welcher die aufgrund der Koordinatengewichte vorhergesagten Profile gemeinsam mit den beobachteten Mittelwerten dargestellt sind. Es zeigt sich, dass die vorhergesagten Profile die beobachteten Profile gut abbilden. Diese Befunde können als Valdititätshinweis für den gewählten Circumplex-Analyseansatz angesehen werden.

Abb. 2
figure 2

Darstellung der mittleren Interessenprofile an den verschiedenen Schulzweigen im Circumplex sowie alternative Darstellung der reproduzierten mittleren Interessenprofile (Linie) und der beobachteten mittleren Interessenprofile (Punkte). (AGY allgemeinbildendes Gymnasium, WGY wirtschaftliches berufliches Gymnasium, TGY technisches berufliches Gymnasium, AGR agrarwissenschaftliches berufliches Gymnasium, EGY haus- und ernährungswissenschaftliches Gymnasium, SGY sozialpädagogisches berufliches Gymnasium, BTG biotechnologisches berufliches Gymnasium, R praktisch-technisch, I intellektuell-forschend, A künstlerisch-sprachlich, S sozial, E unternehmerisch, C ordnend-verwaltend, r Produkt-Moment-Korrelation zwischen beobachteten und reproduzierten Mittelwerten)

3.2 Evaluation der Kongruenzhypothese

Die Passungsgüte der Mehrebenenmodelle ist in Tab. 5 dargestellt. Beginnend bei Modell 0 zeigen der AIC sowie der BIC bis zu Modell M2 eine stetige Verbesserung. Die nachfolgenden Modelle M3 bis M6 untersuchten Cross-Level-Interaktionen der in M2 neu hinzugefügten Individualmerkmale. In Modell M3 verbesserten sich der AIC und der SBIC, wobei aber im BIC eine leichte Zunahme (Verschlechterung) beobachtet wurde. Die nachfolgenden Modelle M4 bis M6 führten nicht zu einer Verbesserung der Passungsgüte gegenüber Modell M3. Lediglich in Modell M6 zeigte sich eine Verbesserung im AIC, welcher jedoch gegenüber M3 von einem deutlichen Anstieg im BIC und SBIC begleitet wurde. Da wir keine Hypothesen über variierende Effekte und Cross-Level-Interaktionen der Big-Five-Dimensionen ableiten konnten, war es bei der Entscheidung für und wider M3 sinnvoll, den BIC und den SBIC stärker zu gewichten, da diese Informationskriterien stärker für hohe Modellkomplexität durch schwer interpretierbare Parameter kontrollieren. Von daher wurde das Modell M3 als finales Modell beibehalten.

Tab. 5 Anpassungsgüte der verschiedenen Mehrebenenmodelle (das favorisierte Modell M3 ist kursiv hervorgehoben)

In Modell 0 zeigte sich für die Schulzufriedenheit eine Varianz innerhalb Schulen von \({\hat{\sigma }}_{W}^{2}\) = 0,97 und eine Varianz zwischen Schulen von \({\hat{\sigma }}_{B}^{2}\) = 0,13, woraus sich eine ICC = 0,12 ergab, was bedeutet, dass 12 % der Variation in der Schulzufriedenheit auf Unterschiede zwischen Schulen zurückzuführen sind. In Modell 1 zeigte sich, dass sich die Schulzufriedenheit zwischen den gymnasialen Oberstufenrichtungen unterschied und am wirtschaftlichen, haus- und ernährungswissenschaftlichen und technischen Gymnasium am niedrigsten und am agrarwissenschaftlichen Gymnasium am höchsten ausfiel (Tab. 6). Der signifikante Effekt des Interessenniveaus deutet darauf hin, dass tendenziell höhere durchschnittliche Interessenausprägungen mit einer größeren Schulzufriedenheit einhergehen, wobei die Größe dieses Effekts relativ gering ausfiel. Hinsichtlich der Effekte der Koordinatengewichte zeigten sich folgende Befunde, die in Tab. 6 abgetragen sind: Die Effekte beider Koordinatengewichte waren im allgemeinbildenden Gymnasium nahe null und nicht signifikant. Wie die signifikanten Cross-Level-Interaktionen auswiesen, fielen diese Effekte in den beruflichen Gymnasialzweigen im Gegensatz dazu sehr unterschiedlich aus. Erwartungsgemäß zeigte sich, dass die Effekte der Personen-Dinge-Achse im wirtschaftlichen, technischen, haus- und ernährungswissenschaftlichen und biotechnologischen Gymnasium signifikant höher und im sozialpädagogischen Gymnasium signifikant niedriger ausfielen als im allgemeinbildenden Gymnasium. Die Effekte der Daten-Ideen-Achse waren wiederum im wirtschaftlichen Gymnasium signifikant geringer und im sozialpädagogischen Gymnasium signifikant höher als im allgemeinbildenden Gymnasium.

Tab. 6 Regressionskoeffizienten der Multilevelmodelle M1 und M3

Die in Tab. 6 dargestellten Effekte der Koordinatengewichte an den verschiedenen Gymnasialzweigen sind dabei stets in Relation zum allgemeinbildenden Gymnasium zu interpretieren. Um Aufschluss über die absoluten Effekte an den einzelnen Schulformen zu erlangen, müssen sogenannte marginale Effekte als Summe der Haupteffekte und der Interaktionseffekte berechnet werden. Tab. 7 umfasst die marginalen Effekte der Personen-Dinge- und der Daten-Ideen-Achse, die aufgrund der Ergebnisse des Modells M1 berechnet wurden. Die marginalen Effekte kodieren die Interessenschwerpunkte, für die die höchste Schulzufriedenheit erwartet wurde, sowie die Stärke dieser Effekte. Beispielsweise indizieren die Effekte der Koordinatenachsen im wirtschaftswissenschaftlichen Gymnasium, dass höhere Ausprägungen hin zum Dinge- und zum Daten-Pol mit einer höheren Zufriedenheit einhergingen. Das Muster impliziert, dass in dieser beruflichen Gymnasialrichtung Schülerinnen und Schüler, deren Interessenschwerpunkte im Sektor CE angesiedelt waren, im Mittel die höchste Zufriedenheit aufwiesen. Die genaue angulare Orientierung (d. h. die Position im Circumplex; vgl. Abb. 1) ist als Winkelmaß ausgewiesen (ORI = 290,5°), während die Stärke des Effekts durch die Distanz (d. h. Vektorlänge) des durch die Regressionskoeffizienten beschriebenen Punktes auf dem Circumplex ausgewiesen wurde (VL = 0,514). Tab. 7 umfasst für jede zusammengefasste Effektstärke einen p-Wert, der mittels eines Wald‑χ2 Tests mit zwei Freiheitsgraden bestimmt wurde.

Tab. 7 Marginale Effekte von PD und DI nach Gymnasialzweig. Ergebnisse ohne (M1) und mit Kontrolle von Kovariaten (M3)

Um auf das Vorliegen des Kongruenzeffekts schließen zu können, sollten die zusammengefassten marginalen Effekte der Koordinatenachsen statistisch signifikant ausfallen (p-Werte der VL-Effekte in Tab. 7) und die Muster der Effekte der Koordinatenachsen auf die Zufriedenheit sollten jeweils mit den inhaltlichen Schwerpunkten der Schulformen korrespondieren (Tab. 2 und ORI-Parameter in Tab. 7). Wie aus Tab. 7 ersichtlich wird, fielen alle marginalen Effekte in den beruflichen Gymnasialzweigen statistisch signifikant aus und deren angulare Orientierungen entsprachen den von uns formulierten Erwartungen. Die Effekte können in gleicher Weise wie Personen- und Tätigkeitsprofile (vgl. Abb. 1) im Interessencircumplex dargestellt werden. Dies ermöglicht es zu veranschaulichen, bei welcher Interessenorientierung maximale Schulzufriedenheit gegeben ist (je geringer die Distanz einer Person zum berechneten Effekt, desto höher ihre Zufriedenheit) bzw. wie stark ein Effekt ist (je weiter die Distanz zum Nullpunkt, desto stärker der Effekt). Eine graphische Visualisierung der marginalen Effekte findet sich in Abb. 3. So lagen die Effekte im haus- und ernährungswissenschaftlichen Gymnasium sowie im agrarwissenschaftlichen Gymnasium erwartungsgemäß im Sektor IR. Auch der Effekt im wirtschaftlichen Gymnasium fand sich wie angenommen im Sektor CE wieder. Die Effekte im sozialpädagogischen (AS anstelle von SA), biotechnologischen und technischen Gymnasium (jeweils RI anstelle von IR) verfehlen wiederum die ihnen zugewiesenen Kreissektoren knapp, wobei hier erwähnt sei, dass die Sektoren lediglich als eine Orientierungshilfe dienen und kleinere Abweichungen davon – auch aufgrund der zum Teil geringen Stichprobengrößen – dennoch im Sinne des Kongruenzeffekts interpretiert werden können.

Abb. 3
figure 3

Marginale Effekte aus M1 (schwarz) und M3 (grau). (AGY allgemeinbildendes Gymnasium, WGY wirtschaftliches berufliches Gymnasium, TGY technisches berufliches Gymnasium, AGR agrarwissenschaftliches berufliches Gymnasium, EGY haus- und ernährungswissenschaftliches Gymnasium, SGY sozialpädagogisches berufliches Gymnasium, BTG biotechnologisches berufliches Gymnasium, R praktisch-technisch, I intellektuell-forschend, A künstlerisch-sprachlich, S sozial, E unternehmerisch, C ordnend-verwaltend)

Tab. 6 stellt auch die Ergebnisse aus Modell M3 dar, das die Effekte aller Individualvariablen sowie Cross-Level-Effekte des Geschlechts mit den Gymnasialzweigen umfasst. Hier zeigte sich, dass höhere Ausprägungen in der kognitiven Grundfähigkeit, in Gewissenhaftigkeit und in Verträglichkeit mit einer höheren Schulzufriedenheit einhergingen. Höhere Neurotizismus-Werte waren hingegen mit einer geringeren Schulzufriedenheit assoziiert. Die Haupteffekte des Geschlechts sowie der beiden Achsen in Modell 3 beziehen sich auf das allgemeinbildende Gymnasium. Der signifikante Haupteffekt des Geschlechts indizierte eine höhere Schulzufriedenheit bei Mädchen im Vergleich zu Jungen am allgemeinbildenden Gymnasium. Die Geschlechtereffekte variierten in Abhängigkeit des Gymnasialzweigs, wobei am technischen Gymnasium Mädchen zufriedener waren als Jungen, während am wirtschaftlichen sowie am haus- und ernährungswissenschaftlichen Gymnasium die Jungen eine höhere Schulzufriedenheit aufwiesen (nach Kontrolle der weiteren Individualvariablen). Ein zentraler Befund ist, dass die Cross-Level-Interaktionen der Koordinatengewichte mit den Gymnasialzweigen in Modell M3 gegenüber Modell M1 weitgehend unverändert ausfielen. Dieser Befund indiziert die Robustheit der gymnasialzweigspezifischen Vorhersageleistung der Interessenprofile gegenüber Kovariaten. Diese Einschätzung spiegelt sich auch in den in Tab. 7 und Abb. 3 berichteten marginalen Effekten wider. Nach Kontrolle der Kovariaten verfehlte jedoch der Effekt im agrarwissenschaftlichen Gymnasium das statistische Signifikanzkriterium von p < 0,05 deutlich, während dieses Kriterium im haus- und ernährungswissenschaftlichen Gymnasium knapp verfehlt wurde (p = 0,069). Die Verschiebung der p-Werte war nahezu ausschließlich auf die abnehmende Präzision der Effekte der Koordinatenachsen nach Berücksichtigung der damit korrelierten Kovariaten zurückzuführen und war nicht einer Abnahme der Effektstärken geschuldet.

4 Diskussion

Die vorliegende Studie überprüfte das Vorliegen des Kongruenzeffekts auf die Zufriedenheit von Schülerinnen und Schülern beruflicher Gymnasien. Dieser Effekt wurde in schulischen Kontexten bis dato kaum beziehungsweise lediglich auf Basis von Kongruenzindizes untersucht, welche nicht die gesamte Profilinformation berücksichtigen (z. B. Eder 1988). Unsere Analysen basierten auf einer großen Stichprobe von Schülerinnen und Schülern aus sechs verschiedenen beruflichen Gymnasialzweigen. Die beruflichen Interessen haben wir auf Grundlage eines theoretisch fundierten Auswertungsschemas als Interessenprofile modelliert. Da berufliche Gymnasien den Schülerinnen und Schülern erste berufsbezogene Erfahrungen ermöglichen, sind wir davon ausgegangen, dass sich zentrale Annahmen der Berufswahltheorie von Holland (1997) auf diesen schulischen Kontext übertragen lassen. Für alle beruflichen Gymnasialzweige ergaben sich signifikante Zusammenhänge zwischen beruflichen Interessen und Schulzufriedenheit, wobei diese Zusammenhangsmuster an den verschiedenen Schulzweigen unterschiedlich ausfielen: In Übereinstimmung mit der Kongruenzhypothese zeigte sich, dass die Nähe der individuellen Interessenschwerpunkte zu den Tätigkeitsschwerpunkten (Profilfächer) prädiktiv für die Schulzufriedenheit war. Der Kongruenzeffekt erwies sich auch unter Kontrolle der Big5-Persönlichkeitsdimensionen, der kognitiven Grundfähigkeit sowie des Geschlechts als robust.

Die Effekte der Kovariaten stimmten gut mit den Befunden früherer Studien überein. So erwiesen sich in allen Gymnasialzweigen die kognitive Grundfähigkeit sowie die Persönlichkeitsmerkmale Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit und Neurotizismus als prädiktiv für die Schulzufriedenheit (Trapmann et al. 2007; Volodina et al. 2015a). Diese Befunde indizieren, dass diese Individualmerkmale im Sinne individueller psychologischer Ressourcen verstanden werden können, die unabhängig von der Ausgestaltung der akademischen Umwelt mit dem individuellen Erleben in Verbindung stehen.

Die Geschlechtereffekte variierten (bei gleichzeitiger Berücksichtigung aller Kovariaten) zwischen den Gymnasialzweigen, wobei das Muster der Effekte keine Entsprechung zu den gymnasialzweigspezifischen Geschlechterkompositionen aufwies (Tab. 3). Zusätzliche Analysen ergaben vergleichbare Geschlechtereffekte auch ohne Kontrolle zusätzlicher Kovariaten. Die vorliegende Studie bietet daher keine Erklärung für die gymnasialzweigspezifischen Geschlechterunterschiede in der Schulzufriedenheit.

4.1 Theoretische und praktische Implikationen

Die vorliegende Studie liefert robuste Hinweise für die Kongruenzhypothese in den der formalen beruflichen Spezialisierung vorgeschalteten Bildungsabschnitten. Insgesamt repliziert unsere Studie die zentralen Befunde früherer Untersuchungen, die im Kontext tertiärer Bildungsabschnitte durchgeführt wurden und somit eine größere Nähe zu beruflichen Umwelten aufweisen (Volodina et al. 2015a). Unsere Ergebnisse dokumentieren somit, dass die Effekte der Interessenkongruenz (Holland 1997) nicht auf berufliche Kontexte im engeren Sinn beschränkt sind, sondern sich prinzipiell in Umwelten mit spezifischen Tätigkeitsmöglichkeiten entfalten.

Ein wichtiger Befund ist, dass der Effekt der individuellen Interessenprofile auf die Schulzufriedenheit eine deutlich bessere Entsprechung zu den inhaltlichen Schwerpunkten als zu den mittleren Interessenschwerpunkten der Schülerinnen und Schüler eines Gymnasialzweigs aufwies. Dieser Befund legt nahe, dass der Kongruenzeffekt stärker an die in einem Kontext vorherrschenden Tätigkeitsmöglichkeiten als an die dominierenden Interessenausprägungen aller Personen einer Umwelt geknüpft ist. Dieser Befund stützt die Validität von Laufbahnberatungsangeboten, die sich stärker an objektivierbaren Umweltmerkmalen (Tätigkeiten und Anforderungen) als an kontextabhängigen sozialen Kompositionsmerkmalen orientieren (s. unten).

Unsere Befunde stützen die berufsfeldvorbereitende Funktion beruflicher Oberstufen, wonach berufliche Gymnasien die Möglichkeit bieten sollen, berufliche Interessen zu erproben, um beim Übertritt in den tertiären Bildungsbereich gegebenenfalls Kurskorrekturen vornehmen zu können. Unsere Studie zeigt zudem ebenso wie vorherige Studien, dass die mittleren Interessenprofile zumeist gut zu den Tätigkeitsschwerpunkten der besuchten Schulformen passen (Nagy et al. 2012; Nagy und Husemann 2010; Volodina et al. 2015b). Schülerinnen und Schüler scheinen bei schulischen Wahlen also eine hohe Kongruenz anzustreben und diese häufig auch zu erreichen. Dennoch scheinen an verschiedenen Richtungen der beruflichen Oberstufe systematische Diskrepanzen zwischen den typischen Interessenprofilen der Schülerschaft und den Tätigkeitsschwerpunkten der Schulen zu bestehen. Besonders auffällig war die Diskrepanz im Falle des ernährungswissenschaftlichen Gymnasiums, fand sich aber in abgeschwächter Form auch im wirtschaftswissenschaftlichen, technischen und biotechnologischen Gymnasium (Abb. 2 und 3). Diese Befunde könnten darauf hinweisen, dass ein substantieller Anteil der Schülerinnen und Schüler die Anforderungen dieser beruflichen Gymnasialzweige falsch eingeschätzt hat oder die Entscheidung stärker an andere Entscheidungskalküle gekoppelt hat (z. B. Verbesserung der Berufschancen). Ein Teil dieser Schülerinnen und Schüler könnte vom Besuch eines besser zu ihren Interessen passenden Gymnasialzweigs profitieren. Eine alternative Erklärung ist, dass die entsprechenden Schülerinnen und Schüler die Diskrepanz zwischen Tätigkeitsschwerpunkten und Interessen aufgrund mangelnder Alternativen in Kauf genommen haben (z. B. Volodina et al. 2015b). Beispielswiese erscheint das wirtschaftswissenschaftliche Gymnasium trotz der dominanten Anforderungen im Bereich C als die beste verfügbare Option für Schülerinnen und Schüler mit einem Interessenschwerpunkt im Bereich E.

Unabhängig davon legen unsere Befunde nahe, dass viele Schülerinnen und Schüler von einer Beratung beim Übertritt in die Sekundarstufe II profitieren könnten. Passende Beratungsangebote sollten die Interessenkongruenz fördern, indem die Schülerinnen und Schüler ihre eigenen Interessen sowie die spezifischen Anforderungen der verschiedenen beruflichen Gymnasialzweige genauer einzuschätzen lernen. Derartige Beratungsangebote haben sich bereits für den beruflichen Kontext als effektiv erwiesen (Whiston et al. 2017), sodass wir aufgrund unserer Befunde ähnliches für die schulische Laufbahn erwarten.

4.2 Zukünftige Forschung

In der vorliegenden Studie wurden die beruflichen Interessen zum Ende der Sekundarstufe II abgefragt. Dabei sind wir davon ausgegangen, dass sich die Interessenprofile im Verlaufe der Oberstufe nicht bedeutsam verändert haben und somit noch weitgehend identisch zu den Interessenprofilen zum Zeitpunkt der Oberstufenwahlen sind (Etzel und Nagy 2021; Low et al. 2005; Nagy und Husemann 2010; Xu und Tracey 2016). Nicht auszuschließen bleibt allerdings, dass sich die Interessenprofile in Abhängigkeit der besuchten Gymnasialzweige entwickelt haben. Im Prinzip könnten die ermittelten Zusammenhänge der Interessenprofile und der Schulzufriedenheit eine Folge einer konstant hohen oder niedrigen Zufriedenheit sein (z. B. unzufriedene Schülerinnen und Schüler entwickeln von den Tätigkeitsschwerpunkten abweichende Interessenprofile). Obwohl aufgrund der querschnittlichen Anlage der Studie ein solches Szenario nicht vollständig auszuschließen ist, erscheint es nicht realistisch. So wurde gezeigt, dass die mittleren Interessenprofile von Aspirantinnen und Aspiranten und Absolventinnen und Absolventen verschiedener beruflicher Gymnasialzweige weitgehend identisch sind (Nagy und Husemann 2010). Ebenso konnte im Kontext der beruflichen Erstausbildung gezeigt werden, dass die individuellen Interessenprofile über den Verlauf der Ausbildung eine hohe intraindividuelle Stabilität aufweisen (Etzel und Nagy 2021). Inwieweit dieser Befund auf den Kontext der Sekundarstufe II übertragen werden kann, ist jedoch eine offene Frage, die es zu klären gilt.

Weiterhin unklar bleibt die Bedeutung des Effekts des Interessenniveaus auf die Schulzufriedenheit, der in unserer Studie zwar signifikant, aber vom Betrag her gering ausfiel. Eine mögliche Erklärung für diesen Befund könnte sein, dass sich Schülerinnen und Schüler mit generell eher hohen beruflichen Interessen in allen Schulformen besser zurechtfinden als Schülerinnen und Schüler mit grundsätzlich eher niedrigen Interessen, welche eher auf eine hohe Passung ihrer herausragenden beruflichen Interessen zur berufsbezogenen Umwelt angewiesen sind (Darcy und Tracey 2003). Alternativ zu dieser inhaltlichen Interpretation kann der Befund aber auch auf einen methodischen Effekt im Sinne bestimmter individueller Antwortstile zurückzuführen sein (Akquieszenz), die eine positive Korrelation zwischen Selbstberichtsmaßen induzieren (Rammstedt und Farmer 2013). Die Frage, ob und – wenn ja – welche Rolle das Interessenniveau für die Schulzufriedenheit spielt, bleibt also noch weiter zu klären. Die separate Modellierung des Niveaufaktors ermöglichte uns in jedem Fall, die uns vor allem interessierenden Effekte der beiden Koordinatenachsen von einer möglichen Methodenvarianz zu bereinigen.

Zuletzt sei noch erwähnt, dass wir mit der Schulzufriedenheit nur eines der drei von Holland (1997) postulierten Kongruenzoutcomes untersucht haben. Zukünftige Untersuchungen sollten daher der Frage nachgehen, ob sich der Kongruenzeffekt im schulischen Kontext auch für die schulische Leistung und die Tendenz, die gewählte Richtung zu verlassen, zeigt, wobei der Effekt auf die Leistung sich zumindest im beruflichen Kontext in bisherigen Untersuchungen nicht eindeutig nachweisen ließ (Lubinski und Benbow 2000).