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Die soziale Norm der Wahlbeteiligung

Eine international vergleichende Analyse für Europa

The Social Norm of Voting

A Comparative Analysis of Europe

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Zusammenfassung

Der Beitrag untersucht die Erklärungsfaktoren der subjektiv empfundenen Wahlnorm mithilfe des European Social Survey (2002/3) für 21 europäische Länder. Dabei werden verschiedene Kombinationen aus vier Theorieperspektiven getestet: 1) soziale Integration: das Ausmaß und die Qualität, mit der ein Individuum in bestimmten sozialen Kontexten integriert ist, 2) soziales Vertrauen: die generelle Kooperationswilligkeit gegenüber anderen Personen, 3) die Unterstützung des politischen Systems, dessen Erhalt die Norm dient, und 4) die Beobachtung der Befolgung und der Qualität der sozialen Norm im Umfeld des Individuums. Die beste Performanz zeigt das Modell, das soziale Integration, Systemunterstützung und Beobachtung einbezieht. Hier zeigen sich zudem zusätzliche Auswirkungen der sozialen Integration über die Systemunterstützung auf die Wahlnorm. Der Beitrag verbessert bisherige Untersuchungen zur Wahlnorm, indem indirekte Kausalpfade berücksichtigt und individuelle Einstellungen kontextualisiert werden.

Abstract

This article assesses the determinants of the subjective voting norm with the European Social Survey 2002/3 for 21 European democracies. The empirical procedure tests various combinations of four theoretical perspectives: (1) social integration, i.e., the extent and quality to which an individual is integrated into given social contexts, (2) social trust, i.e., the general willingness to cooperate with other individuals, (3) the support of the social system to which the norm belongs, and (4) the perception of the degree of compliance and the quality of a social norm in an individual’s context. The best explanation is offered by the model which combines social integration, the support of the social system and the perception of the degree of compliance and quality of the norm. We also examine additional causal paths of indicators of social integration through system support on the individual voting norm. The paper contributes to an improvement on existing literature through its more complex causal modelling and the placing of individual attitudes in context.

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Abb. 1

Notes

  1. Soziale Normen können unterschieden werden von Normen, die das Individuum für sich selbst aufstellt, z. B. „Bis Ende des Monats esse ich keine Süßigkeiten“.

  2. Gemäß dieser Ansicht ist die Befolgung einer sozialen Norm nicht unbedingt rational in dem Sinne, dass der eigene materielle Eigennutzen maximiert wird; doch ist die Befolgung rational in der Interpretation von Rationalität als einer Optimierungsbemühung, verschiedene Optionen (die Nicht-Befolgung oder Befolgung der Normvorschrift) gegeneinander in Bezug auf eine gegebene Nutzenfunktion abzuwägen.

  3. Diese Motivation wird an anderer Stelle socially instrumental genannt (Chong 1991).

  4. Diese Argumentation beruht technisch gesehen auf Annahmen, weil die Querschnittsdaten gleichzeitig erhobene Merkmale beinhalten, d. h. man kann keine temporale Sequenz, die aus der kausalen folgt, anhand dieser Daten überprüfen. Gleichzeitig wurde darauf verzichtet, eine zu kleinschrittige Sequenz an Effekten zu postulieren. Beispielsweise könnte man argumentieren, dass der Bildungseffekt vor dem Effekt des Postmaterialismus liegt und diesen zum Teil bedingt.

  5. Der European Social Survey ist außerdem ein Face-to-face-Survey. Bei diesem Durchführungsmodus ist das Ausmaß sozialer Erwünschtheit in den Antworten größer als im Telefoninterview (Holbrook et al. 2003). Der jeweilige Interviewer könnte auch die Größe des Bias bestimmen, aber es ist anzunehmen, dass dieser Messfehler zufällig über die Stichprobe verteilt ist.

  6. Im ESS wurde Postmaterialismus nicht anhand des üblichen Inglehart-Indexes abgefragt. Stattdessen wurde ein Hilfsindex mit vier Items gebildet (s. Anhang, Tab. 4).

  7. Es ist davon auszugehen, dass einige wünschenswerte Aspekte fehlen. Aus theoretischen Gründen wäre eine Unterscheidung zwischen der Größe der Netzwerke (beispielsweise die durchschnittliche Teilnehmerzahl bei sozialen Aktivitäten), der Intensität des Austausches (z. B. wie häufig man sich trifft) und der Art der Netzwerke (z. B. ob es sich um Gruppierungen mit identitätsübergreifenden Teilnehmern, wie etwa multikulturelle Treffen oder Breitensport, oder Gruppierungen mit exklusivem Rekrutierungsprozess handelt, z. B. Burschenschaft) sinnvoll gewesen.

  8. Zur Illustration der Berechnung der kombinierten Effekte: Ein ökonomisch inaktives Individuum hat einen Wert auf der Skala der Variablen Unterstützung für das politische System, der um 0,20 kleiner ist als ein Individuum, das ökonomisch aktiv ist. Die Variable Unterstützung für das politische System ist z-transformiert, sodass eine Einheit gleich einer Standardabweichung ist. Ergo hat ein ökonomisch inaktives Individuum einen Wert auf dieser Variable, der um 0,20 Standardabweichungen niedriger liegt als der Wert eines ökonomisch aktiven Menschen. Da der Effekt von der Variable Unterstützung für das politische System auf die Wahlnorm auf 0,48 geschätzt ist, zeigt er, dass bei Anstieg der Variable um eine Einheit (also eine Standardabweichung) die Wahlnorm um 0,48 Einheiten (auf einer Skala von 0 bis 10) sinkt. Wenn die Variable Unterstützung für das politische System um 0,20 sinkt, sinkt die Wahlnorm um den Wert 0,20 * 0,48 = 0,096 auf einer Skala von 0 bis 10.

  9. Der Effekt ist selbst dann noch stabil, wenn man die post-kommunistischen Länder (Polen, Slowenien, Tschechische Republik, Ungarn) aus der Stichprobe herausnimmt.

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Ich bedanke mich bei der PVS-Redaktion und den PVS-GutachterInnen sowie bei Hans-Jürgen Andreß, Marius R. Busemeyer, Evelyn Funk, André Kaiser, Ravena Penning, Katrin Prinzen, Edeltraud Roller, Kai Spiekermann und den Teilnehmern des Oberseminars für vergleichende Politikwissenschaft an der Universität zu Köln für ihre Ratschläge. Alle verbleibenden Fehler sind meine eigenen. Die Datensätze, STATA- und EQS-Befehlsdateien können beim Autor erfragt werden. Frühere Versionen wurden im Oberseminar für vergleichende Politikwissenschaft der Universität zu Köln und bei der Drei-Länder-Konferenz der DVPW, ÖGPW, SVPW in Osnabrück vom 21.–23. November 2008 vorgestellt.

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Goerres, A. Die soziale Norm der Wahlbeteiligung. Polit Vierteljahresschr 51, 275–296 (2010). https://doi.org/10.1007/s11615-010-0018-8

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