1 Gescheiterte Projekte und unzureichende Umsetzung

Fast 10 Jahre nach dem geplanten Fertigstellungstermin wurde der Großraumflughafen Berlin 2020 eröffnet. Tatsächlich stößt man bei der Untersuchung auf Fehler des klassischen Projektmanagements (Delius 2016). Man braucht nicht in die Detailanalyse für die Gründe von gescheiterten Projektmanagement zu gehen, da sie offensichtlich und schon lange bekannt sind (Avots 1969; Hajikazemi et al. 2017). Die Kardinalfehler sind enormer Zeitdruck, Wettbewerbsverzerrung, Arbeiten mit falschen Ausgangsdaten, überzogene Anforderungen, überhastete Umsetzung, fehlende Kooperation der beteiligten Stakeholder und verarmtes Risikomanagement (Arashpour et al. 2016). Die Frage, die sich stellt, gibt es Alternativen zum klassischen Projektmanagement, die Fehler reduzieren und besser Planungssicherheit versprechen. Gibt es gerade vor dem Hintergrund eines sich stark verändernden und wenig vorhersagbarem Umfeld, einer sogenannten VUKA-Welt, mit ihren widrigen Parametern der Volatilität, Unsicherheit, Komplexität und Ambiguität, eine Möglichkeit, flexibler und dadurch besser angepasst mit Projekten umzugehen?

2 Gegenüberstellung von klassischem versus agilem Projektmanagement

Ein Hauptunterscheidungsmerkmal beider Systeme ist einerseits im traditionellen Projektmanagement ein direktiver unipolarer Prozess, streng nach einer Richtung verlaufend, andererseits im agilen Projektmanagement ein Schleifenprozess, der durch mehrfache Rückkopplung funktioniert (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Typische Komponenten des klassischen Projektmanagements mit der Wasserfall-Methode (links) und dem agilen Projektmanagement (rechts) mit dem Scrum-Format (eigene Darstellung)

Dabei ist das Merkmal für das klassische Projektmanagement ein Wasserfall-System (Abb. 1) oder etwas weiterentwickelte Verfahren wie das V‑Modell, das noch mehr Rückkopplungen hat. Für agiles Projektmanagement ist die Portionierung in kleinere Einheiten typisch. So werden bestimmte Entwicklungsphasen in dem als Scrum bezeichneten Modell in unabhängig Projektmodule unterteilt, damit ist eine höhere Flexibilität gewährleistet (Fowler 2019). Vergleichbar mit einem Computer-Prozessor werden in sogenannten Sprints diese inhaltlich frei bearbeitet, nur die Produktanforderung und der Zeitrahmen wird vorgegeben und durch den Scrum-Master überwacht (Tab. 1).

Tab. 1 Gegenüberstellungen der Hauptmerkmale von klassischem versus agilem Projektmanagement

Jedes System hat Vor- und Nachteile und man kann generell nicht von vornherein sagen, ob das eine besser ist als das andere. Je nach Organisation, Größe und Komplexität des Projekts, involvierten Stakeholder, Erfahrung des Teamleiters sowie die Erfahrung und Professionalität der Teammitglieder ist das eine dem anderen überlegen (Copola Azenha et al. 2020).

Agiles Projektmanagement hat auch seine Schattenseiten, da bei zu hoher Volatilität die Effektivität leidet. Das Projetteam verliert das Ziel bei zu großer Detailierung inhaltlich komplett aus den Augen oder Spezialisierung führen zu nicht balancierten Ergebnissen bei der Produktentstehung (McConnell 1998).

Darüber hinaus hat sich gezeigt, dass in Teams, die zu stark auf sich fixiert sind, ohne die Involvierung Dritter die Interpretation von positiven Ergebnissen eher verfolgt werden, ohne sie in Frage zu stellen. So werden sie leichter zu möglichen Fehleinschätzungen verleitet (Mojzisch et al. 2014). Bei komplexeren Teamaufgaben, wie beispielsweise in der Gesundheitsindustrie, überwiegt trotzdem der Gesamtnutzen des Teams (Schmutz et al. 2019). Bei agilen Projektmanagementformen kontrolliert zwar der Scrum-Master den Ablauf, tritt aber nicht als Sparringpartner auf und greift dadurch nicht inhaltlich in die Weiterentwicklung bzw. Lösung von Aufgaben ein. Je stärker nun agile Formen in traditionellen Projektmanagement Prozessstrukturen laufen desto gerichteter der Output und die Überwachung, was zum neuen Modell des hybriden Projektmanagement führt.

3 Hybrides Projektmanagement

Die Kombination von alten und neuen Systemen findet oft statt, und ist mehr als die Summe der Einzelteile. Für interpersonelle Aktivitäten handelt es sich vielmehr um komplementär ergänzende Teile, die aufeinander angewiesen sind, und dadurch einen synergistischen Mehrwert erzeugen und sich besser in vorhandenen Organisationsstrukturen und -denkweisen einfügen (Copola Azenha et al. 2020).

Um die Implikationen beim komplexen Projektmanagement einzuordnen und den Begriff besser zu verstehen seien zwei „hybride“ Beispiele aus dem Business dargestellt:

Hybride Lernformen, sogenanntes Blended Learning, bieten relativ freie Gestaltung von Trainingseinheiten an. Diese werden größtenteils virtuell durchgeführt, womit sowohl Reisezeit und -kosten reduziert als auch durch moderne Medien interessant gestaltet werden können. Diese Trainingsphase wird aber mit punktuellen physischen Face-to-Face-Meetings durchsetzt, um das Erlernte nach zeitlichen Abständen mit den anderen Teilnehmern zu diskutieren und Methoden/Techniken anzuwenden (Abb. 2). Diese persönlichen Kontakte sind wichtig, um Netzwerk und Vertrauen weiter aufzubauen (Albrecht 2016). Auch diese Form des Wissenstransfer findet beim hybriden Projektmanagement statt. Neben den daily meetings, die online sind, sollten sich aber bei Großprojekten in regelmäßigen Abständen Mitarbeitende mit den Teammitgliedern anderer Bereiche persönlich treffen, um methodische und inhaltliche Lösungswege auszutauschen.

Abb. 2
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Blended Learning als hybride Managementform des Wissenstransfers (eigene Darstellung)

Leider ist die Verwendung des Begriffs „hybrid“ durch den Schulunterricht in Deutschland zu Zeiten von Corona irreführend und falsch verwendet. Hier handelt es sich exemplarisch nämlich gerade nicht um eine Kombination von zwei aufeinander abgestimmten Systemen, sondern nur um zwei nebeneinandergestellte Systeme, die wenig bis gar nicht harmonisieren. Also ein anschauliches Negativbeispiel wie es nicht sein sollte, was zu den wenig effizienten und effektiven Resultaten führt. Was bleibt, ist eine Kombination aus unzureichendem partiell vom Lehrkörper durchgeführten Schulunterricht und home-schoolings durch fachlich-didaktisch und mental überforderte Eltern (Anmerkung der Autoren). Hinweise für durchaus erfolgreichen Einsatz von Kombinationen klassischer und agiler Methode analog dem hybriden Projektmanagement gab es schon vor der COVID19-Krise und kann auch in Schulsystemen angewendet werden (Baham 2019).

Ein weiteres Beispiel für eine hybride Form, hat John Kotter (2012) auf Organisationsebene hinsichtlich permanenten Change-Managements skizziert. Kotter beschreibt zwei Betriebssysteme. Die Aufbau- und Ablauforganisation stellt das erste Betriebssystem dar, das der Organisation durch hierarchische Systeme, Prozesse sowie klare Rollen und Verantwortlichkeiten für das operative Geschäft Halt gibt. Das zweite überlagerte Betriebssystem bedient sich aller Hierarchiestufen, Fachbereichen, Kompetenzbereichen usw. Einzelne Personen unterschiedlicher Organisationsebenen agieren nun in dieser neuen Dimension und können innovativ Veränderungen bewerkstelligen, da sie in dieser Funktion nicht an ihr fachbezogenes und disziplinarisches System gebunden sind (Abb. 3). Diese überlagerte Organisationsform findet bei hybriden Projektmanagementorganisationen Anwendung, indem beispielsweise ein Entwicklungsprojekt parallel von einer Task-Force begleitet wird, die sich aus verschiedenen Fach- und Funktionsbereichen, Technikern und Theoretiker sowie Strategen und Umsetzern zusammensetzt. Im Gegensatz zur Holokratie, wo das alte System komplett aufgelöst wird und die Mitarbeitenden in neuen Aktionskreisen arbeiten, bleibt die alte Struktur hier erhalten, was den Vorteil hat, dass in kritischen Situationen ein klarer Bezugspunkt vorhanden ist (Bernstein et al. 2016).

Abb. 3
figure 3

Agile Organisationen mit zwei Betriebssystemen nach Kotter (2012) als hybride Change-Managementform (eigene Darstellung)

Hybrides Management ist in der Praxis stark prozessual chronologisch geprägt, in der unterschiedliche Standards zum Tragen kommen (Timinger 2017). Der Rahmen, in dem ein Projekt weiterentwickelt wird, folgt einer strengen Reihenfolge. Innerhalb dieses strengen Korsetts wird allerdings eine hohe Flexibilität – vor allem in der Umsetzungsphase – gewährt. Besonders ist die inkrementelle Umsetzung durch starke iterative Prozesse und durch Time-Boxing verstärkt, durch diese sogenanntes „Sprints“ werden Projekte schneller und trotzdem innovativer umgesetzt.

Es gibt bei hybriden Systemen mannigfaltige Typen, von denen ein Prototyp in Abb. 4 repräsentativ dargestellt wurde. Manche Autoren unterscheiden zwar drei Grundvarianten (Möller 2020), tatsächlich sind durch die Kombination von agilen Methoden basierend auf der klassischen Projektmanagementstruktur sehr viele Ausführungen des hybriden Projektmanagements denkbar. Das ist vergleichbar mit dem Chassis (Fahrzeuggestell), auf dem dann eine jeweils veränderbare Fahrzeugkarosserie mit verschiedenen Funktionen aufgebaut wird.

Abb. 4
figure 4

Hybrides Projektmanagement als Synthese von klassischen und agilen Projektmanagementmethoden (eigene Darstellung)

So stellen agile Methoden das Design der „Fahrzeugkarosserie“ und die technische Ausstattung des „Interieurs“ dar. Typische Element der Kommunikation, Priorisierung und Aufgabenverteilung sowie Problemlösungstechniken sind beispielsweise das agile Product Backlog (Ranking neuer oder neuangewandter Produkteigenschaften), die Daily Stand-up Meetings (täglich durchgeführte Abstimmungstreffen – meist virtuell), das Kanban (System der transparenten und agilen Verteilung von Aufgaben), das Time-Boxing (kreativ und effiziente Ideen- und Lösungsfindung unter Zeitdruck), das 360-Grad-Feeback und die Reviews mit Kunden und anderen Projekt-Stakeholder, Kreative Schaffensphasen zur Ideengenerierung (Brainstorming, Pyramidal Thinking/Lego Serious Play ® usw.). Wenig ist bisher darüber geforscht und publiziert worden, inwiefern das hybride Projektmanagement den zwei Ursprungsformen überlegen ist (Gemino et al. 2020). Allerdings wird es auch zukünftig schwierig sein gesicherte Aussagen zu machen, da diese drei Formen ja nicht ganz überschneidungsfrei sind und die agilen Elemente recht prozess- und ergebnisumsetzungsbestimmend sind.

4 Anforderungen durch neue Projektmanagement Formen

Vor dem Hintergrund der globalen und virtuellen arbeitenden Teams wird das Projektmanagement noch stärker im Fokus stehen, produktiv zu arbeiten (Kankanhalli et al. 2006). Durch die Stärkung der virtuellen Arbeitsformen und Techniken – nicht zuletzt durch COVID19 bedingt – ist die Agilität auch von herkömmlichen klassischen Projekten schon verändert worden. Aufgrund der weiterhin steigenden Komplexität wird eine Grundstruktur notwendig sein, um bei einem vielschichtigen Co-Working-Environment, also viele verschiedene Organisationseinheiten, Orientierungspunkte zu geben (Wysocki 2019). Auch die Anforderungen an das Kompetenzprofil eines hybriden Projektleiters wird nicht mehr nur fachseitig ausgerichtet sein, sondern wird auch Wissen und Erfahrung aus dem Business-Bereich benötigen, in dem er operiert (Ko und Kirsch 2017). Innerhalb dieses Grundrasters wird noch stärker agil gearbeitet werden müssen, um mit der starken volatilen Umgebung Schritt zu halten. Das ist bei kritischen Situationen innerhalb von Projekten zu beobachten, sowohl hinsichtlich Risikomanagements als auch mit dem persönlichen Umgang mit Stress. Dabei kann sich der Mensch zwar neuen methodischen und situativen Herausforderungen anpassen. Allerdings überfordert das Auftreten immer komplexerer kritischer Situationen in einer höheren Frequenz die Stress-Coping Mechanismen (Hillert et al. 2020). Nicht nur neue Methodenkompetenz, wie hybrides Projektmanagement, sondern auch die einzelnen Soft Skills und Fachkompetenzen, also sowohl technischer, interpersoneller als auch intrapersoneller Führung und Lenkung, werden stärker gebraucht als in herkömmlichen Projekten (Müller et al. 2020). Das wiederum erfordert nicht nur eine höhere Professionalität der Projektleiter, sondern aller beteiligten Projektteammitglieder.

5 Ausblick

Es besteht kein Zweifel, dass das Projektmanagement sich noch stärker wandeln wird und viele neue Systemkomponenten sowie Methoden und Schnittstellen zur Arbeitswelt 4.0 haben muss (Albrecht 2020). Klassisches Projektmanagement ist bei der immer höheren Taktzahl und Komplexität nicht mehr allein ausreichend. Agile (Projekt)Organisationsformen, flexible Kommunikationsformen auch mit KI werden notwendig, was man unter dem Begriff HI (Hybride Intelligence) versteht (Dellermann et al. 2019). Vor allem neue Kompetenzprofile für Projektsteuerung und -umsetzung müssen bei der Aus- und Fortbildung von Projektmanagern und Projektteams stärker berücksichtigt werden (Joiner 2019). Dass es weiterhin zur Verzögerung von Projekten aus politischen Gründen, Korruption und Neuerungen von Gesetzesauflagen kommen kann, ist nicht zu vermeiden. Allerdings sollten projektmanagementbedingte Verzögerungen der Vergangenheit angehören. Mit hybridem Projektmanagement ist eine Möglichkeit geschaffen, effektiver und effizienter Projekte zu steuern und umzusetzen.