1 Einleitung

Seit dem Erstarken der rechtspopulistischen Partei „Alternative für Deutschland“ (AfD)Footnote 1 existiert in Deutschland eine öffentlich geführte Diskussion von Kirchenvertretern über die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit von Christsein und Sympathiebekundungen für die AfD. Während einige VertreterFootnote 2 für eine klare Abgrenzung der christlichen Kirchen gegenüber Positionen der AfD eintreten (Tagesspiegel 2019), plädieren andere für einen offenen Umgang mit der AfD und ihren politischen Forderungen (Frankfurter Allgemeine Zeitung 2018). Vor dem Hintergrund dieser Debatte und in Anknüpfung an eine Vielzahl von Studien der vergangenen Jahre (z. B. Huber und Yendell 2019; Pickel 2018; Immerzeel et al. 2013; Arzheimer und Carter 2009) widmet sich der vorliegende Beitrag der Verhältnisbestimmung von christlicher Religiosität und Rechtspopulismus. In diesem Zusammenhang weisen sowohl einige Forschungsarbeiten mit Bezugnahme auf den deutschen Kontext als auch mehrere international vergleichende Untersuchungen auf die vermeintlich immunisierende Funktion von Religiosität für die Wahl rechtspopulistischer Parteien im deutschen Kontext hin (z. B. Guth und Nelsen 2021; Marcinkiewicz und Dassonneville 2021; Siegers und Jedinger 2021; Dilling 2018; Montgomery und Winter 2015).Footnote 3 Nach dieser Lesart sinkt die Wahlwahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parteien mit der Religiosität der Wähler.Footnote 4 Im vorliegenden Beitrag soll diese sogenannte Immunisierungshypothese hinterfragt werden, indem die Gruppe der Christen einer Binnendifferenzierung unterzogen wird. Ich unterstelle, dass die Diagnose der immunisierenden Wirkung von Religiosität auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien das Produkt einer verengten Perspektive auf Religiosität ist. Anders als üblich fokussiere ich deshalb nicht auf die gängigen Dimensionen von Religiosität, sondern auf den Religionsanspruch der christlichen Wähler. Bisherige Forschung nimmt vor allem auf Zusammenhänge von religiöser Partizipation und Glaube mit der Wahl rechtspopulistischer Parteien Bezug (z. B. Marcinkiewicz und Dassonneville 2021; Siegers und Jedinger 2021).Footnote 5 Dieses verengte Verständnis von Religiosität bringt es jedoch mit sich, dass eine wesentliche Dimension von Religiosität außen vor bleibt. Im Folgenden wird deshalb argumentiert, dass die eigentlich relevante Konfliktlinie zwischen Menschen verläuft, die sich darin unterscheiden, ob sie jeder Religionslehre (inklusiver Religionsanspruch) oder nur der eigenen (exklusiver Religionsanspruch) einen Wahrheitsanspruch zuschreiben. Diese binnendifferenzierte Perspektive auf die christliche Wählerschaft in Deutschland ermöglicht es, eine alternative Lesart hinsichtlich des Zusammenhangs von Religiosität und der Wahl rechtspopulistischer Parteien zu entwickeln.

In einem ersten Analyseschritt kann gezeigt werden, dass christliche Wähler mit unterschiedlichen Religionsansprüchen sich in der Tat fundamental in ihrer Wahlwahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parteien unterscheiden. Im Vergleich zu Christen mit einem inklusiven Religionsanspruch macht die christliche Wählerschaft mit exklusivem Religionsanspruch ihr Kreuz mit einer doppelt so hohen Wahrscheinlichkeit bei rechtspopulistischen Parteien. Der zweite Analyseschritt, der dazu dient, den zuvor präsentierten Ausgangsbefund über einen indirekten Effekt zu erklären, offenbart, dass die gängigen Dimensionen von Religiosität nicht helfen, die zuvor identifizierten Wahlwahrscheinlichkeiten für rechtspopulistische Parteien zu erklären. Für die Erklärung dieses Ausgangsunterschieds sind vielmehr die ausgeprägteren rechtspopulistischen Positionen der Wählerschaft mit exklusivem Religionsanspruch verantwortlich. Insgesamt zeigt sich damit, dass Religiosität, im Sinne des Religionsanspruchs, sowohl immunisierend als auch katalysierend auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien wirken kann.

Die Ergebnisse liefern Beiträge zu mindestens zwei Forschungsfeldern, die in einem Fall Verhalten (Wahl rechtspopulistischer Parteien) und im anderen Fall Einstellungen (rechtspopulistische Positionen) in den Blick nehmen. Erstens geben die Befunde Auskunft über das Feld, das sich mit Motiven für die Wahl rechtspopulistischer Parteien beschäftigt (z. B. Pesthy et al. 2021; Klein und Springer 2020; Sachweh 2020; Hansen und Olsen 2019; Hambauer und Mays 2018; Lengfeld und Dilger 2018; Lux 2018; Rippl und Seipel 2018; Lengfeld 2017) und verweisen auf die paradoxe Rolle von Religiosität bei der Stimmabgabe für diese Parteien. Zweitens sind die Resultate erkenntnisreich für das Feld, das paradoxe Effekte von Religiosität für die Genese abwertender Einstellungen gegenüber Angehörigen bestimmter sozialer Gruppen untersucht (z. B. Schneider et al. 2021; Aschauer 2020; Hillenbrand 2020; Höllinger 2020; Pickel et al. 2020; Steinmann 2020; Huber und Yendell 2019; Klein et al. 2018; Rebenstorf 2018), da sowohl Affinität als auch Opposition von christlichen und rechtspopulistischen Positionen zueinander aufgezeigt werden können.

Nachfolgend wird zuerst der aktuelle Forschungstand rekapituliert und es werden theoretische Argumente präsentiert. Anschließend werden die verwendeten Daten und Operationalisierungen sowie die angewandte Analysestrategie vorgestellt. Neben deskriptiven Befunden werden Ergebnisse multivariater Analysen präsentiert. Der Beitrag schließt mit einer Zusammenfassung und Diskussion der gewonnenen Erkenntnisse.

2 Forschungsstand und theoretische Erwartungen

Im Folgenden wird zunächst auf die paradoxe Rolle von christlicher Religiosität für gruppenspezifische Abwertungen eingegangen. Anschließend soll der Religionsanspruch als eigenständige Dimension von Religiosität etabliert werden, die die Wahl rechtspopulistischer Parteien bedingen kann. Diese Vorreden sind vonnöten, um abschließend das Verhältnis von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien zu erläutern. Diese Theoretisierung nimmt Bedrohungswahrnehmungen unter Christen, die damit verbundenen rechtspopulistischen Positionen sowie Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien in den Blick und schließt mit einer Argumentation, die eine Überlappung religiöser und politischer Sinnordnungen sowie eine Übersetzung dieser in Wahlverhalten nahelegt.

2.1 Die paradoxe Rolle von Religiosität

Bevor der Zusammenhang von Religionsansprüchen und der Wahl rechtspopulistischer Parteien theoretisch gefasst wird, sollen zunächst zwei grundsätzliche Funktionen von Religiosität für die Genese von Einstellungen verdeutlicht werden. Es ist unstrittig, dass Einstellungen nicht im sozialen Vakuum entstehen, sondern durch Erfahrungen in sozialen Gruppen geformt werden (Newcomb 1968). Dementsprechend kann auch religiösen Gruppen eine sozialisierende Kraft auf die Einstellungen religiöser Menschen zugeschrieben werden (Durkheim 1981). Die Rolle von Religiosität für das Entstehen von Einstellungen, insbesondere abwertender Einstellungen gegenüber Angehörigen bestimmter sozialer Gruppen, ist bereits seit geraumer Zeit Gegenstand soziologischer und sozialpsychologischer Forschung (z. B. Adorno et al. 1950; Allport und Kramer 1946). Dabei lassen sich prinzipiell zwei gegensätzliche Perspektiven ausmachen. Die eine hebt die integrativen Elemente von Religion für den gesellschaftlichen Zusammenhalt hervor und die andere betont die desintegrativen Elemente von Religion für ebendiesen. Den paradoxen Aspekt von Religion mit Blick auf abwertende Einstellungen brachte Allport (1966, S. 447) mit folgenden Worten auf den Punkt: „there is something about religion that makes for prejudice, and something about it that unmakes prejudice“. Demnach weist das Christentum in seinen theologischen Grundpositionen widersprüchliche Elemente auf: Während die Doktrin der Nächstenliebe („plentiful supports for brotherhood“) abwertende Einstellungen gegenüber spezifischen Gruppen zurückweist, legitimieren im Gegensatz dazu die Doktrin der Offenbarung („lead[s] a religion to claim exclusive possession of final truth“) und die Doktrin der Auserwähltheit („divides the ins from the outs“) solche Einstellungen (Allport 1966, S. 449–450).Footnote 6 Kurzum, mit Allport (1954, S. 444) kann festgehalten werden: „[t]he role of religion is paradoxical“.

2.2 Religionsanspruch als eigene Dimension von Religiosität

Ursächlich dafür, dass Religiosität zumeist eine immunisierende Wirkung für das Wählen rechtspopulistischer Parteien in Deutschland zugeschrieben wird, ist der Fokus bisheriger Forschung auf gängige Dimensionen von Religiosität, d. h. religiöse Partizipation und Glaube. Die Befundlage neuerer Studien ist zwar gemischt, dennoch lässt sich eher eine Tendenz zur immunisierenden denn zur katalysierenden Funktion von Religiosität ablesen. Mit Blick auf die Wirkung der Dimension der religiösen Partizipation existieren Arbeiten, die, basierend auf Daten der „German Longitudinal Election Study“ (GLES), keinen Effekt der Kirchgangshäufigkeit auf die AfD-Wahlwahrscheinlichkeit ausweisen (z. B. Bieber et al. 2018). Andere Arbeiten, die das „International Social Survey Programme“ (ISSP) nutzen, kommen zum Schluss, dass sich die Kirchgangshäufigkeit in Ostdeutschland (aber nicht in Westdeutschland) negativ auswirkt (z. B. Huber und Yendell 2019). In anderen Untersuchungen wiederum, basierend auf der „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS), dem „European Social Survey“ (ESS) sowie erneut der GLES, ist es abhängig von der gewählten Modellspezifikation, ob ein negativer Effekt der Kirchgangshäufigkeit vorliegt (z. B. Tutić und von Hermanni 2018). Ähnlich verhält es sich mit der Dimension des Glaubens; bislang konnten sowohl negative Effekte des religiösen Glaubens auf die AfD-Wahlwahrscheinlichkeit (z. B. Siegers und Jedinger 2021) als auch Nulleffekte nachgewiesen werden (z. B. Huber und Yendell 2019).

Trotz der oben aufgeführten Befunde lassen sich ebenfalls Hinweise dafür finden, dass Religiosität eine katalysierende Wirkung für die Wahl rechtspopulistischer Parteien entfalten kann. Forschungsarbeiten, die die religiöse Zugehörigkeit der Wählerschaft mithilfe der GLES möglichst detailliert aufschlüsseln, zeigen, dass Christen, die nicht den zwei Hauptströmungen des Christentums (protestantische und katholische Kirche) angehören, vor allem Angehörige der orthodoxen Kirchen und der evangelischen Freikirchen, mit höchster Wahrscheinlichkeit die AfD wählen (z. B. Arzheimer und Berning 2019). Interpretiert man diese Gruppenunterschiede nicht als reine Zugehörigkeitseffekte, sondern als Effekte differierender Religionsansprüche, dann ist es zumindest fraglich, ob die These der Immunisierung (z. B. Guth und Nelsen 2021; Marcinkiewicz und Dassonneville 2021; Siegers und Jedinger 2021; Dilling 2018; Montgomery und Winter 2015) in der bisherigen Form tatsächlich haltbar ist.

Vor diesem Hintergrund plädiere ich dafür, den Religionsanspruch von Christen, neben religiöser Partizipation und Glaube, als eine eigenständige Dimension von Religiosität anzuerkennen, die Wahlentscheidungen für oder gegen rechtspopulistische Parteien maßgeblich mitbestimmen kann. Der Religionsanspruch beschreibt, ob Personen davon ausgehen, dass jede Religionslehre Wahrheiten enthält oder ob sie nur der eigenen Religion einen Wahrheitsanspruch zugbilligen. Im ersten Fall liegt ein inklusiver Religionsanspruch vor, im zweiten Fall kann dagegen von einem exklusiven Religionsanspruch gesprochen werden.Footnote 7 Der von mir postulierte Einbezug des Religionsanspruchs kommt der Forderung von Klein et al. (2018, S. 66) entgegen, Religiosität danach zu unterscheiden, ob sie eher „conservative or even fundamentalist beliefs“ beinhaltet oder eher „liberal and pluralist religious orientations“ verkörpert. Dass es in der Tat gewinnbringend sein kann, den Religionsanspruch als eigene Dimension von Religiosität zu konzipieren, ist bereits an anderer Stelle, in Studien, die sich mit der Erklärung abwertender Einstellungen gegenüber Angehörigen bestimmter sozialer Gruppen beschäftigt hat, deutlich geworden. So konnte beispielsweise gezeigt werden, dass unter Christen ein exklusiver Religionsanspruch eher mit antimuslimischen und antisemitischen Ressentiments sowie Homophobie einhergeht als ein inklusiver Religionsanspruch (Pickel et al. 2020; Ahrens und Rebenstorf 2018; Rebenstorf 2018).

2.3 Rechtspopulistische Positionen unter Christen

Unter Forschenden im deutschsprachigen Kontext, die sich mit dem Verhältnis von Christentum und Rechtspopulismus befassen, ist die Existenz einer Spaltung der Christen in diejenigen mit und diejenigen ohne rechtspopulistische Positionen breiter Konsens (z. B. Althoff 2018; Pickel 2018; Rebenstorf 2018). Diesbezüglich stellt Pickel (2018, S. 277) treffend fest: „Finden sich bei einer Gruppe an Christen wahlverwandte Vorstellungen zu rechtspopulistischen Argumentationen, besteht bei vielen Christen eine starke Opposition gegenüber Rechtspopulismus und seinen Inhalten.“

Um die Affinität zwischen einem exklusiven Religionsanspruch und Rechtspopulismus auf der einen Seite sowie die Opposition zwischen einem inklusiven Religionsanspruch und Rechtspopulismus auf der anderen Seite zu begründen, greife ich Forschung von Wong (2018) zu Weißen Evangelikalen in den Vereinigten Staaten von Amerika auf. Die Studie bietet für diese Gruppe eine vielversprechende Erklärung für die überproportional häufige Wahl von Donald Trump während der Präsidentschaftswahl im Jahr 2016 an. Demnach hat sich unter Weißen Evangelikalen ein Gefühl der Angst vor gesellschaftlichen Veränderungen breitgemacht und diese Wahrnehmung hat großen Einfluss auf ihre politischen Einstellungen sowie ihr Wahlverhalten.

In Anknüpfung an die Ausführungen von Wong (2018) vermute ich überproportional ausgeprägte rechtspopulistische Positionen unter Christen mit exklusivem gegenüber denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch und interpretiere dieses Phänomen als Folge einer wahrgenommenen Bedrohung aufseiten derjenigen mit einem auf Exklusivität beruhenden Religionsanspruch, die eigene Gruppe leide unter dem sich vollziehenden sozialen und kulturellen Wandel. Demnach sehen eine Vielzahl von Christen mit exklusivem Religionsanspruch die ursprüngliche gesellschaftliche Ordnung durch sich wandelnde Einwanderungs‑, Geschlechter- und Familienverhältnisse bedroht. Diese Annahme kann sowohl durch quantitativ-empirische Studien, die den Zusammenhang von Religionsanspruch und abwertenden Einstellungen gegenüber Angehörigen bestimmter sozialer Gruppen vergleichend für verschiedene religiöse Gruppen untersuchen (Pickel et al. 2020; Ahrens und Rebenstorf 2018; Rebenstorf 2018), als auch durch qualitativ-empirische Forschung, die sich speziell der Affinität von konservativen und fundamentalistischen christlichen Kreisen zu ebensolchen Einstellungen widmet (Lob-Hüdepohl 2021; Püttmann 2019; Strube 2019), gestützt werden.

Eine Übertragung der Argumente von Wong (2018) auf den vorliegenden Untersuchungskontext lässt den Schluss zu, dass das Streben nach Anerkennung sowie Emanzipationsansprüche verschiedener sozialer Gruppen ursächlich für die Bedrohungswahrnehmung unter Christen mit exklusivem Religionsanspruch in den vergangenen Jahrzehnten sind. Diese Bewegung wird insbesondere anhand von dreierlei Aspekten sichtbar. Erstens ist es durch Globalisierungsprozesse zur Öffnung des nationalstaatlichen Containers gekommen und Eingewanderte treten nun vermehrt mit Forderungen nach gesellschaftlicher Teilhabe auf den Plan. Zweitens stellen emanzipatorische Bestrebungen von Frauen die Dominanz traditioneller Geschlechterrollen infrage und sorgen so für mehr Geschlechtergerechtigkeit. Drittens hat die zunehmende Anerkennung von Geschlechtsidentitäten jenseits von Frau und Mann zur Abkehr von der ursprünglichen Idee der Zweigeschlechtlichkeit geführt (Mau et al. 2020).

Durch die Forderungen nach Anerkennung und Teilhabe der genannten Gruppen sowie die politische Umsetzung dieser Forderungen kommt es zu einem Wandel der gemeinhin akzeptierten Bewertungsmaßstäbe. Was ursprünglich legitim war, wird nun illegitim und umgekehrt. Studien, die einen deutlichen Rückgang einwanderungskritischer Einstellungen, traditioneller Geschlechterrolleneinstellungen sowie homonegativer Einstellungen innerhalb eines beträchtlichen Teils der Bevölkerung diagnostizieren, untermauern diese These (McLaren und Paterson 2020; Knight und Brinton 2017; Roberts 2019). Von den zwei hier untersuchten Gruppen sind am besagten Einstellungswandel jedoch nur Christen mit inklusivem Religionsanspruch beteiligt. Der Logik von Wong (2018) folgend löst dieser Wandel der althergebrachten Ordnung bei Christen mit exklusivem Religionsanspruch eine gefühlte Benachteiligung der Eigengruppe gegenüber den Gruppen, die sich mehr und mehr Gehör verschaffen, aus. Die wahrgenommene Bedrohung kann nicht nur eine nostalgische Verbundenheit mit vergangenen Zeiten mit sich bringen (Jones 2016). Es kann auch die Kehrseite in Erscheinung treten, nämlich die Abwertung derjenigen, die den angesprochenen sozialen und kulturellen Wandel vorantreiben (Parker und Barreto 2013). Aufgrund des fehlenden Gefühls der Bedrohung aufseiten der Christen mit inklusivem Religionsanspruch ist solch eine Abwertung bei dieser Gruppe dagegen kaum wahrscheinlich.

2.4 Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien

Um begründen zu können, warum Christen mit einem exklusiven Religionsanspruch, nicht aber diejenigen mit inklusivem Religionsanspruch, verstärkt dazu neigen, rechtspopulistische Parteien zu wählen, bedarf es des Weiteren eines Blicks auf die Angebotsseite, das heißt die Frage, welche Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien überhaupt in Teilen der christlichen Wählerschaft verfangen können. Im Folgenden möchte ich auf drei Mobilisierungsargumente fokussieren, die dieses Potenzial aufweisen. Dabei handelt es sich um Kritik von rechtspopulistischen Parteien am Wandel von Einwanderungs‑, Geschlechter- und Familienverhältnissen. Die Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien werden anhand von Literatur, die sich der Positionierung der AfD zu den genannten Themenbereichen gewidmet hat, in aller Kürze veranschaulicht.

Einwanderungsverhältnisse werden von der AfD insbesondere dadurch kritisiert, dass Einwanderung in die Nähe von Kriminalität gerückt und zur Belastung für den Sozialstaat erklärt wird. Diese Argumentation mündet in der Forderung nach einer restriktiven Einwanderungs- und Asylpolitik (Rosenfelder 2017). Die Problematisierung dieses Themenfeldes zeigt sich vor allem in der Ausdeutung der sogenannten „Flüchtlingskrise“ der Jahre 2015 und 2016 als Bedrohungslage für Deutschland (Geiges 2018). Zentrale Forderung mit Blick auf integrationspolitische Maßnahmen hinsichtlich des Ziels der Vermeidung vermeintlicher Parallelgesellschaften ist eine kulturelle Homogenisierung, die durch eine dauerhafte Assimilation von Eingewanderten erreicht werden soll (Usath 2019).

Die AfD äußert außerdem Kritik am Wandel von Geschlechterverhältnissen. Diese ist in erster Linie gegen die Abwendung von traditionellen Geschlechterrollen gerichtet. Es wird von einer natürlich gegebenen Geschlechterordnung ausgegangen, in welcher sowohl Männern als auch Frauen eindeutige und unveränderliche Geschlechterrollen zugewiesen werden. Staatlich geförderte Programme in Bildungseinrichtungen sollen beim Ziel der Aufrechterhaltung traditioneller Geschlechterrollen helfen (Lang 2017). Obendrein werden geschlechtsbezogene Quotenregelungen und queer-feministische Politiken kategorisch abgelehnt (Siri 2016).

Die Kritik der AfD am Wandel von Familienverhältnissen drückt sich vor allem in der Forderung nach einer Rückbesinnung auf Heteronormativität aus, d. h. familiale Zusammenschlüsse jenseits einer Partnerschaft zweier Menschen mit unterschiedlichem Geschlecht werden negiert (Siri 2016). Diese Position mündet in einer strikten Ablehnung der Anerkennung und rechtlichen Gleichstellung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften. Darüber hinaus findet ein Eintreten für die Aufhebung von bestehenden Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitiken statt (Lang 2017).

Es sollte deutlich geworden sein, dass die aufgeführten Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien das Potenzial haben, die oben diskutierten Bedrohungswahrnehmungen aufseiten von Christen mit exklusivem Religionsanspruch zu entschärfen. Anders als bei der Wählerschaft mit inklusivem Religionsanspruch dient bei Vorliegen eines auf Exklusivität beruhenden Religionsanspruchs das Einnehmen rechtspopulistischer Positionen somit als Antwort auf den als bedrohlich betrachteten sozialen und kulturellen Wandel. Im Folgenden wird das Konvergieren oder Divergieren religiöser und politischer Sinnordnungen genauer theoretisiert.

2.5 Immunisierende und katalysierende Wirkung des Religionsanspruchs

Die drei oben aufgeführten Mobilisierungsargumente rechtspopulistischer Parteien sollten insbesondere bei Christen mit exklusivem Religionsanspruch, aber seltener bei denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch Anklang finden. Der vermutete Unterschied in der Wahlwahrscheinlichkeit rechtspopulistischer Parteien zwischen Personen mit inklusivem und exklusivem Religionsanspruch begründet sich somit über das unterschiedlich starke Vorhandensein rechtspopulistischer Positionen. Darüber, dass Effekte von Religiosität auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien nicht direkt wirken, sondern indirekter Natur sind, der Zusammenhang von Religiosität und der Wahl rechtspopulistischer Parteien also über intervenierende Faktoren vermittelt ist, besteht weitgehender Konsens. Forschung für den deutschen Kontext sowie international vergleichende Studien (z. B. Cremer 2021; Siegers und Jedinger 2021; Arzheimer und Carter 2009) haben bislang vor allem einwanderungskritische Einstellungen und Parteiidentifikation aufseiten des Elektorats sowie das Verhalten politischer und religiöser Eliten als intervenierende Faktoren diskutiert. Für die weitere theoretische Plausibilisierung greife ich auf einen von Beyer und Schnabel (2019) formulierten Theorieansatz zurück, der auf Wechselwirkungen zwischen religiösen und politischen Weltanschauungen aufmerksam macht.

Ausgangspunkt für die Argumentation von Beyer und Schnabel (2019) ist die Einsicht, dass eine wesentliche Funktion von Religion in Gesellschaften das Bereitstellen eines Nomos ist, also das Zurverfügungstellen einer relativ stabilen und übergeordneten Sinnordnung (Berger 1973). Religiöse Sinnordnungen sind jedoch stets konkurrierenden Deutungen ausgesetzt, dabei kann es sich um alternative religiöse oder auch um säkulare Interpretationen der Welt handeln. In Zeiten beschleunigter sozialer und kultureller Wandlungsprozesse und der dadurch aufkommenden Bedrohungswahrnehmung unter Christen mit exklusivem Religionsanspruch steigt der Bedarf nach einfachen Interpretationen der sich wandelnden gesellschaftlichen Verhältnisse für die subjektiv Bedrohten (Rosa 2005). Mittels dieser Interpretationen können durch den Wandel entstehende Unsicherheiten sowie das Gefühl der Benachteiligung gegenüber Gruppen mit emanzipatorischen Ansprüchen vermieden oder unterdrückt werden. Christliche Wähler mit inklusivem Religionsanspruch sind dagegen nicht auf alternative Interpretationen angewiesen, da der beschriebene soziale und kulturelle Wandlungsprozess von dieser Gruppe der Christen nicht als bedrohlich empfunden wird. Folgt man der Argumentation von Beyer und Schnabel (2019), dann ist gerade in Zeiten des Wandels und vor dem Hintergrund der damit verbundenen großen Anzahl an verfügbaren alternativen Weltanschauungen das Konvergieren von religiösen und politischen Weltanschauungen ein vielversprechender Weg, denn das Zusammenführen zweier eigentlich separater Sinnprovinzen (Schütz und Luckmann 1979) kann schlussendlich zur Kontingenzbewältigung (Luhmann 1977) beitragen. Für Christen mit einem auf Exklusivität beruhenden Religionsanspruch dient das Einnehmen rechtspopulistischer Positionen somit als Bewältigungsstrategie einer diffusen Angst vor gesellschaftlichem Wandel.

Vor dem Hintergrund der Erläuterungen von Beyer und Schnabel (2019) kann festgehalten werden, dass ein exklusiver Religionsanspruch und rechtspopulistische Positionen sich nicht ausschließen. Im Gegenteil, beiden Sinnordnungen ist gemein, dass jeweils eine Weltanschauung im Mittelpunkt steht, die alternativen Interpretationen der Welt ihre Wertigkeit absprechen. Eben jene Passung ist im Falle eines inklusiven Religionsanspruchs und rechtspopulistischen Positionen nicht gegeben, da ein auf Inklusivität beruhender Religionsanspruch alternative Weltanschauungen explizit anerkennt. Christen, die hingegen Wahrheiten in anderen religiösen Lehren negieren, sollten dem beschriebenen rechtspopulistischen Leitbild mit Blick auf Einwanderungs‑, Geschlechter- und Familienverhältnisse etwas abgewinnen können, da dieses Leitbild darauf abzielt, eine vergangene gesellschaftliche Ordnung wiederherzustellen und damit das Gefühl der Bedrohung der Eigengruppe abmildern kann. Anders als ein inklusiver Religionsanspruch ist ein auf Exklusivität beruhender Religionsanspruch also mit rechtspopulistischen Positionen über die Funktion der Nomisierung verbunden, da beide, die religiöse und die politische Sinnordnung, sich wechselseitig ergänzen.

Zuletzt soll noch die Übersetzung rechtspopulistischer Positionen in die Wahl rechtspopulistischer Parteien unter Christen mit exklusivem Religionsanspruch erläutert werden. Damit christliche Wähler mit einem exklusiven Religionsanspruch ihre Weltanschauungen politisch vertreten wissen, ist es folgerichtig, dass diese Gruppe der Christen überproportional häufig rechtspopulistische Parteien wählt. Im Sinne der Theorie sozialer Identität (Tajfel und Turner 1986; Tajfel 1982) sollte die Wahl ebensolcher Parteien helfen, die Eigengruppe mitsamt ihrer religiösen Sinnordnung aufzuwerten sowie Fremdgruppen, die dieser Weltanschauung zuwiderlaufen, abzuwerten. Die Abwertung von Fremdgruppen über das Mittel der Wahlentscheidung ist also als Akt der Bewahrung der eigenen sozialen Identität sowie der Stärkung des eigenen Selbstwertgefühls zu verstehen. Rechtspopulistische Parteien können vor diesem Hintergrund als verlängerter säkularer Arm von Christen mit exklusivem Religionsanspruch betrachtet werden, der Bestandteile einer religiösen Sinnordnung im politischen Feld vertritt.

Die obigen Ausführungen lassen sich zu insgesamt zwei Hypothesen verdichten, die im Anschluss einer empirischen Überprüfung unterzogen werden. Während die erste Hypothese zum Ziel hat, einen erklärungsbedürftigen Ausgangsbefund nachzuweisen, widmet sich die zweite Hypothese der Erklärung dieses vermuteten Ausgangsbefundes über einen indirekten Effekt.

H 1

Christliche Wähler mit einem exklusiven Religionsanspruch wählen häufiger rechtspopulistische Parteien als diejenigen mit einem inklusiven Religionsanspruch.

H 2

Der Zusammenhang von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien lässt sich durch die stärkere Affinität zu rechtspopulistischen Positionen von Christen mit einem exklusiven Religionsanspruch im Unterschied zur Vergleichsgruppe mit inklusivem Religionsanspruch erklären.

3 Daten, Operationalisierung und Methoden

Für die angestrebte Entwicklung einer alternativen Auslegung des Zusammenhangs zwischen Religiosität und der Wahl rechtspopulistischer Parteien werden zwei Datensätze, die „German Longitudinal Election Study“ (GLES) sowie die „Allgemeinen Bevölkerungsumfrage der Sozialwissenschaften“ (ALLBUS), kombiniert. Die GLES gewährt Einblick in das Wahlverhalten der wahlberechtigten Bevölkerung Deutschlands. Seit 2009 werden im Rahmen der Langfrist-Online-Tracking-Komponente mehrmals jährlich stattfindende Querschnitterhebungen realisiert, in denen jeweils rund 1000 Befragte aus einem Online-Access-PanelFootnote 8 mithilfe von webbasierten Interviews (CAWI) befragt werden (Schmitt-Beck et al. 2010). Zwei Erhebungswellen (T30 und T38), die die angestrebte Binnendifferenzierung der christlichen Wählerschaft erlauben, finden Eingang in die Analyse. Die beiden Wellen wurden in einem Abstand von zwei Jahren im Dezember 2015 und Dezember 2017 erhoben (Roßteutscher et al. 2018, 2016). Beim ALLBUS handelt es sich um eine repräsentative Querschnittsbefragung der erwachsenen Bevölkerung in Deutschland, die seit 1980 in der Regel alle zwei Jahre durchgeführt wird und darauf abzielt, grundlegende Einstellungen und Praktiken der bundesdeutschen Bevölkerung zu erfassen. Dabei werden jeweils bis zu 3500 Personen mittels computergestützten persönlichen Interviews (CAPI) befragt (Siegers et al. 2019). Für die Analyse wird auf die Erhebung zurückgegriffen, die zwischen April und September 2018 durchgeführt wurde. Für die Nutzung dieser Erhebungswelle spricht vor allem die Erfassung der notwendigen rechtspopulistischen Positionen.

Insgesamt stehen mit den drei Wellen der GLES- und der ALLBUS-Daten 5524 Befragte zur Verfügung. Folgende Fälle sind als stichprobenneutrale Ausfälle zu werten: Da ALLBUS-Befragte, die nicht zusätzlich an der ISSP-Teilstichprobe partizipiert haben, einige relevante Items nicht beantworten mussten, wird auf diese Personen verzichtet. Da für die Teilnahme an einer Bundestagswahl die deutsche Staatsangehörigkeit Voraussetzung ist, werden Personen, die ausschließlich eine ausländische Staatsangehörigkeit besitzen, ausgeschlossen. Ausgeschlossen werden zudem Befragte, die nicht zur Zielpopulation (christliche Wählerschaft) gehören. Zu den nichtstichprobenneutralen Ausfällen gehören Personen, die keine Angaben zur Religionszugehörigkeit gemacht haben sowie Befragte, die fehlende Werte hinsichtlich der Wahlabsicht oder der rechtspopulistischen Positionen aufweisen. Die nachfolgenden Analysen der christlichen Wählerschaft basieren somit auf 1737 Befragten.Footnote 9

Die Operationalisierung eines Großteils der Modellvariablen orientiert sich an einer Arbeit von Siegers und Jedinger (2021). Die abhängige Variable stützt sich auf die klassische Sonntagsfrage und bildet somit die Wahlabsicht der Untersuchten ab. Dabei wird zwischen Befragten differenziert, die eine Wahlabsicht für die AfD äußern (1) und Befragten, die eine Wahlabsicht für eine andere Partei kundtun (0).

Zu den wesentlichen unabhängigen Variablen zählen die Religiosität der Befragten, genauer ihr Religionsanspruch, ihre religiöse Partizipation und ihr Glaube. Ein Einbezug des Religionsanspruchs ist leider aufgrund der aktuellen Datenlage nur bedingt möglich, da diese Informationen, genauso wie Spezifika über Religiositätsgrade und Inhalte des religiösen Glaubens, in Kombination mit Indikatoren zu rechtspopulistischen Positionen und Wahlverhalten von Befragten nicht zur Verfügung stehen (Pickel 2018). Allerdings ist bekannt, dass Konfessionen jenseits der zwei Hauptströmungen des Christentums (protestantische und katholische Kirche) häufiger einen exklusiven und folgerichtig seltener einen inklusiven Religionsanspruch vertreten. Der Religionsanspruch von Angehörigen der dritt- und viertgrößten christlichen Religionsgemeinschaften in Deutschland (Müller und Pollack 2013), die orthodoxen Kirchen und die evangelischen Freikirchen,Footnote 10 drückt sich in deutlich stärker ausgeprägten Zustimmungsraten zu Aussagen wie „Es gibt nur eine wahre Religion“ aus. Im Vergleich zu Angehörigen der zwei Hauptströmungen stimmen orthodoxe Christen der genannten Aussage doppelt so häufig, freikirchlich organisierte Christen sogar viermal so häufig zu (Pickel et al. 2020). In Ermangelung eines besseren Indikators wird also auf die Konfessionszugehörigkeit der Befragten zurückgegriffen, um ihren Religionsanspruch zu approximieren. Dabei findet eine Differenzierung zwischen Befragten mit einem inklusiven Religionsanspruch (0) – Protestanten und Katholiken – und denjenigen mit einem exklusiven Religionsanspruch (1) – andere christliche Religionsgemeinschaften – statt.

Die religiöse Partizipation wird über die Kirchgangshäufigkeit der Befragten mittels einer kategorialen Variablen von „nie“ (0) bis „mindestens einmal pro Woche“ (4) ermittelt. Die unterschiedliche Anzahl an Kategorien in GLES- und ALLBUS-Daten wurde harmonisiert. Der religiöse Glaube wird in den ALLBUS-Daten über die subjektive religiöse Selbsteinschätzung operationalisiert. Da diese Frage nicht in den GLES-Daten vorhanden ist, wird näherungsweise auf einen Indikator zurückgegriffen, der auf die Befolgung von Geboten Gottes abhebt. Um in beiden Fällen eine Fünf-Punkt-Skala verwenden zu können, werden in den ALLBUS-Daten die Antwortkategorien „tief religiös“ und „sehr religiös“ sowie „eher nicht religiös“ und „nicht religiös“ integriert. Die Endpunkte der kreierten kontinuierlichen Variable werden mit „gar nicht religiös“ (0) bzw. „tief religiös“ (4) benannt.

Drei Variablen bilden die rechtspopulistischen Positionen der Befragten ab. Zur Erfassung einwanderungskritischer Einstellungen wird ein additiver Index, bestehend aus vier (GLES-Daten) oder drei (ALLBUS-Daten) Items, gebildet, die nach einer Bewertung des Einwanderungs- und Integrationsgeschehens sowie der Folgen der zum Zeitpunkt der Erhebungen überdurchschnittlich hohen Fluchtmigration in Deutschland fragen. Das Reliabilitätsmaß des Index ist akzeptabel (GLES: α = 0,79; ALLBUS: α = 0,77). Traditionelle Geschlechterrolleneinstellungen werden mithilfe von Items, die nach einer Einschätzung zur Rolle der Frau fragen, erhoben. Während in den GLES-Daten zwei Items zur Verfügung stehen, kann in den ALLBUS-Daten nur auf ein Item zurückgegriffen werden. Das ermittelte Reliabilitätsmaß des konstruierten additiven Index auf Basis der GLES-Daten ist wiederum akzeptabel (α = 0,76). Ein Item, das die Einschätzung zur Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe erbittet, misst homonegative Einstellungen. Sämtliche Variablen werden auf einer Fünf-Punkt-Skala von „stimme überhaupt nicht zu“ bis „stimme voll und ganz zu“ gemessen und so rekodiert, dass höhere Werte stärkere rechtspopulistische Positionen anzeigen. Die Endpunkte der drei gebildeten Variablen werden „keine“ (1) bzw. „starke“ (5) genannt.

Zusätzlich werden verschiedene Kontrollvariablen berücksichtigt, die in anderen Studien mit der Wahl rechtspopulistischer Parteien variieren (Lengfeld und Dilger 2018; Rippl und Seipel 2018). Dazu zählen ökonomische (Einschätzung der eigenen wirtschaftlichen Lage, aktuell und in einem Jahr, Einkommen) und soziodemographische Merkmale (Geschlecht, Alter, Bildungsniveau, Migrationshintergrund, Region).Footnote 11

Mit Ausnahme von drei Variablen (religiöser Glaube, einwanderungskritische Einstellungen und Einkommen) liegen für jede unabhängige Variable maximal 3 % fehlende Werte vor. Ein Ausschluss von Befragten mit mindestens einem fehlenden Wert hätte zu einer Reduktion der Analysepopulation um 12,9 % (224 Fälle) geführt. Der Empfehlung folgend, dass multiple Imputation besonders geeignet ist, wenn 5–15 % der Fälle fehlende Werte aufweisen (Young et al. 2011), kommt „Multiple Imputation by Chained Equations“ (MICE) basierend auf 20 Teildatensätzen zum Einsatz (Royston und White 2011).

Die Binnendifferenzierung der christlichen Wählerschaft erfolgt in zwei Schritten. Zunächst wird deskriptiv ermittelt, ob Christen mit exklusivem Religionsanspruch tatsächlich häufiger rechtspopulistischen Parteien ihre Stimme geben als diejenigen mit inklusivem Religionsanspruch. Es schließt sich eine multivariate Analyse an. Dabei werden, unter Verwendung von generalisierten Strukturgleichungsmodellen, Mediationsanalysen (Preacher 2015) durchgeführt, um den vermuteten indirekten Effekt, also die vermittelnde Rolle rechtspopulistischer Positionen zu überprüfen.

4 Empirische Befunde

Den Ergebnissen multivariater Analysen sind zunächst einige Einblicke in die deskriptive Auswertung vorangestellt.

4.1 Deskriptive Ergebnisse

Tabelle 1 liefert deskriptive Befunde zu den zwei Untersuchungsgruppen. Wie vermutet, wählen christliche Befragte mit inklusivem Religionsanspruch deutlich seltener rechtspopulistische Parteien als solche mit exklusivem Religionsanspruch (8,9 % vs. 17,9 %). Die christliche Wählerschaft lässt sich zudem mit Blick auf ihre Religiosität charakterisieren. Die religiöse Partizipation ist im Falle eines exklusiven Religionsanspruchs deutlich höher als im Falle eines inklusiven Religionsanspruchs. Genauer zeigt sich, dass mehr als ein Drittel der christlichen Wählerschaft mit exklusivem Religionsanspruch mindestens einmal die Woche einen Gottesdienst besucht, dagegen weisen nur 6 von 100 Christen mit inklusivem Religionsanspruch solch eine Kirchgangshäufigkeit auf. Rund die Hälfte der Christen mit inklusivem Religionsanspruch geht „nie“ oder „selten“ in eine Kirche, demgegenüber zeigen nur rund drei von zehn christlichen Wählern mit exklusivem Religionsanspruch diesen Grad an religiöser Partizipation. Auch der religiöse Glaube ist für Christen mit inklusivem Religionsanspruch weit weniger ausgeprägt als für die Referenzgruppe mit exklusivem Religionsanspruch (1,9 vs. 2,8). Ein Blick auf die rechtspopulistischen Positionen der Befragten zeigt, dass diese im Falle eines exklusiven Religionsanspruchs sehr viel ausgeprägter sind als im Falle eines inklusiven Religionsanspruchs. Die Differenz zwischen den beiden Untersuchungsgruppen ist für einwanderungskritische Einstellungen jedoch nicht signifikant (3,1 vs. 3,3). Signifikante Differenzen zeigen sich dagegen mit Blick auf traditionelle Geschlechterrolleneinstellungen (1,8 vs. 2,4) und hinsichtlich homonegativer Einstellungen (1,9 vs. 3,3).

Tab. 1 Deskriptiver Überblick nach Religionsanspruch

4.2 Multivariate Ergebnisse

In Tab. 2 sind die Ergebnisse einer Mediationsanalyse dargestellt. Ausgangspunkt in den Modellen 1 und 2 (M1–M2) ist der totale Effekt vom Religionsanspruch auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien (einmal mit und einmal ohne Kontrollvariablen). In den Modellen 3–6 (M3–M6) werden dann mögliche Mediatoren berücksichtigt. Aufgeführt werden hier die Effekte der unabhängigen Variable (Religionsanspruch) auf die Mediatoren (rechtspopulistische Positionen) sowie die Effekte der Mediatoren auf die abhängige Variable (Wahl rechtspopulistischer Parteien). Zudem ist dargestellt, wie sich der direkte Effekt vom Religionsanspruch auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien unter Hinzunahme der Mediatoren verändert.

Tab. 2 Multivariate Analyse auf Wahl rechtspopulistischer Parteien (generalisierte Strukturgleichungsmodelle) – M1–M6

M1 verdeutlicht erneut, dass Christen mit exklusivem Religionsanspruch im Vergleich zu denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch deutlich häufiger rechtspopulistische Parteien wählen. In M2 zeigt sich, dass dieser Befund auch unter Berücksichtigung aller Kontrollvariablen Bestand hat. Auf Basis dieser Ergebnisse kann die erste Hypothese (H 1) zum Zusammenhang von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien bestätigt werden.

Aus M3 lassen sich drei wesentliche Erkenntnisse gewinnen. Erstens geht, wie bereits deskriptiv gezeigt, ein exklusiver Religionsanspruch mit erhöhter religiöser Teilnahme sowie ausgeprägterem Glauben einher. Zweitens sind die gängigen Dimensionen von Religiosität nicht systematisch mit der Wahl rechtspopulistischer Parteien verknüpft. Drittens mediieren religiöse Partizipation und Glaube nicht den Zusammenhang von Religionsanspruch und Wahlwahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parteien.Footnote 12 Die im Vergleich zu Christen mit inklusivem Religionsanspruch ausgeprägtere Kirchgangshäufigkeit und der stärkere Glaube der christlichen Wählerschaft mit exklusivem Religionsanspruch sind somit nicht für ihre erhöhte Wahlwahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parteien verantwortlich.

Um einer Erklärung des Ausgangsbefunds näher zu kommen, werden im Folgenden rechtspopulistische Positionen in der Analyse berücksichtigt. Der Einbezug einwanderungskritischer Einstellungen in M4 macht deutlich, dass sich dadurch der Effekt vom Religionsanspruch auf die Wahlwahrscheinlichkeit rechtspopulistischer Parteien nur geringfügig reduziert (0,704; p = 0,071). Dies liegt darin begründet, dass ebensolche Einstellungen zwar eindeutig mit der Wahl rechtspopulistischer Parteien assoziiert sind, jedoch unterscheiden sich die zwei Untersuchungsgruppen nicht signifikant im Grad ihrer einwanderungskritischen Einstellungen. Im Gegensatz dazu zeigt sich in M5, dass traditionelle Geschlechterrolleneinstellungen rund die Hälfte der Differenz in der Wahlwahrscheinlichkeit für rechtspopulistische Parteien zwischen Christen mit unterschiedlichem Religionsanspruch aufklären können (0,508; p = 0,133). Noch erklärungskräftiger sind die homonegativen Einstellungen, die in M6 Berücksichtigung finden. Unter Einbezug dieser Einstellungen tendiert der Effekt vom Religionsanspruch auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien sogar fast gegen Null (0,199; p = 0,568).

Die gleichzeitige Aufnahme der drei Dimensionen rechtspopulistischer Positionen in das Erklärungsmodell wird leider dadurch erschwert, dass unter Christen mit exklusivem Religionsanspruch zwei der Dimensionen, nämlich traditionelle Geschlechterrolleneinstellungen und homonegative Einstellungen, besonders hoch miteinander korreliert sind (0,534; p ≤ 0,001).Footnote 13 Um das Problem der Multikollinearität zu umgehen, wird eine Clusteranalyse (Bacher et al. 2010) durchgeführt. Eine solche Analyse ist nicht nur aufgrund der hohen Korrelation zweier Prädiktoren sinnvoll. Darüber hinaus korrespondiert eine Clusteranalyse mit der Idee der anvisierten Binnendifferenzierung der christlichen Wählerschaft, da die Analyse auf das Bilden von Subgruppen innerhalb der eigentlichen Untersuchungsgruppe abzielt. Eine Alternative zur Clusteranalyse wären einfache Mittelwert- oder Summenindizes aus allen drei Dimensionen rechtspopulistischer Positionen. Allerdings wären in diesem Fall Befragte schlicht auf einem Kontinuum von gering bis stark ausgeprägten rechtspopulistischen Einstellungen platziert. Konstellationen, die in einer Dimension geringe Werte, in einer anderen Dimension hingegen hohe Werte aufweisen, wären damit verschleiert. Womöglich sind es aber eben jene Konstellationen, die zwischen dem Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien vermitteln. Ziel der Clusteranalyse ist es also, Cluster von Christen zu identifizieren, in denen unterschiedliche Dimensionen rechtspopulistischer Positionen prävalent sind. Das Produkt dieser Analyse, die gebildeten Cluster, ermöglicht es schließlich, alle drei Dimensionen rechtspopulistischer Positionen zumindest indirekt im finalen Modell berücksichtigen zu können, ohne dabei auf die Informationen aus den zwei hochkorrelierten Variablen verzichten zu müssen. Da die Ergebnisse der ClusteranalyseFootnote 14 sowohl eine Zwei- als auch eine Drei-Clusterlösung zulassen, werden im Folgenden beide Lösungen präsentiert und kommen im Anschluss daran jeweils als Mediatoren im eigentlichen Erklärungsmodell zum Einsatz, um den Zusammenhang von Religionsanspruch und Wahl rechtpopulistischer Parteien zu erklären.

In Abb. 1 sind die Ergebnisse der Zwei- und der Drei-Clusterlösung aufgeführt. Die Zwei-Clusterlösung im linken Teil der Abbildung differenziert zwischen Christen mit vergleichsweise gering (N = 1277) und stark (N = 460) ausgeprägten rechtspopulistischen Positionen in allen drei Dimensionen. Die Drei-Clusterlösung im rechten Teil der Abbildung unterscheidet eine zusätzliche Gruppe christlicher Wähler. Neben Befragten, die sich dadurch auszeichnen, dass einwanderungskritische Einstellungen, traditionelle Geschlechterrolleneinstellungen und homonegative Einstellungen allesamt eher gering ausgeprägt sind (N = 815), und den Befragten, bei denen alle drei Dimensionen rechtspopulistischer Positionen überproportional hoch ausgeprägt sind (N = 445), finden sich Personen mit besonders stark ausgeprägten einwanderungskritischen Einstellungen (N = 477).

Abb. 1
figure 1

Mittelwerte der Einstellungsdimensionen der Zwei- und Drei-Clusterlösung (Clusteranalyse): a Zwei-Clusterlösung, b Drei-Clusterlösung. (Quelle: GLES (2015 und 2017), eigene Berechnungen. (1) gering ausgeprägte Einstellungen, (5) stark ausgeprägte Einstellungen)

In beiden Clusterlösungen kann die Konstellation mit hohen Ausprägungen in allen drei Dimensionen rechtspopulistischer Positionen mit dem Phänomen der Heterophobie in Verbindung gebracht werden. In Anlehnung an Memmi (1992, S. 124) soll damit „die Ablehnung des anderen unter Berufung auf Unterschiede jedweder Art gemeint sein“.Footnote 15 Durch diesen Begriff gelingt es, „jene phobischen und aggressiven Konstellationen begrifflich [zu] fassen, die gegen andere gerichtet sind und mit unterschiedlichen – psychologischen, kulturellen, sozialen oder metaphysischen – Argumenten gerechtfertigt werden“ (Memmi 1992, S. 121–122). Da in beiden Clusterlösungen auch die gegenteilige Konstellation vorliegt, also alle drei Dimensionen vergleichsweise gering ausgeprägt sind, wird diese Befragtengruppe mit dem Gegenbegriff der Heterophilie assoziiert. Es handelt sich bei Heterophilie somit (in Abgrenzung zur Heterophobie) um die Vorliebe des anderen aufgrund von Unterschieden jedweder Art. In der Drei-Clusterlösung findet sich schließlich das Phänomen des Nativismus wieder. Diese Befragten tendieren dazu, ein enges Verständnis von nationaler Zugehörigkeit zu haben. In diesem Sinne werden diejenigen, die als national nichtzugehörig gedeutet werden, als Bedrohung für den Nationalstaat angesehen (Mudde 2007, S. 19). Vor dem Hintergrund des Diskutierten werden im Folgenden die Befragten den Gruppen der heterophilen, der nativistischen oder der heterophoben Wähler zugeordnet.

Nachfolgend werden die Produkte der Clusterlösungen herangezogen, um den Zusammenhang von Religionsanspruch und Wahl rechtpopulistischer Parteien erklären zu können. Der Logik aus Tab. 2 folgend, sind in Tab. 3 die Effekte der sich aus der Zwei- (Modell 7, M7) und der Drei-Clusterlösung (Modell 8, M8) ergebenen Gruppen aufgeführt.Footnote 16 M7 ist zu entnehmen, dass heterophobe Wähler mit größerer Wahrscheinlichkeit rechtspopulistische Parteien wählen als die heterophile Vergleichsgruppe. Zudem neigen Christen mit exklusivem im Vergleich zu denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch eher dazu, heterophobe Positionen innezuhaben. Durch den Einbezug der rechtspopulistischen Positionen ins Erklärungsmodell reduziert sich der Effekt des Religionsanspruchs auf die Wahl rechtspopulistischer Parteien deutlich und wird insignifikant (0,323; p = 0,342). In M8 zeigt sich ein vergleichbares Bild. Nativistische und heterophobe Wähler tendieren eher zur Wahl rechtspopulistischer Parteien als diejenigen, die als heterophil klassifiziert sind. Ein exklusiver Religionsanspruch bringt eher nativistische und heterophobe Positionen mit sich als ein inklusiver Religionsanspruch, wobei nur der Vergleich zwischen heterophilen und heterophoben Positionen statistisch signifikant ist. Erneut zeigt sich, dass das Berücksichtigen rechtspopulistischer Positionen im Erklärungsmodell den Ausgangsbefund, dass Christen mit exklusivem Religionsanspruch im Vergleich zu denjenigen mit inklusivem Religionsanspruch häufiger ihr Kreuz bei rechtspopulistischen Parteien machen, erklären kann (0,384; p = 0,262). Die Befunde aus beiden Modellen sprechen also auch für eine Bestätigung der zweiten Hypothese (H 2) zur vermittelnden Funktion rechtspopulistischer Positionen zwischen dem Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien.

Tab. 3 Multivariate Analyse auf Wahl rechtspopulistischer Parteien (generalisierte Strukturgleichungsmodelle) – M7–M8

4.3 Robustheitsanalyse

Die theoretischen Annahmen zum Zusammenhang von Religionsanspruch, rechtspopulistischen Positionen und der Wahl rechtspopulistischer Parteien finden mit einer Ausnahme empirische Bestätigung. Es hat sich gezeigt, dass insbesondere homonegative Einstellungen, gefolgt von traditionellen Geschlechterrolleneinstellungen, den Zusammenhang von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien erklären können. Eine mögliche Erklärung für die untergeordnete Rolle einwanderungskritischer Einstellungen ist, dass nicht einwanderungskritische Einstellungen im Allgemeinen, sondern muslimkritische Einstellungen im Speziellen maßgeblich sind. Dafür sprechen sowohl einige Studien, die sich mit der Erklärung der Wahl rechtspopulistischer Parteien beschäftigen (z. B. Pickel und Yendell 2018) als auch Forschung, die sich der Angebotsseite rechtspopulistischer Parteien widmet, die gezeigt hat, dass diese Parteien einen dichotomen Antagonismus zwischen Christentum und Islam propagieren (z. B. Bitzl und Kurze 2021).

Um zu überprüfen, ob muslimkritische Einstellungen den Zusammenhang zwischen Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien mediieren, wird nachfolgend Modell 4 aus Tab. 2 repliziert, mit dem Unterschied, dass muslim- anstatt einwanderungskritische Einstellungen miteinbezogen werden. Da nur mit den GLES-Daten muslimkritische Einstellungen gemessen werden können, basiert diese Analyse auf einer reduzierten Stichprobe.Footnote 17 Die Resultate der Robustheitsanalyse zeigen, dass Christen mit exklusivem Religionsanspruch häufiger muslimkritische Einstellungen hegen als die Vergleichsgruppe mit inklusivem Religionsanspruch. Muslimkritische Einstellungen sind wiederum positiv mit der Wahl rechtspopulistischer Parteien assoziiert. Der Einbezug muslimkritischer Einstellungen reduziert die Differenz in der Wahlwahrscheinlichkeit rechtspopulistischer Parteien zwischen den beiden Untersuchungsgruppen deutlich (0,565; p = 0,217).

Insgesamt deuten die aufgeführten Evidenzen also darauf hin, dass Christen mit unterschiedlichem Religionsanspruch in ihren rechtspopulistischen Positionen variieren, wobei neben homonegativen Einstellungen und traditionellen Geschlechterrolleneinstellungen auch muslimkritische Einstellungen ein wesentliches Differenzierungsmerkmal darstellen. Differenzen in diesen drei Feldern, die von rechtspopulistischen Parteien bespielt werden, erklären wiederum die unterschiedliche Wahlhäufigkeit rechtspopulistischer Parteien von Christen mit inklusivem und exklusivem Religionsanspruch.

5 Zusammenfassung und Diskussion

Ziel der vorliegenden Studie war es, einen Beitrag zur Verhältnisbestimmung von christlicher Religiosität und Rechtspopulismus in Deutschland zu leisten. Durch eine binnendifferenzierte Analyse der christlichen Wählerschaft sollte die sogenannte Immunisierungshypothese (z. B. Guth und Nelsen 2021; Marcinkiewicz und Dassonneville 2021; Siegers und Jedinger 2021; Dilling 2018; Montgomery und Winter 2015) hinterfragt werden, die davon ausgeht, dass Religiosität vor der Wahl rechtspopulistischer Parteien schützt. Dabei lag der Fokus anders als in früheren Studien nicht auf den gängigen Dimensionen von Religiosität, religiöse Partizipation und Glaube, sondern auf dem Religionsanspruch der Christen.

Theoretisch wurde mit Bezugnahme auf Forschung von Wong (2018) zunächst eine Bedrohungswahrnehmung unter Christen mit exklusivem Religionsanspruch diagnostiziert, die dagegen bei der Vergleichsgruppe mit inklusivem Religionsanspruch nicht zu erwarten ist. Anschließend wurden Mobilisierungsargumente von rechtspopulistischen Parteien als Antwort auf diese wahrgenommene Bedrohung identifiziert. In Anknüpfung an den Theorieansatz von Beyer und Schnabel (2019), der sich mit Wechselwirkungen zwischen religiösen und politischen Weltanschauungen befasst, wurde dann demonstriert, dass ein exklusiver Religionsanspruch, anders als ein auf Inklusivität beruhender, und rechtspopulistische Positionen über die Funktion der Nomisierung verbunden sind. Schließlich wurde die Theorie sozialer Identität (Tajfel und Turner 1986; Tajfel 1982) herangezogen, um die Übersetzung der rechtspopulistischen Positionen in die Wahl rechtspopulistischer Parteien zu plausibilisieren.

Die empirischen Resultate stehen im Einklang mit einer Feststellung von Pickel (2018, S. 308): „Christ zu sein schützt nicht per se gegen die Offenheit für entsprechende inhaltliche Positionen, die seitens des Rechtspopulismus thematisiert werden.“ Die christliche Wählerschaft weist also mitnichten ein eindeutiges Verhältnis zum Rechtspopulismus auf. Christliche Wähler, die einen exklusiven Religionsanspruch vertreten, geben rechtspopulistischen Parteien deutlich häufiger ihre Stimme als diejenigen mit einem inklusiven Religionsanspruch, wobei es auch zu berücksichtigen gilt, dass nur eine kleine Gruppe an Christen tatsächlich einen exklusiven Religionsanspruch innehat. Dieser Ausgangsbefund ist darauf zurückzuführen, dass auf Exklusivität beruhende Religionsansprüche überproportional häufig mit rechtspopulistischen Positionen einhergehen. Diese Ergebnisse decken sich mit der Einschätzung von Huber und Yendell (2019, S. 77), die für den Zusammenhang von Religiosität und Rechtspopulismus feststellen „that the content of religious beliefs matters“. Die gängigen Dimensionen der Religiosität leisten dagegen keinen Erklärungsbeitrag für den Zusammenhang von Religionsanspruch und der Wahl rechtspopulistischer Parteien.

Insgesamt deuten die Befunde darauf hin, dass es erneut zu einer Verschiebung einer relevanten Konfliktlinie in der deutschen Wählerschaft gekommen ist. War ursprünglich eine konfessionelle Konfliktlinie zwischen Angehörigen des Katholizismus und des Protestantismus ausschlaggebend für Wahlverhalten, wurde diese durch eine religiöse Konfliktlinie, im Sinne der gängigen Dimensionen von Religiosität, abgelöst. Forschung aus den 1990er-Jahren postulierte: „Die Wahlforschung sollte ihre Fixierung auf Katholiken und Protestanten aufgeben und statt dessen [sic] den Gegensatz zwischen Gläubigen und Nichtgläubigen stärker in den Blick nehmen“ (Wolf 1996, S. 713). Vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse der vorliegenden Studie kann rund 25 Jahre später ergänzt werden: Die bisherige Fixierung auf Gläubige und Nichtgläubige in der Wahlforschung sollte aufgegeben werden, stattdessen sollte stärker auf den Gegensatz zwischen Individuen mit inklusivem und exklusivem Religionsanspruch fokussiert werden.

Aus den Limitationen der vorliegenden Studie ergibt sich zugleich zukünftiger Forschungsbedarf. Erstens ist der Einbezug der Konfessionszugehörigkeit der Befragten nur bedingt dazu geeignet, ihren (inklusiven oder exklusiven) Religionsanspruch abzubilden. Angenommen die konfessionelle Zugehörigkeit wäre kein geeigneter Indikator, um den Religionsanspruch zu approximieren, würden die hier präsentierten Ergebnisse dennoch aufzeigen, dass Konfessionszugehörigkeit mit der Wahl rechtspopulistischer Parteien assoziiert ist. Da dies schlicht zeigt, dass Angehörige unterschiedlicher religiöser Gruppen sich hinsichtlich ihres Wahlverhaltens unterscheiden, müsste auch dieser Befund erklärt werden. Für die Erklärung dieser Gruppenunterschiede wäre der Religionsanspruch wiederum ein naheliegender Kandidat, sodass das Kernargument, der Religionsanspruch der christlichen Wähler ist mitentscheidend dafür, ob für rechtspopulistische Parteien gestimmt wird, bestehen bleiben würde. Es bedarf deshalb der Erhebung von Indikatoren, die In- und Exklusivität des Religionsanspruchs direkter abbilden, bei gleichzeitiger Erfassung von Indikatoren zu rechtspopulistischen Positionen und Wahlverhalten. Diese kombinierte Erhebung würde eine neuerliche Überprüfung der Existenz der paradoxen Rolle von Religiosität mit Blick auf Rechtspopulismus ermöglichen. Zweitens ist die Tatsache unbefriedigend, dass auf zwei Datensätze mit unterschiedlichen Stichprobenziehungen, Befragungsformen und zum Teil leicht abweichenden Operationalisierungen zurückgegriffen werden musste. Die dadurch notwendige Datenharmonisierung ermöglicht zwar einen Erkenntnisgewinn. Da eine Vergleichbarkeit jedoch nie vollumfänglich erreicht werden kann, sollten Angehörige verschiedener religiöser Gruppen in Zukunft vermehrt in Stichproben überrepräsentiert werden, um Analysen basierend auf einem Datensatz zu ermöglichen. Drittens verringert der Ausschluss aller Angehörigen nichtchristlicher Religionsgemeinschaften aufgrund zu geringer Fallzahlen die Aussagenreichweite des vorliegenden Beitrags. Ob Religiosität jenseits des Christentums ebenfalls immunisierende und katalysierende Wirkung für die Wahl rechtspopulistischer Parteien entfaltet, ist eine offene empirische Frage. Viertens bleibt unbeantwortet, welche Parteien christliche Befragte wählen, die keiner rechtspopulistischen Partei ihre Stimme geben. Vor diesem Hintergrund ließe sich untersuchen, welches alternativen Politikangebotes es bedarf, damit Christen rechtspopulistische Parteien nicht unterstützen. Fünftens bedarf es einer noch rigoroseren empirischen Überprüfung der unterstellten erklärenden Mechanismen. Dies gilt insbesondere für den Link zwischen Religionsanspruch und rechtspopulistischen Positionen, der argumentativ über die Bedrohungswahrnehmung hergestellt wurde. Schließlich ist die unterstellte Kausalrichtung zwischen Religiosität und Rechtspopulismus nicht so eindeutig, wie durch die Wortwahl der immunisierenden und katalysierenden Funktion unterstellt. Eine alternative Perspektive auf Religiosität und Rechtspopulismus wäre diejenige, dass es sich bei einem auf Exklusivität beruhenden Religionsanspruch und rechtspopulistischen Positionen schlicht um ein und dasselbe Syndrom handelt. Demzufolge wäre der Zusammenhang zwischen Religiosität und Rechtspopulismus nicht als ein kausaler zu denken. Um sich der Frage von Kausalwirkung oder Syndrom zu nähern, bietet es sich an, Religiosität und Rechtspopulismus zukünftig verstärkt im Längsschnitt zu untersuchen.

Mit Blick auf eine wissenschaftliche Ebene lässt sich somit festhalten: Der in einigen Studien postulierte Zusammenhang zwischen Religiosität und der Wahl rechtspopulistischer Parteien sollte vor dem Hintergrund der gewonnenen Erkenntnisse nuanciert werden. Für den deutschen Kontext scheint vielmehr zu gelten, dass Religiosität, wenn sie als Religionsanspruch verstanden wird, im Falle von Inklusivität immunisierend, aber im Falle von Exklusivität auch katalysierend für die Wahl rechtspopulistischer Parteien wirken kann. Hinsichtlich einer praktisch-politischen Ebene könnte zugespitzt formuliert werden: Bleibt es bei einer gewissen Schnittmenge zwischen religiösen und rechtspopulistischen Positionen, wird es rechtspopulistischen Parteien weiterhin gelingen, christliche Wähler zu mobilisieren.