Skip to main content
Log in

Der Einfluss schulrechtlicher Reformen auf Bildungsungleichheiten zwischen den deutschen Bundesländern

Eine quasi-experimentelle Untersuchung am Beispiel der Verbindlichkeit von Übergangsempfehlungen

The Effect of Changing School Laws on Educational Inequalities Between the German States

A Quasi-Experimental Study on Mandatory vs. Non-Mandatory Tracking Recommendations

  • Abhandlungen
  • Published:
KZfSS Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie Aims and scope Submit manuscript

Zusammenfassung

Eine wichtige zwischen den Bundesländern variierende schulrechtliche Regelung ist die Verbindlichkeit der Schullaufbahnempfehlung beim Übergang von der Grundschule auf die weiterführenden Schulen. Während sie in einigen Bundesländern bindend ist, wird in anderen Bundesländern den Eltern die letztendliche Entscheidung überlassen, auf welche Schulform sie ihr Kind schicken. In der vorliegenden Studie wird untersucht, wie sich die Abschaffung bzw. Einführung von verbindlichen Übergangsempfehlungen auf die absolute Beteiligung an gymnasialer Bildung einerseits und soziale Disparitäten beim Gymnasialübergang andererseits auswirkt. Unter Verwendung des Difference-in-Differences-Ansatzes wird der kausale Effekt von 13 Reformen zwischen den Schuljahren 1949/50 und 2009/10 analysiert. Hierzu werden Daten des Statistischen Bundesamtes sowie die Mikrozensen herangezogen. Die Ergebnisse zeigen, dass die schulrechtlichen Reformen über die Zeit und Länder hinweg keine einheitliche Wirkung haben. In den meisten Fällen findet sich zwar der erwartete Effekt auf absolute Bildungsungleichheiten zwischen den Bundesländern. Allerdings sind die Resultate zu sozialen Ungleichheiten beim Gymnasialzugang größtenteils unerwartet.

Abstract

One school law regulation with considerable variation between the German states is the degree of obligation of tracking recommendations made by primary schools. While it is binding in some federal states, others allow parents to choose a more demanding secondary track than the recommended one. Our paper seeks to examine how the change from a mandatory to a non-mandatory context and vice versa affects the transition to the academic track (Gymnasium) in absolute terms and according to social origin. We employ a difference-in-differences design to analyze the causal influence of 13 reforms between the school years 1949/50 and 2009/10. For this purpose, we draw on data from the Federal Statistical Office and the Microcensus. The results show that school law changes have no uniform effect across time and states. In most of the cases, we find the predicted impact on absolute educational inequalities. However, the findings regarding social disparities at the transition to Gymnasium are mostly unexpected.

This is a preview of subscription content, log in via an institution to check access.

Access this article

Price excludes VAT (USA)
Tax calculation will be finalised during checkout.

Instant access to the full article PDF.

Abb. 1

Notes

  1. Zudem erwarten Spangenberg und Weishaupt (1999) mögliche Änderungen durch die Reform in Schleswig-Holstein vom Schuljahr 1970/71 zu 1971/72. Tatsächlich dürfte man die Effekte der Reform aber erst bei den Übergängen zum Schuljahr 1972/73 sehen (vgl. Abschn. 5.3).

  2. Das Sozio-oekonomische Panel (SOEP) und die nationalen PISA-Ergänzungsstudien erfüllen nicht alle Anforderungen.

  3. Eine Ausnahme bilden die Analysen für Schleswig-Holstein 1971/72 und Brandenburg 2007/08. In beiden Bundesländern gab es im Zeitraum des Szenarios B weitere wichtige schulrechtliche Änderungen, sodass eine Analyse hier nicht sinnvoll ist (s. Tab. 1).

  4. Vor 1995 sind die Mikrozensen nicht jährlich als Scientifc-Use-Files verfügbar.

  5. Wir haben die Berechnungen für Rheinland-Pfalz ebenfalls mit den 11- bzw. 13-Jährigen durchgeführt. Dabei kamen wir zu den gleichen Ergebnissen (nicht gezeigt).

  6. Dass manche Schüler in dieser Zeit aufgrund mangelnder Leistungen schon wieder vom Gymnasium abgeschult worden sind, stellt kein Problem dar, solange die Rate der Abschulungen innerhalb der einzelnen Bundesländer konstant ist. Bayern muss wegen der Abschaffung der Probezeit auf dem Gymnasium aus der Vergleichsgruppe ausgeschlossen werden.

  7. Den ISEI (International Socio-Economic Index of Occupational Status) haben wir nicht verwendet, da er mit den Mikrozensen vor 1996 nicht umgesetzt werden kann.

  8. Zudem haben wir alle Untersuchungszeitpunkte auch ohne Ausschluss von Bundesländern aus der Kontrollgruppe analysiert. Die zugehörigen Ergebnisse finden sich in Tab. 9 im Anhang. Im Allgemeinen zeigt sich keine größere Abweichung gegenüber den Ergebnissen aus Tab. 8. Dennoch unterscheiden sich die Koeffizienten für einige Analysezeitpunkte (Hamburg, Schleswig-Holstein, Niedersachsen und das Saarland 2009/10).

  9. Die Berechnungen für die Reform in Hessen haben wir noch einmal ohne die neuen Bundesländer durchgeführt (s. Tab. 8 im Anhang), da argumentiert werden kann, dass sich die Übergangsquoten auf das Gymnasium dort nach der Wende erst einmal normalisieren mussten. Allerdings führt der Verzicht auf die neuen Bundesländer zu keinen anderen Ergebnissen.

  10. Die Robustheit der Mikrozensus-Ergebnisse für Nordrhein-Westfalen haben wir durch eine Reihe von alternativen Modellspezifikationen überprüft. Unter anderem haben wir logistische Regression sowie Mehrebenenmodelle mit Bundesländern auf der höheren Ebene berechnet, für die Schätzungen nur Schüler aus Nordrhein-Westfalen herangezogen und die Beobachtungen auf Quartal I und II der seit 2005 unterjährigen Mikrozensus-Erhebung beschränkt (um Treatment- und Kontrollgruppe noch klarer zuzuschneiden).

Literatur

  • Angrist, Joshua D., und Jörn-Steffen Pischke. 2009. Mostly harmless econometrics. An empiricist’s companion. Princeton: Princeton University Press.

    Google Scholar 

  • Becker, Rolf. 2000. Klassenlage und Bildungsentscheidungen. Eine empirische Anwendung der Wert-Erwartungstheorie. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 52:450–474.

    Article  Google Scholar 

  • Bellenberg, Gabriele. 2012. Schulformwechsel in Deutschland. Durchlässigkeit und Selektion in den 16 Schulsystemen der Bundesländer innerhalb der Sekundarstufe I. Gütersloh: Bertelsmann Stiftung.

    Google Scholar 

  • von Below, Susanne. 2002. Bildungssysteme und soziale Ungleichheit. Das Beispiel der neuen Bundesländer. Opladen: Leske + Budrich.

    Book  Google Scholar 

  • Boudon, Raymond. 1974. Education, opportunity, and social inequality. Changing prospects in Western society. New York: Wiley.

    Google Scholar 

  • Breen, Richard, und John H. Goldthorpe. 1997. Explaining educational differentials. Towards a Formal Rational Action Theory. Rationality and Society 9:275–305.

    Article  Google Scholar 

  • Dietze, Torsten. 2011. Zum Übergang auf weiterführende Schulen – Auswertung schulstatistischer Daten aus 10 Bundesländern (= Materialien zur Bildungsforschung; Bd. 27). Frankfurt a. M: Deutsches Institut für Internationale Pädagogische Forschung.

    Google Scholar 

  • Ditton, Hartmut. 2007. Schulübertritte, Geschlecht und soziale Herkunft. In Kompetenzaufbau und Laufbahnen im Schulsystem. Ergebnisse einer Längsschnittuntersuchung an Grundschulen, Hrsg. Hartmut Ditton, 63–87. Münster: Waxmann.

    Google Scholar 

  • Ditton, Hartmut, Jan Krüsken und Magdalena Schauenberg. 2005. Bildungsungleichheit – der Beitrag von Familie und Schule. Zeitschrift für Erziehungswissenschaft 8:285–304.

    Article  Google Scholar 

  • Dollmann, Jörg. 2011. Verbindliche und unverbindliche Grundschulempfehlungen und soziale Ungleichheiten am ersten Bildungsübergang. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 63:595–621.

    Article  Google Scholar 

  • Erikson, Robert, und Jan O. Jonsson. 1996. Explaining class inequality in education: The Swedish test case. In Can education be equalized? The Swedish case in comparative perspective, Hrsg. Robert Erikson und Jan O. Jonsson, 1–63. Boulder: Westview Press.

    Google Scholar 

  • Esser, Hartmut. 1999. Soziologie. Spezielle Grundlagen. Band 1: Situationslogik und Handeln. Frankfurt a. M.: Campus.

    Google Scholar 

  • Frietsch, Rainer, und Heike Wirth. 2001. Die Übertragung der Magnitude-Prestigeskala von Wegener auf die Klassifikation der Berufe. ZUMA-Nachrichten 25:139–163.

    Google Scholar 

  • Füssel, Hans-Peter, Cornelia Gresch, Jürgen Baumert und Kai Maaz. 2010. Der institutionelle Kontext von Übergangsentscheidungen: Rechtliche Regelungen und die Schulformwahl am Ende der Grundschulzeit. In Der Übergang von der Grundschule in die weiterführende Schule. Leistungsgerechtigkeit und regionale, soziale und ethnisch-kulturelle Disparitäten (= Bildungsforschung; Bd. 34), Hrsg. BMBF, 87–106. Berlin: Bundesministerium für Bildung und Forschung.

    Google Scholar 

  • Gangl, Markus. 2010. Causal inference in sociological research. Annual Review of Sociology 36:21–47.

    Article  Google Scholar 

  • Gresch, Cornelia, Jürgen Baumert und Kai Maaz. 2009. Empfehlungsstatus, Übergangsempfehlung und der Wechsel in die Sekundarstuft I: Bildungsentscheidungen und soziale Ungleichheit. In Bildungsentscheidungen (= Zeitschrift für Erziehungswissenschaft; Sonderheft 12/2009), Hrsg. Jürgen Baumert, Kai Maaz und Ulrich Trautwein, 230–256. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Google Scholar 

  • Harazd, Bea. 2007. Die Bildungsentscheidung. Zur Ablehnung der Schulformempfehlung am Ende der Grundschulzeit (= Empirische Erziehungswissenschaft; Bd. 7). Münster: Waxmann.

    Google Scholar 

  • Helbig, Marcel. 2012. Sind Mädchen besser? Der Wandel geschlechtsspezifischen Bildungserfolgs in Deutschland. Frankfurt a. M: Campus.

    Google Scholar 

  • Helbig, Marcel, und Rita Nikolai. i. E. Die Unvergleichbaren. Der Wandel der Schulsysteme in den deutschen Bundesländern seit 1949. Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

  • Hepp, Gerd F. 2011. Bildungspolitik in Deutschland. Eine Einführung. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Book  Google Scholar 

  • Hillmert, Steffen. 2010. Soziale Ungleichheit im Bildungsverlauf: zum Verhältnis von Bildungsinstitutionen und Entscheidungen. In Bildung als Privileg. Erklärungen und Befunde zu den Ursachen der Bildungsungleichheit. 4., akt. Aufl., Hrsg. Rolf Becker und Wolfgang Lauterbach, 79–106. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Google Scholar 

  • Hillmert, Steffen, und Marita Jacob. 2005. Zweite Chance im Schulsystem? Zur sozialen Selektivität bei ,späteren‘ Bildungsentscheidungen. In Institutionalisierte Ungleichheiten. Wie das Bildungswesen Chancen blockiert, Hrsg. Peter A. Berger und Heike Kahlert, 155–176. Weinheim: Juventa.

    Google Scholar 

  • Keele, Luke, und William Minozzi. 2013. How much is Minnesota like Wisconsin? Assumptions and counterfactuals in causal inference with observational data. Political Analysis 21:193–216.

    Article  Google Scholar 

  • Legewie, Joscha. 2012. Die Schätzung von kausalen Effekten: Überlegungen zu Methoden der Kausalanalyse anhand von Kontexteffekten in der Schule. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 64:123–153.

    Article  Google Scholar 

  • Lohmann, Henning, und Olaf Groh-Samberg. 2010. Akzeptanz von Grundschulempfehlungen und Auswirkungen auf den weiteren Bildungsverlauf. Zeitschrift für Soziologie 39:470–492.

    Google Scholar 

  • Maaz, Kai, und Gabriel Nagy. 2009. Der Übergang von der Grundschule in die weiterführenden Schulen des Sekundarschulsystems: Definition, Spezifikation und Quantifizierung primärer und sekundärer Herkunftseffekte. In Bildungsentscheidungen (= Zeitschrift für Erziehungswissenschaft; Sonderheft 12/2009), Hrsg. Jürgen Baumert, Kai Maaz und Ulrich Trautwein, 153–182. Wiesbaden: VS Verlag für Sozialwissenschaften.

    Google Scholar 

  • Meyer, Bruce D. 1995. Natural and quasi-experiments in economics. Journal of Business & Economic Statistics 13:151–161.

    Google Scholar 

  • Neugebauer, Martin. 2010. Bildungsungleichheit und Grundschulempfehlung beim Übergang auf das Gymnasium: Eine Dekomposition primärer und sekundärer Herkunftseffekte. Zeitschrift für Soziologie 39:202–214.

    Google Scholar 

  • Pischke, Jörn-Steffen. 2007. The impact of length of the school year on student performance and earnings: Evidence from the German short school years. The Economic Journal 117:1216–1242.

    Article  Google Scholar 

  • Schimpl-Neimanns, Bernhard. 2000. Soziale Herkunft und Bildungsbeteiligung. Empirische Analysen zu herkunftsspezifischen Bildungsungleichheiten zwischen 1950 und 1989. Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 52:636–669.

    Article  Google Scholar 

  • Spangenberg, Heike, und Horst Weishaupt. 1999. Der Übergang auf weiterführende Schulen in ausgewählten Ländern der Bundesrepublik Deutschland. Auswertung schulstatistischer Daten. In Zum Übergang auf weiterführende Schulen. Statistische Analysen und Fallstudien, Hrsg. Horst Weishaupt, 7–111. Erfurt: Pädagogische Hochschule.

    Google Scholar 

  • StBA. 2014. GENESIS-Online. Tabelle 12411-0006: Bevölkerung: Deutschland, Stichtag, Altersjahre, Nationalität/Geschlecht/Familienstand 1970–2012. https://www-genesis.destatis.de/genesis/online/logon (Zugegriffen: 01. Juni 2014).

  • StBA. versch. Jahrgänge-a. Allgemeinbildende Schulen. Fachserie 11 Reihe 1. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.

  • StBA. versch. Jahrgänge-b. Statistisches Jahrbuch für die Bundesrepublik Deutschland. Wiesbaden: Statistisches Bundesamt.

Download references

Author information

Authors and Affiliations

Authors

Corresponding author

Correspondence to Stefanie Jähnen.

Danksagung:

Danksagung:

Für hilfreiche Kommentare und Anregungen danken wir Anette Eva Fasang, Joscha Legewie, Jaap Dronkers, Stefan Stuth und Rita Nikolai.

Tab. 8 Effekt der Abschaffung und Einführung der bindenden Schullaufbahnempfehlung auf die Gymnasialquote mit Ausschluss von Bundesländern aus der Kontrollgruppe (lineare Regression). Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.
Tab. 9 Effekt der Abschaffung und Einführung der bindenden Schullaufbahnempfehlung auf die Gymnasialquote ohne Ausschluss von Bundesländern aus der Kontrollgruppe (lineare Regression). Quelle: Statistisches Bundesamt, eigene Berechnungen.
Tab. 10 Einfluss der Bildung der Eltern auf den Gymnasialübergang vor und nach Abschaffung der bindenden Grundschulempfehlung in Niedersachsen und Rheinland-Pfalz (lineare Wahrscheinlichkeitsmodelle, robust geclustert nach Bundesländern). Quelle: Mikrozensen 1978, 1980, 1985 und 1987, eigene Berechnungen. M3 und M4 ohne Hamburg, M7 und M8 ohne Hessen (s. Tab. 3). Alle Berechnungen ohne Kontrolle von Kovariaten.

Rights and permissions

Reprints and permissions

About this article

Check for updates. Verify currency and authenticity via CrossMark

Cite this article

Jähnen, S., Helbig, M. Der Einfluss schulrechtlicher Reformen auf Bildungsungleichheiten zwischen den deutschen Bundesländern. Köln Z Soziol 67, 539–571 (2015). https://doi.org/10.1007/s11577-015-0338-1

Download citation

  • Published:

  • Issue Date:

  • DOI: https://doi.org/10.1007/s11577-015-0338-1

Schlüsselwörter

Keywords

Navigation