Einleitung

Bewegungsarmut und sitzendes Verhalten prägen vielfach den Alltag Studierender. Da dies negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben kann, gewinnt die Implementierung von Programmen zu Bewegungsförderung und Vermeidung des sitzenden Verhaltens im Setting Hochschule an Bedeutung [11, 16, 18]. Die Wirksamkeit von Top-down-Ansätzen wird zunehmend angezweifelt, so dass partizipative Programmentwicklungen Einzug halten [2].

Transdisziplinäre Forschung

Wissenschaftliche Befunde zeigen, dass Interventionen dann erfolgreich sind, wenn transdisziplinäre Methoden genutzt werden. Dabei werden disziplinäre Grenzen überschritten, Settingmitglieder, Multiplikator:innen und politische Entscheidungsträger:innen in den Forschungsprozess einbezogen und Entscheidungen gemeinsam getroffen [9, 20]. Es werden sowohl ein wissenschaftlicher Erkenntnisprozess als auch ein lebensweltlicher Problemlösungsprozess miteinander kombiniert. Der transdisziplinäre Forschungsprozess lässt sich in drei Phasen untergliedern: Problemidentifikation/-strukturierung, Problembearbeitung und Umsetzung in die Praxis. Ausgangspunkt bildet dabei ein lebensweltliches Problem. Dieses muss unter Einbezug von wissenschaftlichem und praktischem Wissen identifiziert und strukturiert werden, bevor durch neues, disziplinübergreifendes Wissen anwendbare Lösungsstrategien zur Problemlösung erarbeitet werden [10]. Kooperative Planung, interaktiver Wissensaustausch und Kapazitätsaufbau stellen in der Gesundheitsförderung verbreitete Methoden der Transdisziplinarität dar. Eng damit verknüpft sind die zentralen Strategien der Gesundheitsförderung – Partizipation und Empowerment [4, 24, 26, 27].

Der Beitrag betrachtet folgende Forschungsfragen mittels eines systematischen Literaturreviews:

  • Welche Rolle spielt transdisziplinäre Forschung in Entwicklung und Umsetzung von Interventionen zu Gesundheits- und Bewegungsförderung im Setting Hochschule bei Studierenden?

  • Wie werden deren Methoden konkret in der Praxis umgesetzt?

Methodik

Suchstrategie

Für das vorliegende Review wurde eine umfassende Suche in den bibliographischen Datenbanken PubMed, Web of Science und im UB-Katalog der Universität Bayreuth durchgeführt. Von April bis November 2020 wurde nach Publikationen gesucht, die zwischen 2007 und 2020 publiziert wurden. Zur Definition der Fragestellung wurde das PICO(C)-Schema herangezogen [8, 19]. Dieses steht für „population“, „intervention“, „comparison“, „outcomes“ und „context“ [8, 19]. Damit konnte die besonders betroffene Zielgruppe, die geeigneten Interventionen, sowie deren Ziel und Anwendungskontext identifiziert werden.

Die Suchbegriffe wurden aus der Fragestellung abgeleitet und umfassten „Gesundheitsförderung“, „Bewegungsförderung“, „Bewegung“, „sitzendes Verhalten“ und „Transdisziplinarität“ sowie deren verwandte Begriffskombinationen bzw. englische Übersetzungen. Diese wurden mit „Studierende“, „Hochschule“ und „Universität“ verknüpft. Da die Suche nach dem Begriff „Transdisziplinarität“ im Zusammenhang mit Setting Hochschule wenige Treffer ergab, wurde das Auftreten transdisziplinärer Ansätze in den Studien manuell überprüft. Zudem war eine Umschreibung des Begriffes durch „kooperative Planung“, „interaktiver Wissensaustausch“ und „Kapazitätsaufbau“ sowie „Empowerment“ und „Partizipation“ notwendig, um transdisziplinäre Ansätze und potenzielle Studien für die Auswahl zu identifizieren. Ergänzt wurde die datenbankgestützte Literaturrecherche durch das sogenannte „Schneeballsystem“.

Einschlusskriterien

Auswahl und Auswertung der Studien erfolgten unter Berücksichtigung der Cochrane-Vorgaben sowie den Leitlinien zur Konzipierung wissenschaftlich fundierter Reviews [8, 19]. Es wurden Studien berücksichtigt, die folgende Einschlusskriterien erfüllten:

  • Publikationszeitpunkt der Studien nach dem Jahr 2007Footnote 1,

  • Publikationen in deutscher oder englischer Sprache,

  • Studien berücksichtigen Studierende als Zielgruppe,

  • Studien verfolgen das Ziel Gesundheits- und/oder Bewegungsförderung,

  • Aspekte „Bewegung“ und/oder „sitzendes Verhalten“ werden in den Studien thematisiert,

  • Anwendung transdisziplinärer Ansätze.

Studienauswahl

Im ersten Schritt der Datenbankrecherche konnten 1204 Datensätze identifiziert und durch Rückwärts- und Vorwärtszitatrecherchen zusätzlich 7 Datensätze generiert werden. Die insgesamt 1211 identifizierten Artikel wurden auf Duplikate und Titel überprüft, woraufhin 1020 Datensätze ausgeschlossen wurden. Nach Sichtung von Titel und Abstract wurden 37 Studien für eine Volltextanalyse ausgewählt. Unter Anwendung der genannten Einschlusskriterien wurden weitere Referenzen aufgrund des Veröffentlichungsdatums, der Zielgruppe und des Inhalts ausgeschlossen, sodass 10 Studien in die endgültige Bewertung einbezogen wurden. Das Flussdiagramm gibt einen Überblick zur Literaturrecherche und Auswahl relevanter Studien (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Flussdiagramm der Literaturrecherche und Auswahl relevanter Studien (eigene Darstellung)

Ergebnisse

Studienergebnisse

Die zentralen Merkmale und Ergebnisse der Analyse der eingeschlossenen Studien sind in Tab. 1 zusammengefasst.

Tab. 1 Studienmerkmale und Schlüsselerkenntnisse

Zielgruppen und Ziele

Acht Studien (1, 4–10) konzentrieren sich auf Studierende, zwei (2, 3) berücksichtigen zusätzlich Beschäftigte. Drei Studien (5, 8, 10) zielen ausschließlich auf Bewegungsförderung oder Sitzzeitreduktion ab, während sieben (1–4, 6, 7, 9) Gesundheitsförderung i. Allg. anstreben. Diese wurden deshalb in die Auswahl einbezogen, da sie auch Maßnahmen zur Förderung des Bewegungs- und Reduzierung des Sitzverhaltens enthalten.

Methodik

Bei allen Studien wird methodisch ähnlich vorgegangen. So wird zunächst eine Bedarfsanalyse erstellt, in der Belastungen und Bedürfnisse der Studierenden ermittelt werden (per Fragebogen [1–3, 5–10], Interviews [4, 5, 6, 8], „Open Space“ [9], Gesundheitszirkel [1, 5]). Verfügbare Ergebnisse der Bedarfsanalysen verdeutlichen, dass Studierende insgesamt ungünstige Lebensstilmerkmale (bspw. Bewegungsmangel [9, 10], zu lange Sitzzeiten [8], physische und psychische Beschwerden [1, 4, 9]) aufweisen. In allen Interventionen werden entsprechende Maßnahmen abgeleitet und umgesetzt, die in der Mehrheit der Studien (1–3, 5–10) auch anschließend anhand einer Evaluation bewertet werden. Schlussfolgernd lässt sich sagen, dass die meisten Studien (2, 5–9) Bezug auf den „public health action cycle“ nehmen [22, 23].

Maßnahmen

Die meisten Maßnahmen (n = 8; 2, 3, 5–10) zielen auf Bewegungsförderung ab. Erreicht werden soll dies durch Bewegungs- und Sportangebote (2, 3, 6–10), aktive Pausen während Lehrveranstaltungen (3, 5, 7, 8) und durch weitere spezifische Aktionen (7). Neben den Bewegungsmaßnahmen werden zusätzlich Interventionen zur Informationsvermittlung (z. B. Gesundheitskampagnen) durchgeführt (3, 4, 7–9). Zu weiteren Maßnahmen gehören Beratungsangebote (3, 8), Kurse für Zeit- und Stressmanagement (1, 3, 6), Änderungen der physischen Umwelt (z. B. Sitz‑/Stehpulte etc.; 1, 8), Peer-to-peer-Ansätze (8–10) und die Entwicklung eines Gesundheitspasses (6). Bei der Umsetzung sind in allen Studien transdisziplinäre Ansätze erkennbar, die zum einen durch zentrale Strategien der Gesundheitsförderung realisiert werden (1–10) und zum anderen durch Methoden der transdisziplinären Forschung (1–3, 5–9), die im Folgenden aufgeführt werden.

Interventionstechniken

Nun sollen die Interventionstechniken analysiert werden, die in den Studien angewandt werden. Es handelt sich hierbei um verschiedene Ansätze der transdisziplinären Forschung: kooperative Planung, interaktiver Wissensaustausch und Kapazitätsaufbau [4, 24, 26, 27].

Unter kooperativer Planung ist ein partizipatorischer Prozess zu verstehen, der sich in drei Phasen untergliedert:

  • Bestimmung wesentlicher Gruppen/Organisationen im jeweiligen Setting und Bildung einer Planungsgruppe mit allen Statusgruppen und Stakeholdern,

  • Planungsphase,

  • Umsetzung der Maßnahmen.

Durch Einbezug verschiedener Praxisakteure ist die Methode der kooperativen Planung eng mit dem Ansatz der Partizipation verknüpft [4, 15]. Partizipation kann durch Gesundheitszirkel, Bildung von interdisziplinären Projektteams und Fokusgruppen erfolgen. Dadurch ist die Zielgruppe aktiv an Maßnahmenentwicklung und -implementierung beteiligt. Auch mittels Bedarfsanalysen partizipieren Studierende an der Projektplanung, wenn konkret auf Bedürfnisse und Lösungsvorschläge eingegangen wird. In einigen Studien wird eine Kombination aus den Möglichkeiten eingesetzt (1, 5, 6, 8, 9). Die Mehrheit der Studien (1, 2, 4, 5, 7–10) bezieht Studierende in die Projektplanung ein. Ein kooperativer Planungsprozess kann ebenso durch Einrichtung eines Steuergremiums (1, 2, 7, 8) umgesetzt werden. Dieses besteht aus Vertreter:innen aller Hochschulangehörigen, die regelmäßige Treffen zur Weiterentwicklung des Gesundheitsmanagements abhalten. Durch eine Vernetzung aller internen Akteure durch Kooperationen mit dem Hochschulsport (3, 5, 8), dem Studierendenwerk (3), verschiedenen Fakultäten oder Studiengängen (1, 3, 7, 9) kann kooperative Planung intensiviert werden. Neben der inneruniversitären Vernetzung wird durch Kooperationen mit externen Partnern (1, 2, 7) zusätzlich ein externes Netzwerk geschaffen. Kooperative Planung kann durch die Bildung von Fokusgruppen (7) oder ein interdisziplinäres Projektteam realisiert werden (2, 9).

Die Strategie des interaktiven Wissensaustauschs ist durch interaktive Austausch- und Abstimmungsprozesse zwischen Wissenschaft und Praxis gekennzeichnet, die durch partizipatorische Forschungsstrategien ermöglicht werden und hauptsächlich durch die Errichtung interner und externer Netzwerke garantiert wird (1–3, 5–9) [27]. Kooperative Planung stellt also die Voraussetzung für einen interaktiven Wissenstransfer dar. Dieser kann durch die Gründung von Steuergremien (1, 2, 7, 8), Gesundheitszirkeln (1, 5) oder Fokusgruppen (7) realisiert werden. Kapazitätsaufbau soll durch den „Aufbau von Wissen, Fähigkeiten, Engagement, Strukturen, Systemen und Führungsqualitäten“ [30, S. 42] die Effektivität und Nachhaltigkeit gesundheitsfördernder Programme sicherstellen [14]. Dies kann durch den Aufbau eines Netzwerks aus internen und externen Kooperationspartnern (1–3, 5–9) erreicht werden. Durch die Einrichtung von Gremien (1, 2, 7, 8), Gesundheitszirkeln (1, 5) oder Fokusgruppen (7) können Strukturen entwickelt und Partizipation gewährleistet werden. Eine weitere Dimension des Kapazitätsaufbaus stellt das Programmmanagement dar, bei dem Rollen und Verantwortlichkeiten in Gremien oder Gesundheitszirkeln definiert werden [15]. Das wesentliche Ziel des Kapazitätsaufbaus besteht in der Schaffung dauerhafter Strukturen [14]. Eine strukturelle Einbindung und nachhaltige Verankerung der Gesundheitsförderung an der Hochschule stellt für viele Universitäten ein wesentliches Ziel sowie eine enorme Herausforderung dar. Erreicht werden kann dies bspw. durch die Gründung eines Steuergremiums (1, 2, 7, 8), eine interne Koordination (2) sowie eine stetige Weiterentwicklung des Gesundheitsmanagements (3, 6). Ein Erfolgsfaktor für eine gesundheitsfördernde Hochschule stellt zudem die Unterstützung durch die Hochschulleitung dar [28]. Umgesetzt wird dies in vier der betrachteten Studien (1, 2, 5, 6).

Diskussion

Die aufgeführten Ergebnisse zeigen, dass transdisziplinäre Ansätze in der Praxis der Bewegungsförderung von Studierenden umgesetzt werden sowie Nachhaltigkeit und Akzeptanz einer bewegungsfördernden Maßnahme begünstigen. Deutlich wird auch, dass meist mehrere transdisziplinäre Ansätze – kooperative Planung, interaktiver Wissenstransfer und Kapazitätsaufbau – miteinander verschränkt werden. Die Anwendung des „public health action cycle“ hat sich in der Praxis bewährt. Insbesondere die Schritte Bedarfsanalyse und Evaluation sind für das Etablieren gesundheitsfördernder Interventionen an Hochschulen bedeutsam. Die Studien verdeutlichen zudem, wie die Ansätze der Gesundheitsförderung mit transdisziplinären Methoden zusammenhängen. Zunächst stellt die Form der Entscheidungsteilhabe ein wichtiges Instrument dar, über das Empowerment erfolgen kann [6]. Empowerment wird durch Partizipation der Zielgruppe ermöglicht. Der Ansatz der kooperativen Planung erlaubt eine strukturierte Partizipation und Befähigung verschiedener Akteure [15, 25, 26] und ist eng mit zentralen Strategien der Gesundheitsförderung verknüpft. Interaktiver Wissenstransfer und Kapazitätsaufbau werden durch kooperative Planung ermöglicht und gefördert [26]. Die Begriffe sowie Umsetzungsprozesse sind deshalb nicht isoliert voneinander.

Transdisziplinäre Methoden werden durch den Einbezug von Praxisakteuren in die Projektplanung und Maßnahmenimplementierung umgesetzt. Realisiert wird dies durch Bedarfsanalysen, die Schaffung interner sowie externer Netzwerke, die Gründung von Steuergremien, Gesundheitszirkeln, interdisziplinären Projektteams und Fokusgruppen, die Einbindung der Hochschulleitung und eine strukturelle Verankerung. Partizipation und Empowerment stellen hierbei eine wesentliche Voraussetzung für die Umsetzung der transdisziplinären Methoden dar. Eine Verallgemeinerung der Ergebnisse dieses Reviews ist aufgrund der Eingrenzung der verwendeten Suchbegriffe und zugrunde gelegter Einschlusskriterien nur bedingt möglich. Trotz dieser Limitationen kann resümiert werden, dass der Einsatz von transdisziplinären Methoden bei Entwicklung und Implementierung von gesundheitsfördernden Interventionen an Hochschulen zu mehr Akzeptanz bei der Zielgruppe und einer nachhaltigeren Verankerung der Gesundheits- und Bewegungsförderung in den Strukturen der Hochschule führen kann. Die Studien berichten allerdings hauptsächlich über die Entwicklung und Implementierung und weniger über Auswirkungen dieser Methoden.

Fazit für die Praxis

  • Die Anwendung transdisziplinärer Methoden bei der Entwicklung und Implementierung von gesundheitsfördernden Interventionen an Hochschulen kann zu mehr Akzeptanz bei der Zielgruppe und einer nachhaltigeren Etablierung der Gesundheits- und Bewegungsförderung führen.

  • Aussagekräftige Schlussfolgerungen zur langfristigen Wirksamkeit von bewegungsfördernden Interventionen sind schwer möglich.

  • Studien zur weiteren Erforschung sind erforderlich; insbesondere sitzendes Verhalten bei Studierenden sollte fokussiert werden.