Pseudarthrosen

Pseudarthrosen sind häufig. Eine verzögerte Frakturheilung tritt bei 5–10 % aller Frakturen auf. Eine Pseudarthrose entsteht bei 1–5 % aller Frakturen. Allerdings variiert die Inzidenz erheblich in Abhängigkeit von betroffenem Knochen, Weichteilschaden und individuellen Risikofaktoren. So sind bei Frakturen langer Röhrenknochen der unteren Extremität Pseudarthroseraten von 3–48 % publiziert [14], bei offenen Tibiaschaftfrakturen wird die Pseudarthroserate mit bis zu 30 % angegeben [28]. Bei initial II° und III° offenen Frakturen steigt das Risiko, eine septische Pseudarthrose mit chronischer Osteomyelitis (Infektpseudarthrose) zu entwickeln. Weitere Risikofaktoren für die Ausbildung einer Infektpseudarthrose sind individuelle Risikofaktoren des Patienten wie Komorbiditäten oder Immunsuppression.

Low-Grade-Infekte/Infektpseudarthrosen

Während Frühinfekte in der Regel mit eindeutigen infekttypischen Symptomen und Erhöhung der laborchemischen Entzündungsparameter einhergehen und damit sicher diagnostizierbar sind, verlaufen Spätinfekte nicht selten klinisch und laborchemisch diskret oder inapparent (Low-Grade-Infekte). Diese sog. Low-Grade-Infekte werden in der Regel durch wenig virulente Keime verursacht, z. B. Staphylococcus epidermidis oder Propionibacteriaceae. Einziges „Symptom“ kann die Ausbildung einer Pseudarthrose sein. Entsprechend schwierig ist die korrekte Diagnosestellung eines Low-Grade-Infekts bzw. einer Infektpseudarthrose. Dies kann dazu führen, dass Low-Grade-Infekte nicht als solche diagnostiziert werden oder die Diagnosestellung deutlich verspätet erfolgt [7, 9].

Die tatsächliche Inzidenz von Infektpseudarthrosen/Low-Grade-Infekten ist nicht bekannt. In der aktuellen Literatur werden je nach Studie und Untersuchungstechnik Infektraten bis zu 88 % der untersuchten Pseudarthrosen genannt [12, 17, 24].

Für den Behandler stellt die Infektpseudarthrose eine medizinische Herausforderung dar. Ziele sind zum einen die Infektberuhigung und zum anderen die Frakturheilung. Häufig ist ein interdisziplinäres Vorgehen – Unfallchirurgie, plastische Chirurgie, Gefäßchirurgie und Mikrobiologie – erforderlich.

Biofilm

Ein wesentliches Problem bei der Diagnostik von Low-Grade-Infekten ist die Fähigkeit der Bakterien, einen Biofilm zu bilden.

Bei Bakterien kann man 2 Lebensformen unterscheiden: die planktonische (frei lebende) Form und den Biofilm. Während die planktonische Form die metabolisch aktive mit einer raschen Replikation ist, sind Bakterien im Biofilm metabolisch wenig aktiv. Sie befinden sich in einer stationären Wachstumsphase. Beim Biofilm unterscheidet man weiterhin zwischen einem frühen (unreifen) Biofilm, der sich nach ca. 3 Wochen in einen reifen Biofilm umwandelt. Bei einem reifen Biofilm findet man eine stabile Zellmatrix; die Bakterien sind vor Antibiotikawirkung geschützt. In einem solchen Biofilm sind Bakterien bis zu 1000-mal resistenter gegen Antibiotika. Zudem ist eine Kommunikation der Bakterien im Biofilm durch sog. Quorum-sensing-Moleküle möglich. Insgesamt gibt es nur wenige Antibiotika, die Bakterien im (unreifen) Biofilm abtöten können, wie das Rifampicin oder Chinolone [1, 23].

Therapie von Low-Grade-Infekten/Infektpseudarthrosen

Für die erfolgreiche Therapie von Low-Grade-Infekten bzw. Infektpseudarthrosen gelten die Regeln der Osteomyelitisbehandlung.

Ziele sind Infektberuhigung und Frakturheilung. Meist sind zur Infektberuhigung mehrere operative Revisionen mit Metallentfernung, Débridement, Sequestrektomie, ggf. auch Markraumaufbohrung sowie die Einlage lokaler Antibiotikaträger erforderlich. Neben der chirurgischen Therapie sind eine systemische resistenzgerechte antibiotische Behandlung und damit die Erregeridentifikation Voraussetzung für eine erfolgreiche Therapie. Die Frakturheilung ist in der Regel erst nach erfolgter Infektberuhigung möglich.

Wird der Infekt nicht erkannt, kommt es unter Umständen zu einer inadäquaten Therapie. Ohne Identifizierung des Erregers kann zudem keine gezielte antibiotische Therapie erfolgen. In der Folge kann es zu Therapieversagern kommen mit der Notwendigkeit erneuter operativer Revisionen, Erregerpersistenz und Ausbildung neuer Antibiotikaresistenzen bei insuffizienter Antibiose und Verlängerung der Dauer bis zur knöchernen Konsolidierung.

Um eine gezielte und damit erfolgreiche Therapie durchführen zu können, ist eine korrekte Diagnosestellung also zwingend erforderlich. Entsprechend wird eine zuverlässige und genaue Diagnostik benötigt.

Diagnostik von Infektpseudarthrosen

Eine zuverlässige Diagnose von Low-Grade-Infekten ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt jedoch nicht möglich [7, 9].

Die zur Verfügung stehenden diagnostischen Verfahren bzw. die Art und Weise der Probengewinnung sind durch eine in der klinischen Praxis geringe Standardisierung und durch eine geringe Sensitivität gekennzeichnet. Falsch negative Ergebnisse nach Probenentnahme werden je nach Studie und Untersuchungsmethode in 10–50 % der Fälle beschrieben [10, 15, 19]. Als Gründe hierfür werden u. a. Art und Aufarbeitung der Proben angegeben. Ein weiterer wichtiger – wenn nicht der entscheidende – Grund ist die Fähigkeit der Bakterien, sog. Biofilme zu bilden und sich damit zu schützen.

Bisher finden sich in der Literatur überwiegend Studien zur Diagnostik von Endoprotheseninfekten [5, 13, 25, 27]. Die Diagnostik von Infektpseudarthrosen ist erst in jüngerer Zeit Gegenstand der Betrachtung.

Biopsie ja – aber wie?

Der Erregernachweis aus Gewebeproben gilt nach wie vor als Goldstandard [9]. Punktionen oder Abstriche sind nicht ausreichend. Wenn eine offene Biopsie durchgeführt wird, sollten – insbesondere bei fehlenden klinischen Infektzeichen und dem Verdacht auf einen Low-Grade-Infekt – mindestens 3 bis 6 Proben von unterschiedlichen Stellen entnommen werden. Zusätzlich sollte, wenn medizinisch vertretbar, vor der Biopsie eine mindestens 14-tägige Antibiotikapause eingehalten werden.

Einzeitig versus zweizeitig

Bei der einzeitigen Biopsie werden die Proben im Rahmen der definitiven Pseudarthrosenrevision (in der Regel mit Dekortikation, Defektauffüllung und Reosteosynthese) entnommen. Bei der zweizeitigen Biopsie hingegen erfolgt zunächst nur eine Biopsie. Erst nach Vorliegen des endgültigen Ergebnisses nach 14-tägiger Bebrütung wird in Abhängigkeit dieses Ergebnisses das weitere Prozedere festgelegt.

Um zu entscheiden, ob eine Biopsie ein- oder zweizeitig erfolgt, muss eine Risiko-Nutzen-Abwägung erfolgen: Eine zweizeitige Biopsie bedeutet eine zusätzliche Operation, die im Falle einer aseptischen Pseudarthrose nicht notwendig wäre. Andererseits unterscheidet sich das weitere operative Vorgehen im Falle eines positiven Keimnachweises erheblich von der definitiven aseptischen Pseudarthrosenrevision. Wir favorisieren die einzeitige Biopsie nur bei fehlenden klinischen Infektzeichen und fehlenden Risikofaktoren für das Vorliegen einer Infektpseudarthrose (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Algorithmus zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen bei Pseudarthrosen

Untersuchungsmethoden

Für den Erregernachweis bei Infektpseudarthrosen werden in der Literatur verschiedene diagnostische Methoden mit unterschiedlichen Ergebnissen beschrieben.

Kulturelle Standardverfahren

Die kulturellen Verfahren sind der Goldstandard.

Olszewski et al. [16] untersuchten retrospektiv 453 Patienten mit Pseudarthrose und Risikofaktoren (offene Fraktur, Infektvorgeschichte), aber ohne klinische Infektzeichen zum Zeitpunkt der Operation mittels kultureller Standardverfahren. Bei 91 Patienten (20 %) fand sich intraoperativ ein positiver Keimnachweis, 83 Patienten wurden daraufhin für mehrere Wochen mit systemischer Antibiose behandelt. Bei 78 % mit Keimnachweis heilte die Pseudarthrose ohne weitere operative Intervention aus, während 96 % der Pseudarthrosen ohne Keimnachweis heilten. Dieser Unterschied ist signifikant, sodass die Autoren schlussfolgern, dass der positive Keimnachweis auch ohne klinische Infektzeichen von Bedeutung ist und entsprechend behandelt werden sollte.

In aktuellen Studien wird für die herkömmlichen kulturellen Verfahren jedoch eine höhere Rate falsch negativer Ergebnisse, insbesondere bei Biofilmbildnern und bei vorher durchgeführter antibiotischer Therapie, angegeben [2, 17, 25, 26].

Sonikation

Gegenwärtig erfährt insbesondere die Aufbereitung von explantierten Implantaten zur mikrobiologischen Untersuchung mit dem Verfahren der Sonikation zunehmende Beachtung. Hierbei werden die zu untersuchenden Proben in einem Ultraschallbad mit niederfrequentem Ultraschall behandelt, sodass die Bakterien aus ihren Biofilmen abgelöst werden, ohne hierbei zerstört oder devitalisiert zu werden. Anschließend erfolgt eine Analyse der Sonikationsflüssigkeit durch Ausstreichen einer definierten Flüssigkeitsmenge auf einer Agarplatte.

Höhere Sensitivitäten als bei den Standardkulturen, insbesondere bei Biofilm-bildenden Erregern und Mischinfektionen oder vorheriger antibiotischer Behandlung, wurden in mehreren Studien nachgewiesen [6, 8, 25, 27]. Allerdings beziehen sich die meisten vorliegenden Studien auf die Diagnostik von Endoprotheseninfekten [5, 25, 27]. Bei der Identifikation von Infektpseudarthrosen bzw. implantatassoziierten Infekten hat die Sonikation bisher keinen gesicherten Stellenwert; Daten bezüglich Infektpseudarthrosen sind sogar teils widersprüchlich [11]. Allerdings geben mehrere Studien Hinweise darauf, dass die Sonikation auch bei der Diagnostik von Infektpseudarthrosen höhere Sensitivitäten erzielt [2, 5, 6, 20, 26].

So haben Dapunt et al. [2] in ihrer Studie 49 Patienten mit atropher Pseudarthrose und 45 Patienten mit geplanter Metallentfernung prospektiv mittels Sonikation und kulturellen Standardverfahren untersucht: 32,7 % der Pseudarthrosengruppe zeigten präoperativ jedoch bereits klinische Infektzeichen (Rötung, Fistel, Pus). Während nur bei 10,2 % der Pseudarthrosengruppe mittels klassischer kultureller Standardverfahren Bakterien nachgewiesen werden konnten, wurden mit dem Verfahren der Sonikation in 57,1 % Bakterien nachgewiesen, v. a. typische Erreger von Low-Grade-Infekten. Allerdings fand sich auch bei 40 % der elektiven Kontrollgruppe ein positiver Keimnachweis. Dementsprechend stellt sich die Frage, welche klinische Relevanz diese Keimnachweise haben.

„Polymerase chain reaction“

Bei der „polymerase chain reaction“ (PCR) wird bakterielle DNA gebunden, amplifiziert und schließlich zum Nachweis gebracht (klassische Endpunkt-PCR).

In der aktuellen Literatur finden sich Hinweise darauf, dass auch molekularbiologischen Verfahren wie der PCR ein Stellenwert in der Infektdiagnostik zukommen könnte. In einzelnen Studien konnten mittels PCR sehr hohe Raten positiver Keimnachweise erzielt werden.

Palmer et al. [17] verglichen in ihrer Studie die herkömmlichen Standardkulturen mit dem Verfahren der PCR bei 34 Patienten mit Pseudarthrose. Während mittels der Standardkulturen in 23,5 % Bakterien nachgewiesen wurden, gelang mittels PCR ein positiver Keimnachweis in 88,2 %. Insbesondere Propionibakterien als typische Erreger von Low-Grade-Infekten wurden ausschließlich mittels PCR nachgewiesen. Die Autoren schlussfolgern, dass durch die kulturellen Standardverfahren Bakterien im Biofilm nicht nachgewiesen werden können. Allerdings stellt sich bei einem positiven Keimnachweis von 88,2 % auch die Frage, inwieweit eine „oversensitivity“ bei der PCR vorliegt.

Gille et al. [7] verglichen in ihrer Studie ebenfalls die Ergebnisse von kulturellen Standardverfahren mit denen der PCR, allerdings ausschließlich bei Tibiaschaftpseudarthrosen ohne klinische Infektzeichen. Mittels kultureller Standardverfahren gelang hier kein Keimnachweis, während mittels PCR immerhin bei 8,7 % ein Keimnachweis gelang.

Aus ökonomischer Sicht erfordern molekularbiologische Verfahren wie die PCR einen hohen Investitionsaufwand mit zusätzlich hohen laufenden Kosten.

Weitere Verfahren

Ein weiterer neuer Ansatzpunkt ist der Nachweis von Biomarkern. Erste Studien zeigen eine signifikante Erhöhung von antimikrobiellen Peptiden und proinflammatorischen Zytokinen wie IL (Interleukin)-1β, IL-6 und TNF (Tumor-Nekrose-Faktor)-α in der Synovialflüssigkeit bei Endoprotheseninfekten [3, 4]. Inwieweit diese Ergebnisse auch auf Infektpseudarthrosen übertragen werden können, ist bisher ungeklärt.

Histologie

Bei positivem histologischem Nachweis gilt der Infekt auch bei negativer Mikrobiologie als bestätigt [21, 22]. Sensitivitäten >85 % und Spezifitäten bis 100 % sind beschrieben. Allerdings erfolgt durch die histologische Untersuchung keine Erregeridentifikation, sodass durch dieses Verfahren keine gezielte antibiotische Therapie möglich ist, was die weitere Behandlung erschwert. Der alleinige Nachweis einer Osteomyelitis ist demnach zur Indikation einer gezielten Therapie nicht ausreichend.

Zusammenfassend muss aufgrund oben genannter Ergebnisse davon ausgegangen werden, dass der Anteil von Infektpseudarthrosen wesentlich größer ist als bisher angenommen. Je nach Risikofaktoren und Studie wird die Inzidenz von Infekten bei Pseudarthrosen mit bis zu 88 % angegeben.

Einschränkend muss berücksichtigt werden, dass die vorliegenden Studien nicht miteinander vergleichbar sind. Sie unterscheiden sich in ihren Ein- und Ausschlusskriterien und vergleichen verschiedene diagnostische Methoden.

Einigkeit besteht – trotz aller Unterschiede zwischen den Studien – darin, dass Biofilm-bildende Bakterien problematisch sowohl im Nachweis als auch in der Therapie sind. Zudem scheint sich herauszukristallisieren, dass die kulturellen Standardverfahren nicht ausreichend sind und neuere Verfahren – wie die Sonikation oder die PCR – eine höhere Sensitivität aufweisen. Insbesondere dem Verfahren der Sonikation wird zukünftig ein hoher Stellenwert in der Infektdiagnostik zugesprochen.

Bedeutung für die Praxis?

Nicht abschließend geklärt ist die Frage, welche klinische Relevanz positive Keimnachweise für die weitere Therapie im Einzelfall haben, auch wenn die Therapie bei Infektnachweis grundsätzlich nach den Kriterien der Osteomyelitisbehandlung erfolgen sollte. Denn in einzelnen Studien wurden Bakterien auch bei problemlos ausgeheilter Fraktur im Rahmen der elektiven Metallentfernung nachgewiesen [2]. In anderen Studien wurde dargestellt, dass die Pseudarthrosen trotz eines positiven Keimnachweises ohne weitere Intervention ausheilten. Insofern stellt sich die Frage, inwieweit es sich bei positiven Keimnachweisen in nur einem Diagnostikverfahren um „echte“ Befunde oder um Kontamination handelt bzw. ob insbesondere bei dem Verfahren der PCR nicht eine „oversensitivity“ zu beachten ist [17, 18]. Diese Frage ist bisher nicht abschließend geklärt.

Der Algorithmus, den wir in unserer Klinik zum diagnostischen und therapeutischen Vorgehen bei Pseudarthrosen verwenden, ist in Abb. 1 dargestellt.

Fazit für die Praxis

  • Low-Grade-Infekte bzw. Infektpseudarthrosen sind häufiger als bisher angenommen.

  • Die korrekte Diagnosestellung ist schwierig, aber für eine gezielte Therapie zwingend erforderlich.

  • Jede Pseudarthrose, die operiert wird, sollte auch biopsiert werden.

  • Bei fehlenden Risikofaktoren und fehlenden Infektzeichen kann die Biopsie einzeitig erfolgen.

  • Der Erregernachweis aus Gewebeproben gilt nach wie vor als Goldstandard.

  • Bei Verdacht auf Low-Grade-Infekt sind die herkömmlichen kulturellen Standardverfahren unter Umständen nicht ausreichend, hier bieten sich zusätzliche Diagnostikverfahren wie die Sonikation an.