Chronischer Schmerz ist als ein Schmerzgeschehen definiert, das ohne anhaltendes Trauma länger als 3 Monate ununterbrochen andauert. Häufig lassen sich diese Schmerzen keiner unmittelbar ursächlichen somatischen Ursache zuordnen.

Die Prävalenz chronischer Schmerzen nimmt sowohl bei Erwachsenen als auch bei Kindern und Jugendlichen in den letzten Jahren kontinuierlich zu. So ergab eine repräsentative Stichprobe in Ostholstein, dass 86 % der befragten Kinder und Jugendlichen in den letzten 3 Monaten Schmerzen gehabt hatten und 44 % Schmerzen, die länger als 3 Monate andauerten [15]. Die Ergebnisse des populationsbasierten Kinder- und Jugendgesundheitssurveys (KiGGS) ergaben ebenfalls eine hohe Prävalenz von Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen. Dabei sind v. a. Kopfschmerzen, Bauchschmerzen und Schmerzen im Bereich des muskuloskelettalen Systems von besonderer Bedeutung [5].

Neues Verständnis chronischer Schmerzen

Wissenschaftliche Erkenntnisse der Neurophysiologie, neue bildgebende Verfahren wie das funktionelle MRT (Magnetresonanztomogramm) und Erkenntnisse aus der Wahrnehmungspsychologie schufen in den letzten 15 Jahren die Voraussetzungen für ein vollkommen neuartiges Verständnis chronischer Schmerzen. Auf Basis dieser multifaktoriellen Pathophysiologie wird auch erklärbar, warum chronische posttraumatische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen auf medikamentöse Therapien nur unzureichend ansprechen.

Bei akuten Schmerzen läuft das Signal vom ersten peripher gelegenen Neuron, dem sog. Nocizeptor, auf das zweite Neuron (Projektionsneuron im Hinterhorn des Rückenmarks). Hier findet eine erste Verarbeitung statt, wobei die meisten Schmerzreize nicht weitergeleitet werden, sondern eine reflektorische Reaktion auf Rückenmarkebene auslösen. Kommt es zur Weiterleitung eines überschwelligen Reizes, findet die Weiterverarbeitung des Signals in Höhe der Thalamuskerne im dritten Neuron statt. Ob es letzlich zur Weiterleitung Richtung somatosensorischem Kortex und damit zu einer lokalisierbaren Schmerzwahrnehmung kommt, beeinflussen zahlreiche andere Faktoren und Hirnregionen. Dies lässt sich durch Verwendung spezieller Bildgebungstechniken inzwischen auch experimentell nachweisen [19]. Eindeutige Beziehungen des schmerzverarbeitenden Systems im Thalamus sind mit dem Frontalkortex, dem Gyrus cinguli, den Basalganglien, dem Hypothalamus, den Corpora amygdaloidea, der Inselregion und dem Frontalhirn nachgewiesen. Schließlich wird das Signal auf das vierte Neuron im somatosensorischen Kortex weitergeleitet, und erst dort, durch Projektion auf die entsprechende Körperregion, wird die Schmerzwahrnehmung eindeutig lokalisierbar.

Es ist inzwischen gesichert, dass sowohl kognitive Elemente als auch die Stimmung, der kulturelle und psychosoziale Kontext, genetische Faktoren und natürlich sekundäre Faktoren wie eingenommene Medikamente bzw. metabolische Veränderungen einen Einfluss auf die Schmerzverarbeitung haben und damit potenziell für die Entstehung chronischer Schmerzen relevant sind [3].

Einer der auffälligsten genetischen Faktoren ist das Geschlecht mit einer deutlichen Dominanz des weiblichen Geschlechts, wie wir dies auch in unserem eigenen Patientengut beobachten [10]. Eine Auswertung der Garmischer Schmerzdatenbank mit über 500 Kindern und Jugendlichen mit muskuloskelettalen Schmerzen zeigte darüber hinaus, dass chronifizierte muskuloskelettale Schmerzen in über 80 % der Fälle als generalisierte Schmerzstörung auftreten. Lokale und regionale Schmerzen finden sich nur bei 16 % der Patienten. Posttraumatische chronische Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen manifestieren sich zunächst meist als lokalisierte oder regionale Schmerzstörung [9]. Eine Generalisierung ist bei längerem Verlauf oder auch bei Rezidiven nicht selten.

Komplexes regionales Schmerzsyndrom (CRPS)

Die Diagnose eines CRPS („chronic regional pain syndrome“ bzw. „complex regional pain syndrome“) ist häufig schwierig. Es existieren mehrere diagnostische Systeme, die auf der Bewertung der klinischen Symptome basieren [14]. Bei Kindern und Jugendlichen werden gefordert:

  • die Hauptkriterien regionale Schmerzen und/oder sensorische Störungen für mindestens 3 Monate

  • plus 2 neuropathische Störungen (Brennen, Dysästhesie, Parästhesie, Allodynie, Kälteüberempfindlichkeit)

  • plus 2 Symptome autonomer Dysfunktion [Zyanose, Mottling (fleckförmige Färbung), Hyperhydrose, Kühle (> 3 ° C Temperaturdifferenz im Vergleich zur Gegenseite) und Ödem].

Die Ursachen eines CRPS bei Kindern und Jugendlichen können vielfältig sein (Tab. 1).

Tab. 1 Ursachen posttraumatischer Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen. (Mod. nach [9])

Evidenzbasierte Studien zeigten jedoch, dass chronische muskuloskelettale Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen nur in 1/5 der Fälle posttraumatisch auftreten und zumeist nichttraumatische Ursachen haben [4]. Die Abklärung chronischer muskuloskelettaler Schmerzen bei Kindern und Jugendlichen erfordert daher die sorgfältige Berücksichtigung einer Vielzahl von Differenzialdiagnosen [7] und ein strukturiertes diagnostisches Vorgehen [8].

Grundsätzlich müssen beim Verständnis chronisch-regionaler Schmerzsyndrome 2 Erklärungsmodelle berücksichtigt werden:

Periphere Hypothese

Hier kommt es durch eine periphere Nervenläsion zu einem Schmerzreiz, der über den Thalamus an den somatosensorischen Kortex geleitet wird und dort ein chronisches Schmerzereignis induziert. Aufgrund der Nervenläsion wird auch das autonome Nervensystem miteinbezogen, sodass die betroffene Extremität nicht nur schmerzhaft ist, sondern auch autonome Dysregulationssymptome wie Temperaturunterschiede zur Gegenseite, ödematöse Schwellung, Schwitzen und Hautveränderungen zu beobachten sind.

Die Modellerkrankung für die periphere Hypothese ist der M. Sudeck, auch als komplexes regionales Schmerzsyndrom Typ II (CRPS II) bezeichnet [12].

Zentrale Hypothese

Hier kommt es aus zumeist unbekannten Ursachen zur Entstehung eines chronischen lokalisierten Schmerzsignals im somatosensorischen Kortex und sekundär zur Aktivierung des autonomen Nervensystems in der entsprechenden Region mit Auftreten von sensorischen sowie neuropathischen Störungen wie Brennen, Dysästhesien, Parästhesien, Allodynie, Kälteüberempfindlichkeit und Zeichen autonomer Dysfunktionen wie Zyanose, fleckförmigen Verfärbungen der Haut, Hyperhydrose, Ödembildung und einer Abkühlung im Vergleich zur Gegenseite.

Die Modellerkrankung hierfür ist das komplexe regionale Schmerzsyndrom Typ I (CRPS I; [11]), welches um ein Vielfaches häufiger auftritt als das CRPS II.

Während sich beim CRPS Typ II eine eindeutige Nervenläsion durch neurophysiologische Untersuchungen wie die Nervenleitgeschwindigkeit nachweisen lässt, finden sich beim CRPS Typ I keine neurophysiologisch messbaren Veränderungen der Nervenleitgeschwindigkeit. Die durch das autonome Nervensystem vermittelten Veränderungen entstehen sekundär aufgrund der extremen Schmerzprojektion, gleichen sich im Untersuchungsbefund weitgehend (Abb. 1) und sind z. T. selbst in technischen Untersuchungen, wie einem MRT, durch Knochenmarködeme nachweisbar (Abb. 2).

Abb. 1
figure 1

Lokalbefund bei einer 11-jährigen Patientin mit CRPS Typ I des rechten Fußes mit deutlich erkennbarer massiver Schwellung sowie Hautveränderungen in der betroffenen Region, CRPS komplexes regionales Schmerzsyndrom

Abb. 2
figure 2

Magnetresonanztomogramm (T1 mit Kontrastmittel), Darstellung des Ödems im Weichteilbereich und im Talus bei einem 12-jährigen Mädchen mit CRPS Typ I, A anterior, CRPS komplexes regionales Schmerzsyndrom, L links, P posterior, R rechts

Auch bei Patienten mit CRPS Typ I findet sich häufig in der Vorgeschichte ein Bagatelltrauma, das im Rahmen der Abklärung als ursächlich interpretiert wird. Hinterfragt man jedoch diesen Zusammenhang kritisch, fällt meist auf, dass die angegebenen Schmerzen unmöglich Folge dieses Traumas sein können, weil sie in ihrer Dauer und Stärke völlig inadäquat sind. Dennoch erleben viele Patienten mit CRPS Typ I eine über die Maßen intensivierte Diagnostik, frustrane medikamentöse Therapieversuche und z. T. chirurgische und operative Eingriffe, welche die Problematik eher verstärken.

Ein typisches Kennzeichen komplex regionaler Schmerzsyndrome ist ein schlechtes bis überhaupt kein Ansprechen auf medikamentöse Therapieversuche [6]. Selbst regional anästhesiologische Verfahren wie Schmerzkatheter und Sympathikusblockaden hatten bei Kindern und Jugendlichen mit CRPS nur geringe Erfolge [13].

Therapie des CRPS bei Kindern und Jugendlichen

Die Therapie komplex regionaler Schmerzsyndrome bei Kindern orientiert sich an den Therapierichtlinien für den generalisierten muskuloskelettalen Schmerz bei Kindern und Adoleszenten und basiert auf den publizierten S3-Leitlinien der AWMF [20]. Dabei wird unter weitgehendem Verzicht einer medikamentösen Behandlung eine multimodale Therapie mit neuromodulierender Physiotherapie, aktivierender Sporttherapie, psychologischer Betreuung, Edukation und desensibilisierenden und entspannenden Therapieelementen eingesetzt [17, 18].

Am Zentrum für Chronische Schmerzerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Garmisch-Partenkirchen (Abteilung des Deutsches Zentrum für Kinder- und Jugendrheumatologie) existiert seit 2003 eine Station zur Behandlung chronisch schmerzerkrankter Kinder und Jugendlicher, auf der ein interdisziplinäres Team aus Ärzten, Physiotherapeuten, Pflegekräften, Psychologen, Sozialpädagogen und Lehrern bei diesen Patienten erfolgreich ein multimodales Therapiekonzept anwendet.

In der Physio- und Bewegungstherapie werden zunächst die durch das CRPS verursachten Bewegungsstörungen analysiert und anschließend gemeinsam mit den Patienten Bewegungsprogramme erarbeitet, die schließlich in ein Alltagstraining münden. Dabei werden vor allen Dingen aktivierende Behandlungsverfahren und auch eine medizinische Trainingstherapie eingesetzt. Klassische Physiotherapie mit zunächst passivem Training der betroffenen Extremität und schrittweisem Übergang zu aktiven Bewegungsabläufen, kombiniert mit Elementen der Trainingstherapie (medizinische Trainingstherapie, therapeutisches Klettern u. a.) führen zu einer schrittweisen Reintegration der betroffenen Gliedmaße in die Bewegungsabläufe [2].

In der physikalischen Therapie können durch desensibilisierende Maßnahmen wie Wechselbäder, lokale Wärme und Kälte, aber auch Massage und Elektrostimulationstherapie eine Schmerzlinderung und Entspannung gefördert werden.

Einen besonderen Stellenwert hat die psychosoziale Betreuung, die in Einzel- und Gruppentherapien stattfindet, aber auch Gespräche mit der Familie miteinbezieht. Hierbei ist es besonders wichtig, eine Akzeptanz gegenüber der Diagnose Schmerzverstärkungssyndrom zu vermitteln. Psychologen und Ärzte müssen gemeinsam bewirken, dass die Skepsis, dass dem Schmerz nicht ein übersehenes körperliches Leiden zugrunde liegt, langsam verloren geht und die Forderung nach immer weiterer Diagnostik sich zu einem selbstbestimmten aktiven Vorgehen gegen den Schmerz wandelt. Häufig ist es notwendig, die betroffenen Patienten bzw. die Familien davon zu überzeugen, dass auch zuhause eine temporäre psychologische Betreuung hilfreich sein kann.

Eine wesentliche Funktion haben Psychologen und Pädagogen auch in der Edukation der Patienten. Hier muss zunächst ein Verständnis der Grundlagen akuter und chronischer Schmerzen vermittelt werden. Durch eine speziell für chronisch schmerzerkrankte Kinder und Jugendliche entwickelte Schulung werden wichtige Begriffe wie Schmerzkreislauf, Schmerzgedächtnis und der Zusammenhang zwischen Gedanken und Gefühlen, Stimmungen, Stress und dem Auftreten des Schmerzes vermittelt. Daneben werden ablenkende Strategien, Entspannungsmethoden (Übungen zur Achtsamkeit, progressive Muskelrelaxation) und andere Methoden zum Selbstmanagement eingeübt. Ziel ist es, das Erleben der Patienten gegenüber ihrem Schmerz auf eine neue Bewegungsbasis zu stellen.

„Ich bin meinem Schmerz nicht ausgeliefert, sondern kontrolliere ihn.“

Dies ist eine fundamentale Erkenntnis für einen selbsteffizienten Umgang mit dem Schmerz und die erfolgreiche Etablierung von Schmerzstrategien im Alltag [1].

Im Garmischer Schmerzmodell sind auch die Pflegekräfte in das Therapeutenteam integriert. Der zumeist 3-wöchige stationäre Aufenthalt vermittelt den Patienten erstmalig das Erleben einer sog. Peergroup, in der sie mit ihren chronischen Schmerzen nicht völlig allein dastehen, sondern

  • auf betroffene Altersgenossen und

  • ein verständnisvolles Umfeld treffen, das sie in ihren Schmerzen ernst nimmt und ihr Leiden akzeptiert.

Hierbei übernehmen die Pflegekräfte wichtige Elemente des Alltagstrainings (Gehtraining, Begleitung desensibilisierender Maßnahmen) und der Wiedereinübung eines Tagesablaufs sowie der Integration in die Gruppe.

Ein weiteres wichtiges Element ist die Schule für Kranke, in der in Kleingruppen ein Wiedereinstieg in den Schulalltag geübt werden kann. Da die allermeisten Kinder und Jugendlichen mit chronischen Schmerzen erhebliche Schulfehlzeiten haben, ist der Schulbesuch ein wichtiges therapeutisches Element. Hier kann nicht nur Verpasstes nachgeholt, sondern es können auch individuelle Strategien für den Schulalltag zuhause erprobt und eingeübt werden. Darüber hinaus können die Patienten und die Eltern bezüglich der Schul- und Berufsentwicklung in Zusammenarbeit mit dem Sozialdienst beraten werden.

Resümee und Ausblick

Jugendliche Patienten mit einem posttraumatischen CRPS haben häufig eine lange Leidensgeschichte hinter sich, die geprägt ist von umfangreicher Diagnostik, frustranen Therapieversuchen und häufig Unverständnis gegenüber dem Patienten. Wichtig ist es, frühzeitig eine Schmerzstörung in die Differenzialdiagnostik miteinzubeziehen, wenn bei Kindern und Jugendlichen inadäquat starke Schmerzen über 3 Monate lang anhalten. Zügige Kontaktaufnahme zu spezialisierten Zentren hilft bei der Diagnosefindung und dem raschen Beginn einer Therapie. Die Chronifizierungsgefahr nimmt mit steigender Symptomdauer zu; d. h. die Prognose wird schlechter.

Die multimodale stationäre Therapie in spezialisierten Zentren wie Garmisch-Partenkirchen oder Datteln ist in den meisten Fällen der erfolgreiche Einstieg in eine ambulante Therapie und induziert schließlich die Heilung, falls nicht, zumindest eine deutliche Verbesserung der Leiden dieser Kinder und Jugendlichen [16].

Noch immer stehen deutlich zu wenige Behandlungsplätze für Kinder und Jugendliche mit chronischen Schmerzen zur Verfügung. Am Zentrum für chronische Schmerzerkrankungen bei Kindern und Jugendlichen in Garmisch-Partenkirchen werden derzeit die Kapazität an Behandlungsplätzen erheblich ausgebaut und eine eigene Schmerzabteilung gegründet. Die Zusammenarbeit mit der berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik Murnau wird zukünftig noch weiter intensiviert werden, um mehr verunfallten Kindern und Jugendlichen mit chronischen Schmerzerkrankungen eine derartige Therapie zu ermöglichen.