Steuerung des Heilverfahrens — Qualität und Ökonomie zum Nutzen aller Beteiligten

Kosten

Die Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie hat im Jahre 2004 einen Gesamtbetrag von etwa 74 Mio. EUR für medizinische Rehabilitationsleistungen ausgegeben [1]. Der Anteil der ambulanten Heilbehandlungskosten betrug 23 Mio. EUR, der Anteil der stationären Behandlungskosten 24 Mio. EUR, der Anteil des Verletztengeldes, also der Geldleistung des Unfallversicherungsträgers, die dem Versicherten für die Dauer der Arbeitsunfähigkeit als Lohnersatzleistung ausbezahlt wird, 16 Mio. EUR (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Verteilung der medizinischen Rehabilitationsleistungen der BG Chemie 2004, gesamt etwa 74 Mio. EUR, aus Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie [1]

Dieses Geld muss von der Solidargemeinschaft im Wege eines nachträglichen Umlageverfahrens zur Verfügung gestellt werden. Betreibt der gesetzliche Unfallversicherungsträger ein effizientes und ökonomisches Rehabilitationsmanagement, kommen die Erfolge also unmittelbar der Solidargemeinschaft in der Höhe des zu entrichtenden Beitrags zugute.

Rechtliche Grundlagen

Der Gesetzgeber hat für den Bereich der gesetzlichen Unfallversicherung Rahmenbedingungen für die Durchführung von Rehabilitationsmaßnahmen definiert, die den Qualitätsmaßstab im Vergleich zu anderen medizinischen Rehabilitationsträgern höher ansetzen, denn es ist Heilbehandlung mit allen geeigneten Mitteln durchzuführen (§1 Satz 1 Nr.2 SGB VII i.V.m. §26 Abs. 2 SGB VII). Bei der Definition des Ökonomiemaßstabs sieht der Gesetzgeber eine besondere Festlegung für die gesetzliche Unfallversicherung nicht vor, sondern definiert für alle Rehabilitationsträger einen Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit in §69 Abs. 2 SGB IV. In diesem Zusammenhang ergeben sich folgende Fragen:

  • Ist die gesetzliche Unfallversicherung bei der Wahl der wirtschaftlichsten und sparsamsten Rehabilitationsmittel gegenüber den anderen gesetzlichen Rehabilitationsträgern benachteiligt, weil sie grundsätzlich eine qualitativ hochwertigere und damit teurere Heilbehandlung anbieten muss?

  • Welchen Nutzen bringt diese Unterscheidung im Qualitätsmaßstab für den Betroffenen und für diejenigen, die über ihre Beitragsleistung das System der gesetzlichen Unfallversicherung finanzieren?

Mehr Qualität bei weniger Kosten

Bei der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie ist man davon überzeugt, dass durch ein engmaschiges Rehabilitationsmanagement eine Beeinflussung von Heilverfahrenskosten möglich ist, ohne dass die Qualität leidet oder das Rehabilitationsergebnis verschlechtert wird. Die Zielvorgabe „mehr Qualität bei weniger Kosten“ zu erreichen, wird als Herausforderung verstanden, weiterhin hochwertige Heilbehandlung mit bestmöglichen Ergebnissen anzubieten, andererseits aber durch geeignete Steuerungsmaßnahmen das Kostenvolumen zu senken. Dabei kommt der gesetzlichen Unfallversicherung zugute, dass sie das gesamte Rehabilitationsspektrum unter einem Dach anbieten kann. Nicht nur die Höhe der ambulanten oder stationären Rehabilitationskosten, sondern auch die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, die Frage einer Rentenzahlung bei Eintritt der Arbeitsfähigkeit und die Frage der Notwendigkeit beruflicher Rehabilitationsleistungen sind beeinflussbar und fließen in das Ergebnis mit ein.

Heilverfahrenssteuerung ist eine der Grundaufgaben des berufsgenossenschaftlichen Sachbearbeiters. Er ist „Herr“ des Verfahrens und greift — wenn nötig — in das Rehabilitationsverfahren ein. Dafür bedient er sich wirksamer Werkzeuge, die — wenn auch in ihrer Benennung einfach klingend — in der Praxis hoch wirksam sind. Allein durch das Berichtswesen, das die gesetzliche Unfallversicherung zusammen mit ihrem Vertragspartner, der kassenärztlichen Bundesvereinigung KBV, im Vertrag Ärzte/Unfallversicherungsträger [21] gemeinsam gestaltet, ist eine engmaschige und aktuelle Beobachtung des Heilverlaufs gesichert. Aber die Einbindung qualifizierter medizinischer Leistungserbringer, die das System der gesetzlichen Unfallversicherung für die Heilverfahrensgestaltung verinnerlicht haben, und die klare Vorgabe von Vorstellungs- und Verlegungspflichten runden diesen Mechanismus einer kooperativen Gestaltung des Heilverlaufs zum Wohle des Versicherten erst endgültig ab.

Die praktischen Erfahrungen führten bei der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie zu der Überzeugung, dass die Qualität der berufsgenossenschaftlichen Heilbehandlung ein Gut ist, das in seinem heutigen hohen Niveau erhalten bleiben muss. Auch wenn diese Qualität immer wieder überwacht und angepasst werden muss, handelt es sich dennoch um eine unverzichtbare Leistung unseres Sozialversicherungssystems in Deutschland. Vor dem Hintergrund der heutigen Diskussionen zur Entwicklung der Kosten im medizinischen Sektor ist aber auch hier die Kostenfrage von großer Bedeutung. Es gilt, überflüssige Kostenfaktoren im Rehabilitationsfall zu eliminieren und ein ökonomisch hochwertiges berufsgenossenschaftliches Heilverfahren zu gestalten. Die Effekte kommen zuerst dem berufsgenossenschaftlichen Patienten, aber auch dem Arbeitgeber und der Solidargemeinschaft zugute.

Aus diesen Überlegungen ist eine Zielvereinbarung im Rehabilitationsmanagement entstanden, die verpflichtet, Rehabilitation so durchzuführen, dass die Qualität steigt, die Kosten jedoch möglichst reduziert werden. Zusammengefasst heißt dies: „Mehr Qualität bei weniger Kosten“.

Eine wichtige Unterstützung des Sachbearbeiters bei der Steuerung des Heilverfahrens gibt der beratende Arzt der Verwaltung, der sein medizinisches Fachwissen einbringt. Beide Fachleute zusammen bilden eine Symbiose zwischen medizinischem Know-how und Verwaltungssachverstand, die im Rehabilitationsmanagement optimal genutzt werden muss. Die bisherigen Erfahrungen ließen jedoch erkennen, dass die Zusammenarbeit zwischen dem beratenden Arzt und dem Sachbearbeiter einer genauen Analyse bedurfte, um ihren Effekt im Sinne einer ökonomischen und qualitätsgesteuerten Zielvereinbarung auch optimal ausnutzen zu können.

Umsetzung der Zielvereinbarung

Ausgangslage

Sie stellte sich folgendermaßen dar:

  1. 1.

    Über die Notwendigkeit, den beratenden Arzt bei der Heilverfahrenssteuerung einzuschalten, wurde bisher ausschließlich durch den bearbeitenden Sachbearbeiter entschieden. Dies führte zu einer subjektiven Fallauswahl, die von der Fachkunde des Sachbearbeiters abhängig war.

  2. 2.

    Eine medizinische Beratung der Verwaltung erfolgte ausschließlich anhand des Einzelfalls (fast ausschließlich mit Bezug auf die jeweilige Einzelfallaktenlage).

  3. 3.

    Die medizinische Fortbildung der Sachbearbeiter beschränkte sich auf „offizielle“ Veranstaltungen auf Tagungen, Symposien oder intern organisierten Fortbildungsmaßnahmen mit vorgegebenen Themen. Eine medizinische Weiterbildungsmöglichkeit anhand des aktuellen zu bearbeitenden Falls mit hohem Praxisbezug war nicht gegeben.

  4. 4.

    Ökonomische Gesichtspunkte spielten bei den bisherigen Fragestellungen an den beratenden Arzt im Wesentlichen keine Rolle.

  5. 5.

    Die Verwaltung hatte keine Kenntnis ihres „Gesamtrehabilitationsaufkommens“. Damit verbunden gab es keine strategische Ausrichtung der Rehabilitationsaktivitäten.

  6. 6.

    Es gab keine Definition von so genannten „Problemdiagnosen“, also Diagnosen, bei denen im Heilverlauf — bezogen auf die Bedingungen der einzelnen Verwaltung — ein unbefriedigendes Rehabilitationsergebnis erzielt wurde. Dies führte dazu, dass die Beratungsressourcen nicht optimal ausgenutzt werden konnten und die Möglichkeit bestand, dass der beratende Arzt auf Feldern tätig wird, die gar keine medizinische Beratung erfordern.

Beratender Arzt der Verwaltung

Die Bezirksverwaltung Heidelberg der BG Chemie entschloss sich aus obigen Gründen, das Anforderungsprofil an den beratenden Arzt der Verwaltung neu zu definieren. Orientierungspunkt war eine von der Berufsgenossenschaft Nahrungsmittel und Gaststätten, Bezirksverwaltung Mannheim, erfolgreich eingeführte Zusammenarbeit mit einem ehemaligen Oberarzt einer BG-Unfallklinik, der in der berufsgenossenschaftlichen Verwaltung die Sachbearbeiter unmittelbar bei ihrem Rehabilitationsmanagement unterstützt [3, 4, 5].

Wichtig bei dieser Neudefinition waren ein hoher Praxisbezug und die Möglichkeit, durch enge Kontakte zu medizinischen Leistungserbringern möglicherweise notwendige ergänzende Maßnahmen zu Diagnostik und Therapie unmittelbar und zeitnah in die Praxis umsetzen zu können. Der beratende Arzt musste daher

  • praktisch tätig sein (klinisch oder niedergelassen) — zur Sicherstellung der medizinischen aktuellen theoretischen und praktischen Kenntnisse,

  • mindestens D-Arzt-Vertreter oder Oberarzt an einem zum Verletzungsartenverfahren (VAV) zugelassenen Krankenhaus oder einer BG-Unfallklinik sein (diese Anforderung sichert bei der Beratung die fachliche Qualifikation und die Akzeptanz bei den medizinischen Leistungserbringern),

  • Zugriff auf einen klinischen Bereich mit verschiedenen Fachdisziplinen und optimal ausgestatteten diagnostischen Möglichkeiten haben (hierdurch werden eine zusätzliche direkte Heilverlaufskontrolle und Diagnostik und — wenn erforderlich — eine hochqualifizierte therapeutische Übernahme des Patienten ermöglicht).

Die eingehenden Fälle sollen künftig anhand des Ersteingangs durch den beratenden Arzt bewertet werden. Die Begleitung des Heilverlaufs erfolgt dann zusammen mit dem Sachbearbeiter, wobei der beratende Arzt

  • den Sachbearbeiter berät,

  • Komplikationen möglichst frühzeitig erkennen soll,

  • eine Untersuchung des Patienten in einer versierten Fachklinik einleiten und die konkreten Fragestellungen und diagnostischen Maßnahmen formulieren soll,

  • Änderungen im Behandlungs- und Therapiekonzept — wo erforderlich —– herbeiführen soll,

  • die Verordnung von Heil- und Hilfsmitteln bewerten soll,

  • die Frage des Eintritts der Arbeitsfähigkeit bewerten soll.

Fall-Kontroll-Studie

In ihr sollte überprüft werden, ob durch die Etablierung eines solchen beratenden Arztes in einer berufsgenossenschaftlichen Verwaltung hinsichtlich qualitativer und ökonomischer Gesichtspunkte bessere Rehabilitationsergebnisse erzielt werden können.

Es wurden 2 Hypothesen formuliert, die in dieser Studie untersucht wurden:

  • Hypothese 1

    Die Bewertung des Rehabilitationsaufkommens in einer Berufsgenossenschaft durch den klinisch tätigen Arzt führt zu einer Verbesserung der Heilverfahrenssteuerung bei Problemdiagnosen.

  • Hypothese 2

    Eine individuellere und aufwändigere Einzelfallbewertung verbessert das Heilverfahrensergebnis und spart dem UV-Träger Rehabilitations- und Rentenkosten.

Das Projekt wurde OBI [Optimierung des medizinischen Beratungssystems durch Integration der BG-Unfallkliniken bzw. versierter Krankenhäuser (VAV)] genannt, begann im April 2003 und endete im Oktober 2005.

OBI

Zur Vorbereitung des Projekts nahm die Bezirksverwaltung Heidelberg eine Analyse ihres Rehabilitationsaufkommens vor (etwa 12.000 gemeldete Unfälle im Jahr). Bei dieser wurden Problemdiagnosen identifiziert, denen sich der beratende Arzt im OBI-Projekt besonders widmen sollte, d. h. hier begleitet er zusammen mit dem Sachbearbeiter von Anfang an den Heilverlauf. Maßstab für die Identifikation dieser Problemdiagnosen waren

  • die Dauer der Arbeitsunfähigkeit (die Überschreitung des so genannten Weller-Termins)

  • die Höhe der Rehabilitationskosten (Abweichung vom Kostenmittelwert pro Diagnosegruppe)

  • das Vorliegen komplikationsträchtiger Heilverläufe pro Diagnosegruppe (bewertet anhand der medizinischen Erfahrung des beratenden Arztes).

In einer prospektiven und retrospektiven Betrachtung vergleichbarer Rehabilitationsfälle aus dem Arbeitsunfallbereich wurde versucht, den Effekt einer Interventionsstrategie durch Sachbearbeiter und beratenden Arzt zu untersuchen und darzustellen. Mit Rücksicht auf eine überschaubare Datenlage wurden zunächst aus der Analyse 10 Schwerpunktdiagnosen definiert und in ein Datenblatt eingegeben.

Erfassungsparameter waren dabei im Wesentlichen:

  • Tätigkeit und Tätigkeitsart

  • Diagnosesicherheit, Art der Behandlung und Vorgehen

  • Einschätzung verschiedener Therapieverfahren

  • für den Bereich der prospektiven Sichtung Vorschläge des beratenden Arztes (Interventionsstrategie)

  • die Dauer der Arbeitsunfähigkeit

  • die Höhe der nach der Arbeitsunfähigkeit festgestellten Minderung der Erwerbsfähigkeit

  • die stationären und ambulanten Heilverfahrenskosten (Abb. 2).

Maßstab für die Vergleichbarkeit der retrospektiven und prospektiven Fälle waren

  • der Diagnoseschlüssel des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften (HVBG-Schlüssel)

  • der Weller-Diagnoseschlüssel

Es muss darauf hingewiesen werden, dass es sich bei dieser Fall-Kontroll-Studie um eine Studie einer berufsgenossenschaftlichen Verwaltung handelt. Um eine vergleichende Betrachtung vornehmen zu können, müssen die Hilfsmittel und Mechanismen Maßstab sein, die auch dem Sachbearbeiter in einer berufsgenossenschaftlichen Verwaltung zur Verfügung stehen. Im Wesentlichen ist dabei die Unfalldiagnose aus dem D-Arzt-Bericht, die nach weiteren Erkenntnissen berichtigt bzw. validiert wird, Ausgangspunkt für die Wahl der Intensität einer Heilverfahrenssteuerung im berufsgenossenschaftlichen Verfahren. Diese Diagnose wird nach den genannten Schlüsseln im EDV-System der BG verschlüsselt und damit Bestandteil der weitergehenden EDV-gestützten Heilverfahrenssteuerung nach Weller.

Es kann bei einer Untersuchung des berufsgenossenschaftlichen Rehabilitationsmanagements nur sinnvoll sein, die Mechanismen zu betrachten, die auch dem Sachbearbeiter in der Verwaltung zur Verfügung stehen. Ein Vergleich von medizinischen Heilverläufen und derer Ergebnisse anhand anderer Parameter (z. B. die Schwere einer Fraktur anhand einer AO-Klassifikation) ist sicherlich im Rahmen einer medizinischen Studie interessant; ein solches Kriterium einer Verletzungsschwere steht dem Sachbearbeiter bei der Heilverfahrenssteuerung jedoch nicht zur Verfügung und konnte daher in dieser Fall-Kontroll-Studie nicht berücksichtigt werden.

Abb. 2
figure 2

Datenblatt zum OBI-Projekt

Bewertungsmaßstab des beratenden Arztes im Projekt

Die Beurteilung

  • der Diagnosesicherheit,

  • der Therapieverfahren und

  • der Heilverfahrenssteuerung

durch den beratenden Arzt nach Aktenlage erfolgte in enger Anlehnung an die aktuelle unfallchirurgisch-orthopädische Fachliteratur [7, 9, 20, 27] und zertifizierte Fortbildungen [7, 8, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 16, 17, 18, 19, 22, 23, 24, 25, 26, 28, 29, 30, 31] unter Berücksichtigung der in der Verwaltung eingesetzten Steuerungstabelle für den Sachbearbeiter, die so genannte „Weller-Tabelle“, Release 2004.

Beurteilt wurden Notwendigkeit und Umfang diagnostischer Verfahren ebenso wie einzelne Therapieverfahren in Relation zum Verletzungsmuster und Heilverfahrensverlauf nach Abschluss der Behandlung.

Zur Verdeutlichung dieses Maßstabs sollen die nachfolgenden Beispiele dienen.

Kriterium Diagnosesicherheit

Als unrichtig musste die Diagnose betrachtet werden, wenn sie sich im Verlauf als unzutreffend und nicht korrigiert darstellte. Dies wurde in 6 Fällen beobachtet, die ausschließlich das Kniegelenk betrafen. Hier war eine erhebliche Diskrepanz zwischen Ereignis und Befund zu erkennen. In allen Fällen wurde eine bg-liche Behandlung eingeleitet, obwohl das Geschehen, wie im D-Arzt-Bericht beschrieben, keine Kriterien eines versicherten Ereignisses aufwies. Alle 6 Fällen waren somit „Anlassgeschehen“ einer Bewegung des alltäglichen Ablaufs, die vom behandelnden D-Arzt primär keine weitere Behandlung zu Lasten der gesetzlichen Unfallversicherung hätte erwarten lassen. Diese Behandlung wurde in diesen Fällen per Verwaltungsmitteilung beendet und auf die Weiterbehandlungsnotwendigkeit zu Lasten der GKV verwiesen.

Kriterium Diagnostikmängel

Dieses Kriterium wurde unterteilt in

  • unvollständige Untersuchung

  • unvollständige bildgebende Verfahren

  • übertriebene Diagnostik

  • übertriebene diagnostische Operation

  • Spezialist nicht hinzugezogen

Der Maßstab, ab wann von dem beratenden Arzt in der Fallbeurteilung ein diagnostisches Vorgehen als Mangel bewertet wurde, wird anhand des folgenden Beispiels für die Kriterien „unvollständige bildgebende Verfahren“ und „übertriebene diagnostische Operation“ dargestellt.

Fallbericht

Bei einer Kniedistorsion eines 30-jährigen Patienten waren keine Ergussbildung und klinisch Meniskuszeichen vorhanden. 2 Tage nach dem Ereignis erfolgte eine ambulante Arthroskopie ohne Nachweis von pathologischen intraartikulären Befunden. Berechtigt muss hinterfragt werden, warum präoperativ die nichtinvasive MRT-Diagnostik unterlassen wurde, die mit geringerem Aufwand und ohne Belastung des Patienten erfolgreich zur Diagnosesicherung beigetragen hätte.

Kriterium Therapiemaßnahmen

Der sinnvolle, unzureichende oder übertriebene Einsatz von Therapiemaßnahmen wurde begrenzt auf die Unterkriterien

  • Hilfsmittel

  • Physiotherapie

  • EAP

  • BGSW

In der Gesamtgruppe war zu erkennen, dass die zur Verfügung stehenden Maßnahmen des abgestuften Therapiekonzepts KG-EAP-BGSW in den meisten Fällen sinnvoll und zeitgerecht eingesetzt werden, aber die Anwendung in den so genannten „komplexen Fällen“ verzögert erfolgt, wobei nicht die Schwere und das Ausmaß der Verletzung relevant sind. Auch bei zu Beginn eher banalen Verletzungen mit komplikationsreichem Verlauf werden intensive Maßnahmen häufig verzögert eingeleitet. Die Erfahrungen der Steuerung in diesem Projekt unter Vergleich der retrospektiven Daten belegen jedoch, dass zeitgerecht und früh eingeleitete intensive Rehabilitationsmaßnahmen zur Verkürzung des Heilverlaufs beitragen.

Fallbericht 1

Die erstgradige offene proximale Mehretagenfraktur des Unterschenkels mit Beteiligung des Sprunggelenks eines 51-jährigen Patienten wurde durch primäre Osteosynthese mit unaufgebohrtem Marknagel und Zuggurtung des Innenknöchels versorgt. Nach 3 Monaten wurde bei verzögerter Knochenbruchheilung eine ergänzende LISS-Osteosynthese vorgenommen. 5 Monate nach dem Unfall bestand weiterhin eine verzögerte knöcherne Konsolidierung, und die Teilbelastung musste beibehalten werden. Bis dahin waren 3-mal wöchentlich ambulante physiotherapeutische Maßnahmen zum Einsatz gekommen. Der Patient wurde zur komplexen stationären Rehabilitationsbehandlung in eine BG-Unfallklinik eingewiesen, über 5 Wochen konnte eine Aufbelastung erzielt werden. Nach 3 Wochen therapiereduzierter ambulanter Behandlung erfolgte eine erneute 3-wöchige komplexe stationäre Rehabilitationsbehandlung. Nach Abschluss derselben und nachfolgender ABE-Maßnahme wurde eine erfolgreiche berufliche Reintegration als Maschinist erreicht.

Fallbericht 2

Die mediale Schenkelhalsfraktur einer 58-jährigen Bandarbeiterin wurde operativ mit Hüfttotalendoprothese versorgt. Die postoperative Behandlungsvorgabe des Operateurs lautete: Teilbelastung für 6 Wochen mit Fußsohlenkontakt. Die Patientin war nach 10 Tagen auf Stationsebene mit Unterarmgehstützen sicher mobilisiert und wurde ohne Absprache mit der Verwaltung in eine nicht zur BGSW zugelassene Rehabilitationsklinik verlegt, wovon die Verwaltung erst nach 4 Wochen informiert wurde. 5 Wochen postoperativ wurde die Frau in die ambulante Behandlung entlassen. Nach 6 Wochen war Vollbelastung erfolgreich ausführbar, in den weiteren Wochen jedoch war keine Belastungssteigerung möglich. In der 9. postoperativen Woche wurde die Patientin zur komplexen stationären Rehabilitationsbehandlung in eine BG-Unfallklinik zur Aufbelastung (Dauer 3 Wochen) aufgenommen. Nach Abschluss der Maßnahme wurde eine Arbeits- und Belastungserprobung eingeleitet, mit erfolgreicher Reintegration in den Beruf.

Anmerkungen zur Verlegung

Eine Verlegung eines auf Stationsebene sicher mobilisierten Patienten in eine nachbehandelnde stationäre Rehabilitationsmaßnahme muss sich am Befund und der Belastungsfähigkeit der verletzten Bereiche orientieren. Ist volle Belastungsfähigkeit von Extremitätenverletzungen noch nicht gegeben, die Mobilisation im häuslichen Umfeld aber sichergestellt, sollten stationäre Rehabilitationsmaßnahmen zu diesem Zeitpunkt nicht eingesetzt werden, da die Therapieintensität einer stationären Maßnahme in diesem Stadium des Heilverfahrens dem Befund unangepasst hoch ist. Vielmehr sollten frühzeitig intensive therapeutische Verfahren (EAP/BGSW) eingesetzt werden, wenn Belastungsaufbau erwartet wird oder die berufliche Reintegration vorbereitet werden soll.

Zur Auswertung verwendbare Diagnosen

Mit Rücksicht auf eine sinnvolle Fallmenge blieben folgende Diagnosen zur Auswertung übrig:

  1. 1.

    Handverletzungen

  2. 2.

    Fingerverletzungen

  3. 3.

    Kniedistorsionen und -prellungen

  4. 4.

    Außenbandrupturen

  5. 5.

    Sprunggelenkfrakturen

  6. 6.

    Schwere Verletzungen der unteren Extremität

Datenerfassung

Die Retrospektiverfassung erfolgte vom 01.01.2001–30.09.2003 (insgesamt 317 Fälle); die Prospektiverfassung vom 01.06.2003–31.03.2005 (insgesamt 405 Fälle). Maßstab für die Einbeziehung war die in diesem Zeitraum eingetretene Arbeitsfähigkeit.

Um die Validität der Daten prüfen zu lassen, wurde eine statistische Datenanalyse durch Herr Prof. Dr. Hans-Konrad Selbmann, Institut für Medizinische Informationsverarbeitung, Universität Tübingen, durchgeführt:

„Die Auswertung der Interventionsstudie OBI hat ausschließlich deskriptiven Charakter. Quantitative Merkmale (ambulante und stationäre Behandlungskosten sowie die Arbeitsunfähigkeit) wurden mit Hilfe von Boxplots dargestellt. Die durchgeführten statistischen Verfahren (Kontingenztafeltest, Wilcoxon/Mann-Whitney-Test und allgemeines lineares Modell) dienen der Beschreibung der Größe von Unterschieden. Bei einem p-Wert <1% wird von statistisch auffälligen Unterschieden gesprochen, bei p-Werten zwischen 1% und 5% von grenzwertig auffälligen Unterschieden. p-Werte >5% werden nicht weiter betrachtet. Keine Unterschiede bei Variablen zu beobachten, ist jedoch nicht mit der Tatsache identisch, dass diese nicht existieren. Sie wurden in dieser Studie nur nicht beobachtet.“

Ergebnisse aus dem Projekt

Sie können mit Rücksicht auf den Umfang der Veröffentlichung nur auszugsweise gezeigt werden. Das in Abb. 2 dargestellte Datenblatt lässt den Schluss zu, dass eine Kombination vieler Datenbereiche zur Analyse der Interventionsstrategie von beratendem Arzt und Sachbearbeiter möglich ist. Es wird eine Nacharbeit dieses Projekts sein, solche Kombinationen zu definieren und mögliche Auswirkungen zu untersuchen und ggf. in praktische Abläufe der Verwaltung bei der Heilverfahrenssteuerung zu integrieren.

Die Verteilung der Menschen mit körperlichen und geistigen Tätigkeiten aus beiden Fallgruppen — retrospektive bzw. prospektive Erfassung — ist in Abb. 3a dargestellt. Es ist bekannt, dass gerade dieses Merkmal auch bei der Definition des Weller-Endtermins in der EDV-gestützten Sachbearbeitung eine besondere Rolle spielt. Menschen mit körperlichen Tätigkeiten können länger arbeitsunfähig sein als solche, die geistig tätig sind. Die Verteilung lässt nach unserer Interpretation und auch nach Berechnung des Signifikanzniveaus (p=0,0159) eine vergleichende Betrachtung beider Fallgruppen zu.

Abb. 3
figure 3

Tätigkeitsart (a) (p=0,0159) und Diagnosemängel (b) (p=0,0361) in den Gruppen mit retro- (n=317) bzw. prospektiver (n=405) Erfassung

In Abb. 3b ist gezeigt, in welchem Umfang hinsichtlich der erstellten Diagnose eine Nachbesserung erforderlich wurde. Sehr erfreulich war in diesem Zusammenhang die sich ergebende hohe Diagnosesicherheit der Durchgangsärzte im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren.

Auch bei der Bewertung der im berufsgenossenschaftlichen Heilverfahren eingeleiteten Therapie stellten wir eine sehr hohe Übereinstimmung zwischen den Maßnahmen vor Ort und der Überprüfung in der berufsgenossenschaftlichen Verwaltung fest (Abb. 4a).

Abb. 4
figure 4

Beurteilung der durchgeführten Therapie, a Gesamtgruppe (n=722) (p=0,6651), b Gruppe mit prospektiver Erfassung (n=405)

Insgesamt ist u. E. aus Abb. 3b und 4a abzuleiten, dass überwiegend eine hochwertige und richtige Heilbehandlung vor Ort durchgeführt wird.

Eine Berufsgenossenschaft darf und soll dem Arzt gegenüber nicht als Kontrollinstanz auftreten. Hierzu besteht kein Bedarf. Ziel einer Interventionsstrategie des Sachbearbeiters und des beratenden Arztes der Verwaltung muss es sein, die Fälle „herauszufiltern“, die problematisch sind oder sich im weiteren Heilverlauf als problematisch erweisen können. Dabei versteht sich die berufsgenossenschaftliche Verwaltung als „Herr“ des Verfahrens, als Partner des Arztes. Sie ermöglicht Vorstellungen mit umfangreichen diagnostischen Möglichkeiten, sie gestattet eine intensivere Therapie, und sie gibt dem Arzt in schwierigen Fällen vor Ort die Gelegenheit, sich durch eine „second opinion“ von der Richtigkeit des eingeschlagenen Heilverfahrenswegs zu überzeugen.

Abbildung 4b zeigt beispielhaft, in welchem Umfang und wie der Sachbearbeiter zusammen mit dem beratenden Arzt im Projekt eingriff: Bei einer regelrechten Bewertung erfolgte keine Intervention durch die Berufsgenossenschaft:

  • In 33% der Fälle konnte eine ambulante Therapie weitergeführt werden.

  • In 1% der Fälle erfolgte weiterhin eine stationäre Therapie.

  • In 2% der Fälle konnte die stationäre Behandlung regelrecht beendet werden.

  • In 64% dieser Fälle war keine Therapie erforderlich.

Die Interventionsstrategie wird anhand der als „übertrieben“ oder als „zu wenig“ bewerteten Therapie dargestellt: Eine übertriebene Behandlung wurde in 100% der Fälle durch die Berufsgenossenschaft beendet. Bei einer als „zu wenig“ bewerteten Therapie wurde in 68,75% der Fälle durch den Sachbearbeiter und den beratenden Arzt eine ambulante und in 31,25% der Fälle eine stationäre Maßnahme eingeleitet. Eine solche Darstellung der Intervention ist für alle Bereiche möglich, kann aber wegen des Gesamtumfangs nur beispielhaft aufgezeigt werden.

Nachfolgend werden die Ergebnisse der Fall-Kontroll-Studie für die einzelnen Verletzungsgruppen nach 3 Gesichtspunkten diskutiert:

  1. 1.

    Kostenentwicklung

  2. 2.

    Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit

  3. 3.

    verbliebene Höhe der Minderung der Erwerbsfähigkeit nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit, um auch das dauerhafte Heilergebnis mit einfließen zu lassen

Handverletzungen

Bei ihnen hatte sich das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren nach der Intervention durchschnittlich verteuert (Abb. 5a), ausgehend vom Kostenmittelwert der retrospektiven Fälle wurde durchschnittlich mehr in das Heilverfahren investiert. Demgegenüber steht eine durchschnittliche Absenkung der Dauer der Arbeitsunfähigkeit bezogen auf den Mittelwert der untersuchten Fälle um im Mittel etwa 3 Tage (Abb. 5b).

Abb. 5
figure 5

Handverletzungen, a Gesamtkosten [EUR] (p=0,0283), b Dauer der Arbeitsunfähigkeit [Tage] (p=0,9911), c verbliebene MdE

Hinsichtlich der Höhe der verbliebenen Minderung der Erwerbsfähigkeit nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit konnte insgesamt eine Senkung erreicht werden konnte. Der Anteil der Fälle ohne messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit konnte von 75,44% auf 84,48% gesteigert werden, bei den „kleinen Renten“ wurde der Anteil reduziert (Abb. 5c).

Wir halten die Interpretation für zulässig, dass bei den Handverletzungen die höhere Investition in das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren zu einer leichten Senkung der Arbeitsunfähigkeitsdauer geführt hat und die dauerhaften Unfallfolgen und damit auch die Rentenlast für den Unfallversicherungsträger gesenkt wurden.

Fingerverletzungen

Hier ist es durch die Interventionsstrategie gegenüber den retrospektiven Vergleichsfällen zu einer Absenkung der Heilverfahrenskosten gekommen: Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit konnte spürbar um etwa 16 Tage im Mittelwert reduziert werden. Die Bewertung der dauerhaften Unfallfolgen lässt keine Veränderung erkennen, weil schon im retrospektiven Fallkollektiv keine messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit erzielt wurde (Abb. 6). Insgesamt spricht dies für die gute Qualität des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens bei Fingerverletzungen.

Abb. 6
figure 6

Fingerverletzungen, a Gesamtkosten [EUR] (p=0,1264), b Dauer der Arbeitsunfähigkeit [Tage] (p=0,0319), c verbliebene MdE

Wir halten die Interpretation für zulässig, dass bei dieser Verletzungsart Heilverfahrenskosten gesenkt werden konnten und eine erhebliche Reduktion der Arbeitsunfähigkeitsdauer herbeigeführt wurde.

Kniedistorsionen und -prellungen

Auch hier erbrachte die Interventionsstrategie des Sachbearbeiters und des beratenden Arztes eine Erhöhung der Heilverfahrenskosten. Bei der Entwicklung der Arbeitsunfähigkeit ist eine Absenkung von etwa 10 Tagen im Mittelwert festzustellen. Bei der Bewertung der dauerhaften Unfallfolgen konnte der Anteil der Fälle ohne messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit um etwa 4% gesteigert werden (Abb. 7).

Abb. 7
figure 7

Kniedistorsionen und -prellungen, a Gesamtkosten [EUR] (p=0,3922), b Dauer der Arbeitsunfähigkeit [Tage] (p=0,007), c verbliebene MdE

Wir halten die Interpretation für zulässig, dass bei den Kniedistorsionen und -prellungen die höhere Investition in das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren zu einer erheblichen Reduktion der Arbeitsunfähigkeitsdauer geführt hat und die dauerhaften Unfallfolgen und damit auch die Rentenlast für den Unfallversicherungsträger gesenkt wurden.

Außenbandrupturen

Auch hier ergab sich ein Anstieg der Heilverfahrenskosten durch die Intervention. Demgegenüber steht eine drastische Verringerung der Arbeitsunfähigkeit um im Mittel ungefähr 12 Tage gegenüber den Retrospektivfällen. Bei der Betrachtung der dauerhaften Unfallfolgen ist kein Effekt feststellbar, weil es hier schon im retrospektiven Kollektiv nicht zu einer Rentenzahlung kam (Abb. 8).

Abb. 8
figure 8

Außenbandrupturen, a Gesamtkosten [EUR] (p=0,2581), b Dauer der Arbeitsunfähigkeit [Tage] (p=0,0001), c verbliebene MdE

Wir halten die Interpretation für zulässig, dass bei den Außenbandrupturen die höhere Investition in das berufsgenossenschaftliche Heilverfahren zu einer erheblichen Senkung der Arbeitsunfähigkeitsdauer geführt hat.

Sprunggelenkfrakturen

Hier wurden die durchschnittlichen Heilverfahrenskosten durch die Interventionsstrategie gesenkt, ebenso auch die Dauer der Arbeitsunfähigkeit, um im Mittel etwa 7 Tage. Die dauerhaften Unfallfolgen konnten erheblich verringert werden. Allein der Anteil der Fälle ohne messbare Minderung der Erwerbsfähigkeit nach Eintritt der Arbeitsfähigkeit erhöhte sich um ungefähr 40% (Abb. 9).

Abb. 9
figure 9

Sprunggelenkfrakturen, a Gesamtkosten [EUR] (p=0,1156), b Dauer der Arbeitsunfähigkeit [Tage] (p=0,8312), c verbliebene MdE

Wir halten die Interpretation für zulässig, dass die Kosten des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens reduziert werden konnten, es zu einer Senkung der Arbeitsunfähigkeitsdauer gekommen ist und die dauerhaften Unfallfolgen und damit auch die Rentenlast für den Unfallversicherungsträger erheblich gesenkt wurden.

Schwere Verletzungen der unteren Extremitäten

Bei dieser Verletzungsgruppe zeigten die Weller-Diagnosen die breiteste Streuung. Dieser Gruppe sind 19 Weller-Schlüssel zugeordnet. Dennoch ist sie nach den statistischen Analysen die aussagekräftigste, wie das Signifikanzniveau in Abb. 10 zeigt. In ihr wurden auch die deutlichsten Effekte der Interventionsstrategie durch den Sachbearbeiter und den beratenden Arzt erzielt. Um deren Kausalität im Einzelfall zu belegen, kann eine dezidierte Aktenanalyse helfen:

Abb. 10
figure 10

Schwere Verletzungen der unteren Extremitäten, a Gesamtkosten [EUR] (p=0,0180), b Dauer der Arbeitsunfähigkeit [Tage] (p=0,0016), c verbliebene MdE

  • Bei den Heilverfahrenskosten wurde eine erhebliche Einsparung erzielt.

  • Bei der Dauer der Arbeitsunfähigkeit wurde ein durchschnittlicher Rückgang im Mittelwert um etwa 135 Tage beobachtet.

  • Bei der Bewertung der dauerhaften Unfallfolgen konnte allein in der Gruppe der Fälle mit nicht messbaren Unfallfolgen eine Zunahme von etwa 30% festgestellt werden.

Wir halten die Interpretation für zulässig, dass es in dieser Verletzungsgruppe zu einer erheblichen Senkung der Kosten des berufsgenossenschaftlichen Heilverfahrens gekommen ist, während ein wesentlich besseres Heilergebnis bezogen auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeit und die dauerhaften Unfallfolgen eingetreten ist.

Kostenentwicklung in der Bezirksverwaltung Heidelberg

Der beratende Arzt der Bezirksverwaltung Heidelberg ist seit August 2003 tätig. Seit diesem Zeitpunkt wird eine Heilverfahrenssteuerung mit einer Interventionsstrategie des Sachbearbeiters und des beratenden Arztes durchgeführt.

Bei der Beobachtung der Entwicklung der jährlichen Aufwendungen für Heilverfahren der Bezirksverwaltung Heidelberg im Verhältnis zu den Gesamtaufwendungen für Heilverfahrenskosten der Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie fällt auf, dass es im Jahresvergleich 2003/2004 zu einer signifikanten Abnahme der Aufwendungen gekommen ist (Abb. 11) [2]. Diese Rückgänge der Aufwendungen entsprechen im Wesentlichen den Gesamtkostenanalysen aus dem OBI-Projekt der Bezirksverwaltung Heidelberg. Insofern halten wir es für zutreffend, diese Kosteneinsparung der Interventionsstrategie in der Heilverfahrenssteuerung zuzuschreiben.

Abb. 11
figure 11

Kostenentwicklung in der BV Heidelberg der BG Chemie, nach Berufsgenossenschaft der chemischen Industrie [2]

Fazit

Insgesamt halten wir die von uns zu Beginn des OBI-Projekts aufgestellten Hypothesen für bestätigt, wie es auch die auszugsweise dargestellten Ergebnisse aufzeigen.

  • Durch die Vorauswahl nach Problemdiagnosen und Sichtung der Fälle, bei welchen die Gefahr der Entstehung eines komplikationsträchtigen Heilverlaufs besteht, zusammen mit dem beratenden Arzt ist eine bessere, intensivere Heilverfahrenssteuerung entstanden (Hypothese 1).

  • Das Heilverfahrensergebnis konnte durch die beschriebenen Maßnahmen verbessert werden, woraus für den UV-Träger eine Einsparung von Rehabilitations- und Rentenkosten resultiere (Hypothese 2).

  • Der Grundsatz „Mehr Qualität bei weniger Kosten“ ist realisierbar.