Einleitung

Die zu erwartenden Folgen des Klimawandels erfordern eine drastische Reduzierung der globalen Treibhausgasemissionen. Während in Deutschland der Anteil erneuerbarer Energien im Stromsektor in den vergangenen Jahren stetig gestiegen ist, stagniert dieser im Wärme- und Kältesektor im letzten Jahrzehnt bei rund 14 % (176,5 TWh) (Umweltbundesamt 2019). Obwohl die Wärme- und Kälteversorgung von Gebäuden mit 1260 TWh rund die Hälfte des Endenergieverbrauches ausmacht (Umweltbundesamt 2020), herrscht aufgrund des jahreszeitlichen Versatzes zwischen Wärmeangebot und -nachfrage in Deutschland weniger ein Energie- als ein Speicherproblem. Folglich ist in den letzten Jahren das Interesse an thermischen Speichern stark gewachsen. Die saisonale Speicherung von Wärme und Kälte in Grundwasserkörpern, auch Aquiferspeicherung (ATES) genannt, zeichnet sich im Vergleich zu anderen Speichertechnologien durch geringe Speicherkosten (Mangold et al. 2012; Holstenkamp et al. 2017; Schüppler et al. 2019) und hohe Speicherkapazitäten (Kranz et al. 2008; Schmidt et al. 2004; Andersson 2007) aus, und ist in den vergangenen Jahren insbesondere in der Forschung verstärkt in den Fokus gerückt (Bloemendal et al. 2015; Bloemendal 2018; Fleuchaus et al. 2018; Fleuchaus 2020).

Mit einer Entwicklungsgeschichte von über 50 Jahren haben sich verschiedene Konzepte und Nutzungsformen der Aquiferspeicherung entwickelt (Fleuchaus et al. 2018; Dickinson et al. 2009). Die wichtigste Unterscheidung erfolgt anhand der Speichertemperatur in Niedrigtemperatur (NT)- und Hochtemperatur (HT)-Systeme. NT-ATES lassen sich über eine maximale Speichertemperatur von 25 °C definieren (vereinzelt auch bis 40 °C) und werden meist für die Beheizung und Klimatisierung großer öffentlicher oder kommerziell genutzter Gebäude in Kombination mit einer Wärmepumpe eingesetzt (Bloemendal 2018; Fleuchaus et al. 2020b; Sommer 2015). Als thermische Energiequelle dient häufig die Abwärme/Kälte des versorgten Gebäudes selbst (Bakema et al. 1995; Snijders 2000). HT-ATES zeichnen sich dagegen durch Speichertemperaturen von mindestens 50 °C aus (Fleuchaus 2020; Sanner et al. 2003). Aufgrund der hohen Speichertemperaturen ist die Wärmequelle (industrielle Abwärme, erneuerbare Energien) meist unabhängig und getrennt vom Wärmeabnehmer (Fernwärmenetze, industrielle Anwendungen, Gebäudekomplexe). Sowohl NT- als auch HT-Systeme bestehen in ihrer Grundform aus einem oder mehreren Brunnenpaaren (Entnahme- und Eingabebrunnen) (Dickinson et al. 2009). Die Einspeicherung und Wiedergewinnung der Wärme und Kälte erfolgt durch eine saisonale Umkehrung der Pumprichtung (Abb. 1). Dadurch lassen sich Aquiferspeicher eindeutig von klassischen (direkten) Nutzungsformen der oberflächennahen und tiefen Geothermie abgrenzen (Fleuchaus 2020).

Abb. 1 Fig. 1
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Grundprinzip eines Niedrigtemperatur-Aquiferspeichers (NT-ATES). Rechts ist der Winterbetrieb zum Heizen und links der Sommerbetrieb zum Kühlen der Gebäude illustriert (Fleuchaus 2020)

Basic principle of low-temperature aquifer thermal energy storage (NT-ATES). The right hand side shows winter operation for heating, the left hand side illustrates summer operation for cooling of the buildings (Fleuchaus 2020)

Weltweit befinden sich derzeit rund 3000 Aquiferspeicher in Betrieb (Fleuchaus et al. 2018). Trotz eines sehr großen Nutzungspotenzials (Bloemendal et al. 2015; Lu et al. 2019; Kunkel et al. 2019; Stemmle 2020) fristet die Technologie in Deutschland mit aktuell nur zwei betriebenen Systemen noch immer ein Nischendasein (Holstenkamp et al. 2017; Fleuchaus 2020). Ziel dieser Studie ist es deshalb, einen umfassenden Überblick über die aktuelle Aquiferspeicherentwicklung in Deutschland zu geben. Darauf aufbauend sollen anhand einer SWOT-Analyse Stärken, Schwächen, Chancen und Risiken der Technologie in Deutschland analysiert und notwendige Maßnahmen für eine großflächige Nutzung identifiziert werden.

Aquiferspeicher in Deutschland

Erste Aquiferspeicherversuche wurden in Deutschland in den 1970er und 1980er Jahren in Krefeld (Mercer et al. 1981; Silvermann 1980; Tsang 1980; Werner und Kley 1977) und an der Universität Stuttgart (Adinolfl und Ruck 1992; Adinolfl et al. 1994) durchgeführt. Als Reaktion auf die erste große Ölkrise waren die Versuche Teil des „Energy Conservation through Energy Storage“ (ECES) der International Energy Agency (IEA) und zielten auf die Entwicklung innovativer Speichertechnologien ab (Sanner 2001). In den folgenden Jahren konnte sich die Technologie allerdings nicht am Energiemarkt durchsetzen. Geochemische Wechselwirkungen aufgrund hoher Speichertemperaturen führten bei internationalen Projekten zu erheblichen technischen Problemen (Jenne et al. 1992). Stark sinkende Öl- und Gaspreise führten zudem zu einer Fokussierung auf die direkte, tiefengeothermische Nutzung zur Stromproduktion. Ein umfassender Überblick über die historische und technische Entwicklung der Aquiferspeicherung ist in Fleuchaus et al. (2018) zu finden. Nachdem um die Jahrtausendwende drei HT- und ein NT-Projekt erfolgreich umgesetzt und über 10 Jahre nachhaltig betrieben wurden, kam es in den letzten Jahren aufgrund neuer Förderprogramme zur Initiierung weiterer Forschungsprojekte. Abb. 2 zeigt die geographische Lage vergangener und aktueller ATES-Projekte in Deutschland nach aktuellem Kenntnisstand der Autoren. Technische, energetische und finanzielle Parameter sind zudem in Tab. 1 zusammengefasst. Im Folgenden werden die wichtigsten Schlüsselinformationen der einzelnen Projekte näher beschrieben.

Abb. 2 Fig. 2
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Übersicht stillgelegter, in Betrieb und in Planung befindlicher Aquiferspeicher in Deutschland

Spatial distribution of abandoned, operating and planned ATES projects in Germany

Tab. 1 Table 1 Zusammenfassung der technischen, energetischen und finanziellen Parameter der Aquiferspeicher in DeutschlandSummary over technical, energetic and financial parameters of German ATES systems

Berlin

Die Energieversorgung der Parlamentsbauten am Spreebogen wurde Mitte der 1990er Jahre entworfen und erfolgt überwiegend dezentral über regenerative Primärenergie. Im Rahmen der Neukonzeptionierung wurden im Jahr 1999 zwei Aquiferspeicher für die Wärme- und Kälteversorgung des Reichstaggebäudes (Abb. 3a) sowie der benachbarten Regierungsbauten in Betrieb genommen (Sanner et al. 2005). Für die Kälteversorgung im Sommer erschließen 14 Brunnen einen Aquifer in 60 m Tiefe. Die Entnahmetemperaturen liegen zwischen 10 und 11 °C und ermöglichen eine freie Kühlung. Die Regeneration des Speichers erfolgt bei Außentemperaturen ab 6 °C über Rückkühlwerke auf den Dächern der Gebäude. Derzeit trägt der Kältespeicher ca. 50 % zur Gebäudeklimatisierung im Sommer bei. Daher kommen zusätzlich Kompressions- und Absorptionskältemaschinen, insbesondere für die Niedertemperaturkühlung (6/12 °C) zum Einsatz (Kabus und Seibt 2000).

Abb. 3 Fig. 3
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Fotos realisierter Aquiferspeicherprojekte in Deutschland. a ATES Regierungsgebäude Berlin (© Schüppler); b HT-ATES Neubrandenburg (© Fleuchaus); c HT-ATES Rostock-Brinckmanshöhe (© Fleuchaus); d NT-ATES „Bonner Bogen“ (© Fleuchaus)

Pictures of realized German ATES systems. a ATES government buildings Berlin (© Schüppler); b HT-ATES Neubrandenburg (© Fleuchaus); c HT-ATES Rostock-Brinckmanshöhe (© Fleuchaus); d NT-ATES “Bonner Bogen” (© Fleuchaus)

Der Aquifer für die Wärmespeicherung befindet sich in einer Tiefe von ca. 320 m und ist über eine Brunnendublette erschlossen. Bei überschüssiger Abwärme der betriebenen Blockheizkraftwerke wird der Speicher mit Temperaturen von ca. 70 °C beladen (Seibt und Kabus 2006). Wiedergewinnungsraten von knapp 80 % ermöglichen Fördertemperaturen von bis zu 65 °C zu Beginn der Heizperiode (Sanner et al. 2005; Sanner und Knoblich 2004). Allerdings wird die entstehende Abwärme in der Praxis überwiegend für die Absorptionskältemaschinen im Sommer verwendet, sodass der Speicher nur eingeschränkt beladen werden kann. Hinzu kommen aktuell Leckageprobleme in der horizontalen Anbindung, sowie starker Verschleiß der Brunnenpumpen. Dadurch ist der Speicherbetrieb für die Gebäudebeheizung vorläufig stillgelegt. Dennoch konnte ein erfolgreicher Speicherbetrieb sowohl für die Wärme- als auch für die Kälteversorgung nachhaltig demonstriert werden. Als erster über mehrere Jahre betriebener ATES in Deutschland überhaupt machte das System in Berlin auf die Technologie aufmerksam und dient auch weiterhin als prominentes Anschauungsbeispiel für potenzielle Nachahmer.

Neubrandenburg

In Neubrandenburg wurde 2005 eine stillgelegte Geothermieanlage reaktiviert, um überschüssige Wärme eines Gas-und-Dampf-Kombikraftwerks (GuD) in 1200 m Tiefe bei einem natürlichen Temperaturniveau von ca. 50 °C saisonal zu speichern (Abb. 3b). Die gespeicherte Wärme wurde zur Versorgung eines Stadtteils genutzt. Der HT-Speicher war mehr als zehn Jahre in Betrieb, technische Betriebsdaten wurden von Kabus et al. (2004, 2005, 2006 und 2008) publiziert. Technische Probleme traten überwiegend am kalten Brunnen auf, weil Eingabetemperaturen von ca. 30 °C das Wachstum sulfatreduzierender Bakterien begünstigten (Kabus 2019). Die geochemischen Reaktionen wurden überwacht, analysiert und in mehreren Studien veröffentlicht (Kabus et al. 2009; Würdemann et al. 2014, 2016; Lerm et al. 2013). Obwohl korrodierte Brunnenpumpen regelmäßig ersetzt werden mussten (Abb. 4), wurde der Speicherbetrieb nicht signifikant beeinträchtigt (Kabus 2019).

Abb. 4 Fig. 4
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Links:Korrodierte Brunnenpumpe des Aquiferspeichers Neubrandenburg. Rechts: Neuer Kurzzeitspeicher der Neubrandenburger Stadtwerke GmbH (Fleuchaus et al. 2020a)

Left: Corroded well pump of the cold well of the HT-ATES in Neubrandenburg. Right: New artificial storage tank to balance the short-term supply-demand mismatch (Fleuchaus et al. 2020a)

Trotz hoher (theoretischer) Wiedergewinnungsraten wurde der HT-ATES Anfang 2019 stillgelegt. Starke Schwankungen des Wärmebedarfs und Wärmeangebotes erlaubten keine effiziente Nutzung des UntergrundspeichersFootnote 1. Folglich entschieden sich die Stadtwerke Neubrandenburg für einen Strategiewechsel weg von der saisonalen hin zur Kurzzeitspeicherung. In den Sommermonaten wird in Zukunft die überschüssige Wärme des GuD-Kraftwerkes von Montag bis Freitag in einem künstlichen Stahltank gespeichert. Mit einer Höhe von 36 m und einem Speichervolumen von 22.000 m3 (Abb. 4) wird die Warmwasserversorgung der Stadt an den Wochenenden gedecktFootnote 2. Dennoch ist geplant, die vorhandenen Bohrungen für eine (direkte) Geothermieanlage zu reaktivieren (Kabus 2019).

Rostock

Der einzige HT-Speicher weltweit wird derzeit in Rostock-Brinckmanshöhe betrieben (Abb. 3c). Mit einer Einspeichertemperatur von 50 °C befindet sich dieses System allerdings im Übergangsbereich zwischen NT- und HT-ATES. Aufgrund des Demonstrationscharakters und hoher Salzkonzentrationen wurde von den lokalen Behörden eine Sondergenehmigung für die Nutzung des oberen Aquifers (20 m Speichertiefe) erteilt (Kabus 2019). Über Sonnenkollektoren eingefangene Wärme wird mithilfe einer Brunnendublette für die winterliche Beheizung des Gebäudekomplexes eingespeichert. Die Beheizung erfolgt in Kombination mit einer Wärmepumpe. Detaillierte Informationen sind in Schmidt und Müller-Steinhagen (2004), Benner et al. (1999) und Bauer et al. (2010) zu finden. Aufgrund der niedrigen Speichertemperaturen traten in über 20 Jahren nur geringfügige technische Probleme auf, wodurch ein reibungsloser Betrieb sichergestellt werden konnte. Aquiferspeicher mit Speichertemperaturen zwischen 35 und 50 °C haben sich darüber hinaus auch bei vergleichbaren Projekten in den Niederlanden als robuste und aussichtsreiche technische Variante gezeigt (Kallesøe et al. 2019; Drijver et al. 2019).

Bonn

Seit 2009 versorgt ein NT-ATES das Gebäudeareal „Bonner Bogen“ bestehend aus Hotel, Rechenzentrum und Bürokomplexen (Abb. 3d). Sechs Brunnen mit einer Tiefe von maximal knapp 30 m werden derzeit für die saisonale Wärme- und Kälteversorgung einer Nutzfläche von ca. 60.000 m2 benötigt (Mands et al. 2010). Mit einer genehmigten Fördermenge von bis zu 1.455.000 m3/a zählt das System gleichzeitig zu den größten Wärmepumpenanlagen Europas. Die Beheizung in den Wintermonaten erfolgt in Kombination mit Wärmepumpen mit einem Deckungsanteil von maximal 70 %. Für die Deckung der Spitzenlasten stehen Gaskessel zur Verfügung. Das Areal wird im Sommer über die freie Kühlung und Kältemaschinen klimatisiert. Derzeit besteht ein gesteigerter Kältebedarf der Gebäude, u. a. aufgrund der ganzjährigen Kühlung des Rechenzentrums. Daraus ergibt sich ein erhöhter Wärmeeintrag in den Aquifer und ein unausgeglichener Betrieb des Systems von bis zu 70 %, mit negativen Auswirkungen auf Speichereffekte und Effizienz des Gesamtsystems. Aktuell arbeiten die Betreiber des Systems daran den ausgeglichenen Betrieb wiederherzustellen und die Gebäudeanbindung zu optimieren.

Lüneburg

Der Kreis Bockelsberg in Lüneburg wird mit Wärme aus Biomethan-Blockheizkraftwerken versorgt. Der geplante HT-ATES dient der Minimierung der Wärme aus erdgasbefeuerten Spitzenlastbehältern, um etwa 95 % KWK-Wärme zu erreichen. Abwärme mit einer Temperatur von bis zu 90 °C soll in einer Tiefe von ca. 400 m (20–25 °C) gespeichert werden (Holstenkamp et al. 2017). Der HT-ATES ist Teil eines Klimaneutralitätskonzeptes der Leuphana Universität (Opel et al. 2017). Trotz intensiver Forschung und Voruntersuchungen, die die technische und wirtschaftliche Machbarkeit des geplanten Systems unterstreichen, ist die Unterstützung für die tatsächliche Umsetzung aufgrund unklarer Risikowahrnehmung lokaler politischer und wirtschaftlicher Entscheidungsträger derzeit gering. Dennoch wird der geplante HT-ATES nach wie vor als eine vielversprechende Option für die zukünftige Entwicklung der Wärmeversorgung Lüneburgs gesehen.

Hamburg

Im Jahr 2013 haben die Hamburger Bürger im Zuge einer Volksabstimmung die Rekommunalisierung der Energieversorgung der Stadt beschlossen. Der Wiedererwerb des Fernwärmenetzes vom Energiekonzern „Vattenfall Wärme GmbH“ wurde 2019 abgeschlossen (BUE 2019). Gleichzeitig beschloss die Stadt Hamburg bis 2030 zwei Kohlekraftwerke (67 % (1,2 GW thermische Leistung) der momentan gelieferten Wärme) durch weniger CO2-intensive Wärmequellen wie industrielle Abwärme, Kraft-Wärme-Kopplung oder Abwasser-Wärmerückgewinnung zu ersetzen. Die Flexibilität des neuen Fernwärmenetzes soll zudem durch die Integration von Kurz- als auch Langzeitwärmespeichern erhöht werden. HT-ATES wird als Schlüsseltechnologie betrachtet und potenzielle Wärmequellen, unterschiedliche Speicherhorizonte sowie eine Integration in das Wärmenetz werden derzeit untersucht. Als aussichtsreiche Speicherhorizonte gelten die „Oberen Braunkohlesande“ (OBKS) in einer Tiefe von 200–300 m und eine 1000 m tiefe SandsteinformationFootnote 3 (Radmann und Hansen 2019). Im Jahr 2017 wurde auf der Elbinsel Dradenau ein Testbrunnen für einen zyklischen Speicherbetrieb installiert. Mit einem Rückgewinnungsgrad von rund 90 % konnte die technische Machbarkeit der Wärmespeicherung im UBKS erfolgreich demonstriert werden (Radmann und Hansen 2019). Zudem werden derzeit unterschiedliche Speicherorte sowie verschiedene Wärmequellen und -senken untersucht. In diesem Zusammenhang wurde das Projekt IW3 aus dem Programm „Living lab“ des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWI) gefördert. Das Projekt baut auf den Voruntersuchungen der Firma „GTW Geothermie Wilhelmsburg GmbH“ auf, die die Tiefengeothermie (3–4 km) im Raum Hamburg untersucht. Ziel von IW3 ist der Aufbau einer dezentralen, CO2-neutralen Wärmeversorgung für den Stadtteil Wilhelmsburg. Für eine optimale Integration unterschiedlicher Wärmequellen (Tiefengeothermie, industrielle Abwärme, Power-to-Heat) ist die Errichtung eines HT-ATES geplant.

SWOT-Analyse

Im Zuge einer SWOT-Analyse haben wir im folgenden Kapitel alle relevanten internen und externen Faktoren identifiziert, die die ATES-Entwicklung auf dem deutschen Energiemarkt beeinflussen. Die einzelnen Faktoren werden in Stärken (S), Schwächen (W), Chancen (O) und Risiken (T) gruppiert. Chancen sind Möglichkeiten, neue Märkte im Bereich der Energieversorgung zu erschließen. Diese Chancen können durch alternative Versorgungstechnologien oder durch technologische und wirtschaftspolitische Veränderungen gefährdet werden (Risiken). Zur Vermeidung der Risiken werden Strategien durch Einschätzung der eigenen Stärken und Schwächen (im Vergleich zu alternativen Technologien) entwickelt. Abb. 5 skizziert die Ergebnisse der SWOT-Analyse unterteilt nach HT- und NT-ATES. Die wichtigsten Punkte werden im Folgenden diskutiert.

Abb. 5 Fig. 5
figure 5

Übersicht der SWOT-Analyse für Aquiferspeicher in Deutschland

Overview of the SWOT-analysis of ATES application in Germany

NT-ATES

NT-ATES wird derzeit überwiegend in den Niederlanden betrieben. Dies ist zum einen auf eine aktive Förderung durch die niederländische Regierung, aber auch durch flächendeckend geringe Grundwasserfließgeschwindigkeiten von lokal weniger als 1 m/a zurückzuführen, die hohe Wiedergewinnungsraten begünstigt. Obwohl sich aus der aktiven Wärme- und Kältespeicherung Effizienzvorteile aufgrund optimierter Fördertemperaturen ergeben (Abb. 5), werden in Deutschland fast ausnahmslos klassische Brunnenanlagen mit Grundwasserwärmepumpen (GWWP) betrieben. Im Vergleich zu GWWP erlauben NT-ATES Systeme aufgrund des Speichereffekts erhöhte Entnahmetemperaturen zwischen 3 und 10 K gegenüber der natürlichen Grundwassertemperatur im Winter, in Abhängigkeit der Einspeisetemperaturen im Sommer und der auftretenden Wärmeverluste während der Speicherperiode. Als besonders effektiv erweisen sich NT-ATES bei der Gebäudeklimatisierung im Sommer, da die geringeren Grundwassertemperaturen eine freie Kühlung ohne Zuschaltung der Wärmepumpe ermöglichen. Dies ist insbesondere in großen Stadtzentren von Vorteil, wo der Effekt der urbanen Wärmeinsel mit stark erhöhten Grundwassertemperaturen eine direkte Grundwassernutzung zur Kälteversorgung erschwert. Ein sehr hohes Potenzial für die NT-ATES Nutzung bietet sich insbesondere im Norden Deutschlands, im Bereich des Oberrheingrabens sowie im Molassebecken des Alpenvorlandes. Hohe finanzielle Einsparungen insbesondere im Vergleich zu herkömmlichen Technologien konnten bereits durch Schüppler et al. (2019) in einer Fallstudie für das Städtische Klinikum Karlsruhe (SKK) demonstriert werden. Für finanzielle und energetische Einsparungen bedarf es aber nicht nur einer optimalen Planung des ATES selbst, sondern auch einer fachgerechten Integration der Untergrundkomponenten in das Heiz- und Kühlsystem (HVAC) des Gebäudes. Studien aus den Niederlanden haben jedoch gezeigt, dass lediglich 30 % der installierten Systeme einen optimalen Betrieb aufweisen. Während hohe Wiedergewinnungsraten beobachtet werden, sind geringe Jahresarbeitszahlen der Systeme auf ineffiziente Gebäudekomponenten, ein fehlendes Gebäudemonitoring oder ungenaue/fehlende Bedarfsermittlungen zurückzuführen (Fleuchaus et al. 2020b). Ähnliche Probleme können auch in Deutschland beobachtet werden, wo fehlende Fachkenntnisse im Bereich der TGA (Technische Gebäudeausrüstung)-Planung eine kritische Marktbarriere für eine Kommerzialisierung der Technologie darstellen (Fleuchaus et al. 2018).

HT-ATES

HT-ATES zeichnen sich im Vergleich zu NT-Systemen durch höhere Speicher- und Fördertemperaturen und damit verbunden höhere Speicherkapazitäten aus. Die HT-Speicherung ist nicht nur auf den NT-Gebäudesektor beschränkt, sondern erlaubt auch die Versorgung von Fernwärmenetzen oder Wärmeabnehmern aus der Industrie oder von Gewächshäusern. Im Vergleich zur direkten tiefengeothermischen Nutzung werden zudem deutlich flachere Förderhorizonte benötigt, wodurch sich die Bohrkosten erheblich reduzieren. HT-ATES bieten somit ein großes (ungenutztes) Potenzial, erneuerbare Energien sowie derzeit meist ungenutzte industrielle Abwärme flächendeckend als Wärmequellen in den thermischen Energiesektor zu integrieren. Besonders im Vergleich zu NT-ATES sind die höheren Speichertemperaturen allerdings auch mit technischen, legislativen und politischen Risiken verbunden (Fleuchaus 2020). Diese sind stark abhängig von den vorherrschenden Randbedingungen, welche sich zum Teil auf regionaler und lokaler Ebene unterscheiden. Dies gilt nicht nur für die Eigenschaften des Untergrundes, sondern beispielsweise auch für die Stabilität der Wärme- und Kältequelle oder der Offenheit des zuständigen Landratsamtes für innovative, in Deutschland nicht erprobte Technologien. Während im Südwesten Deutschlands noch immer große Vorbehalte in der Bevölkerung gegen die geothermische Nutzung des Untergrundes vorherrschen, konnte in Hamburg oder Neubrandenburg eine hohe Zustimmung für Pilotversuche im Bereich der Aquiferspeicherung beobachtet werdenFootnote 4 (Kabus 2019). Risiken und Barrieren der Aquiferspeicherung weltweit sind ausführlich in Fleuchaus (2020), Fleuchaus et al. (2018) und (2020b) beschrieben.

Mit Speichertemperaturen zwischen 70 und 120 °C haben geochemische Prozesse im Untergrund in der Vergangenheit häufig zu Problemen wie Verockerung oder Korrosion geführt, konnten aber durch langjährige Forschung (Lerm et al. 2011; Bonte et al. 2013; Jesußek et al. 2013; Lienen et al. 2017; Ueckert und Baumann 2019) und entwickelte Gegenmaßnahmen überwiegend kontrolliert werden. Vergangene und aktuelle HT-ATES-Projekte haben dagegen gezeigt, dass die größte Herausforderung in der Trägheit der Systeme in Verbindung mit saisonalen Schwankungen des Energieangebots und der Energienachfrage sowie in den sich ändernden Nutzungskonzepten liegt. Zudem muss über die gesamte Nutzungsdauer von bis zu 50 Jahren eine stetig verfügbare Wärmequelle gesichert sein. HT-ATES-Projekte insbesondere in den Niederlanden und Deutschland haben gezeigt, dass dies in der Praxis aufgrund sich ändernder Randbedingungen (z. B. politische Fördermaßnahmen, Energiekosten, Nutzungsverhalten) oftmals nicht gegeben ist. Dies konnte kürzlich in Neubrandenburg beobachtet werden (Abb. 3b), wo ein saisonaler HT-ATES durch einen künstlichen Kurzzeitspeicher ersetzt wurde (Abb. 4). Für eine flächendeckende HT-ATES-Nutzung in Deutschland ist deshalb nicht nur eine umfassende Planung, Auslegung und Überwachung der Systeme, sondern auch die Schaffung optimaler Randbedingungen entscheidend. Dies umfasst nicht nur eine Vereinfachung genehmigungsrechtlicher Vorgaben und Rahmenbedingungen, sondern auch eine aktive Förderung der Aquiferspeicherung in Deutschland durch die Schaffung neuer und langfristiger Anreizprogramme sowie die frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit. In den Niederlanden lässt sich über ein vom Ministerium für Wirtschaft und Klima bereitgestelltes GIS-basiertes Webtool für jeden einfach nachvollziehen, ob sich ein Aquiferspeicher am vorgesehenen Standort realisieren lässt oder ob bestimmte Einschränkungen, wie z. B. Grundwasserschutzgebiete, einer Umsetzung im Wege stehen (Ministerie van Economische Zaken en Klimaat). Dadurch lässt sich frühzeitig eine theoretische technische Machbarkeit abschätzen und der Bekanntheitsgrad der Technologie deutlich erhöhen. Darüber hinaus ist die Gesetzgebung in den Niederlanden sowohl auf Untergrundspeicher als auch konkret auf Aquiferspeicher (Wasserrecht) angepasst, wodurch die Genehmigungsverfahren einfacher nachvollziehbar und verkürzt sind (ca. 6 Monate) (Bloemendal et al. 2016; Kallesøe und Vangkilde-Pedersen 2019). Ein einheitliches Genehmigungsverfahren unabhängig von den Ländergrenzen wäre auch in Deutschland für eine vermehrte Umsetzung der Technologie förderlich. Zudem sollten zukünftig positive Auswirkungen eines Vorhabens auf den Klimaschutz seitens der Behörden berücksichtigt werden (Degenhart et al. 2019). Dies betrifft nicht nur die CO2-Vermeidung, sondern auch die Nutzung des anthropogenen Wärmeeintrags in urbanen Räumen.

Begünstigte Randbedingungen für saisonale Speicher sind auch in Dänemark anzutreffen. Eine höhere Besteuerung fossiler Brennstoffe, weite Verbreitung von Wärmenetzen sowie langfristig angelegte und verbindliche kommunale Wärmeplanung zählen zu den Hauptfaktoren erfolgreicher Projekte und würden die Aquiferspeicherung auch in Deutschland vorantreiben (Pehnt 2017). Aktuell sind die Fördermöglichkeiten für Speichertechnologien in Deutschland, die über Machbarkeitsstudien hinausgehen, noch gering. Mit der Bundesförderung für effiziente Wärmenetze (Wärmenetze 4.0) wird neuerdings jedoch auch die Realisierung eines innovativen Wärmenetzsystems in Kombination mit saisonaler Wärmespeicherung gefördert (Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle (BAFA) 2019). Zudem besteht die Möglichkeit über wissenschaftliche Begleitung und intensive Monitoring-Fördermöglichkeiten zu generieren. Zukünftige Einnahmen aus der CO2-Bepreisung könnten nach Renn et al. (2019) ganz gezielt für neue Forschungs- und Markteinführungsprogramme von Speichern verwendet werden. Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass HT-ATES im Vergleich zu konkurrierenden Technologien (Beckenspeicher, Tiefengeothermie, NT-ATES) einen erheblichen Beitrag zur Speicherung erneuerbarer HT-Wärmequellen leisten kann und in Abhängigkeit der lokalen Randbedingungen ein enormes Marktpotenzial aufweist. Erfahrungen aus der Tiefengeothermie zeigen, dass die technische Robustheit und Kosteneffizienz auch im Dauerbetrieb demonstriert werden muss, um das Vertrauen von Investoren und Politik zu gewinnen. Die Umsetzung tiefengeothermischer Systeme in der Stadt München zeigt, dass den vielfältigen Risiken der HT-ATES durch ein umfassendes Energiekonzept und eine frühzeitige Einbindung der Öffentlichkeit begegnet werden kann. Erfahrungen aus der Windkraftbranche haben zudem bewiesen, dass die öffentliche Akzeptanz eines Projekts nicht wie oft nur auf einer frühzeitigen und umfassenden Informationspolitik basieren müssen. Eine finanzielle Beteiligung umliegender Gemeinden oder Stadtteile durch die Bildung neuer Bürgerenergiegenossenschaften und damit Rekommunalisierung der Wärmeversorgung ließe sich in Kombination moderner Wärme- und Kältenetze effektiv auf die Aquiferspeichertechnologie übertragen. Hierbei müssen allerdings die sich kurz- und langfristig ändernden Randbedingungen sowie die Wirtschaftlichkeit der Systeme berücksichtigt werden (Fleuchaus et al. 2020a).

Fazit

Mit über 50 Jahren Forschungsaktivität im Bereich der Aquiferspeicherung konnte in Deutschland ein wichtiger Beitrag zur Weiterentwicklung der Technologie geleistet werden. Trotz des langjährigen Betriebes innovativer ATES-Anlagen in Bonn, Neubrandenburg, Rostock und insbesondere Berlin konnte sich die Technologie bisher allerdings nicht auf dem Energiemarkt durchsetzen, was nicht zuletzt auf die meist unzureichende Darlegung und Dokumentation der technischen Betriebsdaten und wirtschaftlichen Potenziale der Systeme zurückzuführen ist. Ambitionierte Klimaschutzmaßnahmen, die Schwierigkeit der Integration erneuerbarer Energien in die Wärme- und Kälteversorgung sowie ein großes geologisches Potenzial in Deutschland fordern innovative und zukunftsträchtige Lösungen bei der energetischen Versorgung von Gebäuden und eröffnen somit einen neuen Wachstumsmarkt für ATES in Deutschland. Für eine erfolgreiche Kommerzialisierung am Markt gilt es in Zukunft die folgenden Punkte zu beachten:

  • Die Errichtung weiterer Demonstrationsanlagen dient nicht nur der technischen Weiterentwicklung, sondern erhöht auch den Bekanntheitsgrad und die Akzeptanz der Technologie unter Entscheidungsträgern aus Politik, Gebäudeplanung und Energiewirtschaft. Zukünftige Demonstrationsprojekte sollten daher nicht nur technische, hydraulische und hydrochemische Daten dokumentieren, sondern insbesondere auch finanzielle Aspekte und Risikoanalysen verstärkt berücksichtigen (Fleuchaus et al. 2018).

  • Für eine schnelle und kosteneffektive Realisierung weiterer HT- und NT-Systeme bedarf es einer Vereinfachung der genehmigungsrechtlichen Anforderungen (Fleuchaus 2020); Der Einfluss von Speichertemperaturen über 20 °C auf die Ökologie und Geochemie des Grundwassers muss zudem weiter erforscht werden. Dadurch lassen sich gegebenenfalls lokal die Anforderungen anpassen, insbesondere unter der Berücksichtigung, dass einzelne Infrastrukturen im urbanisierten Raum das Grundwasser bereits deutlicher erwärmen (Tissen et al. 2019).

  • Bereits jetzt realisierte Anreizprogramme und Fördermaßnahmen stellen eine vielversprechende Grundlage für die Umsetzung von NT- und HT-ATES in Deutschland dar, beschränken sich allerdings oftmals nur auf die Durchführung von Machbarkeitsstudien. Daher gilt es seitens der Politik entsprechende Programme auszuweiten, diese spezifisch auf Speichertechnologien anzupassen sowie diese schlussendlich transparent zu kommunizieren und den Zugang zu erleichtern.

  • Risikoanalysen werden in vielen Bereichen der Energieversorgung bereits angewendet und sind für Projektverantwortliche entscheidend, um auftretende Risiken abzuschwächen und Projektziele zu erreichen. Im Bereich der geothermischen Nutzung findet die Untersuchung von Risiken jedoch oftmals wenig Beachtung, obwohl insbesondere bei der Nutzung HT-ATES der Bedarf dafür groß ist. Daher müssen zukünftig geeignete Methoden entwickelt und Projektbeteiligte für deren Bedeutung sensibilisiert werden. Neben den technischen Risiken muss zudem ein besonderes Augenmerk auch auf legislative, soziale und politische Risiken gelegt werden.