Nichts ist im Moment wichtiger, als die eigene Gesundheit zu fördern und auf sich zu achten — egal ob das Kinder, Jugendliche, Erwachsene, Eltern, Großeltern oder eben auch Studierende sind. Gerade Letztere sehen sich im Moment mit großen Herausforderungen konfrontiert — 100 Prozent Onlinelehre, die Aussicht auf 100 Prozent Onlineprüfungen, eventuell noch ein Job in einem systemerhaltenden Bereich oder Freiwilligenarbeit und Versorgungspflichten innerhalb der Familie.

In diesem Ausnahmezustand helfen gut ausgeprägte Selbst- und Sozialkompetenzen — bezogen auf Erstere besonders ein hohes Ausmaß an Kohärenzgefühl, also einem Gefühl von Stimmigkeit. Mit einem stark ausgeprägten Kohärenzgefühl werden Situationen als verstehbar, sinnvoll und bewältigbar empfunden und die Erholung von stressvollen Erfahrungen erfolgt effizienter als mit einem gering ausgeprägten Kohärenzgefühl (Lundberg und Tolvanen, 2019). In der aktuellen Situation würde dies bedeuten, dass etwa politische Entscheidungen gut nachvollzogen werden können (Verstehbarkeit), dass damit verbundene einschneidende Veränderungen unseres Alltages (z. B. Homeoffice, Kurzarbeit, das Fehlen von Betreuungseinrichtungen, Überstunden und Gesundheitsrisiko in Gesundheitsberufen) als Herausforderungen gesehen werden, um trotz allem (oder gerade deswegen) weiter zu machen (Sinnhaftigkeit). Man ist sich seiner Fähigkeiten und weiterer Ressourcen bewusst und weiß diese einzusetzen, um die aktuellen Herausforderungen eben erfolgreich zu bewältigen (Bewältigbarkeit).

Genau an dieser Stelle kommt als eine der wohl bedeutendsten Ressourcen die soziale Unterstützung ins Spiel, denn emotionaler Zuspruch und/oder instrumentelle Hilfsangebote spielen in diesem Zusammenhang eine große Rolle. Als grundlegend sind hier Sozialkompetenzen zu erachten — etwa die Fähigkeit, Beziehungen zu gestalten und aufrechtzuerhalten (Dassler 2009). Aktuell steht dem aber “Social Distancing” als Maßnahme gegenüber, um potenzielle Neuinfektionen zu reduzieren, und es ist notwendiger denn je, sich der Bedeutsamkeit sozialer Unterstützung und sozialer Integration bewusst zu sein. Werden nämlich die Quantität und/oder Qualität der sozialen Beziehungen längerfristig als unzufriedenstellend eingestuft, dann führt dies unweigerlich zum Erleben von Einsamkeit, mit wissenschaftlich belegten negativen Auswirkungen auf die psychische Gesundheit (u.a. Mann et al. 2017; Lindsay et al. 2019). Weiter muss besonderes Augenmerk auf Selbst- und Zeitmanagement gelegt werden (OECD 2016). Gerade jetzt ist es für Studierende wichtig, den Tag genau zu planen, Ziele für den Studienalltag im privaten Hörsaal klar zu definieren und an deren Erreichung zu arbeiten.

Vereinbarkeitsprobleme schaffen Konflikte

Die Förderung von Selbst- und Sozialkompetenzen ist in der aktuellen Krisensituation insbesondere bei berufsbegleitend Studierenden, die in Gesundheitsberufen tätig sind, essenziell. Berufsbegleitend Studierende sehen sich im Allgemeinen mit der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit, Studium und familiären Verpflichtungen konfrontiert (Brunner und Kada 2011). Dem Begriff Vereinbarkeit kommt hier eine bedeutende Rolle zu — denn mit Kollegen und Kolleginnen ebenso wie mit Arbeitgebern müssen Abstimmungsprozesse stattfinden, die oftmals nicht konfliktfrei verlaufen. Auch die Koordination von familiären Verpflichtungen, die Aufrechterhaltung von Freundschaften und einen positiven Studienerfolg gilt es sicherzustellen. Je höher die wöchentliche Arbeitszeit, desto größer werden die Vereinbarkeitsprobleme (Buß 2019).

Betrachtet man dies in der aktuellen Krisensituation, kann davon ausgegangen werden, dass die wohl bekannten Vereinbarkeitsprobleme bei vielen Studierenden in den nächsten Tagen und Wochen noch erheblich größer werden. So kämpfen berufsbegleitend Studierende, die im Gesundheitswesen tätig sind, an vorderster Front gegen eine Verschlimmerung der Situation an, was mit Überstunden und vermehrter emotionaler Belastung einhergeht. Den familiären Verpflichtungen nachzukommen, ist jetzt aber auch wichtiger denn je, zumal Kinderbetreuung und/oder die Versorgung besonders gefährdeter Familienmitglieder zusätzliche Herausforderungen darstellen. Um einen erfolgreichen Semester- oder sogar Studienabschluss verzeichnen zu können, müssen die Studienanforderungen nun online bewältigt werden. Digitale Kompetenzen, die gerade bei berufsbegleitend Studierenden gefördert werden müssen (Hawlitschek und Fredrich 2018), adäquate technische Voraussetzungen und Zugang zu entsprechender Software bilden den nötigen Rahmen, um Online- Learning überhaupt erst zu ermöglichen. Dazu kommt die neue, häufig ungewohnte Vermittlung der Inhalte im “privaten Hörsaal”.

Erste qualitative Befragungen von berufsbegleitend Studierenden aus dem Studiengang Gesundheits- und Pflegemanagement (Fachhochschule Kärnten) zeigen, dass den Studierenden der soziale Austausch mit Mitstudierenden und die Lehre an der Hochschule fehlen. Trotzdem erkennen sie auch viele Vorteile: Die freiere Zeiteinteilung bei der Bearbeitung hochschulischer Anforderungen führt zu einer besseren Vereinbarkeit mit den aktuellen Dienstplänen. Entsprechend verlängerte Abgabefristen für Online-Aufgaben sowie die gute Verfügbarkeit der Lehrenden für allfällige Nachfragen via E-Mail erleichtern den aktuellen Studienalltag.

Trotzdem besteht eine große Überforderungsgefahr, der es entgegenzuwirken gilt. Insofern scheint es ein mehr als guter Zeitpunkt zu sein, um die Förderung von Selbst- und Sozialkompetenzen in den Vordergrund zu stellen. Auch aus einer anderen Perspektive ist dies unabdingbar: Hochschulen müssen hier investieren, um Studierendengesundheit und Studierfähigkeit zu unterstützen (Gusy 2010). Studentisches Gesundheitsmanagement, ein sich aktuell zumindest in Deutschland rasant entwickelndes Feld, bietet dafür einen passenden Rahmen (Techniker Krankenkasse 2019).

Um aktuelle Entwicklungen im Bereich des Studentischen Gesundheitsmanagements aufzugreifen und in die Förderung von studentischen Selbst- und Sozialkompetenzen zu investieren, wurde an der Fachhochschule Kärnten ein Projekt namens „KukiS-Toolbox“ (Kompetent und kohärent im Studium-Toolbox) ins Leben gerufen, welches sich den drei wissenschaftlich fundierten Themenkomplexen Studentisches Kohärenzgefühl, Prokrastination und soziale Integration/Einsamkeit widmet. Mit studentischer Beteiligung (von Vollzeit- und berufsbegleitend Studierenden) wurden Lehr- und Lernmaterialien zu den Themenkomplexen entwickelt. Mehr Informationen zum Projekt bietet der KukiS-Blog unter https://blog.fh-kaernten.at/kukis/. In der aktuellen Krisensituation liegt es auf der Hand, spezielle Materialien zu entwickeln und zur Verfügung zu stellen: In einem “Corona-Special” finden sich Factsheets mit Lerntipps in Zeiten von Corona und Tipps gegen Einsamkeit in Zeiten von Social Distancing. Weiters kommen auch Studierende zu Wort, die aus ihrem „privaten Hörsaal” berichten oder ihren Gefühlen in Form eines Gedichts Ausdruck verleihen.

Die Rolle der Lehrenden

Neben der Betrachtung, was Studierende in Zeiten von Corona im Sinne der Selbstpflege für sich tun können, damit sie gut durch den aktuellen Lebens- und vor allem Studienalltag kommen, gilt es aber auch eine weitere Frage zu fokussieren: Was können und sollen Lehrende tun, um Studierende in der aktuellen Krisensituation gut zu unterstützen? Hier darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Lehrende gerade in Zeiten wie diesen eine in besonderem Ausmaß sorgende Position einnehmen und den Studierenden „caring spaces“ als Lernumwelt bieten sollen (Samuel 2017). Greenberg und Kolleginnen (2007) unterstreichen das in ihrer Studie über die Rollen hochschulischer Lehrender im Zusammenhang mit den Ereignissen rund um 9/11. Daraus können wir für die Corona-Krise folgendes lernen: Lehrende sollen neben ihrer Rolle als Wissensvermittler und Experten ihrer Disziplinen mit Fokus auf Inhalten nicht auf die Notwendigkeit vergessen, die aktuellen Geschehnisse zu besprechen.

Studierende in ihrer Ganzheit, mit all ihren Sorgen und Ängsten, Potenzialen und Kompetenzen wahrzunehmen, erscheint aktuell wichtiger denn je. So gilt es eine (Online-)Kultur zu schaffen, die die Bereitschaft der Lehrenden demonstriert, Studierende auch emotional zu unterstützen. Ein offenes Ohr haben oder weitere, professionelle Hilfe vermitteln, gehören hier dazu. Dass dies in einer virtuellen Umgebung schwieriger sein mag als in persönlichem Kontakt im Hörsaal, stellt Lehrende gewiss vor die Herausforderung, didaktische Konzepte zu entwickeln, die das ermöglichen. Darin liegt nicht nur für Studierende, sondern auch für Lehrende eine große Chance.