1 Einleitung

Neben dem Besuch der Vorlesung nimmt klassischerweise die Bearbeitung von Übungsaufgaben im Selbststudium einen großen Stellenwert ein. Dies spiegelt sich beispielsweise im Zeitaufwand für die Übungsaufgaben oder deren Funktion im Zusammenhang mit Vorleistungen für die Klausurzulassung [19]. Es besteht zwar ein wesentlicher Konsens darüber, dass Übungsaufgaben im mathematischen Lernprozess eine besondere Bedeutung zukommt und mit ihnen die Lernziele der Einführung in mathematische Begriffe, Methoden und Arbeitsweisen verfolgt werden sollen, empirische Forschung zu diesem Thema gibt es bisher jedoch kaum. Wie genau funktioniert das Lernen von Mathematik im Studium? Was soll gelernt werden, welche Arbeitstätigkeiten gilt es zu schulen und welche Rolle nehmen Übungsaufgaben dabei ein? Eine systematische Analyse von Übungsaufgaben kann ein Ansatzpunkt sein, um hierzu Erkenntnisse zu gewinnen: Einerseits lassen sich Anforderungen, welche Mathematikstudierenden begegnen, mit Hilfe einer Aufgabenanalyse präziser beschreiben und somit mögliche Hürden besser identifizieren. Andererseits können aufbauend auf den Kenntnissen von Aufgabenmerkmalen und -zielen mögliche Ansatzpunkte für die Weiterentwicklung der Lehre identifiziert werden, sodass sichergestellt werden kann, dass intendierte Ziele auch bestmöglich durch Aufgaben adressiert werden können.

Die vorliegende Studie verfolgt vor diesem Hintergrund das Ziel, derzeitige Merkmale mathematischer Übungsaufgaben abzubilden, um diese als Ausgangspunkt für zielgerichtete Veränderungen der Hochschullehre nutzbar zu machen.

2 Theoretischer Hintergrund

Möchte man die Anforderungen des Lehrangebots im Mathematikstudium beschreiben, stellt sich zunächst die Frage, welche Ziele mit dem Lehrangebot adressiert werden und was die Qualität eines Lehrangebots ausmacht. Diese beiden Punkte werden im Folgenden mit Blick auf die Übungsaufgaben diskutiert.

2.1 Lernziele und Charakteristika der Hochschulmathematik

Die Hochschulmathematik versteht sich als wissenschaftliche Disziplin – genauer gesagt als beweisende Disziplin [10]. Ziel des Mathematikstudiums ist die Einführung der Studierenden in diese Disziplin. Entsprechend gibt die DMV als Ziel der mathematischen Ausbildung an, „daß jeder Absolvent mit wesentlichen klassischen und modernen Fragestellungen der Mathematik vertraut ist, daß er hinreichende Kenntnis bedeutsamer Beispiele und Modelle zu allgemeinen Strukturen besitzt, die bis zu wichtigen Anwendungen führen, und daß er die einschlägigen Rechentechniken beherrscht und mathematische Sachverhalte mündlich und schriftlich klar und verständlich formulieren kann“ [5]. Dieses Dokument der DMV von 1979 thematisiert zwar in erster Linie das Lehramtsstudium, formuliert aber explizit, dass die zitierten Ziele auch für Hauptfachstudierende gültig sind. Aktuellere Stellungnahmen von offizieller Seite wurden bisher nicht veröffentlicht, dafür formulieren einzelne Hochschulen – neben einer detaillierten inhaltlichen Darlegung des Studienumfangs in Modulkatalogen – in ihren Informationen für Studieninteressierte übergeordnete Ziele des Mathematikstudiums. Als vorrangiges Ziel wird hierbei meist die Entwicklung und Erweiterung eines analytischen Denkvermögens angeführt (z. B. [7, 29]).

Um die wesentlichen Charakteristika und damit die angesprochenen Ziele des akademischen Lernens von Mathematik an der Hochschule genauer zu beschreiben, bietet sich ein Vergleich mit der Schulmathematik an. Diese Kontrastierung dient auch dazu, die Situation der Studierenden nachzuzeichnen, die zu Studienbeginn von der einen in die andere Bildungsinstitution wechseln und die neuen Anforderungen bewältigen müssen. Die wesentlichen Unterschiede zwischen Schul- und Hochschulmathematik waren bereits Gegenstand von Forschungsanliegen und beziehen sich auf die Merkmale (1) Charakter der Mathematik, (2) Darstellung der Mathematik, (3) Art der Begriffseinführung und (4) Rolle des Beweisens (zsf. [23]).

Bezüglich des Charakters und der Darstellung der Mathematik lässt sich beim Übergang zwischen Schule und Hochschule grundlegend eine Verschiebung von einer anwendungsorientierten Mathematik, die als Ziel die Allgemeinbildung formuliert [31], hin zu einer selbstständigen, theoriebildenden Wissenschaft mit ihrer Definition-Satz-Beweis-Systematik feststellen [9, 10]. Dies hat weitreichende Folgen auch für die Art und Weise, wie im Mathematikstudium Begriffe eingeführt werden und welche Arbeitsweisen „erlaubt“ sind.

Entsprechend ist der adäquate Umgang mit Begriffen zentraler Bestandteil des Mathematikstudiums. Im Kontext des Begriffsaufbaus wurden von Tall und Vinner [27] die Begriffe concept image und concept definition eingeführt. Concept definition meint dabei die formale, sich aus der Axiomatik ergebene Definition eines Begriffes, während das concept image eine mentale Repräsentation des Begriffes darstellt. Gelangt man in der Schulmathematik meist von einer konkreten Anschauung zu einer passenden Definition, muss an der Hochschule der Aufbau eines zur gegebenen concept definition passenden concept image von den Studierenden selbst vorgenommen werden [22, 24]. Problematisch für Studierende kann es werden, wenn zu Begriffen, die an der Hochschule eingeführt werden, ein concept image aus der Schule vorhanden ist, dieses jedoch nicht zur neuen concept definition passt. Wird in diesen Fällen das mentale Bild nicht angepasst, kommt es zu Fehlvorstellungen, welche einen erfolgreichen Begriffserwerb verhindern [19]. Ebenso wie bei unpassenden mentalen Repräsentationen kann der Begriffsaufbau auch bei gänzlich fehlenden Bildern nicht gelingen [24]. Möglich ist, dass Übungsaufgaben entsprechende Impulse zum Aufbau einer adäquaten mentalen Begriffsvorstellung liefern und insbesondere durch die Generierung oder Analyse von Beispielen und Nicht-Beispielen der Begriffsumfang konkretisiert wird. In welchem Ausmaß Übungsaufgaben den Aufbau eines umfassenderen Begriffsaufbaus anleiten und von Dozierenden auch als solches Instrument erkannt werden, wurde bisher allerdings noch nicht systematisch untersucht.

Zudem nimmt das Beweisen als Lerngegenstand in der Hochschulmathematik eine viel zentralere Rolle ein als in der anwendungsorientierten Schulmathematik. Letztere betont bei Beweisen vorrangig deren erklärende, in Teilen auch deren systematisierende Funktion, weniger aber die Funktion der Validierung, welche für die Hochschulmathematik von zentraler Bedeutung ist [6]. Studierende können die strenge Erzeugung von Evidenz durch Beweise somit erst im Studium erlernen, da sie ihnen aus der Schule in dieser Form nicht bekannt ist.

Idealtypische Beweisprozesse lassen sich nach Boero [3] in sechs Phasen unterteilen: (1) Untersuchung eines Problems, (2) Formulierung einer Vermutung, (3) Exploration der Vermutung, (4) Auswahl und Anordnung von Argumenten, (5) Erstellen einer Argumentationskette und (6) Annäherung an einen formalen Beweis. Es lässt sich feststellen, dass in Vorlesungen meist eine Präsentation und Erläuterung eines Beweises vorgenommen wird, was eher das Endprodukt denn den Beweisprozess abbildet [24]. Damit werden nur die letzten Phasen des Modells nach Boero [3] sichtbar und die vorangehende Exploration und das Aufstellen und Prüfen einer Vermutung werden in diesen Fällen nicht thematisiert, sodass bei Studierenden häufig Schwierigkeiten in der Rekonstruktion des Beweisprozesses auftreten [24]. Im Gegensatz zur Präsentation eines Beweises in der Vorlesung müssen bei der selbstständigen Bearbeitung von Übungsaufgaben mindestens die Phasen (3) bis (6) von den Studierenden durchlaufen werden. Zu untersuchen ist, ob und in welchem Maße auch die ersten zwei Phasen adressiert und damit Lerngelegenheiten für diese Teilschritte des Beweisens zur Verfügung gestellt werden.

Um erfolgreich zu beweisen, müssen Studierende korrekt mit Begriffen umgehen können und ferner über ein fundiertes Methodenwissen verfügen, welches sich als „Wissen über Natur und Funktion von Beweisen“ [25, S. 165] beschreiben lässt. Heinze und Reiss [9] unterscheiden für das Methodenwissen die drei Bereiche Beweisschema, Beweisstruktur und Beweiskette. Das Beweisschema bezieht sich dabei auf die zulässigen Argumente – im Hochschulkontext also auf allgemeingültige deduktive Schlüsse. Empirisch-induktive Ansätze, anschauliche Argumentationen oder die Berufung auf Autoritäten werden hingegen als unzulässig bewertet [28]. Die Beweisstruktur fokussiert auf den logischen Aufbau der Argumentation im Sinne einer Voraussetzung-Behauptung-Beweis-Struktur, bei welcher in jedem Schritt die notwendigen Voraussetzungen für folgende Argumente gesichert sind und kein Zirkelschluss vorliegt. Der Bereich der Beweiskette bezeichnet schließlich das logische Aufeinanderfolgen aller Beweisschritte, sodass jede neue Aussage aus den direkt zuvor gezeigten Aussagen folgt [9].

Als letzter Lerngegenstand, welcher zum Beweisen benötigt wird, ist das Wissen über Strategien anzuführen. Dieses beinhaltet das Wissen über allgemeine (z. B. das Anfertigen einer Skizze) sowie mathematikspezifische (z. B. Mengengleichheit in zwei Mengeninklusionen zerlegen) Problemlösestrategien.

Zusammenfassend können als die wesentlichen Lernziele des Mathematikstudiums die Entwicklung eines analytischen Denkvermögens sowie die Einführung in die mathematischen Arbeitsweisen der Hochschule genannt werden. Als zentral herauszustellen sind hierbei das Beweisen, der Begriffserwerb, das Methodenwissen und das Wissen über Strategien [19, 30]. Es kann erwartet werden, dass passende Lerngelegenheiten alle vier Bereiche adressieren. Aufgrund des sehr unterschiedlichen Charakters von Schulmathematik und Hochschulmathematik ist davon auszugehen, dass die Lernziele der Hochschulmathematik insbesondere Studienanfängerinnen und Studienanfänger vor Herausforderungen stellen [6]. Gerade das Erlernen der beiden genannten Wissensarten wird für sie eine wesentlich größere Rolle einnehmen als für Studierende höherer Semester, weswegen erwartet werden kann, dass passende Lerngelegenheiten für das Methodenwissen und das Wissen über Strategien in der Studieneingangsphase häufiger vorkommen und mit fortgeschrittenem Semester eine untergeordnete Rolle einnehmen.

2.2 Qualität des Lehrangebots an der Hochschule

Wie eingangs erwähnt, ist neben den Lernzielen auch die Qualität der Hochschullehre zu analysieren. Diese wird von der Passung zwischen Zielen und Mitteln bedingt, was in der Hochschuldidaktik unter dem Ansatz des constructive alignments [2] zusammengefasst wird. Dabei ist die Abstimmung zwischen Lernzielen, Lerninhalten, Materialien und Methoden zentral, wobei auch die Passung dieser Bestandteile zur abschließenden Leistungskontrolle eingeschlossen wird. Pellegrino [18] spricht in diesem Kontext auch von einer Curriculum-Instruktion-Assessment-Triade. Zur Bestimmung der Lehrqualität können folglich einerseits organisatorische Merkmale sowie das Curriculum und andererseits die eigentlichen Lerngelegenheiten betrachtet werden. Auf organisatorischer Ebene liegt in der Hochschulmathematik meist die Dreiteilung in Vorlesung, Übung und Selbststudium vor. Da die vorliegende Studie Übungsaufgaben fokussiert, soll im Folgenden nur auf die Bestandteile der Übungen und des Selbststudiums mit Fokus auf die Übungsaufgaben als Lernangebot eingegangen werden. Eine ausführliche Analyse der Vorlesungen stellt einen eigenen, sicherlich lohnenswerten Untersuchungsgegenstand dar, welcher in zukünftigen Studien noch zu adressieren ist und an dieser Stelle ausgespart bleiben muss.

Bezüglich der Organisation des Mathematikstudiums kann bemerkt werden, dass der Bearbeitung von Übungsaufgaben im Selbststudium ein großer Stellenwert und zeitlicher Rahmen zukommt [19]. Aus didaktischer Sicht sind Übungsaufgaben nicht zuletzt deshalb wichtig, da sie „flexible, breit einsetzbare und aktiv steuerbare inhaltliche und didaktische Strukturierungselemente“ [12, S. 86] darstellen, mit welchen auf den Lernprozess der Studierenden Einfluss genommen werden kann.

Lernen wird dabei üblicherweise als aktive und fokussierte Informationsverarbeitung verstanden [26], die durch Lerngelegenheiten angestoßen wird. Entsprechend ist die Qualität der Lehre theoretisch stark vom Lernangebot abhängig, jedoch ist mangels Untersuchungen bisher wenig über die Qualität der Lerngelegenheiten an der Hochschule bekannt [19]. Aus der pädagogischen Psychologie weiß man jedoch, dass ein wesentliches Qualitätsmerkmal von Lerngelegenheiten die kognitive Aktivierung ist [26]. Diese beschreibt das Maß, in welchem Lernende zur aktiven Auseinandersetzung mit den Lerninhalten angeregt werden [14]. Will man also die Qualität der hochschulischen Lerngelegenheiten beurteilen, sollte das kognitive Aktivierungspotenzial der angebotenen Aufgaben als ein leitendes Kriterium hinzugezogen werden. Es muss also bewertet werden, inwiefern es eine Übungsaufgabe tatsächlich ermöglicht, so mit der Mathematik in Interaktion zu treten, wie es die zentralen Lernziele vorsehen. Beispielsweise wird das eigenständige Formulieren von Hypothesen als ein Indikator für kognitive Aktivierung gewertet, da hierbei Wissen aktiv verknüpft werden muss – im Gegensatz beispielsweise zu einer Aufgabe, die lediglich das Abrufen von Faktenwissen oder die Ausführung eines bekannten Algorithmus erfordert.

Studien zeigen, dass sich die Wichtigkeit von Übungsaufgaben nicht nur auf theoretischer Ebene ergibt, sondern auch von den Studierenden wahrgenommen wird (z. B. [20]). Einerseits erachten Studierende Übungsaufgaben als wichtig für ihr eigenes Verständnis der Vorlesungsinhalte, andererseits ergibt sich die wahrgenommene Bedeutsamkeit auch dadurch, dass die erfolgreiche Bearbeitung der Übungsaufgaben häufig Voraussetzung für eine Zulassung zur Modulklausur ist. Die Bearbeitung von Übungsaufgaben wird von Studierenden infolgedessen neben der Klausurvorbereitung als größte Herausforderung des Mathematikstudiums bewertet [11]. In diesem Kontext konnte eine Studie sogar nachweisen, dass die Abgabe der Aufgaben und damit die Klausurzulassung den Studierenden teils wichtiger erscheint als das erfolgreiche und eigenständige Lösen der Aufgaben [8]. Daraus ergibt sich die Frage, wie Studierende im Selbststudium mit Übungsaufgaben umgehen und welche Bedingungen entscheidend dafür sind, ob Aufgabenlösungen selbstständig erarbeitet oder abgeschrieben werden. Dies soll im Folgenden kurz mit einem breiteren Blick auf motivationale Prozesse bei der Aufgabenbearbeitung diskutiert werden und dann auf mögliche motivationsunterstützende Merkmale zusammengeführt werden.

Wesentlich für das Gelingen von Bearbeitungsprozessen ist die Fähigkeit zur Selbstregulation. Darunter versteht man, sich geeignete Ziele setzen zu können und den Bearbeitungsprozess zu steuern, um diese auch erreichen zu können [15]. Möchte man Studierende in ihrer Selbstregulation unterstützen, ergeben sich verschiedene Ansatzpunkte. Unter anderem sind die Selbstwirksamkeitserwartung, die wahrgenommene Aufgabenschwierigkeit und das Interesse als Einflussgrößen für Motivation beschrieben, wobei erhöhte Motivation wiederum Selbstregulation erleichtert [15]. Darüber hinaus können beispielsweise Autonomie- und Kompetenzerleben zu einer Motivationssteigerung führen [4]. Günstig ist gemäß diesen Theorien, sowohl eine Über- als auch eine Unterforderung der Studierenden zu vermeiden und gleichzeitig die Selbstbestimmung zu stärken. In diesem Kontext setzt die Taxonomie möglicher Lernhilfen von Zech [32] an. Das Stufensystem beschreibt fünf verschiedene Arten von Hilfen – von einfachen Motivationshilfen bis hin zu inhaltlichen Hinweisen – die auch im Zusammenhang mit Übungsaufgaben angeboten werden können. Lernende sollen dann je nach Bedarf unterschiedlich starke Hilfen hinzuziehen können – bestenfalls obliegt die Entscheidung für eine bestimmte Stufe dabei ihnen selbst. Ein solches Angebot soll einerseits das Autonomieerleben, andererseits auch das Kompetenzerleben fördern, da Hilfen dazu beitragen können, Über- und Unterforderung zu vermeiden. Entsprechend wird erwartet, dass Studierende Aufgaben unter Nutzung der selbstgewählten Hilfen eher selbstständig lösen und nicht aus externen Quellen abschreiben.

Neben den Lerngelegenheiten ist ein weiterer zentraler Faktor im Kontext der Lehrqualität die Lehrperson selbst, da diese das Lernangebot bereitstellt. Ebenso wie das Lernangebot der Hochschule wurden bisher jedoch auch das Wissen und die Einstellungen von Dozierenden zu Aufgaben kaum erforscht. Dozierende bestimmen durch die Aufgaben jedoch wesentlich die Studienanforderungen sowie deren Lerngehalt und nehmen eine zentrale Rolle bei der Implementation von Lehrveränderungen ein. Somit kann eine Beschreibung des Lernangebots nur sinnvoll unter Beachtung der Ziele erfolgen, welche Dozierende mit ihren Übungsaufgaben verfolgen. In der vorliegenden Studie soll infolgedessen an entsprechender Stelle auch die Sicht der Dozierenden miteinbezogen werden.

2.3 Bisherige Aufgabenklassifikationen

Wie bereits diskutiert, sind Übungsaufgaben im individuellen Lernprozess wichtig. Da sie im Hochschulkontext jedoch bisher wenig untersucht wurden, mangelt es derzeit an empirischen Ergebnissen über die konkrete Beschaffenheit von Aufgaben und somit auch an Erkenntnissen darüber, welche Anregungen Studierende zum Lernen von Mathematik erhalten. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, zunächst die Ausgangslage im Hinblick auf derzeit verwendete Übungsaufgaben zu beschreiben. Im Gegensatz zur Hochschule wurden derartige Analysen bereits anhand großer Stichproben im schulischen Rahmen durchgeführt, sodass auf die Methoden zurückgegriffen werden kann, die sich in diesem Kontext bewährt haben. Ein häufig verwendetes Vorgehen ist dabei die Klassifikation von Aufgaben mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse. Klassifikationen bieten zum einen die Möglichkeit, bekannte Strukturen präzise zu beschreiben, zum anderen können neue Merkmale offengelegt werden. Es kann somit an bestehende Forschung angeknüpft und diese gleichzeitig um neue Erkenntnisse ergänzt werden. Im Folgenden sollen daher bisherige Aufgabenklassifikationen erläutert und auf ihre Anschlussfähigkeit für die Klassifikation hochschulmathematischer Übungsaufgaben untersucht werden. Dies ergibt am Ende ein anschlussfähiges Kategorienschema für die in diesem Beitrag berichtete Studie zur Analyse hochschulmathematischer Aufgaben (s. Tab. 1).

Tab. 1 Entwickeltes Kategoriensystem zur Analyse der Übungsaufgaben. Kursiv gedruckte Angaben entstammen nicht aus bereits bestehenden Kategoriensystemen, sondern wurden theoriegeleitet für die vorliegende Studie ausdifferenziert (Kategorien B, C, G) bzw. induktiv aus dem vorliegenden Datenmaterial entwickelt (Kategorie I)

In der TIMSS-Video-Studie wurden in der achten Jahrgangsstufe Aufgaben mit dem Ziel der Untersuchung des kognitiven Aktivierungspotenzials analysiert. Kategorisiert wurden die Aufgaben dabei hinsichtlich der acht Kategorien (1) Stoffgebiet der Aufgabe, (2) in der Aufgabe vorhandene Anforderungen, (3) Art des Kontextes, (4) strukturelle Tiefe der Aufgaben, (5) Grad der Ausführung, (6) Art der Aufgabenrepräsentation, (7) Quelle der Aufgabe und (8) Einbringen der Aufgabe. Insbesondere die Kategorien (2) und (4) eignen sich hierbei zur Beschreibung von Übungsaufgaben hinsichtlich der ihnen innewohnenden Anforderungen und sind damit für Hochschulaufgaben und deren Anforderungsanalyse nutzbar.

Auch in der COACTIV-Studie wurden Übungs‑, Klassenarbeits- und Hausaufgaben der Jahrgangsstufen 9 und 10 hinsichtlich ihres Potenzials zur kognitiven Aktivierung untersucht [12]. Beurteilt wurden die Aufgaben dabei in vier Dimensionen: (1) Mathematische Stoffgebiete als inhaltlicher Rahmen, (2) Typen mathematischen Arbeitens als kognitiver Rahmen, (3) kognitive Elemente des Modellierungskreislaufs sowie (4) Lösungsraum. Während die Dimensionen (1), (3) und (4) eher technischer Natur bzw. für die Hochschulmathematik weniger wichtig sind, kann die zweite Dimension für die Anforderungsbeschreibung von Hochschulaufgaben dienlich sein. So konnten bereits Rach et al. [21] die Typen mathematischen Arbeitens gemäß (2) für den Hochschulkontext anpassen und erproben. Es ergaben sich dabei als relevante Arbeitstypen (i) das schematische Rechnen, (ii) das außermathematische Anwenden und (iii) das Beweisen [21].

Bei der Analyse hochschulmathematischer Übungsaufgaben kann somit zu großen Teilen auf bestehende Kategoriensysteme zurückgegriffen werden, wobei teilweise eine theoriebasierte Anpassung der Kategorien auf den Hochschulrahmen vorgenommen werden muss. Ein Beispiel hierfür ist die Differenzierung zwischen anzuwendenden mathematischen Definitionen und Sätzen. Beiden Elementen kommt in der Schulmathematik eine deutlich geringere Rolle als in der Hochschulmathematik zu, was sich darin niederschlägt, dass in den Schulstudien lediglich kodiert wird, ob Faktenwissen anzuwenden ist, nicht jedoch, ob es sich dabei um Sätze, Definitionen oder etwas anderes handelt [13]. Für eine Klassifikation von Hochschulaufgaben erscheint es hingegen sinnvoll, Sätze und Definitionen jeweils in eigenen Kategorien zu berücksichtigen, da die Art und Anzahl anzuwendender Wissenselemente als Maß für die inhaltliche Komplexität einer Aufgabe dienen kann. Neben solchen theoriegeleiteten Anpassungen einiger Kategorien wurden weitere Kategorien, beispielsweise die Kategorie „Interpretation/Einordnung des Ergebnisses“, nicht aus bestehenden Systemen übernommen, sondern induktiv aus dem Datenmaterial entwickelt. Die genauen Anpassungen, die während der Aufgabenanalyse notwendig waren, werden in Abschn. 3 und 4.1 noch einmal näher erläutert. Eine Übersicht über das gesamte Kategoriensystem sowie die Quellen der einzelnen Kategorien ist in Tab. 1 dargestellt.

3 Forschungsfragen und Methodik

Wenn die Merkmale und Anforderungen des Lehrangebots im Erkenntnisinteresse stehen, so ergibt sich die Frage, wie mathematische Übungsaufgaben an Hochschulen beschaffen sind. Als zentrale Lerngelegenheiten sind sie in besonderem Maße am individuellen Lernprozess der Studierenden beteiligt. Entsprechend können mathematische Aufgaben Ansatzpunkt für Weiterentwicklungen der Lehre sein. Hierfür muss jedoch bekannt sein, welche Gestaltungsmerkmale typische Aufgaben an Hochschulen aufweisen. Mit dem Ziel, Anforderungen in mathematischen Studiengängen zu beschreiben, ergeben sich damit die folgenden leitenden Forschungsfragen:

  1. 1.

    Welche Klassen von Übungsaufgaben lassen sich basierend auf den Gestaltungsmerkmalen identifizieren?

  2. 2.

    Welche Lernziele verfolgen Dozierende mit ihren Aufgaben? Inwiefern spiegeln sich diese in den Aufgaben wider?

Als Datenquelle zur Beantwortung der Forschungsfragen wurden Übungsaufgaben aus vier Lehrveranstaltungen an der Universität Kiel aus dem Wintersemester 2017/18 sowie dem Sommersemester 2018 verwendet. Die Auswahl der Stichprobe erfolge hinsichtlich mehrerer Kriterien: (1) Abbildung verschiedener Studiengänge (1-Fach, 2‑Fächer/Lehramt, Servicefach), da sich fachliche Lernziele und motivationale Anforderungen unterscheiden, (2) Abbildung verschiedener Studienzeitpunkte (1. Studienjahr, höheres Studienjahr), um Aufgaben für unterschiedliche Vorerfahrungen der Studierenden miteinzubeziehen, (3) Abbildung von Basisinhalten sowie vertiefenden Inhalten und (4) Fokussierung auf die inhaltlichen Teilgebiete Analysis und Algebra, um eine Vergleichbarkeit der Aufgaben gewährleisten zu können. Insgesamt ergab sich eine Stichprobe von N= 277 Aufgaben. Eine Aufteilung der Aufgaben nach Vorlesung kann Tab. 2 entnommen werden. Klassifiziert wurden die Übungsaufgaben regelgeleitet mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse (formale Strukturierung, [16]). Dabei wird das Material zuerst mit Hilfe eines Kategoriensystems, welches sich aus dem derzeitigen Forschungsstand ableitet, analysiert und im Anschluss in einem zweiten Schritt auf der Basis der Analyse regelgeleitet klassifiziert. Das hier verwendete Kategoriensystem umfasst neun Kategorien und ergibt sich wie in Abschn. 2.3 und Tab. 1 dargestellt aus den bestehenden Systemen [13, 17, 21]. Wurden an den analysierten Aufgaben Merkmale festgestellt, die sich mithilfe der bestehenden Kategorien nicht erfassen ließen, so wurde eine neue Kategorie eröffnet und das System um diese ergänzt. Dies war bei Kategorie I – Interpretation/Einordnung des Ergebnisses der Fall.

Tab. 2 Stichprobenzusammensetzung der betrachteten Lehrveranstaltungen

Für Forschungsfrage 2 sollen neben den Aufgabenmerkmalen die Lernziele, welche Dozierende mit ihren Aufgaben verfolgen, beschrieben werden. Zur Ermittlung dieser bietet sich die Durchführung von Interviews mit den vier Dozierenden der analysierten Lehrveranstaltungen an. Damit die Vergleichbarkeit der Gespräche gewährleistet werden kann, wurden diese durch einen Leitfaden vorstrukturiert, sodass alle Dozierenden die gleichen Fragen erhielten, welche jedoch die notwendige Offenheit für individuelle Sichtweisen aufwiesen. Die Frage nach den Lernzielen („Was können und sollen Studierende an Ihren Übungsaufgaben lernen?“) war Teil eines umfangreicheren Gespräches über Möglichkeiten der Aufgabengestaltung. Die Gespräche wurden aufgezeichnet (nur Ton) und transkribiert. Die Auswertung erfolgte anschließend mithilfe der qualitativen Inhaltsanalyse [15], wobei das Kategoriensystem induktiv aus dem Datenmaterial entwickelt wurde.

4 Ergebnisse

4.1 Kategoriensystem zur Aufgabenklassifikation

Wie oben erläutert, wurde zur Beschreibung der Anforderungen von Übungsaufgaben ein System aus insgesamt neun Kategorien verwendet. Die einzelnen Kategorien sollen im Folgenden genauer vorgestellt werden.

Die erste Kategorie A-Typen mathematischen Arbeitens basiert auf Rach et al. [21] und hat sich bereits für den Einsatz im Hochschulkontext bewährt. Die Kategorien B – Mathematische Sätze und C – Definitionen sind demgegenüber erst in dieser Studie ausdifferenziert worden. In diesen beiden Kategorien wird kodiert, welche Art bzw. wie viele mathematische Resultate und Begriffe zum Lösen der Aufgabe herangezogen werden müssen. Sie stellen damit ein Maß für die inhaltliche Komplexität der Aufgabe und das benötigte Vorwissen dar. Hervorzuheben ist, dass in der Kategorie C nicht zusammengefasst ist, wie viele mathematische Begriffe zum Lösen einer Aufgabe gekannt werden müssen, sondern die Anzahl der Definitionen, die genannt und/oder angewendet werden müssen. So sollte beispielsweise zur Bearbeitung der Aufgabe aus Abb. 1 der Begriff der Ähnlichkeit von Matrizen bekannt sein. Die genaue Definition muss jedoch nicht genannt werden, wenn stattdessen der Satz benutzt wird, dass zwei Matrizen genau dann ähnlich sind, wenn ihre Jordan-Normalform bis auf Reihenfolge der Blöcke übereinstimmt. Die Aufgabe wird somit mit C0 kodiert.

Abb. 1
figure 1

Beispiel einer Aufgabe zum Themenbereich Jordan-Normalform der Vorlesung Lineare Algebra, die ohne die explizite Nennung der Ähnlichkeitsdefinition gelöst werden kann

Die Kategorien D – Lösungsidee, E – Angaben zum geforderten Lösungsweg und F – Bearbeitungsumfang entstammen aus den Klassifikationssystemen von TIMSS und COACTIV und sind eher technischer Natur, da sie äußere Komplexitätsmerkmale von Aufgaben erfassen.

Die Kategorie G – notwendiger Grad an Exploration ergibt sich aus dem Expertenmodell von Boero [3] und markiert, ob eine Beweisaufgabe die Phase der Exploration miteinbezieht oder erst in der vierten Phase des Beweisprozesses (Auswahl und Anordnung von Argumenten) ansetzt. Aufgaben, die keine Exploration zur Herleitung einer Behauptung erfordern, sind beispielsweise solche, in denen eine vorgegebene Behauptung bewiesen werden soll. Gilt es hingegen, sich zwischen zwei Aussagen zu entscheiden oder eine Behauptung zu verifizieren oder falsifizieren, sprechen wir von einem mittleren Grad an Exploration. Ist die Behauptung gänzlich unbekannt, wie dies beispielsweise in Teil (a) der Aufgabe aus Abb. 2 der Fall ist, wird der notwendige Explorationsgrad als umfangreich kodiert.

Abb. 2
figure 2

Beispiel einer Aufgabe aus der Vorlesung Codierungstheorie, in welcher die Phase der Exploration sichtbar vom Beweis der Behauptung abgetrennt ist

Angelehnt an die Taxonomie möglicher Lernhilfen nach Zech [32] wurde in der Kategorie H – Hilfen festgehalten, ob Bearbeitungshinweise vorhanden sind und wie diese gegebenenfalls geartet sind. Mögliche Hilfen können vom Hinweis, eine Skizze anzufertigen (allgemein-strategisch), über die Angabe, an welchen bekannten Beweisen man sich orientieren kann (inhaltsorientiert strategisch) bis hin zu konkreten Angaben, welche Sätze zu verwenden sind (inhaltlich) reichen. Ein höherer Code entspricht dabei einer stärkeren Hilfe. Der „Tipp“ in der Aufgabe aus Abb. 2 stellt beispielsweise eine inhaltsorientiert strategische Hilfe dar, da durch ihn nahegelegt wird, die Körperelemente auf ein primitives Element β zurückzuführen, konkrete Beweisschritte jedoch nicht verraten werden.

Zuletzt wird in der Kategorie I – Interpretation/Einordnung des Ergebnisses festgehalten, ob nach der eigentlichen Bearbeitung der Aufgabe noch einmal Bezug zum Ergebnis genommen wird. Beispielsweise kann die Notwendigkeit der gegebenen Voraussetzungen diskutiert, das Ergebnis unter einem bestimmten Gesichtspunkt interpretiert oder in Bezug zu Erkenntnissen der Vorlesung gesetzt werden. Diese Kategorie wurde dabei nicht aus bestehenden Kategoriensystemen entnommen, sondern neu entwickelt.

4.2 Ermittelte Aufgabenklassen

Die 277 Übungsaufgaben wurden analysiert, ihre Merkmale mit Hilfe des vorgestellten Kategoriensystems kodiert und anschließend klassifiziert. Da die Vorlesung „Mathematik für Ingenieure II“ sich als einzige Vorlesung nicht an Mathematikstudierende richtet, wurde für die Häufigkeitsanalyse auch eine Auswertung ohne die Aufgaben dieser Vorlesung vorgenommen. So konnte überprüft werden, ob die Aufgaben sich wesentlich von denen der reinen Mathematikvorlesungen unterscheiden. Dies ist ausschließlich in Kategorie A – Typ mathematischen Arbeitens der FallFootnote 1, in allen anderen Kategorien ähneln sich die relativen Häufigkeiten stark. Es kann somit davon ausgegangen werden, dass die Aufgaben in der Ingenieursvorlesung abgesehen von einer stärkeren (innermathematischen) Anwendungsorientierung ähnliche Gestaltungsmerkmale wie die Aufgaben der übrigen Mathematikvorlesungen aufweisen.

Bei einer ersten quantitativen Analyse kann zunächst festgestellt werden, dass fünf der neun Kategorien – die Kategorien D, E, G, H und I – wenig Variation aufweisen (s. Tab. 3). Die Kategorie F – Bearbeitungsumfang gibt ferner wenig Aufschluss über die inhaltliche Komplexität einer Aufgabe, sodass sich eine Klassifikation der Aufgaben in erster Linie hinsichtlich der Kategorien A, B und C anbietet. Da festgestellt werden konnte, dass die Aufgaben der Ingenieursvorlesung sich in der Kategorie A wesentlich von den übrigen Aufgaben unterscheiden, wird die Klassifikation im Folgenden zunächst ohne die Ingenieursaufgaben vorgenommen. Alle Prozentangaben beziehen sich somit auf die Teilstichprobe der drei reinen Mathematikvorlesungen (NT = 193).

Tab. 3 Übersicht über die relativen Häufigkeiten der Ausprägungen in allen Kategorien (Gesamtstichprobe N = 277)

Hinsichtlich der Kategorie A – Typ mathematischen Arbeitens ist zu bemerken, dass in der untersuchten Stichprobe keine Aufgaben zum außermathematischen Anwenden (Code A2) vorzufinden sind. Die schematischen innermathematischen Anwendungsaufgaben (Code A1) machen demgegenüber einen Anteil von 29 % aus, während die übrigen 71 % dem Beweisen (Code A3) zuzuordnen sind. Eine weitere Klassifikation wird infolgedessen auf Grundlage dieser zwei Aufgabengruppen vorgenommen. Die einzelnen Schritte der Aufteilung können Abb. 3 entnommen werden.

Abb. 3
figure 3

Übersicht über die Klassifikation der Aufgaben nach den Kategorien A, B und C (Teilstichprobe NT = 193)

Aufgaben, die nach Kategorie B ausschließlich oder vorrangig die Anwendung von Rechenvorschriften erfordern, finden sich zu etwa gleichen Teilen in den schematischen Anwendungsaufgaben (Code A1-B1/2, 27 %) und in den Beweisaufgaben (Code A3-B1/2, 24 %). Erstere Gruppe stellen klassische Rechenaufgaben dar, Aufgaben der zweiten Gruppe seien im Folgenden als Beweise mittels Rechnung bezeichnet. Aufgaben, die die Anwendung mindestens eines Satzes erfordern, sind ausnahmslos den Beweisaufgaben zuzuordnen (Code A3-B3/4, 37 %) und können als Beweise mittels Sätzen zusammengefasst werden. Zieht man auch die Kategorie C – Definitionen zur Klassifizierung hinzu, lässt sich feststellen, dass sich die Klasse der Beweise mittels Sätzen in die Unterklassen ohne Definitionen (Code A3-B3/4-C0, 21 %) und mit Definitionen (Code A3-B3/4-C1/2, 16 %) aufteilen lässt. Darüber hinaus finden sich auch Beweisaufgaben, die ausschließlich die Anwendung von Definitionen ohne Hinzuziehen von Sätzen oder Rechenvorschriften fordern (Code A3-B0-C1/2). Die Aufgaben bilden einen Anteil von 10 % und können als Beweise mittels Definitionen bezeichnet werden. Ein Beispiel für eine derartige Aufgabe findet sich in Abb. 4. Übrig bleibt ein sehr geringer Anteil von Aufgaben, die weder die Anwendung von Sätzen noch von Definitionen erfordern (Code A1-B0-C0, 2 %). Hierbei handelt es sich um nachgestellte sehr kurze Aufgaben. Beispielsweise ist lediglich eine Skizze von Mengen, die zuvor in einer Aufgabe bestimmt wurden, anzufertigen oder eine Berechnung mithilfe des Computers auszuführen. Aufgrund der geringen Größe dieser Aufgabenklasse wird diese bei der weiteren Diskussion der Ergebnisse vernachlässigt.

Abb. 4
figure 4

Beispiel einer Aufgabe der Klasse Beweis mittels Definitionen. Die Aufgabe entstammt der Vorlesung Mathematik für Ingenieure und erfordert das Nachrechnen einer Definition

In Abb. 5 ist eine Übersicht der ermittelten Aufgabenklassen dargestellt. Zu bemerken ist, dass sowohl die Rechenaufgaben als auch die Beweise mittels Rechnung Aufgaben sind, die keine argumentativen Kompetenzen erfordern sondern ausschließlich das Anwenden von Rechenverfahren. Sie können somit zu den rechnerischen Aufgaben zusammengefasst werden, welche einen Anteil von 51 % ausmachen. Der anfängliche Eindruck, dass ein Großteil der Aufgaben argumentative Anforderungen darstellt, wird somit an dieser Stelle relativiert, da die Hälfte aller Aufgaben fast ausschließlich durch das Anwenden von Schemata lösbar ist.

Abb. 5
figure 5

Bei einer Klassifikation nach den Kategorien A, B und C ergeben sich fünf Aufgabentypen, wobei die Klasse der „Skizzen o. Ä.“ aufgrund ihrer geringen Größe zu vernachlässigen ist (Teilstichprobe NT = 193). (Mit der Vorlesung Mathematik für Ingenieure ergibt sich für die Gesamtstichprobe (N = 277) folgende Verteilung: 41 % Rechenaufgaben, 19 % Beweise mittels Rechnung, also insgesamt 60 % rechnerische Aufgaben. Darüber hinaus bilden 8 % der Aufgaben Beweise mittels Definitionen, 30 % Beweise mittels Sätzen (15 % mit Definitionen und 15 % ohne Definitionen) und 2 % „Skizzen o.Ä.“. Im Wesentlichen ist unter Einbezug der Ingenieursaufgaben also die Klasse der Beweise mittels Rechnung zugunsten der Rechenaufgaben verkleinert)

4.3 Von Dozierenden angegebene Lernziele

Ergänzend zur Analyse der Übungsaufgaben wurde den vier verantwortlichen Dozierenden in einem Interview die Frage gestellt, was Studierende an ihren Aufgaben lernen können und sollen. Von allen Befragten wurde dabei angeführt, dass Lernziele (1) das Kennen und Anwenden-Können von Werkzeugen und Verfahren, (2) das Argumentieren und Beweisen sowie (3) das Kennen, Anwenden-Können und Verstehen mathematischer Begriffe seien. Darüber hinaus wurde einstimmig (4) das Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen angeführt, welches auch als übergeordnete Fähigkeit „logisch zu denken“ bezeichnet wurde.

Neben diesen Lernzielen, die in allen Interviews genannt wurden, ergab sich ein weites Spektrum an Zielen, welche teils nur vereinzelt angeführt wurden, die jedoch die Breite der Ziele universitärer Lehre abbilden und im Folgenden skizziert werden. Zum einen wurde im Kontext der Werkzeuge und Verfahren angeführt, dass Studierende diese passend auswählen, deren Nützlichkeit kennen und Vertrauen in diese fassen sollen. Darüber hinaus sollten Studierende lernen, sich Werkzeuge selbstständig anzueignen. Zum anderen wurden als intendierte Ziele im Kontext des „logischen Denkens“ angeführt, dass Studierende Problemlösestrategien kennen und anwenden können, sowie „knobeln“ und analysieren können sollen. Als weiteres Lernziel wurde das Kennen und Anwenden-Können von exakter Sprache und Schreibweisen genannt sowie das Kennen der Grundideen der jeweiligen Vorlesung. Zuletzt wurde vermerkt, dass Studierende die Möglichkeit erhalten sollten, Mathematik als Wissenschaft kennenzulernen.

Festzustellen ist, dass die von den hier befragten Dozierenden angegebenen Ziele im Wesentlichen mit den Zielen, die auch von anderen Universitäten [7, 29] kommuniziert werden, übereinstimmen. Insbesondere über die übergeordnete Analysefähigkeit, die hier als Fähigkeit „logisch zu denken“ formuliert wurde, scheint ein wesentlicher Konsens zu bestehen. Ein weiterführender Abgleich der angegebenen Lernziele mit den in Abschn. 2.1 diskutierten, in der Fachliteratur angeführten Lernzielen der Hochschulmathematik – Beweisen, Begriffserwerb, Methodenwissen und Wissen über Strategien – liefert folgende Ergebnisse: Es lässt sich feststellen, dass das Beweisen von den Dozierenden der Studie explizit genannt wurde, ebenso wie das Kennen, Anwenden-Können und Verstehen mathematischer Begriffe. Die in der Theorie genannten Lernziele des Beweisens und des Begriffserwerbs decken sich folglich mit den von den Dozierenden angeführten Lernzielen. Gleiches gilt für das Methodenwissen und das Wissen über Strategien. Ersteres wird durch die Lernziele im Bereich des Kennens und Anwenden-Könnens von Werkzeugen und Verfahren, der exakten Sprache und Schreibweisen sowie dem Kennenlernen von Mathematik als Wissenschaft angesprochen. Letzteres findet sich ebenfalls in den Lernzielen, die Werkzeuge und Verfahren betreffen, sowie im Ziel des Kennens und Anwenden-Könnens von Problemlösestrategien. Es kann somit festgehalten werden, dass die in dieser Studie ermittelten Lernziele mit den beispielsweise von der DMV öffentlich kommunizierten und den in der Fachliteratur formulierten Zielen übereinstimmen.

5 Interpretation und Diskussion

Die vorgestellte Studie wurde vor dem Hintergrund der Frage nach der Beschaffenheit des universitären Lehrangebots durchgeführt mit dem Ziel einer systematischen und empirisch fundierten Beschreibung der Gestaltungsmerkmale mathematischer Übungsaufgaben. Darüber hinaus sollten die Ziele, die Dozierende mit ihren Übungsaufgaben verfolgen, ermittelt werden. Die Ergebnisse werden im Folgenden interpretiert und diskutiert, bevor Aufgabenmerkmale und Lernziele miteinander verglichen werden.

Hinsichtlich der Aufgabenanalyse konnten insgesamt vier Typen identifiziert werden: (1) Rechenaufgaben, (2) Beweise mittels Rechnung, (3) Beweise mittels Definitionen und (4) Beweise mittels Sätzen, wobei die ersten beiden Klassen sich zur Gruppe der rechnerischen Aufgaben zusammenfassen lassen, welche insgesamt die Hälfte aller Aufgaben umfasst. Entgegen des anfänglichen Eindrucks, ein Großteil mathematischer Übungsaufgaben erfordere argumentative Kompetenzen, liegen in dieser Stichprobe überraschend viele Aufgaben vor, welche sich fast ausschließlich durch die Anwendung von Rechenvorschriften lösen lassen. Man kann also eher von rechnerischen und beweisenden Anforderungen in ausgewogenen Anteilen sprechen.

Trotz der Variation der Lehrveranstaltungen ergibt sich zusammenfassend ein recht homogenes Bild der Aufgabenanforderungen. Gestaltungsmerkmale wie die Anforderung zum Generieren einer Behauptung, die Vorgabe eines speziellen Lösungsweges oder die Aufforderung zur Diskussion des Ergebnisses treten zwar auf, aber nur sehr vereinzelt. Gerade diese Merkmale der Kategorien D – I des verwendeten Klassifikationssystems, die wenig Variation aufweisen, können als Ansatzpunkte für eine vielfältigere Gestaltung von Übungsaufgaben angesehen werden. Sie erlauben beispielsweise, das Angebot an Lerngelegenheiten um zentrale mathematische Aspekte wie das Explorieren mathematischer Zusammenhänge oder die Reflexion und Einordnung genutzter Lösungs- oder Beweisstrategien zu erweitern [24].

Dem eher homogenen Bild der vorgefundenen Aufgabenmerkmale steht ein breites Spektrum von Lernzielen mathematischer Übungsaufgaben gegenüber, welche von den verantwortlichen Dozierenden angeführt wurden. Einstimmigkeit hinsichtlich der Ziele gab es in den Punkten (1) Kennen und Anwenden-Können von Werkzeugen und Verfahren, (2) Argumentieren und Beweisen, (3) Kennen, Anwenden-Können und Verstehen mathematischer Begriffe sowie (4) Erkennen und Verstehen von Zusammenhängen. Da diese vier Bereiche von allen Befragten angeführt wurden, kann davon ausgegangen werden, dass sie als zentral anzusehen sind und über sie ein wesentlicher Konsens besteht.

Ein Abgleich der angeführten Lernziele mit den Merkmalen der analysierten Aufgabenstichprobe liefert folgende Ergebnisse:

  1. 1.

    Das Kennen und Anwenden-Können mathematischer Werkzeuge und Verfahren korrespondiert mit dem großen Anteil rechnerischer Aufgaben. Lerngelegenheiten für die Schulung entsprechender Fähigkeiten scheinen somit in ausreichendem Maße vorhanden zu sein.

  2. 2.

    Weniger eindeutig erscheint die Lage hingegen beim Lernen von Begriffen. Diese sollen gekannt, angewendet und verstanden werden, wobei unklar ist, was ein solches Verständnis genau umfasst. Anzunehmen wäre, dass das Vorliegen eines adäquaten concept image sowie einer hochschulmathematisch korrekten concept definition gemeint ist. Immerhin 40 % aller Aufgaben fordern die Anwendung von Definitionen, Kern der Aufgabe bildet sie allerdings nur in den Beweisen mittels Definition, welche lediglich ein Zehntel aller Aufgaben darstellen. Das Potenzial von Übungsaufgaben, den Begriffserwerb gezielt zu unterstützen, scheint somit noch gestärkt werden zu können.

  3. 3.

    Das Argumentieren und Beweisen bildet neben den rechnerischen Aufgaben einen Schwerpunkt in der untersuchten Stichprobe. Das von den Dozierenden angegebene Lernziel wird somit in einem Großteil der Übungsaufgaben adressiert. Auffällig ist hierbei, dass das Beweisen weder in den Interviews noch in den Übungsaufgaben in Teilkomponenten zerlegt wurde. Vor dem Hintergrund, dass das Beweisen den Studierenden gerade im ersten Studienjahr oft komplex erscheint und schwerfällt, kann es lohnenswert erscheinen, zu Studienbeginn auch Aufgaben zur Verfügung zu stellen, die explizit einzelne Teilkomponenten des Beweisens fokussieren. Denkbar wären hier beispielsweise „Lückenbeweise“, die stellenweise durch eigene Argumente vervollständigt werden müssen, oder Aufgaben, in welchen gegebene Argumentationen auf Korrektheit zu prüfen sind.

  4. 4.

    Das Ziel des Herstellens von Zusammenhängen könnte insbesondere durch Übungsaufgaben, die Phasen der Exploration und der Ergebnisinterpretation enthalten, unterstützt werden. Wenn in einer Aufgabe beispielsweise die Behauptung gänzlich fehlt oder eine Aussage verifiziert oder falsifiziert werden muss, kann dies Studierenden dazu anregen, sich kritisch mit dem Aufgabeninhalt auseinanderzusetzen und sich diesem aus unterschiedlichen Richtungen zu nähern. Aufgaben mit Explorationsanteil offenbaren zudem ein realistischeres Bild der Wissenschaft Mathematik als Aufgaben, in denen der zu beweisende Zustand bereits bekannt ist. Entsprechende Aufgaben waren in dem untersuchten Korpus jedoch rar. Auch an dieser Stelle scheint somit das Potenzial von Übungsaufgaben noch steigerungsfähig, beispielsweise wenn gezielt das Herstellen von Zusammenhängen gefordert wird.

6 Fazit und praktische Implikationen

Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die Übungsaufgaben zu den Mathematikveranstaltungen an der Universität Kiel hinsichtlich der Gestaltungsmerkmale und Lernziele klassifiziert werden konnten und somit ein Beitrag zur Beschreibung der aktuellen Anforderungen im Mathematikstudium geleistet wurde, was Ziel der durchgeführten Studie war. Festgestellt werden konnte, dass sich Beweisaufgaben hinsichtlich der benötigten Elemente (z. B. mathematische Sätze und Definitionen) einteilen lassen. Diese Klassifikation kann möglicherweise hilfreich bei der Eingrenzung von Studierendenproblemen sein. Zu erwarten ist beispielsweise, dass Beweise, welche die Anwendung mehrere Sätze und Definitionen erfordern, Studierenden mehr Probleme bereiten als Beweise, die durch die Anwendung und das Nachrechnen von nur einer Definition zu lösen sind. Entsprechende Hypothesen gilt es durch zukünftige Studien zu überprüfen, um so Aufschluss über mögliche Studienhürden und weitere Ansatzpunkte für Unterstützungsmaßnahmen zu erhalten. In dieser Studie konnten als Ansatzpunkte für Lehrveränderungen bereits aufgezeigt werden, dass der Bereich der Begriffsbildung sowie einzelne Teilkompetenzen des Beweisens bisher wenig adressiert werden.

Da die Untersuchung ausschließlich an der Universität Kiel durchgeführt wurde und sich dort auch nur auf vier Lehrveranstaltungen im Bereich der Algebra und Analysis erstreckte, können auf Basis der vorliegenden Ergebnisse noch keine verallgemeinernden Aussagen getroffen werden. Eine Replikation der Ergebnisse an weiteren Aufgaben und Standorten steht somit noch aus. Ferner ist zu erwarten, dass in anderen Teilgebieten der Mathematik Aufgabenmerkmale auftreten, welche in der hier untersuchten Stichprobe nicht vorkamen – beispielsweise Aufgaben zur Programmierung im Bereich der Numerik. Die Ermittlung solcher themenspezifischen Aufgabencharakteristika kann Gegenstand weiterführender Untersuchungen sein.

Weitere Einschränkungen der Studie ergeben sich daraus, dass mit einer Analyse der Übungsaufgaben zunächst lediglich Merkmale des Lernangebots untersucht wurden, welche zwar Hinweise auf die Qualität der Lehre geben können, jedoch für eine abschließende Beurteilung nicht hinreichend sind. Als weiterer Untersuchungsgegenstand böte sich in diesem Kontext beispielsweise der Umgang mit Aufgaben in den vorlesungsbegleitenden Übungen an. Zudem wurde in der vorliegenden Studie nicht untersucht, inwiefern einzelne Aufgaben miteinander verbunden sind und beispielsweise leichtere Aufgaben auf schwierigere hinarbeiten. Querverbindungen dieser Art gehören sicherlich auch zu Qualitätsmerkmalen des universitären Lehrangebots, konnten im Rahmen dieser Studie jedoch noch nicht berücksichtigt werden.

Als offene Frage bleibt bestehen, wie die Verteilung der verschiedenen Typen von Übungsaufgaben zu bewerten ist, d. h. ob es beispielsweise weniger Aufgaben komplexeren Typs bedarf, während für das Einüben von Verfahren verhältnismäßig viele Aufgaben zur Verfügung gestellt werden sollten. Analog bleibt ungeklärt, ob es eine unterschiedliche Gewichtung der angegebenen Lernziele und eine damit verbundene Hervorhebung eines bestimmten Aufgabentyps geben sollte. Die vorliegende Studie liefert an dieser Stelle erste Hinweise auf vorliegende Praktiken und kann als Ausgangspunkt für den weiteren Diskurs dienen.

Festgehalten werden kann an dieser Stelle, dass in der Studie teils Differenzen zwischen vielfältigen Zielen, die von den Dozierenden angegeben wurden, und tatsächlichen Anforderungen der Aufgaben festgestellt wurden. In den vorliegenden Aufgaben zeigt sich jedoch auch, dass für jedes angeführte Lernziel passende Übungsaufgaben erstellt werden können und vereinzelt auch schon genutzt werden. Entsprechende Tendenzen gilt es, weiter zu stärken und auszubauen. Konkret ergeben sich aus dieser Studie die folgenden Ansatzpunkte zur Gestaltung von Übungsaufgaben:

  • Unterstützung eines gezielten Begriffsaufbaus: z. B. mehr Aufgaben, die Definitionen in den Mittelpunkt stellen; Aufbau eines adäquaten concept image durch Verknüpfung mit Anschauung; bei einführenden Vorlesungen Nutzung von Aufgaben mit kritischem Vergleich von Schul- und Hochschuldefinitionen oder Diskussion, ob ein schulisches concept image im Hochschulkontext weiter tragfähig ist

  • Schulung einzelner Teilkomponenten des Beweisens (v. a. in der Studieneingangsphase): z. B. durch den Einsatz von Lückenbeweisen, Beweispuzzles, Validierung eines vorgegebenen Beweises

  • Prägung eines realistischen Bilds der Wissenschaft Mathematik: z. B. Phasen der Exploration als Anforderung integrieren; Eigenschaften/Aussagen/Begriffe entdecken lassen

  • Gezieltes Herstellen von Zusammenhängen: z. B. Ergebnisse interpretieren oder in den Vorlesungskontext einordnen lassen; Explorationsaufgaben; ggf. Bezug zur Schulmathematik, um an Vorwissen anzuknüpfen (v. a. in der Studieneingangsphase)

  • Unterstützung selbstregulativer Prozesse: z. B. (gestufte) Bearbeitungshinweise, die nach Bedarf genutzt werden können (getrennt von der Aufgabe dargeboten, z. B. mittels QR-Code)

  • Gezielte Schulung verschiedener Strategien und Verfahren: z. B. Forderung mehrerer verschiedener Lösungswege, ggf. Vergleich dieser

Abschließend ergibt sich aus der vorliegenden Studie als übergeordnete Maßnahme zur Weiterentwicklung universitärer Lehre, Lehrende dafür zu sensibilisieren, dass Ziele und Anforderungen von Aufgaben besser aufeinander abgestimmt werden sollten, also eine Orientierung am Ansatz des constructive alignment [2].

In Bezug auf die in dieser Studie ermittelten Lernziele hochschulmathematischer Lehre lässt sich anmerken, dass Bauer [1] für die Analysis bereits eine recht umfangreiche Sammlung von Aufgaben veröffentlicht hat, welche insbesondere zur Stärkung des Begriffsaufbaus und zum Herstellen von Zusammenhängen dienen können. Der Autor zeigt dabei explizit Verbindungen zwischen Schul- und Hochschulmathematik auf, sodass die Aufgaben dazu geeignet sind, das Vorwissen von Studierenden zu aktivieren und an dieses anzuknüpfen. Entsprechende Aufgabenbeispiele finden sich in Abb. 6 und 7. Während die Aufgabe in Abb. 6 ein (rares) Beispiel für eine Übungsaufgabe mit Explorationsphasen und zusätzlich einer Verknüpfung zur Anschauung ist, liegt die Stärke der Aufgabe in Abb. 7 in der expliziten Anleitung zur Verknüpfung verschiedener Herangehensweisen, so dass die Studierenden zur zielgerichteten Reflexion angeleitet werden. Aufgaben mit solch hohem kognitiven Aktivierungspotential sind jedoch – zumindest in unserem Aufgabenkorpus – selten. Die Erstellung von Aufgabenkatalogen, die die vielfältigen Ziele des Mathematikstudiums für weitere Teilgebiete der Mathematik besser abbilden, ist unbedingt wünschenswert. Ansatzpunkte für Veränderungen in der Aufgabenkultur ergeben sich direkt aus den in dieser Studie sichtbar gewordenen Aufgabenmerkmalen.

Abb. 6
figure 6

Aufgabenbeispiel nach Bauer ([1, S. 13]; Adaption durch die Autorinnen, Originalaufgabe enthält weitere Teilaufgaben), welches Phasen der Exploration und eine Verknüpfung mit der Anschauung enthält sowie an Kenntnisse aus der Schulmathematik anknüpft

Abb. 7
figure 7

Aufgabe nach Bauer ([1, S. 39 f.]; Adaption durch die Autorinnen, Originalaufgabe enthält weitere Teilaufgaben), in welcher verschiedene Zugänge miteinander zu vergleichen sind. Dabei können Zusammenhänge zum benötigten Vorwissen und sich anschließenden Beweisen hergestellt werden. Aufgabenteil (b) expliziert Unterschiede zwischen der Wissenschaft Mathematik (wie sie an der Hochschule betrieben wird) und der Schulmathematik hinsichtlich der Argumentationstiefe und -art