Neuropathische Schmerzen sind häufig und schwer zu behandeln. Als topische Therapien sind eine funktionelle Desensibilisierung des Transient-receptor-potential-vanilloid-1(TRPV1)-Rezeptors sowie eine passagere C-Faser-Defunktionalisierung durch Capsaicin 8 % und die Blockade der neuronalen Signaltransmission durch Lidocain 5 % möglich, jedoch oft nicht ausreichend. Weitere potente und nebenwirkungsarme Inhibitoren kutaner Nozizeptoren sind als topische Therapieoptionen wünschenswert.

Ambroxol ist seit 1979 für respiratorische Erkrankungen zugelassen und mittlerweile frei verkäuflich. Schon früh wurden lokalanästhetische Eigenschaften erkannt [23], weshalb ambroxolhaltige Lutschpastillen auch zur Behandlung von Halsschmerzen zugelassen sind [10]. Ein anderer Einsatz als Analgetikum erfolgte allerdings bisher nie, obwohl im Tiermodell schmerzbedingte Verhaltensweisen auch bei chronischem Schmerz unterdrückt werden [14, 16, 27, 32].

Ambroxol ist im Vergleich zu anderen Lokalanästhetika interessanterweise ein ausgesprochen potenter Blocker spannungsabhängiger Natriumkanäle (Nav). Es hemmt Natriumkanäle mit etwa 40-fach höherer Potenz als Lidocain [47]. Zudem ist die Blockade des Natriumkanalsubtyps Nav 1.8, der bevorzugt in nozizeptiven C-Faser-Neuronen exprimiert wird [2, 6, 35, 52], potenter als die anderer Kanalsubtypen. Da die Toxizität der Substanz vergleichsweise sehr gering ist [51, 53], erschien die Verwendung einer ambroxolhaltigen halbfesten, topischen Darreichungsform ein interessanter Ansatz zur Therapie ansonsten unzureichend zu behandelnder Schmerzzustände.

Wir berichten hier über eine klinisch relevante Analgesie durch topisches Ambroxol bei neuropathischem Schmerz.

Material und Methoden

Dargelegt werden exemplarisch kasuistische Krankheitsverläufe von 7 Patienten mit bislang therapieresistenten neuropathischen Schmerzen, die von topischem Ambroxol profitierten. Sie wurden im Rahmen der ambulanten schmerztherapeutischen Arbeit in einem umschriebenen peripheren Körperareal behandelt, nachdem viele andere Behandlungsversuche mit zugelassenen Substanzen erfolglos oder nicht möglich gewesen waren. Verwendung fand eine 20 %ige Ambroxolcreme, die individuell für den Patienten pharmazeutisch hergestellt wurde (für 50,0 g: Ambroxol 10,0 g, Dimethylsulfoxid 5,0 g, Linola®-Creme ad 50,0 g). Diese Rezeptur stellte die probatorisch ermittelte Zubereitung mit der höchsten noch löslichen Ambroxolkonzentration dar.

Testbehandlungen waren während der Sprechstunde erfolgt, die hier geschilderten Beobachtungen wurden aber in der Mehrzahl von den Patienten nach selbstständiger Applikation im schmerzhaften Areal über längere Zeit zu Hause gesammelt. Klinische Beobachtungen und Berichte wurden in der Krankenakte dokumentiert und dienten retrospektiv als Grundlage der Fallbeispiele.

Von allen Patienten lag eine schriftliche Einwilligung nach Aufklärung vor, sowohl zum individuellen Behandlungsversuch mit ambroxolhaltigen Cremes (die individuell hergestellt wurden und nicht als Fertigarzneimittel zur Verfügung stehen) als auch zur Verwendung der anonymisierten Berichte, Befunde und möglichen Bilder oder Videos. Die hier exemplarisch geschilderten Beobachtungen erfolgten in einem Erfahrungszeitraum von insgesamt 4 Jahren, die Dokumentation und Mitteilung erfolgt auf Grundlage der Berufsordnung für Ärzte (insbesondere § 15) und der Aufforderung gemäß der Deklaration von Helsinki (Abs. 37). Die Verordnungen erfolgten außerhalb der Kassenerstattung.

Ergebnisse

Geschildert werden klinische Beobachtungen bei 7 Patienten (2 Frauen und 5 Männer). Die Ursachen ihrer neuropathischen Schmerzen waren: 2-mal Postzosterneuralgie, 1-mal Mononeuropathia multiplex, 1-mal postoperative Neuralgie, 1-mal Deafferenzierungsschmerz, 1-mal Phantomschmerz und 1-mal unklare Fußneuropathie.

Die durchschnittlichen Schmerzen der Patienten lagen auf einer numerischen Rating-Skala (NRS) zwischen 4/10 und 6/10, die maximalen Schmerzen zwischen 6/10 und 10/10 (Tab. 1). Die Schmerzreduktionen betrugen zwischen 2 und 8 Punkten (NRS). Die Patienten beobachteten eine Schmerzreduktion innerhalb von 5–30 min, die 3 bis > 8 h anhielt (Tab. 1). Bei 5 Patienten lagen zusätzlich Schmerzattacken vor, die sich in allen Fällen reduzierten. Klare funktionelle Verbesserungen (körperliche Aktivität, gesteigerte Beweglichkeit, Schlafverbesserungen, Arbeitsfähigkeit u. Ä.) bemerkten 4 der 7 Patienten. Keiner der Patienten berichtete Nebenwirkungen, insbesondere keine Hautveränderungen.

Tab. 1 Diagnosen und Schmerzcharakteristika der behandelten Patienten

Für keinen Patienten bestand die Medikation ausschließlich in dieser Behandlung, alle hatten fortbestehende Primärmedikationen mit z. T. wechselnder Dosierung über die teils lange Behandlungszeit. Der Patient mit der längsten Behandlungsdauer verwendet topisches Ambroxol seit 48 Monaten (Patient 1), die kürzeste Kasuistik (Patient 4) überblickt 9 Monate (Tab. 2).

Tab. 2 Schmerzlinderungen durch topisches Ambroxol. Anwendungsdauer, Nebenwirkungen und Funktionsverbesserungen

Allodynie

Eine dynamische Allodynie lag bei 6 der 7 Patienten vor, eine Hyperalgesie auf Pinprick-Reize bei 4 Patienten. In 4 Fällen lagen beide Formen gemeinsam vor, ein Patient hatte weder das eine noch das andere. Eine dynamische Allodynie allein fand sich 2-mal, ausschließlich auf Pinprick-Reize empfindlich war kein Patient (Tab. 1). Unabhängig von diesen Konstellationen waren alle Patienten ambroxolsensibel.

Vorbehandlung mit Lidocain 5 %

Sechs der 7 Patienten hatten zuvor Lidocainpflaster eingesetzt. Diese waren 4-mal unwirksam, bei 2 Patienten hilfreich, davon aber 1-mal unverträglich. Die beiden Patienten mit Schmerzlinderung berichteten diese auch unter Ambroxol. Umgekehrt profitierten aber zusätzlich alle 4 Patienten ohne vorherige Lidocainwirkung dennoch von einer Ambroxolwirkung.

Vorbehandlung mit Capsaicin 8 %

Drei der 7 Patienten hatten auch Capsaicin 8 % zur topischen Behandlung erhalten. Bei 2 Patienten war dies hilfreich, bei einem Patienten wird es weiterhin eingesetzt. Beide Patienten mit Linderung unter Capsaicin 8 % erfuhren diese auch unter Ambroxol. Umgekehrt profitierte aber auch der Patient ohne Capsaicinwirkung von Ambroxol.

Kasuistiken

Kasuistik 1 (neuropathische Vorfußschmerzen)

Der 1942 geborene Patient stellte sich im Oktober 2010 mit (klinisch) neuropathischen Schmerzen beider Füße vor. Er hatte das Gefühl, über Kohlen zu laufen, der rechte Fuß schien wie in einem Schraubstock. Laufen oder Gartenarbeit waren fast unmöglich. Orthopädisch konnten die Fußschmerzen weder röntgenologisch noch als Folge einer Spondylodese des vierten und fünften Lendenwirbelkörpers im Jahr 2007 erklärt werden, neurographisch konnte keine Polyneuropathie nachgewiesen werden, die Problematik wurde als „eher vertebragen“ interpretiert. Klinisch bestand eine ausgeprägte dynamische Allodynie und Pinprick-Hyperalgesie des rechten Fußrückens, geringfügig auch links. Die bisherige Gabe von Gabapentin wurde bis 3-mal  600 mg aufdosiert, ergänzt durch Buprenorphin 20 µg/h, Steigerungen waren jeweils nicht möglich. Topische Lidocain-5 %-Pflaster waren nicht hilfreich.

Im Juni 2011 erfolgte der erste Behandlungsversuch mit topischem Ambroxol. Der Verlauf war ausgesprochen erfolgreich: Der stechende Schmerz der initialen Stärke von 8/10 auf einer NRS beim Abrollen rechts und die Berührungsempfindlichkeit des Vorfußes verschwanden binnen 5 min vollständig für mehr als 8 h. Die intermittierende Behandlung mit topischem Ambroxol wird bis heute weiter erfolgreich fortgeführt (Abb. 1). Die Schmerzen wurden mittlerweile auch 11-mal erfolgreich mit Capsaicin-8 %-Pflastern behandelt, der Patient nutzt Ambroxolcreme nun weiter in Phasen erneuter Schmerzen bei nachlassender Capsaicinwirkung bis zur nächsten Anwendung. Gabapentin wird nur noch in einer Dosierung von 1-mal 300 mg abends eingenommen, die Opioidtherapie wurde beendet. Laufen und Gartenarbeit sind wieder möglich. Während der jetzt 4-jährigen, unverändert wirksamen Behandlung traten weder Hauterscheinungen noch andere Nebenwirkungen auf. Die Kasuistik ist mehrfach videodokumentiert.

Abb. 1
figure 1

Schmerzverlauf nach topischem Ambroxol 20 % bei unklarer Vorfußneuropathie (einmalige Dokumentation von Patient 1). NRS Numerische Rating-Skala

Kasuistik 2 (Kältephantomschmerz)

Der Patient stellte sich mit ungewöhnlichen Schmerzen vor: Er beklagte extrem schmerzhafte Kältegefühle im Phantom beider amputierter Füße. Im Jahr 2008 war eine Unterschenkelamputation links bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit und Diabetes mellitus notwendig geworden, 2009 auch rechts. Die Kälteschmerzen der Stärke 7–9/10 auf einer NRS traten sporadisch mehrfach pro Woche auf, dauerten Minuten bis viele Stunden und weckten den Patienten nachts häufig auf. Er beschrieb einen Wechsel der Kälte zwischen Zehen und Fußballen, Wärme am Stumpf konnte bedingt helfen. Der Kältephantomschmerz konnte durch Umgebungskälte ausgelöst werden, aber auch durch optisch wahrgenommene Kälte, z. B. Bilder von Schnee. Ein Kältegefühl vor Amputation im Sinne einer Präamputationserinnerung bestand nicht, der Stumpf selbst war meist warm. Der Stumpf zeigte eine diskret gesteigerte Kältewahrnehmung distal-lateral beidseits, rechts zusätzlich eine dynamische Allodynie (ohne Pinprick-Hyperalgesie).

Die nach vielen erfolglosen Therapien inklusive der Gabe von Opioiden und Antikonvulsiva eingesetzte topische Ambroxol-20 %-Creme konnte das Problem relevant beeinflussen: Das extreme Kältegefühl im Phantom ließ nach etwa 15 min für einige Stunden deutlich nach, das Phantom wurde wärmer. Diese Wirkung ist ohne Änderung nun bereits über 11 Monate erreichbar. Es traten keinerlei Hautveränderungen am Stumpf oder andere Nebenwirkungen auf, die Kasuistik ist videodokumentiert.

Kasuistik 3 (neuropathischer Schmerz nach Knietotalendoprothese)

Die 58-jährige Patientin erhielt im November 2010 eine Knietotalendoprothese, wonach erhebliche Schmerzen persistierten. Klinisch bestanden eine großflächige dynamische Allodynie und Pinprick-Hyperalgesie medial als Zeichen einer zentralen Sensibilisierung. Entzündungszeichen oder bewegungsabhängige Schmerzen fanden sich nicht.

Die bestehende Therapie mit Buprenorphin 10 ug/h war wegen des neuropathischen Schmerzcharakters durch Tapentadol ersetzt worden, womit der Schmerz jedoch nicht besser behandelt war. Nach Verwendung von Capsaicin-8 %-Pflastern waren die Schmerzen etwas seltener und kürzer geworden. Da bis April 2014 die Knieschmerzen in erheblichem Maße fortbestanden und Lidocainpflaster ebenfalls keine wesentliche Linderung erbrachten, wurde während der Sprechstunde topisches Ambroxol 20 % eingesetzt. Bereits nach 15 min berichtete die Patientin eine klare Schmerzlinderung: Brennen und Stechen hatten deutlich nachgelassen, ein im Knie „tobendes Gefühl“ war fast erloschen. Sie beobachtete in den kommenden Monaten bei wiederholten Anwendungen nach jeweils etwa 30 min eine Schmerzreduktion für 4–6 h von im Mittel 8/10 vor Behandlung auf 4/10 (auf NRS; Abb. 2), gelegentlich sogar bis auf 1/10. Bei stärksten Schmerzen (10/10 auf NRS) erlebte sie, dass die Schmerzen danach nicht mehr auf das Ausgangsniveau zurückkehrten. Die Anwendung von topischer Ambroxol-20 %-Creme erfolgt nun seit 11 Monaten regelmäßig und ohne Nebenwirkungen oder Hauterscheinungen. Die Kasuistik ist videodokumentiert.

Abb. 2
figure 2

Frühe Schmerzreduktion, 30 min nach Behandlung mit topischem Ambroxol 20 % (einmalige Dokumentation einiger Patienten). NRS Numerische Rating-Skala

Kasuistik 4 (Deaffenzierungsschmerz)

Der 38-jährige Patient stellte sich im April 2014 wegen Deafferenzierungsschmerzen im linken Arm nach Plexusläsion (Motorradunfall 1997) vor. Im Verlauf trat eine Berührungsüberempfindlichkeit von Hand und Unterarm auf. Eine Nerventransplantation war erfolglos, ebenso Ketamin, Gabapentin und eine Lidocaininfusion. Eine Spiegeltherapie endete mit einer Schmerzverschlechterung für Tage, Amitriptylin war zu sedierend. Cannabis konnte im Rahmen einer Studie die Schmerzen zwar um 60 % senken, die mentale Beeinträchtigung war jedoch erheblich. Die Medikation bestand nun aus Pregabalin 2-mal 300 mg und Duloxetin 60 mg. Eine geringe Innervation von M. bizeps und Schulterelevation war möglich, auch eine mentale Phantommotorik. Im Arm bestanden drei Schmerzqualitäten: ein „brennender Schmerz“ (durch Kälteanwendung an der Hand auszulösen), ein „gepresster Grundschmerz“ (ohne Auslöser) und „einschießend-kribbelnde Schmerzen“. Die Schmerzstärke lag bei 4–8/10 auf einer NRS, es bestand eine dynamische Allodynie am Ellbogen. Sensationen im Phantomarm ließen sich durch Kältereize subklavikulär und als Übertragungsschmerzen aus Triggerpunkten von M. subclavius und pectoralis auslösen.

Lidocainpflaster änderten lediglich die Schmerzqualität, Triggerpunktbehandlungen und Tapentadol wurden nicht toleriert. Es erfolgte daher ein Versuch mit topischer Ambroxol-20 %-Creme über dem M. pectoralis, was die einschießenden und kribbelnden Schmerzen von meist 8/10 auf 4/10 (NRS) gut lindern konnte. Die Wirkung wird seither jeweils beginnend nach etwa 15 min für 4–6 h beschrieben, was v. a. hinsichtlich des Schlafens entscheidende Bedeutung bekam. Der „tiefe Grundschmerz“ blieb aber unbeeinflusst. Besonders froh war der Patient darüber, dass nun spontan und ohne Auslöser immer wieder auftretende Spasmen und Krämpfe sistierten, sodass alltägliche Verrichtungen in diesen Momenten fortgeführt werden konnten. Die Beschreibungen des Patienten sind videodokumentiert.

Kasuistik 5 (thorakale Postzosterneuralgie)

Der damals 55-jährige Patient stellte sich im August 2008 mit einer seit 2 Monaten bestehenden Postzosterneuralgie des rechten Thorax vor (Stärke 5/10 auf einer NRS). WHO-I- und WHO-II-Analgetika senkten den Schmerz nur wenig, Lidocainpflaster waren recht gut wirksam. Klinisch bestand eine fast zirkuläre dynamische Allodynie auf Höhe der Brustwirbel 6–8 rechts. Zuerst wurde mit Erfolg Gabapentin aufdosiert und der Nachtschlaf mit Amitriptylintropfen verbessert. Da andere sedierende Substanzen nicht möglich waren und Capsaicin 8 % erfolglos blieb, erfolgte im April 2012 der Einsatz von topischer Ambroxol-20 %-Creme. Diese konnte zwar den Schmerz allein nicht ausreichend beherrschen, senkte ihn aber doch beginnend nach 30 min und über eine Dauer von 4–6 h von 6/10 auf 4/10 (NRS; Abb. 3). Der Patient nutzt die Applikation für Schmerzattacken und diejenigen Flächen, die durch das weiterhin genutzte Lidocainpflaster nicht gut abgedeckt sind. Während der nun mehr als 3-jährigen Anwendung wurden keine unerwünschten Wirkungen oder Hauterscheinungen berichtet.

Abb. 3
figure 3

Schmerzverlauf nach topischem Ambroxol 20 % bei thorakaler Postzosterneuralgie (einmalige Dokumentation von Patient 5). NRS Numerische Rating-Skala

Kasuistik 6 (Mononeuropathia multiplex)

Der pensionierte Patient stellte sich im November 2013 mit neuropathischen Schmerzen des linken Fußrückens bei Multiplexneuritis infolge einer Vaskulitis vor. Er beschrieb zwei Schmerzarten: Ein dauerhafter Grundschmerz störte erheblich bei Alltagsaktivitäten, ferner traten heftige Schmerzattacken auf, besonders abends beim Fernsehen und nachts mit einer Stärke bis 8/10 auf einer NRS. Eine Depression wurde mittlerweile mit Duloxetin 60 mg und Lithium behandelt. Lidocainpflaster, periphere Analgetika und niedrig dosiertes Tilidin waren bereits erfolglos versucht worden. Der Nachtschlaf wurde nun mit Amitriptylintropfen vertieft, Tilidin vorsichtig weiter aufdosiert.

Da bereits bei der zweiten Visite im Dezember 2013 die Grenzen zentralnervöser Belastbarkeit erreicht waren, erfolgte ein Versuch mit topischem Ambroxol. Dies war ausgesprochen effektiv: Der Patient berichtete, seine abendlichen, neuropathischen Schmerzen beginnend nach 15 min für mehr als 6 h von 6/10 auf 2/10 auf einer NRS senken zu können. Ungestörtes Fernsehen wurde möglich, der Nachtschlaf war nun – nach unmittelbar vorheriger Anwendung – meist gut. Lange eingesetztes Zolpidem wurde entbehrlich. Bei schmerzbedingtem Erwachen führte erneutes Eincremen wieder zur schnellen Schmerzlinderung. Nach 4 Monaten der Anwendung verschwand der dauerhafte Grundschmerz tagsüber fast völlig. Bemerkenswert ist, dass bei diesem Patienten vor Behandlung keinerlei Allodynie auf dynamische Reize oder Hyperalgesie auf Pinprick-Reize bzw. Kälte oder Zugluft bestand. Nach einer Anwendung seit nun 17 Monaten führt der Patient die Behandlung weiterhin fort (Abb. 4) und berichtete bisher keinerlei Hauterscheinungen oder Nebenwirkungen. Die Aussagen des Patient wurden mehrfach videodokumentiert.

Abb. 4
figure 4

Schmerzverlauf nach topischem Ambroxol 20 % bei Mononeuropathia multiplex (einmalige Dokumentation von Patient 6). NRS Numerische Rating-Skala

Kasuistik 7 (trigeminale Postzosterneuralgie)

Nach einer Zosterinfektion V2 links im Juni 2014 beklagte eine 91-jährige Seniorin Gesichtsschmerzen bis zu einer Stärke von 8/10 auf einer NRS. Die affektive Schmerzwahrnehmung war erheblich, der Nachtschlaf massiv gestört. Diclofenac, Tramadol und Novaminsulfon waren nicht ausreichend. Der Nachtschlaf konnte initial mit wenigen Amitriptylintropfen verbessert werden, eine Tramadolsteigerung scheiterte an Obstipation und Sedation. Lidocainpflaster waren wirksam, mussten aber wegen einer fraglichen Hautreaktion beendet werden.

Da Gabapentin 100 mg ebenfalls nur begrenzt aufdosiert werden konnte und Capsaicin 8 % bei der betagten Frau nicht angezeigt erschien, wurde Ambroxol-20 %-Creme versucht. Die Patientin verwendet diese nun seit 11 Monaten und beschreibt den Effekt als klar schmerzlindernd, die Wange wird jeweils nach etwa 15 min „ruhiger“. Erwacht sie nachts, kann sie einige Zeit nach der erneuten Anwendung wieder schmerzarm einschlafen. Auch diese Anwendung über nun 10 Monate erfolgt weiterhin ohne unerwünschte Wirkungen und ist videodokumentiert.

Diskussion

In der vorliegenden Fallserie beschreiben wir erstmals Patienten, bei denen die topische Anwendung von Ambroxol zu einer Linderung neuropathischer Schmerzen führte. Die Schmerzreduktion lag zwischen 33 und 100 % bzw. zwischen 2 und 8 NRS-Punkten (Tab. 1) und kann daher als klinisch relevant angesehen werden [12]. Die hier beschriebenen Befunde lassen sich gut über die Natriumkanalblockade durch die Substanz erklären.

Pharmakologie, Natriumkanäle und analgetische Wirkungen

Ambroxol ist strukturell den bekannten Lokalanästhetika ähnlich (Löfgren-Struktur) und bindet wie diese an eine spezifische Bindungsstelle des neuronalen Natriumkanals [27]. Es blockiert ebenfalls den Natriumeinstrom an spannungsabhängigen Natriumkanälen (Nav; v = „voltage-gated“), was zur Reduktion der Aktionspotenzialfrequenz und damit zur Verminderung der intraneuralen Signaltransduktion führt.

Einige Eigenschaften machen Ambroxol zur Behandlung von neuropathischen Schmerzen aber besonders interessant. Erstens ist die Potenz sehr hoch: Ambroxol hemmt neuronale Natriumkanäle in etwa 40-fach niedrigerer Konzentration als Lidocain [47], das nach lokaler [29] und systemischer Applikation [13] neuropathische Schmerzen lindern kann. Zweitens blockiert es – im Gegensatz zu Lidocain – im Tierversuch nozizeptorspezifische Natriumkanäle ausgeprägter als andere neuronale Natriumkanäle [47]. Dies könnte der Grund dafür sein, dass 4 unserer Patienten ohne vorherige Lidocainwirkung dennoch von Ambroxol profitierten. Ambroxol war auch nach systemischer Gabe in Tiermodellen des neuropathischen Schmerzes hochpotent wirksam [14, 16], mindestens so stark wie Gabapentin und in Dosierungen, die durchaus klinisch eingesetzt werden können [14, 49].

Nav in Nervenzellmembranen spielen eine wichtige Rolle für die Signaltransduktion, u. a. auch in nozizeptiven Neuronen. Man differenziert 9 Subtypen (Nav 1.1–1.9; [8]). Die neuronal exprimierten Kanäle Nav 1.1, 1.2, 1.3, 1.6 und 1.7 werden hochaffin durch Tetrodotoxin (TTX), das Gift des Pufferfischs, gehemmt. Die vorwiegend in nozizeptiven Neuronen exprimierten Subtypten Nav 1.8 und 1.9 sind TTX-resistent [37]. Ambroxol blockiert TTX-resistente Natriumkanäle deutlich ausgeprägter als TTX-sensible Kanäle. Der durch Ambroxol bevorzugt blockierte TTX-resistente Subtyp Nav 1.8 wird besonders in Spinalganglienzellen exprimiert [2]. Er scheint im Rahmen von Nervenverletzungen eine wichtige Rolle bei der Sensibilisierung von Nozizeptoren zu spielen und so zur Entstehung und Aufrechterhaltung neuropathischer Schmerzen beizutragen [3, 21, 26, 36]. Er soll eine besondere Bedeutung bei durch Kälte verursachten Schmerzen haben [52]. Ein Zusammenhang mit der Beobachtung einer „Erwärmung des eiskalten Phantombeins“ durch die Ambroxolanwendung am Stumpf von Patient 2 bleibt offen. Auch in Tierversuchen ist eine Nav 1.8-Blockade klar analgetisch wirksam [11, 20].

Nav 1.8-Expression

Nach Nervenverletzungen kann es zur Umverteilung oder Expression von Natriumkanälen in primären nozizeptiven Neuronen mit niedrigschwelliger Schmerzauslösung oder Übererregbarkeit von DRG-Neuronen kommen. Der Subtyp Nav 1.8 wird selektiv in nozizeptiven sensorischen Neuronen exprimiert [2, 6, 35, 52], gesteigert aber in Nervenschmerzmodellen [15, 44] und auch beim Menschen bei neuropathischem Schmerz [24, 50]. Bedeutsam soll dies ferner beim Tier wie beim Menschen bei der Spontanaktivität in Neuromen sein [5, 24, 36], was bei unserem Patienten mit Amputation (Kasuistik 2) eine Rolle gespielt haben könnte. Auch die Attackenreduktion bei jedem unserer 5 betroffenen Patienten ist so eventuell erklärbar. Eine gesteigerte Nav 1.8-Expression findet sich ferner bei diabetischer Polyneuropathie [30], Small-fiber-Neuropathie [19], Radikulopathien [17, 44], Trigeminusneuralgie [41], aber auch bei Arthrosen [39, 43] und Knochenmetastasen [33]. Die Nav 1.8-Blockade, z. B. durch Ambroxol, wird letzlich auch deshalb als Option zur Behandlung neuropathischer Schmerzen betrachtet, weil Untersuchungen mit Nav 1.8-freien Mäusen und Nav 1.8-blockierenden Substanzen eine geringere mechanische, thermische und viszerale Übererregbarkeit im Tiermodel belegen [1, 4, 11, 18, 20, 21, 45, 46].

Klinischer Stellenwert, Sicherheit und Dosierung

Ambroxol nutzt prinzipiell die gleichen Bindungsstellen für Lokalanästhetika wie Lidocain und Amitriptylin. Dennoch zeigte bisher keine der für neuropathische Schmerzen verwendeten Substanzen (inklusive Lokalanästhetika, Antidepressiva und Antikonvulsiva) eine relevante Selektivität für den Nav 1.8-Kanal vergleichbar zu Ambroxol [27, 48]. Auch die schmerztherapeutisch verwendeten Natriumkanalblocker Amitriptylin und Carbamazepin blockieren die Kanaltypen nicht selektiv [7, 42]. Die selektive Blockade des nicht kardial und zentralnervös vertretenen Nav 1.8-Kanaltyps durch Ambroxol könnte sich also klinisch als Vorteil erweisen. Zumindest bekamen wir bei keinem unserer Patienten eine diesbezügliche unerwünschte Wirkung geschildert, auch nicht bei denjenigen, die die topische Anwendung nun seit langer Zeit durchführen. Dies verwundert auch insofern nicht, als trotz der potenten Natriumkanalblockade die Verträglichkeit von Ambroxol selbst nach systemischer Applikation ausgesprochen gut ist: Sogar i.v.-Gaben von 1 g zur Förderung der pränatalen Lungenreifung und Behandlung von Atelektasen werden gut vertragen [51, 53]. Es liegen sogar einzelne Berichte über Gaben bis zu 3 g/Tag für 53 Tage [9, 28, 38] und die orale Gabe von 1,3 g/Tag für 33 Tage vor [22]. Nach Tierversuchen mit hoch dosiertem, klar analgetischem und gut verträglichem Ambroxol vermuteten Gaida et al. [14], dass diese hohen Dosierungen wahrscheinlich zu einer Analgesie auch nötig seien. Wir konnten mit unseren topischen Behandlungen zeigen, dass auch niedrig dosierte, periphere Anwendungen eine klar analgetische Wirkung haben können. Auch Hautveränderungen wurden von uns nicht beobachtet, wenngleich sie kasuistisch beschrieben sind [31].

Wegen des interessanten Wirkansatzes sind auch einige andere Nav 1.8-blockierende Substanzen in der Entwicklung. Die sehr potente Blockade bei guter Bioverfügbarkeit und sehr geringen Nebenwirkungen macht aber besonders Ambroxol zu einer interessanten Substanz, die für die Behandlung chronischer Schmerzen mindestens so nützlich sein sollte, wie andere Natriumkanalblocker [27]. Durch die jahrzehntelange klinische Erfahrung ist die Sicherheit und Verträglichkeit von Ambroxol bei der Gabe systemischer Dosen – sogar im Grammbereich – belegt.

Ambroxol und Allodynie

Abgesehen von Kasuistik 6 litten alle Patienten unter einer Überempfindlichkeit auf mechanische Reize, die nach topischem Ambroxol jeweils abnahm. Ist diese antiallodyne analgetische Wirkung überhaupt denkbar?

Allodynie und Hyperalgesie werden als ein neuroplastisches Phänomen des spinalen sensorischen Systems betrachtet [25]. Der Nav 1.8-Kanal ist vornehmlich in C- bzw. Aδ-Fasern und Neuronen des Hinterhorns nachzuweisen [2, 6, 35, 52], wird jedoch bei Entzündungen auch in Aβ-Fasern exprimiert [1, 4, 26, 34, 40]. Da aber eine chronische Entzündung die Erregbarkeit von Nav 1.8 zur Hyperpolarisation hin verschiebt, trägt dies zur Allodynie bei. Eine Blockade mit Ambroxol wäre folglich hier besonders schmerzlindernd. Ambroxol unterdrückte auch im Tierversuch nach systemischer Gabe unterschiedlich ausgeprägt Allodynien: eine Hitzehyperalgesie zu 100 %, eine Kältehyperalgesie und mechanische Allodynie zu etwa 75 % [14]. Auch die intrathekale Gabe hat im Tierexperiment einen antiallodynen Effekt [32]. Die Beobachtung, dass Ambroxol bei Ratten zusätzlich auch eine mechanische Allodynie bei experimentell induzierter Entzündung um etwa zwei Drittel reduzieren konnte [4], lässt vermuten, dass die antiallodyne, analgetische Wirkung gar nicht unbedingt nur auf neuropathische Schmerzen begrenzt ist. Bei den von uns beschriebenen Patienten zumindest lagen jeweils mechanische Allodynien vor, die – nun also erklärbar – durch topisches Ambroxol gemindert wurden.

Wirkbeginn und Wirkdauer

Eine Nav 1.8-Blockade durch Ambroxol beginnt in vitro binnen weniger Sekunden, ist konzentrationsabhängig und voll reversibel [27]. Bei querschnittsgelähmten Ratten reduzierte sich eine Überempfindlichkeit auf statische Berührungsreize nach etwa 30 min für etwa 3 h [16]. Beide Erkenntnisse decken sich gut mit den Angaben unserer Patienten (Abb. 2), nach denen die Wirkung nach 15–30 min begann, in Kasuistik 1 setzte sie häufig sogar sozusagen „unmittelbar“ ein und hielt hier deutlich über 6 h an. Bei mehrfach wiederholter topischer Applikation von Lidocain 5 % findet man sowohl klinisch als auch in der Literatur [29] eine über die Zeit noch zunehmende Wirkung. Vergleichbares berichtete auch unser Patient 6, der nach 4-monatiger Anwendung seinen Grundschmerz als „fast verschwunden“ empfand. Der Stellenwert dieser Beobachtungen muss noch näher definiert werden.

Limitationen

Diese Fallserie beschreibt (offen und nichtkontrolliert) exemplarische, erfolgreich mit topischem Ambroxol 20 % behandelte Patienten mit neuropathischen Schmerzen. Sie unterliegt daher noch vielen möglichen Fehlerquellen von Placeboeffekten bis hin zu nur zeitlich begrenzten Therapieerfolgen ohne langzeitige Bedeutung, wenngleich Behandlungen über mehrere Jahre nun hiermit dokumentiert sind. Sie wurden zwar exemplarisch auch für viele andere Patienten, aber dennoch nur retrospektiv und hier nur für neuropathische Schmerzen zusammengetragen. Da nicht bekannt ist, wie tief und in welchem Umfang Ambroxol aus der verwendeten Creme durch die Haut penetriert, lässt sich auch nicht abschließend klären, ob die analgetischen Ambroxoleffekte ausschließlich auf der lokalen Wirkung beruhen oder auch auf teilweise systemischen Wirkungen. Letzteres wäre aber wahrscheinlich klinisch aufgrund der Verbreitung von Ambroxol in der Therapie respiratorischer Erkrankungen bereits aufgefallen. Auch eine Verbesserung dieser ersten Rezeptur wäre sicher noch möglich. Die Beobachtungen lassen also noch keine generellen Schlüsse bezüglich des Ausmaßes der Wirksamkeit beim Menschen zu. Systematische und kontrollierte Studien zu diesen Fragen sind notwendig.

Fazit für die Praxis

Das Sekretolytikum Ambroxol wirkt auch als sehr starkes Lokalanästhetikum. Es blockiert signifikant und bevorzugt den nozizeptiv bedeutsamen Natriumkanalsubtyp Nav 1.8, mehr als alle anderen Lokalanästhetika. Eine gesteigerte Nav 1.8-Expression lässt sich bei neuropathischem Schmerz nachweisen und ist fast ausschließlich auf sensorische (Schmerz-)Fasern beschränkt. Eine Blockade wird daher als sinnvolles, einfaches und nebenwirkungsarmes Konzept der Schmerzbehandlung betrachtet. In den geschilderten Kasuistiken wurde dieses Konzept erstmals mit topischer Ambroxol-20 %-Creme erfolgreich bei Patienten mit schweren neuropathischen Schmerzen umgesetzt. Die Verwendung erfolgt mittlerweile über 4 Jahre und ohne unerwünschte Wirkungen. Die Entwicklung neuer Substanzen gegen neuropathische Schmerzen ist sehr aufwändig und langwierig. Aus diesem Grund sollten unseres Erachtens lange bekannte Substanzen mit klar antinozizeptiver Wirkung und günstigem Nebenwirkungsprofil, wie Ambroxol, für die klinische Nutzung dringend weiter intensiv untersucht und wegen des hohen Leidensdrucks bei Therapieresistenz auch im Rahmen individueller Behandlungsversuche eingesetzt werden.