Einleitung

In den letzten Jahren wurde die Rolle von Immunglobulin-G(IgG)-Serum-Antikörpern gegen Myelin-Oligodendrozyten-Glykoprotein (MOG) bei Patienten mit entzündlicher ZNS-Demyelinisierung intensiv untersucht. Basierend auf Ergebnissen aus Studien mit enzymgekoppelten Immunosorbent-Assays (ELISA), die linearisierte oder denaturierte MOG-Peptide als Antigen verwendeten und heute aufgrund geringer Spezifität und Reproduzierbarkeit als obsolet gelten, wurde ursprünglich angenommen, dass Antikörper gegen MOG an der Pathogenese der multiplen Sklerose (MS) beteiligt sind. Neuere Untersuchungen unter Verwendung von zellbasierten Assays der neuen Generation zeigen hingegen übereinstimmend eine robuste Assoziation von IgG-Antikörpern gegen vollständiges, konformationell intaktes humanes MOG-Protein (MOG-IgG) mit (meist rezidivierender) Optikusneuritis (ON), Myelitis und Hirnstammenzephalitis sowie mit ADEM(akute disseminierte Enzephalomyelitis)-artigen Präsentationen statt mit klassischer MS [20, 23, 24, 33, 34, 36, 47, 51, 57,58,59].

Basierend auf (a) immunologischen Studien, die eine direkte pathogene Wirkung von MOG-IgG nahelegen, (b) neuropathologischen Studien, die in Läsionen von MOG-IgG-positiven Patienten histopathologische Merkmale eines autoantikörper- und komplementvermittelten Pathomechanismus fanden, die bei der Mehrzahl der Patienten mit klassischer MS nicht nachweisbar sind, (c) serologischen Studien, die zeigen konnten, dass Aquaporin-4(AQP4)-IgG so gut wie nie gleichzeitig mit MOG-IgG vorliegt, und (d) Kohortenstudien, die deutliche Unterschiede in der klinischen und paraklinischen Präsentation, dem Ansprechen auf die immuntherapeutische Behandlung und der klinischen Prognose nahelegen, gilt MOG-IgG inzwischen als pathognomonischer Marker einer eigenständigen Erkrankung, die sich sowohl von der klassischen MS als auch von der AQP4-IgG-positiven Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankung (engl. „neuromyelitis optica spectrum disorder“ [NMOSD]) unterscheidet und als MOG-IgG-assoziierte Enzephalomyelitis oder kurz als MOG-Enzephalomyelitis (MOG-EM) bezeichnet wird [15, 57, 70].

MOG-EM und klassische MS zeigen jedoch phänotypisch, d. h. klinisch und radiologisch, relevante Überschneidungen [23, 60]: In der Mehrzahl der Fälle nimmt die MOG-EM, wie die MS, einen schubförmigen Verlauf [23, 59], zumindest bei Erwachsenen, und 33 % bzw. 15 % der erwachsenen Patienten mit MOG-EM erfüllen wenigstens einmal im Krankheitsverlauf die McDonald- bzw. die Barkhof-Kriterien für MS [23, 60]. Dementsprechend wurde bei vielen Patienten mit MOG-EM in der Vergangenheit fälschlich eine MS diagnostiziert [20, 23]. Eine solche Fehlklassifizierung hat jedoch potenziell relevante therapeutische Implikationen: (a) Präliminäre Daten legen nahe, dass einige Medikamente, die für die Behandlung der MS zugelassen sind, aufgrund von Unterschieden in der Immunpathogenese in der Behandlung der MOG-EM, ähnlich wie bei AQP4-IgG-positiver NMOSD, unwirksam oder sogar schädlich sein könnten [20, 23, 43, 64, 67]; (b) die MOG-EM ist vermutlich mit einem höheren Risiko für erneute Schubaktivität nach Beendigung der Akutbehandlung mit Steroiden verbunden und erfordert daher eine sorgfältige Überwachung und vermutlich ein vorsichtiges Ausschleichen der Akuttherapie [6, 23, 38, 40, 45, 53]; und (c) MOG-IgG-positive Patienten scheinen im akuten Schub besonders gut auf antikörperdepletierende Behandlungen wie Plasmaaustausch (PEX) oder Immunadsorption (IA) anzusprechen [20, 23, 34, 46, 60, 61] sowie im Langzeitverlauf auf B‑Zell-gerichtete Therapien (z. B. Rituximab), auf intravenöse Immunglobuline (IVIG; vor allem bei Kindern [13]) sowie auf Immunsuppressiva [13, 23, 44, 59, 60]. Daher wird derzeit eine zunehmende Anzahl von Patienten mit vermuteter oder anhand der derzeit gültigen diagnostischen Kriterien formal etablierter MS auf MOG-IgG untersucht.

Das Screening von großen, nichtselektierten Populationen auf seltene Biomarker verringert jedoch generell den prädiktiven Wert von diagnostischen Tests [27, 32]. Selbst wenn Assays mit hoher Spezifität (≥99 %) verwendet werden, kann die Zahl der falsch positiven (FP) Ergebnisse leicht die Zahl der richtig positiven (RP) Ergebnisse übersteigen, wenn die Prävalenz des untersuchten Markers niedrig und die Anzahl der getesteten Proben hoch ist. Dies gilt auch für die MOG-IgG-Serologie. Basierend auf einer hypothetischen Prävalenz von 1 % genuinen MOG-IgG-positiven Fällen unter allen Patienten, die derzeit die formalen Diagnosekriterien der MS erfüllen, würde eine Testung von 100.000 Patienten mittels eines nahezu fehlerfreien, 99 % spezifischen und 100 % empfindlichen Tests zu einem nicht akzeptablen Verhältnis von 990 FP-Ergebnissen zu 1000 RP-Ergebnissen führen. Daher sollte ein nichtselektives Screening aller Patienten mit vermuteter oder formal etablierter MS-Diagnose auf MOG-IgG vermieden werden und sind spezifischere Kriterien für die MOG-IgG-Untersuchung dringend erforderlich.

In dieser Arbeit schlagen wir erstmalig auf Expertenkonsens beruhende Indikationen für die MOG-IgG-Testung vor. Zusätzlich geben wir dem Leser eine Liste von begleitenden Befunden an die Hand, die als untypisch für die MOG-EM gelten können („red flags“) und Anlass geben sollten, die Validität eines positiven MOG-IgG-Testergebnisses kritisch zu hinterfragen. Abschließend geben wir Empfehlungen zur Testmethodik, zur Probenentnahme und zur Dateninterpretation und präsentieren erstmalig Diagnosekriterien für die MOG-EM.

Methoden

PubMed-Suche nach Artikeln, die zwischen Februar 2007 und Februar 2017 veröffentlicht wurden und folgende Begriffe in Titel oder Abstract enthielten: („myelin oligodendrocyte glycoprotein“ OR MOG) AND (antibody OR antibodies OR „immunoglobulin G“ OR IgG). Alle auf diese Weise identifizierten Artikel wurden von einer Kerngruppe von Ärzten (SJ, BW, FP, KR) hinsichtlich klinischer und paraklinischer Befunde analysiert, die häufig in Verbindung mit MOG-IgG-assoziierter ZNS-Demyelinisierung berichtet wurden und die daher eine MOG-IgG-Testung rechtfertigen, wie auch hinsichtlich möglicher „red flags“, d. h. Befunden, die, wenn vorliegend, eher gegen das Vorliegen einer MOG-EM sprechen. Basierend auf dem Konsens der Kerngruppe wurde eine erste Fassung formuliert und anschließend an eine breitere Gruppe von Experten aus Australien, Dänemark, Frankreich, Deutschland, Italien, Japan, Südkorea, Spanien, Großbritannien und den USA zur Diskussion und Optimierung weitergeleitet. Die Mitglieder des Gremiums wurden von der Kerngruppe basierend auf Eminenz und früheren Beiträgen zum Thema eingeladen. Basierend auf einer Peer-to-Peer-Diskussion der einzelnen Empfehlungen mit den Mitgliedern des Panels wurde ein finales Set evidenz- wie eminenzbasierter Empfehlungen erstellt, denen alle Mitglieder zustimmten. Die hier gegebenen Empfehlungen sind als Expertenkonsens zu verstehen (Evidenzklasse IV).

Empfehlungen zur MOG-IgG-Testung

In Tab. 1 schlagen wir Indikationen für die Testung auf MOG-IgG vor. Diese basieren auf klinischen und paraklinischen Befunden, die typisch für MOG-EM und/oder atypisch für MS sind und die nach Ansicht der Panel-Mitglieder mit Prä-Test-Odds assoziiert sind, die ausreichen, um eine Testung auf MOG-IgG zu rechtfertigen, oder die aufgrund potenziell signifikanter therapeutischer Konsequenzen eines positiven Testergebnisses nach Expertenkonsens eine MOG-IgG-Testung erfordern. Die Empfehlungen gelten für alle Patienten mit Verdacht auf ZNS-Demyelinisierung bei vermuteter Autoimmunätiologie und einem entweder monophasischen oder rezidivierenden Krankheitsverlauf. Angesichts der sehr niedrigen Prä-Test-Wahrscheinlichkeit [25] wird von einem generellen MOG-IgG-Screening bei Patienten mit einem progressiven Krankheitsverlauf eher abgeraten. Tab. 2 enthält eine Reihe von Fallvignetten exemplarischer Patienten, bei denen ein hohes MOG-EM-Risiko vermutet wird und die das breite Spektrum der mit diesem Syndrom verbundenen Symptome sowie die praktische Relevanz der vorgeschlagenen Kriterien veranschaulichen. In Tab. 3 geben wir eine Reihe von Empfehlungen in Bezug auf technische Aspekte der MOG-IgG-Testung (Assay-Auswahl, geeignetes Probenmaterial), zur standardisierten Befundmitteilung sowie zu Fragen der Ergebnisinterpretation. Schließlich listet Tab. 4 Befunde („red flags“) auf, von denen wir glauben, dass sie für MOG-EM untypisch sind, und deren Vorliegen mithin dazu Anlass geben sollte, ein positives MOG-IgG-Testergebnis kritisch zu hinterfragen, eine Retestung zu erwägen und ggf. nach einer besseren Erklärung für das Beschwerdebild zu suchen.

Tab. 1 Empfohlene Indikationen zur Testung auf MOG-IgG bei Patienten# mit akuten demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS und vermuteter Autoimmunpathogenese
Tab. 2 Fallvignetten von Patienten mit hohem Risiko für MOG-IgG-Seropositivität (Beispiele)
Tab. 3 Empfehlungen zu Nachweismethodik, Testparametern und Probenmaterial sowie zu Befunddokumentation und -interpretation
Tab. 4 „Red flags“: Befunde, die, wenn vorliegend, Anlass geben sollten, ein positives MOG-IgG-Testergebnis zu verifizieren (Retestung erwägen, idealerweise mittels eines alternativen, d. h. methodisch nicht identischen, zellbasierten Assays; falls nicht verfügbar oder im Falle diskrepanter Ergebnisse Vorstellung in spezialisiertem Zentrum in Betracht ziehen)

In praxi erfüllen viele der nach den 2015er-Kriterien des International Panel for NMO Diagnosis (IPND; [68]) mit einer AQP4-IgG-negativen NMOSD diagnostizierten Patienten auch die in Tab. 1 angegebenen Kriterien für die Testung auf MOG-IgG – und sollten dann auch getestet werden. Die MOG-IgG-Testung sollte jedoch nicht auf Patienten mit AQP4-IgG-negativer NMOSD beschränkt werden. Während eine solche Beschränkung sich durch Einfachheit auszuzeichnen scheint, wäre sie aus mehreren Gründen inadäquat: (1.) Die IPND-Kriterien für AQP4-IgG-negative NMOSD erfordern eine räumliche Dissemination; dies würde viele Patienten mit MOG-EM-kompatiblen Syndromen (z. B. Patienten mit isolierter longitudinal extensiver transverser Myelitis [LETM], isolierter bilateraler ON oder isolierter Hirnstammenzephalitis) von der Testung ausschließen. (2.) Die IPND-Kriterien umfassen Magnetresonanztomographie(MRT)-Kriterien, die auf Läsionsverteilungsmustern basieren, die bei AQP4-IgG-positiver NMOSD beobachtet wurden und Unterschiede im AQP4-Expressionsniveau zwischen Hirnregionen widerspiegeln. AQP4 ist jedoch nicht das Zielantigen der MOG-EM. Dementsprechend kann sich die Läsionsverteilung zwischen NMOSD und MOG-EM unterscheiden. Einige MOG-EM-Patienten erfüllen diese Kriterien daher nicht (z. B. Patienten mit rezidivierender bilateraler nicht-longitudinaler ON ohne Chiasmabeteiligung plus nicht-NMOSD-typische Hirnläsionen; solche mit schwerer und rezidivierender nichtlongitudinal extensiver Myelitis und solche mit ADEM-artiger Präsentation mit schwerer Beteiligung des Gehirns und des Hirnstamms, aber ohne Area-postrema-Läsion). (3.) Ferner würde eine solche Empfehlung voraussetzen, dass alle Patienten auf AQP4-IgG getestet werden, bevor sie auf MOG-IgG getestet werden können, was die Diagnose und Behandlung unnötig verzögern könnte. (4.) Neben dem zu erwartenden erheblichen Verlust an Sensitivität und Spezifität wäre die Heranziehung von NMOSD-Kriterien zur Diagnose einer MOG-EM für Nichtexperten verwirrend, handelt es sich doch um verschiedene Erkrankungen mit unterschiedlichen Zielantigenen (AQP4 vs. MOG), unterschiedlicher Pathophysiologie (Astrozytopathie vs. Oligodendrozytopathie) und nur teilweise überlappenden klinischen Spektren. (5.) Die Kriterien für AQP4-IgG-seronegative NMOSD erfordern zudem den Ausschluss anderer Diagnosen; dies hätte einen logischen Widerspruch zur Folge, da ein negatives Testergebnis für MOG-IgG zur Bedingung für die Durchführung des MOG-IgG-Tests würde.

Wäre es eine Lösung, die MOG-IgG-Testung stattdessen auf Patienten mit AQP4-IgG-negativer NMO gemäß Wingerchuks 2006er-Kriterien [69] zu beschränken? Da diese Kriterien sowohl eine ON als auch eine Myelitis aktuell oder in der Vorgeschichte erfordern, würde dies wiederum dazu führen, dass eine erhebliche Anzahl von Patienten mit hohem MOG-EM-Risiko nicht getestet würde. Ein solcher Ansatz wäre also ebenfalls nicht sinnvoll. Zu beachten ist in diesem Zusammenhang, dass die Testung aller Patienten mit seronegativer NMO nach Wingerchuk 2006 auf MOG-IgG bereits durch unsere Empfehlung abgedeckt ist, alle Patienten mit LETM auf MOG-IgG zu testen (s. Tab. 1), da das Vorliegen einer LETM bei AQP4-IgG-negativen Patienten conditio sine qua non für die Stellung der Diagnose einer NMO nach den 2006er Kriterien ist.

Wir schlagen stattdessen vor, die Indikation für eine Testung auf MOG-IgG bei Patienten mit Verdacht auf eine ZNS-Demyelinisierung auf das Vorliegen spezifischer klinischer und paraklinischer Befunde zu stützen, die typisch für die MOG-EM und/oder atypisch für die konventionelle MS sind (s. Tab. 1).

Während des Konsensfindungsprozesses wurden Bedenken hinsichtlich der Aufnahme der folgenden behandlungsbezogenen Indikationen für die MOG-IgG-Testung in Tab. 1 geäußert:

  1. a.

    Besonders gutes Ansprechen auf antikörperdepletierende Therapien (PEX, Immunadsorption [IA])

  2. b.

    Besonders gutes Ansprechen auf B‑Zell-depletierende Therapien (Rituximab, Ocrelizumab, Ofatumumab), aber Rückfall unmittelbar nach dem Wiederauftreten von B‑Zellen

Einige Mitglieder des Panels verwiesen darauf, dass auch bei klassischer MS ein gutes Ansprechen auf PEX, IA oder B‑Zell-Depletion vorkommen kann. Es wurde jedoch Konsensus erzielt, dass, wenn zusätzlich zu einer der in Tab. 1 aufgeführten Indikationen vorliegend, ein gutes Ansprechen auf antikörper- oder B‑Zell-depletierende Therapien oder IVIG die Prä-Test-Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer MOG-EM weiter erhöht und somit die Entscheidung für eine Testung auf MOG-IgG unterstützt.

Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass die MOG-IgG-Serumspiegel einerseits von Krankheitsaktivität (mit höheren Konzentrationen während akuter Attacken) und Behandlungsstatus (mit niedrigeren Konzentrationen unter Immunsuppression) sowie andererseits von der Testsensitivität abhängen, empfehlen wir in Fällen, in denen MOG-IgG bei der ersten Untersuchung negativ war, aber eine MOG-EM weiterhin vermutet wird, eine erneute Testung während akuter Attacken und/oder während behandlungsfreier Intervalle [23].

Über die Nützlichkeit regelmäßiger MOG-IgG-Titer-Kontrollen liegen nur spärliche Daten vor. In einer kürzlich veröffentlichten Studie fanden sich signifikant höhere mediane MOG-IgG-Titer im akuten Schub [24]. Regelmäßige MOG-IgG-Untersuchungen im Verlauf könnten daher theoretisch eine potenziell vielversprechende Methode zur Vorhersage von Schüben und zur Überwachung der Wirksamkeit der Behandlung sein. Es gibt jedoch zahlreiche Einschränkungen: Während die Titer im akuten Schub im Median bei >1:2560 lagen [24], wiesen einige Patienten auch während akuter Attacken relativ niedrige Titer auf und fanden sich umgekehrt bei einigen Patienten hohe Titer auch in Remission, was nahe legt, dass zusätzliche Faktoren wie z. B. eine Schädigung der Blut-Hirn-Schranke, T‑Zell-Aktivierung oder Unterschiede in Antikörperaffinität oder komplementaktivierender Aktivität der Antikörper involviert sind. Ein inter- oder auch nur intraindividuell gültiger Cut-off-Titer, ab dem ein neuer Schub als imminent zu betrachten wäre, kann daher nicht sicher festgelegt werden [24]. Darüber hinaus könnten Behandlungseffekte eine Rolle spielen. Schließlich ist derzeit unklar, in welchen zeitlichen Abständen Verlaufsuntersuchungen erfolgen müssten, um drohende Schübe rechtzeitig zu erkennen. Basierend auf Erfahrungen aus Studien zur AQP4-IgG-positiven NMOSD, bei denen die Serumantikörperspiegel erst kurz vor Schubbeginn ansteigen [16], könnten sehr enge Testintervalle erforderlich sein. Dies würde ein Langzeit-Monitoring sowohl teuer als auch in praktischer Hinsicht schwierig durchführbar machen. Dementsprechend kann derzeit keine generelle Empfehlung zur regelmäßigen Überwachung der MOG-IgG-Titer zur Schubvorhersage oder Behandlungsüberwachung gegeben werden.

Bei einigen Patienten kann MOG-IgG im Laufe der Zeit spontan oder therapieinduziert unter die Nachweisgrenze fallen [9, 14, 24, 50]. Interessanterweise hatten viele dieser Patienten eine monophasische Erkrankung. Im Gegensatz dazu war in einer aktuellen Studie MOG-IgG bei allen Patienten mit einem rezidivierenden Krankheitsverlauf und verfügbaren Follow-up-Proben (n = 18) auch bei der letzten Follow-up-Untersuchung (mittleres Intervall 33 Monate seit Erstuntersuchung; maximale Nachbeobachtungszeit 10 Jahre) weiterhin nachweisbar [24]. Das Verschwinden von MOG-IgG nach dem ersten Schub könnte daher prognostische Bedeutung haben, und ein erneuter Test von MOG-IgG-positiven Patienten 6–12 Monate nach der ersten Attacke könnte folglich prognostisch und therapeutisch von Nutzen sein. Es gibt jedoch einige Einschränkungen: Die meisten der berichteten monophasischen Patienten waren Kinder oder Jugendliche und die meisten hatten eine ADEM. Darüber hinaus liegen zu den meisten Fällen keine publizierten Langzeitdaten vor. Letzteres ist wichtig, da die Titer nach einer Behandlung mit Steroiden, PEX oder IA (oder sogar spontan) unter die Nachweisgrenze fallen und in einem späteren Krankheitsstadium wieder ansteigen können; dementsprechend wurde eine transiente Serokonversion auch bei einigen Patienten mit rezidivierender Erkrankung beobachtet [24, 50, 60]. Es wäre daher problematisch, langfristige Behandlungsentscheidungen allein darauf zu stützen, ob MOG-IgG nach dem ersten Schub unter die Nachweisgrenze sinkt oder nicht. Wenn eine Langzeitbehandlung mit Immunsuppressiva oder oralen Steroiden aufgrund beobachteter Serokonversion (im Sinne eines Absinkens des MOG-IgG-Titers unter die Nachweisgrenze) beendet wird, wird eine strenge Überwachung des MOG-IgG-Serostatus des Patienten dringend empfohlen, um die Seronegativität auch im Langzeitverlauf zu bestätigen. Vor der Stellung der Diagnose einer „monophasischen MOG-EM“ und damit vor einer Entscheidung gegen eine Langzeitbehandlung sollte auch berücksichtigt werden, dass bei Patienten mit schubförmiger MOG-EM das Intervall zwischen erstem und zweitem Schub erheblich variiert und es in einigen Fällen erst nach mehreren Jahren zu einem zweiten Schub kommt [23].

Diagnosekriterien für die MOG-Enzephalomyelitis

In Hinblick auf künftige Studien sind diagnostische Kriterien für die MOG-EM wünschenswert. Es wurden jedoch bisher keine spezifischen klinischen oder radiologischen Befunde (mit Ausnahme der allgemeinen Anforderung einer demyelinisierenden ZNS-Läsion) identifiziert, die bei allen MOG-IgG-positiven Patienten vorliegen und somit eine diagnostische conditio sine qua non darstellen würden. Es wurden verschiedene MRT-Befundkonstellationen vorgeschlagen, die für eine MOG-EM typisch sein sollen; dies muss jedoch in unabhängigen und größeren Kohorten bestätigt werden [28, 30]. Wir schlagen vor, dass die MOG-EM vorerst bei allen Patienten diagnostiziert werden sollte, die alle der folgenden drei Kriterien erfüllen:

  1. 1.

    Monophasische oder rezidivierende akute ON, Myelitis, Hirnstammenzephalitis oder Enzephalitis oder eine Kombination dieser Syndrome

  2. 2.

    MRT- oder, nur bei Patienten mit isolierter ON, elektrophysiologische (visuell evozierte Potentiale) Befunde, die mit einer Demyelinisierung des ZNS kompatibel sind

  3. 3.

    Seropositivität für MOG-IgG, nachgewiesen mittels eines zellbasierten Assays unter Verwendung von humanem Volllängen-MOG als Zielantigen

Bei Patienten mit Befunden, die in Tab. 4 als „red flags“ ausgewiesen sind, und bei denen der positive MOG-IgG-Befund noch nicht mittels eines zweiten (und gegebenenfalls dritten) zellbasierten Assays bestätigt wurde, wird empfohlen, insbesondere im Kontext von Studien die Diagnose „mögliche MOG-EM“ zu stellen.

Limitationen und „caveats“

Alle hier vorgelegten Empfehlungen basieren notwendigerweise auf Expertenkonsens, da systematische und prospektive Studien bislang fehlen. Darüber hinaus soll als allgemeine Einschränkung betont werden, dass vor Diagnosestellung alle verfügbaren Informationen, einschließlich klinischer, radiologischer, elektrophysiologischer und Labordaten, berücksichtigt und Differenzialdiagnosen, von denen einige in Tab. 4 aufgeführt sind, unbedingt ausgeschlossen werden müssen. Die meisten Empfehlungen, die in einem früheren Konsensuspapier zur Differenzialdiagnose der MS [42] gegeben wurden, sind auch für die MOG-EM von Bedeutung.

Die hier vorgeschlagenen Kriterien können sicherlich dazu beitragen, pädiatrische Patienten mit einem hohen Risiko für eine MOG-IgG-assoziierte Erkrankung zu identifizieren, sie sind jedoch hauptsächlich für Erwachsene und Jugendliche konzipiert. Für die Testung auf MOG-IgG bei Kindern müssen keine so strengen Kriterien angelegt werden wie bei Erwachsenen, da MOG-IgG bei Kindern mit erworbener demyelinisierender Erkrankung viel häufiger (bis zu 70 %, je nach Alter) vorliegt als bei Erwachsenen (<1 % in westlichen Ländern; wahrscheinlich <5 % in Japan und anderen asiatischen Ländern wegen niedrigerer MS-Prävalenz). Folglich ist das Risiko eines ungünstigen Verhältnisses von FP- zu RP-Ergebnissen bei Kindern geringer. Während die ADEM die vorherrschende klinische Assoziation bei kleinen Kindern ist, gibt es bei älteren Kindern mit MOG-Antikörpern eine Verschiebung in Richtung Präsentation mit ON, Myelitis und/oder Hirnstammsymptomen [57].

Schlussfolgerung und Ausblick

In der vorliegenden Arbeit geben wir Empfehlungen zu möglichen Indikationen für die Testung von Patienten mit demyelinisierenden Erkrankungen des ZNS auf MOG-IgG und schlagen vorläufige Konsensuskriterien für die Diagnose der MOG-EM vor. Diagnostische und serologische Empfehlungen, wie die hier vorgelegten, sind angesichts der großen und stetig wachsenden Anzahl von Patienten, die gegenwärtig auf MOG-IgG getestet werden, und der damit verbundenen Risiken dringend erforderlich. Die Autoren sind sich jedoch bewusst, dass ihre Empfehlungen immer nur den aktuellen Wissensstand in einem sich entwickelnden Bereich widerspiegeln können und möglicherweise in der Zukunft angepasst werden müssen, wenn neue klinische und paraklinische Daten vorliegen und neuartige und optimierte Tests verfügbar werden.