Einleitung/Hintergrund

Die aromatische L‑Aminosäure-Decarboxylase (AADC; EC 4.1.1.28) katalysiert den letzten Schritt der Biosynthese der Monoaminneurotransmitter Serotonin und Dopamin. Der AADC-Mangel (OMIM 608643), infolge autosomal-rezessiv vererbter pathogener Varianten im DDC-Gen (7p12.2-p12.1, chr7[hg19]: 50,526,134–50,633,154), führt zu einer verminderten Verfügbarkeit von Serotonin und Dopamin in der Präsynapse und im synaptischen Spalt sowie zu einem sekundären Mangel an Katecholaminen (Abb. 1). Die Prävalenz der Erkrankung unterliegt regionalen Schwankungen [24]. In Taiwan liegt die Inzidenz aufgrund des Vorkommens einer häufigen „founder mutation“ (IVS6 + 4A>T) bei 1/32.000 [3]. In einer retrospektiven Analyse von 20.000 Liquorproben in den USA, die zur Abklärung neurologischer Symptome gewonnen wurden, konnte die Diagnose eines AADC-Mangels in 19 Fällen molekulargenetisch oder enzymatisch bestätigt werden. Die Autoren schätzten daher eine Prävalenz von ca. 1:900 in einer solchen Risikopopulation und gehen von einer hohen Dunkelziffer aus [11, 25].

Abb. 1
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Darstellung der Synthese, Freisetzung und Wirkung von Monoaminneurotransmittern. Dargestellt sind die Syntheseprozesse von Dopamin und Serotonin in präsynaptischen dopaminergen Neuronen, die Umwandlung in Adrenalin und Noradrenalin sowie die Wirkung der Neurotransmitter auf entsprechende Rezeptorfamilien. 3‑OMD 3-O-Methyldopa, 5‑HT 5-Hydroxytryptamin, 5‑HTP 5-Hydroxytryptophan, AADC aromatische L‑Aminosäure-Decarboxylase, Adr. Adrenalin, cAMP zyklisches Adenosinmonophosphat, COMT Catechyl-O-Methyltransferase, DBH Dopamin-ß-Hydroxylase, K+ Kalium, Na+ Natrium, Noradr. Noradrenalin, PNMT Phenylethanolamin-N-Methyltransferase, Trp Tryptophan, Tyr Tyrosin, VLA Vanillinlaktat, VMA Vanillinmandelsäure

Der AADC-Mangel ist charakterisiert durch eine globale Entwicklungsverzögerung und eine schwere extrapyramidal-motorische Bewegungsstörung mit Hypo- oder Akinesie, Dystonien und rumpfbetonter muskulärer Hypotonie. Typisch sind außerdem okulogyre Krisen, in denen unwillkürliche Augen(aufwärts)bewegungen auftreten, die von weiteren unwillkürlichen Bewegungen anderer Körperteile (Gesicht, Hals, Rumpf oder Extremitäten) begleitet werden können [19]. Die Auswertung des Patientenregisters der Internationalen Arbeitsgruppe für Neurotransmittererkrankungen (International Working Group on Neurotransmitter related Disorders, iNTD) [18] ergab bei den dort gelisteten Patienten mit AADC-Mangel ein mittleres Alter bei Diagnosestellung von ca. 3 Jahren und 4 Monaten. Das minimale Alter bei Diagnosestellung lag bei 28 Tagen und das maximale Alter bei 32 Jahren [8]. Das mittlere Alter bei Symptombeginn lag wiederum bei 2 Monaten (Spanne 0 bis 12 Monate). Somit liegt die Verzögerung der Diagnosestellung bei einer mittleren Dauer von 41 Monaten (Spanne 0 bis 386 Monaten). Diese Daten spiegeln die Spannbreite des phänotypischen Spektrums der Patienten mit AADC-Mangel sowie die diagnostischen Herausforderungen wider. Der Erfolg der konventionellen, medikamentösen Behandlung mittels Kombinationen aus Vitamin B6, Dopaminagonisten und Monoaminoxidaseinhibitoren ist besonders bei schweren Verläufen nur sehr limitiert [24].

Für seltene Erkrankungen werden zunehmend innovative Therapieformen wie Antisense-Oligonukleotide, „small molecules“ und sog. Arzneimittel für neuartige Therapien („advanced therapy medicinal products“, ATMP) zugelassen. Letztere umfassen rekombinante Nukleinsäuren, somatische Zelltherapeutika sowie biotechnologisch hergestellte Gewebe oder Gewebsprodukte [6, 21]. Diese verfügen zwar über ein hohes therapeutisches Potenzial, jedoch liegen zum Zeitpunkt der Zulassung meist nur wenige Daten zum Langzeitverlauf vor.

Gentherapeutika, insbesondere für angeborene, neurometabolische Erkrankungen, stellen häufig erstmals einen kausalen Therapieansatz dar. Aktuell gibt es fünf verschiedene Gentherapien mittels des adenoassoziierten Virus, die für die Vermarktung zugelassen und verfügbar sind: Luxturna® (erbliche Netzhautdegeneration), Zolgensma® (spinale Muskelatrophie), Yescarta® und Kymriah® (B-Zell-Lymphom/-ALL) sowie Strimvelis® (schwere kombinierte Immunschwäche, ADA-SCID) [16]. Durch die für 2021 zu erwartende europäische Marktzulassung eines rAAV2-hAADC-Vektors, bestehend aus einem adenoassoziierten Virus, Serotyp 2 (AAV2), mit dem komplementären menschlichen DDC-Gen steht auch für den AADC-Mangel erstmals eine kausale Therapie zur Verfügung.

Gentherapie für den AADC-Mangel

Im Zentralnervensystem (ZNS) erfolgt die Dopaminsynthese in dopaminergen Neuronen. Diese liegen regional sehr umschrieben in der Pars compacta der Substantia nigra (SNc). Sie senden lange Projektionsaxone an das Striatum der Basalganglien und versorgen dieses mit Dopamin. rAAV2-hAADC ist ein Genersatztherapeutikum auf Basis eines rekombinanten adenoassoziierten Serotyp-2-Vektors (rAAV2), welcher das humane DDC-Gen unter Kontrolle eines Zytomegalievirus(CMV)-Promoters kodiert. Dieser Vektor ist ein kleines (25 nm), nichtreplizierendes, nichtpathogenes, unbehandeltes Virus aus der Familie der Parvoviren, das sich primär über Heparinsulfatproteoglykanrezeptoren an Zellen anlagert und dann durch Endozytose internalisiert wird. Nach der Endozytose wird der Vektor in den Zellkern aufgenommen, in dem das Vektorgenom freigesetzt wird [15].

Die einmalige intrazerebrale Applikation von rAAV2-hAADC erfolgt im Rahmen einer stereotaktischen neurochirurgischen Operation mit bilateraler Platzierung zweier Kanülen in das Putamen oder die SNc. Durch schrittweise Retraktion der Applikationskanüle kann auf mehreren Ebenen eine weitgehend gleichmäßige Verteilung des Präparats sichergestellt werden. Nach Applikation erfolgt, wie oben beschrieben, die Internalisierung durch Endozytose. Mittels endosomal-lysosomaler Abbauprozesse wird das Viruskapsid entfernt und das Virusgenom, inklusive des DDC-Transgens, in den Zellkern transloziert. Dort persistiert das DDC-Transgen als ringförmiges extrachromosomales Episom (Abb. 2). Aus anderen (systemischen) Gentherapieansätzen ist bekannt, dass eine Integration in die Wirts-DNA theoretisch möglich ist und mit Risiken der onkogenen Transformation assoziiert wäre [4]. Inwiefern diese sog. insertionelle Mutagenese nach einer intrazerebralen Applikation von rAAV2-hAADC auftritt, ist noch unklar und kann nur durch eine systemische Langzeitverlaufsbeobachtung beurteilt werden.

Abb. 2
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Ablauf der Behandlung mit rAAV2-hAADC, z. B. Eladocagene exuparvovec (Upstaza®). Dargestellt sind der rekombinante adenoassoziierte Serotyp-2-Vektor (rAAV2-hAADC) unter Kontrolle des CMV-Promoters sowie die einzelnen Schritte, die zur Steigerung der AADC-Enzymaktivität führen. 5‑HTP 5-Hydroxytryptophan, AADC aromatische L‑Aminosäure-Decarboxylase, CMV IEP „cytomegalovirus immediate early promoter/enhancer“, HBG2/3 „human β‑Globin partial intron 2/partial exon 3“, ITR „inverted terminal repeat“

In einem Mausmodell konnte gezeigt werden, dass die adenovirale Transgenexpression zu einer Verlängerung des Überlebens und einer Steigerung der Verfügbarkeit von Dopamin und Serotonin führte [14]. Nachfolgend wurden Patienten mit Morbus Parkinson mittels rAAV2-hAADC therapiert, wobei der Vektor ebenfalls mittels stereotaktischer Operation direkt in das Putamen der Patienten injiziert wurde. Neben einer verstärkten, transienten Dyskinesie wurden keine Therapienebenwirkungen beschrieben. Die behandelten Patienten zeigten einen signifikanten Anstieg des AADC-spezifischen Markers „6-[18F]fluoro-L-m-tyrosine“ (FMT) in der PET-Untersuchung sowie eine klinische Verbesserung in den ersten 12 Monaten nach Therapie, ermittelt durch die Unified Parkinson’s Disease Rating Scale (UPDRS) [17].

Aus drei klinischen Studien (Phase I; Phasen I/II und IIb) mit insgesamt 26 pädiatrischen AADC-Patienten in Taiwan wurden die Ergebnisse von 21 Patienten zur Effizienz und von 26 Patienten (Altersmedian 40 Monate, Range 21–102) zur Sicherheit der Gentherapie publiziert [9, 10, 22]. Die Patienten erreichten nach Injektionen des Vektors in das Putamen im Verlauf von 12 Monaten signifikante Verbesserungen der motorischen Fähigkeiten (gemessen an einem Anstieg der Punktwerte der Alberta Infant Motor Scale [AIMS] und Peabody Developmental Motor Scale, second edition [PDMS-2]), eine Steigerung der kognitiven und sprachlichen Funktionen sowie eine deutliche Zunahme des Körpergewichts. Biochemisch konnte ein Anstieg des Homovanillinspiegels im Liquor (Anstieg des Mittelwertes um 25 nmol/l, p = 0,012) und eine mittels F‑DOPA-PET nachweisbar gesteigerte endogene Dopaminproduktion gezeigt werden [10]. Als häufigste unerwünschte Ereignisse waren (transiente) Dyskinesien nachweisbar, welche wahrscheinlich auf einer Überempfindlichkeit des dopaminergen Systems beruhen [10].

Kojima et al. führten mit der gleichen operativen Prozedur und dem gleichen Vektor in Japan eine offene Phase-I/II-Studie mit 6 Patienten (Altersmedian 11 Jahre, Range 4–19) durch [13]. Nach 2 Jahren zeigten alle Patienten deutliche Verbesserungen der motorischen Funktion, wobei ein Patient mit einem moderaten Krankheitsphänotyp besonders viele motorische Meilensteine erreichte.

Unter der Vorstellung, dass eine Injektion von rAAV2-hAADC direkt in die Umgebung der dopaminergen Neuronen von Vorteil ist, wurden die SNc und die ventrale tegmentale Zone (VTA) in einer weiteren Studie als Zielstruktur für die intrazerebrale Injektion gewählt. Diese Studie ist aktuell noch rekrutierend (ClinicalTrials.gov Identifier: NCT02852213, https://doi.org/10.21203/rs.3.rs-73870/v1), und eine Publikation zu Zwischenergebnissen befindet sich noch im Reviewprozess (https://www.researchsquare.com/article/rs-73870/v1.).

Zusammenfassend zeigen die Studienergebnisse auch bei bereits älteren Patienten motorische sowie kognitive Verbesserungen. Es ist jedoch unklar, wie lange der therapeutische Effekt anhält und welcher der beiden Ansätze bezüglich der Sicherheit, aber auch v. a. bezüglich der Effektivität für die Patienten von Vorteil ist.

Im Januar hat 2020 hat PTC Therapeutics, Inc. mit den Daten der taiwanesischen Phase-I/II-Studien bei der Europäischen Arzneimittel-Agentur (EMA) einen Antrag auf Marktzulassung von Eladocagene exuparvovec (geplanter Handelsname nach Zulassung Upstaza®) für die intraputaminale Applikation gestellt [20]. Der Antrag bei der Food and Drug Administration (FDA), der amerikanischen Zulassungsbehörde, soll 2021 folgen. Eine erste Stellungnahme der EMA wird im noch in diesem Jahr erwartet.

Die Indikationsstellung, die Applikation und die Nachsorge bei dieser neuartigen Therapie bei schwer neurologisch beeinträchtigten, chronisch kranken Kindern erfordern ein multidisziplinäres Team, bestehend aus Neuropädiatern, Stoffwechselmedizinern, Neurochirurgen, Neuroradiologen, Anästhesisten, Apothekern und pädiatrischen Intensivmedizinern, in einem in den entsprechenden Bereichen erfahrenen Zentrum. Für die vergleichbar neuartige Behandlung der spinalen Muskelatrophie mit Onasemnogen-Abeparvovec (Handelsname: Zolgensma®) wurden kürzlich eine mindestens 12-monatige Anbindung an ein spezialisiertes Behandlungszentrum zur Durchführung poststationärer Kontrollen sowie eine Langzeitnachsorge von 15 Jahren nach Verabreichung empfohlen [26].

Die vorliegende Stellungnahme fasst die strukturell notwendigen Voraussetzungen für eine sichere Anwendung von Eladocagene exuparvovec zusammen, stellt den erforderlichen personellen, zeitlichen und finanziellen Aufwand dar und schlägt fachübergreifende Qualitätskriterien vor.

Definition eines Therapiezentrums/Konsensbildung

Anhand der publizierten Studien wurden die für die sichere Anwendung von Eladocagene exuparvovec notwendigen Fachdisziplinen identifiziert. Während eines ersten Treffens am 02.11.2020 wurden durch Vertreter der verschiedenen Fachdisziplinen am Universitätsklinikum Heidelberg (repräsentiert in der Autorenliste) die Anforderungen entwickelt, die ein Behandlungszentrum erfüllen sollte, um sich für die intrazerebrale Therapie mit Eladocagene exuparvovec zu qualifizieren. Nachfolgend wurde ein vorläufiger Manuskriptentwurf an alle Teilnehmer des ersten Treffens zur Durchsicht versandt. Rückmeldungen bis zum 23.11.2020 wurden in den Text implementiert. Das Dokument wurde dann am 15.12.2020 an Vertreter der Gesellschaft für Neuropädiatrie (GNP, vertreten durch die Vorsitzende Univ.-Prof. Ulrike Schara-Schmidt), den Vorstand der Arbeitsgemeinschaft pädiatrischer Stoffwechselstörungen (APS), die Deutsche Gesellschaft für Neurochirurgie (DGNC, vertreten durch den Vorsitzenden Univ.-Prof. Roland Goldbrunner) und die Task Force „Arzneimittel für neuartige Therapien“ der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ, vertreten durch die Sprecher der Task Force, Univ.-Prof. Ulrike Schara-Schmidt und Univ.-Prof. Wolfgang Rascher) mit der Bitte um Prüfung verschickt. Alle Rückmeldungen bis zum 10.01.2021 wurden in das finale Dokument implementiert, und dieses vor der Einreichung zur Publikation an alle federführenden Autoren zur Freigabe zirkuliert.

Strukturelle und personelle Anforderungen an ein Therapiezentrum

Bei den betroffenen Patienten mit AADC-Mangel handelt es sich um schwer chronisch kranke Patienten, die von einer sehr seltenen Erkrankung betroffen sind. Das detaillierte Wissen zu diesen Erkrankungen und der komplexen medikamentösen Therapie kann zwangsläufig nur in großen, meist universitären Zentren gebündelt werden. Daher ist zu fordern, dass die Indikationsstellung für die Therapie von Ärzten mit besonderen Kenntnissen zu neurometabolischen Erkrankungen vorgenommen wird, die in der klinischen Präsentation, der Diagnosestellung und der konventionellen Therapie des AADC-Mangels erfahren sind.

Die Versorgung der Patienten vor, während und nach der intrazerebralen Applikation des Produktes erfordert die Zusammenarbeit folgender Fachdisziplinen: Neuropädiatrie, Stoffwechselmedizin, Neurochirurgie, Neuroradiologie, Anästhesie, (Klinik‑)Apotheke, Physiotherapie und pädiatrische Intensivmedizin. Somit erfordert diese Therapie ein speziell geschultes multidisziplinäres Behandlungszentrum und für jede der beteiligten Disziplinen klare Handlungsanleitungen („standard operating procedures“; SOP), die die klinische, apparative und laborchemische Diagnostik sowie ambulante und stationäre Überwachung regeln.

Die Planung und die Vorbereitung erfordern eine genaue, schriftliche Dokumentation des bisherigen Krankheitsverlaufs aus pädiatrischer und physiotherapeutischer Sicht sowie eine Zusammenfassung der bisherigen medikamentösen Behandlungen, inkl. deren Wirkungen auf die Symptomatik des Patienten. Die Physiotherapeuten sollten in der Durchführung standardisierter Motoriktests (z. B. GMFM-88) geschult sein und praktische Expertise in der Anwendung der Testverfahren vorweisen können.

Eine rechtzeitige Einbindung der Kinderneurochirurgie und Anästhesie zur gemeinsamen Planung des operativen Vorgehens ist, auch im Hinblick auf krankheitsbedingten Risiken einer Operation und Narkose, erforderlich [12, 23, 24].

Das Zentrum sollte über eine eigene Krankenhausapotheke verfügen, die in den Prozess der Applikationsplanung frühzeitig eingebunden werden muss, um die Vorbereitung des Produktes sowie die termingerechte Lieferung an den Applikationsort (Operationssaal) zu gewährleisten. Die lokale Apotheke muss bestimmte infrastrukturelle Voraussetzungen, wie z. B. einen separaten Raum zur Herstellung/Rekonstitution von ATMP (unter Beachtung der biologischen Schutzstufe 1 [„biosafety level 1“, BSL] nach EU-Richtlinie 2000/54/EG und der Biostoffverordnung), erfüllen [5].

Der stationären sowie ambulanten Versorgung nach der Applikation von Eladocagene exuparvovec kommt eine entscheidende Rolle zu. Die bisherigen Studienergebnisse haben gezeigt, dass mit verzögerten Komplikationen mit teils transienten, jedoch teils auch persistierenden Hyperkinesien zu rechnen ist, die eine intensive Überwachung und Behandlung erforderlich machen. Schließlich müssen die Anforderungen an die Nachbetreuung, einschließlich deren Finanzierung, geregelt sein. Die Empfehlungen für die fachlichen, infrastrukturellen und personellen Voraussetzungen für die einzelnen beteiligten Disziplinen stellt Tab. 1 zusammen.

Tab. 1 Konsensusempfehlungen für die fachlichen, organisatorischen, infrastrukturellen und personellen Voraussetzungen der Gentherapiebehandlungszentren in Deutschland

Die Nachsorge von Patienten mit seltenen Krankheiten nach Gentherapie soll zu einer wissensgenerierenden Versorgung beitragen [7]. Dazu sind der Zeitpunkt und der Umfang der routinemäßig durchzuführenden Nachsorge in einem patientenbezogenen Nachsorgeplan verbindlich festzulegen. Hierzu zählen auch die Zusammenarbeit und die regelmäßigen Informationspflichten der Nachsorge mit den nachbehandelnden Einrichtungen.

Der Verlauf von mit Eladocagene exuparvovec behandelten Patienten sollte einheitlich und strukturiert in einem industrieunabhängigen Patientenregister dokumentiert werden. Als Grundlage hierfür kann das Register der iNTD fungieren, welches bereits seit 2013 Daten von Patienten mit Neurotransmitterstörungen aus 42 Zentren in 26 Ländern erfasst und den natürlichen Verlauf, die Epidemiologie, die Genotyp/Phänotyp-Korrelationen und die klinischen Ergebnisse verschiedener therapeutischer Strategien in einer Langzeitstudie auswertbar macht.

Praktische Durchführung

Vorbereitung/prästationäre Phase (Aufklärung, Planung und Beratung)

Aufgrund des breiten phänotypischen Spektrums der AADC-Patienten kommt der Indikationsstellung zur intrazerebralen Gentherapie besondere Bedeutung zu. Die Indikation muss von einem Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin mit Schwerpunkt Neuropädiatrie und mehrjähriger Erfahrung in der Betreuung von Kindern und Jugendlichen mit neurometabolischen Erkrankungen und seltenen Bewegungsstörungen gestellt werden. Als diagnosesichernd müssen mindestens 2 von den folgenden 3 Kriterien erfüllt sein [24]:

  1. 1.

    Liquor-Neurotransmitter-Profil mit auffälligen Konzentrationen von: HVA ↓ und 5‑HIAA ↓ sowie 3‑OMD ↑ (Referenzwerte altersabhängig nach Labor),

  2. 2.

    Plasma-AADC-Aktivität ≤5 pmol/ml Min,

  3. 3.

    Nachweis pathogener homozygoter oder compound-heterozygoter Varianten im DDC-Gen.

Eine Pilotstudie evaluiert aktuell den Nutzen von 3‑OMD im Trockenblut als diagnostischen Marker für das Neugeborenenscreening [2]. Alternative Diagnosemöglichkeiten (z. B. VLA/VMA-Quotient im Urin) können ergänzend genutzt werden, sind aber nicht zwingend zur Diagnosesicherung notwendig [1].

Den Behandlungsalgorithmus für die prästationäre, stationäre und poststationäre Versorgung im Rahmen der Therapie mit Eladocagene exuparvovec fasst Abb. 3 zusammen.

Abb. 3
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Vorlage: Behandlungsalgorithmus für die Gentherapie mit Eladocagene exuparvovec (Upstaza®). Dargestellt sind die vorgeschlagenen Zeitintervalle und Untersuchungen vor, während und nach Gabe des Präparats. AAV2-AK adenoassoziierter Virus-Typ-2-Antikörper, BGA Blutgasanalyse, CSF Liquor, CT Computertomographie, iNTD Internationale Arbeitsgruppe für Neurotransmitteerkrankungen, M Monat, MRT Magnetresonanztomographie, T Tag, TB Trockenblut, U Urin

*Zwingend empfohlene initiale postoperative Überwachung auf der Intensivstation. Im Verlauf Überwachung auf der Normalstation möglich. Dauer der intensivmedizinischen und stationären Überwachung abhängig von der klinischen Präsentation (z. B. Hyperkinesien, postoperative Komplikationen); +Zwischen den Visiten M1 und M3 finden wöchentliche (telefonische) Konsultationen statt, um postoperativ auftretende Dyskinesien frühzeitig erkennen zu können; **Planungs-MRT des Schädels und Abgleich mit stereotaktischem CCT; alternatives stereotaktisches, intraoperatives Planungs-MRT. Wenn bereits eine kraniale Bildgebung vorliegt, sollte diese vorgelegt werden; aSofern nicht vorliegend; b3‑OMD im Trockenblut; organische Säuren im Urin; c Biogene Amine, 5‑Methyltetrahydrofolat (5-MTHF) und Pterine im Liquor; dPräoperative Diagnostik: Blutbild, Transaminasen (GOT, GPT), Kreatinin, Gerinnungsdiagnostik (Quick-Wert, pTT), Kreuzblut, Elektrolyte (Na, K, Ca), BGA; eAusschluss bei AAV2-Titer ≥1:1200; fIdealerweise intraoperative Bildgebung mittels Schädel-MRT zum Ausschluss von Blutung und Schlaganfall. Wenn kein intraoperatives MRT verfügbar, Schädel-MRT nach 48 Stunden und ggf. weitere Schädelbildgebung im Verlauf, abhängig von klinischer Symptomatik; g Optional; hPhysiotherapeutische Befunderhebung, inkl. GMFM-88-Erhebung und Videodokumentation; Klärung des postoperativen ambulanten Physiotherapiebedarfs, Hilfsmittelversorgung etc.; iPsychologische Untersuchungen nach Möglichkeit, Entwicklungsalter mittels Peabody Developmental Motor Scale, 2. edition (PDMS-2) oder Bayley Scales of Infant Development, 3. edition, zusätzlich Beurteilung der Einschränkung mittels Pediatric Evaluation of Disability Inventory (PEDI); Verhaltensanalyse mittels Vineland Adaptive Behavior Scale/Patient’s Global Impression of Change (PGI-C); und Lebensqualitätfragebogen Pediatric Quality of Life Inventory (PedsQL); mKontraindikationen sind v. a. Gerinnungsneigung, ein AAV2-Titer ≥1:1200 und strukturelle Hirnveränderungen, die das operative Vorgehen unmöglich machen

Nach biochemischer und/oder genetischer Diagnosestellung sollte die erste Vorstellung in einem (universitären) Zentrum für ein ambulantes Beratungsgespräch erfolgen (Pre-Screen, ca. 3 Monate vor der Operation). Die Behandlungszentren halten entsprechende Ressourcen vor, um neu diagnostizierte Patienten mit AADC-Mangel innerhalb von 4 Wochen nach der Kontaktaufnahme einen Vorstellungstermin im Zentrum anbieten zu können. In diesem Gespräch werden im Detail das Krankheitsbild AADC-Mangel und die zur Verfügung stehenden Therapiemöglichkeiten dargestellt. Neben einer ausführlichen und standardisierten Anamneseerhebung erfolgt eine Symptomdokumentation mittels eines Fragebogens. Sollte bis zu diesem Zeitpunkt noch keine molekulargenetische Bestätigung der Diagnose durchgeführt worden sein, wird diese veranlasst. Bei zutreffender Indikationsstellung sowie der Zustimmung der Sorgeberechtigten für eine Behandlung mit Eladocagene exuparvovec wird anhand der erhobenen Daten ein Antrag auf Kostenübernahme beim zuständigen Kostenträger gestellt.

Nach Zusicherung der Kostenübernahme durch die Kostenträger erfolgt ein (teil-)stationärer Klinikaufenthalt (15 bis 30 Tage vor der Operation). Dieser dient der detaillierten Evaluation des Patienten aus (neuro-)pädiatrischer, metabolischer, neurochirurgischer und physiotherapeutischer Sicht und beinhaltet folgende Kernpunkte (Details: Abb. 3):

  • Anamnese und körperliche Untersuchung sowie Erstkontakt zur Neurochirurgie: Mitbeurteilung der prinzipiellen Operationsfähigkeit (in den bisherigen Studien wurden nur Kinder älter als 2 Jahre mittels einer intrazerebralen Gentherapie behandelt, da für Kinder <2 Jahre möglicherweise ein erhöhtes Risiko im Zusammenhang mit der Schädelfixierung während der neurochirurgischen Prozedur besteht);

  • Aufklärung und Einschluss in das (iNTD-)Patientenregister (sofern noch nicht erfolgt);

  • metabolische Laboruntersuchung und Bestimmung des Titers der neutralisierenden Antikörper gegen AAV2 (Abb. 3);

  • Erhebung des Impfstatus: Impfungen sollten für Patient und Bezugspersonen nach den aktuellen Empfehlungen der STIKO sowie nach saisonalen Empfehlungen bis max. 2 Wochen vor der Operation durchgeführt werden. Die vorgeschlagenen Sicherheitsabstände für Impfungen im Anschluss an die Gentherapie sollten der deutschen Fachinformation des Herstellers entnommen werden;

  • Bestellung des Präparats durch die Klinikapotheke. Details und Empfehlungen für den Bestellprozess und die Lieferfristen werden vorab beim Hersteller abgefragt;

  • Planungs-MRT des Schädels (alternativ stereotaktisches Planungs-MRT intraoperativ);

  • optional: F‑DOPA-PET-Scan/DAT-SPECT-Scan;

  • motorische und entwicklungsneurologische Einschätzung des Patienten entsprechend den Angaben in Abb. 3;

  • Sozialberatung (Feststellung des Bedarfs an sozialsichernden Maßnahmen, Hilfestellung hinsichtlich Planung der Durchführung und Nachsorge).

Es wird empfohlen, dass die weitere Planung am Zentrum durch ein professionelles Case-Management umgesetzt wird. Die Eltern sollten einen verlässlichen Ansprechpartner zur Koordination der anstehenden Termine und der multiprofessionellen Betreuung haben. Die Terminplanung muss für alle Beteiligten transparent ersichtlich sein.

Stationäre Phase (Operation, Durchführung der Therapie mit Eladocagene exuparvovec)

Dieser Behandlungsteil folgt einer klaren und regelmäßig zu aktualisierenden Standardarbeitsanweisung (SOP) im Behandlungszentrum. Zur Durchführung der Operation und Applikation von Eladocagene exuparvovec erfolgt die stationäre Aufnahme im Behandlungszentrum mindestens 24 h vor der Operation zur Sicherstellung der aktuellen Operationsfähigkeit des Patienten. Die Unterbringung des Patienten soll in einem Einzelzimmer ohne räumlichen Kontakt zu anderen Gentherapiepatienten erfolgen (biologische Schutzstufe 1).

Tag 1 des stationären Aufenthalts

Dieser umfasst die Aufklärung der Sorgeberechtigten/des Patienten über das anästhesiologische Vorgehen und das operative Prozedere sowie die Durchführung der präoperativen Blutentnahmen. Im Rahmen der präoperativen Blutentnahme (Abb. 3) erfolgt die Anlage eines peripheren Venenverweilkatheters. Über diesen erfolgt ab dem Vorabend des Eingriffs die parenterale Hydratation mit einer gewichts- und altersadaptierten 10 %-Glucose-Elektrolyt-Lösung. Es sollten Blutzuckerkontrollen in regelmäßigen Abständen erfolgen (Cave: krankheitsbedingte Hypoglykämiegefahr während der perioperativen Nüchternzeit). Die jeweilige Standardmedikation des Patienten sollte bis zur präoperativen Nüchternphase fortgesetzt werden und postoperativ so schnell wie möglich wieder begonnen werden.

Ab Tag 2 des stationären Aufenthalts

Die Zubereitung von Eladocagene exuparvovec erfolgt in der Klinikapotheke entsprechend den Vorgaben des Herstellers. Das Präparat wird in der Klinikapotheke bei mindestens −60 °C gelagert und erst kurz vor der Applikation aufgetaut und für die Verwendung in einem Biosafety-level-1-qualifizierten Raum zubereitet. Der Transport des Präparats erfolgt unmittelbar in den neurochirurgischen Operationssaal. Die Übergabe des Präparats an den Operateur ist zu dokumentieren. Der Zeitraum zwischen dem Auftauen und der Applikation von Eladocagene exuparvovec darf 6 Stunden nicht überschreiten (weitere Informationen sind der Fachinformation zu entnehmen). Anschließend erfolgen die neurochirurgische Operation am stereotaktischen CT/MRT und die Applikation von Eladocagene exuparvovec. Hierfür wird eine SmartFlow®-Kanüle MRT-gestützt in das Putamen eingebracht und das Produkt unter schrittweisem Rückzug der Kanüle appliziert. Nach Entfernen der SmartFlow®-Kanüle erfolgt ein intraoperatives oder auch postoperatives MRT zum Ausschluss etwaiger Komplikationen wie Blutungen oder Ischämien. Die Entsorgung der mit dem Präparat in Berührung gekommenen Gerätschaften muss unter Einhaltung der geltenden Entsorgungsstandards erfolgen.

Postoperativ wird der Patient auf eine pädiatrische Intensivstation übernommen (Cave: krankheitsbedingte Gefahr von akuter krisenhafter neurologischer Verschlechterung, Hypoglykämie und plötzlichem Herztod). Eine frühzeitige Extubation des Patienten wird angestrebt. Zu achten ist auf jegliche Anzeichen einer akuten Verschlechterung des Allgemeinzustands, welche auf das Vorliegen einer Blutung, Ischämie oder anderweitigen Komplikation des neurochirurgischen Eingriffs schließen lassen und entsprechende Diagnostik erforderlich machen würden. Abhängig vom postoperativen Verlauf und dem klinischen Allgemeinzustand erfolgt frühestens am 3. postoperativen Tag die Verlegung auf eine periphere oder Intermediate-Care(IMC)-Station. Dort legt ein interdisziplinäres Team aus Neuropädiatern, Neurochirurgen und anderen notwendigen Fachdisziplinen die Dauer der stationären Überwachung fest und plant die ambulante Nachsorge.

Poststationäre Phase (ambulante Nachsorge und Verlaufskontrollen)

Aufgrund der erwarteten Steigerung der endogenen Dopaminproduktion ist im postoperativen Zeitraum von mindestens 2 bis 6 Wochen mit dem Auftreten von (transienten) Dyskinesien/Hyperkinesien zu rechnen. Daher sind eine engmaschige Rücksprache sowie eine 24-stündige Erreichbarkeit eines mit der Behandlung von Patienten mit akuten Dystonien/dystonen Krisen und Hyperkinesen vertrauten Facharztes des Behandlungszentrums zu gewährleisten. Wenngleich die Phasen in den bisherigen Studien transient waren, kann es notwendig werden, den Patienten erneut (intensiv-)medizinisch zu betreuen.

Nach der Entlassung aus der Behandlungseinrichtung findet die ambulante Nachsorge bis zu 2 Jahre nach der Therapie nur in der Behandlungseinrichtung statt, in der die Therapieentscheidung für die Anwendung von Eladocagene exuparvovec erfolgt (Abb. 3). Nach 24 Monaten sollte eine Beurteilung des Behandlungsverlaufs im Rahmen eines erneuten stationären Aufenthalts erfolgen. Sämtliche postoperativen Visiten sollten standardisiert in einem industrieunabhängigen Register dokumentiert werden.

Die detaillierte Nachsorge der Therapie mit Eladocagene exuparvovec sollte für 15 Jahre mindestens einmal pro Jahr wie oben beschrieben erfolgen, um den langfristigen Effekt und die Sicherheit wissenschaftlich zu dokumentieren.

Fazit für die Praxis

Nach der für Mitte 2021 erwarteten Zulassung von Eladocagene exuparvovec stellt das Präparat die erste zugelassene intrazerebrale Gentherapie für Patienten im Kindes- und Jugendalter dar. Die intrazerebrale Applikation, die bisher als einmalige Gabe konzipiert ist, erfordert die prästationäre, stationäre und poststationäre Betreuung und Evaluation durch ein multiprofessionelles Team in einem spezialisierten Therapiezentrum, das spezifische strukturelle und personelle Voraussetzungen für eine sichere Durchführung der Therapie erfüllt. Die vorliegende Stellungnahme stellt die Empfehlungen für diese Voraussetzungen zum Stand heute und nach Vorlage bei den beteiligen Fachgesellschaften noch vor der Zulassung von Eladocagene exuparvovec zusammen. Nach der Zulassung des Präparats sollte diese Stellungnahme in regelmäßigen Abständen überprüft und aktualisiert werden. Die vom Gemeinsamen Bundesausschuss festgelegten Qualitätskriterien zur Behandlung mit dieser neuartigen Therapie sind bei der Revision mitzubeachten. Es ist zu erwarten, dass nach erfolgreicher Zulassung von Eladocagene exuparvovec für die Behandlung des AADC-Mangels eine Indikationserweiterung auf Erkrankungen mit größeren Patientenzahlen, wie z. B. das Parkinson-Syndrom, angestrebt wird. Für diese Indikationen kann die vorliegende Stellungnahme als Vorlage dienen.