Einleitung

Die NAKO Gesundheitsstudie ist die bislang größte populationsbezogene, prospektive Kohortenstudie in Deutschland. Basierend auf Zufallsstichproben der Einwohnermeldeämter in 18 Studienregionen nahmen zwischen 2014 und 2019 mehr als 205.000 Erwachsene im Alter von 20–69 Jahren an der Basisuntersuchung teil. Sie werden im Abstand von etwa vier Jahren erneut zur Untersuchung eingeladen und über mehrere Jahrzehnte hinsichtlich des Auftretens von Erkrankungen weiter beobachtet. Für eine genauere Beschreibung des Studiendesigns sei auf [1,2,3] verwiesen.

Die NAKO Gesundheitsstudie hat primär die Erforschung der häufigen Volkskrankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes, Krebs, neurologischer und psychiatrischer Erkrankungen sowie häufiger Atemwegs- und Infektionserkrankungen einschließlich Parodontalerkrankungen zum Ziel. Dabei interessiert insbesondere die Entwicklung dieser Krankheiten und welche Rolle genetische und epigenetische Faktoren, Stoffwechsel, aber auch modifizierbare Faktoren wie Umwelteinflüsse oder der Lebensstil bei deren Entstehung spielen. Darüber hinaus sollen subklinische Veränderungen identifiziert werden, um bereits Vorstadien dieser Erkrankungen erkennen zu können. Damit wird es möglich, frühzeitig geeignete Präventionsmaßnahmen zu ergreifen sowie innovative Screeningmethoden und neue Ansätze für eine personalisierte Medizin zu entwickeln.

Um das komplexe Zusammenspiel der verschiedenen Faktoren bei der Entstehung von Krankheiten erfassen zu können, wurde für die NAKO Gesundheitsstudie zur Phänotypisierung (Charakterisierung) der Studienteilnehmer ein umfangreiches, modulares Untersuchungsprogramm zusammengestellt. Dieses besteht aus einem Kernprogramm, ergänzt um weitere umfassendere Untersuchungen, die zufällig ausgewählten Subgruppen von mindestens 20 % der Probanden angeboten werden (siehe dazu auch [4]). Neben der tiefen Phänotypisierung ist eine weitere Besonderheit dieser Kohortenstudie die wiederholte Durchführung des Untersuchungsprogramms, wodurch sich insbesondere die Dynamik physiologischer Veränderungen des individuellen Gesundheitszustands abbilden lässt und der prognostische Wert dieser Veränderungen für die Krankheitsentstehung untersucht werden kann. Zu diesem Zweck werden wiederholt Bioproben gewonnen (z. B. Urin, Stuhl, Schleimhautabstriche, Blut) und funktionelle Messungen (z. B. Pulswellengeschwindigkeit) sowie moderne bildgebende Verfahren (z. B. Ganzkörpermagnetresonanztomographie [MRT]) zu verschiedenen Untersuchungszeitpunkten durchgeführt. Zwischen diesen Untersuchungszeitpunkten werden die Teilnehmer postalisch darum gebeten, einen Fragebogen zu neu aufgetretenen Erkrankungen zu beantworten. Zusätzlich zu diesen Selbstangaben werden die Studienteilnehmer bereits bei der Basisuntersuchung um die Einwilligung gebeten, ihre Angaben mit den über sie bei Krankenkassen und Krebsregistern gespeicherten Daten zu verknüpfen [5]. Die Verknüpfung mit diesen Daten dient sowohl dazu, einen Reportingbias weitgehend auszuschließen, als auch dazu, die Selbstangaben durch zusätzliche Informationen zu ergänzen. Darüber hinaus werden Informationen von Hausärzten, Fachärzten und Kliniken eingeholt, um die selbst berichteten inzidenten Ereignisse zu validieren.

Alle Studienteilnehmer wurden ausführlich aufgeklärt und haben schriftlich ihr informiertes Einverständnis zur Studienteilnahme gegeben. Das Untersuchungsprogramm wurde eng mit den zuständigen Ethikkommissionen abgestimmt und im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) unter Einhaltung der Regeln der Guten Epidemiologischen Praxis durchgeführt.

Dieser Beitrag fokussiert auf die verschiedenen, in der NAKO Gesundheitsstudie erhobenen gesundheitlichen Endpunkte und auf die Instrumente und Untersuchungsmodule, die zu deren Erfassung eingesetzt werden.

Krankheitsgruppen und deren jeweilige Untersuchungsmodule

Der Stichprobenumfang der NAKO Gesundheitsstudie wurde so gewählt, dass damit schon in einem relativ kurzen Zeitraum von zehn Jahren eine ausreichend große Anzahl an Neuerkrankungen der häufigen chronischen Erkrankungen beobachtet werden kann, sodass statistisch abgesicherte Aussagen zu Risikofaktoren getroffen werden können. So werden bei 200.000 Studienteilnehmenden in einem 10-Jahres-Zeitraum ca. je 1000 Fälle an Brustkrebs, Prostatakrebs und Darmkrebs, bis zu 5800 Herzinfarkte, 4300 Schlaganfälle und bis zu 19.000 Neuerkrankungen an Diabetes erwartet. Eine ausführliche Darstellung zu den verschiedenen Fallzahlbestimmungen und zu den jeweiligen Krankheitsgruppen findet sich in [6].

Im Vorfeld der Studie wurden thematische Arbeitsgruppen eingerichtet, die unter Sichtung der existierenden Literatur und in Abgleich mit anderen großen Kohortenstudien, wie etwa der britischen „UK Biobank“ [7] und der französischen Studie CONSTANCES [8], die Erhebungsmodule entwickelt haben. Diese wurden anschließend hinsichtlich Machbarkeit, Validität und Reliabilität in zahlreichen Pilotstudien überprüft [9], bevor sie in das finale Untersuchungsprogramm übernommen wurden.

Kardiovaskuläre Erkrankungen

Die wichtigsten kardiovaskulären Erkrankungen sind koronare Herzkrankheit (KHK)/Herzinfarkt, Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern und Schlaganfall. Die Inzidenz von Herzinfarkten in Deutschland wurde für den Zeitraum 2005–2015 auf 335 pro 100.000 Personenjahre geschätzt [10]. Obwohl bereits zahlreiche Risikofaktoren identifiziert wurden, besteht weiterer Forschungsbedarf, um das Zusammenwirken und den quantitativen Beitrag der verschiedenen Risikofaktoren zu ermitteln und eine präzisere Vorhersage zu ermöglichen. Herzinsuffizienz ist eine der häufigsten Formen kardiovaskulärer Erkrankungen, mit einer Prävalenz von 7 % bei 75- bis 84-Jährigen [11] und einem Lebenszeitrisiko von 20 % ab dem Alter von 40 Jahren [11]. Ein detaillierteres Verständnis der Entstehung und der Progression der Herzinsuffizienz ist erforderlich, insbesondere hinsichtlich der Unterschiede zwischen einer systolischen und einer diastolischen Herzinsuffizienz, die möglicherweise auf unterschiedliche pathophysiologische Weise entstehen und daher evtl. auch unterschiedliche Präventionsansätze erfordern. Vorhofflimmern ist die häufigste Form der Herzrhythmusstörungen; die Hospitalisierungsrate stieg in Deutschland von 2005–2014 um fast 80 % an [12]. Das Vorhofflimmern nimmt stark mit dem Alter zu und ist mit einem Lebenszeitrisiko von 25 % ab dem Alter von 40 Jahren verbunden [13]. Es sind zwar einige klinische Risikofaktoren für das Vorhofflimmern bekannt, aber über damit assoziierte genetische oder Lebensstilfaktoren wissen wir genauso wenig wie über die Faktoren, die eine Progression vom paroxysmalen zum persistenten Vorhofflimmern begünstigen [14]. Schlaganfälle, die als zerebrovaskuläre Erkrankungen zu den kardiovaskulären Erkrankungen zählen, werden wegen der resultierenden neurologischen Störungen weiter unten bei den neurologischen Erkrankungen beschrieben.

Die Erfassung kardiovaskulärer Erkrankungen und des kardiovaskulären Status erfolgen bei der Basis- und den Folgeuntersuchungen neben den Selbstangaben zur medizinischen Vorgeschichte über die periphere Blutdruckmessung, ein Elektrokardiogramm (EKG; KHK, Vorhofflimmern, weitere elektrophysiologische Funktionsstörungen), eine 3‑D-Echokardiographie (diastolische und systolische Dysfunktion, Herzinsuffizienz, Herzklappenerkrankungen) und den Vascular Explorer (periphere arterielle Verschlusskrankheit, arterielle Steifigkeit, erhöhter zentraler Blutdruck). Darüber hinaus werden in Subgruppen noch eine kardiale Magnetresonanztomographie (Herz-MRT; Herzinsuffizienz) und ein Langzeit-EKG (Vorhofflimmern) durchgeführt. Mittels einer submaximalen Ergometrie wird bei einer Subgruppe der Teilnehmer die kardiorespiratorische Fitness als einer der wichtigsten Prädiktoren kardiovaskulärer Mortalität erfasst.

Diabetes mellitus

Die International Diabetes Federation (IDF; [15]) schätzt die Prävalenz von Diabetes 2019 weltweit auf ca. 463 Mio. im Alter von 20–79 Jahren. In Deutschland wird für 2010 die Prävalenz für einen bekannten Diabetes auf 7,2 % und für einen noch unerkannten Diabetes auf 2,0 % in der 18- bis 79-jährigen Bevölkerung geschätzt [16]. Den größten Anteil macht der Typ-2-Diabetes aus: Von 2015 (6,9 Mio.) wird bis 2040 ein Anstieg um 21 % auf ca. 8,3 Mio. prognostiziert. Diese Zahl könnte unter realistischen Szenarien wie etwa einer reduzierten Mortalitätsrate sogar auf 10,7–12,3 Mio. Typ-2-Diabetiker ansteigen [17]. Die bekannten Hauptrisikofaktoren für Typ-2-Diabetes sind extremes Übergewicht, Bewegungsmangel und eine ungesunde Ernährung. Zudem scheint eine starke Assoziation mit Parodontalerkrankungen vorzuliegen [18]. In Interventionsstudien konnte gezeigt werden, dass in Hochrisikogruppen mit gestörter Glukosetoleranz die Entwicklung eines Typ-2-Diabetes durch Lebensstilinterventionen (z. B. Gewichtsreduktion, Ernährungsumstellung, mehr Bewegung) oder durch medikamentöse Behandlung mit z. B. Metformin reduziert werden kann (siehe z. B. [19,20,21]). Dabei bleibt eine der großen Herausforderungen, die beste Strategie zu finden, um Hochrisikogruppen bzw. die Personengruppen zu identifizieren, die am meisten von Präventionsmaßnahmen profitieren würden.

Auch der Diabetes mellitus wird bei und zwischen den Untersuchungen über Fragebögen erfasst und in einer Subgruppe mittels eines oralen Glukosetoleranztests (oGTT) festgestellt. Aufgrund der niedrigen Inzidenz des Typ-1-Diabetes und des Gestationsdiabetes sind für diese keine getrennten Analysen geplant. Durch die mehrfach gewonnenen Blutproben und Blutmarker wie HbA1c (Glykohämoglobin) wird es aber möglich sein, zwischen den verschiedenen Typen zu unterscheiden und inzidente Fälle zu identifizieren. Darüber hinaus wird mittels des AGE-Readers der Gehalt an glykosylierten Endprodukten („advanced glycation endproducts“) in der Haut gemessen, um deren Zusammenhang mit der Entstehung des Diabetes mellitus und seinen Folgen zu untersuchen.

Krebserkrankungen

Laut Todesursachenstatistik wurden in Deutschland im Jahr 2017 insgesamt 932.272 Todesfälle gezählt, von denen 37 % auf Herz-Kreislauf-Erkrankungen zurückzuführen sind. An zweiter Stelle stehen Krebserkrankungen mit 24,4 % (227.600) aller Todesfälle [22]. Das Zentrum für Krebsregisterdaten weist in seinem Bericht „Krebs in Deutschland für 2015/2016“ [23] eine Inzidenz von ca. 500.000 Krebserkrankungen pro Jahr in Deutschland aus und prognostiziert einen Anstieg der Krebsneuerkrankungen von ca. 23 % zwischen 2015 und 2030. Ungefähr die Hälfte der Krebsneuerkrankungen ist bei Frauen auf Tumore der Brustdrüse, des Darms und der Lunge (in der Reihenfolge der Häufigkeit des Auftretens) zurückzuführen, während dies bei Männern Tumorkrankheiten der Prostata, der Lunge und des Darms sind. Die Anzahl der Krebserkrankungen, die in den letzten fünf Jahren diagnostiziert wurden, liegt bei ungefähr 1,7 Mio. Zahlreiche Risikofaktoren dieser Krebserkrankungen sind bereits bekannt. Hierzu zählen Rauchen, Alkoholkonsum, Bewegungsmangel, reproduktive Faktoren, Hormonbehandlungen, virale und bakterielle Infektionen, Ernährungsverhalten und Schadstoffexpositionen in der Umwelt oder am Arbeitsplatz. Allerdings variiert die Bedeutung dieser einzelnen Risikofaktoren zwischen den verschiedenen Tumortypen sehr stark und ihr spezifischer Beitrag zu der Entstehung dieser Tumoren ist noch nicht ausreichend quantifiziert (s. z. B. [24,25,26,27]). Im Rahmen der NAKO Gesundheitsstudie soll die Bedeutung von körperlicher Aktivität, Übergewicht, metabolischen Störungen sowie chronischen Infektionen und Immunabwehr für die Krebsentstehung untersucht werden. Insbesondere ist es diesbezüglich von Interesse, Informationen zu Tumorstadien, histologischen und molekularen Subtypen verstärkt in die Erforschung der Ätiologie von Krebserkrankungen einzubeziehen, da vermutet wird, dass sie jeweils auf unterschiedliche Weise, d. h. durch unterschiedliche genetische und metabolische Faktoren sowie verschiedene Risikofaktoren, verursacht werden.

In der NAKO Gesundheitsstudie werden Krebserkrankungen zunächst durch selbst auszufüllende Fragebögen erfasst.

Neurologische und psychiatrische Erkrankungen

Neurologische Störungen und psychiatrische Erkrankungen waren gemäß der Global-Burden-of-Disease-Studie 2016 der Hauptgrund für den Verlust gesunder Lebensjahre basierend auf dem DALY-Konzept [28]. Folgende neurologische und psychiatrische Erkrankungen stehen im Fokus der NAKO Gesundheitsstudie: zerebrovaskuläre Erkrankungen, kognitive Beeinträchtigungen und Demenz, Depression und Angstzustände, Kopfschmerzen, Restless-Legs-Syndrom (unruhige Beine) und Morbus Parkinson. Schlaganfälle gehören in den Industrieländern zusammen mit ischämischen Herzkrankheiten und Lungenkrebs zu den drei häufigsten Todesursachen [29] und Überlebende leiden oft lebenslang unter neurologischen Ausfällen. In Süddeutschland war die altersstandardisierte Inzidenz mit 200 Neuerkrankungen pro 100.000 Personenjahre in 1989/1990, 226 in 1994/1995 und 210 in 1999/2001 relativ stabil [30]. In der NAKO Gesundheitsstudie wird das ganze Spektrum zerebrovaskulärer Erkrankungen untersucht, das von kleinen diffusen Veränderungen der Fasern in der weißen Substanz, sichtbaren Läsionen der grauen und weißen Substanz, Mikroblutungen, kleinen Infarkten bis hin zu ischämischem Schlaganfall, Hirnblutungen und Verlust von funktionalem Gewebe infolge eines Schlaganfalls reicht. Während die ischämischen Subtypen eine Reihe von Risikofaktoren (Alter, Geschlecht, genetische Prädisposition, niedriger sozioökonomischer Status, Hypertonie, Rauchen, Diabetes, Alkoholmissbrauch und ein hohes Verhältnis von Apolipoprotein B zu ApoA1) gemeinsam haben [30], erhöhen andere Faktoren wie Vorhofflimmern, Karotisstenosen und erhöhtes LDL-Cholesterin das Risiko nur für einige spezifische Subtypen. Wiederum andere Faktoren, wie moderater Alkoholkonsum, haben möglicherweise sogar ein divergentes Risiko für die verschiedenen Subtypen zur Folge. Die NAKO Gesundheitsstudie untersucht daher die Wirkung verschiedener Risikofaktoren auf die Entstehung spezifischer pathologischer Subtypen, die bislang weniger gut erforscht sind.

2016 wurde die Zahl der an Demenz erkrankten Personen in Deutschland auf über 1,6 Mio. geschätzt, wobei insbesondere aufgrund ihrer höheren Lebenserwartung ca. doppelt so viele Frauen betroffen waren wie Männer [31]. Die Anzahl der Neuerkrankungen im Jahr 2016 wurde für die über 65-Jährigen auf knapp 317.000 geschätzt [31]. Auf Basis eines Ansatzes zur Schätzung des Präventionspotenzials bei Demenz im Lebenslauf (Life-Course-Approach) ermittelte die „Lancet Commission on Dementia Prevention, Intervention, and Care“ neun modifizierbare Risikofaktoren, die zusammen 35 % des Demenzrisikos in der Bevölkerung erklären [32]. Diese neun Risikofaktoren lassen sich über den Lebenslauf drei Gruppen zuordnen: in jungen Jahren (<18 Jahre): niedrige Bildung als Risikofaktor; im mittleren Lebensabschnitt (45–65 Jahre): Hörverlust, Bluthochdruck, Adipositas; im Alter (>65 Jahre): Rauchen, Depression, Mangel an körperlicher Bewegung, soziale Isolation und Diabetes [32]. In der NAKO Gesundheitsstudie werden auch leichte kognitive Beeinträchtigungen bzw. Vorstadien untersucht, um Information über die Entstehungspfade der verschiedenen Demenzformen zu gewinnen.

Affektive sowie Angststörungen stellen die häufigsten psychischen Erkrankungen in Deutschland dar, wobei sie häufiger bei Frauen als bei Männern auftreten [33]. Die 12-Monats-Prävalenz affektiver Störungen liegt in der Altersgruppe 18–65 Jahre bei 12 % mit einer Lebenszeitprävalenz von 19 % [33]. Schwere Depressionen treten häufig gemeinsam auf mit kardiovaskulären Erkrankungen, metabolischem Syndrom, Diabetes und atopischen, neurologischen sowie infektiösen Erkrankungen (z. B. [34, 35]). Dabei geht man davon aus, dass Depression nicht nur eine Folge dieser Erkrankungen, sondern auch ein unabhängiger Risikofaktor ist. Die Pathophysiologie schwerer Depressionen ist aufgrund ihrer Komplexität noch nicht gut verstanden. Angststörungen (12-Monats-Prävalenz zwischen 10,1 % und 21,3 %; Lebenszeitprävalenz zwischen 14,5 % und 33,7 % [36]) sind die häufigste Begleiterkrankung von Depressionen. Mögliche Risikofaktoren sind Arbeitslosigkeit und Familienstand (allein lebend, geschieden, verwitwet). Von Interesse sind hier die Neurobiologie und die genetische Basis, insbesondere von Panikattacken.

Weltweit litten im Jahr 2016 nahezu 3 Mrd. Menschen unter verschiedenen Formen von Kopfschmerzen [37]. Für Spannungskopfschmerzen und Migräne wurden mögliche Auslöser, wie z. B. Alkohol, identifiziert [38]. Migräne ist mit einem ungünstigen kardiovaskulären Risikoprofil und einem erhöhten Risiko für schwere kardiovaskuläre Erkrankungen assoziiert. Hier kann die NAKO Gesundheitsstudie einen wichtigen Erkenntnisgewinn bringen, indem sie potenzielle Risikofaktoren und inzidente Fälle erfasst und darauf aufbauend prospektive Analysen zu Krankheitsverlauf und Folgeerkrankungen ermöglicht.

Standardisierte Kriterien zu Definition und Diagnose des Restless-Legs-Syndroms (RLS) wurden erst 1995 publiziert [39]. Die Prävalenz des RLS liegt in der Allgemeinbevölkerung bei 3–10 % [40], wobei Frauen doppelt so häufig betroffen sind wie Männer. Die Ätiologie des RLS ist noch unklar. Erkrankte berichten häufiger Diabetes, haben einen höheren Body-Mass-Index, bewegen sich weniger und trinken weniger Alkohol als Personen ohne RLS. Zudem berichten RLS-Fälle häufiger von psychischen Störungen und von sozialer Isolation. Für das Jahr 2016 wurde die Anzahl der an Morbus Parkinson Erkrankten auf weltweit 6,1 Mio. geschätzt und war damit mehr als doppelt so hoch wie 1990 (2,5 Mio.; [41]). In 2015 beliefen sich die standardisierte Prävalenz in Deutschland auf 511,4 pro 100.000 Personen und die standardisierte Inzidenz auf 84,1 pro 100.000 Personenjahre [42]. Man geht davon aus, dass sowohl genetische als auch Umweltfaktoren zu der Entstehung von Parkinson beitragen. Allerdings sind die genauen Ursachen noch unbekannt [43]. Genaueres Wissen über modifizierbare Risikofaktoren, insbesondere über den Einfluss des Lebensstils sowohl auf die Entwicklung eines RLS als auch von Morbus Parkinson, ist entscheidend, um geeignete Präventionsmaßnahmen zu entwickeln.

Die Erfassung dieser Erkrankungen erfolgt neben den Selbstangaben im Fragebogen (Schlaganfall, kognitive Beeinträchtigungen und Demenz, Depression und Angstzustände, Kopfschmerzen, Restless-Legs-Syndrom, Parkinson) über eine Kombination verschiedener neuropsychologischer Tests, wie z. B. der Purdue-Pegboard-Test (kognitive Beeinträchtigungen und Demenz, beeinträchtigte Feinmotorik und Koordination) und Skalen für Depression und Angstzustände. Darüber hinaus wird in einer Untergruppe ein Kopf-MRT (Schlaganfall, kognitive Beeinträchtigungen und Demenz) durchgeführt.

Atemwegserkrankungen

Laut „Forum of International Respiratory Societies“ [44] gehören die sogenannten Big Five der Atemwegserkrankungen, d. h. chronisch obstruktive Lungenerkrankung (COPD), Asthma, akute Infektionen der unteren Atemwege, Tuberkulose und Lungenkrebs, weltweit zu den häufigsten Ursachen für schwerwiegende Erkrankungen und Todesfälle. Circa 200 Mio. Menschen weltweit sind durch COPD beeinträchtigt; geschätzte 65 Mio. Menschen haben eine moderate bis schwere COPD, von denen jährlich ca. 3 Mio. sterben. In Deutschland beträgt die geschätzte 12-Monats-Prävalenz von COPD bei Männern und Frauen 5,7 % bzw. 5,8 % [45]. Rauchen ist der Hauptrisikofaktor für COPD. Weitere Ursachen sind Luftverschmutzung, berufliche Staubexpositionen, genetische Faktoren, kindliche Pneumonie und andere Atemwegserkrankungen wie etwa Asthma oder Tuberkulose. Ungefähr 334 Mio. Menschen leiden weltweit an Asthma, wobei die Inzidenz in den letzten dreißig Jahren angestiegen ist. In Deutschland beträgt die 12-Monats-Prävalenz von Asthma bei Frauen 7,1 % und bei Männern 5,4 % [46]. Die Tatsache, dass die Häufigkeit des Auftretens nicht nur zwischen den Ländern variiert, sondern auch innerhalb einzelner Länder z. B. zwischen verschiedenen Sozialschichten große Unterschiede zeigt, weist darauf hin, dass nichtgenetische Faktoren für die Entstehung bedeutsam sind. Es gibt Hinweise für eine Vielzahl möglicher Einflussfaktoren (genetische Veranlagung, Umweltallergene, Luftverschmutzung, Atemwegsinfekte in der Kindheit, Ernährung), aber wenig gesichertes Wissen. Zurzeit geht man davon aus, dass Rauchen in der Schwangerschaft und die Einnahme von Breitspektrumantibiotika im ersten Lebensjahr modifizierbare Risikofaktoren sind. Die NAKO Gesundheitsstudie bietet die Möglichkeit, die Inzidenz von Atemwegserkrankungen in Deutschland zu ermitteln und das komplexe Zusammenspiel von genetischen und Umweltfaktoren bei ihrer Entstehung zu untersuchen, um darauf aufbauend effektive Strategien zur Primärprävention zu entwickeln.

COPD und Asthma werden zum einen über Fragebogeninstrumente erfasst. Mittels Spirometrie werden zum anderen die Lungenfunktion (COPD) bzw. eine mögliche Blockierung der Atemwege (Asthma) gemessen. Zusätzlich werden Atemwegsentzündungen mittels fraktioniertem exhalierten Stickstoffmonoxid (FeNO; Asthma) in einer Subgruppe ermittelt.

Infektionserkrankungen

Die NAKO Gesundheitsstudie beschränkt sich auf einige wenige Infektionskrankheiten mit einer hohen Inzidenz. So sind Hepatitis-B- und -C-Virusinfektionen, HIV-Infektionen und Tuberkulose aufgrund ihrer geringen und weiter abnehmenden Inzidenz in Deutschland kein Untersuchungsgegenstand.

Wiederkehrende Atemwegsinfektionen treten sehr häufig in der erwachsenen Bevölkerung auf: Im Durchschnitt erleidet jeder Erwachsene jährlich zwei symptomatische Atemwegsinfektionen [47]. Viele mögliche Risikofaktoren wie Geschlecht, hohes Alter, Arbeitsplatzexpositionen, Kontakt mit Tieren, Anzahl und Art sozialer Kontakte (einschließlich Kinder im eigenen Haushalt), Lebensstilfaktoren (Rauchen, Mangel an körperlicher Bewegung) und Ernährungsstatus sind in der Diskussion. Genetische Faktoren wurden im Kontext von seltenen Immundefektsyndromen identifiziert, aber die Faktoren, die für die eher milderen Krankheitsbilder in der Allgemeinbevölkerung verantwortlich sind, sind weitestgehend unbekannt. In der NAKO Gesundheitsstudie werden die Häufigkeit, der Typ und der Schweregrad von Atemwegsinfektionen gemeinsam mit immunologischen Markern und Lungenfunktionsmessungen modelliert, um die Suszeptibilität (Empfänglichkeit) für Atemwegsinfektionen abzuschätzen.

Zu den in der NAKO Gesundheitsstudie erfassten Infektionen gehören neben den Atemwegsinfektionen auch die wiederkehrenden gastrointestinalen Infektionen. Akute Infektionen des Gastrointestinaltrakts können durch bakterielle, virale oder parasitäre Pathogene ausgelöst werden. 2017 wurden dem Robert Koch-Institut ca. 208.000 akute gastrointestinale Infektionen gemeldet [48], die im Wesentlichen durch Campylobacter, Salmonella, Rotavirus und Norovirus verursacht waren, wobei aus verschiedenen Gründen, die u. a. mit dem Schweregrad der Erkrankung und der Meldebereitschaft der diagnostizierenden Einrichtung zusammenhängen, von einer deutlichen Untererfassung auszugehen ist [48]. Für Deutschland werden eine steigende Zahl stationärer Aufnahmen aufgrund einer akuten gastrointestinalen Infektion von 2001 (127.867 Fälle) auf 2011 (282.199 Fälle) und eine um in etwa 10-fach angestiegene Sterblichkeitsrate, insbesondere bei Personen ab 65 Jahren, berichtet [49]. Bekannte Risikofaktoren wie Alter, sozialer Status, Tierkontakt und Ernährungsgewohnheiten werden in der NAKO Gesundheitsstudie ebenso wie Informationen zu gastrointestinalen Symptomatiken erfasst. Die Bedeutung dieser Risikofaktoren im Zusammenspiel mit Wirtsfaktoren wird im Rahmen der NAKO Gesundheitsstudie durch die detaillierte Phänotypisierung unter Einbeziehung von Analysen der gesammelten Stuhlproben genauer erforscht, als dies bisher möglich war.

Parodontalerkrankungen umfassen ein breites Spektrum an inflammatorischen Zuständen, die die zahnstützenden Strukturen (Zahnfleisch, Wurzelhaut und Knochen) betreffen und eine wesentliche Ursache für Zahnverlust sind. Nach der 5. Deutschen Mundgesundheitsstudie sind Parodontalerkrankungen mit einer Prävalenz von 52 %, 65 % und 90 % in den Altersgruppen 35–44 Jahre, 65–74 Jahre bzw. 75–100 Jahre extrem häufig [50]. Parodontalerkrankungen gehen mit systemischer Inflammation einher und sind mit Krebs, kardiovaskulären Erkrankungen, Diabetes, Atemwegserkrankungen und rheumatoider Arthritis assoziiert [18]. Sie teilen gemeinsame modifizierbare Risikofaktoren mit diesen chronischen Volkskrankheiten wie Rauchen, Fettleibigkeit, Alter oder niedrige Sozialschicht. Allerdings sind damit die möglichen Kausalbeziehungen mit diesen chronischen Erkrankungen noch nicht aufgeklärt [51].

Alle genannten Infektionskrankheiten werden mittels Fragebögen erfasst. Zusätzlich wird aus den Selbstangaben und den Lungenfunktions- und immunbezogenen Messungen ein Risikoscore für Atemwegsinfektionen ermittelt. Zur Untersuchung von gastrointestinalen Infektionen und zur Analyse des intestinalen Mikrobioms werden zusätzlich Stuhlproben gesammelt. Die Befragung zur Zahngesundheit wird durch eine Zählung der Zähne, die Sammlung von Speichelproben für mikrobielle Untersuchungen und in einer tiefer phänotypisierten Subgruppe durch eine Munduntersuchung bzw. Messung der Tiefe der parodontalen Zahntaschen ergänzt.

Eine Übersicht über die gesundheitlichen Endpunkte und die zugehörigen Untersuchungs- bzw. Befragungsmodule wird in Tab. 1 gegeben.

Tab. 1 Krankheitsgruppen im primären Fokus der NAKO Gesundheitsstudie (Basis- oder Folgeuntersuchungen) und Instrumente, die zu ihrer Erfassung eingesetzt werden

Ermittlung inzidenter Krankheitsfälle

Um die inzidenten Krankheitsfälle erfassen zu können, werden die NAKO-Teilnehmer zum einen wiederholt in das Studienzentrum gebeten, zum anderen wird ihnen jeweils 2–3 Jahre nach dem Untersuchungszeitpunkt ein Fragebogen zu ihrem Gesundheitszustand zugeschickt. In dem Fragebogen werden mögliche Neuerkrankungen systematisch z. B. für die verschiedenen Organgruppen abgefragt. Die Angaben werden dann über Kontakt mit den behandelnden Ärzten und Einsicht in die medizinischen Behandlungsunterlagen verifiziert [52].

Ergänzend werden die Teilnehmer bei der Untersuchung um ihr Einverständnis gebeten, dass ihre Untersuchungsergebnisse und ihre Befragungsdaten mit bereits vorliegenden Sekundär- und Registerdaten verknüpft werden dürfen. Zur Ermittlung der inzidenten Krankheitsfälle sind hier insbesondere die Abrechnungsdaten der gesetzlichen und privaten Krankenversicherungen sowie die Daten der Krebsregister relevant. Die Verknüpfung der Primär- und Sekundär‑/Registerdaten erlaubt es, ein möglichst umfassendes Bild des Gesundheitszustands, insbesondere bzgl. der Krankheitsgeschichte der Probanden, zu gewinnen [53]. So lassen sich wichtige Informationen ohne zusätzliche zeitliche Belastung der Teilnehmer erheben, wie z. B. Informationen zur Einnahme ärztlich verordneter Medikamente, die zudem zur Validierung der Selbstangaben zum Gesundheitszustand herangezogen werden können. Während Studienteilnehmer in Abhängigkeit von dem jeweiligen Medikament relativ valide ihre aktuelle Einnahme berichten können [54], zeigen sich bzgl. länger zurückliegender Medikamenteneinnahme [55], aber auch bzgl. der Krankheitsgeschichte bei Befragungen zum Teil große Erinnerungslücken und nur eine geringe Spezifizität, was durch die Verknüpfung mit Abrechnungsdaten der Krankenkassen verringert werden kann. Besonders wichtig ist die möglichst vollständige Erfassung von Krankheitsereignissen im Zeitverlauf, was z. B. dadurch erschwert werden kann, dass ein Studienteilnehmer aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr aktiv an der Studie teilnehmen kann. In diesem Fall ermöglichen die Sekundär- und Registerdaten ein passives Follow-up und damit die Erfassung neu auftretender Erkrankungen unabhängig von der Teilnahme an den Folgeuntersuchungen oder der postalischen Befragung zum Gesundheitszustand.

Diskussion

Neben den oben beschriebenen Gesundheitsendpunkten werden weitere Krankheiten abgefragt, wie z. B. lokalisierte Schmerzen und Störungen des Bewegungsapparats. Die Informationen zu den meisten dieser weiteren gesundheitlichen Endpunkte beruhen zunächst auf Selbstangaben, was hinsichtlich ihrer eingeschränkten Validität berücksichtigt werden muss. Um trotzdem eine hohe Qualität der gewonnenen Informationen zu erreichen, werden in der NAKO Gesundheitsstudie zahlreiche Maßnahmen ergriffen. So können z. B. durch die Verlinkung mit den Abrechnungsdaten der Krankenkassen und den Daten der klinischen und epidemiologischen Krebsregister die Selbstangaben validiert werden, um eine Fehlklassifikation der Probanden zu vermeiden. Zudem werden die Probanden um eine Schweigepflichtentbindung für ihre Hausärzte bzw. Kliniken gebeten, um z. B. über Arztbriefe und Klinikunterlagen die Angaben zu inzidenten Erkrankungen abzusichern. Schließlich wurden in der NAKO Gesundheitsstudie krankheitsgruppenspezifische Endpunktkomitees eingerichtet, die Algorithmen zur Einstufung von neu aufgetretenen Erkrankungen und Entscheidungsregeln zur Diagnosesicherung dieser Neuerkrankungen basierend auf den zur Verfügung stehenden bzw. zusätzlich einzuholenden Informationen festlegen.

Damit lassen sich allerdings nicht alle Probleme der Krankheitsermittlung lösen. So ist z. B. eine präzise Bestimmung des Krankheitsbeginns bei psychiatrischen Erkrankungen kaum möglich. Ebenso werden Krankheiten, die häufig nicht zu einer Hospitalisierung führen bzw. die keine objektivierbare Diagnosestellung ermöglichen, in der Regel weniger gut erfasst. Dazu gehören z. B. auch viele Suchterkrankungen, die trotz der Ermittlung eines möglichen Drogenkonsums in der NAKO Gesundheitsstudie vermutlich nur unvollständig erfasst werden können.

Fazit

Mit ihrem Schwerpunkt auf den häufigsten Volkskrankheiten baut die NAKO Gesundheitsstudie auf einem umfangreichen Vorwissen auf, da viele dieser Erkrankungen bereits gut untersucht sind. Gleichwohl bestehen noch erhebliche Forschungslücken hinsichtlich der Ätiologie, Progression und Prävention dieser Erkrankungen, die die NAKO Gesundheitsstudie durch den Einsatz modernster (molekularer) Untersuchungsmethoden und einer umfangreichen Phänotypisierung der Studienteilnehmer schließen kann. Mit der NAKO Gesundheitsstudie wird somit eine einzigartige Datenbasis geschaffen, die insbesondere zu neuen Erkenntnissen bzgl. einer frühen Diagnostik und der Prävention häufiger Erkrankungen in der allgemeinen Bevölkerung führen wird.