Einleitung

Die rasante Expansion digitaler Technologien im Gesundheitssektor betrifft nicht nur die medizinische Versorgung, sondern verändert auch die Art und Weise, wie Public Health als Wissenschaft und Praxis der bevölkerungsbezogenen Prävention und Kontrolle von Erkrankungen und der Förderung der physischen und mentalen Gesundheit ausgerichtet ist und ihre Forschungs- und Praxisanliegen umsetzt. Technologische Innovationen bei Apps, beim Tracking von gesundheitsrelevanten Verhaltensweisen, in der Überwachung von möglichen Gesundheitsrisiken oder bei der Kommunikation und Interaktion verändern viele Aspekte von Public Health in schneller Taktung. Auch wenn Public Health in einigen Kontexten und für spezifische Forschungsfragen die Herausforderungen der Digitalisierungen schon angenommen hat [1, 2], kann man bisher noch nicht von Digital Public Health als Mainstreamthema in Forschung, Lehre und Implementation sprechen. Von vielen wird dieser Bereich als Feld umfangreicher und hochinteressanter Chancen angesehen [3, 4], gleichzeitig mehren sich kritische Stimmen, die eine intensive Beschäftigung mit möglichen Risiken der Digitalisierung in Public Health fordern [5, 6]. Insgesamt wird aber immer deutlicher, dass Digital Public Health ein hochaktuelles und ein Zukunftsthema ist, dem sich Forschende und Akteure im Bereich Public Health stellen müssen, auch um selber eine gestaltende und führende statt einer passiven Rolle in der hochdynamischen Entwicklung einzunehmen.

Noch harren allerdings selbst definitorische Fragen einer Klärung: Begrifflichkeiten wie E‑Health und mobile (M-)Health, E‑Public-Health oder eben Digital Public Health werden im Kontext der Digitalisierung von Public Health gebraucht und Digital Health, Health 2.0, Cybermedizin, digitale Medizin und Telemedizin sind ebenfalls in begrifflicher Nähe angesiedelt. So versteht sich z. B. das Journal of Medical Internet Research als führende wissenschaftliche Zeitschrift für digitale Medizin, Gesundheit und Gesundheitsversorgung im Internetzeitalter. Ein im Juli 2019 dort eingereichter Beitrag zu Konzepten von E‑Health [7] bestätigt auf der Basis einer umfassenden Literaturrecherche den fehlenden Konsens bei der Definition von E‑Health als vermutlich historisch erstem Begriff in diesem Feld. Ein Review aus dem Jahr 2005 fand schon 51 verschiedene Definitionen [8] und neuere Arbeiten betonen, dass sich das Feld aufgrund seiner großen Dynamik möglicherweise einer klaren Definition entzieht [9]. Die Autoren der aktuellen Übersicht [7] leiten aus den unterschiedlichen Aspekten eine gemeinsame Definition ab, die E‑Health als Bereitstellung nutzerzentrierter Gesundheitsdienstleistungen durch Informations- und Kommunikationstechnologien, und zwar vornehmlich das Internet, beschreibt.

Der Fokus auf Internetanbindung findet sich auch im Papier zu „Digital-first public health“ von Public Health England [10] – hier wird „digital“ als „applying the culture, practices, processes & technologies of the internet era to respond to people’s raised expectations“ verstanden.

Der Begriff „M-Health“ ist hingegen spezifischer auf eine bestimmte Technologie, nämlich mobile Smartphones und Sensoren, in ihrer Bedeutung für Gesundheit ausgerichtet und damit insgesamt klarer definiert, auch wenn hier verschiedene Technologien zum Einsatz kommen [11]. Diese auf die Technologie ausgerichtete Definition führt jedoch dazu, dass eine Zuordnung zu klinischer Medizin und Versorgung oder Public Health nicht klar ist. M‑Health wird dabei als ein der E‑Health untergeordneter Bereich angesehen. Kabellose und mobile Technologien und ihr Einsatz in der Verbesserung der gesundheitsbezogenen Forschung, der Versorgung und letztendlich des Gesundheitsstatus stehen im Mittelpunkt [9].

„Digital Health“ ist als umfassender Begriff für die Anwendung von Informations- und Kommunikationstechnologien im Zusammenhang mit Versorgung und Bevölkerungsgesundheit anzusehen [12], der sich kaum von E‑Health oder Health 2.0 unterscheidet. Kooperation und Interaktion bei der Nutzung digitaler Technologien sind oftmals ein essenzieller Bestandteil der definitorischen Beschreibung.

„Digital Public Health“ wiederum fokussiert das Entwicklungs‑, Anwendungs- und Erkenntnisinteresse auf Public Health und damit auf Prävention, Gesundheitsförderung sowie die entsprechenden Grundwissenschaften wie Epidemiologie. Primär klinische und individuell auf Patientinnen und Patienten bezogene Aspekte stehen nicht im Vordergrund, anders als z. B. bei der Telemedizin mit der konkreten Anwendung im individuellen Behandlungs- und Versorgungskontext. Festzuhalten ist allerdings, dass sich der Begriff Digital Public Health bisher nicht gegenüber anderen wie E‑Health und M‑Health durchgesetzt hat und dies auch angesichts der bisherigen Begriffsvielfalt und Dynamik kaum zu erwarten ist. Wo jedoch in Hinsicht auf Digitalisierung und Gesundheit der Fokus auf Bevölkerungen, Prävention und Gesundheitsförderung samt einer bewussten Auseinandersetzung gesundheitlicher Ungleichheiten gelegt wird, kann Digital Public Health eine klarere Einordnung bieten als einige andere Begriffe in diesem Feld.

In der Folge diskutiert dieser Beitrag im Sinne einer orientierenden Bestandsaufnahme wichtige Aspekte und Herausforderungen von Digital Public Health. Hervorgehoben werden besondere Ansprüche sowie Rahmenbedingungen des Datenschutzes bei der digitalen Kommunikation und Interaktion bezüglich Gesundheitsdaten und die Thematik der sogenannten digitalen Spaltung (engl. Digital Divide) mit ihren verschiedenen Facetten.

Digital Public Health: Versuch einer Bestandsaufnahme

Aus der Kombination der Implikationen der Begriffe „digital“ und „Public Health“ ergibt sich aus den oben angedeuteten Hintergründen ein herausforderndes Spannungsfeld, in dem wissenschaftlich fundierte Erkenntnisse aus der Public Health ebendiesen gestiegenen Erwartungen aus der Internetära gegenüberstehen. Für Digital Public Health bedeutet dies insbesondere, dass dem ubiquitären technologischen Fortschritt und den sich beständig erweiternden Möglichkeiten zur Gestaltung, Dissemination und Kommunikation gesundheitlicher Themen ein Vorgehen gegenübergestellt werden sollte, in dem es primär um die Erreichung von Public-Health-Zielen wie die allgemeine Verbesserung der Gesundheit und die Verringerung von gesundheitlicher Ungleichheit geht.

Während es aber in manchen Überlegungen zu Digital Public Health darum geht, Public Health im Angesicht der technologischen Entwicklung neu zu definieren und zu konzeptualisieren [10], liegt aus unserer Sicht die zentrale Herausforderung darin, digitale Entwicklung und Technologien in Konzepte von Public Health zu integrieren und so zur Erreichung von Public-Health-Zielen zu nutzen.

Dabei ist es besonders wichtig, neben den Potenzialen digitaler Technologien in Public Health [13] auch auf die Implikationen für gesundheitliche Ungleichheit einzugehen. Einerseits besteht durch die Skalierbarkeit von digitalen Interventionen und minimalen Kosten pro Nutzer bzw. Nutzerin zumindest theoretisch die Möglichkeit, große Teile der Bevölkerung für digitale Angebote zu erreichen. Andererseits zeigt sich durch die differenzielle Nutzung und Verbreitung von digitalen Gesundheitsangeboten, dass hauptsächlich bereits gesundheitlich privilegierte Gruppen von solchen Angeboten profitieren und so gesundheitliche Ungleichheiten möglicherweise noch vergrößert werden [14].

Bisherige Übersichtsarbeiten im deutschsprachigen (z. B. [15]) und internationalen Kontext (z. B. [7]) orientieren sich an Begriffen wie E‑Health und M‑Health. Während diese Definitionen und Kategorisierungen hilfreich sind, um unterschiedliche Technologien zu beschreiben und einen Überblick über das Feld zu bekommen, sind sie noch nicht an den Bedarfen von Public Health und dem Prozess der Entwicklung und Evaluierung von Maßnahmen zur Erreichung von Public-Health-Zielen (also grundlegenden Prozessen evidenzbasierter Public Health; [16]) orientiert.

Grundsätzlich mangelt es in diesem Kontext bisher an gut geplanten und durchgeführten Evaluationsstudien und angemessenen Evaluationsparadigmen. Dies wird in mehreren Überblicksarbeiten zu digitalen Gesundheitstechnologien deutlich [17], und zwar sowohl im Allgemeinen [18] als auch im Kontext spezifischer Interventionsparadigmen, wie z. B. Just-In-Time-Adaptive-Interventionen (also Interventionen, die individualisierte Inhalte in genau dem Moment mit größter erwarteter Wirkung vermitteln [19]). Ein Problem bei der Entwicklung solcher angepassten Evaluationsparadigmen kann auch darin begründet liegen, dass digitale Gesundheitstechnologien bislang oft nach Technologie oder Zielverhalten, nicht aber nach zentralen Funktionen in Public Health diskutiert wurden.

Digital Public Health: Kategorien nach Funktionen

Eine Kategorisierung von digitalen Gesundheitstechnologien nach zentralen Public-Health-Funktionen impliziert, dass Technologien nicht nach Plattform und Software getrennt diskutiert werden (z. B. Apps für Mobiltelefone getrennt von internetbasierten Angeboten, die hauptsächlich am PC durchgeführt werden), sondern dass die Funktionen der Technologie für die Erreichung von Gesundheitszielen als primäre Systematik der Beschreibung dienen.

Eine solche Kategorisierung ist nichts grundsätzlich Neues: Im Vereinigten Königreich hat beispielsweise das National Institute for Health and Care Excellence (NICE) 2019 eine Systematik von digitalen Technologien im Gesundheitsbereich vorgestellt [20], die als Grundlage eines Überblicks über die Angebote im Feld Digital Public Health dienen kann. Diese Klassifikation orientiert sich an den Funktionen von digitalen Angeboten im Gesundheitsbereich im Hinblick auf Nähe und Interaktionstiefe mit den Nutzern und Nutzerinnen und ordnet diesen Funktionen verschiedene Anforderungen an Evidenzgüte zu (Abb. 1).

Abb. 1
figure 1

Evidenzanforderungen an digitale Gesundheitstechnologien (Digital Health Technologies [DHTs]) in Public Health nach der Tiefe der Interaktion mit Nutzer*innen (Ebene 1: geringste Interaktion; Ebene 3b: intensivste Interaktion). (Nach: National Institute for Health and Care Excellence [20]; eigene Darstellung und Übersetzung)

Auf der ersten Ebene finden sich entsprechend digitale Technologien, die prinzipiell der Verbesserung der Organisation des Gesundheitswesens dienen, sich aber eher nicht direkt auf die Gesundheit oder Determinanten von Gesundheit von Einzelpersonen oder Gruppen auswirken. Auf der zweiten Ebene finden sich Technologien, die direkt mit Endnutzern aus der Bevölkerung interagieren, sich aber auf die Information, einfache Monitoringaufgaben und Kommunikation beziehen. Dies könnten beispielsweise Apps sein, die über einen gesunden Lebensstil informieren, elektronische Tagebücher für Symptome oder körperliche Aktivität oder digitale Plattformen zur Kommunikation zwischen Personen und Akteuren aus dem Gesundheitswesen. Natürlich bieten solche Technologien auch die Möglichkeit, Inhalte zu vermitteln, die sich direkt oder indirekt auf Gesundheit auswirken – allerdings ist in diesem Fall die Technologie hauptsächlich Transport- oder Kommunikationsmedium, nicht unbedingt wirksamer Bestandteil einer Intervention oder Therapie.

Auf der in zwei Subkategorien aufgeteilten dritten Ebene finden sich zum einen Technologien, die zur Behandlung und Prävention von Krankheiten herangezogen werden können und parallel zu einer konventionellen Therapie laufen, zum anderen Technologien, die direkt in den Therapieablauf eingreifen und Teil des Therapieprozesses werden. Beispiele für die erste Subkategorie (Ebene 3a) sind Apps, die z. B. Lebensstiländerungen wie Rauchstopps aktiv bewirken und unterstützen sollen. Beispiele für die zweite Subkategorie (Ebene 3b) sind Sensoren, die automatisch Informationen über den momentanen Gesundheitszustand (z. B. Herzschlagfrequenz oder Blutdruck) an ein Entscheidungssystem übermitteln, um so die Therapieentscheidungen für diese Person zu beeinflussen.

Das NICE-Framework von digitalen Technologien im Gesundheitsbereich orientiert sich also an den Zwecken digitaler Technologie für bestimmte Gesundheitsziele. Während der Zweck dieses Rahmenkonzepts vor allem darin besteht, die Anforderungen für Evidenzgüte in den unterschiedlichen Kategorien zu begründen, ist eine solche funktionsbezogene Herangehensweise auch für Forschungszwecke sehr nützlich. Wir möchten daher im Folgenden eine Kategorisierung von digitalen Technologien in Public Health vornehmen, die sich an der Funktion von Technologie und nicht an der Technologie selbst orientiert.

Zentrale Funktionen von Digital Public Health

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO; [21]) schlägt zehn zentrale Funktionen von Public Health („essential health operations“) vor, deren Verwendung sich auch im deutschen Kontext anbietet ([22]; Tab. 1). In allen diesen Bereichen lassen sich digitale Technologien verorten und anwenden und auf ihr Potenzial und ihre Risiken für Public Health hin untersuchen.

Tab. 1 Zehn zentrale Funktionen von Public Health nach: WHO [21]. (Übersetzung nach: Nationale Akademie der Wissenschaften Leopoldina [22])

Einige dieser Bereiche sollen im Folgenden exemplarisch aufgegriffen und aktuelle Entwicklungen in der Forschung diskutiert werden. Allerdings liegen nicht in allen Bereichen gut evaluierte und evidenzbasierte Lösungen vor, daher beschränken wir uns auf einige wenige, subjektiv ausgewählte Beispiele und verweisen für eine tiefer greifende Diskussion auf die weiteren Beiträge in diesem Themenheft.

Überwachung von Krankheiten und Beurteilung der Gesundheit der Bevölkerung

Hier sind vor allem Arbeiten auf dem Gebiet der digitalen Epidemiologie [23] von Interesse. In diesem Bereich werden vor allem Daten, die durch digitale Anwendungen, wie z. B. Apps oder Fitnesstracker, auf mobilen Endgeräten generiert werden, gesammelt und zum Monitoring von Krankheiten verwendet. Dabei werden zwei grundlegend unterschiedliche Zugänge zu den Daten diskutiert [24] – ein passiver Zugang, bei dem ohne Zustimmung der Teilnehmenden anonymisiert z. B. Suchanfragen, Twitter-Einträge oder Ähnliches analysiert werden, oder ein partizipativer Zugang, in dem Freiwillige ihre Daten in ein bereitgestelltes Überwachungssystem eintragen und so zum Monitoring beitragen. Beispiele dafür finden sich z. B. im europäischen Influenzanet-Konsortium, in dem während der wiederkehrenden Influenzawellen Daten von Freiwilligen gesammelt werden und so zum Monitoring von Erkrankungen beitragen [25].

Bestimmung vorrangiger Gesundheitsprobleme und Gesundheitsgefahren

Hier lassen sich durch den Einsatz digitaler Technologien beispielsweise alternative Prognosemethoden für Erkrankungswellen realisieren. Eine viel beachtete Arbeit [26] hat durch die Untersuchung von zeitlichen und örtlichen Kumulationen von Suchbegriffen in der Suchmaschine Google Verbindungen zu real auftretenden Influenzawellen hergestellt, die teilweise präziser und schneller als die Vorhersagen der US-Bundesbehörde Centers for Disease Control and Prevention (CDC) waren. Allerdings können an diesem Beispiel auch die Schwächen solch indirekter digitaler epidemiologischer Forschung aufgezeigt werden [27]: Durch die gleichzeitige Berichterstattung und Diskussion von Symptomen in sozialen Medien können Internetsuchen nach relevanten Begriffen, die durch die Lektüre von Nachrichten angeregt wurden, nicht von denen unterschieden werden, die aufgrund von Symptomen erfolgen. Obwohl Algorithmen zur Erkennung solcher Muster ständig angepasst werden, ist hier weiterer Forschungsbedarf gegeben. Zudem sind mit diesen Ansätzen bisher vornehmlich bestimmte Arten von Gesundheitsproblemen – insbesondere aus dem Bereich der übertragbaren Erkrankungen – erforschbar, wobei die Ausweitung auf Veränderungen bei Risikofaktoren für chronische Erkrankungen denkbar ist (beispielsweise zur Analyse der Nutzung neuer Formen des Rauchens).

Vorsorge und Planung für Notfälle im Bereich der öffentlichen Gesundheit

Insbesondere in diesem Bereich spielen digitale Medien, hier vor allem soziale Medien, eine entscheidende Rolle [28]. Sowohl formale Programme von internationalen Organisationen wie dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (z. B. [29]) als auch informelle Informationskanäle wie WhatsApp-Gruppen oder ähnliche digitale Communitys haben sich in Krisensituationen wie Naturkatastrophen oder terroristischen Anschlägen als wichtige Mittel zur schnellen Verbreitung von Informationen herausgestellt [30]. Allerdings können besonders in diesem Feld ein fehlendes oder ein zu großes Vertrauen in Informationen [31], das Verbreiten von irrelevanten und Fehlinformationen sowie die Entstehung von auf solchen Fehlinformationen beruhenden ungünstigen Verhaltensweisen zu erheblichen Problemen [32] führen.

Krankheitsprävention

Im Bereich der Prävention von Erkrankungen, vor allem der Prävention von lebensstilbezogenen Erkrankungen, lassen sich mehrere Ansatzpunkte für digitale Technologien identifizieren, angefangen von der personalisierten Identifikation von Risikofaktoren für Krankheiten und daraus abgeleiteten personalisierten Empfehlungen zur Verhaltensänderung oder Inanspruchnahme präventiver medizinischer Leistungen (z. B. Onlinetools zur Berechnung des familiären Risikos für Krankheiten mit genetischem Risiko; [33]) bis hin zu mobilen Anwendungen (Apps) zur Unterstützung oder direkten Modifikation von individuellen Verhaltensweisen. Insbesondere in diesem Bereich bündeln sich kommerzielle Interessen, was auch darin begründet ist, dass sich Lebensstil-Apps (relativ) schnell und unkompliziert programmieren lassen, insbesondere wenn die Entwicklung nicht nach evidenzbasierten Prinzipien erfolgt (z. B. [34, 35]). Dadurch kommt es zu einer unübersehbaren Vielzahl von Angeboten auf dem Markt (aktuell knapp 100.000 Apps in der Health-and-Fitness-Kategorie sowie weitere knapp 45.000 Apps in der Medical-Kategorie im Google Play Store (Google Ireland Ltd, Dublin, Irland); [36]), von denen allerdings nur ein verschwindend geringer Anteil reguliert oder evidenzbasiert entwickelt wurde.

Gesundheitsförderung

Auch in diesem Bereich liegt eine Vielzahl von online- und mobilbasierten Angeboten vor, die denselben Herausforderungen und Schwierigkeiten wie Apps im Bereich der Prävention von Erkrankungen unterliegen – vielleicht sogar noch stärker, weil sowohl Risikofaktoren als auch Ressourcen für Gesundheit unspezifischer und daher möglicherweise schwerer zu verändern sind als im Bereich der Prävention spezifischer Erkrankungen. Wir möchten hier insbesondere auf die Identifikation von Determinanten und Techniken zur Verhaltensänderung in mobilen Anwendungen aufmerksam machen (für Apps, die zur Reduktion von sedentärem Verhalten beitragen sollen, siehe z. B. [37]) und auf die Tatsache, dass die große Mehrzahl von Anwendungen solche Determinanten gar nicht erst verwendet oder adressiert. Auch hier stellt die Entwicklung von Anwendungen, die die Bedarfe und Präferenzen von spezifischen Adressatengruppen berücksichtigen, eine große Herausforderung dar (z. B. [38]).

Diese subjektive und selektive Übersicht von digitalen Gesundheitstechnologien bestätigt, dass in den Kernfunktionen von Public Health digitale Technologien eingesetzt werden können und dies aktuell auch schon stattfindet. Gleichzeitig zeigt dieser Überblick aber auch, dass ohne eine Einordnung digitaler Technologien in ein übergeordnetes Rahmenkonzept von Public Health und ohne eine solide Evidenzbasis der technologische Fortschritt und nicht evidenzbasierte und bedarfsgerechte Public-Health-Überlegungen die Entwicklung vorantreiben werden. Im Folgenden illustrieren wir dieses Spannungsfeld am Beispiel der digitalen Spaltung.

Das Problem der digitalen Spaltung

Ein großes Problem von Digital Public Health ist der „schmale[n] Grat zwischen Autonomie und externer Kontrolle bei der automatisierten Erfassung von Gesundheitsdaten“, wie es treffend von Dockweiler und Razum [39] formuliert wurde. Zwar erlaubt die Erfassung großer Datenmengen eine bessere Prozessevaluation und somit auch eine Optimierung von Public-Health-Programmen, aber sie birgt auch die Gefahr eines kritischen Ungleichgewichts zwischen den Entwicklern von Gesundheitstechnologien auf der einen und Nutzern sowie Nutzerinnen auf der anderen Seite. Entwickler von Gesundheitstechnologien können Daten aus dem Gebrauch ihrer Produkte ziehen und teilweise kommerziell weiterverwerten, während die Nutzer, die die relevanten und persönlichen Gesundheitsdaten produzieren, nicht ohne Weiteres auf die Daten zugreifen können, mithin auch ihre Nutzungsrechte abgeben [6]. Dieses Problem wird dadurch verstärkt, dass zum einen die sogenannte Digital Health Literacy, d. h. die Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien im Gesundheitsbereich, in der Gesellschaft ungleich verteilt ist [40]. Zum anderen ist der Zugang zu digitalen Technologien nicht in allen Bevölkerungsgruppen uneingeschränkt möglich, sei dies aus versorgungstechnischen Gründen (z. B. erschwerter Zugang zu Breitbandinternet im ländlichen Raum), aus Gründen mangelhafter Barrierefreiheit von digitalen Angeboten oder aus Gründen mangelhaft entwickelter Technologie, die bestimmte Adressaten nicht repräsentiert oder nicht gezielt anspricht [14]. Digitale Ungleichheit, d. h. eine ungleiche Verfügbarkeit digitaler Technologien in der Gesellschaft, kann jedoch u. a. mit einem ungleichen Zugang zu Informationen über Gesundheitsversorgung, ungleichen Zugängen zu Therapien und ungleichem Zugang zu Ressourcen für Gesundheitsförderung und Prävention einhergehen. Dies kann einerseits zu einer Vergrößerung von sozioökonomischer und gesundheitlicher Ungleichheit führen. Andererseits lassen sich Ansätze identifizieren, wie durch eine Verringerung der digitalen Spaltung und der ausgewogenen Nutzung neuer Technologien Ungleichheit bzw. gesundheitliche Ungerechtigkeiten vermindert werden können [4, 41, 42].

Im vorliegenden Heft beschäftigen sich die Beiträge von Cornejo-Müller et al. [43] sowie Schüz und Urban [44] ausführlicher mit Problemen und Risiken, die sich aus der ungleichen Verteilung von digitalen Ressourcen und der ungleich verteilten Nutzung von digitalen Angeboten ergeben können.

Datenschutz im Zeichen von Digital Public Health

Mit dem Sammeln von großen Datenmengen und ihrer Analyse anhand häufig undurchsichtiger Algorithmen kann sowohl Nutzen als auch Risiko verbunden sein. So können wir z. B. ein Interventionsprogramm entwickeln, das besser auf ein bestimmtes Individuum abgestimmt ist, und in Echtzeit seine Nutzung durch die jeweilige Person optimieren (sogenannte Just-in-Time Adaptive Interventions [JITAIs] [19]), aber wie garantieren wir, dass die erhobenen Daten nicht auch für andere Zwecke verwendet werden, die z. B. nicht durch die gegebene Einverständniserklärung abgedeckt sind? In Zeiten des Anspruchs, einmal erhobene Forschungsdaten auch anderen Forschern zur Verfügung zu stellen (Data Sharing), indem ein Forschungsdatenmanagement unter Berücksichtigung der FAIR(F = Findable, A = Accessible, I = Interoperable, R = Reusable)-Data Prinzipien aufgesetzt wird, wird Digital Public Health vor große Herausforderungen gestellt.

Grundsätzlich handelt es sich bei Gesundheitsdaten um sensible Daten, die eines besonderen Schutzes bedürfen. Ein solcher Schutz ist aber schwer sicherzustellen, wenn z. B. mithilfe von Gesundheitstrackern Informationen von Personen erhoben werden, die direkt von großen Internetkonzernen weiterverarbeitet werden können – zumeist ohne weitere Möglichkeit zur Einsicht durch Einzelpersonen. Ein möglicher Weg, der zumindest im Rahmen konkreter Forschungsvorhaben erhobene sensible Daten vor Missbrauch schützen kann, sieht distribuierte Datenanalysen vor, bei denen die Daten im jeweiligen Forschungsinstitut verbleiben und spezielle Analyseprogramme eingesetzt werden (z. B. DataSHIELD [45]), die keine Zusammenführung der Rohdaten erfordern. Eine andere Möglichkeit besteht darin, einen Vertrag mit möglichen Nutzern abzuschließen, nachdem geprüft wurde, ob der angestrebte Forschungszweck durch die gegebene Einverständniserklärung abgeklärt ist, und diesen anschließend einen auf ihre Forschungszwecke abgestimmten Analysedatensatz zur Verfügung zu stellen. In diesem Zusammenhang sind auch Ansätze wie der Personal Health Train [46] zu erwähnen. Dabei handelt es sich um eine verteilte Infrastruktur, die die (Nach‑)Nutzung von Gesundheitsdaten ermöglichen soll und die das Datenmanagement, die Datenanalyse und medizinische Entscheidungen unterstützt.

Diskussion

Das Potenzial digitaler Technologien im Bereich Public Health liegt in der Möglichkeit, (1) eine große Anzahl von Personen zu vergleichsweise geringen Kosten zu erreichen, (2) den direkten Kontakt (und die damit verbundenen Kosten) zu Personen bei der Implementation von Public-Health-Programmen zu reduzieren, (3) verschiedene Dimensionen effektiver Public-Health-Interventionen parallel zu adressieren und (4) große Datenmengen und objektive Messungen zu generieren, die wiederum für die Evaluation, das Monitoring und schlussendlich die Optimierung von Public-Health-Programmen genutzt werden können. Darüber hinaus kann die Bildung digitaler Gemeinschaften – sei es im Rahmen von spezifischen Programmen oder allgemeiner durch soziale Medien – dazu beitragen, ein gesundheitsförderndes Umfeld zu schaffen.

Allerdings sind mit Digital Public Health auch zahlreiche ungelöste und potenziell kritische Aspekte verbunden. Diese betreffen insbesondere die Sorge um den Schutz der Privatsphäre, Eigentumsrechte an den Gesundheitsdaten, die durch die Benutzung von Technologie entstanden sind, und das insgesamt doch starke Vertrauen auf technologische Entwicklungen statt auf persönliche Beziehungen und Engagement für und in der Gemeinschaft. Dazu kommen die vielen Stimmen, die davor warnen, dass z. B. durch die unterschiedlich ausgeprägte Kompetenz im Umgang mit digitalen Technologien sozioökonomische und damit auch gesundheitliche Ungleichheiten eher verstärkt werden.

In Bezug auf die Evaluation digitaler Public-Health-Ansätze ist derzeit noch von erheblichen Beschränkungen auszugehen. Malvey und Slovensky [47] zählen das Fehlen angemessener Evaluationsmodelle zu den wesentlichen Limitationen bei der Förderung von M‑Health aus globaler Sicht und konstatieren, dass die Entwicklung von Evaluationsmethoden nicht mit der hohen Geschwindigkeit der technologischen Entwicklung Schritt gehalten hat. Ein zentraler Ansatz sind derzeit systematische Literaturübersichten von E‑ und M‑Health-Interventionen. Dieser Ansatz ist im Sinne der Anforderungen an eine Evidenzbasierung zu begrüßen, allerdings stellt sich auch hier die Frage, ob die Methodik angesichts der schnellen Technologieentwicklung adaptiert und ergänzt werden muss. Ein Gegenargument kann darin begründet liegen, dass sich nur überdauernd und mehrfach eingesetzte E‑ und M‑Health-Maßnahmen in Public Health durchsetzen können, die dann wiederum Evidenzsynthesen zugänglich sind. Allerdings sind auch bei diesen Maßnahmen die für die Evaluation nutzbaren Follow-up-Zeiträume oft sehr eingeschränkt, sodass überdauernde Wirkungen (erwünscht wie unerwünscht) kaum zu beurteilen sind. Insgesamt ist von erheblichem Diskussions- und Entwicklungsbedarf in Bezug auf die Evaluation von Digital Public Health auszugehen.

Fazit

Auch wenn Digital Public Health grundsätzlich neue Wege erlaubt, um mit individuell zugeschnittenen Präventions- und Gesundheitsförderungsprogrammen breite Bevölkerungsgruppen anzusprechen, sind umfassende Evaluationen von Digital-Public-Health-Programmen immer noch selten und angemessene Evaluationsparadigmen stehen aus. Aspekte wie Nachhaltigkeit von kurzfristigen Effekten und adäquate Berücksichtigung der Nutzerperspektive wurden zudem bislang nicht ausreichend thematisiert.