Die Beeinflussung der corticalen Krampferregbarkeit durch das aufsteigende Reticulärsystem des Hirnstammes

Zusammenfassung

Die Beziehungen zwischen der Krampferregbarkeit der Hirnrinde und dem Erregungsniveau der aufsteigenden Reticulärformation des Hirnstammes wurden an Ratten bei verschieden tiefer Alkohol- und Barbituratnarkose untersucht. Die Versuche ergaben:

• 1. Sowohl unter der Alkohol- als auch unter der Barbiturateinwirkung steigt die Krampferregbarkeit des Cortex mit zunehmender Narkosetiefe zunächst über das Wachniveau an und fällt erst sekundär unter den Ausgangswert ab.

• 2. Der Anstieg der Krampferregbarkeit setzt jeweils zu einem Zeitpunkt ein, an dem das Erregungsniveau der unspezifischen Hirnstammstrukturen im Beginn der Narkose deutlich fällt.

• 3. Die quantitativen Beziehungen zwischen der Erregbarkeitsverminderung der Reticulärformation und der primären Steigerung der corticalen Krampferregbarkeit sind bei Einwirkung desselben Narkosemittels unter verschiedenen Versuchsbedingungen hinreichend konstant. Dagegen steigt die Krampferregbarkeit bei jeweils gleicher reticulärer Erregbarkeitssenkung in der Barbituratnarkose im Mittel höher als unter der Alkoholeinwirkung.

• 4. In den weniger tiefen Stadien sowohl der Alkohol- als auch der Barbituratnarkose wird die Steigerung der corticalen Krampferregbarkeit durch eine direkte oder indirekte Reaktivierung der unspezifischen Hirnstammstrukturen kurzfristig gelöscht.

Aus den Versuchsergebnissen wird die Schlußfolgerung gezogen, daß die frühzeitige Hemmung der reticulären Aktivität den Hauptfaktor darstellt, der den Anstieg der corticalen Krampferregbarkeit in weniger tiefen Narkosestadien bestimmt. Die sekundäre Senkung der Krampferregbarkeit kann dagegen auf eine direkte Rindenwirkung des Narkosemittels zurückgeführt werden. Die krampfhemmende Funktion des aufsteigenden Reticulärsystems scheint zu einem wesentlichen Teil auf einer Aktivierung hemmender corticaler Synapsenfunktionen zu beruhen.