Zusammenfassung
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1.
Die Geißelkammern als die hydromotorischen Organe des Schwammkörpers werden nach neuen Beobachtungen beschrieben und in ihrer Wirkungsweise analysiert.
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2.
Der Kragen der Choanocyten ist kontraktil und kann völlig eingezogen werden. Die mit einem Basalkorn im Plasma der Choanocyte verankerte Geißel ist länger, als bisher in der Literatur angegeben wurde. Bei voll ausgestrecktem Kragen verhalten sich die Längen von Zelleib zu Kragen zu Geißel wie 1∶2∶5.
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3.
Die Bewegungsweise der Geißel ist verschieden bei kontrahiertem und bei ausgestrecktem Kragen. Bei kontrahiertem Kragen hat die Geißel einen angeschmiegten Rückschlag und einen gestreckten Vorschlag. Bei ausgestrecktem Kragen entstehen „Seilwellen“, deren Schwingungen in einer Ebene liegen (photographischer Nachweis). Ein gedankliches Modell der Geißelbewegung wird gegeben. Die Schwingungsebene der Geißel wird langsam gedreht. Der Kragen gewährleistet eine relativ geradlinige und gerichtete Wirkungsachse der Geißel.
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4.
Als Resultante der Geißelbewegungen entsteht in der Geißelkammer ein einsinniger hydromotorischer Effekt in Richtung Apopyle. Durch ihn entsteht im zuleitenden System ein Unterdruck, im ableitenden ein Überdruck (Nachweise).
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5.
Der Weg der Wasserströmung wurde durch zugesetzte Substanzen (Tusche) markiert. Im ausführenden System folgt die Wasserströmung dem Weg des geringsten Widerstandes (Nachweise). Im groben ist die Strömungsgeschwindigkeit vom jeweiligen Durchmesser des Kanals abhängig, doch gelten nicht ohne weiteres makrohydrodynamische Gesetze, da in der vorliegenden Größenordnung Randkräfte und Reibung erheblichen Einfluß haben.
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6.
Aktive Umbauten im Kanalsystem und Ausbildung neuer Oscularrohre können die Strömungsrichtung umkehren.
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7.
Durch Kontraktion der einführenden Kanäle auf Reize hin kann die Durchströmung des Schwammkörpers teilweise oder völlig stillgelegt werden.
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8.
Für eine einzelne Geißelkammer kann eine tägliche Förderleistung vom 1200fachen ihres Volumens in Näherung berechnet werden.
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9.
Die Aufnahme der Nahrung wurde mit Hilfe von gefärbten verdaulichen Substanzen verfolgt. Die Hauptmasse der Nahrungspartikel wird mit dem Wasserstrom eingebracht, doch können auch die Zellen der Dermalmembran unmittelbar Partikel aufnehmen und an andere Zellen weitergeben. Bei auskeimenden Jungschwämmen ohne Kanalsystem ist dies der einzige Weg der Nahrungsaufnahme von außen.
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10.
Das einführende Kanalsystem ist ein einziges großes Filter, in dem alle Zellen, außer den Skleroblasten, Nahrungspartikel aufnehmen, wobei der größere Anteil auf die Archaeocyten entfällt. Diese zeigen in einem bestimmten Stadium der Verdauung besonders lebhafte Bewegungen und die intensivsten Verdauungsvorgänge. Die Archaeocyten besorgen auch den Transport der unverdaulichen Nahrungsteile zu den ausführenden Kanälen.
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11.
Die Exkrementation erfolgt an allen phagocytierenden Zellen durch eine Vakuole, die ihren Inhalt ausstößt und schließlich als leere Blase frei wird.
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12.
Die Schwammzellen haben für die Aufnahme der Nahrung kein Wahlvermögen zwischen verdaulichen und unverdaulichen Stoffen. Unverdauliche Partikel werden jedoch wesentlich schneller wieder ausgestoßen.
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13.
An Skleroblasten findet nachweisbar keine Phagocytose statt.
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14.
Die Bedeutung einer durch Randkräfte gebundenen und den gesamten Schwamm durchziehenden „Wasserhaut“ für humorale Korrelationen wird erörtert.
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Ausgeführt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft.
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Kilian, E.F. Wasserströmung und Nahrungsaufnahme beim Süsswasserschwamm Ephydatia fluviatilis . Z. Vergl. Physiol. 34, 407–447 (1952). https://doi.org/10.1007/BF00297877
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