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Spielarten der Verachtung

Sozialphilosophische überlegungen zwischen Gleichgültigkeit und Hass

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Über die Verachtung der Pädagogik

Auszug

Voltaires Worten mag Verschiedenes zugrunde gelegen haben: Geringschätzung, Überheblichkeit, aber auch schiere Verachtung, die den Verachteten nicht einmal mehr Beachtung gönnt. Eine solche, kalte Verachtung schlägt schließlich in völlige Vergleichgültigung um: das Verachtete „interessiert“ nicht mehr, ist „ohne Belang“ und hört in gewisser Weise, moralisch nämlich, auf zu existieren. Ihm kommt als Gegenstand der Verachtung kein Anspruch mehr zu; und es kann keinen Anspruch mehr erheben, der den Verächter noch zu erreichen vermöchte. Demgegenüber schlägt intensive, heiße Verachtung sehr leicht in Hass um, dem vom Gehassten her Gegenhass entgegenschlägt, so dass zunächst einseitige Verachtung alsbald in eine Symmetrie des Hasses mündet, der sich der Verächter kaum zu entziehen vermag. Während die aus Verachtung gespeiste Vergleichgültigung die Beziehung zum Verachteten und damit die Verachtung selbst aufzuheben neigt, mündet die in Hass umschlagende Verachtung ohne weiteres in eine Gegenseitigkeit, die die Asymmetrie zerstört, in der allein die Verachtung erreichen könnte, worauf sie Anspruch erhebt: den Anderen einseitig moralisch zu vernichten, ohne selbst das gleiche Schicksal zu erleiden. Zwischen Vergleichgültigung und Hass lässt sich die Verachtung ihrem Sinn nach als der — unmögliche, stets scheiternde — Versuch verstehen, eine moralisch absolut asymmetrische Beziehung zu etablieren, in der das bzw. der Verachtete moralisch nicht mehr „zählt“. So gesehen ist Verachtung eine Form moralischer Gewalt, deren vielfältige Erscheinungsformen (darunter so flüchtige wie das verächtliche Lächeln, aber auch so dauerhafte und endgültige wie die irreversible moralische Diskreditierung) bislang bei weitem nicht die Aufmerksamkeit auf sich gezogen haben, die ihnen als Spielarten einer intendierten Vernichtung Anderer gebührt, die sie nur als moralisch zerstörte am Leben lässt.

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© 2007 VS Verlag für Sozialwissenschaften | GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden

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Liebsch, B. (2007). Spielarten der Verachtung. In: Ricken, N. (eds) Über die Verachtung der Pädagogik. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90737-6_2

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