Auszug
Einer der zentralen Grundkonflikte seit der Herausbildung und Etablierung der deutschen Jugendhilfe zu Beginn des 20. Jahrhunderts besteht in der Frage, ob der Staat die elterliche Erziehungstätigkeit lediglich von außen in ihrer Handlungsfähigkeit stützen oder aber eigenständige Sozialisations- bzw. Erziehungsinstanzen bereitstellen solle, die einem familienersetzenden oder aber zumindest familienergänzenden Selbstverständnis folgen. Ein zweiter Grundkonflikt entzündete sich immer wieder aufs Neue an der sich daran anschließenden Frage, wer gegebenenfalls Träger außerfamilialer Bildungs-, Betreuungs- und Erziehungsinstitutionen sein solle—der Staat oder aber freigemeinnützige Träger. Die freigemeinnützige Wohlfahrtspflege beanspruchte von Beginn an eine größere Nähe zur Familie und den privaten Lebensgemeinschaften und begründete dies mit dem Wertbezug von Erziehungsvorstellungen und Erziehungsleitbildern und dem daraus abgeleiteten Recht der Eltern, eine außerfamiliale Erziehung und Bildung ihrer Kinder nach eigenen Wertorientierungen und religiösen Bindungen auswählen zu dürfen. Die Schule ist die einzige Institution, die sich zu einem historisch frühen Zeitpunkt als unangefochtene zentrale und staatliche Sozialisationsinstanz neben der Institution Familie etablieren konnte. Diese zwei Seiten eines Grundkonflikts in Bezug auf die Familie und die staatliche Etablierung eines Kontroll- und Hilfesystems beherrscht die Diskurse um die Gestaltung der Jugendhilfe über deren gesamtes Bestehen hinweg und ist—so unsere These—einer der neuralgischen Punkte für den immer wieder beklagten geringen Stellenwert der Jugendhilfe im wohlfahrtsstaatlichen Gefüge.
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Mierendorff, J., Olk, T. (2007). Kinder- und Jugendhilfe. In: Ecarius, J. (eds) Handbuch Familie. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90675-1_29
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