Auszug
Vor dem Hintergrund des Erweiterungsprozesses der Europäischen Union hat ein Reflexionsprozess über das Fundament und die „Finalitat“ des gemeinsamen Europas eingesetzt. Dabei wird unter anderem die Frage diskutiert, was die verbindende, von den Bürgern Europas getragene Grundlage bilden könnte, die dem Bündnis dauerhafte Stabilität verleiht. Mit anderen Worten: Es wird verhandelt, ob eine auf Europa bezogene kollektive Identität1 existiert, ob eine solche kollektive Identität notwendig und wünschenswert ist und was deren mögliche Bezugsgrößen sind bzw. sein könnten. Diejenigen, die sich an dieser Debatte beteiligen, sind sich zumindest in zwei Punkten einig: Erstens, so die weithin geteilte Annahme, mangelt es Europa an einer solchen kollektiven Identität, an einem europäischen „Wir“-Gefühl. „Europa ist eine Kopfgeburt“, die das Herz der Bürger nicht anspreche, so zum Beispiel Ralf Dahrendorf (1994: 760). Der Raum, zu dem Menschen Zugehörigkeit empfinden, ist nach wie vor der Nationalstaat. Die direkte Befragung der Bürger in Europa bestätigt diese Beobachtung. Laut Eurobarometer definiert sich in etwa nur einer von zehn EU-Bürgern in erster Linie als Europäer. Neun von zehn Befragten dagegen geben an, dass ihre primäre Bindung nach wie vor auf ihre nationale Zugehörigkeit bezogen bleibt (zit. nach Däuble 2004; vgl. dazu auch Riketta/Wakenhut 2002).
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Schwelling, B. (2006). Das Gedächtnis Europas. Eine Diagnose. In: Beichelt, T., Chołuj, B., Rowe, G., Wagener, HJ. (eds) Europa-Studien. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-531-90007-0_4
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