Zusammenfassung
»Die Geschichte einer Wissenschaft ist die Wissenschaft selbst«, heißt es in Ernst v. Feuchterslebens (1806–849) Lehrbuch der ärztlichen Seelenkunde aus dem Jahre 1845 (v. Feuchtersleben 1845, S. 5). — Wissenschaftsgeschichte mag als Ideen-, Problemoder Methodengeschichte begriffen werden, immer wird sie auch auf die Namen derer rekurrieren müssen, die sich in Forschung, Lehre und/oder Praxis um das betreffende Fachgebiet verdient gemacht haben. Dies als Ikonographie zu diskreditieren, greift mit Sicherheit fehl.
Wer aus einer solchen Perspektive nach Wurzeln der medizinischen Psychologie im Raume Dresden sucht, stößt bekanntlich auf die Werke zweier hochreputierter Gelehrter, nämlich Carl Gustav Carus (1789–1869) und Johannes Heinrich Schultz (1884–1970). Verweise auf andere Autoren finden sich im einschlägigen Schrifttum bislang nicht (Huppmann u. Hoffmann 1977; Huppmann 2003).
Carus’ Schriften, wie etwa »Vorlesungen über Psychologie« (Carus 1831), »Psyche« (Carus 1846), »Symbolik der menschlichen Gestalt« (Carus 1852) oder »Erfahrungsresultate aus ärztlichen Studien und ärztlichem Wirken…« (Carus 1859), wieder zu lesen, verspricht reichen Gewinn, beispielsweise bezogen auf die Lehre vom Unbewussten, die Physiognomik, das sog. Leib-Seele-Problem oder die Arzt-Patient-Beziehung. Hervorzuheben ist nicht zuletzt der Beitrag dieses Arztes, Wissenschaftlers und Künstlers zur Etablierung der Psychologie im Bereich der Medizin (Ficker 1995, 1996; Grosche 1996).
Mit Schultz, einem Nervenarzt, verbinden wir die Inauguration des autogenen Trainings (Schultz 1987, S. 5 ff.) sowie u. a. richtungweisende Abhandlungen zur Konzeptualisierung einer medizinischen Psychologie (Schultz 1944, 1955). Von 1920 bis 1924 war er Chefarzt und wissenschaftlicher Leiter der »Gesundheitserziehungsanstalt Weißer Hirsch« in Dresden, jenes bekannten Sanatoriums, das der Ingenieur und Mediziner Johann Heinrich Lahmann (1860–1905) im Jahre 1888 gegründet hatte (Shorter 1990). Dass Schultz kurz nach Übernahme der o. g. Ämter zeitweise auch medizinische Psychologie an der Dresdener Technischen Hochschule lehrte, ist kaum mehr bekannt (Schultz 1964, S. 90 ff.). Sein wissenschaftliches Interesse galt damals neben der »Konzentrativen Selbstentspannung« der Traumpsychologie (Schultz 1924), der Psychoanalysekritik (Schultz 1921a) und der Anwendung verschiedener Psychotherapieverfahren in der ärztlichen Allgemeinpraxis (Schultz 1921b).
»Die Geschichte einer Wissenschaft ist die Wissenschaft selbst.« — So zutreffend dieser Satz auch sein mag, in ihrem kollektiven Gedächtnis bleiben meist nur jene ihrer Vertreter präsent, denen man bahnbrechende Erkenntnisse, spezifische Beiträge zur Institutionalisierung des jeweiligen Faches und/oder hervorragende praxisbezogene Leistungen zuschreibt. Obzwar ebenfalls durch respektable Schriften bzw. anderweitige berufsbezogene Aktivitäten ausgewiesen, gerät mancher ihrer Kollegen dagegen mit der Zeit völlig in Vergessenheit.
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