Zusammenfassung
Während in der öffentlichen Debatte Individualisierung meist fälschlicherweise nur als Freisetzung des Einzelnen aus traditionellen Zwängen dargestellt wird, knüpft dieser Beitrag an die klassische Bestimmung von gesellschaftlichen Individualisierungsprozessen an: als ambivalente Einheit von Freisetzung und neuer Einbindung des Subjekts in gesellschaftliche Strukturen. Wie sich gesellschaftliche Individualisierungsprozesse in diesen beiden widersprüchlichen Dimensionen auf die alltägliche Lebensführung von Familien auswirken wird an Hand von empirischen Befunden des Projekts „Alltägliche Lebensführung“diskutiert.
Gezeigt wird, daß der Familienalltag zur zunehmend komplexen Gestaltungsaufgabe wird, in der Elemente wie Flexibilisierung und Rationalisierung immer bedeutsamer werden. Neue Anforderungen in der Arbeit des Alltags können je nach materiellen, kulturellen, sozialen aber auch persönlichen Ressourcen neue Chancen, aber auch neue Risiken für die Subjekte mit sich bringen. Erweiterte Handlungsspielräume sind eine ebenso mögliche Konsequenz wie das Gefühl der ständigen Überforderung und Hilflosigkeit.
Mit diesem Beitrag werden zentrale empirische Befunde des Projekts in den Kontext der (familien-)soziologischen Debatte um Individualisierung und neue Risiken gestellt. Die Analyse der alltäglichen Lebensführung zeigt typische aktuelle Entwicklungen in Familien in Richtung Individualisierung in ihrem Spannungsverhältnis von Freisetzung aus traditionellen Bindungen einerseits und Einbindung in neue, immer unübersichtlicher werdende Abhängigkeiten andererseits. Zugleich wird deutlich, wie sehr Familien heute dazu gezwungen sind, familiale Gemeinsamkeit im Alltag gegen die dominante Logik herrschender gesellschaftlicher Strukturen durchzusetzen.
Access this chapter
Tax calculation will be finalised at checkout
Purchases are for personal use only
Preview
Unable to display preview. Download preview PDF.
Literatur
Beck, U. (1986): Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne. Frankfurt a.M.
Beck, U./Beck-Gernsheim, E. (1990): Das ganz normale Chaos der Liebe. Frankfurt a.M.
Behringer, L./Dunkel, W./Jurczyk, K./Kudera, W./Rerrich, M.S./Voß, G.G (1989): Auf dem Weg zu einer neuen Art der Lebensführung? In: Mitteilungen 1 des SFB 333
Behringer, L./Dunkel, W. (1991): Wenn nichts mehr sicher ist — Formen von Lebensführung unter instabilen Arbeits- und Lebensbedingungen. In: Mitteilungen 3 des SFB 333
Bertram, H./Dannenbeck, C. (1990): Pluralisierung von Lebenslagen und Individualisierung von Lebensführungen. Zur Theorie und Empirie regionaler Disparitäten in der Bundesrepublik Deutschland. In: Berger, P.A./Hradil, S. (Hg.): Lebenslagen — Lebensläufe — Lebensstile. Soziale Welt, Sonderband 7. Göttingen 1990, S. 207–229
Bispinck-Hellmich, R. (1988): Daten und Fakten zur Arbeitszeit. WSI-Arbeitsmaterialien Nr. 18
Diezinger, A. (1993): Geschlechterverhältnis und Individualisierung: Ungleichheitsrelevanz primärer Beziehungen. In: Frerichs, P./Steinrücke, M.: Soziale Ungleichheit und Geschlechterverhältnisse. Opladen
Garhammer, M./Gross, P. (1991): Synchronisation von Sozialzeit: eine moderne Gestaltungsaufgabe der Familie. Forschungsforum der Universität Bamberg, Bamberg
Giesen, B./Leggewie, C. (Hg.) (1991): Experiment Vereinigung. Ein sozialer Großversuch. Berlin
Groß, H./Prekuhl, U./Thoben, C. (1987): Arbeitszeitstrukturen im Wandel. In: Der Minister für Arbeit. Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein Westfalen (Hg.): Arbeitszeit ‘87, Düsseldorf, Teil II
Groß, H./Thoben, C./Bauer, F. (1989): Arbeitszeit ‘89. Ein Report zu Arbeitszeiten und Arbeitszeitwünschen in der Bundesrepublik. Köln
Hochschild, A./Machung, A. (1990): Der 48-Stunden-Tag. Wege aus dem Dilemma berufstätiger Eltern. Wien
Jurczyk, K./Kudera, W. (1991): Verfügung über Zeit? Die ganz unterschiedlichen Auswirkungen flexibler Arbeitszeiten auf die Lebensführung. In: Flecker, J./ Schienstock, G. (Hg.): Flexibilisierung, Deregulierung und Globalisierung. München/Mering (Abdruck in diesem Band)
Jurczyk, K./Rerrich, M.S. (Hg.) (1993): Die Arbeit des Alltags. Beiträge zu einer Soziologie der alltäglichen Lebensführung. Freiburg
Kickbusch, Ilona (1987): Laudatio anläßlich der Verleihung des Münchener Förderpreises für Frauenforschung und Frauenkultur. In: Landeshauptstadt München (Hg.): Verleihung des Münchener Förderpreises für Frauenforschung und Frauenkultur an den Verein zur Förderung einer Frauenakademie München F.A.M., München
Kudera, W./Voß, G.G. (1990): Lebensführung zwischen Routinisierung und Aushandlung. Die Arbeitsteilung der Person unter Veränderungsdruck. In: Hoff, E. (Hg.): Die doppelte Sozialisation Erwachsener. München
Mayr-Kleffel, V. (1991): Frauen und ihre sozialen Netzwerke. Auf der Suche nach einer verlorenen Ressource. Opladen
Müller, H.-U. (1991): Familie und Wohnen — Wohnung und Wohnumfeld. In: Bertram, H. (Hg.): Die Familie in Westdeutschland. Stabilität und Wandel familia-ler Lebensformen. DJI: Familien-Survey 1. Opladen
Ott, E./Gerlinger, Th. (1992): Die Pendlergesellschaft. Köln
Rerrich, M.S. (1990): Balanceakt Familie. Zwischen alten Leitbildern und neuen Lebensformen. Freiburg, 2. Aufl.
Rerrich, M.S. (1993): Auf dem Weg zu einer neuen internationalen Arbeitsteilung der Frauen in Europa? Beharrungs- und Veränderungstendenzen in der Verteilung von Reproduktionsarbeit. In: Schäfers, B. (Hg.): Dokumentation des 26. Deutschen Soziologentages in Düsseldorf 1993
Rerrich, M.S./Voß, G.G. (1992): Vexierbild soziale Ungleichheit. Die Bedeutung alltäglicher Lebensführung für die Sozialstrukturanalyse. In: Hradil, S. (Hg.): Zwischen Bewußtsein und Sein. Die Vermittlung „objektiver“Lebensbedingungen und „subjektiver“Lebensweisen. München (Abdruck in diesem Band)
Statistisches Bundesamt (Hg.) (1992): Datenreport 1992. Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland. Bonn
Thurnwald, H.(1948): Gegenwartsprobleme Berliner Familien. Berlin
Vaskovics, L. (1988): Veränderungen der Wohn- und Wohnumweltbedingungen in ihrer Auswirkung auf die Sozialisationsleistungen der Familie. In: Nave-Herz, R. (Hg.): Wandel und Kontinuität der Familie in der Bundesrepublik Deutschland. Stuttgart
Voß, G.G.(1991a): Lebensführung als Arbeit. Über die Autonomie der Person im Alltag der Gesellschaft. Stuttgart
Voß, G.G. (Hg.) (1991b): Die Zeiten ändern sich — alltägliche Lebensführung im Umbruch. Sonderheft II der Mitteilungen des SFB 333. München
Editor information
Rights and permissions
Copyright information
© 2000 Leske + Budrich, Opladen
About this chapter
Cite this chapter
Rerrich, M.S. (2000). Zusammenfügen, was auseinanderstrebt: zur familialen Lebensführung von Berufstätigen. In: Kudera, W., Voß, G.G. (eds) Lebensführung und Gesellschaft. VS Verlag für Sozialwissenschaften. https://doi.org/10.1007/978-3-322-95162-5_13
Download citation
DOI: https://doi.org/10.1007/978-3-322-95162-5_13
Publisher Name: VS Verlag für Sozialwissenschaften
Print ISBN: 978-3-8100-2745-0
Online ISBN: 978-3-322-95162-5
eBook Packages: Springer Book Archive