Zusammenfassung
Der nun folgende Abschnitt versucht, die Konstitution des Nicht-Verstehens aufzuzeigen, wobei die Existenz des Nicht-Verstehens schon vorausgesetzt ist. Die Frage, die beantwortet werden soll, ist nun die, wie ‘Nicht-Verstehen’ möglich ist. Solche Fragestellung erinnert an einen transzendentalphilosophischen Ansatz, und in der Tat nimmt in den folgenden Reflexionen das transzendentalphilosophische Moment einen wichtigen Stellenwert ein. Allein, es kann sich nicht um eine Transzendentalphilosophie handeln, denn diese hat die Selbstkonstitution eines autonomen Subjekts zum Ziel. Die Gewißheit des Wissens, des Begreifens kann aber einer Begründung des Nicht-Verstehens niemals folgen. Ein mögliches Nicht-Verstehen negiert das transzendentale Bewußtseinssubjekt, noch über dessen Angewiesenheit auf Begriffe hinaus. Das war ja Adornos Anliegen: zu zeigen, daß eine Begriffsdialektik die nicht eingehaltenen Versprechen der Kantschen Transzendental-Philosophie nicht einzulösen in der Lage ist. Eine Begründung des Nicht-Verstehens, das dieses schon auf der Ebene der Erfahrung ansiedeln will, läßt einem transzendentalen Bewußseinssubjekt kein Refugium.
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Notes
Eigentlich müßten wir an dieser Stelle konsequenterweise von Bewußtsein sprechen: in der Konstitution des Bewußtseins wird Unbewußtes erzeugt, worin sich wiederum das Nicht-Verstehen konstituiert. Wenn wir also den Titel des ‘Unbewußten’ verwenden, so meinen wir immer damit den Komplex: Bewußtsein/Unbewußtes.
Es gibt auch hermeneutische Ansätze, die die kollektive Sinnstiftung vor die individuelle Bewußtseinsbildung setzen. Vgl. Buber et al. 1970
Bei Durkheim soll das Postulat einer methodologischen Regel entsprechen, aber jede Methodologie ist zugleich auch implizit die Theorie ihres Gegenstandes. Was Durkheim als ‘Dinglichkeit’ postuliert, ist eben kein Ding, und deswegen ist sein Unterfangen ein metaphysisches. (Vgl. Durkheim 1965 )
Wobei das biologische Desiderat meist die Funktion einer Metaphysik übernimmt. Man sprach in diesem Kontext vom ‘Gesellschaftsinstinkt’ oder eben vom Wille Gottes, nach dem der Mensch gesellig sein soll.
Vgl. Bergson 1949
Schütz beruft sich in seinem Werk explizit auf Husserls Phänomenologie. Der Einfluß Bergsons ist offensichtlich, angesichts des zentralen Stellenwertes, den die -Dauer-als Konstitution der Erfahrung bei Schütz einnimmt.
Vgl. Schütz 1974: 192
Vgl. Schütz 1974: 219
Vgl. Schütz 1981: 147ff
Vgl. Schütz 1974: 144ff
Hierzu der Aufsatz ‘Der Fremde’ (in: Schutz, Bd. II 1972: 53ff). Schütz beschreibt hier die Integrationsvorgänge des ’sich nähernden Fremden’. Der Fremde kann als Fremder nicht existieren: er muß eine Bewegung der Identifikation vollziehen, die auch immer gelingen muß. Die soziale Erfahrung der Fremdheit ist immer schon bezogen auf eine vorgängige Vertrautheit.
Vgl. Schütz und Parsons 1977
Vgl. Parsons 1976: I24ff
Vgl. Parsons 1977: 127f
Vgl. Luhmann 1987: 186
Vgl. Luhmann 1992: 360f
Vgl. Luhmann 1992: 240
Vgl. Luhmann 1992: 291
In einer Fußnote bei Luhmann heißt es: “Auch sind Philosophen, die sich mit Hegel befassen, zumeist nicht bereit, das Bewußtsein auf den Bereich zu beschränken, indem es empirisch vorfindbar ist, nämlich auf psychische Systeme.” (Luhmann 1992: 496)
Vgl. Luhmann 1992: 640
Der Staat ist als die Wirklichkeit des substantiellen Willens, die er in dem zu seiner Allgemeinheit erhobenen besonderen Selbstbewußtsein hat, das an und für sich Vernünftige. Diese substantielle Einheit ist absoluter unbewegter Selbstzweck, in welchem die Freiheit zu ihrem höchsten Recht kommt, so wie dieser Endzweck das höchste Recht gegen die Einzelnen hat, deren höchste Pflicht es ist, Mitglied des Staats zu sein.“ (Hegel Bd. VII, 1969: 399 )
In einer wohlgeordneten Monarchie kommt dem Gesetz allein die objektive Seite zu, zu welchem der Monarch nur das subjektive -Ich will-hinzuzusetzen hat.“ (Hegel Bd.VII, 1969: 451)
In: ‘Erzählungen’ (Kafka Bd.IV, 1976: 120ff)
Wie es beispielsweise in Sartres Erzählungen und Dramen oft der Fall ist.
Näheres zum ‘Goodman-Paradoxon’ vgl. Kutschera Bd. I, 1972: 137 ff)
Ulrich Sonnemann hat das Gesetz im Kontext seiner ‘Furcht vor dem Satz’ interpretiert, und dabei ebenfalls die Erzählung Kafkas herangezogen. Bei Sonnemann erscheint der Satz, gegen welchen das Gesetz gerichtet ist, als die Unruhe des Besonderen in seinem Anspruch gegen das Allgemeine oder das Befestigte. Auch der Abbruch des Gesprächs durch das Gesetz, die Nivellierung der hermeneutischen Situation wäre Resultat dieser Angst. (Vgl. Sonnemann 1981: 301ff)
Vgl. Kutschera Bd I, 1972: 329
Mit welcher These sich Kierkegaard kritisch und eindringlich beschäft; -er kommt zum Resultat, daß die Individualität die Bedingung des Glaubens ist, da der Glaube über den ethischen Begriff der Sünde (bei Hegel) erhaben ist. ( Vgl. Kierkegaard 1976 I I )
Man könnte, nicht ohne Zynismus, von den Stalinschen Schauprozessen als einer diesbezüglichen Ausnahme sprechen: hier wurden die ‘Verbrecher’ zur Einsicht gezwungen. Im Akt der Selbstkritik wurde das Hegelsche Modell mit Gewalt durchgesetzt. Vor aller Welt fanden Bucharin, Deborin etc. in der Verbannung oder im Todesurteil offiziell die Tat der Ihrigen.
Vgl. Hegel Bd. VII, 1969: 381
Man muß das bekannt gewordene Wort vom ‘Bürgerrecht auf Bildung’ vom Kopf auf die Füße stellen und das Recht als Bildungspflicht des Bürgers durchsetzen.“ (Schelsky 1980: 127)
Die Wahrnehmung des Menschen ist nach bestimmten Gestalten, Schemata strukturiert. Ob der Frosch, der nur die Fliege und nicht die Maus wahrnehmen kann, bereits eine ‘metaphysische Erfahrung’ macht, wäre sehr anzuzweifeln. Allerdings ist von einem Kontinuum zwischen der Wahrnehmung in bestimmten Gestalten und einer semantischen Wahrnehmung auszugehen. Daß die Morphologie der Erfahrung in ihre metaphysische Struktur reicht, bedeutet aber nicht, daß es eine ’natürliche Metaphysik’ gäbe. Die ‘metaphysische Erfahrung’ schließt sich aber an die natürliche Gestaltwahrnehmung an und ist von ihr durchdrungen.
Vgl. Freud, S.: ‘Das Unbewußte ’ (Freud Bd. I II, 1974 )
Vgl. Lacan 1980: 291ff.
Vgl. Schelling 1977: 98 ff und 160 ff. Schelling kommt letztlich auf einen ‘theologischen Prozeß’; -wichtig aber ist, daß er quasi die Grenzen des Denkens aus sich selbst ableitet.
Vgl. Schopenhauer, A.: ‘Die Welt als Wille und als Vorstellung’; (Schopenhauer 1972, Bd. 1 und Bd.2)
Vgl. Hartmann Bd. I 1931: 86ff
Vgl. Ricceur 1974 II
Vgl. den Abschnitt über ‘Sartre/Ricceur’ im ersten Teil dieser Arbeit.
Vgl. Freud: ‘Jenseits des Lustprinzips’ (Freud Bd. III,1971)
Lorenzer demonstriert die hermeneutische Arbeit der Psychoanalyse in seinem Buch ‘Sprachzerstörung und Rekonstruktion’ am Fallbeispiel des kleinen Hans’, der den ‘Sinn’ von Pferd nicht weiß.
Vgl. Lorenzer 1973: 218
Lang. H.: ‘Sprache - das Medium der psychoanalytischen Therapie’ (Gadamer und Boehm 1978: 268)
Lacan spricht auch vom ‘Subjekt des Subjekts’ welcher Terminus unserem ‘Subjekt des Individuums’ entspricht.
Es ist Mode, Lacan zu mystifizieren, an welchem Phänomen er wesentliche Mitschuld trägt. Sein Neurosenmodell, das sich eigentlich nie geändert hat, läßt sich ganz einfach in eine allgemeine Sozialisationstheorie einpassen, so wie sie von anderen europäischen ‘fortschrittlichen’ Psychoanalytikern schon länger formuliert wurde.
Was in gewisser Weise den Gestus der Husserlschen Phänomenologie imitiert. In der ‘epoché’ Husserls wird auch der Geltungsanspruch der Wirklichkeit zu Gunsten der Erfahrbarkeit eingeklammert. (Vgl. Husserl 1977)
Ein Versuch der ‘Einordnung’ Lacans zwischen traditioneller Hermeneutik und neuem Strukturalismus stammt von M. Frank. Am Ende dieses Versuchs sieht Frank eine Nähe Lacans zur frühen deutschen Romantik im Kontext der Frage nach der Individualität. Zu bemerken ist, daß Lacan selber die Individualitätsproblematik nicht besonders interessiert: diese ist vielmehr erst philosophisch aus seinem Werk zu deuten.(Vgl. Frank 1980: 114 )
Zu diesem Thema: Canguilhem 1972
In diesem Kontext wird die Psychoanalyse häufig mit jener Passage der Hegelschen Phänomenologie verglichen, die den Ausweg aus dem ‘unglücklichen Bewußtsein’ zeigt: bei Hegel allerdings sind die Menschen am Ende schlechthin glücklich, während bei Freud das Glücksversprechen nie einlösbar ist.
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Schurz, R. (1995). Die Konstituenten. In: Negative Hermeneutik. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-12254-8_5
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