Zusammenfassung
Heiner Geißler, damaliger Sozialminister der CDU in Rheinland-Pfalz, formulierte im Jahr 1976 eine „Neue soziale Frage“. Damit wollte er die Probleme der im Sozialstaat außerhalb des Arbeitsmarktes stehenden Gruppen beschreiben, die nicht durch mächtige organisierte Interessenverbände vertreten werden und daher in den wirtschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen häufig zu kurz kommen. Die „Alte soziale Frage“, den ungenügenden Anteil des Faktors Arbeit am Volkseinkommen, betrachtete er durch die Tätigkeit der Gewerkschaften und die im Rahmen der Tarifautonomie im Verhandlungsweg erzielten Ergebnisse als gelöst oder zumindest in geordnete Bahnen gelenkt. Diese Sicht wurde durch Ergebnisse seiner Armutsuntersuchung gestützt, die besonders hohe Armutsquoten bei Gruppen außerhalb des Arbeitsmarktes (Alte, Familien mit mehreren Kindern) zeigte. Dabei beschränkten sich die Ergebnisse auf Einkommensarmut. Diese politisch gegen die damalige sozial-liberale Koalition gerichtete Studie gab den Anstoß zu verstärkter Armutsforschung in Deutschland, die die Geißlerschen Ergebnisse in vielen Punkten modifizierte und sie durch das Aufgreifen zusätzlicher Fragen weiterführte. Letztlich blieb aber offen, ob mit diesen Ergebnissen der Armutsforschung das Entstehen einer „Neuen sozialen Frage“ bewiesen war. Genauer gesagt: Diese sehr generelle Fragestellung hat man einfach aus dem Auge verloren. Dazu mag auch beigetragen haben, daß es in den folgenden Jahren wenigstens bei einer der genannten Gruppen, bei den Alten, gelang, die Armutsquote deutlich zu reduzieren.
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Hauser, R. (2000). Überlegungen zur Abgrenzung einer „Underclass“ aus ökonomischer Sicht. In: Büchel, F., Diewald, M., Krause, P., Mertens, A., Solga, H. (eds) Zwischen drinnen und draußen. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11927-2_2
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