Zusammenfassung
Noch im Sommer 1989 schien die Tschechoslowakei eine unerschütterliche Festung des Sozialismus sowjetischen Typs zu sein: unbeeindruckt von den Ereignissen in den Nachbarländern, unbeirrbar durch Demonstrationen im eigenen Land. Heute kann man bisweilen hören, die Tschechische Republik sei kein postkommunistischer Staat mehr, sondern eine „normale Demokratie“ (Vodička 1996, S. 411). Fast zehn Jahre sind seit dem 17. November 1989 vergangen, als mit der Demonstration auf der Národni třída (Nationalstraße) der rasante Untergang des sog. „Normalisierungsregimes“ in der Tschechoslowakei eingeläutet wurde.1 Der Alltag von damals — die Jagd nach knappen Waren, die sorgfältig mit den Portraits der politischen Führer dekorierten Auslagen von Wurst- und Friseurläden, aber auch die Metrobillets zu einer Krone — das alles scheint schon längst ein „fernes Land“ zu sein (Judt 1993). Tschechien, der westliche Teil der 1993 auseinandergebrochenen Tschechoslowakischen Republik, hat sein Gesicht rasch verändert. Zumindest in den Städten erinnern nur noch die monströsen architektonischen Überbleibsel an die Jahre des Sozialismus. Aber nicht nur äußerlich hat man sich in Tschechien darum bemüht, die Vergangenheit so schnell wie möglich abzuschütteln. Abgesehen von der Bundesrepublik Deutschland hat kein anderer Staat so weitreichende gesetzliche Bestimmungen mit dem Ziel der „Vergangenheitsbewältigung“ erlassen wie die Tschechische Republik. Und nirgendwo sonst sind die Sehnsucht nach der „alten Zeit“ und postkommunistische Strömungen so schwach ausgeprägt wie hier.
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Brenner, C. (1998). Vergangenheitspolitik und Vergangenheitsdiskurs in Tschechien 1989–1998. In: König, H., Kohlstruck, M., Wöll, A. (eds) Vergangenheitsbewältigung am Ende des zwanzigsten Jahrhunderts. Leviathan Sonderhefte, vol 18. VS Verlag für Sozialwissenschaften, Wiesbaden. https://doi.org/10.1007/978-3-663-11730-8_10
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