1 Einleitung

Pluripotente Stammzellen (PS-Zellen)Footnote 1 des Menschen wurden erstmals in den 1990er-Jahren aus der inneren Zellmasse von Präimplantationsembryonen unter Anwendung zuvor in der Maus und im nicht-humanen Primaten etablierter Techniken gewonnen (Thomson et al. 1998). Durch Selektion pluripotenter Zellen und deren klonaler Vermehrung wurden die ersten menschlichen embryonalen Stammzellen (ES-Zellen) entwickelt. Basierend auf einem tiefen Verständnis der für den Pluripotenzerhalt notwendigen molekularen Mechanismen gelang es Takahashi und Yamanaka, Transkriptionsfaktoren zu identifizieren, die bei kombinierter Anwendung als „OKSM“ (Oct3/4, Klf4, Sox2, c-Myc) somatische Zellen (z. B. Hautzellen) in sog. induzierte pluripotente Stammzellen (iPS-Zellen) reprogrammieren können (Buganim et al. 2013). Die Erstbeschreibung erfolgte im Mausmodell (Takahashi und Yamanaka 2006) und kurz darauf im Menschen (Takahashi et al. 2007).

ES- und iPS-Zellen sind hinsichtlich ihres Entwicklungspotentials als weitestgehend gleichwertig einzustufen. Der Begriff PS-Zellen umfasst ES- und iPS-Zellen. PS-Zellen können unter Erhalt ihrer Pluripotenz vermehrt und in alle Zelltypen des Organismus differenziert werden. Der kontrollierte Erhalt der Pluripotenz wie auch die gezielte Differenzierung erfordern den Einsatz definierter Kulturbedingungen.

Dass heute nach nur ca. 20 Jahren seit Erstbeschreibung bereits differenzierte Zellprodukte aus menschlichen PS-Zellen in der klinischen Erprobung sind, ist bemerkenswert. Zum Vergleich: Die Entwicklung der heute wichtigsten Medikamente hat im Mittel etwa 30 Jahre gedauert (Spector et al. 2018). Herausforderungen auf dem Weg in die klinische Anwendung von Zellprodukten aus menschlichen PS-Zellen sind insbesondere (1) die Herstellung reiner therapierelevanter Zelltypen in einem klinisch nutzbaren Maßstab und (2) die Entwicklung von Verfahren für die sichere Anwendung und spezifische Integration der aus PS-Zellen abgeleiteten differenzierten Zelltypen. Zugleich war und bleibt eine kontinuierliche Erforschung von Wirkmechanismen essenziell, um optimale Resultate zu erzielen. Hier sei darauf hingewiesen, dass auch bei Medikamenten der Regelversorgung immer Wissenslücken bestehen, die durch begleitende Forschung geschlossen werden müssen, um Wirkungen zu optimieren und Nebenwirkungen zu reduzieren.

Klar ist bereits heute, dass die Anwendung von aus PS-Zellen des Menschen abgeleiteten Arzneimitteln die Therapie von bisher nur unzureichend behandelbaren Erkrankungen („unmet medical need“) radikal verändern wird. Erste klinische Studien mit aus ES-Zellen abgeleiteten Zellprodukten wurden bereits vor ca. 10 Jahren gestartet (Mandai et al. 2017; Menasché et al. 2018). In Deutschland wurde die erste Studie zur Anwendung von aus iPS-Zellen abgeleiteten Zellprodukten 2020 genehmigt und 2021 an den Universitätskliniken in Göttingen und Lübeck gestartet.Footnote 2 In diesem Kapitel werden verschiedene Anwendungsfelder für Zellpräparate aus pluripotenten Stammzellen im Bereich der regenerativen Medizin aufgezeigt und die GMPFootnote 3-konforme Herstellung zum Einsatz in Patienten dargestellt.

2 Herzmuskelzellen (Kardiomyozyten) aus pluripotenten Stammzellen

Bereits bei der Einführung menschlicher embryonaler Stammzellen (ES-Zellen) wurde von deren Differenzierung in quergestreifte Muskultur nach Injektion in die Beinmuskulatur von immunkomprimierten Mäusen berichtet (Thomson et al. 1998). Wenige Jahre später konnte die Arbeitsgruppe um Lior Gepstein über sog. Embryoidkörperkulturen („embryoid bodies“) den Nachweis der Entwicklung von ES-Zellen in Herzmuskelzellen in der Kulturschale erbringen (Kehat et al. 2001). Heute werden Herzmuskelzellen aus pluripotenten Stammzellen über gezielte Differenzierungen unter Anwendung (1) kleiner Moleküle für die phasenspezifische Modulation des Wnt-SignalwegsFootnote 4 und/oder (2) definierter Wachstumsfaktoren für die „physiologische“ Stimulation von für die embryonale Herzentwicklung wichtigen Signalwegen abgeleitet (Burridge et al. 2012). Diese Prozesse sind skalierbar und erlauben so die Herstellung der für therapeutische Anwendungen nötigen Zellmengen (Riegler et al. 2015); in Patienten mit Herzmuskelschwäche werden etwa 1 Mrd. Herzmuskelzellen pro Patient benötigt, um den im Rahmen der Erkrankung erlittenen Verlust an Herzmuskelzellen strukturell und funktionell auszugleichen. Während frühe Arbeiten sich im Wesentlichen auf eine Anwendung von ES-Zellen fokussiert haben, werden heute zunehmend iPS-Zellen als zelluläres Ausgangsmaterial für die Herzmuskelzellherstellung für therapeutische Zwecke verwendet. ES- und iPS-Zellen zeigen hinsichtlich Differenzierungsverhalten in Herzmuskelzellen keine Unterschiede und sind somit prinzipiell gleichermaßen für die Anwendung in der Herzreparatur geeignet. Aufgrund der „einfachen“ Herstellung von iPS-Zellen ohne Zerstörung von Embryonen und vor dem Hintergrund des in Deutschland geltenden Verbots der Herstellung von ES-Zellen bei Begrenzung der Verwendung importierter ES-Zellen im Ausnahmefall zu Forschungszwecken (Stammzellgesetz, StZG)Footnote 5 ist die Fokussierung der PS-Zelltherapeutikaentwicklung in Deutschland auf iPS-Zelltherapeutika weitestgehend alternativlos.

Bereits 2013 haben Menasché und Kollegen im Rahmen der ESCORT-Studie die Anwendung von aus ES-Zellen abgeleiteten Herzmuskelzellvorläufern erprobt;Footnote 6 Herzmuskelzellvorläufer wurden in dieser Studie über die Expression von CD15 (stage-specific embryonic antigen 1, SSEA-1) und Isl-1 (Insulin gene enhancer protein ISL-1) identifiziert. Nach Implantation unter Immunsuppression wurde diese nach 1 bis 2 Monaten abgesetzt, sodass von einer kompletten Abstoßung der Zellimplantate auszugehen ist. Während diese Art der Anwendung von aus ES-Zellen abgeleiteten Herzmuskelzellvorläufern auch langfristig als sicher beurteilt werden kann, bleiben deren tatsächliches Differenzierungspotenzial nach Implantation in das menschliche Herz sowie die Wirksamkeit (möglicherweise über sog. parakrine EffekteFootnote 7 oder extrazelluläre VesikelFootnote 8 vermittelt) unklar.

Herzmuskelzellen aus PS-Zellen werden aktuell erstmalig entweder als (1) Einzelzellformulierungen (Zhang et al. 2022 und HECTOR)Footnote 9 und (2) AggregatkulturenFootnote 10 über intramyokardiale (in den Herzmuskel) Injektionen verabreicht oder als (3) EinzelzellschichtenFootnote 11 oder (4) gezüchtete HerzgewebeFootnote 12 chirurgisch auf das Herz aufgebracht. Während in der HECTOR-Studie die Anwendung von Herzmuskelzellen aus ES-Zellen geprüft wird, untersuchen alle anderen Studien Herzmuskelzellpräparate aus iPS-Zellen. Obwohl bei der Anwendung von iPS-Zellen auch eine körpereigene (autologe) Anwendung möglich wäre, wird davon (1) aus logistischen Gründen (Herstellungsdauer inklusive Qualitätskontrolle von vermutlich > 1 Jahr pro Patient), (2) vor dem Hintergrund erheblicher Kosten bei patientenspezifischer Anwendung in einem Patientenkollektiv von typischerweise > 1 Mio. pro Jahr und (3) insbesondere auch aufgrund von Sicherheitsbedenken (Mutationen, Entartung) abgesehen. Während eine Anwendung autologer Zellen vermutlich keine Immunsuppression erforderlich machen würde, ist das Überleben körperfremder (allogener) Herzmuskelzellimplantate strikt von der Verabreichung von Immunsuppressiva abhängig. Bei seltenen Erkrankungen wie dem hypoplastischen Linksherzsyndrom (2 bis 3 von 10.000 Neugeborenen) mit in der Folge chirurgischer Herzkreislaufumstellung als Überbrückung bis zu einer Herztransplantation wäre eine autologe Anwendung für die Rekonstruktion der Herzkammern allerdings denkbar. Eine erste klinische Studie zur Anwendung nicht näher spezifizierter autologer Herzzellen aus iPS-Zellen wurde kürzlich gestartet.Footnote 13 Offen bleibt, ob es bei der Anwendung tatsächlich zu einem Einbau mit Muskelwiederaufbau kommt.

Um die Notwendigkeit einer dauerhaften Anwendung von Immunsuppressiva auch bei Anwendungen in größeren Patientenkollektiven (z. B. bei Herzmuskelschwäche) zu umgehen, werden aktuell sog. hypoimmunogene Ansätze erprobt. Durch genetische Modifikation von für die Zellerkennung wichtigen Oberflächenmarkierungen (u. a. HLA, CIITA, CD47, PD-1L) soll es gelingen, die Abstoßung von allogenen Implantaten auch ohne Anwendung von Immunsuppressiva zu verhindern. Trotz vielversprechender Ergebnisse in Tierexperimenten bleibt im Patienten zu prüfen, ob sich über dieses Vorgehen tatsächlich sowohl akute als auch insbesondere chronische Abstoßungen reduzieren oder gar verhindern lassen. Strategien des z. B. im Bereich der Knochenmarks- und Nierentransplantation üblichen HLA-MatchingFootnote 14 erlauben weder dort noch perspektivisch bei der PS-Zelltherapie einen vollständigen Verzicht auf Immunsuppressiva. Eine Alternative zu der genetischen Modifikation implantierter Herzmuskelzellen ist die Toleranzinduktion durch eine parallele Implantation von aus iPS-Zellen hergestellten regulatorischen T-Zellen.

Obgleich die Anwendung von Herzmuskelzellen aus PS-Zellen erstmalig eine realistische Option für den Wiederaufbau der Herzmuskulatur insbesondere in Patienten mit Herzmuskelschwäche darstellt, sind bei der Anwendung allgemeine und spezielle Nebenwirkungen zu beachten. Alle aus PS-Zellen abgeleiteten Zelltherapeutika gehen grundsätzlich mit der Gefahr des unkontrollierten Zellwachstums in Form sog. Teratome oder Teratokarzinome einher. Dieser Nebenwirkung wird durch eine gezielte Differenzierung in nicht mehr teilungsfähige Herzmuskelzellen ohne Kontamination mit teilungsfähigen PS-Zellen Rechnung getragen. Das Auslösen von Herzrhythmusstörungen ist dagegen eine spezifische Nebenwirkung elektrisch aktiver Herzmuskelzellen. Diese treten vermutlich dosisabhängig und vor allem in Abhängigkeit der Verabreichungsform auf. Während eine direkte Injektion von Herzmuskelzellen in die Herzwand zu einer schnellen, aber dabei „chaotischen“ Kopplung der elektrisch aktiven Herzmuskelzellen an Herzmuskelzellen des Empfängers führt und so unerwünschte Erregungen auslösen kann, zeigen sich nach Applikation von präformiertem Herzgewebe keine Herzrhythmusstörungen. Die Anwendung als biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte („tissue engineered products, TEPs) ist darüber hinaus mit einem deutlich besseren Zellerhalt verbunden. Für den anzunehmenden Fall, dass Herzmuskelzellretention direkt mit dem erreichbaren funktionellen Effekt bei Herzmuskelzellimplantation assoziiert ist, wäre dies ein wichtiger Vorteil bei TEP-Implantation vs. Zellinjektion. Klinische Studien werden zeigen, ob und wenn ja unter welchen Bedingungen eine Remuskularisierung des Herzens durch Herzmuskelzellimplantation zu einem klinisch bedeutsamen Effekt führen kann. Erste Daten hierzu werden gegen Ende 2023 bei Abschluss der Dosis-Findung im Rahmen der BioVAT-HF Studie erwartet.

3 Pankreatische β-Zellen aus pluripotenten Stammzellen zur Behandlung von Diabetes

Diabetes mellitus ist eine Stoffwechselerkrankung, von der aktuell weltweit mehr als 537 Mio. Menschen betroffen sind, mit einem Trend zu knapp 800 Mio. im Jahr 2045 (International Diabetes Federation 2021). Typ-1-Diabetes (T1D) wird durch die autoimmune Zerstörung von insulinproduzierenden β-Zellen verursacht, während Typ-2-Diabetes (T2D) durch eine feindliche Stoffwechselumgebung verursacht wird, die zu einer Erschöpfung und Dysfunktion der β-Zellen führt. Gegenwärtig behandeln Erstlinienmedikamente die symptomatische Insulinresistenz und den erhöhten Blutzuckerspiegel (Hyperglykämie), verhindern jedoch nicht den fortschreitenden Rückgang der β-Zellmasse und -funktion in der Langerhans’schen Insel.Footnote 15 Daher werden dringend kausale Therapien benötigt, die entweder die endogene β-Zellmasse früh im Krankheitsverlauf schützen oder regenerieren oder verlorene β-Zellen ersetzen (Siehler et al. 2021). Die Transplantation von Langerhans’schen Inseln unter Immunsuppression ist eine minimalinvasive Therapie, die zur vollständigen Normalisierung der Blutglukoseregulation und Wiederherstellung der Insulinsekretion bei T1D-Patienten führt (Shapiro et al. 2000). Die Verfügbarkeit von Langerhans’schen Inseln von Organspendern, die für die Transplantation genutzt werden können, ist jedoch begrenzt. Daher stellen aus pluripotenten Stammzellen (PSC) gewonnene β-ähnliche Zellen oder künstlich hergestellte inselähnliche Organoide (siehe Bartfeld, Kap. 12) neue Therapieansätze dar, um den steigenden Anforderungen der Zukunft gerecht zu werden.

Die Entwicklung von Zellersatztherapien erfordert, die Zusammensetzung, Struktur und Funktion der natürlichen β-zellhaltigen Langerhans´schen Inseln zu verstehen und den Entwicklungs-, Differenzierungs- und Reifungsprozess im künstlichen Milieu mit einer Vielzahl von Nährstoffen und Wachstumsfaktoren nachzustellen. Zusätzlich zu den verschiedenen hormonproduzierenden endokrinen Zelltypen werden endogene Inseln von Neuronen innerviert (mit Nervenzellen ausgestattet), sind mit Kapillaren durchsetzt, in die extrazelluläre Matrix eingebettet und von einer Inselkapsel umgeben. Native β-Zellen schalten bei einer Stimulation durch Glukose ihre streng regulierte Insulinsekretionsmaschinerie ein, und die Insulinfreisetzung im Laufe der Zeit weist eine charakteristische Dynamik auf.

Aus menschlichen PSC gewonnene Inselorganoide oder β-Zellen basieren auf differenzierten induzierten pluripotenten Stammzellen (iPSC) oder embryonalen Stammzellen (ESC). Für die In-vitro-Differenzierung werden mindestens drei von verschiedenen Arbeitsgruppen entwickelte und veränderte Verfahren genutzt (zusammengefasst in Siehler et al. 2021). Der Prozess umfasst sechs charakteristische Stadien, u. a. endodermale, pankreatische und endokrine Vorläuferzellen, und erzeugt funktionell unreife, von pluripotenten Stammzellen abgeleitete β-ähnliche Zellen (PSC-β-Zellen) sowie von Stammzellen abgeleitete α-ähnliche Zellen (PSC-α-Zellen) mit eingeschränkter sekretorischer Funktion. Darüber hinaus sind in Inselprodukten, die in vitro hergestellt wurden, unerwünschte Zelltypen wie Vorläuferzellen, polyhormonelle Zellen und serotoninproduzierende enterochromaffine Zellen vorhanden.

Daraus ergeben sich die folgenden drei Hauptbedenken gegenüber den aktuellen Verfahren und Produkten: Erstens ist die differenzierte Population heterogen, und das Vorhandensein nicht erwünschter Zellen könnte die Gesamtfunktion des Transplantats beeinträchtigen. Zweitens ist die Reproduzierbarkeit von Protokollen für verschiedene PSC-Linien variabel. Dies deutet darauf hin, dass es Unterschiede zwischen den Zellen gibt, die nicht berücksichtigt wurden und die den Nutzen der Zellen beeinträchtigen könnten. Drittens rekapitulieren die erzeugten Zellen nur unvollständig den Differenzierungs- und Reifungsstatus von erwachsenen menschlichen β-Zellen, die in der Langerhans’schen Insel zu finden sind.

In einem idealen Zukunftsszenario könnten definierte PSC-Inseln hergestellt und zur Behandlung von Patienten mit labilem T1-Diabetes und T1-Diabetes im Spätstadium verwendet werden. Dass die Transplantation von aus PSC gewonnenen inselähnlichen Organoiden therapeutische Wirksamkeit zeigt, wurde vor Kurzem von Vertex an einer kleinen Anzahl von T1D-Patienten nachgewiesen.Footnote 16

Allerdings müssen in der Zukunft noch einige Hürden überwunden werden, wie die Notwendigkeit, die Protokolle zur endokrinen Differenzierung zu verbessern und zu bestimmen, welche Zelltypen in welchen Verhältnissen eine sichere und funktionelle PSC-Insel bilden können. Ein besseres Verständnis der Entwicklung menschlicher Inseln wird die Laborherstellung physiologisch relevanter PSC-Inseln erleichtern. Darüber hinaus müssen Protokolle für die Herstellung von PSC-Inseln entworfen werden. Ebenfalls wichtig sind Strategien zur Maximierung der Ausbeute durch Vermehrung von Vorläuferzellen und zur Kryokonservierung von Zellen in Zellbanken. Darüber hinaus müssen zuverlässige und gültige Potenztests und Definitionen von Schwellenwerten für transplantierbare PSC-Inseln etabliert werden. Die Verringerung der Immunogenität von Transplantaten wird auch ihre Wirksamkeit verbessern. Wichtige Strategien könnten z. B. die gentechnische Veränderung immunevasiver PSC oder die Entwicklung und Optimierung einer Schutzumgebung für das Transplantat sein. Schließlich wird die verbesserte Produktion von funktionellen und reifen PSC-Inseln in vitro die Modellierung von T1D und T2D ermöglichen. Solche Modelle könnten unser Verständnis der Pathomechanismen dieser Krankheiten verbessern und zur Durchführung von Wirkstoffscreenings verwendet werden, um neue molekulare Ziele für eine verbesserte Therapie zu identifizieren und zu validieren.

4 Blutzellen aus pluripotenten Stammzellen

Physiologisch entstammen die drei Zellarten des Blutes (Lymphozyten, Erythrozyten und Thrombozyten) Blutstammzellen, die im Knochenmark angesiedelt sind und über diverse Stufen in die verschiedenen Linien ausreifen. Die Transfusion von Erythrozyten zur Behandlung einer Blutarmut (Anämie) stellt mit über 3 Mio. transfundierten Erythrozytenkonzentraten die am besten etablierte und häufigste Art einer Zelltherapie dar, gefolgt von Thrombozytenkonzentraten, die für die Aufrechterhaltung der Gerinnung benötigt werden. Während diese beiden Zelltypen des Blutes für die meisten Patienten sehr effizient und einfach von gesunden Spendern gewonnen werden können, gibt es eine kleine Gruppe von Patienten, die bis heute nicht mit kompatiblen Blutkomponenten versorgt werden können. Im Fall von Erythrozytenkonzentraten können familiär auftretende seltene Blutgruppenkonstellationen dazu führen, dass bei chronischem Transfusionsbedarf (z. B. bei Sichelzellanämie) gegen die meisten in unserem Kulturkreis auftretenden Blutgruppenantigene bereits Antikörper gebildet wurden. Ein Bespiel ist die sog. Rh0-Variante, bei der Antikörper gegen Rhesus C, c, E, e und D gebildet werden. Patienten mit dieser Blutgruppe können somit weder mit Rhesus-positivem noch Rhesus-negativem Blut versorgt werden, was in Einzelfällen eine lebensbedrohliche Situation darstellen kann. Während Erythrozyten 44 Blutgruppensysteme mit über 400 Allelen tragen, sind auf Blutplättchen, den Thrombozyten, lediglich die ABH-Antigene der ABO-Blutgruppen exprimiert. Allerdings tragen Thrombozyten auch menschliche Leukozytenantigene (HLA) Klasse I und menschliche Plättchenantigene (HPA) I-V, die bei wiederholter Gabe zu Immunisierungen der Empfänger führen und weitere Transfusionen schwierig gestalten können.

Vor diesem Hintergrund besteht ein großer medizinischer Bedarf an Blutkomponenten, die sich auch zur Transfusion multipel vorimmunisierter Patienten eignen.Footnote 17 IPS-Zellen bieten hier eine interessante Alternative als Quelle für derartige Blutpräparate zur Versorgung einer kleinen Gruppe von Patienten, die mit den gängigen Blutpräparaten aus Blutspenden nicht versorgt werden können (Feng et al. 2014; Petazzi et al. 2022). IPS-Zellen können in Blutstammzellen differenziert werden, was es ermöglicht, in einem zweiten Schritt die jeweils benötigten Blutzellen (Erythrozyten, Thrombozyten) daraus zu generieren. Beide Zellarten erscheinen auch gerade deshalb als eine besonders geeignete Form einer „Zelltherapie“ mit aus iPS-Zellen generierten Arzneimitteln, weil weder Erythrozyten noch Thrombozyten in ihrer ausgereiften Form einen Zellkern enthalten und somit nicht vermehrungsfähig sind. Risiken, die mit einer Zelltherapie aus pluripotenten Stammzellen aufgrund deren Plastizität verbunden sind, wie z. B. ein tumorigenes Risiko, sind bei der Generierung von Erythrozyten oder Thrombozyten aus iPS-Zellen somit nicht existent, sofern es gelingt, Präparate herzustellen, die lediglich ausgereifte und kernlose Zellen enthalten. Ein weiterer Vorteil ist, dass man die Kompatibilität in Bezug auf z. B. Blutgruppen dadurch erreichen kann, dass man iPS-Zellen von Familien generiert, in denen eine besonders seltene und schwierig zu versorgende Blutgruppenkonstellation gegeben ist. Die aus iPS-Zellen generierten Erythrozyten würden dann automatisch die passende Blutgruppenkonstellation für eben jene Gruppe von Patienten aufweisen. Durch CRISPR/Cas9-Ansätze lassen sich häufige Blutgruppen und Antigenmerkmale zudem aus den Blutstammzellen, die aus iPS-Zellen gewonnen wurden, entfernen, wodurch sich universell einsetzbare Blutkomponenten generieren lassen.

Obwohl die Züchtung und der Einsatz von Blutkomponenten aus iPS-Zellen sehr vielversprechend sind, hinkt die klinische Entwicklung den Erwartungen derzeit noch hinterher. Hintergrund ist, dass die Verfahren zur Herstellung noch mit vielen technischen Schwierigkeiten und Herausforderungen verbunden sind. So wurden bislang noch keine klinischen Studien mit aus iPS-Zellen abgeleiteten roten Blutzellen („red blood cell“, RBC) durchgeführt, da die Gewinnung von Zellen, die adulten RBC ähneln, problembehaftet ist. Während die In-vitro-Differenzierung auch unter der Nutzung verschiedener Optimierungsansätze von geringem Expansions- und Enukleationspotenzial sowie einem ausbleibenden Wechsel des Hämoglobintyps geprägt ist, konnte in Mausexperimenten gezeigt werden, dass in vivo eine vollständige terminale Ausreifung der iPS-Zellen möglich ist (Kobari et al. 2012; Sugimura et al. 2017). Diese Ergebnisse stellen das außerordentliche Potenzial der iPS-Zellen als Quelle für RBC heraus. Sie zeigen aber auch auf, dass das Erlangen eines tiefgreifenden Verständnisses der In-vivo-Prozesse der terminalen Erythropoese und der Abläufe in der Knochenmarknische für eine effiziente In-vitro-Produktion adulter RBC aus iPS-Zellen notwendig ist, bevor eine klinische Anwendung in Betracht gezogen werden kann.

Im Gegensatz dazu konnte bereits eine erste klinische Studie zum Einsatz autologer Thrombozyten aus iPS-Zellen durchgeführt werden (Sugimoto et al. 2022). Insbesondere die kurze Haltbarkeit von Thrombozytenpräparaten und die Notwendigkeit der HLA- und HPA-Kompatibilität bei Patienten mit entsprechenden Alloantikörpern machen alternative Thrombozytenquellen wie iPS-Zellen besonders attraktiv (Chen et al. 2023). Obwohl die GMP-konforme Gewinnung einer ausreichenden Menge von Thrombozyten für eine Transfusion aus Megakaryozyten von iPS-Zellen bereits möglich ist, gilt eine Hochskalierung der Ausbeute als dringend notwendig für eine kosteneffiziente Herstellung (Hansen et al. 2019). Forscher aus Hannover verfolgen dafür den Ansatz, Microcarrier-basierte Rührbioreaktoren für Suspensionskulturen einzusetzen (Eicke et al. 2018).

Ein Beispiel für ein erfolgreiches Upscaling stellen aus iPS-Zellen abgeleitete Makrophagen dar. Etablierte Protokolle ermöglichen die kontinuierliche Massenproduktion funktioneller und reiner iPS-Makrophagen in einer skalierbaren Suspensionskultur (Ackermann et al. 2022).

Die jüngsten Entwicklungen in der Zelltherapieforschung können wegweisend für den zukünftigen Einsatz alternativer Blutprodukte aus pluripotenten Stammzellen sein. Trotz vielversprechender Ergebnisse gilt es, die biologischen Prozesse der Hämatopoese sowie die technische Prozessoptimierung der In-vitro-Produktion hämatopoetischer Zellen voranzutreiben, um Blutprodukte aus iPS-Zellen für eine breite Anwendung zu realisieren.

5 Retinales Pigmentepithel aus pluripotenten Stammzellen zur Behandlung retinaler Degenerationen

Einer der wichtigsten Sinne des Menschen ist die Aufnahme visueller Eindrücke durch die Augen. Hierbei werden Lichtsignale durch spezielle lichtsensitive Zellen, sog. Photorezeptoren, in biologische Signale umgewandelt und nach erster Prozessierung innerhalb der Netzhaut zur weiteren Verarbeitung an das Gehirn geleitet. Die Funktion der Photorezeptoren hängt dabei von der Unterstützung des ihnen direkt anliegenden retinalen Pigmentepithels (RPE) ab. Das RPE ist eine Einzelzellschicht, die zum einen eine Barriere zum Blutgefäßsystem bildet und zum anderen für den Transport und das Recyceln verschiedener Nährstoffe, Moleküle und Abfallstoffe zu bzw. weg von der Netzhaut/Photorezeptoren von wichtiger Bedeutung ist.

Es kommt nun bei verschiedenen Erblindungskrankheiten zu Dysfunktionen und Absterben des RPEs, wodurch die Lichtsensitivität der Photorezeptoren verloren geht und es im weiteren Verlauf auch zu einem Absterben der Photorezeptoren kommt. Der Verlust von RPE und Photorezeptoren wird z. B. bei der altersbedingten Makulardegeneration (AMD) beobachtet, dem häufigsten Grund für visuelle Einschränkungen und Erblindungen in industrialisierten Gesellschaften. Der menschliche Körper kann verlorene Photorezeptoren und RPE-Zellen nicht wieder aufbauen bzw. regenerieren, was eine dauerhafte Einschränkung der Sehfähigkeit bis hin zur Blindheit zur Folge hat. Derzeit stehen keine in der Klinik etablierten Behandlungsmethoden zur Verfügung, um geschädigtes oder verlorenes RPE zu ersetzen.

Nach der erfolgreichen Generierung von menschlichen ES-Zellen (siehe Abschn. 13.1) zeigte sich, dass auch RPE-Zellen aus diesen in der Zellkultur differenziert werden können. Diverse Protokolle wurden – ab 2007 dann auch mit iPS-Zellen – zur effizienten Herstellung von RPE-Kulturen aus pluripotenten Stammzellen entwickelt (Jin et al. 2019; Van Gelder et al. 2022). Die generierten RPE-Zellen bildeten dabei polarisierte Einzelzellschichten, exprimierten charakteristische Marker und zeigten RPE-spezifische Funktionen. Darüber hinaus zeigten erste Transplantationen in Tiermodellen mit dysfunktionalen oder zerstörtem RPE, dass die Spenderzellen in Empfängeraugen überleben und sogar teilweise eine polarisierte Einzelzellschicht zwischen dem Blutgefäßsystem (Choroid) und den Photorezeptoren bildeten, was zu partiellen Funktionsverbesserungen der Netzhaut führte (Jin et al. 2019; Van Gelder et al. 2022).

Diese erfolgreichen vorklinischen Experimente führten dann vor ca. 10 Jahren zu den ersten klinischen Studien. Während die ersten Transplantationen mit ES-zellabgeleiteten RPE-Zellsuspensionen durchgeführt wurden, folgte bald darauf auch die erste Transplantation mit RPE, die aus iPS-Zellen generiert wurden, als Einzelzellschicht (Van Gelder et al. 2022). In diesen ersten klinischen Anwendungen wurden AMD- bzw. Stargardt-PatientenFootnote 18 behandelt, mit dem vorrangigen Ziel, das Überleben und die Sicherheit solcher Transplante zu untersuchen. Tatsächlich konnten die Spenderzellen noch mehrere Jahre nach der Injektion in die Empfängeraugen nachgewiesen werden. Trotz des späten Krankheitsstadiums der Patienten, bei denen schon der Großteil der Photorezeptoren verloren war, konnten erste Hinweise auf eine begrenzte Verbesserung der Sehfähigkeit nachgewiesen werden (Jin et al. 2019; Van Gelder et al. 2022). Darauffolgend wurden über die letzten Jahre bereits 10 klinische Studien zur RPE-Transplantation gestartet (Temple 2023), wobei manche Arbeitsgruppen die RPE-Zellen auf Gerüsten (Scaffolds) aus unterschiedlichen Materialien vor der Transplantation wachsen lassen und diese ‚Patches‘ dann als Ganzes unter die Netzhaut schieben. Auch wenn hierbei die Operation deutlich komplexer ist, als eine Zellsuspension ins Auge zu injizieren, bleibt die bereits vorher in der Zellkultur angelegte Einzelzellschicht erhalten und muss nicht von den Zellen nach Transplantation neu gebildet werden. Erste veröffentlichte Daten zeigen, dass hier die Sehfähigkeit von behandelten Patienten stabilisiert und teilweise auch verbessert werden kann (Van Gelder et al. 2022; siehe auch Bartfeld, Kap. 12).

Bei Organ- und Zelltransplantationen müssen insbesondere Immun- und Abstoßungsreaktionen bedacht werden, die vor allem bei allogenen Zellen auftreten. Auch wenn das Auge als teilweise immunprivilegiert gilt (d. h., dass Abstoßungsreaktionen deutlich vermindert sind), konnte in Experimenten mit Affen gezeigt werden, dass immunologisch ‚passende‘ RPE-Transplantate ein signifikant besseres Überleben zeigten als ‚unpassende‘ (Sugita et al. 2021). Mit der iPS-Zelltechnologie ist es grundsätzlich möglich, aus körpereigenen Zellen des Patienten erst iPS-Zellen zu reprogrammieren und diese dann zur RPE-Produktion zu nutzen. Neben ersten Transplantationen in Japan (erste iPS-RPE Transplantation, siehe oben) wurden solche autologen Transplantationen kürzlich auch am National Institute of Health, USA, durchgeführt (Temple 2023). Zu den Nachteilen von autologen Transplantationen gehören die sehr langwierige und aufwendige Produktion von patienteneigenen iPS- und RPE-Zellen und die damit verbundenen sehr hohen Kosten. Alternativ dazu werden derzeit auch Strategien verfolgt, um durch die Produktion von sog. ‚Superspender‘-iPS-Zellen, die durch die Auswahl spezifischer Zellspender (homozygot für HLA) oder durch gentechnische Veränderungen generiert werden, Zellbanken aufzubauen, in denen eine begrenzte Anzahl von Zelllinien ausreichen, um große Teile einer Bevölkerung mit immunologisch verträglichen RPE-Zellen oder auch anderen transplantierbaren Zelltypen zu versorgen.

Aufgrund der separierten Lage vom Rest des Körpers, die vergleichsweise einfache operative Zugänglichkeit sowie Möglichkeiten einer direkten visuell-diagnostischen Verfolgung von Transplantaten und Veränderungen der Netzhaut durch die transparente Hornhaut (Kornea) nimmt das Auge für die Entwicklung von Zelltherapien basierend auf pluripotenten Stammzellen eine Vorreiterstellung ein. Auch wenn eine RPE-Transplantationstherapie noch nicht den ganzen Weg bis zur zugelassenen klinischen Anwendung durchlaufen hat, so kann dies in den nächsten Jahren erwartet werden. Darüber hinaus haben die gemachten Erfahrungen der vor- und auch ersten klinischen Studien bereits wichtige und vielfältige Einblicke in die Nutzung von Zellprodukten aus pluripotenten Stammzellen erbracht, die derzeit auch für andere Zellersatztherapieansätze in der Netzhaut, wir z. B. für den Ersatz von Photorezeptoren oder RPE-Photorezeptor-Kombinationen, von enormer Wichtigkeit sind und deren weitere Entwicklung maßgeblich beeinflussen.

6 Dopaminerge Neuronen aus pluripotenten Stammzellen zur Behandlung von Parkinson

Die Parkinsonkrankheit („Parkinson’s Disease“, PD) betrifft weltweit etwa 10 MillionenFootnote 19 von Menschen. Die Krankheit kann bei Menschen jeden Alters vorkommen, tritt aber i. d. R. um das Alter von 70 Jahren auf. In den meisten Fällen sind die Ursachen der Krankheit unbekannt (idiopathischer Morbus Parkinson). Bei jüngeren Patienten ist jedoch die Wahrscheinlichkeit größer, dass der Krankheit seltenere genetische Formen zugrunde liegen. Eines der Hauptprobleme bei PD besteht darin, dass in bestimmten Teilen des Gehirns nicht genügend von dem chemischen Stoff (Neurotransmitter) Dopamin produziert wird. Dieser Stoff wird von dopaminergen Zellen in einem Bereich des Gehirns, der Substantia nigra produziert. Dopaminerge Neuronen sterben bei Patienten mit PD langsam ab. Die Substantia nigra ist Teil der Schaltkreise im Gehirn, die an der Regulierung von Bewegung, Stimmung und Entscheidungsfindung beteiligt sind. Wenn etwa die Hälfte dieser dopaminergen Zellen verloren gegangen sind und somit weniger Dopamin im Schaltkreis vorhanden ist, treten bei den Patienten die motorischen Symptome der PD auf. Die charakteristischen motorischen Merkmale von Morbus Parkinson sind Langsamkeit der Bewegungen, Zittern, Steifheit, eine leise Stimme und ein gebückter, schlurfender Gang (Guo et al. 2021).

Wenn die Symptome beginnen, ist i. d. R. eine Körperseite stärker betroffen als die andere. Medikamente wie Levodopa, Dopamin-Agonisten, Monoaminoxidase-Hemmer und andere neuroprotektive Wirkstoffe sind in den frühen Stadien von PD sehr wirksam. Mit der Zeit treten bei diesen Medikamenten jedoch Nebenwirkungen auf. Wenn die Symptome fortschreiten, sind i. d. R. Behandlungen erforderlich, die intensivere Eingriffe erfordern, einschließlich der Implantation eines Geräts zur Tiefenhirnstimulation. Derzeit gibt es keine Therapie, die zu einer Heilung von PD führt. Daher wird weltweit intensiv erforscht, wie regenerative Medizin und Stammzellforschung zur Behandlung oder Vorbeugung der Krankheit eingesetzt werden könnten (Guo et al. 2021; Parmar et al. 2019).

Ärzte und Wissenschaftler sind aufgrund der Ergebnisse von Transplantationsstudien aus den 1980er- und 90er-Jahren davon überzeugt, dass die Zellersatztherapie funktionieren kann. Schwedische, amerikanische und kanadische Forscher transplantierten sich entwickelnde dopaminproduzierende Neuronen aus menschlichen Föten in Tiere und menschliche Patienten mit PD. Diese Therapien führten in einigen Fällen zu großen Verbesserungen, in anderen jedoch nur zu bescheidenen Veränderungen (Parmar et al. 2019). Diese frühen Studien führten zu größeren Studien, in denen leider bei einigen Patienten, die solche Transplantate erhielten, Nebenwirkungen in Form von unwillkürlichen Bewegungen beobachtet wurden, die durch das Transplantat ausgelöst wurden, ähnlich wie bei vielen Patienten, die eine Langzeitbehandlung mit L-Dopa erhielten. Die Ursache hierfür ist noch ungeklärt, könnte aber mit der Transplantation von unspezifischen Zellen zusammenhängen, die kein Dopamin produzieren, allerdings in den Transplantaten des menschlichen fötalen Mittelhirns vorhanden sind. Dennoch hat die Transplantation junger Hirnzellen aus menschlichen Föten in Menschen mit Parkinson in früheren klinischen Studien vielversprechende Ergebnisse gezeigt. Die TRANSEURO-Studie, die seit 2013 durch das FP7-Rahmenprogramm der Europäischen Kommission finanziert wird (Barker und TRANSEURO-Konsortium 2019),Footnote 20 untersucht diese Behandlungsmethode erneut, um Nebenwirkungen zu minimieren und die Wirksamkeit zu messen. Allerdings sind diese Therapien ethisch sehr umstritten, da die meisten Transplantate aus Spenden abgetriebener Föten stammten.

Für sicherere Anwendungen und ein standardisiertes Protokoll sowie aus ethischen Gründen haben sich die Forscher anderen Zellquellen zugewandt. Durchbrüche auf dem Gebiet der Stammzellen haben die Forscher ermutigt, menschliche pluripotente Stammzellen, sowohl ES-Zellen als auch iPS-Zellen, als skalierbare und rückverfolgbare Quelle zu verwenden. Ermutigt durch die sich wandelnden und fortschreitenden Technologien der Zellgewinnung und -differenzierung haben Forscher Stammzellen in klinischen Versuchen zur Behandlung von PD getestet (Kim et al. 2021). Angesichts hinreichend überzeugender Daten aus präklinischen Studien, insbesondere zur Differenzierung dopaminerger Neuronen oder Vorläuferzellen aus PS-Zellen, überlegen internationale Experten derzeit, wie die Verwendung standardisiert und die Kosteneffizienz verbessert werden kann (Kim et al. 2021). Pluripotente Stammzellen sind aufgrund ihrer vielfältigen Differenzierungsfähigkeiten ein akzeptabler Ersatz für geschädigte, nicht erneuerbare Neuronen, insbesondere für die Behandlung von Morbus Parkinson.

Derzeit laufen weltweit zahlreiche präklinische Studien zur Anwendung von Neuronen aus PS-Zellen in verschiedenen Tiermodellen (Kim et al. 2021). Ein Team in Schweden unter der Leitung der Forscherin Malin Parmar implantierte dopaminerge Neuronen aus ES-Zellen in das Striatum und die Substantia nigra von Ratten, deren dopaminerge Zellen zuvor chemisch zerstört worden waren, und erzielte in diesen Studien positive Ergebnisse (Kirkeby et al. 2017). Zu einer ähnlichen Studie, in der ebenfalls ES-Zellen verwendet wurden, berichtete Lorenz Studer auch über anhaltende positive Auswirkungen dieser Zellersatztherapie bei Nagetieren (Mäusen und Ratten) und Affen (Steinbeck 2015). ES-Zellen wurden auch in anderen präklinischen Studien in den Vereinigten Staaten und Australien in Nagetiere transplantiert (Chen et al. 2016; Gantner et al. 2020). Darüber hinaus berichtete die australische Forschergruppe, dass ein neuronaler Wachstumsfaktor GDNF („glial cell-derived neurotrophic factor“) die Transplantation der Zellen deutlich verbessert (Gantner et al. 2020). In Japan hat das Forschungsteam von Jun Takahashi Neuronen aus iPS-Zellen sowohl in Ratten als auch in Affen transplantiert, ebenfalls mit eindeutig positiven Ergebnissen (Kikuchi et al. 2017). Japan war aufgrund seines starken Fokus auf iPS-Zellen, die auf der Reprogrammierungstechnologie basieren, die in Japan entwickelt wurde, ein früher Anwender von Therapien mit diesem Zelltyp. Einige andere Studien haben ebenfalls erfolgreich dopaminerge Neuronen aus iPS-Zellen in der präklinischen Umgebung verwendet, wie im Labor von Ole Isacson an der Harvard University (Hallett et al. 2015) in einem Affenmodell und in einem Rattenmodell im Team von Kwan-Soo Kim, ebenfalls an der Harvard University (Song et al. 2020). In den meisten dieser Studien wurden die differenzierten Zellen in das Striatum der Tiere transplantiert. Nur in einer Studie aus Schweden wurde auch die Transplantation in die Substantia nigra getestet, ohne dass dabei signifikante Vorteile beschrieben wurden (Parmar et al. 2019).

Aufgrund der vielversprechenden präklinischen Studien in verschiedenen Tiermodellen laufen derzeit weltweit mehrere klinische Versuche zur Transplantation dopaminerger Neuronen aus pluripotenten Stammzellen. Aus Japan wurde berichtet, dass 2018 in der Studie „Kyoto trial to evaluate the safety and efficacy of iPSC-derived dopaminergic progenitors in the treatment of Parkinson’s disease“ der erste PD-Patient transplantiert wurde (Takahashi 2020).Footnote 21 Die Ergebnisse dieser Studie wurden jedoch noch nicht veröffentlicht, u. a. weil die Studie aufgrund der Entdeckung genetischer Mutationen in den verwendeten iPS-Zellen vorübergehend unterbrochen wurde. Weitere klinische Studien wurden aus Australien,Footnote 22 aus ChinaFootnote 23 und aus SchwedenFootnote 24 gemeldet. Seit 2021 hat auch BlueRock Therapeutics, eine Tochterfirma des deutschen Bayer-Konzerns, eine klinische Studie zu PD mit 12 Teilnehmern in den USA und Kanada begonnen.Footnote 25 Die Ergebnisse der laufenden klinischen Studien werden von der medizinischen Gemeinschaft, aber auch von den betroffenen Patienten mit großem Interesse erwartet. Es ist zu hoffen, dass die positiven Ergebnisse aus den Tiermodellen auch im menschlichen System erzielt werden können.

7 Herstellung GMP-konformer Zelltypen aus pluripotenten Stammzellen

Der Schlüssel für eine klinische Anwendung von Zellprodukten ist die Überführung von im Labor etablierten Prozessen in einen gemäß Arzneimittelgesetz regulierten Herstellungsprozess. Dabei ist die Herstellung analog zu den Vorgaben der guten Herstellungspraxis und der anerkannten pharmazeutischen Regeln ein wichtiger Punkt. Während dafür auf der einen Seite die räumlichen Vorgaben für eine aseptische Arzneimittelproduktion eingehalten werden müssen, sind es darüber hinaus besondere Anforderungen an die jeweiligen Ausgangsmaterialien („raw and starting materials“) und Hilfsstoffe („exipients“), die berücksichtig werden müssen. Zusätzlich sind spezielle Qualitätskontrollen und ein detailliertes Risikomanagement von zentraler Bedeutung. Qualitätsaspekte inklusive Risikoanalyse („risk-based approach“) müssen in dem Dossier zum Prüfpräparat (Investigator Medicinal Product Dossier, IMPD) für eine Beurteilung durch das Paul-Ehrlich-Institut als verantwortliche Bundesoberbehörde für die Genehmigung von Zelltherapeutika als „Advanced Therapy Medicinal Products“ (ATMPs) und klinische Prüfpräparate berücksichtigt werden (siehe Scherer/Berger, Kap. 9). ATMPs umfassen Gentherapeutika, somatische Zelltherapeutika sowie biotechnologisch bearbeitete Gewebeprodukte. Die Bewertung von GMP-Prozessen liegt dagegen in der Hoheit der zuständigen Arzneimittelüberwachung der Bundesländer (insbesondere den Regierungspräsidien und Gewerbeaufsichtsämter) und erfolgt i. d. R. unter Beratung durch Mitarbeiter des Paul-Ehrlich-Instituts.

Diese Unterscheidung ist wichtig, da ein GMP-Prozess allein keine Garantie für eine Genehmigung als Prüfpräparat im Rahmen klinischer Prüfungen ist. Qualität und Risikobeurteilung von Ausgangsmaterialen, Hilfsstoffen und Prozessschritten müssen den Vorgaben des Arzneimittelgesetzes entsprechen. Bei der Anwendung von Zelltherapeutika aus PS-Zellen sind darüber hinaus in Deutschland auch die rechtlichen Grundlagen für die Verwendung des zellulären Ausgangsmaterials sowie dessen Überführbarkeit in die klinische Regelversorgung in Deutschland zu berücksichtigen (siehe Müller-Terpitz, Kap. 17). Während dies für iPS-Zellen bei vorliegender Einverständniserklärung der Spender bzw. deren gesetzlichen Vertretern möglich ist, erlaubt das Deutsche Stammzellgesetzes (StZG) lediglich den Import und die Verwendung von ES-Zellen für Forschungszwecke in gut begründeten Ausnahmefällen nach Darlegung der Hochrangigkeit, der hinreichenden Vorklärung und der Alternativlosigkeit. Eine Anwendung in der klinischen Regelversorgung von in Deutschland hergestellten ES-Zell-Produkten ist gemäß aktueller Gesetzgebung in Deutschland ausgeschlossen. In Europa ist die GMP-Herstellung für die klinische Anwendung eines aus iPS-Zellen hergestellten Zellprodukts (als sog. Herzpflaster; Tiburcy et al. 2017) erstmalig in 2020 an der Universitätsmedizin Göttingen zugelassen worden und wird, gefördert durch das Deutsche Zentrum für Herzkreislaufforschung (DZHK) und die Repairon GmbH,Footnote 26 seit 2021 in Patienten mit schwerer Herzmuskelschwäche erprobt (Kim et al. 2022).

Eine frühe Kontaktaufnahme und enge Abstimmung mit den zuständigen Arzneimittelüberwachungsbehörden als auch mit dem PEI (Bundesoberbehörde) im Rahmen von wissenschaftlichen Beratungen („Scientific Advice Meetings, SAM) ist dringend zu empfehlen, um die Translation innovativer Arzneimittel aus dem Labor in die klinische Anwendung gut informiert unter Berücksichtigung der Vorgaben das Arzneimittelgesetzes zu erreichen.

8 Ausblick

Dass Zellprodukte aus PS-Zellen den Sprung in die klinische Regelversorgung schaffen werden, scheint vor dem Hintergrund der vielversprechenden präklinischen und zunehmend auch klinischen Daten und Erfahrungen nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Der Schlüssel für die Regelversorgung wird eine kapazitätsgerechte und zugleich für die Kostenträger und nicht zuletzt die Steuerzahler finanzierbare Herstellung sein. Der Auf- und Ausbau von Translationszentren mit erfahrenem Personal und Infrastruktur für die Prüfpräparatherstellung unter Berücksichtigung der Vorgaben der zuständigen regulatorischen Behörden wird dezentral an inhaltlich ausgewiesenen Universitätskliniken erfolgen müssen, um einerseits wissenschaftsgetrieben und andererseits patientenfokussiert Innovationen sicher, wirksam und zeitnah zunächst in die erste klinische Prüfung und dann i. d. R. in Partnerschaft mit privaten Partnern in die Regelversorgung bringen zu können. Die PS-Zelltherapie wird dabei auch perspektivisch eher regional unter Berücksichtigung der Kompetenzen und Kapazitäten, aber auch der jeweiligen Erstattungsszenarien umzusetzen sein.