1 Entwicklung der Stammzelltransplantation

Die Transplantation von Zellen und Organen war über Jahrhunderte ein Ziel der Medizin. Die hämatopoetische Stammzelltransplantation, d. h. die Übertragung des blutbildenden Systems von einem Spender auf einen Empfänger, ist die am längsten etablierte und seit Jahrzehnten erfolgreiche Anwendung in der Transplantationsmedizin.

Chiari beschrieb schon Anfang des 20. Jahrhunderts das Anwachsen von Knochenmarkspartikeln in der Milz von Kaninchen, wenn sie zuvor „röntgenbelichtet“ waren (Chiari 1912). Jedoch ermöglichten erst die Fortschritte der Immungenetik und der Strahlenbiologie den Erfolg der hämatopoetischen Stammzelltransplantation (HSCT). Beschleunigt wurde die Entwicklung Mitte des 20. Jahrhunderts durch die Testung und den Einsatz von Atomwaffen und die resultierende intensive Erforschung von Strahlenschäden. Dabei wurde deutlich, dass die Blutbildung als erste von den schädigenden Wirkungen radioaktiver Strahlung betroffen war (Juric et al. 2016).

Die hämatopoetischen Stammzellen (HSC) sind vor allem im Knochenmark, bei der Maus auch in der Milz, und in geringer Konzentration im Blut sowie anderen Geweben zu finden. Tatsächlich zeigten frühe Versuche, dass der akute Strahlentod bei Mäusen durch eine Abdeckung der MilzFootnote 1 (Jacobson et al. 1949) wie auch die Injektion von Knochenmark (Lorenz et al. 1951) verhindert werden konnte.

Auf der Basis ihrer wachstumshemmenden Wirkung wurde die Bestrahlung bald auch zu medizinischen Zwecken, vor allem in der Krebsbehandlung eingesetzt. Allerdings erforderte der klinische Einsatz vor allem der Ganzkörperbestrahlung zunächst eingehende Untersuchungen, um die toxischen Nebenwirkungen u. a. auf die Blutbildung begrenzen zu können. Dabei konnte gezeigt werden, dass Mäuse dem Strahlentod durch das Anwachsen und Überleben von Spenderzellen, die damals mit chromosomalen Markern (Ford et al. 1956) und Isoenzymen (van Bekkum und Voss 1957) nachgewiesen wurden, entgingen. Bereits 1957 versuchte der französische Arzt Georges Mathé vier serbische Physiker nach einem Strahlenunfall durch die Transplantation fremder HSC zu retten. Zwar wuchsen die fremden Zellen nicht an, das eigene Knochenmark der Physiker bekam jedoch durch die Transplantation offenbar genug Zeit, sich zu erholen und die Blutbildung zu regenerieren.Footnote 2

1961 konnte das (bereits Anfang des 20. Jahrhunderts von A. Maximow postulierte)Footnote 3 Konzept der Existenz hämatopoetischer Stammzellen durch den Nachweis sog. kolonieformender Einheiten (Colony Forming Units, CFUs) in der Milz bestrahlter Mäuse (Till und McCulloch 1961) empirisch bestätigt werden. In vitro konnten Progenitorzellen für Granulozyten (CFU-G), Monozyten (CFU-M), gemeinsame CFU-GM und Erythrozyten gezüchtet werden (Bradley und Metcalf 1966; Ichikawa et al. 1966), in Langzeitkulturen auch multipotente Vorläuferzellen.

Nach Versuchen in Nagetieren, Hunden und Primaten wurden bereits in der 2. Hälfte der 1950er-Jahre die ersten Knochenmarktransplantationen bei Menschen durchgeführt, beschränkten sich aber auf die Behandlung schwer kranker Patienten (Thomas et al. 1957) sowie die Transfusion von Knochenmark eineiiger Zwillingspender (Thomas und Epstein 1965) zur Behandlung nach Strahlenexposition. Über zwei Jahrzehnte wurde die Entwicklung der KMT unter der Leitung von E. Donnall Thomas am Fred Hutchinson Cancer Research Center in Seattle vorangetrieben.Footnote 4 Insbesondere gelang es der Gruppe in Seattle, genetische Ursachen für die Abstoßung wie auch die lebensbedrohliche Spender-gegen-Wirt-Krankheit (Graft-versus-Host-Disease, GvHD) aufzudecken und erste Kriterien der Spenderauswahl zu definieren.

Nachdem initial nur Patienten mit Leukämien, also bösartigen Erkrankungen, transplantiert worden waren, wurden 1968 drei Patienten, zwei in den USA und einer in den Niederlanden, transplantiert, die an schweren angeborenen Immundefekten litten (Bortin et al. 1994). Kinder mit genetisch bedingten schweren kombinierten Immundefekten hatten damals nur eine sehr kurze Lebenserwartung von wenigen Monaten bis Jahren. Der erste, von Fritz Bach und Robert A. Good in Minnesota im Alter von wenigen Monaten mit dem KM seiner älteren Schwester transplantierte Junge wuchs zu einem gesunden Erwachsenen heran.Footnote 5

In den 1970er-Jahren wurde die KMT für weitere Indikationen erfolgreich getestet, so für Lymphome (Lymphdrüsenkrebs) und schwere aplastische Anämien.Footnote 6 Allerdings war es zunächst nur möglich, Knochenmark von einem HLA-identischen (siehe Abschn. 11.4) Geschwister zu transplantieren. Die Chance, dass ein existierendes Geschwister HLA-identisch ist, beträgt 25 %. Erst Ende der 1970er-Jahre wurde, wieder in Seattle, die erste erfolgreiche Transplantation von einem passenden („matched“) unverwandten Spender durchgeführt. Heute sind die Spenderregister eine sehr wichtige Ressource für die HSCT.Footnote 7

Im Laufe der Jahre haben sich sowohl die die eigentliche Transplantation (Infusion) der HSC vorbereitende Therapie (Konditionierung) als auch die in der nachfolgenden kritischen Phase notwenige supportive (Unterstützungs-)TherapieFootnote 8 deutlich verbessert. So wurde seit Mitte der 1990er-Jahre die Intensität der Chemotherapie verringert und das Augenmerk auf die Verhinderung einer Abstoßung durch Unterdrückung des Immunsystems gelegt (siehe Abschn. 11.4). Die optimierte Strategie beruhte nicht zuletzt auf einem zunehmend besseren Verständnis der Mechanismen, die dem Erfolg der HSCT bei der Behandlung bösartiger Krankheiten zugrunde liegen. Dieser basiert nämlich in wesentlichen Teilen auf einem adoptiven Immuneffekt, d. h. der Zerstörung der Krebszellen durch Immunzellen des Spenders (siehe auch Abschn. 11.4). Die optimierten Strategien erlaubten es, immer ältere sowie Patienten mit schwächerer Konstitution zu transplantieren und so die Anwendung der HSCT entscheidend auszuweiten.

2 Wo finden sich Blutstammzellen?

Eine erste Unterscheidung unterschiedlicher Formen der HSCT wird anhand ihrer Quelle getroffen. Die ersten Transplantationen wurden mit Knochenmark durchgeführt, sodass der Begriff „Knochenmarktransplantation“ (KMT) auch heute noch oft benutzt wird. Dies hatte sich aus den Erkenntnissen der oben beschriebenen Studien ergeben, die das Knochenmark als wichtigste Quelle der Blutstammzellen identifiziert hatten. Dort befinden sich die HSC in relativ gut definierten Nischen, die entweder direkt an der inneren Knochenhaut (Endost) oder in der Nähe der Gefäße liegen. Die HSC sind von mesenchymalen Stromazellen, regulatorischen T-Zellen, Makrophagen und Osteoblasten umgeben, die die Nische bilden und gemeinsam mit Nerven des vegetativen Nervensystems kontrollieren (Fujisaki et al. 2011; Mendelson und Frenette 2014; Baryawno et al. 2019). Für die Transplantation wird das Knochenmark unter Narkose und sterilen Bedingungen (im OP) durch Dutzende Punktionen aus dem Beckenkamm gewonnen. Diese Prozedur ist recht aufwendig. Daher hat man nach Wegen gesucht, die HSC aus dem Blut zu isolieren. In eigenen Experimenten konnten wir zeigen, dass aus dem Blut im Vergleich zum Knochenmark in etwa die 5-fache Menge Zellen für die Transplantation gesammelt werden muss, um beim Empfänger eine Wiederherstellung der Blutbildung (Hämatopoese) zu gewährleisten.Footnote 9

Da im Normalzustand nur sehr wenige Stammzellen im peripheren Blut zu finden sind, müssen diese angeregt werden, aus dem Knochenmark ins Blut zu wandern,Footnote 10 um dann eine ausreichend große Zahl von Stammzellen aus dem Blut gewinnen zu können. Dies gelang zunächst mit dem Chemotherapeutikum Cyclophosphamid. In der Erholungsphase nach einer cyclophosphamidinduzierten Zytopenie, bei der die Blutzellzahl unterhalb des Normalbereichs liegt, kommt es zu einem reaktiven Stammzellüberschuss im Blut. Die Behandlung mit Cyclophosphamid war aufgrund der Nebenwirkungen allerdings nur möglich, wenn die eigenen Blutstammzellen eines Patienten für eine sog. autologe Transplantation gesammelt werden sollten (siehe Abschn. 11.3). Bei gesunden Spendern ist die Applikation einer Chemotherapie zur Stammzellsammlung natürlich unmöglich. Hier kam der Durchbruch mit dem Nachweis, dass der Wachstumsfaktor Granulozytenkolonie-stimulierender Faktor (G-CSF) nicht nur Granulozyten, sondern auch Stammzellen mobilisiert (Molineux et al. 1990). Später konnte gezeigt werden, dass die Absiedlung der HSC aus dem Knochenmark (das Verlassen ihrer Nische) und die daraus folgende Mobilisierung ins Blut ganz wesentlich von der Interaktion des ChemokinsFootnote 11 SDF-1 („stromal derived factor 1“) mit seinem Rezeptor CXCR-4 bestimmt wird. G-CSF und der später entdeckte CXCR4-gerichtete Hemmstoff Plerixafor lösen diese Bindung und geben die Stammzellen frei (Lapidot 2001). Die Menge an ins Blut ausgeschwemmten HSC kann anhand bestimmter Oberflächenmarker gemessen werden (Seita und Weissman 2010).Footnote 12

Zunächst war unklar, ob die mobilisierten Stammzellen die Blutbildung nach einer Transplantation langfristig aufrechterhalten oder nur zur vorübergehenden Erholung führen würden. Mittlerweile konnte aber gezeigt werden, dass die Blutbildung nach einer HSCT mit peripheren Blutstammzellen von einem gesunden Spender genau wie bei einer KMT vollständig und lebenslang von den Spenderzellen übernommen wird (sog. vollständiger SpenderchimärismusFootnote 13). Offensichtlich ist die Mobilisierung ein natürlicher Vorgang, der stattfindet, wenn Knochenmarksräume „leer“ sind. Bei Bestrahlung von mehr als der Hälfte allen Knochenmarks kommt es zur Mobilisierung, bei weniger regeneriert sich die Blutbildung vor Ort.

Neben Knochenmark und Blut gibt es eine weitere klinisch relevante Quelle für hämatopoetische Stammzellen – das Nabelschnurblut. Die relativ große Menge an HSC im Nabelschnurblut erklärt sich damit, dass sich die Blutbildung des Menschen am Ende der Embryonalentwicklung aus der Leber in das Knochenmark verlagert. Entsprechend sind bei Neugeborenen viele Blutstammzellen „auf Wanderschaft“ und somit im Blut zu finden. Allerdings können natürlich nur kleine Mengen Nabelschnurblut (etwa 50 ml)Footnote 14 gewonnen werden, was die Anwendung für die klinische HSCT limitiert (siehe Abschn. 11.4). Für eine klassische Knochenmarktransplantation wird mehr als die 20-fache Menge (mehr als 1 l) eingesetzt.

3 Autologe Transplantation

Neben der Stammzellquelle wird auch die Herkunft der HSC einer weiteren Klassifizierung zugrunde gelegt. Danach werden autologe und allogene Transplantationen unterschieden. Bei der autologen HSCT (auto-SCT) werden dem Patienten eigene Blutstammzellen übertragen, bei der allogenen HSCT (allo-SCT) die von einem gesunden passenden verwandten („matched related donor“, MRD)Footnote 15 oder passenden unverwandten („matched unrelated donor“, MUD).Footnote 16 Was unter passender Spender zu verstehen ist, wird weiter unten erklärt.

Für die autologe Transplantation wurde die Verwendung von Knochenmark zugunsten mobilisierter HSC weitgehend eingestellt – deren Gewinnung ist einfacher und kann wiederholt durchgeführt werden. Entsprechend werden die eigenen Stammzellen eines Krebspatienten für die auto-SCT gesammelt, wenn er sich in Remission (kein Nachweis von Krebszellen) befindet und ein hohes Rückfallrisiko besteht. Kommt es tatsächlich zu einem Rückfall, kann der Patient eine sehr intensive und stammzelltoxische TherapieFootnote 17 bekommen, die sowohl die Krebszellen als auch seine gesunde Blutbildung abtötet. Die Blutbildung wird danach durch Reinfusion von Knochenmark oder G-CSF-mobilisierten Blutstammzellen wiederhergestellt (Armitage und Gale 1989).

Die auto-SCT wurde bei vielen unterschiedlichen Tumorarten eingesetzt (z. B. bei Brustkrebs, Eierstockkrebs und dem Ewing-Sarkom [bösartiger Knochentumor]), konnte sich aber nicht durchsetzen, da es nicht gelang, alle malignen Zellen (insbesondere die Tumor-„Stammzellen“) zu eliminieren, sodass die Tumoren i. d. R. bald zurückkamen.

Bei bösartigen Erkrankungen des Blut- und Lymphsystems (hämatologische Neoplasien) wie Leukämien, Lymphome und Multiplem Myelom besteht zusätzlich das Risiko der Kontamination des Transplantates mit Tumorzellen. Zwar wird das Stammzellpräparat zu einem Zeitpunkt gewonnen, da die Erkrankung als vollständig unterdrückt gilt, jedoch kann eine Verunreinigung mit einigen wenigen bösartigen Zellen nicht komplett ausgeschlossen werden. Es wurden verschiedene Reinigungsverfahren, z. B. mit Antikörpern ex vivo (Netzel et al. 1980; Gribben et al. 1991), per Ex-vivo-Chemotherapie (Jones 1992) oder durch gezielte Selektion der CD34-positiven Stammzellen (Dreger et al. 1999) getestet. Allerdings wurden dadurch die Ergebnisse der autologen Transplantation nicht verbessert und eine verzögerte immunologische Erholung war die Ursache für häufigere Infektionen. Die Anwendung von Antikörpern in vivo, z. B. Rituximab, erreicht nicht nur das Transplantat, sondern auch die Tumorzellen in vivo (Witzens-Harig et al. 2007).

Heute konzentrieren sich die Indikationen der auto-SCT auf das Multiple Myelom und Plasmazellerkrankungen sowie Hodgkin- und Non-Hodgkin-Lymphome. In den USA wurden laut des Centers for International Blood and Marrow Transplant Research (CIBMTR) 2020 mehr als 11.000 autologe Transplantationen durchgeführt, davon mehr als 7.000 bei Myelomen und Plasmazellerkrankungen und etwa 2.000 bei Lymphomen.Footnote 18 Bei anderen Krankheiten wie Brustkrebs, Hodentumor, Eierstockkrebs, Sarkomen u. a. sind autologe Transplantationen dagegen eher selten geworden.

Eine vergleichsweise neuere Anwendung der auto-SCT ist die Behandlung schwerer Autoimmunkrankheiten wie Multiple Sklerose (Muraro et al. 2017), systemische Sklerose u. a. Auch bei der Therapie der autoimmunvermittelten Diabetes Typ I wurden Erfolge erzielt (Voltarelli et al. 2008), auch wenn nicht immer eine dauerhafte Toleranz induziert werden konnte (Alexander et al. 2021). Während bei malignen Erkrankungen das Immunsystem durch vorausgegangene Chemotherapien gelitten haben kann, zeigt die Erfahrung bei Autoimmunerkrankungen, dass langlebige Zellen des adaptiven (lernenden) Immunsystems (sog. Memory-T- und B-Zellen) nur schwer dauerhaft auszuschalten sind. Dies kann dazu führen, dass die Autoimmunkrankheit zurückkehrt, weil die gegen das eigene gesunde Gewebe gerichteten autoaggressiven Immunzellen nicht komplett zerstört wurden. Es wurde daher untersucht, ob eine gegen diese langlebigen Zellen gerichtete Immuntherapie mit bispezifischen AntikörpernFootnote 19 und T-Zellen (Stemmler et al. 2005a, b) die Ergebnisse verbessern kann. Ganz aktuelle Ergebnisse zeigen, dass bei bestimmten Autoimmunkrankheiten die Eliminierung der Memory-B-Zellen mithilfe von CAR-T-Zellen (siehe Harrer/Abken, Kap. 10) zu einer langfristigen Remission bzw. potenziell zu einer Heilung führen kann (Mackensen et al. 2022). In einem alternativen Ansatz wurden die autoaggressiven Immunzellen durch eine längerdauernde immunsuppressive (Erhaltungs-)Therapie (über 4 bis 6 Monate) unterdrückt (Stadtmauer et al. 2019), um ihre Rückkehr zu verhindern. Solche längeren immunsuppressiven Behandlungen werden erfolgreich im Kontext der allogenen SCT angewendet (siehe Abschn. 11.4).

Ein ursprüngliches Bedenken gegen die Stammzellmobilisierung mit dem Wachstumsfaktor G-CSF bestand darin, dass dadurch evtl. Leukämien gefördert werden könnten. Tatsächlich wurde zwar eine erhöhte Rate neu auftretender Leukämien nach autologer Transplantation bei Lymphomen festgestellt (Milligan et al. 1999), ein Einfluss von G-CSF wurde aber nicht nachgewiesen, sodass die Ursache wahrscheinlich in der Chemotherapie lag. Bei gesunden Spendern wurde keine erhöhte Rate an Leukämie oder anderen Tumoren festgestellt (Hölig et al. 2009).

4 Allogene Transplantation

Im Gegensatz zur autologen Transplantation kann es bei allogener Transplantation, bei der den Patienten fremde bzw. Spenderzellen übertragen werden, schwere immunologische Komplikationen geben. Wie bei einer Organtransplantation können die fremden Zellen abgestoßen werden. Da bei der HSCT auch Immunzellen übertragen werden, gibt es auch das umgekehrte Phänomen – die Spenderzellen können Empfängergewebe als fremd erkennen und angreifen, was in einer GvHD resultieren kann. Daher hängt der Erfolg der allogenen Transplantation vor allem davon ab, ob ein passender Spender gefunden werden kann. Mithin waren für den Erfolg der Transplantation zwei Faktoren entscheidend – die Entwicklung einer praktisch anwendbaren Form der Ganzkörperbestrahlung (zur Zerstörung des alten Knochenmarks) sowie die Gabe einer immunsuppressiven Therapie nach der Transplantation, um das Anwachsen des Transplantates zu ermöglichen und die Spender-gegen-Wirt-Krankheit zu vermeiden. Methoden zur Unterdrückung des Immunsystems wurden in KMT-Modellen in verschiedenen Tieren entwickelt – Thomas verwendete bei Hunden Methotrexat (Thomas und Ferrebee 1962), Santos bei Ratten Cyclophosphamid (Santos et al. 1972).

Wie oben beschrieben gab es die ersten allogenen KMT in den 1950er-Jahren. Allerdings war seinerzeit das System der Gewebe- bzw. Histokompatibilität (Verträglichkeit), durch das jeder Mensch seine eigenen, hochindividuellen Transplantationsantigene auf (fast) allen Zellen trägt, noch nicht bekannt. Aus vorangegangenen Tierstudien wusste man bereits, dass sich Gewebe und Organe nur zwischen genetisch identischen Organismen (z. B. eineiigen Zwillingen) relativ sicher übertragen ließ. Je weniger verwandt Spender und Empfänger waren, desto unwahrscheinlicher wurde der Erfolg einer Transplantation. Zugleich gab es noch keine Methoden, um die Histokompatibilität vorab zu testen. Für die ersten klinischen Versuche wurde daher Knochenmark von mehreren Familienmitgliedern genommen. Ein großer Fortschritt war es, als ein Patient von Mathé mehr als 7 Monate als Chimäre mit dem Knochenmark eines Spenders nach Ganzkörperbestrahlung und Transplantation lebte (Mathé et al. 1965).Footnote 20

Um die Transplantation breit anwendbar zu machen, wurde nach Wegen gesucht, die Histokompatibilität zwischen Spender und Empfänger vorab bestimmen zu können. Im Jahr 1958 konnte gezeigt werden, dass Seren von Patienten, die viele Bluttransfusionen erhalten hatten, Leukozyten agglutinierten, also zu deren Verklumpung führten (Dausset 1958), während Seren von Schwangeren Lymphozyten sogar direkt zerstören (lysieren) konnten (van Rood et al. 1958).Footnote 21 Mit diesen Seren eröffneten sich die ersten Möglichkeiten, die Histokompatibilität zu testen und den besten Spender auszusuchen. Richtungsweisend waren hier Versuche beim Hund, mit Seren von immunisierten Tieren den richtigen Spender unter den Wurfgeschwistern auszusuchen (Epstein et al. 1968). Mitte der 1960er-Jahre wurde die Technik der gemischten Lymphozytenkultur („mixed lymphocyte culture“, MLC)Footnote 22 entwickelt (Bach und Voynow 1966).

Ende der 1960er-Jahre wurden schließlich die ersten Elemente des „major histocompatibility complex“ (MHC) entdeckt – jener Genfamilie, die für die große Vielfalt der Antigene der Gewebeverträglichkeit codiert. Beim Menschen wurden die entsprechenden Antigenkomplexe HLA („Human Leukocyte Antigen“) genannt.Footnote 23 Mit der Entwicklung der Antikörpertechnologie war es noch vor der Aufdeckung der zugrunde liegenden Gensequenzen möglich, die unterschiedlichen HLA-Typen mit zunehmender Genauigkeit zu identifizieren. Bald wurden HLA-A, HLA-B und HLA-C serologisch bestimmt („typisiert“), während man für HLA-D weiter auf die gemischte Lymphozytenkultur angewiesen war. Mittlerweile sind die genauen Strukturen, die einzelnen Genorte (auf Chromosom 6) wie auch die Gensequenzen des HLA-Systems bekannt. Darauf aufbauend erfolgt die Typisierung der Empfänger und potenziellen Spender heute genetisch mithilfe der Polymerasekettenreaktion (PCR), einer Methode zur gezielten Vervielfältigung von DNA-Abschnitten. Die somit mögliche sehr genaue Bestimmung verbessert die Auswahl von Fremdspendern, bei denen – anders als bei Geschwistern – die HLA-HaplotypenFootnote 24 nicht per se gleich sind, sondern nur die Antigene auf Übereinstimmung getestet werden. Heute werden für die Transplantation regelhaft (2 x 5) 10 HLA-Lozi (HLA-A, HLA-B, HLA-C, HLA-DR B1 und HLA-DP) getestet. Weisen Spender und Empfänger eine vollständige Übereinstimmung in 10/10 HLA-Lozi auf, sind die Resultate der Transplantation ähnlich gut wie mit einem HLA-identischen Geschwisterspender.

Da die Zahl an verfügbaren Geschwistern aufgrund kleinerer Familien tendenziell abnimmt und nur wenige Länder so große Datenbanken freiwilliger Spender wie Deutschland haben, wurde in den letzten Jahren nach alternativen Wegen gesucht, um dem Spendermangel zu begegnen. Dies führte zur Entwicklung effizienter Protokolle für die sog. HLA-haploidente Transplantation. Als Spender hierfür kommen Familienmitglieder in Betracht, bei denen nur einer der beiden HLA-Komplexe übereinstimmt. Dies ist bei den leiblichen Eltern und (statistisch) bei zwei von drei der nicht vollständig passenden Geschwister der Fall, aber darüber hinaus kann es auch auf entferntere Verwandte wie Tanten/Onkel, Großeltern oder Cousins zutreffen. Um eine schwere GvHD nach der haplo-SCT zu verhindern, wurden spezielle Protokolle entwickelt, die auf die Entfernung (Depletion) der Spender-T-Zellen gerichtet sind. Diese kann entweder durch Methoden der Zellsortierung vor der Transplantation ex vivo erfolgen oder aber nach Transplantation in vivo durch Gabe des Immunblockers Cyclophosphamid in hoher Dosis.

Schon die oben eingeführten gemischten Lymphozytenkulturen hatten auf die wichtige Rolle der T-Zellimmunität im Rahmen der allogenen SCT hingewiesen. Zunächst hatte man diese Rolle vorwiegend als negativ interpretiert, da die Empfänger-T-Zellen eine Abstoßung und die Spender-T-Zellen eine GvHD vermitteln konnten. Als sich schließlich in den 1980er-Jahren die Möglichkeit ergab, die Spenderlymphozyten mithilfe von Antikörpern und einer magnetischen Zellsortierung vor der Transplantation zu eliminieren, begann man damit, T-Zell-depletierte (TCD-)Transplantate zu verabreichen. Tatsächlich führte dies zu einer Verringerung des Risikos einer schweren GvHD. Wider Erwarten waren die Langzeitergebnisse der TCD-SCT jedoch schlechter als bei Transplantationen mit T-Zellen. Dies hatte zwei Gründe – zum einen wurden die TCD-Transplantate häufiger abgestoßen, zum anderen erlitten mehr Patienten nach TCD-SCT einen Rückfall (Rezidiv) ihrer malignen Erkrankung. Dies zeigte, dass die Spender-T-Zellen nicht nur für das Anwachsen wichtig waren (indem sie die trotz der Konditionierung noch vorhandenen Immunzellen des Empfängers bekämpften), sondern offensichtlich auch die Krebszellen direkt bekämpfen konnten (Graft-versus-Leukämie-Effekt, GvL), womit das Postulat von Mathé bestätigt wurde. Mit dem darauf basierenden Konzept, dass der Erfolg der allogenen SCT nicht unwesentlich auf einem immuntherapeutischen Prinzip beruht, ließ sich auch ein weiteres scheinbares Paradoxon erklären, nämlich dass Patienten nach autologer SCT, aber auch nach syngener SCT häufiger rezidivierten. Konnte man die erhöhte Rezidivneigung nach autologer SCT mit einer möglichen Kontamination des Transplantats durch maligne Zellen erklären, war dies bei der Transplantation von einem eineiigen Zwilling nicht möglich. Nimmt man aber den Immuneffekt der Spenderzellen ins Kalkül, passt alles ins Bild: Am wahrscheinlichsten sind Rezidive nach auto-SCT, da hier eine Kontamination möglich ist und der GvL-Effekt fehlt, am unwahrscheinlichsten nach allo-SCT (keine Kontamination und GvL-Effekt). Bei der syngenen SCT liegt die Rezidivwahrscheinlichkeit in der Mitte – es gibt kein Risiko für eine Kontamination, aber dafür ist der GvL-EffektFootnote 25 aufgrund genetischer Identität zwischen Spender und Empfänger nur gering ausgeprägt. Dass der GvH- (und damit auch GvL-)Effekt selbst bei perfekt passenden Geschwistern auftritt, lässt sich damit erklären, dass neben dem „major histocompatibility complex“ auch noch sog. „minor histocompatibility antigens“ existieren, die zu einer Aktivierung einer spezifischen Immunantwort beim Spender (wie auch Empfänger) gegen die Zellen des jeweils anderen führen können.

Neben dem HLA-Komplex spielt bei der allogenen Transplantation auch die sog. natürliche Immunität, die über „natürliche Killerzellen“ (NK-Zellen) vermittelt wird, eine Rolle. Die Entdeckung geht auf Beobachtungen in Mäusen zurück, bei denen das Knochenmark abgestoßen wurde, obwohl dies nicht erwartet worden war, da die Empfänger dasselbe MHC trugen wie die Spender.Footnote 26 Nachdem zunächst vermutet wurde, dass es einen eigenen hämatopoetischen Histokompatibilitätslokus geben könnte (Lotzová 1982), konnte später eine Rolle der „killer immunoglobuline-like receptors“ (KIR) nachgewiesen werden, die in Gruppen HLA-C-assoziiert sind. Dass die KIR auch eine antileukämische Wirkung entfalten können, wurde für die HLA-haploidente Transplantation nachgewiesen (Ruggeri et al. 2002). Danach haben Spenderzellen dann eine starke Wirkung gegen Leukämiezellen und antigenpräsentierende Zellen, wenn sie nicht durch Empfänger-KIR gehindert werden. Mittlerweile sind die Mechanismen der NK-Zellen detaillierter studiert (Myers und Miller 2021), überzeugende Studien für ihre selektive Wirksamkeit außerhalb allogener hämatopoetischer Transplantationen fehlen bisher.

5 Welche Stammzellen und welche Spender sind am besten?

Für beide Fragen gibt es keine eindeutige Antwort. Die Entscheidung für Knochenmark oder Blutstammzellen (PBSC) hängt von mehreren Faktoren, u. a. der Krankheit und dem Alter des Patienten, ab – nicht zuletzt aber natürlich von der Zustimmung des Spenders. In der Regel führen PBSC zu einem schnelleren Anwachsen und sind damit bei älteren und „unfitten“ Patienten vorzuziehen. Der höhere Gehalt an T-Zellen fördert das Anwachsen und verhindert besser eine Rückkehr der Leukämie (Holtick et al. 2014). Zugleich erhöht sich aber das GvHD-Risiko. Jüngere Patienten wie auch Patienten mit nichtmalignen Erkrankungen profitieren stärker von Knochenmark – das Risiko einer GvHD ist geringer. Zudem enthält das Knochenmark eine Reihe akzessorischer (unterstützender) Zellen, wie mesenchymale Stromazellen (MSC), regulatorische und Memory-T-Zellen, die das Anwachsen und die Immunrekonstitution fördern. Es wurde sogar die zusätzliche Gabe von MSC empfohlen (Bernardo und Fibbe 2015). Diese war zwar gut verträglich, eine kritische Auswertung der publizierten Studien fand aber keinen Vorteil (Kallekleiv et al. 2016). Manche Kollegen haben die Applikation der Stammzellen direkt in Knochen (intraossär) propagiert, um das Anwachsen zu verbessern (Castello et al. 2004), dies hat sich aber klinisch nicht durchgesetzt.

Bei der Auswahl der Spender sind noch immer HLA-identische Geschwister die idealen Spender. Falls ein HLA-identischer Familienspender fehlt, kommt ein unverwandter Spender (MUD) infrage. Wie oben beschrieben sollte idealerweise eine Übereinstimmung aller 10 Allele bei der genetischen Testung vorliegen (10/10 HLA-antigenidentische Spender).Footnote 27 Bei MUD-Transplantation sind PBSC und Knochenmark bzgl. Überleben und Rezidivrate gleich (Holtick et al. 2014), die größeren Differenzen der Histokompatibilität gleichen die Wirkung der T-Zellen mit PBSC aus. Während die Frequenz der HLA-identischen Geschwistertransplantationen über die Jahre gleichgeblieben ist (CIBMTR 2020),Footnote 28 haben die MUD-Transplantationen deutlich zugenommen. Insbesondere ältere Patienten mit akuter myeloischer Leukämie (AML) und myelodysplastischem Syndrom (MDS), deren Häufigkeitsgipfel im höheren Alter liegt, werden heute öfter transplantiert. Die Vortherapien sind deutlich verträglicher geworden (Lancet et al. 2018), sodass die Transplantation mit einer Konditionierung reduzierter IntensitätFootnote 29 erfolgreicher wurde. Bei MDS und sekundärer AML (sAML) wird kein vollständiges Nachlassen der Symptome vorausgesetzt, sondern nach Kontrolle der Leukämie gleich transplantiert. Die meisten allogenen Transplantate werden bei Patienten mit AML und MDS, gefolgt von myeloproliferativen Neoplasien (MPN) und akuter lymphatischer Leukämie (ALL), übertragen (CIBMTR 2020, siehe Fn. 18 bzw. 28).

Da AML mit Ausnahme der weniger risikoreichen Formen nicht ohne Transplantation heilbar ist, werden auch alternative Spender für Patienten diskutiert. Die Transplantation von einem HLA-haploidentischen Familienmitglied hat durch die Einführung von hochdosiertem Cyclophosphamid nach der Transplantation (sog. Post-Cy-Verfahren) einen enormen Aufschwung erfahren, da es preiswert und technisch einfach ist (Luznik et al. 2008). Auffallend ist das bessere Abschneiden lymphatischer Malignitäten als das myeloischer Erkrankungen, nachteilig war in jener Studie der gemischte oder auch fehlende Chimärismus bei einigen Patienten – offensichtlich haben 9 von 66 analysierten Patienten nach der HSCT die Spenderzellen wieder abgestoßen (Luznik et al. 2008). Auch wenn die haploidentische Transplantation keine besseren Ergebnisse liefert, ist sie oft nicht schlechter als die HLA-identische Transplantation. Ein großer Vorteil ist die relativ breite Verfügbarkeit von Spendern (siehe Abschn. 11.4).

Die Transplantation von Nabelschnurblutstammzellen („cord blood“, CB) wurde über viele Jahre sehr gefördert. Neben staatlichen bzw. gemeinnützigen CB-Zellbanken, die die Stammzellen für den Bedarfsfall einer allogenen SCT vorhalten, bieten auch zahlreiche private Firmen die Kryokonservierung und langfristige Aufbewahrung (z. B. bis zum 18. Geburtstag des betreffenden Individuums) von Stammzellen Neugeborener an. Diese Stammzellen sind dann ausschließlich für die eigene Verwendung beim „Spender“ der CB-Zellen vorgesehen. Dieses Geschäft ist ein ungedeckter Wechsel, bei dem praktisch nur die Bank gewinnt. Aus medizinischer Sicht am wahrscheinlichsten wäre eine Anwendung der CB-Stammzellen im Kindesalter zur Behandlung einer akuten Leukämie, der häufigsten bösartigen Erkrankung bei Kindern. Gerade dafür sind die eigenen CB-Stammzellen aber nicht geeignet, da diese die bösartigen Zellen oder deren Vorläufer bereits enthalten könnten. Zur Behandlung anderer Krankheiten ist die Anwendung von CB-Stammzellen i. d. R. hochspekulativ bzw. im besten Fall experimentell. Dagegen können CB-Präparate als Stammzellquelle in der allogenen SCT, also für einen anderen Patienten, durchaus sinnvoll sein. Dabei steht ihre Verwendung in Konkurrenz zu nicht perfekt passenden („mismatched unrelated donor“, MMUD-)Transplantaten freiwilliger Spender. Bei CB-Präparaten sollten mindestens 4 von 6 HLA-Antigenen gleich sein, wichtiger für den Erfolg der HSCT scheint aber die Menge an Stammzellen bzw. Zellen im Nabelschnurblut zu sein. Diese sollte mindestens 1 x 105/kg CD34-positive ZellenFootnote 30 betragen. Die Zellzahl ist für das erfolgreiche Anwachsen essenziell, das nach CB-Transplantation aufgrund der relativ geringen ZellzahlenFootnote 31 oft deutlich länger braucht. Andererseits sind Nabelschnur-HSC besonders produktiv, sie produzieren mehr Progenitorzellen als Knochenmark, das seinerseits wieder besser als PBSC ist (Wang et al. 1997; Hope et al. 2004). Die sehr lange Zeit der PanzytopenieFootnote 32 ist mit einer Reihe von Risiken für den Patienten verbunden (erhöhte Infektionsgefahr, Blutungsneigung etc.). Daher wurden mehrere Ansätze versucht, die Panzytopenie zu verhindern. So wurden die CB-Transplantate mit haploidentischen Knochenmarkzellen oder mit in vitro expandierten Stammzellen kombiniert (Mayani 2020). Die häufigste Modifikation war wohl die Verwendung zweier (oder mehrerer) Nabelschnurpräparate, allerdings war die Erholung des Blutbildes nicht schneller, die antileukämische Wirksamkeit war jedoch oft auffällig gut. Da sich mit der Zeit eines der beiden Präparate durchsetzte, ist davon auszugehen, dass es neben Graft-versus-Host- und Host-versus-Graft-Reaktionen auch Graft-versus-Graft-Reaktionen gegeben haben muss, die für das (schnellere) Anwachsen eventuell nachteilig waren. Zugleich scheint der doppelte Graft-versus-Leukämie-Effekt von Vorteil für die Wirkung gegen die Leukämie gewesen zu sein.

6 Posttransplantationstherapien

Wie in Abschn. 11.4 schon kurz dargelegt, erreichen auch nach einer allo-SCT nicht alle Patienten eine dauerhafte Unterdrückung ihrer malignen Erkrankung. Daher war es notwendig, Strategien für die Zeit nach der Transplantation zu entwickeln, um Rezidive zu verhindern und/oder erfolgreich zu bekämpfen.

Die Gruppe von Hans-Jochem Kolb hat dazu Ende der 1980er-Jahre das Prinzip der adoptiven Immuntherapie durch Transfusion von Spenderlymphozyten („donor lymphocyte infusions“, DLI) entwickelt. Im Hundemodell wurde gezeigt, dass Transfusionen von Spenderlymphozyten keine GvHD mehr auslösten, wenn sie zwei Monate oder später nach Transplantation gegeben wurden. Jedoch wurde beobachtet, dass der gemischte Chimärismus langsam in einen vollständigen Chimärismus überging (Kolb et al. 1997). Klinisch wurden die DLI zunächst bei Patienten mit Rezidiv einer chronischen myeloischen Leukämie (CML) eingesetzt. Tatsächlich gelang es damit, bei den Patienten eine molekulare Vollremission zu erreichen, zwei von drei entwickelten aber eine GvHD, die jedoch behandelbar war (Kolb et al. 1990). In einer folgenden Studie der europäischen Fachgesellschaft EBMTFootnote 33 trat eine GvHDFootnote 34 Grad > I bei 35 % der Patienten auf (Kolb et al. 1995), sie war meistens gut behandelbar und die antileukämische Wirkung war bereits bei leichter GvHD (Grad I) erhöht. Bei einem Teil der Patienten kam es als Nebenwirkung zu einer Unterdrückung der Blutbildung im Knochenmark (Myelosuppression), sie konnte durch Transfusion von Knochenmark vom Spender korrigiert werden.

In der EBMT-Studie waren auch vier Patienten eingeschlossen, die von eineiigen Zwillingsgeschwistern DLI erhalten hatten. Keiner dieser vier Patienten sprach auf die DLI an, was die bereits oben erwähnte Bedeutung der Histokompatibilitätsantigene für den GvL-Effekt unterstreicht.

Aufgrund ihrer Krankheit haben Patienten mit CML verschiedene Immundefizite, die den Erfolg der Immuntherapie behindern können. Hier gelang es jedoch bei vielen Patienten, durch Kombinationstherapien die Wirksamkeit der DLI wiederherzustellen. So führte die Behandlung mit DLI in Kombination mit dem immunstimulierenden Hormon Interferon-α (IFN-α) bei etwa 80 % der Patienten mit Rezidiv in chronischer Phase zu einer zytogenetischen und meistens auch molekularen Vollremission.Footnote 35 Bei Versagen der DLI konnte die Kombination von DLI mit IFN-α und GM-CSF erfolgreich sein (Kolb et al. 2004).

Bei akuter myeloischer Leukämie war die Rezidivbehandlung mit DLI weniger erfolgreich. Als Gründe gelten die größere proliferative Dynamik (die bösartigen Zellen teilen sich deutlich schneller als bei der CML, sodass es quasi zu einem Wettrennen mit den Immunzellen kommt) wie auch die Rück- bzw. Dedifferenzierung der malignen Zellen in frühere Entwicklungsstadien (Blasten), was mit größerer Malignität und geringerer „Angriffsfläche“ einhergeht (z. B. durch Herunterregulation immunstimulatorischer und Hochregulation immunsuppressiver Antigene). Trotzdem konnten bei einigen Patienten Langzeitremissionen durch eine Kombination von DLI oder mobilisierten PBSCFootnote 36 mit einer milden Chemotherapie in Form von „low dose“-Cytarabin (Schmid et al. 2004) oder wiederholten Zyklen Azacytidin (Schroeder et al. 2016) induziert werden. Bei rasch fortschreitenden Formen hat eine FLAMSA-ChemotherapieFootnote 37 (Kolb und Schmid 2020) in Verbindung mit mobilisierten PBSC geholfen.

Prophylaktische DLI (also DLI bereits vor dem Auftreten eines Rückfalls) hat die Kolb-Gruppe als Teil einer schrittweisen (sequenziellen) Therapie bei AML untersucht und gesehen, dass bei Patienten, die in Remission transplantiert worden waren, Rezidive nur selten auftraten (Kolb 2008). Bei Patienten nach Transplantation im Rezidiv gab es weniger Rezidive als in einer historischen Vergleichsgruppe. Eine Matched-Pair-AnalyseFootnote 38 ergab eine signifikante Verbesserung des rezidivfreien Überlebens (Jedlickova et al. 2016). Allerdings sollten prophylaktische DLI nur bei Nachweis eines Chimärismus und in Abwesenheit von Infektionen wie auch GvHD auch 30 Tage nach Absetzen der Immunsuppression durchgeführt werden. Damit bleibt eine Zeitspanne von 4 bis 6 Monaten nach Transplantation bis zu den DLI, die zu überbrücken ist. Dies bedeutet, dass frühe Rezidive, wie sie z. B. oft bei Flt3-positiver AML auftreten, nicht erfasst werden. Hier besteht die Notwendigkeit einer überbrückenden („bridging“) Therapie. Eine Möglichkeit ist die Behandlung mit Sorafenib (Metzelder et al. 2009; Burchert et al. 2020) oder einem anderen Flt3-Inhibitor. Auch Histondeacetylasehemmer (Bug et al. 2017) haben gute Ergebnisse gezeigt.

Immunantworten gegen Minor-Histokompatibilitäts- wie auch Differenzierungsantigene sind individualspezifisch, richten sich also gleichzeitig gegen gesunde (GvH-) wie auch gegen bösartige (GvL-)Zellen des jeweiligen Patienten. Wird eine Immunantwort jedoch durch Neoantigene, die durch Mutationen in den Krebszellen entstanden sind, ausgelöst, richtet sie sich ausschließlich gegen die Krebszellen. So können Peptide der BCR/ABL-Fusion spezifisch für CML bzw. BCR/ABL-positive akute lymphatische Leukämie sein; sie können eine Immunreaktion von CD4- und CD8-positiven Zellen hervorrufen. Solche spezifischen Immunantworten sind insofern sehr erwünscht, da sie kein Risiko einer GvHD in sich tragen (Wagner et al. 2003; Kessler et al. 2006).

Andere Gruppen haben bei der AML keinen positiven Effekt von DLI gefunden (Estey 2020; Craddock et al. 2021). Eine mögliche Ursache ist die Tatsache, dass die Patienten in jenen Studien bereits sehr viele T-Zellen in ihrem Transplantat bekommen hatten und keine ausreichende T-Zelldepletion stattfand, sodass eine zusätzliche Gabe DLI zu einem späteren Zeitpunkt nichts bewirken konnte.

Rezidive bei ALL sprechen i. d. R. weniger gut auf DLI an (Kolb et al. 1995), eine Verbesserung der Ergebnisse ist durch die Kombination mit bispezifischen Antikörpern möglich (Buhmann et al. 2009; Schuster et al. 2013). Rezidive von multiplen Myelomen sprechen i. d. R. gut auf DLI an (Kolb et al. 1995), die Remissionen sind allerdings von begrenzter Dauer (Alyea et al. 2001; Bellucci et al. 2005).

Genetisch modifizierte T-Zellen in Form von „chimeric antigen receptor“-modifizierten CAR-T-Zellen konnten bei ALL (Maude et al. 2018), Non-Hodgkin-Lymphome und Myelomen überzeugende Erfolge erzielen (zur CAR-T-Zelltherapie siehe Harrer/Abken, Kap. 10). Eine Limitation der CAR-T-Zelltherapie besteht darin, dass bei vielen Patienten krankheits- und therapiebedingt ein Mangel an fitten T-Zellen vorliegt, sodass es schwierig ist, funktionell aktive CAR-T-Zellen zu generieren. Zudem können die CAR-T-Zellen verloren gehen oder durch Immunantworten gegen Anteile des CARs abgestoßen werden. Schließlich kommt es vor allem bei akuten Leukämien zu Rezidiven, bei denen das Zielantigen des CARs verloren gegangen ist.

Besteht bereits ein voller Spenderchimärismus nach allo-SCT können CAR-T-Zellen aus Spenderzellen hergestellt werden, die keiner Krankheit oder Chemotherapie ausgesetzt waren und vom Patienten nicht abgestoßen werden. Die CAR-T-DLI sind offensichtlich recht gut wirksam (Brudno et al. 2016; Anwer et al. 2017), erstaunlicherweise produzieren sie kaum GvHD, obwohl nur 20–70 % der T-Zellen mit CAR modifiziert sind. Dennoch werden Möglichkeiten untersucht, GvHD weiter zu vermeiden, indem gezielt ausschließlich virusspezifische T-Zellen (Terakura et al. 2012; Cruz et al. 2013) genetisch modifiziert werden. Ein anderer Ansatz besteht darin, den T-Zellrezeptor durch Genome-Editing zu entfernen (Smith et al. 2018; siehe Fehse et al., Kap. 7). Bei Virusexposition sprachen auch die virusspezifischen CAR-T-Zellen an. Eine Gabe von CAR-T-DLI in steigender Dosierung, wie bei DLI zur GvHD-Prophylaxe üblich, wurde bisher nicht untersucht.

7 Spätfolgen und Langzeitergebnisse

Die allogene Stammzelltransplantation ist eine sehr erfolgreiche und etablierte zelluläre Therapie, die schon seit mehr als 50 Jahren regulär zum Einsatz kommt. In den frühen Jahren wurden Konditionierungen in höchster Dosierung angewendet, wie z. B. Einzeldosis-Ganzkörperbestrahlung mit 10 Gy, Hochdosis-Cyclophosphamid und Busulfan. Trotz dieser höchstintensiven Behandlung und der damit verbundenen oft schweren und nicht selten tödlichen Nebenwirkungen konnten Rezidive der Leukämie auftreten. Entsprechend war die Behandlung nur bei anderweitig aussichtslosen Krankheitsstadien gerechtfertigt. Die fraktionierte BestrahlungFootnote 39 und die bessere supportive Therapie (siehe Abschn. 11.1) haben es dann ermöglicht, auch Patienten in Remission zu transplantieren (Thomas et al. 1975ab). Die langfristigen Erfolge stiegen damit von 10–20 % auf 50–60 % der Patienten. In der Regel geht das Risiko schwerer Nebenwirkungen nach 4 bis 6 Monaten zurück, es besteht eine Transplantationstoleranz. Jedoch kann eine chronische GvHD aus einer nicht beherrschten akuten GvHD hervorgehen oder neu – oft im Gefolge einer Infektion – entstehen, was je nach Schwere mit einer signifikanten Einschränkung der Lebensqualität verbunden sein kann.

Die meisten Patienten, die die Transplantation mehr als 5 Jahre überleben, sind gesund und gehen ihrer normalen Tätigkeit nach (Duell et al. 1997), Einschränkungen ihres Gesundheitszustandes sind vor allem durch die chronische GvHD bedingt. Die chronische GvHD und ihre Behandlung mit Calcineurininhibitoren können zudem sowohl zu nichtmalignen Spätschäden (siehe unten) wie auch zu Zweitmalignomen beitragen. Auch infolge der intensiven Therapie sowie individueller Risikofaktoren besteht ein erhöhtes Risiko für weitere, sog. sekundäre Neoplasien (Kolb et al. 1999). Spätrezidive (nach mehr als 5 Jahren) sind bei CML (Hirschbuehl et al. 2015), AML und multiplem Myelom möglich. Bei Frauen mit AML manifestieren sich späte Rezidive oft im Bauchraum, vermutlich von den Eierstöcken ausgehend. Myelomrezidive sprechen oft auf niedrig dosiertes Lenalidomid mit und ohne DLI an.

Weitere mögliche Spätkomplikationen umfassen das sog. metabolische Syndrom mit Hyperglykämie (erhöhter Blutzucker), Hypertriglyzeridämie (Störung des Fettstoffwechsels), niedrigen Werten von „high density lipoprotein“(HDL)-Cholesterin und damit assoziiert Hypertonie (Bluthochdruck) sowie Adipositas (Greenfield et al. 2021). Daraus resultieren Risiken für Komplikationen im Bereich des Herzens und der Gefäße. Während das metabolische Syndrom bei autolog und allogen transplantierten Patienten gleich häufig auftritt, sind pulmonale, kardiovaskuläre und renale Komplikationen häufiger bei allogen transplantierten Patienten (Tichelli et al. 2008).

Besonders belastend sind Strahlenspätschäden, die vor allem bei Patienten auftreten, die in den ersten Jahren mit Einzeldosen von 10 Gy bestrahlt worden waren. Demgegenüber ist die Mehrheit der überlebenden Patienten der letzten 3 Jahrzehnte zumeist in guter Verfassung und erfreut sich am Leben. Erfreulicherweise konnten einige Kinder zeugen und gebären. Menschliche Langzeitchimären sind der beste Beweis für die Rolle von hämatopoetischen Stammzellen, die nicht nur Blut mit der Blutgruppe des Spenders produzieren, sondern auch eine schützende Immunität aufrechterhalten.