FormalPara Zusammenfassung

In diesem Kapitel wird der Ansatz der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ vorgestellt. Er wurde in einem mehrjährigen Prozess entwickelt und soll in der Breite erprobt werden. Im Kern geht es um eine verstärkte Aufmerksamkeit für die Pflege in häuslichen Pflegearrangements, die seit Einführung der Pflegeversicherung den größten Anteil der pflegerischen Versorgung ausmacht. Trotz ihrer Bedeutung bleibt die häusliche Pflege eher verborgen, Risiken bleiben unerkannt und Möglichkeiten zur Unterstützung und Begleitung häuslicher Pflegearrangements werden nicht genutzt. Der Ansatz der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ richtet den Fokus nicht auf die versorgenden Institutionen, sondern auf die Personen, die auf pflegerische Unterstützung angewiesen sind, und ihre Lebenswelten. Es wird gefragt, welche Voraussetzungen ein gutes Leben bei und trotz Pflegebedürftigkeit hat, wie häusliche Pflegearrangements begleitet und unterstützt und Risiken erkannt werden können, welche Rollen dem Medizinischen Dienst dabei zufallen können und welche Voraussetzungen auf lokaler und kommunaler Ebene dazu förderlich sind.

In this chapter, the idea of subject″​=oriented quality assurance in long″​=term care is presented. This approach was developed in a process over several years and is about to be piloted on a broader basis. The core principle is to pay more attention to care provided in home care arrangements which represent the largest part of long″​=term care provision since the induction of long″​=term care insurance in Germany in the 1990s. Despite its significance, home care tends to remain hidden, risks go undetected and no use is made of the potential for supporting and accompanying home care arrangements. The subject″​=oriented quality assurance approach is focused not on the care″​=providing institutions, but on the persons who are in need of care and their living environments. The approach addresses what a good life means for people with and despite care dependency, how home care arrangements can be supported and risks can be identified, what roles the Medical Boards can play and which prerequisites on the local and community level need to be in place.

1 Einleitung

Die Diskussion um die Qualität professioneller Pflegeangebote begleitet die Pflegeversicherung seit ihren Anfängen – nicht zuletzt vor dem Hintergrund ihrer wettbewerblichen Ausrichtung. Die Frage, welche Qualität ambulante, teilstationäre und stationäre Pflegeeinrichtungen und -dienste erbringen können und sollen und wie sichergestellt werden kann, dass sie es auch tatsächlich tun, bestimmt seit mehr als einem Vierteljahrhundert die Qualitätsdiskussion.

Nicht Gegenstand der Qualitätsdiskussion war der Bereich der pflegerischen Langzeitversorgung, der bereits vor der Pflegeversicherung den größten Teil dieser Versorgung ausgemacht hat: die häusliche Pflege durch die An- und Zugehörigen pflegebedürftiger Menschen – aber auch Alleinstehender. Seit 1999 weist die Pflegestatistik verlässlich aus, dass die größte Gruppe der Leistungsempfängerinnen und -empfänger der Pflegeversicherung aus denjenigen besteht, die sich für die Geldleistung nach § 37 SGB XI entschieden haben. Dies bedeutet, dass sie einen Geldbetrag erhalten und die Pflege zu Hause im Rahmen ihrer Möglichkeiten selbst organisieren. Mit dem Bezug der Geldleistung gehen sie die Verpflichtung ein, je nach Pflegegrad zwei- oder viermal im Jahr einen Beratungsbesuch nach § 37 Abs. 3 SGB XI durch einen ambulanten Pflegedienst oder eine anerkannte Beratungsstelle zu erhalten. Abgesehen von dieser verpflichtenden Unterstützung bleiben diese Pflegearrangements sich selbst überlassen.

Allein angesichts der Häufigkeit ihres Auftretens gegenüber anderen Formen der pflegerischen Versorgung sollten diese Pflegearrangements deutlich mehr im Fokus der pflegefachlichen, pflegepolitischen und auch pflegewissenschaftlichen Aufmerksamkeit stehen, da die Pflegeversicherung sich faktisch und auch fiskalisch auf die vorhandene Pflegebereitschaft von An- und Zugehörigen verlässt. Dennoch ist insgesamt nur wenig dazu bekannt

  • wie es um die Qualität der pflegerischen Versorgung in diesen Pflegearrangements bestellt ist,

  • wie verlässlich und stabil diese Pflegearrangements sind,

  • welche erwachsenenschutzrechtlich relevanten Sachverhalte in den Blick zu nehmen sind,

  • wie präventiv einer Destabilisierung dieser Pflegearrangements entgegengewirkt werden kann,

  • wie diese Pflegearrangements beratend und flankierend unterstützt werden können und

  • wie eine lokal und kommunal verankerte Stärkung dieser Form der häuslichen Pflege aussehen kann.

An diesen Fragen setzt das Konzept der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ an, das in verschiedenen Projektschritten entwickelt wurde und in der Breite erprobt werden soll (Klie und Büscher 2019, 2022). Durch diesen Ansatz wird der Fokus der Qualitätsdiskussion in der Langzeitpflege umdreht. Es wird nicht danach gefragt, wie es um die Qualität professioneller Angebote beschaffen ist, sondern wie es dem zu Hause versorgten Menschen, der auf Pflege angewiesen ist, geht. Es geht nicht um die versorgende Institution, in der der pflegebedürftige Mensch das Objekt professionellen Handelns ist, sondern es geht um die Person, die auf Pflege angewiesen ist, den Menschen als Subjekt, als eigenständig entscheidendes und agierendes Wesen. Zentral für die „subjektorientierte Qualitätssicherung“ sind

  1. a)

    die Frage, wie ein gutes Leben unter Bedingungen von Pflegebedürftigkeit aussehen kann,

  2. b)

    das Ziel, instabile häusliche Pflegearrangements zu unterstützen und zu begleiten und

  3. c)

    die Notwendigkeit, die Kooperation und Vernetzung vor Ort zu aktivieren und zu stärken.

2 Das gute Leben bei und trotz Pflegebedürftigkeit

Für die Frage, wie ein gutes Leben bei und trotz Pflegebedürftigkeit aussehen kann, lehnt sich der Ansatz der subjektorientierten Qualitätssicherung an die Arbeiten von Nussbaum (1999) und Nolan et al. (2001) an. Nussbaum beschreibt Grunderfahrungen und Grundbefähigungen des Menschen, die als Bedingungen guten Lebens interpretiert werden können. Diese können gefährdet sein durch ungünstige Rahmenbedingungen, durch ökonomische und gesellschaftliche Restriktionen. Sie können aber auch befördert werden durch günstige Einflussfaktoren auf das jeweilige Pflegearrangement und damit auf die Bedingungen guten Lebens für Menschen mit Pflegebedarf. Nussbaum (1999) stellt in ihrem Ansatz Grunderfahrungen und Wesensmerkmale des Menschen seinen Grundbefähigungen gegenüber. Tab. 11.1 gibt einen Überblick über die den Wesensmerkmalen entsprechenden Grundbefähigungen.

Tab. 11.1 Wesensmerkmale und Grundbefähigungen nach Nussbaum (1999)

Diese zehn Dimensionen eignen sich, um sowohl Risikofaktoren als auch Faktoren des Gelingens für häusliche Pflegearrangements herauszuarbeiten. Der Fokus der öffentlich geführten Qualitätsdebatte liegt in den – sicher nicht zu verleugnenden und zu verharmlosenden – Substandards in der Langzeitpflege. Genau dieser Fokus aber verstärkt die Ambivalenzen in der Bevölkerung bezogen auf die Sorge um auf Pflege angewiesene Menschen und stabilisiert verbreitete Defizitzuschreibungen zu Lasten Pflegebedürftiger. Indem positiv herausgestellt wird, was die Bedingungen für ein gelingendes Leben mit Pflegebedürftigkeit sind, kann ein verändertes Bild von einem Leben von Menschen, die auf fremde Hilfe angewiesen sind, in der Gesellschaft verankert werden.

Auch die Arbeiten von Nolan et al. (2001) ermöglichen ein anderes Verständnis davon, was ein Leben mit Pflegebedürftigkeit bedeutet und welche Fragen dabei von Bedeutung sind. Der Ansatz beschreibt wesentliche Kriterien zur Gestaltung häuslicher Pflegearrangements, die aus der Perspektive aller Beteiligten – also des pflegebedürftigen Menschen, der pflegenden An- und Zugehörigen und der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter professioneller Pflege- und anderer Dienste von Bedeutung sind. Diese von den Autoren als „six senses“ bezeichneten Aspekte umfassen:

  • Sicherheit hinsichtlich der essenziellen, physiologischen und psychologischen Bedürfnisse sowie vor Bedrohung, Schaden oder Schmerz,

  • Kontinuität in der persönlichen Biografie und eine konsistente und reibungslose Versorgung innerhalb etablierter Pflegebeziehungen durch bekannte Pflegepersonen,

  • Zugehörigkeit durch die Bildung und/oder Aufrechterhaltung bedeutsamer und gegenseitiger Beziehungen,

  • Zielgerichtetheit hinsichtlich der Fähigkeit, Ziele und Herausforderungen zu identifizieren sowie Ermessensspielraum für eigene Entscheidungen zu haben,

  • Etwas erreichen können im Hinblick auf bedeutsame Ziele und wertgeschätzte Beiträge sowie

  • Bedeutsamkeit im Sinne der Anerkennung und Wertschätzung als Person und des Gefühls der Wichtigkeit der eigenen Existenz und Handlungen.

Der Ansatz von Nolan et al. (2001) ist weniger umfassend als der von Nussbaum, dafür aber spezifischer auf die Situationen in Pflegearrangements ausgerichtet. Beiden gemeinsam ist die erweiterte Perspektive zur Beschreibung eines guten Lebens und der wesentlichen Eigenschaften, die für das Mensch-Sein, auch angesichts schwieriger Bedingungen wie dem Angewiesensein auf die personelle Hilfe von anderen, von Bedeutung sind.

3 Unterstützung und Begleitung häuslicher Pflegearrangements

Eine wesentliche Zielsetzung der subjektorientierten Qualitätssicherung besteht darin, auf Pflege angewiesene Menschen und die sie versorgenden Personen zu begleiten und zu unterstützen. Die Begleitung und Unterstützung soll sich dabei an den individuellen Bedarfslagen orientieren und unterschiedliche Strategien und Maßnahmen umfassen. Dazu ist es erforderlich, eine Vorstellung individueller Pflegearrangements zu erlangen und die gegebenen Bedarfslagen und Risikofaktoren einzuschätzen. Ein Blick in die nationale und internationale Literatur sowie die Analyse realer Fälle aus der Beratungspraxis zeigen die wesentlichen Risikofaktoren für die Stabilität und das Gelingen häuslicher Pflegearrangements:

  • Gewalt, Vernachlässigung oder Missbrauch, der definiert ist als „eine einmalige oder wiederholte Handlung oder das Unterlassen einer angemessenen Reaktion im Rahmen einer Vertrauensbeziehung, wodurch [einer Person] Schaden oder Leid zugefügt wird“ (Krug et al. 2002). Nach Suhr (2015, S. 21) schließt diese Definition „… bewusst auch das Fehlen einer gebotenen Handlung ein und unterstreicht in besonderer Weise das bestehende Vertrauensverhältnis zwischen Täter*in und Opfer. Neben offensichtlichen Formen körperlicher Gewalt oder verbal aggressivem Verhalten fallen darunter auch Aspekte wie die Missachtung der Intimsphäre, die finanzielle Ausbeutung oder die pflegerische Vernachlässigung. Auch Einschränkungen der Entscheidungs- oder Bewegungsfreiheit pflegebedürftiger Menschen, zum Beispiel durch Gurte oder durch nicht indizierte psychotrope Arzneimittel, stellen demnach Missbrauch beziehungsweise problematische oder sogar gewalttätige Handlungen dar“.

  • Paternalismus und unzureichende Einbindung in Entscheidungsprozesse: Als problematisch ist anzusehen, wenn der auf Pflege angewiesene Mensch nicht in Entscheidungen zur pflegerischen Versorgung eingebunden ist und von den Entscheidungen anderer abhängig oder diesen sogar ausgeliefert ist. Die Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung sieht die Befähigung zur Wahrnehmung eigener Rechte als wesentlich an. Das Bewusstsein für die Problematik einer unzureichenden Einbindung des pflegebedürftigen Menschen in Entscheidungen über seine Versorgung wächst erst langsam und empirische Angaben über Häufigkeit, Ausmaß und verschiedene Formen einer unzureichenden Einbindung liegen nicht vor. Dennoch lassen sich zentrale Fragen zur Einbindung des pflegebedürftigen Menschen formulieren. So kann gefragt werden, ob

    • Entscheidungen an der pflegebedürftigen Person vorbei oder explizit ohne sie getroffen werden,

    • eine rechtliche Betreuung eingesetzt ist, wenn sie angezeigt ist, oder

    • ein Risiko besteht, dass der pflegebedürftige Mensch bei Entscheidungen zu ärztlichen Behandlungen nicht adäquat beteiligt wird, indem beispielsweise zu schnell von einer Einwilligung in eine Behandlung ausgegangen oder die Einwilligungsfähigkeit aufgrund einer bestehenden Demenz abgesprochen wird.

  • Soziale Isolation: Soziale Isolation ist eine oftmals beschriebene Begleiterscheinung oder Folge der häuslichen Pflege. Sie kann sich sowohl auf den pflegebedürftigen Menschen als auch auf seine An- und Zugehörigen oder das Arrangement als Ganzes beziehen. Unter sozialer Isolation wird ein „Mangel an sozialen Kontakten, Zugehörigkeit, Teilhabe sowie erfüllenden Sozialbeziehungen“ verstanden (Kruse et al. 2014, S. 471). Dabei geht es nicht allein um die Anzahl von Beziehungen und Kontakten (Größe sozialer Netzwerke, Häufigkeit von Kontakten), sondern auch um deren Qualität. Die Hintergründe für das Entstehen von sozialer Isolation sind unterschiedlich. Untersuchungen geben Hinweise auf den Gesundheitszustand und den sozioökonomischen Status, der zu sozialer Isolation führen kann (Kruse et al. 2014). Dieser Befund zeigt bestehende Zusammenhänge zu anderen Risikofaktoren für die Stabilität häuslicher Pflegearrangements. Das Alter ist nicht per se ein Grund für soziale Isolation. Allerdings können Aspekte der Lebenssituation im Alter wie Verlust des Partners oder der Partnerin, reduzierte Mobilität oder gesundheitliche Beeinträchtigungen soziale Isolation befördern.

  • Belastung pflegender An- und Zugehöriger: Die Belastung pflegender An- und Zugehöriger ist mittlerweile ein weithin anerkannter Risikofaktor für die Stabilität häuslicher Pflegearrangements. Es ist bekannt, dass die häusliche Pflege eines nahestehenden Menschen mit einer Vielzahl von physischen, psychischen, emotionalen, finanziellen und weiteren Belastungen einhergeht. Übersteigt die Belastung die Kräfte und Möglichkeiten der Pflegenden, dann entstehen vielfach Probleme in doppelter Hinsicht. Zum einen können An- und Zugehörige selbst gesundheitliche Probleme bekommen und der Hilfe durch andere bedürfen. Zum anderen kann die häusliche Versorgung nicht mehr in der gewohnten Art und Weise fortgeführt werden, sodass es einer Neuorganisation bedarf.

  • Ungünstige Lebenslage: Nur in Ansätzen untersucht ist bislang die Frage, inwiefern sich die finanzielle Situation oder das Bildungsniveau eines Menschen auf häusliche Pflegearrangements auswirken. Im Rahmen eines Teilkaskosystems liegt die Vermutung nahe, dass ausreichende finanzielle Ressourcen die Bewältigung von Pflegebedürftigkeit ebenso erleichtern können wie die Fähigkeit, sich die notwendigen Hilfen zu beschaffen oder sich mit den professionellen Akteuren auseinandersetzen zu können. Im Umkehrschluss können die individuellen Handlungsspielräume durch haushaltsökonomische Restriktionen oder die erschwerte Erreichbarkeit von Information und Beratung stark begrenzt sein.

  • Krankheits- und/oder funktionsbezogene Beeinträchtigungen: Eine erhebliche Auswirkung auf die Stabilität häuslicher Pflegearrangements hat das Ausmaß krankheits- und funktionsbezogener Beeinträchtigungen. Zwar ergeben sich viele Einflussfaktoren aus dem Zusammenwirken unterschiedlicher Aspekte der gesundheitlichen und sozialen Situation; Ausmaß, Intensität und Beschaffenheit der krankheits- und funktionsbezogenen Beeinträchtigungen des auf Pflege angewiesenen Menschen sind jedoch der Auslöser und ein fortlaufend wesentlicher Bestimmungsfaktor für den Verlauf eines Pflegearrangements.

  • Innerfamiliäre Spannungen: Familiäre Spannungen sind ein erheblicher Einflussfaktor auf die Stabilität eines häuslichen Pflegearrangements. Sie können Belastungen bei pflegebedürftigen Menschen wie bei ihren An- und Zugehörigen auslösen. Bestehende Spannungen können dabei sowohl durch die Pflege bedingt sein, weil die damit einhergehenden Belastungen große Anforderungen an alle stellen, denen sie nur bedingt gewachsen sind. Sie können aber auch aus Auseinandersetzungen zwischen Familienmitgliedern über die richtige und angemessene Form der Pflege und die Verantwortung für die Pflege entstehen, z. B. wenn mehrere Geschwister sich über die Pflege ihrer Eltern oder eines Elternteils auseinandersetzen. Auch Fragen eines möglichen Erbes können dabei einen Einfluss haben. Nicht zu vergessen ist zudem, dass die häusliche Pflege vor dem Hintergrund gewachsener persönlicher, vielfach familiär geprägter Erfahrungen stattfindet, die sich über viele Jahre des gemeinsamen Lebensverlaufs der beteiligten Personen entwickelt haben. Die Diagnose einer chronischen Erkrankung und die Entstehung von Pflegebedürftigkeit führen zu einer Veränderung bisheriger Beziehungen, Rollenmuster und der Organisation des Alltags. Diese Veränderungen können reibungslos und unkompliziert verlaufen, verlangen den beteiligten Personen in der Regel aber einiges ab. Die vormals bestehende Beziehung hat dabei einen Einfluss darauf, wie die Veränderungen angenommen und bewältigt werden. War diese Beziehung bereits belastet, so kann sich diese Belastung fortsetzen oder verschlimmern, wodurch eine Instabilität des Pflegearrangements bereits von Beginn an angelegt ist und eine Stabilität der häuslichen Pflege kaum entstehen kann.

Die genannten Risikofaktoren können einzeln oder kumulativ auftreten und es lässt sich kein Automatismus zum Zusammenhang vorhandener Risikofaktoren und der Stabilität eines Pflegearrangements ableiten. Entsprechend bedarf es der Einschätzung und Bewertung im Einzelfall. Im Rahmen der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ erfolgt eine Bewertung häuslicher Pflegearrangements anhand von vier Bewertungsstufen:

  • Prekäre Lebenssituationen/Pflegearrangements, in denen ein Interventionsbedarf aufgrund bereits eingetretener Schädigungen besteht und in denen durch bestehende Rechtsverletzungen in Form von Gewalt, Missbrauch, Vernachlässigung o. ä. aktuelle weitere Gefährdungen bestehen.

  • Fragile Lebenssituationen/Pflegearrangements, in denen Risiken und Gefährdungen aufgrund unterschiedlicher Ursachen bestehen, die einerseits personen-, umgebungs- oder krankheitsbezogen sein können, die aber andererseits auch durch erhöhte Belastung der pflegenden Angehörigen oder anderer Helfer entstehen können. In diesen Konstellationen besteht kein unmittelbarer Interventionsbedarf, aber ein Bedarf an präventiver Unterstützung, damit es nicht zu tatsächlichen Gefährdungen kommt.

  • Belastete, aber stabile Lebenssituationen/Pflegearrangements, in denen Angebote zur Begleitung und Beratung gemacht werden können, um zur weiteren Stabilisierung beizutragen.

  • Stabile und gelingende Lebenssituationen/Pflegearrangements, in denen zur weiteren Stabilisierung eine ausdrückliche Würdigung erfolgen könnte, um die Beteiligten in ihrem Bemühen und ihrer Art und Weise der Bewältigung von Pflegebedürftigkeit zu bestätigen.

Eine der großen Herausforderungen bei der Unterstützung und Begleitung häuslicher Pflegearrangements ist der Zugang zu ihnen. Häusliche Pflege findet in der Regel im Verborgenen statt. Ein entscheidender Aspekt für die Möglichkeiten von Begleitung und Unterstützung besteht darin, ob und wie ein Zugang zu häuslichen Pflegearrangements hergestellt werden kann. Für die „subjektorientierte Qualitätssicherung“ wird der Zugang im Rahmen der Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit durch die Medizinischen Dienste hergestellt. Die Medizinischen Dienste haben im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags nach § 18 SGB XI zur Begutachtung in besonderer und einzigartiger Weise Zugang zu häuslichen Pflegearrangements. Für die subjektorientierte Qualitätssicherung wurde deshalb ein Ansatz entwickelt, wie die Informationen aus dem Begutachtungsverfahren für die Bewertung häuslicher Pflegearrangements genutzt werden können. Den Medizinischen Diensten käme somit eine erweiterte Rolle zu, für deren Erprobung im Rahmen der jüngsten Pflegereform durch § 18e SGB XI ein Rahmen geschaffen wurde. Ob und welche weiteren Konsequenzen daraus erfolgen, hängt davon ab, wie die Pflegekassen und die Akteure der pflegerischen Versorgung auf lokaler Ebene im Rahmen lokaler Netzwerke kooperieren und Lösungen finden.

4 Kooperation und Vernetzung vor Ort

Im Verlauf des Projekts zur subjektorientierten Qualitätssicherung wurde in einem Projektteil in insgesamt sechs Regionen in Bayern, Brandenburg und Niedersachsen erprobt und diskutiert, wie die unterschiedlichen Pflegearrangements durch die vorhandenen Akteure vor Ort unterstützt werden können. In den dazu durchgeführten Workshops wurde deutlich, dass die subjektorientierte Qualitätssicherung dazu beitragen kann, die Kooperation auf lokaler Ebene zu befördern. Darüber hinaus haben sich durch den Austausch Hinweise auf Infrastrukturdefizite ergeben. Folgende Erkenntnisse lassen sich zu den Voraussetzungen auf lokaler und kommunaler Ebene zusammenfassen:

Ein wichtiger Aspekt sind gute Datengrundlagen zur Beschreibung und Einschätzung der pflegerischen Versorgungssituation und der damit verbundenen aktuellen und zukünftigen Herausforderungen. Diese Datengrundlagen sind in den Projektregionen teilweise in Umsetzung landespolitischer Überlegungen und Vorgaben entstanden, basieren aber zu einem nicht unerheblichen Teil auch auf kommunalpolitischen Initiativen.

Eine weitere Voraussetzung besteht in der Existenz und Verfügbarkeit gewachsener und funktionierender Netzwerke, in denen unterschiedliche Akteure bei der Unterstützung häuslicher Pflegearrangements zusammenarbeiten und bestrebt sind, Lösungen in problematischen Fällen zu entwickeln. An den Workshops nahmen in allen Regionen Vertreterinnen und Vertreter der Medizinischen Dienste, der AOK-Pflegeberatung, der Pflegestützpunkte und der Zuständigen des kommunalen Sozialamts oder Sozialreferats teil. Fast bei allen Workshops waren darüber hinaus ambulante Pflegedienste, sozialpsychiatrische Dienste und die örtlichen Betreuungsstellen vertreten. Darüber hinaus konnten je nach lokaler Verfügbarkeit Fachstellen für pflegende Angehörige, gerontopsychiatrische Beratungsstellen, ehrenamtliche Initiativen, Hausärzte und Krankenhaussozialdienste und andere Kranken- und Pflegekassen einbezogen werden. Angestrebt war zudem die Einbeziehung der örtlichen Polizei, die leider nicht realisiert werden konnte.

Deutlich wurde in den Diskussionen zu den lokalen Kooperationsbeziehungen erhebliche Unterschiede im Aufgabenverständnis und auch in den landespolitischen Regelungen für unterschiedliche Akteure. Dieser Umstand führt dazu, dass im Rahmen gut funktionierender lokaler Netzwerke Akteure mit gleichem Namen nicht unbedingt gleiche Aufgaben übernehmen, z. B. hinsichtlich der Durchführung von Hausbesuchen.

Die Qualität der lokalen Netzwerke war insgesamt beeindruckend und heterogen zugleich. Diskutiert wurde der Aspekt, dass die Beschaffenheit und Qualität der lokalen Netzwerke vor allem dem Engagement und der Initiative der handelnden Personen zuzuschreiben sind. Sie folgen weniger einer grundsätzlichen Überlegung, wie die Zusammenarbeit am sinnvollsten zu organisieren ist oder wer zu welcher Fragestellung die geeignetste Anlaufstelle ist. Aufgrund des bestehenden gegenseitigen Vertrauens sind Problemlösungen gut möglich, in einigen Workshops wurde jedoch eine grundlegende Verständigung angeregt, durch die die Zusammenarbeit noch weiter verbessert werden kann.

Die Zusammenarbeit zwischen den Medizinischen Diensten (MDs) und den Pflegekassen findet im Rahmen der gesetzlich vorgesehenen Regelungen statt; oftmals geht sie mit örtlich vorhandenen AOK-Pflegeberatungen auch darüber hinaus. In einigen Regionen sind MD und AOK Teil des lokalen Netzwerks, in anderen beschränkt sich die Kooperation weitgehend auf den bilateralen Austausch.

Zur Kooperation zwischen MD und anderen Pflegekassen bzw. zum Umgang anderer Pflegekassen mit Empfehlungen aus den MD-Begutachtungen konnten im Rahmen der Workshops nur wenige Informationen gewonnen werden.

Dies ist für die subjektorientierte Qualitätssicherung insofern von Bedeutung, als in unterschiedlichen Regionen darauf hingewiesen wurde, dass die Empfehlungen, die die MDs in ihren Gutachten z. B. zur Pflegeberatung, Rehabilitation, Hilfsmittelnutzung oder anderen Aspekten geben, nicht gesehen werden, in der Dunkelverarbeitung unerkannt bleiben bzw. kein weiteres Handeln auslösen. Im Rahmen der Diskussionen in den einzelnen Workshops wurden unterschiedliche Praktiken sichtbar, bei denen zu berücksichtigen ist, dass sie sich in der Regel auf die AOK beziehen und zur Praxis bei anderen Pflegekassen nur wenige Informationen gewonnen werden konnten. Vertreter anderer Kassen bestätigten aber, dass eine systematische Auswertung der MD-Gutachten hinsichtlich der Empfehlungen nicht stattfindet.

Ein erster für die subjektorientierte Qualitätssicherung, aber auch die derzeitige Praxis wichtiger Aspekt ist die Frage, wie die Empfehlungen der MDs in den Gutachten zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit bei den Pflegekassen bearbeitet werden. Das Spektrum in den Workshops reichte dabei von der Einschätzung, dass jeder Empfehlung nachgegangen wird und auf Wunsch der Versicherten eine Beratung o. ä. erfolgt, bis hin zur Einschätzung, dass nur bei der Feststellung nicht sichergestellter Pflege weitere Aktivitäten der Pflegekasse stattfinden. Letztgenannte Praxis würde dem Anliegen der Empfehlungen aus den Gutachten zuwiderlaufen. Sie würde die Chance, einen auf Basis der Gutachtenempfehlungen möglichen Beitrag zur Stabilisierung häuslicher Pflegearrangements zu leisten, verstreichen lassen. Sie würde zudem einen Großteil der Arbeit der Gutachterinnen und Gutachter überflüssig machen, was aus unterschiedlichen Gründen nicht sinnvoll erscheint. An dieser Stelle liegt ein entscheidender Punkt der subjektorientierten Qualitätssicherung.

Aber auch in den Fällen, in denen die Gutachten der MD dazu führten, dass die Pflegekassen aktiv werden, gab es Diskussionsbedarf, der sich um die Frage der Zustimmung der Versicherten zu weiteren Aktivitäten drehte. Unstrittig war die Einschätzung, dass gegen den ausdrücklichen Willen pflegebedürftiger Menschen und ggf. ihrer Angehörigen keine weiteren Maßnahmen erfolgen können (Ausnahme: akute Gefahr und betreuungsrechtliche Interventionsbedarfe). Gezeigt hat sich jedoch, dass die Art und Weise, wie die Pflegebedürftigen und ihre Angehörigen angesprochen und auch zur Aktivierung und Inanspruchnahme von externer Hilfe angeregt werden, eine entscheidende Rolle spielt. In mehreren Workshops wurde es als entscheidend angesehen, dass die Betroffenen Einsicht in die Probleme der eigenen Situation gewonnen haben und externe Hilfen akzeptieren. Beides lässt sich nicht durch eine „technische Bearbeitung“ erreichen, bei der lediglich ein schriftliches Angebot unterbreitet wird, dem zugestimmt wird oder das abgelehnt werden kann. Vielmehr handelt es sich um eine fachlich anspruchsvolle Aufgabe, das Gespräch immer wieder zu suchen und in einem längeren Prozess Vertrauen aufzubauen. Ob und wie dies innerhalb der Pflegekassen bei einer erheblichen Anzahl von Empfehlungen gelingen kann, wird eine weitere wichtige Frage der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ sein. Eine aktive und auf den Erhalt von Einsicht und Zustimmung ausgerichtete Vorgehensweise ist in jedem Fall mehr im Sinne der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ als eine passiv-abwartende Haltung, bei der die Aufgabe als erfüllt angesehen wird, wenn ein Angebot unterbreitet wurde. Mit einer solchen Haltung werden ggf. staatliche Schutzpflichten gegenüber Pflegebedürftigen verletzt (Hoffmann 2010; Klie 2019). Da die Notwendigkeit zur Akzeptanz und Inanspruchnahme nicht in jedem Fall gleichermaßen ausgeprägt sein dürfte, kommt der Gesamtbewertung häuslicher Pflegearrangements eine hohe Bedeutung zu.

Die Pflegeberatung in komplexen Fallkonstellationen ist Arbeitsansätzen des Case Managements verpflichtet, die auch und gerade durch eine methodische Qualität charakterisiert sind, die für die Herstellung von Vertrauensbeziehungen zur Begründung und Ermöglichung von Beratungsprozessen konstitutiv sind. Hier zeigte sich, dass die jeweils bei den Pflegeberaterinnen und -beratern vorliegende Grundqualifikation einen maßgeblichen Einfluss hat.

5 Fazit

Der hier skizzierte Ansatz der „subjektorientierten Qualitätssicherung“ bietet eine Perspektive, sich gezielt dem bislang größten Teil der pflegerischen Langzeitversorgung intensiver zu widmen und häuslichen Pflegearrangements rechtzeitige und angemessene Unterstützung zukommen zu lassen sowie Risiken in der häusliche Versorgung präventiv, aber ggf. auch intervenierend zu begegnen. Angesichts der Tatsache, dass informelle, d. h. ohne professionelle Unterstützung agierende häusliche Pflegearrangements offensichtlich eine hohe Präferenz in der Bevölkerung genießen, ist dieser Schritt überfällig. Unabhängig davon, ob die Entscheidung für die häusliche Pflege aus monetären Erwägungen getroffen wurde und das Pflegegeld zum Bestandteil des Haushaltseinkommens gemacht wird oder ob sie Ausdruck langjähriger Beziehungen und Lebensgemeinschaften ist, in denen auf der Basis tiefer Zuneigung und mit hohem Engagement ein Mensch, der auf Hilfe angewiesen ist, versorgt wird, sind die unterschiedlichen Konstellationen verschiedenen Risiken ausgesetzt, die zu einer Destabilisierung beitragen können. Diesen gilt es frühzeitig entgegenzuwirken, Verschlechterungen der Situation zu verhindern und verfügbare Hilfen zu aktivieren. Gelingen kann das nur durch ein gutes und abgestimmtes Vorgehen der Akteure vor Ort. In dieser Hinsicht stärkt die „subjektorientierte Qualitätssicherung“ die fachlich beratende Rolle des MD und die lokale und kommunale Ebene bei der Sicherung der Bedingungen guten Lebens bei und trotz Pflegebedürftigkeit.