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1 Digitalisierungsherausforderungen in der ambulanten Pflege

1.1 Technik- und Kompetenzentwicklung

In diesem Buchkapitel wird eine qualitative Untersuchung zur pflegespezifischen Technologieakzeptanz am Fallbeispiel einer sensorbasierten Textilmatte (siehe ► Exkursbox Projektbeschreibung DigiKomp-Ambulant & Innovation) im Einsatz in der ambulanten Pflege vorgestellt. Ziel dieses Beitrags ist es, ein besseres Verständnis von Technologieakzeptanz in der ambulanten Pflege und von den sie beeinflussenden Faktoren zu gewinnen, um damit die Kompetenzentwicklung in der Nutzung neuer digitaler Technologien unterstützen und schließlich zur erfolgreichen Implementierung von Technik im ambulanten Pflegekontext beitragen zu können. Aufbauend auf den in ► Abschn. 4.1 dargestellten theoretischen Grundlagen zu Digitalisierungsherausforderungen in der ambulanten Pflege wird im ► Abschn. 4.2 das Vorgehen der durchgeführten Interviewstudie beschrieben. Darauf aufbauend wird dann im ► Abschn. 4.3 die ergebnisgestützte Erweiterung des Technologieakzeptanzmodells TUI nach Kothgassner et al. (2012) vorgestellt und erläutert. Zum Schluss erfolgt eine Diskussion der Interviewergebnisse in ► Abschn. 4.4.

Regional organisierte Pflegedienste in Deutschland pflegen mit durchschnittlich 28 Mitarbeitenden 67 zu pflegende Personen pro Pflegedienst (Statistisches Bundesamt, 2020). Sie werden mit diesen organisationalen Strukturen als KMU beschrieben (Öz, 2019). Es ist jedoch zu beobachten, dass Pflegedienste hinsichtlich des Handlungsdrucks durch die Digitalisierung aus dem Blickwinkel der soziotechnischen Systemperspektive nach Paulsen et al. (2020) sehr speziellen Herausforderungen ausgesetzt sind. Neben einem zunehmenden Fachkräftemangel und einer resultierenden Unterversorgung mit Pflegekräften sowie zunehmender körperlicher und psychischer Belastung, zeichnet die Pflegebranche eine sehr heterogene Zusammenstellung ihrer Beschäftigten aus (Friemer, 2020). Dabei zeigt die Gruppe der Pflegekräfte zudem ein diverses Technikkompetenzprofil (z. B. unterschiedliche Technikvertrautheit, Technikumgang, Technikerfahrung im privaten und professionellen Kontext) (Bleses et al., 2020).

Es ist zu beobachten, dass Technikeinführungen in Pflegediensten oftmals nicht erfolgreich vollzogen werden können und die neu eingeführte Technik nicht, sporadisch oder fehlgeleitet eingesetzt wird bzw. werden kann (Evans et al., 2018; Fuchs-Frohnhofen et al., 2018; Spinsante et al., 2017). Dies wird insbesondere auf die fehlende Akzeptanz neuer Technik sowie der fehlenden Partizipation von Pflegekräften im Technikentwicklungsprozess zurückgeführt (Fuchs-Frohnhofen et al., 2018; Lauer, 2014). Es zeigt sich, dass Technik im Pflegekontext oftmals an den Pflegekräften vorbei und nicht auf ihre Bedürfnisse im Pflegealltag ausgerichtet gestaltet ist (Fuchs-Frohnhofen et al., 2018). Im Technikentwicklungsprozess findet zudem das diverse Technikkompetenzprofil der Pflegekräfte häufig keine Beachtung (Blaudszun-Lahm & Kubek, 2020; Fuchs-Frohnhofen et al., 2021; Lauer, 2014). Im ambulanten Pflegekontext bleibt der ganzheitliche Einsatz technologiebasierter und digitaler Unterstützungssysteme deshalb derzeit noch weitestgehend aus (Braeseke et al., 2020; Merda et al., 2017; van Heek et al., 2018), obwohl digitale Assistenzsysteme eine Entlastung des Gesundheits- und Pflegesystems versprechen und als die Zukunft der Pflege gelten (BMBF, 2019).

Die steigenden Zahlen pflegebedürftiger Menschen überfordern den Pflegesektor zunehmend. Personelle, wirtschaftliche und organisatorische Defizite sind die Folge (van Heek et al., 2018; Zöllick et al., 2020). Die damit verbundene physische und psychische Belastung wirkt sich zunehmend negativ auf die Arbeitsfähigkeit der Pflegekräfte, ihre Zufriedenheit und die Qualität der Pflege aus (Kuhlmey et al., 2019).

Möglichkeiten dieser Situation entgegenzuwirken, bietet vermeintlich die Nutzung (digitaler) Technologien (Meyer auf’m Hofe & Blaudszun-Lahm, 2020). Dabei werden aus Perspektive der Pflegekräfte die Systeme, welche eine körperliche Unterstützung, Monitoring oder Dokumentation unterstützen (z. B. Hebehilfen oder Sensoren zur Sturzdetektion), eher positiv und hilfreich bewertet. Systeme mit sozialen und emotionalen Funktionen (z. B. Interaktionsroboter Aibo oder Paro) werden hingegen als eher negativ angesehen (Kuhlmey et al., 2019; Zöllick et al., 2020). Bei der kritisch-negativen Betrachtung spielt neben der Angst um den eigenen Arbeitsplatz auch die Sorge um den Verlust menschlicher Nähe eine Rolle (Zöllick et al., 2020). Unabhängig von der Art des Systems zeigt sich, dass nur 28 % der Pflegekräfte einen Zugang zu digital assistierenden Systemen im Arbeitskontext haben (Kuhlmey et al., 2019).

Zu den Hauptursachen der verlangsamten Adaption digitaler Technologien im Pflegekontext gehört eine fehlende technische Ausstattung der Pflegedienste (Kuhlmey et al., 2019), mangelnde Technikaffinität und -kompetenzen der Pflegenden (Kubek, 2020; Merda et al., 2017; van Heek et al., 2018) und fehlendes Bewusstsein der Pflegenden für Arbeitserleichterungen durch Technik (Burstein et al., 2015). Pflegekräfte sehen sich trotz heterogener digitaler Kompetenzprofile (Friemer, 2020; van Heek et al., 2018) zunehmend damit konfrontiert, digital unterstützte Aufgaben übernehmen zu müssen, wofür sie in den meisten Fällen nicht ausgebildet wurden. Je nach Technikkompetenz ist es ihnen zudem nicht möglich die Auswirkungen des Einsatzes dieser digitalen Techniken einschätzen zu können. Die grundlegenden digitalen Kompetenzen, um einen Technikumgang zu erlernen und bedarfsgerecht einzusetzen sowie den Einfluss der digitalen Technik auf den Arbeitsalltag einschätzen zu können, werden häufig bereits vorausgesetzt (Bleses et al., 2020). Deshalb erzeugen insbesondere von außen eingeführte, also fremdbestimmte Nutzungszwecke von digitalen Technologien, bei Pflegekräften Unsicherheit bezüglich der Arbeitsprozesse, Einarbeitungszeiten und Überwachungsoptionen (Friemer, 2020). Die Entwicklung spezifischer, auf die unterschiedlichsten Kompetenzprofile der Pflegekräfte angepasster Technologien, ist deshalb im Sinne der doppelten Bedeutung der Ressource Technikkompetenz (Wissen wie es geht und Wissen wie es im Selbststudium schnell erlernt und eingeschätzt werden kann) doppelt herausfordernd (Friemer, 2020).

Das Verständnis von digitalen Pflegetechnologien auch „health informatics“ genannt, ist also zu einer grundlegenden Methodenkompetenz für die Profession der Pflege geworden (Anderberg et al., 2019; Kassam et al., 2017; Kulikowski et al., 2012). Im Zuge sich immer weiter entwickelnder Pflegetechnologien ist es notwendig, dass technische und digitale Kompetenzen in Zukunft nicht nur eine Methodenkompetenz abbilden, sondern bereits als Fachkompetenz in der Ausbildung des Pflegeberufs vermittelt werden (Anderberg et al., 2019; Kassam et al., 2017). Da es jedoch unbekannt ist, welche Technologien und digitalen Anwendungen in der Zukunft ihren Weg in den Berufsalltag finden, muss die jetzige Generation von Pflegekräften sowie auch die zukünftige Generation bereits jetzt eine digitale und technologische Aus- und Weiterbildung erfahren können. Hierbei ist es insbesondere von Relevanz eine Technikkompetenz zu vermitteln, die es ermöglicht, die Wirksamkeit einer neuen Pflegetechnologie sowie die notwendige Einarbeitungszeit bis zum sicheren Umgang mit dieser selbstständig einschätzen zu können (Anderberg et al., 2019; Friemer, 2020).

Als Ausgangspunkt für das Verständnis von digitaler und technischer Kompetenz im Pflegebereich kann die Technikakzeptanz und die sie beeinflussenden Faktoren betrachtet werden. Sind die Faktoren, die die Technikakzeptanz beeinflussen, besser verstanden, kann bereits im Technikentwicklungsprozess auf unterschiedliche Kompetenzprofile Rücksicht genommen werden. Darüber hinaus können Technologien, die auf ihre Anwender*innen ausgerichtet sind, die aktuelle Generation von Pflegekräften auch für weitere noch unbekannte Pflegetechnologien vorbereiten und ihnen direkt in der nutzer*innenzentrierten Anwendung Methodenkompetenzen für die nächste Generation von Pflegetechnologien vermitteln (Anderberg et al., 2019).

1.2 Technologieakzeptanz in der ambulanten Pflege

Ein weit verbreitetes Modell zur Vorhersage der Nutzungsabsicht neuer Technologien ist das Technologieakzeptanzmodell (TAM), das mit Davis (1989) seinen Anfang fand und in den darauffolgenden Jahren zum TAM 2 und 3 weiterentwickelt wurde (Davis, 1989; Venkatesh & Bala, 2008; Venkatesh et al., 2003). Mit dem TAM kann die Akzeptanz eines neuen Systems aus der Perspektive der Anwendenden gemessen werden. Als Grundkonstrukte werden die empfundene Nützlichkeit eines neuen Systems und die empfundene Benutzer*innenfreundlichkeit des Systems bemessen, um so die Nutzungsabsicht neuer Technologien abzuleiten (Davis, 1989).

In den Versionen des TAM 1-3, werden psychologische Faktoren, wie z. B. Vorerfahrungen mit Technik oder die Überzeugung notwendige Fähigkeiten zum Nutzen der Technologie zu besitzen nicht einbezogen. Gerade dieses Technikkompetenzprofil spielt bei der Bildung einer Akzeptanz eine übergeordnete Rolle (Arning & Ziefle, 2007; Czaja et al., 2006; Friemer, 2020; Kothgassner et al., 2012). Um diese Faktoren in die Betrachtung und Untersuchung von Technologieakzeptanz einzubeziehen, entwickelten Kothgassner et al. (2012) das TAM unter Einbezug psychologischer Theorien des Alterns, Modellen zur Entwicklung kognitiver Funktionen sowie Modellen des emotionalen Erlebens zum Technology Usage Inventory (TUI) weiter (siehe ◘ Abb. 4.1).

Abb. 4.1
figure 1

Der Technology Usage Inventory (TUI) nach (Kothgassner et al., 2012)

Bei der Übertragung der Modelle (TAM 1-3 und TUI) und ihrer grundlegenden Logiken auf den erläuterten pflegespezifischen ambulanten Kontext ergibt sich der Gedanke, dass ein besseres Verständnis von Technologieakzeptanz in der Pflege auch dabei helfen kann, den Entwicklungsprozess so zu gestalten, dass eine Kompetenzentwicklung in der Nutzung neuer Technologien überhaupt gelingen kann.

Aktuelle Forschungsarbeiten zeigen, dass Faktoren, welche die Akzeptanz technischer Systeme bei Pflegebedürftigen beeinflussen, bereits umfänglich untersucht wurden. Als Einflussfaktoren auf die Technologieakzeptanz von Pflegebedürftigen wurden z. B. Alter, Technikaffinität, Sicherheit der Technologie aber auch kognitive Fähigkeiten herausgearbeitet (Yusif et al., 2016; Zöllick et al., 2020). Spezifische, die Technologieakzeptanz von Pflegekräften beschreibende Faktoren, wurden bisher allerdings nicht festgehalten oder in einen systematischen Zusammenhang gebracht (Vadillo et al., 2017; Zöllick et al., 2020).

Güsken et al. (2021) entwickelten basierend auf der Strukturgleichungsmodellierung einer Online-Fragebogenstudie das in ◘ Abb. 4.2 dargestellte pflegespezifische Technologieakzeptanzmodell zur Beschreibung der Nutzungsabsicht einer sensorbasierten Pflegetechnologie in der ambulanten Pflege. Das Modell baut auf den Konstrukten des TAM und TUI auf. Der Modellstrang zur Pflegesituation stellt eine Ergänzung des ursprünglichen TUI-Modells und somit den Neuheitswert der Forschung dar.

Abb. 4.2
figure 2

Forschungsmodell – Fallbeispielbezogenes Technologieakzeptanzmodell in der ambulanten Pflege. (Nach Güsken et al., 2021)

Übergreifend erklärt das vorgeschlagene fallbeispielbezogene Technikakzeptanzmodell für die ambulante Pflege 44,9 % der Varianz der untersuchten Variable Nutzungsabsicht des Sensortextils (siehe ► Exkursbox Projekt & Innovation). Das entwickelte Modell schafft es also nicht, die Varianz der Nutzungsabsicht vollständig aufzuklären, sodass angenommen werden muss, dass die Nutzungsabsicht von Pflegetechnologien im ambulanten Bereich von noch weiteren Faktoren beeinflusst wird, die es zu untersuchen gilt. Dies ist Gegenstand dieses Beitrags. Das quantitativ entwickelte Technologieakzeptanzmodell (Güsken et al., 2021) wird deshalb in der vorliegenden Studie durch qualitative Interviewdaten sowohl tiefer gehend erklärt, als auch induktiv durch zusätzliche relevante Faktoren erweitert. Die Ergebnisse der Nutzung des vorgeschlagenen Modells unterstützen Technikentwickler*innen vor, nach und während der Einführung neuer Technologien dabei nutzer*innengerechte, Kompetenzprofile berücksichtigende und akzeptierte Anwendungen zu entwickeln.

Exkursbox Projektbeschreibung DigiKomp-Ambulant & Innovation

Im Forschungsprojekt DigiKomp-Ambulant wird im Verbund von Pflegediensten (St. Gereon Seniorendienste gGmbH und Franziskusheim gGmbH), Technikentwickler*innen (HTV Halbleiter-Test und Vertriebs-GmbH und NEXUS Deutschland GmbH) und Forschung (MA&T Sell Partner GmbH und Institut für Unternehmenskybernetik (IfU) e. V.) eine sensorbasierte assistive Pflegetechnologie (Sensortextil) für die ambulante Pflege entwickelt, beforscht und getestet. Die entwickelte Sensorik erfasst im ambulanten Setting in Form einer textilen Bettenauflage Daten der Pflegebedürftigen, die von Ihnen selbst, ihren Angehörigen, den Pflegekräften und den betreuenden Ärzten für wesentlich gehalten werden (Vitaldaten, Bewegungsdaten etc.). Eine neue Vernetzungssoftware bietet darüber hinaus die Grundlage, diese Informationen u. a. den Pflegekräften auch dann zugänglich zu machen, wenn sie nicht vor Ort sind.

Dieses Forschungs- und Entwicklungsprojekt wird im Rahmen des Programms „Zukunft der Arbeit“ vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Europäischen Sozialfonds (ESF) gefördert und vom Projektträger Karlsruhe (PTKA) betreut (Förderkennzeichen 02L17C581). Die Verantwortung für den Inhalt dieser Veröffentlichung liegt bei den Autor*innen.

2 Vorgehen mittels Interviewstudie

2.1 Studiendesign und Charakteristika der befragten Pflegekräfte

Die dieser Studie zugrunde liegende Datenerhebung fand vor der Einführung einer neuen assistiven Technologie mit den Pflegekräften kooperierender Pflegedienste statt (siehe ► Exkursbox Projekt & Innovation). Dieser Zeitpunkt ist bei der Untersuchung der Technologieakzeptanz im beschriebenen Kontext besonders interessant, da er die Wünsche, Bedarfe und Befürchtungen der Pflegekräfte unvoreingenommen abbilden kann. Es wurden teilstandardisierte Leitfadeninterviews zur Erfassung der subjektiven Perspektive mit Pflegekräften durchgeführt. Der Studienablauf sieht die in ◘ Abb. 4.3 dargestellte Grob- und Feinschritte vor.

Abb. 4.3
figure 3

Studienablauf der vorliegenden Untersuchung in drei Arbeitsschritten

In den Monaten Oktober und November 2020 wurden zwölf Pflegefachkräfte aus zwei Partnereinrichtungen interviewt. Davon waren alle Pflegekräfte weiblich, deckten eine Altersspanne von 23 bis 56 Jahre ab und waren zwischen 1 und 30 Jahren in der Pflege beschäftigt. Aufgrund der SARS-CoV-2-Pandemie fanden sechs Interviews in Präsenz und sechs Interviews virtuell mittels einer Videokonferenzsoftware statt (siehe ► Exkursbox Limitationen).

2.2 Interviewleitfaden, -aufbereitung und -auswertung

Der entwickelte Interviewleitfaden war äquivalent zum erarbeiteten pflegespezifischen Technologieakzeptanzmodell (Güsken et al., 2021) in die beiden Bereiche Erfassung der Pflegesituation und Technologieakzeptanz strukturiert. Die Interviews wurden wörtlich transkribiert sowie sprachlich geglättet, was die spätere Analyse laut Mey und Mruck (2010) reliabler macht. Die Transkriptionsregeln wurden zu diesem Zweck von Dresing und Pehl (2012) übernommen. Die so vorbereiteten Transkripte dienten schließlich als Grundlage für die Datenauswertung.

Bei der Datenauswertung wurde zur Komplexitätsreduktion des Datenmaterials die qualitative Inhaltsanalyse nach Kuckartz (2018) angewendet. In der vorliegenden Arbeit wurde das von Kuckartz (2018) vorgeschlagene Vorgehen im Sinne der inhaltlichen Strukturierung durchgeführt und durch induktive Kategorienbildung am Material ergänzt (siehe ◘ Abb. 4.4).

Abb. 4.4
figure 4

Ablaufschema der inhaltlich strukturierenden Inhaltsanalyse nach (Kuckartz, 2018)

Nach der Transkription der Interviews wurde in Anlehnung an das fallbeispielbezogene Ausgangsmodell der pflegespezifischen Technikakzeptanz deduktiv ein Kategoriensystem aufgestellt. Danach folgte der Schritt der initiierenden Textarbeit. Neben den deduktiven Kategorien, wurden zusätzlich einige Hauptkategorien während der Textarbeit am Material selbst, also induktiv erarbeitet. Nach der Grobkodierung wurden die Hauptkategorien durch eine Subkategorisierung weiter ausdifferenziert. Als letzter Schritt der Auswertung wurde das final definierte Kategoriensystem durch passende Ankerbeispiele ergänzt.

2.3 Das Kategoriensystem

Das finale Kategoriensystem ist in ◘ Abb. 4.5 zur besseren Anschaulichkeit visualisiert. Dem pflegespezifischen Ausgangsmodell zur Technikakzeptanz folgend, gliedert sich das Kategoriensystem in die beiden Oberkategorien Technologieakzeptanz sowie Pflegesituation und verzweigt dann in acht Hauptkategorien bei der Technologieakzeptanz und acht Hauptkategorien bei der Pflegesituation. Die Hauptkategorien Anwendungsbereich und Überwachung (grau hinterlegt) sowie alle Subkategorien wurden induktiv auf Grundlage des Interviewmaterials ergänzt.

Abb. 4.5
figure 5

Übersicht der erarbeiteten Haupt- und Subkategorien

3 Ergebnisgestützte Erweiterung des Technologieakzeptanzmodells

Die aus den Interviewdaten gewonnene Erweiterung des pflegespezifischen Akzeptanzmodells zeigt die ◘ Abb. 4.6. Dabei wurden neben zwei neuen, die Pflegesituation beeinflussenden Hauptfaktoren (Passung zum Anwendungsbereich und Überwachung) die Aufgliederung der drei Faktoren Zeit, Ausstattung und Informationsstand als Erweiterung im Modell aufgenommen, da diese drei Faktoren bei der quantitativen Modellüberprüfung die niedrigste Varianzaufklärung gezeigt hatten. Die Aufgliederung der Faktoren liefert somit einen erheblichen Erkenntnisgewinn für das Verständnis von der Nutzungsabsicht der im Fallbeispiel untersuchten Technologie in der Pflege.

Abb. 4.6
figure 6

Erweitertes Technologieakzeptanzmodell vor Technikeinführungen in der ambulanten Pflege am Fallbeispiel einer sensorbasierten Pflegetechnologie

3.1 Modellstrang zur Pflegesituation

Da, wie eingangs erwähnt, der Modellstrang zur Pflegesituation die Ergänzung des ursprünglichen TUI-Modells und somit den Neuheitswert der Forschung darstellt, wird nachfolgend der hauptsächliche Fokus auf diese Studienergebnisse gelegt. Faktorenübergreifend stellte sich in den Intervieweinleitungen heraus, dass besonders die jüngeren Pflegekräfte den Gebrauch von Technik zwar in ihrer Freizeit als alltäglich wahrnahmen, im beruflichen Kontext der Einsatz von digitaler Unterstützung jedoch (auch bei älteren Pflegekräften) noch nicht verbreitet ist. Sie äußerten den Wunsch, dass im Rahmen der Pflegeaus- und -weiterbildung der arbeitsunterstützende Einsatz von neuen Technologien zur fortlaufenden Kompetenzerweiterung vermittelt werden sollte. Dabei sollte der Fokus auf technologieübergreifendes Wissen im Bereich der Pflegetechnologien als Fundament zur standardisierten Erweiterung der beruflichen Handlungskompetenz gelegt werden.

3.1.1 Zeit

Der Hauptfaktor Zeit wurde in die Faktoren Zeitbudget sowie Zeitersparnis durch Ersatz bisheriger Arbeitsschritte untergliedert. Obwohl sich die Pflegekräfte laut den Interviews ein großzügigeres Zeitbudget im Rahmen ihrer Pflege wünschen, ist grundsätzlich genug Zeit bei den Klient*innen zur Versorgung und Durchführung der Pflege vorgesehen. Die Erwartungshaltung ob der Einsatz des Sensortextils Zeit einsparen könnte, war bei den befragten Pflegekräften umstritten. Auf der einen Seite gab es unter den Interviewten die Position, dass eine Zeitersparnis zu erwarten sei:

„Ja, weil die Matte schon einiges feststellt. Atmung, Sauerstoff und Bewegung, das ist viel Wert, wenn man diese Werte kennt. Und das kann man schon vorher nachgucken und sich dann überlegen, wie man weiterarbeitet.“

Teilweise zeigten die Interviewten jedoch Skepsis, ob der Einsatz des Sensortextils Zeit einspart. Auch der Umfang möglicher Zeiteinsparung konnte nur in Teilen beziffert werden:

„Ich glaub in diesem Fall eigentlich eher nicht, weil ich muss morgens und abends zu dieser Patientin und das würde sich durch die Matte ja nicht ändern.“

Ob die sensorbasierte Pflegetechnologie bisherige Arbeitsschritte ersetzten könnte, wurde von den interviewten Pflegekräften stark bezweifelt. Es wird jedoch auch erwartet, dass das Sensortextil bei der Dokumentation einiger Vitaldaten helfen könne.

3.1.2 Stresslevel

Bei der Beschreibung der stressmindernden Faktoren zeigte sich eine breite Erwartung an möglichen Veränderungen durch die neue Technologie. Oftmals gaben die Pflegekräfte an, dass Ihnen das Sensortextil mehr Sicherheit geben könnte. Mit einem intergierten Alarmierungssystem könne auf Notfälle schneller reagiert werden:

„Ich denke schon [, dass der Stresspegel und die Gefahrensituationen sich durch die Option, Informationen regelmäßig abzurufen] reduzieren. Denn es ist manchmal schon komisch, wenn man die Leute zurücklässt, die Tür schließt und dann den ganzen Tag nichts mehr von denen hört.“

Auch die Möglichkeit der besseren Vorbereitung auf den Einsatz bei den Klient*innen wird von den Pflegekräften als stark stressmindernd angesehen. Zusätzlich gaben die Pflegekräfte an, dass ein weiterer stressmindernder Faktor die präventive Eigenschaft des Sensortextils ist (z. B. die frühe Erkennung von veränderten Vitaldaten oder Bewegungsprofilen).

Die Pflegekräfte erwarten auch stressfördernde Faktoren. Durch die Möglichkeit der Überwachung äußerten viele Pflegekräfte, dass sie sich gezwungen fühlen könnten, die Patient*innen in der App zu überwachen. Dies sorgt für weiteren Stress im Alltag der Pflegekräfte. Zusätzlich gaben fast alle Befragten an, dass eine Änderung der Route im Arbeitsalltag oftmals nicht möglich sei. Hier würden Notfallmeldungen durch die App für mehr Stress bei den Pflegekräften sorgen:

„Und ich glaube dann würde auch das Nähe-und-Distanz-Verhältnis verloren gehen, weil man sich jedes Mal Sorgen machen würde und jedes Mal in die App gucken würde. Besonders wenn die App auch auf unserem Privathandy wäre, würde man auch zu Hause gucken. Und man möchte ja zu Hause abschalten. Und ich glaube das wäre ein Nachteil.“

3.1.3 Interaktionsqualität

Ein „blindes“ Verlassen auf die Technik und die daraus resultierende Unaufmerksamkeit im Umgang mit Klient*innen, wird von den Befragten zwar für möglich gehalten, allerdings wird in keinem der Interviews erklärt, dass sich durch die Einführung des Sensortextils wegen falscher Sicherheit die Qualität der Interaktion mit den Klient*innen verschlechtern würde:

„Ja gibt bestimmt Kollegen die das machen [sich blind auf die Technik verlassen]. Man kann da ja nicht für alle sprechen. Aber generell glaube ich nicht, nein [, dass sich zu sehr auf die Technik verlassen wird]. Auch eine Technik kann versagen. (Das stimmt.) Das wissen wir ja auch alle.“

Alle Interviewten gaben für sich selbst an, dass sie sich nicht voll und ganz auf die neue Technik verlassen würden. Darüber hinaus erwartet der überwiegende Teil der Befragten keine Veränderung der Interaktion mit den Klient*innen durch den Einsatz der entwickelten Pflegetechnologie. Wenn eine Veränderung erwartet wird, wird diese positiv eingeschätzt, da sie sich aufgrund der zusätzlichen Informationen besser im Voraus auf die einzelnen Klient*innen einstellen können. In der Interaktion mit älteren oder demenziell veränderten Klient*innen würde der Einsatz der Sensorik eine Vereinfachung für die Pflegekraft darstellen:

„Ja, auf jeden Fall, das denke ich schon. Weil das einfach ein bisschen transparenter wäre. Oft ist es so, dass es auf der einen Seite Patienten gibt, die sich bei einer Kleinigkeit extrem reinsteigern, auch psychisch bedingt und sich auf einmal total schlecht und krank fühlen, da würde man halt wissen, dass es gar nicht so dramatisch ist, wie er vielleicht gerade denkt. Und auf der anderen Seite gibt es halt viele, vor allem die ältere Generation, die halt einfach hart im Nehmen sind. Die haben dann eine totale Grippe und sagen dann, dass es nur ein Schnupfen sei und da könnte man dann wieder einschätzen, ob man da echt mal stärker drauf gucken und nicht. Ich denke in beiden Hinsichten wird das auf jeden Fall verbessern.“

3.1.4 Ausstattung

Der Faktor Ausstattung wird in die Subfaktoren Hilfsmittel, die bei der häuslichen Pflege benötigt werden, und zusätzlichen Funktionen, die für das Sensortextil wünschenswert wären, differenziert.

Im Bereich der Hilfsmittel gaben die Pflegekräfte an, dass in den meisten Fällen alle notwendigen Hilfsmittel für die Pflege bei den Klient*innen zuhause vorhanden seien. Große Defizite gäbe es jedoch bei der Ausstattung mit Waagen und Liftern. Zusätzlich zu den aktuell implementierten Funktionen wünschen sich die befragten Pflegekräfte eine automatisierte Erfassung und Dokumentation des Körpergewichts, Blutdrucks, Temperatur, Blutzuckers sowie von Informationen zur Hydrierung, um die Pflege bestmöglich gestalten und den Gesundheitszustand der zu pflegenden Personen überwachen zu können. Außerdem wird ein Alarmierungs- oder Ampelsystem gewünscht, welches in einer Übersichtsansicht die Gesundheitszustände der Klient*innen in grün, gelb und rot klassifiziert und bei roten Gesundheitszuständen (z. B. starker Blutdruckabfall oder -anstieg) automatisiert über Push-Benachrichtigungen die Pflegekraft über einen vom individuellen Normbereich abweichenden Zustand informiert.

3.1.5 Informationsstand

Auf die Frage zu welchem Zeitpunkt sich die Pflegekräfte einen Zugriff auf die von dem Sensortextil erfassten Vitaldaten wünschen würden, wurde der Zeitpunkt vor Dienstbeginn von allen befragten Pflegekräften genannt. Hier geht es insbesondere darum ein Bild über die Geschehnisse bezüglich des Gesundheitszustandes der Klient*innen in den vergangenen Stunden zu erhalten:

„Auf jeden Fall vor Dienstbeginn. Also bevor ich losfahre. Und vielleicht auch nochmal danach, um zu gucken, ob etwas passiert ist oder irgendetwas ist. Und dann vielleicht noch mal vor dem Spätdienst. Also bevor ich im Spätdienst losfahren würde.“

Vereinzelt wünschen sich die Pflegekräfte zudem, bei kritischen Ereignissen oder Zuständen nach der Abreise die Vitaldaten prüfen zu können. In diesem Zusammenhang wird erwähnt, dass für eine optimale Umsetzung eine separate Pflegekraft als Rufbereitschaft sinnvoll wäre. Durch die Sensorik erfasste Information über das Ausmaß der Bewegungen wird von allen Pflegekräften als wertvollste zusätzliche Information zur aktuellen Pflegesituation erachtet.

„Das ist das hauptsächlich mit dem Lagern. Wir haben viele Klienten, wo man abends um 18 Uhr hinfährt und am nächsten Morgen kommen wir um 9 Uhr oder um 10 Uhr. Ich sag, das sind 14 Stunden die dazwischenliegen und in der Zeit sollte man schon jemanden mindestens dreimal lagern, wenn er gefährdet ist. Oder auch gegebenenfalls schon offene Stelle hat.“

Die Notwendigkeiten weiterer Informationen z. B. zur Herz- und Atemfrequenz werden zwar vereinzelt genannt, ihnen wird jedoch insgesamt weniger Relevanz im Rahmen der Pflege zugeschrieben.

3.1.6 Vorbereitung (auf die Pflegesituation)

Alle befragten Pflegekräfte wären gerne besser auf die individuell vorzufindenden Pflegesituationen bei den Klient*innen vorbereitet. Obwohl zwischen Pflegeeinsätzen Übergaben gemacht werden, entsteht ein großer Zeitraum, in dem keine aktuellen Informationen über die Klient*innen vorliegen, es sei denn, die Pflegekraft wird zwischenzeitlich über einen besonderen Vorfall telefonisch informiert. Damit besteht vor den Pflegeterminen ein Informationsmangel für die Pflegekraft:

„Ich glaube man ist dann besser vorbereitet, weil man vorher schon Informationen hat, die man ja so nicht hat, es sei denn die Leute würden anrufen und sagen: „Hör mal, du musst jetzt dringend kommen, es ist das und das“.“

Zusätzliche zur Verfügung stehende Informationen würden auch die Vorbereitung der Touren vereinfachen, da die Pflegekraft bereits im Voraus die Reihenfolge ihrer Tour besser planen könnte.

3.1.7 Überwachung

Der Aspekt der digitalen Überwachung wurde von einem Großteil der befragten Pflegekräfte selbstständig angesprochen. Zu der Fragestellung, ob die sensorbasierte Pflegetechnologie dazu führen könne, dass sich die Pflegekräfte selbst in ihrer Arbeit überwacht fühlen, fiel das Meinungsbild differenziert aus. Es wird erwartet, dass das Einsehen der Daten unter Umständen zu Konflikten zwischen der Pflegekraft und der Pflegedienstleitung führen könne:

„Ja und dann irgendwie, obwohl man alles richtiggemacht hat, unterstellt wird, man hätte etwas nicht richtiggemacht. Und vielleicht wird man dann auch kritikunfähig irgendwann, weil man sich denkt, dass sei keine konstruktive Kritik, sondern etwas, was sie gar nicht beurteilen können und nur aufgrund eines Sensors kommt. Also irgendwann würde man auch in Konflikte geraten.“

Außerdem gab circa die Hälfte der Befragten an, dass die Überwachung durch die Sensorik die Klient*innen selbst beruhigen würde, während die andere Hälfte der Meinung war, dass sie sich durch die Überwachung unwohl fühlen könnten. Befragte äußerten außerdem die Befürchtung, dass die Überwachung durch die Sensorik den Angehörigen der zu Pflegenden nicht recht sein könnte.

3.1.8 Passung zum Anwendungsbereich

Auf die Interviewfrage, ob die Pflegekräfte sich vorstellen könnten, das Sensortextil für alle Klient*innen zu nutzen, gaben die Interviewten einheitlich an, dass sie den größten Mehrwert des Textils bei überwiegend bettlägerigen und demenziell veränderten Personen sähen. Als nützlichster Anwendungsbereich wird in diesem Kontext die Verbesserung der Dekubitusprophylaxe (Schutz vor Wundliegegeschwüren) genannt. Die befragten Pflegkräfte betonten in diesem Zusammenhang, dass es große Unterschiede in der ambulanten und stationären Pflege hinsichtlich des Nutzens verschiedener Anwendungen gäbe. Im Akzeptanzmodell wurde auf dieser Grundlage der Faktor Passung zum Anwendungsbereich ergänzt.

3.2 Modellstrang zur generellen Technologieakzeptanz

Die Inhaltsanalyse der Interviewdaten zeigte, dass sich alle Aussagen der befragten Pflegekräfte zur generellen Technologieakzeptanz den Kategorien des pflegespezifischen Akzeptanzmodells nach Güsken et al. (2021) vollständig zuordnen ließen. Induktiv wurden also keine neuen Hauptkategorien hinzugefügt.

Zusammenfassend zeigte sich, dass personenübergreifend eine große Neugierde hinsichtlich der Funktionen des Sensortextils und der Einbindung des Textils in den Pflegealltag bei den Pflegekräften vorhanden ist. Alle Pflegekräfte äußerten bezüglich der Nutzungsintention die Bereitschaft, technologische Unterstützung annehmen zu wollen:

„Wenn das alles einwandfrei funktioniert und da nicht häufig technische Fehler auftreten, dann würde ich das schon auch einigen Klienten vorschlagen. Weil, wir haben auf der Tour schon einige Leute, wo das Sinn machen würde.“

Skepsis hingegen zeigte sich hinsichtlich geäußerter Ängste, die sich auf die technische Messgenauigkeit der Sensortechnologie beziehen:

„Das Einzige wäre, dass vielleicht Werte falsch wiedergegeben werden. So gerade bei Atemfrequenz oder Puls. Dass da dann vielleicht Werte stehen, die nicht stimmen. Das wäre so die einzige Sorge, dass man dann Ärzte kontaktiert und im Endeffekt ist nichts. Dann wird vielleicht ein Medikament verordnet, welches eigentlich gar nicht notwendig ist.“

Für den ambulanten Pflegeberuf wurden von den befragten Pflegekräften besonders die Aspekte Erfassung und Speicherung der Vitalparameter der Klient*innen sowie das Vorliegen von Informationen und Gesundheitsdaten über längere Zeiträume als relevant eingestuft. Hierbei sehen die Pflegekräfte insbesondere den besseren Überblick über den Verlauf des Gesundheitszustands als vorteilhaft an.

4 Diskussion der Interviewauswertung

Die Interviewsegmente in ► Abschn. 4.3.2 bestätigen den Befund von Pöser und Bleses (2018), dass entgegen stereotyper Annahmen Pflegekräfte im ambulanten Pflegebereich ein grundsätzliches Technikinteresse sowie eine Technikaffinität aufzuweisen scheinen. Die befragten Pflegekräfte zeigten sich insgesamt technologischen Neuerungen gegenüber sehr offen und wenig skeptisch oder ängstlich.

Diese Grundvoraussetzungen können bei Technikeinführungen im beruflichen Kontext jedoch nur dann verstärkt werden, wenn die erarbeiteten Faktoren des pflegespezifischen Technologieakzeptanzmodells bereits im Technikentwicklungsprozess sowie bei der standardisierten Ausbildung von Digital- und Technikkompetenzen durch Schulungen der Pflegekräfte berücksichtigt werden. Bei der Interviewfrage, welche digitalen Medien die Pflegekräfte regelmäßig sowohl in ihrem Alltag als auch in ihrer Berufsausübung nutzen, wurde deutlich, dass besonders in der jüngeren Generation der Freizeitgebrauch von Technik als alltäglich wahrgenommen wird. Der berufliche Einsatz von digitaler Unterstützung über Dokumentationssoftware hinausgehend war jedoch auch in der befragten Stichprobe noch nicht weit verbreitet. Durch die generell vorhandene Technikaffinität der Pflegekräfte sind grundlegende Methoden- und Selbstkompetenzen als Basis zwar gegeben, die Pflegekräfte können jedoch durch eine mangelnde Fachkompetenz für den Technikeinsatz in der Pflege den Mehrwert unterstützender Technologien nicht sehen und fühlen sich im professionellen Kontext mit der Einführung solcher überfordert.

Die Akzeptanz und Nutzungsintention bezüglich der Pflegetechnologie wird trotz des generell vorhandenen Technikinteresses davon beeinflusst, wie stark sich Pflegekräfte, Klient*innen sowie Angehörige durch die Technologie überwacht fühlen. Ein besonders großes Hemmnis für den Gebrauch der Technologie kann seitens der Pflegekräfte durch das Gefühl entstehen, dass Vorgesetzte, also zum Beispiel die Pflegedienstleitung, die Qualität ihrer Pflegeleistung überwachen und fälschliche Anschuldigungen resultieren können. Diese Problematik im Kontext der Digitalisierung der Pflegearbeit baut auf bestehende Forschungsergebnisse aus den vergangenen Jahren auf (Friemer, 2020; Kumbruck & Senghaas-Knobloch, 2019). Da der Faktor des Überwachungsgefühls eine rein emotionale Befürchtung unabhängig von tatsächlichen Funktionalitäten der Technologie ist, muss dieser im Technikeinführungsprozess bei Schulungen der Pflegekräfte zum Kompetenz- und Qualifizierungsaufbau gezielt adressiert werden.

Die Hauptkategorie Informationsstand, also welche Gesundheitsinformationen für die Pflegekräfte verfügbar sind, wenn sie nicht bei den Klient*innen vor Ort sind, nahm in allen Interviews einen großen Gesprächszeitraum ein. Bezüglich der Nutzungsabsicht der Pflegekräfte muss sowohl von den Technikentwickler*innen als auch von den Pflegedienstleitungen der Zugriffszeitpunkt für die Pflegekräfte auf die digital erfassten Informationen im Technikeinführungsprozess klar definiert vorgegeben werden, da andernfalls Stress und die psychische Arbeitsbelastung durch den ständigen Drang zur Kontrolle erhöht werden können. Eine solche Stresserhöhung wäre kontraproduktiv zu dem eigentlichen Ziel der Digitalisierung in der Pflege, die durch den Fachkräftemangel erzeugte Arbeitsbelastung der Pflegekräfte durch technologische Hilfsmittel zu reduzieren (Kuhlmey et al., 2019).

Zusammenfassend zeigten die personenübergreifenden Argumentationsketten der interviewten Pflegekräfte, dass die einzelnen Modellfaktoren in ihrem Arbeitsalltag nicht vollkommen unabhängig voneinander sind. Insbesondere der Faktor Stress hängt stark mit den Faktoren Zeit, Vorbereitung und Zugriffszeitpunkt zusammen. Insgesamt deutet die geringe Trennschärfe der einzelnen Kategorien auf die Komplexität des Pflegeberufs und den daraus resultierenden komplexen Anforderungen an technische Assistenzsysteme sowie der entsprechenden Kompetenzentwicklung hin. Mit dem erweiterten Technologieakzeptanzmodell können diese komplexen Anforderungen durch die Fokussierung auf Akzeptanzfaktoren im ambulanten Pflegebereich im Rahmen einer partizipativen Technikentwicklung zur besseren Bedarfs- und Kompetenzadressierung zukünftig adäquater berücksichtigt werden. Das Modell leistet übergeordnet durch das Aufzeigen der Wirkrichtungen verschiedener für die Pflegekräfte relevanter Faktoren einen Beitrag, die in vielen Forschungsarbeiten aufgedeckten Problematiken bezüglich der Digitalisierung des Pflegeberufs zu forcieren (Breuer et al., 2020; Fuchs-Frohnhofen et al., 2020; Kubek, 2020; Merda et al., 2017; Zöllick et al., 2020).

4 Fazit und Implikationen für künftige Pflegetechnikentwicklung

Angesichts der Erkenntnisse aus den Interviews (siehe ► Abschn. 4.3) und der diskutierten Erweiterung des pflegespezifischen Technologieakzeptanzmodells für die ambulante Pflege ergeben sich einerseits die aufgezählten Implikationen für die technische Weiterentwicklung des im Projekt entwickelten Sensortextils, z. B.:

  • Integration weiterer Funktionen zur Erfassung von Vitalparametern, z. B. einer Wiegefunktion etc.

  • Relevanz einer Notfallfunktion zur Erhöhung des Sicherheitsgefühls der Pflegekräfte und zu pflegenden Personen.

  • Klassifikation der Zustände der zu pflegenden Personen in einem „Ampelsystem“.

  • Anpassung auf den Anwendungskontext bei bettlägerigen und demenziell veränderten Personen (größter Mehrwert aus Sicht der Pflegekräfte).

Anderseits liefert die Forschung generalisierte Implikationen für die zukünftig fortschreitende Digitalisierung im Gesundheitswesen, z. B.:

  • Integration der Technikkompetenzentwicklung bereits in der Pflegeausbildung.

  • Sensorsysteme in der ambulanten Pflege sollten entgegengesetzt zu Systemen im stationären Bereich keine (oder nur in seltenen Notfällen) direkten Handlungen der Pflegekräfte erfordern.

  • Einzelne Vitalparameter sind für die ambulante Pflege von geringerer Bedeutung als die Erfassung der Bewegungsintensität der zu pflegenden Personen.

  • Um Stresserhöhung zu vermeiden, müssen die intendierten Zugriffszeitpunkte und -zwecke bei Überwachungssensoriken im Vorfeld der Technikeinführung eindeutig festgelegt werden.

  • Einem zu großen Überwachungsgefühl der Pflegekräfte durch den Technikzugriff der Pflegeleitungen muss entgegengewirkt werden.

Die gesellschaftliche Relevanz von Pflegearbeit ist durch die erhöhte Arbeitsbelastung der andauernden SARS-CoV-2-Pandemie weltweit in den Fokus gerückt und beschleunigt die Digitalisierung dieses Berufsbereichs (Kricheldorff, 2020). Dabei können Innovationsbarrieren nur durch die aktive Beteiligung von Pflegekräften im Technikentwicklungsprozess zur bedarfsgerechten Adressierung der diversen Technikkompetenzprofile der Zielgruppe abgebaut werden. Die im Anschluss folgende Kompetenzentwicklung für einen arbeitsbelastungsreduzierenden Technikeinsatz kann erst gelingen, wenn Offenheit für die Technologie durch eine generierte Akzeptanz bei den Pflegekräften vorhanden ist. Diese Offenheit entsteht einerseits durch die Passung des technischen Endprodukts zu den pflegespezifischen Anforderungen und andererseits kann sie bereits während der Technikentwicklung durch den partizipativen Einbezug der späteren Anwender*innen gefördert werden.

Exkursbox Limitationen

Die zunehmende Ausbreitung des SARS-CoV-2-Viruses hat den Datenerhebungsprozess der Studie durch Kontaktbeschränkungen enorm erschwert, z. B. beeinflusste ein unnatürlich großer Abstand während der Interviews den Vertrauensaufbau zu den Pflegekräften. Sechs der zwölf Interviews mussten virtuell durchgeführt werden. Erste SARS-CoV-2 Studien zeigen, dass sich die virtuelle Kommunikation trotz Ton- und Bildübertragung signifikant von der Kommunikation im persönlichen Kontakt unterscheidet, da sie durch den Technikgebrauch wesentlich komplexer wird (Valente & MacMahon, 2020). Durch die Verschärfung der pandemischen Lage während des Forschungs- und Untersuchungszeitraums war das Pflegepersonal in allen Bereichen des deutschen Gesundheitssystems einer noch höheren Arbeitsbelastung als ohnehin schon ausgesetzt (Hower et al., 2020). Daher kann der Wunsch nach Entlastung im Arbeitsalltag in den Interviews verstärkt worden sein. Ebenfalls ist es möglich, dass durch die erhöhte Arbeitsbelastung weniger Ressourcen für das Auseinandersetzen mit technologischen Neuerungen verfügbar waren. Eine Wirkrichtung lässt sich hier nicht nachvollziehen.