1 Übersetzung, Adaptation und Kontrafaktur

Ein abenteuerlich ausgeschmückter Bericht über die angebliche Entdeckung einer unbekannten Insel im südlichen Indischen Ozean mit dem Titel The Isle of Pines, or, A late Discovery of a Fourth Island in Terra Australia, Incognita erregte im Sommer 1668 ein gewaltiges publizistisches Aufsehen (Neville 1668a). Nicht nur die Entdeckung selbst, auch die dort angeblich angetroffene Kolonie, die im Laufe mehrerer Generationen aus einer Handvoll englischer Schiffbrüchiger hervorgegangen sein sollte, sowie die dazu geschilderten polygamen Fortpflanzungsverhältnisse bedienten die Neugier und Sensationslust von Lesern in ganz Europa. Dies schlug sich innerhalb weniger Wochen und Monate in einer Fülle von Übersetzungen und Adaptationen in den wichtigsten europäischen Kultursprachen nieder. Allerdings war die ganze Geschichte bloß erfunden, es handelte sich letztlich um eine antimonarchistische Satire. Als faszinierend erweist sich der Sachverhalt, dass somit ein politisch brisanter Fake-Bericht, der zwischen Abenteuererzählung, Reise- und Entdeckungsbericht, Sexskandal, Staatsutopie und politischer Satire jongliert, auf dem Weg seiner Übersetzungen und Adaptationen selektive Lektüren und Funktionsverschiebungen bis hin zu einer fiktionalen Kontrafaktur hervorbrachte, die mit dem ursprünglichen semantischen Kontext nur noch partiell zu tun hatten, die aber Aufschluss geben über die historisch-politischen, konfessionellen und publizistischen Kontexte ihres jeweiligen Zielpublikums. Zugleich bildet die Erzählung und ihre Rezeption für manche heutige Forscher geradezu einen – wie es John Scheckter formulierte – ‚Lesertraum des 21. Jahrhunderts‘, da sie von der Dehierarchisierung des Textsinns bis zu postkolonialen Perspektiven um race, class und gender alles zu bieten vermöge, was aktuell interessiere (Scheckter 2011, S. xiv).

Besonders verblüffend sind die Geschwindigkeit und die Zahl der Übersetzungen sowie ihre große Variationsbreite, die von annähernd textnahen, selektiven und leicht modifizierenden Übersetzungen bis zu Adaptationen in unterschiedlichen Textsorten reicht. Verantwortlich dafür waren vor allem der Neuigkeitswert des Berichts über eine neu entdeckte Insel zu einem Zeitpunkt, als das Zeitalter der Entdeckungen noch nicht abgeschlossen war, der moralische Skandalcharakter der Erzählung und das erstaunliche Faktum der großen Bevölkerungsvermehrung der Inselbewohner. Im Folgenden sollen anhand von Schlüsseltexten maßgebliche Aspekte seiner Übersetzungs- und Adaptationsgeschichte analysiert werden. Zunächst werde ich die Publikationsgeschichte (Abschn. 13.2), die verdeckte politische Stoßrichtung und die verschiedenen Themenschwerpunkte der englischen Isle of Pines-Vorlage vorstellen (Abschn. 13.3). Bezüglich der Übersetzungen ist der Fall exemplarisch für die generelle Vermittlerrolle niederländischer Erstübersetzungen englischer Texte auf dem Kontinent.Footnote 1 Konkret wird sogar der Wettstreit verschiedener niederländischer Versionen des Texts für die weitere europäische Rezeption bedeutsam (Abschn. 13.4). Ein markantes Beispiel für eine monarchistische Umdeutung der Vorlage, die sich ganz auf die angebliche Faktualität des Ursprungstexts kapriziert, bildet die stark modifizierende Publikation des Pariser Hofdruckers Mabre-Cramoisy (Abschn.13.5). In scharfem ideologischem Gegensatz dazu steht andererseits eine explizit republikanisch geframte französischsprachige Version aus dem niederländischen Leiden (Abschn. 13.6). Als relevante deutsche Erstübersetzung erscheint inzwischen die bezüglich des Wahrheitsgehalts skeptische, vornehmlich auf den Unterhaltungsaspekt ausgerichtete Übertragung des Hamburger Zeitungsmachers Georg Greflinger, deren zentrale Bedeutung für die deutsche Rezeption erst relativ spät von der Forschung erkannt wurde (Abschn. 13.7). In einem weiteren Abschnitt vergleiche ich die Modifikationen einiger signifikanter Textstellen der unterschiedlichen Übersetzungen hinsichtlich abweichender Fakten sowie erotischer und politisch relevanter Details (Abschn. 13.8). Stärkere Beachtung als bisher verdient auch eine Hamburger Streitschrift, die den Wahrheitsgehalt des englischen Ausgangstexts nicht ohne Scharfsinn widerlegt und wichtige Hinweise für die Aufnahme der Geschichte in Deutschland liefert (Abschn. 13.9). Schließlich gehört zur Geschichte der Adaptationen dieses Texts auch dessen Rezeption innerhalb der Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi des Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen, die sich als veritable Kontrafaktur des Ausgangstexts beschreiben lässt. Dies ermöglicht eine grundlegende Neuinterpretation der vieldiskutierten Kreuzinsel-Episode der Continuatio des Simplicissimus-Romans (Abschn. 13.10).

Die Vieldimensionalität seiner Themen und seiner Charakteristik, die komplexe formale Anlage der Veröffentlichung in mehreren Teilen mit einer Reihe von Paratexten und seine umfangreiche Publikations- und Übersetzungsgeschichte hat die Forschung schon lange beschäftigt. Anfangs stand dabei die bibliographische und publizistische Rekonstruktion im Vordergrund.Footnote 2 Schon früh zog die Isle of Pines auch das Interesse der Grimmelshausen-Forschung auf sich.Footnote 3 Unmittelbar damit verbunden war die Beschäftigung mit ihrer Übersetzungsgeschichte.Footnote 4 Angelsächsische Studien haben sich schließlich intensiv mit der Rekonstruktion der Entstehungsgeschichte des Texts, seiner Fortsetzung und Rekombination, seiner politischen Hintergründe und Signifikanz befasst.Footnote 5 Nicht zuletzt haben die Themen Sexualität und Polygamie sowie der implizite Utopie-Diskurs verstärktes Interesse auf sich gezogen.Footnote 6 Auf die zahlreichen Vorarbeiten wird im Weiteren kontinuierlich verwiesen. Dabei sind in verschiedenen Hinsichten Ergänzungen, Korrekturen, neue Perspektivierungen und Bewertungen anzubringen. Das Beispiel erlaubt insgesamt ungewöhnliche Einsichten in die frühneuzeitlichen Übersetzungs- und Rezeptionsprozesse anhand eines literarisch komplexen und kuriosen Falls.

2 Eine mehrstufige Zündung

Trotz ihrer großen Bandbreite haben wir es bei den Übertragungen der Isle of Pines fast durchgehend mit einer irregeleiteten Rezeption zu tun. Ein satirisch-fiktionaler Text wurde vom Autor als faktualer Entdeckungsbericht propagiert und von den Übersetzern auch so gelesen. Beim anonym bleibenden Autor handelte es sich um den radikalrepublikanischen Politiker und satirischen Schriftsteller Henry Neville (1620–1694), der mit einem publizistischen Coup einen satirischen Angriff auf die Herrschaft der Dynastie der Stuarts, auf die Legitimation des Absolutismus und auf die moralisch zweifelhafte Lebensführung des englischen Königs unternahm. Lächerlich gemacht wurde auch die wenig erfolgreiche englische Kolonialpolitik unter Charles II.Footnote 7

Die Wurzel des Missverständnisses bildete das gewählte Genre der Satire, ihre Tarnung als faktuale Entdeckungsgeschichte, die Wahl einer irreführenden, zweifelhaften Erzählerstimme und schließlich eine Publikationsstrategie in drei Schritten:Footnote 8 Der erste Teil der Erzählung erschien in London am 27. Juni 1668 (Neville 1668a). Er enthielt die vorangestellte Nachricht von der angeblichen Entdeckung einer Insel im südindischen Ozean durch ein holländisches Schiff und den autodiegetischen Bericht eines gewissen George Pine aus England über seinen Jahrzehnte zurückliegenden Schiffbruch dort, seine Besiedlung der Insel gemeinsam mit vier überlebenden Frauen und die erstaunliche Bevölkerungsvermehrung der Kolonie seither. Gute drei Wochen später, am 22. Juli 1668, folgte der Veröffentlichung eine umfangreiche Ergänzung, in der der holländische Schiffskommandant über seine Erlebnisse anlässlich der Entdeckung der Kolonie berichtete (Neville 1668b). In einer dritten Publikation am 27. Juli wurden beide Texte zusammengeführt, sodass der zweite Bericht den ersten umrahmte, und mit Illustrationen und einer weiteren Herausgeberfiktion in Form zweier Briefe versehen (Neville 1668c). Es handelt sich also um eine komplexe erzählerische Anlage, gleichsam eine dreistufige Zündung, die in zeitlicher Verzögerung verschiedene Perspektiven auf das Geschehen eröffnete.

Die Perspektivenwechsel dieser Publikationsstrategie erscheinen eingeplant. Im ersten Teil stellt unser Autor die affirmative, nichtsatirische Tendenz in den Vordergrund. Vorbehalte gegen die pinesische Kolonie werden in den Zwischentönen versteckt.Footnote 9 Die negativen Aspekte der vorgestellten Gesellschaftsstruktur der Isle of Pines hebt sich der Autor für die Darstellung des holländischen Kapitäns in der später erschienenen Fortsetzung auf. Damit scheint es Neville auf die initiale Fehllektüre seines Texts angelegt zu haben. Der Gründungsbericht des George Pine fungiert geradezu als Teaser für die mit Verzögerung nachfolgende satirische Entlarvung des patriarchalistischen pinesischen Herrschaftsentwurfs. Schlagend relevant wird diese Teaser-Funktion des ersten Teils nun gerade auch für die unmittelbar auf dem Fuße folgende europäische Übersetzungsgeschichte.

Diese ist auf eine geradezu groteske Weise unübersichtlich und vielfältig. Da der Text am Beginn als aktuelle Nachricht einer Inselentdeckung verstanden wurde, verbreitete er sich auch mit entsprechender Geschwindigkeit als Flugschrift und als Zeitungsnachricht. Die frühen Übersetzungen erscheinen binnen Wochenfrist und wo eine genaue Datierung fehlt, ist die Ermittlung einer Reihenfolge der Veröffentlichungen nur in Ausnahmefällen möglich.Footnote 10 Das Übersetzungsgeschehen erscheint eher als ein verzweigtes Netzwerk denn als eine geordnete Abfolge.

3 Themen in Nevilles Isle of Pines-Veröffentlichungen

Die Übersetzungsgeschichte der Isle of Pines lässt sich nicht sinnvoll beschreiben, ohne auf die vielfältigen Aspekte der nevilleschen Texte selbst einzugehen. Es können dabei mehrere zentrale Themen unterschieden werden. Das erste Thema ist der als faktual ausgegebene Entdeckungsbericht einer unbekannten Insel. Dieses Stichwort steht jeweils an oberster Stelle in den Titeln des Texts als late Discovery, Ontdeckinge, Nouvelle découverte oder Neue Entdeckung, wobei stets zugleich die True Relation, die Wahrhaftigkeit des Berichts, hervorgehoben und somit ein fiktionaler Charakter der Erzählung abgestritten wird. Teil des Entdeckungsberichts ist die minutiöse Darlegung des Reisewegs der Pineser bis zu ihrem Schiffbruch und die ausführliche Beschreibung der Inselnatur, die Neville weitgehend dem historischen Reisebericht der Gebrüder De Bry von 1601 über die Entdeckung der Insel Mauritius entnimmt.Footnote 11 Dazu zählt auch die Beschreibung der Drontenvögel, die groß wie Schwäne und flugunfähig gewesen seien.Footnote 12 Diese und andere prominente Übernahmen aus dem Mauritius-Bericht mussten für den zeitgenössischen Leser eigentlich schon verräterisch sein, was die zweifelhafte Glaubwürdigkeit des Texts betraf.

Als zweites Thema erscheint die pikante Polygamie des George Pine, strandet er doch auf der Insel gemeinsam mit „four Women, whereof one was a Negro“, wie in nahezu allen Ausgaben bereits im inhaltlichen Abriss am Eingang des Berichts hervorgehoben wird. Man hat die Polygamie oft als entscheidendes Skandalthema des Texts angesehen.Footnote 13 Nicht zu vergessen ist dabei, dass die Thematik eine konfessionell kontroverse Signifikanz besaß. Während die katholische Kirche ein striktes Verbotsregiment vertrat, hatte Luther die Ehe als ‚weltlich Ding‘ verstanden und damit kulturelle Freiräume ermöglicht. Die protestantischen Naturrechtler der Zeit diskutierten, inwiefern die Bigamie naturrechtlich oder lediglich durch sittliche Konventionen untersagt sei, wobei maßgebliche Autoren wie Hugo Grotius, Samuel Pufendorf und schließlich Christian Thomasius letzterer Auffassung zuneigten.Footnote 14 Dabei bildete auch der Verweis auf die biblischen Patriarchen ein wichtiges Argument. In seinen Heldenbriefen von 1664 – also nur vier Jahre vor Nevilles Isle of Pines – bietet Christian Hoffmann von Hoffmannswaldau als gelernter Jurist geradezu ein Kaleidoskop unterschiedlicher, durch Notlagen legitimierter (meist protestantischer) oder durch Machtmissbrauch verwerflicher (katholischer) Varianten historisch überlieferter bigamistischer Verhältnisse (vgl. Borgstedt 1997). Die Polygamiediskussion bildet somit ein auch konfessionell relevantes Thema der brisanten zeitgenössischen Naturrechtsdiskussion. Auf der Isle of Pines ist die Polygamie allerdings durch einige Ambivalenz gekennzeichnet. So überschreitet George Pine bei seinen polygamistischen Verhältnissen zugleich Standes- und Rasseschranken. Der moralische Verstoß wird von Neville zwar nur angedeutet, dies aber deutlich.Footnote 15

Die Polygamie bildet in der Isle of Pines allerdings auch die rein funktionale Voraussetzung für das dritte Thema, nämlich die exorbitante Vermehrung der Insulaner bereits innerhalb der Lebenszeit des George Pine. Auch die wird bereits im Abriss markant hervorgehoben. Die Umstände dieser Vermehrung werden in seinem Bericht detailliert geschildert, in welcher Reihenfolge und Häufigkeit die Frauen von ihm geschwängert wurden und wie sich dies in den Folgegenerationen fortsetzte. An seinem Lebensende zählt Pine seine Nachkommen und kommt auf die erstaunliche Zahl von 1789 Personen. Der dritten, kompilativen Veröffentlichung der Isle of Pines vom 27. Juli 1668 sind vier Holzschnitte beigegeben. Der dritte davon zeigt genau dieses Motiv: Pine mit seinen vier Frauen schaut auf eine endlos herbeiströmende Masse von Menschen. Die Bildunterschrift lautet: „Pine Numbring his People“ (Neville 1668c, Frontispiz). Die holländischen Entdecker der Kolonie zählen schließlich bereits 10.000 bis 12.000 Kolonisten.

Als viertes Thema erscheinen die gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Folgen des pinesischen Gesellschaftsmodells. Diese sind der ausführlich geschilderte Gegenstand der Erzählung des holländischen Schiffskapitäns Cornelius van Sloetten in der Fortsetzung der Erzählung vom 22. Juli. Diese Fortsetzung dient dem Autor dazu, das pinesische Modell radikal zu desavouieren. So wird ausführlich vorgeführt, dass die pinesische Gesellschaft in einen vollständigen Kulturverlust mündete, dass sie nur notdürftige Behausungen und Bekleidung und kaum Werkzeuge oder technische Kenntnisse besaß, ja dass sie nicht einmal mehr die Schifffahrt beherrschte bzw. überhaupt noch das Wort für „Schiff“ kannte, und dass sie zudem in politische Auseinandersetzungen verstrickt war, sodass ihr patriarchales Herrschaftsmodell insgesamt als gescheitert vorgeführt wird (vgl. vor allem Beach 2000, S. 28–33).

Als fünftes Thema kann man infolgedessen die satirische Stoßrichtung des nevilleschen Unterfangens ausmachen, die eng auf die englischen Verhältnisse zielt. So richtet sich die Satire des antimonarchistischen Republikaners Neville gegen das absolutistische Herrschaftsmodell der Dynastie der Stuarts und gegen dessen patriarchalistische Legitimation durch Rückgriff auf den biblischen Adam und die Vätergeschichte, wie sie etwa von Robert Filmer (1588–1653) philosophisch vertreten wurde. Die Satire richtet sich konkret auch gegen die skandalumrankte hedonistische und dekadente Hofführung von Charles II., dessen ausschweifende Mätressenwirtschaft sprichwörtlich war und die man in der Pine’schen Vielweiberei karikiert sehen konnte.Footnote 16

Nicht zuletzt kann man als sechsten textrelevanten Aspekt die vielfältigen intertextuellen Bezüge hervorheben. Gemeint sind die Rückgriffe auf historisch überlieferte Entdeckungsfahrten und Schiffbrüche sowie literarästhetisch relevante Kontexte wie der Rückgriff auf die biblische Vätergeschichte, auf die Darstellung eines unverbildeten Naturzustandes bzw. auf die (vermeintliche) arkadische Tradition erotischer Freizügigkeit, auf frühneuzeitliche utopische Gesellschaftsentwürfe oder die Entfaltung einer voraufklärerischen Prä-Robinsonade. Damit verbinden lassen sich interpretatorische Fragen philosophischer, religiöser oder moralischer Natur, die insbesondere das Interesse der modernen Forschungsdiskussion dominieren. Einen literarästhetisch relevanten Aspekt bildet die multiperspektivische Erzählweise, die Verteilung der Erzählerstimme auf George Pine einerseits und den Schiffskapitän van Sloetten andererseits. Zu dieser Multiperspektivität zählen auch noch eine Reihe von Paratexten wie Begleitbriefen und Framings, die von erzähltheoretischem Interesse sind.

All diese Themen und Aspekte spielten in der zeitgenössischen wie in der modernen Rezeption eine unterschiedliche Rolle. Je nach Interessenlage, Publikumsbezug und weltanschaulicher Einstellung der Publikation konnten sie hervorgehoben, marginalisiert, unterdrückt oder gar konterkariert werden.

4 Wettstreit um die beste Ausgabe: Jacob Vinckel, Jacob Stichter, Joannes Næranus

Der Sensations- und Nachrichtencharakter der ersten nevilleschen Veröffentlichung sorgte für eine unmittelbare Weiterverbreitung auf dem Kontinent in einer Unzahl verschiedener Ausgaben. Als Intermediärübersetzungen für die meisten folgenden Übertragungen dienten dabei zwei unterschiedliche niederländische Versionen, die in vier verschiedenen Ausgaben verbreitet wurden. Direkt nach Erscheinen des ersten Teils der Isle of Pines wurde diese gleich zweimal ins Niederländische übersetzt und innerhalb von Tagen und Wochen mehrfach ins Französische und Deutsche. Als erstes erscheint in Amsterdam eine niederländische Übersetzung bei Jacob Vinckel (Neville 1668d). Sie folgt dem englischen Text recht genau, allerdings lässt Vinckel im hinteren Teil eine lange Passage weg. In dieser ausgelassenen Passage geht es nicht, wie verschiedentlich kommentiert wurde, um Pines ‚sexuelle Beziehungen‘,Footnote 17 sondern vielmehr um die Details der pinesischen Bevölkerungsvermehrung, also unser drittes Thema (so schon Hippe 1893, S. 78). Ausgelassen wird die weitschweifige und pedantische Auflistung der Zeugungsverhältnisse und Zeugungsintensität, welche seiner Frauen von ihm in welcher Reihenfolge und wie oft geschwängert und wie die Fortpflanzung in den Folgegenerationen organisiert wurde. Dieses zentrale Thema des Ursprungstexts mit seinen Anlehnungen an die biblische Vätergeschichte erschien dem Übersetzer in dieser Ausführlichkeit – offenbar im Blick auf die wichtige Entdeckungsthematik – zunächst verzichtbar. Diese erste Übersetzung bei Vinckel wird wenig später – auf dem Titelblatt mit einer fiktiven Karte der Insel illustriert – von Jacob Stichter ohne Autorisierung ebenfalls in Amsterdam unverändert nachgedruckt (Neville 1668e). Von Beginn an setzt also ein Publikationswettbewerb um die Geschichte ein.

Die bei Vinckel fehlenden Teile des Texts ergänzt nun sogleich eine zweite niederländische, in Rotterdam bei Joannes Næranus erschienene Übersetzung, in der eingangs ausdrücklich auf die Unvollständigkeit des Amsterdamer Drucks hingewiesen wird (Neville 1668f).Footnote 18 Sprachlich erscheint das nevillesche Original dabei stellenweise in den Formulierungen erweitert und ausgeschmückt, sodass eine vorsichtige Tendenz zur Literarisierung festzustellen ist.Footnote 19 In einem erneuten Druck reagiert Vinckel auf diese Überbietung, entschuldigt die Druckfehler und die Unvollständigkeit seiner ersten Ausgabe mit der Eile der Veröffentlichung und übernimmt selbst ausdrücklich den Text der Rotterdamer Übersetzung. Er bietet somit jetzt einen identischen vollständigen Text (Neville 1668g).Footnote 20 Der Wettstreit dreht sich also zunächst um verkaufsrelevante Aspekte, um die Geschwindigkeit, Authentizität und Attraktivität der Übertragung.

Eine in Amsterdam erschienene französische Übersetzung mit dem Titel Relation de la decouverte de l’isle de Pines stützt sich ebenfalls auf die Næranus-Übertragung, wie Textvergleiche zeigen können (Neville 1668h).Footnote 21 Generell sind die Abfolge und die Abhängigkeit der französischen Ausgaben, die in den Niederlanden und in Frankreich erschienen, nur wenig erforscht. Nicht einmal alle überkommenen Ausgaben wurden bislang bibliographisch erfasst.Footnote 22

5 Faktualisierung und Entskandalisierung: der Pariser Hofdrucker Mabre-Cramoisy

An die beiden niederländischen Übersetzungen schließen sich unmittelbar fast alle französischen und deutschen Übertragungen an. Ein Text, der für die Rezeption von besonderer Bedeutung ist, bildet dabei eine radikale Ausnahme. Beim Pariser Hofdrucker Sébastien Mabre-Cramoisy erscheint „bald nach dem 9. Juli“ (Ries 1985, S. 755) eine stark verkürzte Zusammenfassung der Pines-Geschichte, die gar nicht als Übersetzung bezeichnet werden kann (Neville 1668l). Es handelt sich vielmehr um eine bloße Faktenvermittlung unter Eliminierung aller satirischen, literarisch-fiktionalen und skandalösen Aspekte sowie der autodiegetischen Erzählerstimme des George Pine, inhaltlich und formal also um eine vollständige Entschärfung des Texts.Footnote 23 Die unmittelbare Vorlage ist kaum zu ermitteln. Cramoisy verweist einleitend recht detailliert auf die Rückkehr von 15 Schiffen der holländischen Ostindienflotte im bisherigen Jahr, deren Ladelisten in der französischsprachigen Gazette d’Amsterdam veröffentlicht seien. Dann heißt es, unter mehreren Neuigkeiten – Nouvelles – hätten diese Rückkehrer auch die folgende berichtet.Footnote 24 Es folgt der Bericht über die Insel Pines. Mehrere Forscher vermuteten die Vorlage von Cramoisy daraufhin in der Gazette d’Amsterdam.Footnote 25 Tatsächlich aber findet sich dort, wie man inzwischen online überprüfen kann, lediglich der Bericht über die historische Ostindienflotte (La Gazette d’Amsterdam, 19. Juli 1668, S. 4). Daraus folgt, dass der Cramoisy-Bericht den historischen Flottenbericht aus der Gazette offenbar mit der Isle of Pines-Erzählung kompiliert hat. Er erweckt aber den Eindruck, die Erzählung sei direkt von den historischen Ostindienfahrern als Faktenbericht übermittelt worden.

In die Richtung solcher mutwilliger Faktualisierung deuten auch weitere Besonderheiten. So nennt der Text Teilkoordinaten für die Isle of Pines, die in keiner der möglichen Vorlagen auftauchen und die sich von den im später gedruckten zweiten Teil von Neville gegebenen Koordinaten unterscheiden. Nevilles Koordinaten weisen in die Umgebung von Mauritius und Réunion. John Scheckter hat darauf hingewiesen, dass die im Cramoisy-Bericht genannten Breitengrade (28 oder 29° südlicher Breite) mit denen des legendären Schiffbruchs der Batavia im Jahr 1629 vor einer westaustralischen Inselgruppe übereinstimmen. An diese schloss sich eine Schreckensherrschaft mit Massenmord und Vergewaltigungen an – eine boshafte historische Anspielung wäre das also für die pinesische Inselherrlichkeit. Der Faktualitätsanspruch könnte durch diese Überblendung infrage gestellt, er könnte aber auch bekräftigt erscheinen, wie es Scheckter suggeriert.Footnote 26

Abgesehen von diesen hinzugefügten historischen Referenzen spielt die Cramoisy-Version den moralischen Skandal der Vorlage weitestgehend herunter. Während in allen anderen englischen und außerenglischen Drucken bereits im Vorspann auf die pikante Konstellation der Schiffbrüchigen aus einem Mann, zwei Dienstmägden, der Kapitänstochter und einer schwarzen Sklavin hingewiesen wird, spricht Cramoisy zunächst nur unpräzise von „un seul homme avec quatre filles“ (Stillman 2006b, S. 56). Als es zur Sache kommt, nennt Neville „Idleness and Fulness of every thing“ als Auslöser von sexuellem Begehren. Cramoisy begründet das Geschehen dagegen ganz rational: Um sich fortzupflanzen, habe der Mann sich nacheinander mit den „deux servantes Angloises“, der Kapitänstochter und schließlich mit „l’Esclave More“ vereint und sei so ihr gemeinsamer Ehemann – ihr „mary commun“ – geworden (Stillman 2006b, S. 57). Wo die Vorlage und alle Übersetzungen den Verführungsprozess ausführlicher schildern, insbesondere im Fall der schwarzen Sklavin, bringt Cramoisy lediglich einen überschaubaren Satz. Der erotische Skandal wird vermutlich aus moralischen Gründen so gut es geht überspielt.

Gaby Mahlberg, die sich intensiv mit der Isle of Pines beschäftigt hat, wollte eine besondere Ironie darin sehen, dass der Pariser Hofdrucker das Pamphlet eines republikanischen Antimonarchisten wie Neville druckte, ohne sich dieser Tatsache bewusst zu sein (Mahlberg 2012, S. 11). Die radikale Faktualisierung und Entskandalisierung beraubt Nevilles Vorlage meines Erachtens allerdings jedes kritischen Potentials. Insofern erscheint es durchaus denkbar, dass Mabre-Cramoisy wusste, was er tat. Die Cramoisy-Edition erlangte jedenfalls dadurch besondere Bedeutung, dass sie in der Folge die Vorlage für zahlreiche Übersetzungen in der romanischen und damit in der katholischen Welt bildete, insbesondere für mehrere italienische Editionen.Footnote 27 Es handelte sich um eine politisch wie moralisch gesäuberte und verkürzte Version.

6 Republikanisches Framing: Abraham Gogat aus Leiden

Eine weitere französischsprachige Fassung der Erzählung sticht heraus. Es ist die ebenfalls Mitte Juli für den Buchhändler Abraham Gogat in Leiden gedruckte Relation fidelle & veritable de la nouvelle découverte (Neville 1668i), die nach meinem Textvergleich auch Næranus zu folgen scheint.Footnote 28 Sie wurde von Paul Ries (1985, S. 755) erstmals beschrieben und von Gaby Mahlberg (2012, S. 9–11) näher analysiert. Demnach stammt die Edition aus einem calvinistisch-republikanischen Umfeld mit möglichen Kontakten nach England. Die Erzählung ist in dieser Ausgabe von zwei pseudonymen Briefen gerahmt, die eine klare politische Tendenz verfolgen, indem sie die niederländische Republik und ihren leitenden Staatsmann Johan de Witt feiern, seine Auseinandersetzung mit Ludwig XIV. kommentieren und die Distanz zur Monarchie bekräftigen. Erwähnt werden auch der niederländisch-englische Krieg und Details der eingelaufenen Schiffe der Ostindienflotte, wobei hier von 16 Schiffen gegenüber 15 in der Cramoisy-Edition genannten die Rede ist. Die Gazette d’Amsterdam zählte dagegen in einer Weise, die zu Missverständnissen führen konnte, lediglich 13 Schiffe auf.

Interessant ist, dass der Begleitbrief in Gogats Edition die bei Cramoisy herausgestellte Faktizität der Pines-Erzählung zur Disposition stellt und literarische Reminiszenzen benennt. So schreibt er, „mais c’est que vray, ou non“ – ob wahr oder falsch – erinnere sie doch so gut an die Idee des Goldenen Zeitalters und die Zeit der Unschuld und ermögliche derart interessante Überlegungen und curieuse Gedanken, dass sie hervorragend zur Übung des Esprit geeignet sei (Lettre de Philogyton à Nicophile, Neville 1668i, S. 11). Am Schluss des Briefs heißt es, die Erzählung sei angenehmer zu lesen als die phantastischen Reisen des Lukian in den Bauch des Wals oder anderer zum Mond, wenn sie aber wahr sei, dann habe man nie ein besseres Abbild der ersten Menschen und der Bücher Mose gefunden als hier (1668i, S. 44). Eine ernsthafte Faktizitätsbehauptung ist das nicht, wie Mahlberg konstatiert (2012, S. 10). Bei Gogat wird eine literarische und philosophische Perspektive auf den Text eingenommen, die im Unterschied zu Cramoisy gerade auch auf den moralischen Skandal reflektiert.

Festzuhalten ist somit, dass die Isle of Pines in der französischen Rezeption in ein politisches Spannungsfeld zwischen niederländischen und französischen Interessen, zwischen Republikanern und Royalisten, zwischen Calvinisten und Katholiken gerät, wobei die katholischen Royalisten im Cramoisy-Druck die Faktizität des Entdeckungsberichts hervorkehren und den skandalösen Rest der Erzählung weitestgehend ausblenden, die republikanischen Calvinisten bei Gogat dagegen die mögliche Fiktionalität und den moralischen Gehalt der Erzählung durch Framing in den Vordergrund rücken. Dahinter stehen sicher einerseits theologische Differenzen bezüglich des unterschiedlichen Eheverständnisses, wohl aber auch ein tiefergehendes Wissen um die politischen Implikationen der nevilleschen Satire.

7 Georg Greflingers Fortsetzungsroman im Nordischen Mercurius

Parallel zur französischen Verbreitung der Isle of Pines-Geschichte beginnt auch diejenige im Reichsgebiet. Erst mit gehöriger Verspätung hat die Forschung realisiert, dass die Vermittlung hier über Georg Greflingers Hamburger Nordischen Mercurius verläuft (Neville 1668n). Bis zu Mackensens Untersuchung von 1960 und auch noch danach hielt man die Frankfurter Edition von Wilhelm Serlin für den frühesten deutschen Druck (Neville 1668p).Footnote 29 Hamburg war allerdings der wichtigste Vermittlungsort für niederländische Publikationen in Deutschland.Footnote 30 Was Greflingers Publikation innovativ macht, ist die Integration in sein Nachrichtenorgan, ohne dass die Faktizität der Geschichte dabei betont wird. Mackensen sieht darin geradezu einen Beginn des Feuilletons, da die Erzählung als spannungsgetriebene Fortsetzungsgeschichte präsentiert wird (1960, S. 36). Das hat allerdings nichts mit Nevilles mehrstufiger Publikation zu tun. Greflinger hatte zuvor schon öfter mit Fortsetzungsberichten gearbeitet (Mackensen 1960, S. 13, Anm. 25). Er übersetzt wie alle anderen den ersten Teil Nevilles nach den niederländischen Vorlagen inklusive des bei Vinckel zunächst fehlenden Teils und bringt dies in drei Fortsetzungen am 17., 21. und 24. Juli 1668, großteils also noch vor Nevilles eigener Fortsetzung vom 22. Juli.

Laut Mackensen füllt Greflinger mit der Streckung der Geschichte auch das Nachrichten-Sommerloch (1960, S. 12). Das wird in seiner einleitenden Überschrift zum ersten Teil deutlich, die lautet: „ES ist vor dieses mahl von hinnen nichts anders / als eine wunderliche und auch fast lustige alte Geschichte zu vermelden“ (Neville 1668n, S. 435).Footnote 31 Angesichts der Tatsache, dass die Geschichte ganz weitgehend als Entdeckungsbericht verbreitet und gelesen wurde – man denke an den fast gleichzeitig erschienenen Cramoisy-Bericht – ist diese initiale Einleitung Greflingers, die am Tag vor dem Leidener Druck für Gogat erscheint und die ebenfalls literarische Aspekte hervorhebt, durchaus erstaunlich. Andererseits kannte Greflinger sich im Nachrichtenwesen gut aus und war ein journalistischer Profi, was zu einem guten Urteilsvermögen bezüglich der Glaubwürdigkeit der Geschichte beigetragen haben dürfte (Dröse 2015, S. 87–88 u. ö.).

Greflingers Aufspaltung der Erzählung ist sehr ungleichmäßig. Der erste Teil vom 17. Juli gibt nur die Schiffsreise wieder, der größte zweite Teil am 21. Juli enthält den Schiffbruch, die Inselbeschreibung und das Verführungsgeschehen, der dritte Teil vom 24. Juli schließlich im Wesentlichen die Einzelheiten der Fortpflanzung der Gemeinschaft. Der mittlere Teil wird folgendermaßen eingeleitet:

Hiermit folget die sehr verlangte Continuation der angefangenen Beschreibung von der Insul Pines und selbigen Volcks mächtiger Vermehrung.

Es wird hiermit fast vorgestellt

Das Bildnis von der ersten Welt (Neville 1668n, S. 441–442).

Auch Greflinger deutet also die Ähnlichkeit der Erzählung zur biblischen Vätergeschichte an.Footnote 32 Abgesehen von dieser knappen Rahmung ist die Übersetzung weitgehend treu. Greflingers Text wird in der Folge zur Vorlage weiterer Hamburger Ausgaben, die er teilweise selbst herausgegeben hat, und von frühen Drucken in Dänemark und Schweden.Footnote 33 Unter anderem bildet er auch die Vorlage für den größten Teil des Frankfurter Drucks von Wilhelm Serlin. Serlin lag offenbar die erste Folge des Nordischen Mercurius vom 17. Juli nicht vor, da er für den Anfangsteil eine eigene Übersetzung nach der ersten Vinckel-Übersetzung bringt, im Anschluss aber wörtlich Greflinger wiedergibt. So übernimmt er von Vinckel noch die dort fehlerhafte Angabe der Tonnage von 150, die bei Greflinger korrekt als 450 wiedergegeben ist.

8 Textvariationen in Fakten und Verführungsgeschehen

Es gibt eine Reihe textlicher Veränderungen, denen ich in den verschiedenen Übersetzungen nachgegangen bin und die in unterschiedlicher Weise signifikant sind. So kann man an der fehlerhaften Angabe der 150 Tonnen des SchiffsFootnote 34 und an der fehlenden längeren Textpassage erkennen, welche Texte den ersten Vinckel-Druck benutzten und somit als besonders frühe Übertragungen gelten können. Dazu zählen der Cramoisy-Bericht und vermutlich auch einige in der Pariser Nationalbibliothek verzeichnete Drucke aus Paris, Rouen und Lyon, die bisher von der Forschung noch nicht zur Kenntnis genommen wurden.Footnote 35 Der Lyoner Druck spricht von „150 tonneaux“ (Neville 1668m, S. 3). Nicht dazu zählt Greflinger und davon abhängige Varianten, dafür aber der erste Teil der Übersetzung von Serlin, die auch sonst recht fehlerhaft ist und Mühe mit dem Niederländischen hat. So übersetzt er Nevilles „Dutch ship“, das bei Vinckel „een Duytsch Schip“ ist, als „ein Teutsches Schiff“.Footnote 36

Eher von politischer Relevanz ist eine andere, bisher nicht beschriebene Modifikation. Der Niederländer Vinckel verändert die nevillesche Aussage, George Pine habe seinen Sohn als „King and Governor“ (Neville 1668a, S. 15) der Inselbewohner eingesetzt, in „Heer en Vooght“ (Neville 1668d, S. 8), spricht also nicht von einem Königtum. Næranus dagegen übersetzt korrekt „Koning en Gouverneur“ (Neville 1668f, S. 18). Die Wendung „Herr und Vogt“ zieht sich auch durch die deutschen Übersetzungen.Footnote 37 Die frühe in Amsterdam gedruckte Relation de la découverte spricht, obwohl sie auf Næranus beruht, lediglich vom „Chef sur tout le Peuple“ (Neville 1668h, S. 10), vermeidet also den Königstitel aus der Vorlage. Die in Lyon gedruckte Übersetzung formuliert ähnlich unverfänglich „Seigneur & Maistre“ (Neville 1668m, S. 11), eng im Anschluss an Vinckels „Herr und Vogt“, und die Cramoisy-Ausgabe lässt die Passage gänzlich weg (Neville 1668l). Nur die offensiv antimonarchistische Ausgabe von Gogat aus Leiden hat wie Næranus die korrekte Wiedergabe der ursprünglichen englischen Fassung „Roy, ou Gouverneur“ (Neville 1668i, S. 40). Man darf annehmen, dass mit dieser Betonung des Königtums die Pine’sche Anmaßung aus republikanischer Perspektive bewusst hervorgehoben werden sollte.

Einige Differenzen zeigen sich auch bei der Schilderung und Begründung des polygamen Verführungsgeschehens. Dieses ist bei Neville mit einigen Details, aber doch recht knapp erzählt und wird von den meisten Übersetzungen textnah wiedergegeben. Eine Ausnahme bildet Cramoisy (Neville 1668l), der alles zu einem kurzen Satz zusammenstreicht. Manche Übersetzungen neigen dagegen zu Ergänzungen und Ausschmückungen von Motiven. Bei den niederländischen Vorlagen sind dies die Rotterdamer Næranus-Ausgabe und in der Folge auch die textidentische zweite Vinckel-Ausgabe, ferner der republikanische Gogat und in Deutschland die Wahrhafftige Beschreibung des neu erfundenen Pineser Eylands (Neville 1668q). Als Ausgangspunkt der erotischen Entwicklungen nennt Neville „Idleness and Fulness of every thing“, das bei Pine ein „Desire of enjoying the Women“ verursacht habe (Neville 1668a, S. 10). Næranus geht weiter und spricht von Pines Begierde, die Frauen ‚zu sich zu nehmen und zu benutzen‘.Footnote 38 Während die Amsterdamer Relation von „susceptible de plaisir“ spricht (Neville 1668h, S. 7), beobachtet die Lyoner Ausgabe „quelque amoureuse ennui pour les filles“ (Neville 1668m, S. 9), was Pine zu Freizügigkeiten veranlasst habe. Gogats Held dagegen beschreibt, dass er „comenca à me rendre convoiteux, à me faire devenir lascif, & à me porter à souhaiter violemment le commerce avec le sexe“ (Neville 1668i, S. 29). Næranus und Gogat betonen das Drängende des Begehrens und explizit dessen sexuelles Ziel, während die anderen sich auf Euphemismen wie plaisir oder amoureuse ennui beschränken.

Diese Forcierung und größere Explizitheit der Darstellung bei Næranus und Gogat setzt sich fort. Während Pine bei Neville die beiden Maids einfach überzeugt, „to let me lie with them“ (Neville 1668a, S. 11), heißt es bei Næranus intimer „datze mij bij haar lieten kooijen, en te Bed gaan“ (Neville 1668f, S. 12) und bei Gogat explizit, „d’habiter avec elles“ (Neville 1668i, S. 29). Bei der Verführung durch die schwarze Sklavin – bei Neville mit besitzanzeigendem Pronomen „my Negro“ genannt – hebt Pine hervor, dass er zwar unwillig, „yet willing to try the Difference, satisfied myself with her“ (Neville 1668a, S. 11). Deutlich werden die rassistischen Vorbehalte formuliert, da es sich offenbar um einen Tabubruch handelt, zugleich aber treibt ihn ein exotisches Interesse, seine Curiositas, den Unterschied auszuprobieren, „om’t onderscheidt te proeven“ (Neville 1668d, S. 7) bzw. „a voir la difference“ (Neville 1668h, S. 7). Während die Lyoner Ausgabe diese Delikatesse auslässt, weiß es die Gogat-Ausgabe wieder genauer: „N’étant pas marri toutefois d’éprouver, sans faire semblant de rien, la difference qu’il pouvoit y avoir d’elle aux autres“ (Neville 1668i, S. 32): Da er nämlich unverheiratet sei, habe er ohne zu täuschen den Unterschied testen können, der zwischen ihr und den anderen bestehen könnte, wird detailliert und rechtfertigend erklärt. Überflüssig zu sagen, dass eine solche Art der sexuellen Curiositas in höchstem Maß bedenklich war und keineswegs eine Legitimation für die doppelte Grenzüberschreitung Pines hinsichtlich des Polygamieverbots und des Verbots der sozialen und rassischen Vermischung bieten konnte. Es zeigt sich auch hier, dass der republikanische Gogat die moralischen Fußangeln, die Neville ausgelegt hat, zielsicher hervorhebt und verschärft, während sie in den anderen französischen Texten neutral übermittelt, vermindert oder eliminiert werden.

Während die französischen Übersetzungen in die politischen und konfessionellen Konflikte verwickelt zu sein scheinen, gibt es für Deutschland keine ähnlichen Anzeichen. Bereits bei Greflinger wird von Beginn an ein curieuses Interesse an dem Fall hervorgehoben, während die politischen oder moralischen Implikationen kaum eine Rolle spielen. Auch hier intensiviert die Wahrhafftige Beschreibung die erotischen Details. Wo Greflinger schreibt, dass Pine die Mägde „leichtlich“ bereden konnte, bei ihm zu schlafen (Neville 1668n, S. 446), heißt es hier gesteigert: „die zwey Mägde hätte ich schon zu meinem willen / und schlief bey Sie so oft ich wollte“ (Neville 1668q, S. 17). Und anders als in den zurückhaltenden Formulierungen von Neville wird die Kapitänstochter hier ausdrücklich „beschlaffen“. Wenn Neville vom Verschwinden der Scham durch die Gewöhnung spricht, hat in der Wahrhafftigen Beschreibung im Stil barocker Emblematik „die gewohnheit der Scham den Kopf abgebissen“ (S. 17), was wörtlich von Vinckel übernommen ist, von Greflinger aber weggelassen wurde.Footnote 39 Noch phantasievoller schmückt Næranus die Stelle aus. Er erklärt nicht nur genau, vor wem Pine sein Tun zunächst verbarg, nämlich vor „de andere twee, als mijn Meesters Dochter, en de Negerinne“, als auch, dass man es dann öffentlicher trieb, weil niemand da war, „als wij met ons vijven“, und so oft uns „de begeerte en lust daar toe vrijdom gaf“ (Neville 1668f, S. 13).Footnote 40 Auch die exotische Curiositas bezüglich der schwarzen Sklavin wird in der Wahrhafftigen Beschreibung besonders hervorgehoben und noch deutlicher begründet als schon bei Vinckel: „wie man doch immerhin nach etwas newes ringet / und die änderung auch newen apetit wircket / also kriegte ich auch lusten nach etwas neues / und um einen Unterscheid zu prüven ließ ich mich vor dasmahl mit ihr gnügen so wol als mit die andern“ (Neville 1668q, S. 17–18). Die bei unserem Textvergleich festgestellte Neigung, die erotischen Begebenheiten zusätzlich auszuschmücken, ist ein Hinweis darauf, dass das sexuelle Skandalmotiv neben dem Entdeckungsthema einen wichtigen Impuls für die Verbreitung des Texts darstellte, wenn man auch nicht gleich von einem ‚pornographischen Deutungspotential‘ sprechen möchte (so Glauser 1999, S. 280 und ähnlich S. 288). Abwegig erscheint dagegen die Vorstellung, es solle hier ein soziales und ethnisches Gleichheitsideal utopisch erprobt werden.Footnote 41 Es besteht kein Zweifel, dass ganz im Gegenteil die sexuelle Überschreitung von Standes- und Rassenschranken als Teil der politischen Satire skandalisiert wird und soziale Distinktion und rassische Diskriminierung folglich ganz selbstverständlich und zeittypisch affirmiert werden.Footnote 42

9 „twas looked upon as a sham“ oder „Das verdächtige Pineser Eiland“

Wir sehen also durchaus unterschiedliche Motive in den verschiedenen Rezeptionslinien am Werk. Während der Text in England als getarnte politische Satire mit republikanischer Tendenz an den Start geht, gerät er in den Niederlanden und unter den dortigen Exilfranzosen, aber auch in Frankreich ins politisch-konfessionelle Konfliktfeld zwischen Calvinisten und Katholiken, Republikanern und Monarchisten, den Generalstaaten und dem Frankreich Ludwigs XIV.Footnote 43 In Deutschland läuft die Rezeption über die bürgerlichen Handelsstädte Hamburg und Frankfurt am Main, von wo sie ins gesamte Reich und bis nach Skandinavien ausstrahlt. Vorherrschend ist ein curieus-journalistisches Interesse und der Unterhaltungsaspekt einer ‚wunderlichen und fast lustigen Geschichte‘.

Parallel dazu persistiert aber auch das Interesse an der Entdeckungsgeschichte, die als wahrhaftiger Bericht gelesen werden konnte. Im Oktober 1668 erscheint ebenfalls in Hamburg eine anonyme Schrift mit dem Titel Das Verdächtige Pineser-Eyland. Der Autor Magnus Gartner beklagt „das harte Verbrechen des kühnen Insul-Dichters“, dem er „die Larve nach Verdienst“ abzuziehen verspricht (Gartner 1668, Widmungsvorrede) und bezweifelt die Wahrheit des Isle of Pines-Berichts, indem er seine Widersprüche detailliert aufzählt und ausführlich diskutiert. Angelsächsische Forscher haben wiederholt über Gartners Pedanterie und seinen mangelnden Humor gespottet.Footnote 44 Gartners erstes Argument allerdings besticht sogleich in philologischer Hinsicht. Er weist darauf hin, dass „Pines“ offenbar ein Anagramm für „Penis“ darstelle, was treffend sei, gehe es doch in der Erzählung tatsächlich um dessen erstaunliche Zeugungskraft (Gartner 1668, § I).

Gartners argumentative Anstrengung belegt, dass die angebliche Faktizität der Geschichte tatsächlich eine starke Anziehungskraft auf die Leser ausübte und den Rezeptionsprozess erheblich beeinflusste. Dies geschah unbenommen der Tatsache, dass man von Beginn an auch an ihrer Wahrhaftigkeit zweifeln konnte. Auf dem Titelblatt des Exemplars der Bodleian Library ist eine frühe handschriftliche Notiz überliefert, wonach die Erzählung sogleich „[ ]was looked upon as a sham“ (Neville 1668c), als eine Scharlatanerie. In der Folge wurde sie in England geradezu sprichwörtlich für eine Lügengeschichte (Mahlberg 2012, S. 5–6). Offenbar stieg die Glaubwürdigkeit mit zunehmendem Abstand vom Ursprungsort. Manche waren der Meinung, Gartners Widerlegung habe keine Wirkung gehabt.Footnote 45 Dennoch war die Glaubhaftigkeit der Geschichte in recht kurzer Zeit erschüttert. Zweifel sprachen sich herum. Der französische Gelehrte Henri Justel erfährt bereits im August 1668, dass sein ursprünglicher Glaube an die Geschichte unberechtigt war.Footnote 46 1685 charakterisiert Christian Weise die Erzählung in seinen Lektürenotizen Schediasma curiosum als Fiktion und fügt Gartners anagrammatische Auflösung des Namens als „Penis“ hinzu, die ihm offenbar überzeugend erschien.Footnote 47

Bemerkenswert ist jedenfalls die Tatsache, dass die nevillesche Fortsetzung und ihre Kompilation mit dem ersten Teil keine einzige europäische Übersetzung mehr gefunden hat. Angesichts des publizistischen Hypes um den ersten Teil ist das mehr als erstaunlich. Mahlberg vermutet überzeugend, dass mit dem baldigen Wegfall der Glaubhaftigkeit der Geschichte auch das Interesse an ihr verfiel und sie kaum noch verkäuflich war (Mahlberg 2012, S. 5). Auch die Negativierung des patriarchalen Gesellschaftsmodells der Isle of Pines, die in Nevilles Fortsetzung detailliert entfaltet wurde, mochte für die begeisterten Leser der Geschichte desillusionierend und wenig attraktiv gewesen sein, zumindest in der Perspektive der potentiellen Verleger, die die Finger davon ließen.

10 Epilog: Grimmelshausens katholische Kontrafaktur

Eine weitere zeitnahe Pointe der Geschichte setzt Hans Jacob Christoffel von Grimmelshausen mit seiner Continuatio des abentheurlichen Simplicissimi, in der er sich die Isle of Pines zum Vorbild der Einsiedelei seines Helden auf der sogenannten Kreuzinsel und damit für den Abschluss seines großen Romans nimmt (vgl. dazu ausführlich Borgstedt 2019). Als Quelle kommt auch für ihn die Wahrhafftige Beschreibung (Neville 1668q) infrage.Footnote 48 Dafür spricht, dass dieser Druck als einzige europäische Übersetzung die paratextuelle Struktur der englischen Fortsetzung (Neville 1668b) zumindest rudimentär aufgreift. Nevilles Fortsetzung enthält den Bericht eines fiktiven holländischen Schiffskapitäns Cornelius van Sloetten, der die autobiographische Aufzeichnung des George Pine nach Europa gebracht haben soll. Der wichtige Aspekt ist in einem Holzschnitt der kompilierten englischen Ausgabe sogar bildlich dargestellt mit der Bildunterschrift „The Dutch ship taking the writing“ (Neville 1668c). Dieser Handlungszusammenhang wird von Grimmelshausen erstaunlicherweise exakt übernommen, obwohl er das englische Original kaum kennen konnte. Seine ebenfalls autodiegetische Continuatio schließt bekanntlich mit einer „Relation Jean Cornelissen von Harlem eines Holländischen Schiff-Capitains“. In der Kapitelüberschrift zu Kap. XXIV heißt es, dieser Kapitän „kombt auff die Jnsul / und macht mit seiner Relation diesem Buch einen Anhang“.Footnote 49 Grimmelshausens „Anhang“ entspricht damit nun allerdings in der narrativen Struktur der mehrperspektivischen Darstellungsweise in Nevilles Fortsetzung. Inhaltlich gibt es nur eine Parallele zwischen den beiden Kapitänsberichten, nämlich das entscheidende Handlungsmotiv, dass die Inselaufzeichnungen so ihren Weg nach Europa finden konnten. Einen entsprechenden, expliziten „Anhang“ hat allerdings als einzige Übersetzung der Isle of Pines die Wahrhafftige Beschreibung (Neville 1668q), weshalb bereits Günther sie für Grimmelshausens Vorlage hielt. Dieser trägt die Überschrift „Anhang Oder eine Erzehlung dessen / was man aus eines Bohtsmans Munde / so selbst in Persohn mit am selbigen Eylande soll gewesen seyn / glaubwurdig hat vernommen“ (Neville 1668q, Anhang).Footnote 50 Der Übersetzer hat darin nicht den nevilleschen Kapitänsbericht wiedergegeben, sondern lediglich die Inselentdeckung durch Holländer und die Textübermittlung nach Europa in einem kurzen Bericht in der dritten Person angehängt. Der gesamte Text sei nach dem holländischen „zu Amsterdam und Rotterdam“ gedruckten Exemplar übersetzt und „auch mit dem Englischen Exemplar […] collationiret und übereinstimmig befunden worden“, heißt es in der Vorrede (Neville 1668q, Vorrede, S. 4)Footnote 51 und im Anhang sogar, die Begebenheit sei „aus dem Englischen / aller Welt zur Verwunderung / ins Teutsche“ übersetzt (Neville 1668q, Anhang, S. 4). Die Wahrhafftige Beschreibung trägt keinen Ort und kein Jahr.Footnote 52 Hippe (1893, S. 85–88) vermutet einen niederdeutschen Übersetzer, der die deutsche Sprache nicht sehr gut beherrschte. Er hält die Übersetzung für ungeschickt und weist zahlreiche stehengebliebene holländische Wörter nach, die im Deutschen unüblich waren. Insofern könnte der Übersetzer selbst sogar Niederländer gewesen sein. Der Hamburger Magnus Gartner schildert die Umstände dieses Drucks detailliert:

Selbige Relation hat man zu erst in denen ordinarien Zeitungen oder Avisen gehabt / und weil sie / als etwas neues / jederman / sonderlich die Handels-Leute und Seefahrenden / in Verwunderung gezogen / als hat man / in Ermangelung der Exemplaren / selbige Insul-Beschreibung in Octavo Teutsch herauß gegeben / und sie die warhafftige Beschreibung des neu-erfundene PINESER-Eylandes betitult. Kaum hat diese Charteck ans Licht können gesetzet werden / daß nicht die Exemplaria sehr häuffig gekaufft worden / und reichlich abgegangen. Ja es sind unterschiedene Handels-Leute schon beredet gewest / ob hätte man die Antwort und die Nachricht eintzig und allein von denen des Orts in See gehenden Schiffen zu erwarten. (Gartner 1668, Leservorrede, A iiijv)

Gartner formuliert damit einen wichtigen zeitgenössischen Kommentar zur Publikations- und Rezeptionsgeschichte.Footnote 53 In seiner Darstellung ist mehrfach von Seefahrern „des Orts“ als Rezipienten und Lesern dieser Ausgabe die Rede. Dies und das Vorliegen eines englischen Originals bei der Übersetzung könnte entgegen bisheriger Annahmen auf Hamburg als Druckort auch dieser Ausgabe hinweisen.Footnote 54

Dass Grimmelshausen dieser ‚häufig abgegangene‘ Druck des Sommers 1668 zeitnah während der Abfassung seiner Continuatio untergekommen sein konnte, wird durch die Rekonstruktion des Postwegs von Frankfurt nach Straßburg gestützt, die Cornel Zwierlein (2019, S. 173–179) vorgenommen hat. Dieser Weg führte über das Postamt Rheinhausen (rechtsrheinisch gegenüber Speyer) unmittelbar über Renchen, wo allerdings kein Stopp vorgesehen war, nach Straßburg, was Grimmelshausen eine recht gute Anbindung an das zeitgenössische Zeitschriften- und Nachrichtenwesen ermöglichte und ihm auch unmittelbaren Zugang zur Wahrhafftigen Beschreibung aus Hamburg (oder Frankfurt) verschafft haben konnte.

Bei Grimmelshausens Adaptation der Geschichte handelt es sich um keine Übersetzung, sondern um eine literarische Verarbeitung, einen Fall komplexer Intertextualität. Die sogenannte ‚Kreuzinsel‘, auf der der pikarische Protagonist seines Simplizissimus-Romans mit Namen Simplicius in der im Folgejahr 1669 erschienenen Continuatio dieses Romans seine Wanderschaft als Einsiedler beschließt, stellt geradezu eine asketische Kontrafaktur der Isle of Pines dar und gehört folglich unmittelbar zu deren Rezeptionsgeschichte. Grimmelshausen eliminiert gegenüber der nevilleschen Vorlage das Polygamie-Thema und die zugehörigen Frauen und lässt lediglich anstelle der schwarzen Sklavin eine „Abysiner Christin“ auf seiner Insel angeschwemmt werden (Grimmelshausen 1989, S. 662). Diese tritt wie bei Neville als Verführerin auf, führt allerdings nicht den inzwischen moralisch gefestigten Simplicius in Versuchung, sondern dessen wankelmütigen Gefährten Simon Meron, der zu George „Joris“ Pine eine nicht nur anagrammatische Verwandtschaft besitzt (vgl. Borgstedt 2019, S. 209). Dieser Simon Meron ist der ins Negative gekehrte Stellvertreter des George Pine auf Grimmelshausens Kreuzinsel, der allen möglichen Lastern von der Wollust über die Geldgier bis zur Alkoholsucht verfallen ist. Indem die Abessynerin Simon Meron zu einem Mordkomplott auf Simplicius überredet, ist die Negativität der ‚schwarzen Sklavin‘ Pines bei Grimmelshausen geradewegs dämonisiert. Sie entpuppt sich als teuflisch und tritt mit Feuer und Schwefeldampf ab, als Simplicius das Kreuz über ihr schlägt (Grimmelshausen 1989, S. 666). Die pinesische Weiberherrlichkeit wandelt sich hier zu einer teuflischen Versuchung des christlich bekehrten Simplicius, der dieser jedoch unbehelligt widersteht.

Grimmelshausen ist wohl der erste und vielleicht einzige katholische Rezipient der Pines-Geschichte in Deutschland. Er erkennt zweifellos deren fiktionale Natur sowie ihre moralische Anstößigkeit und nimmt sie zum Anlass eines radikalen poetischen Gegenentwurfs. Der Inseleremit Simplicius ist dabei geradezu als Anti-Pine gestaltet. Während der Cramoisy-Übersetzer in Paris die anstößigen polygamen Elemente der Erzählung weitgehend eskamotiert und hinter ihrer hervorgekehrten Faktizität zum Verschwinden bringt, verwandelt Grimmelshausen das Kernmotiv der ‚Penis-Insel‘ in eine phantastische Wunder-Erzählung von einer christlich-katholischen ‚Kreuzinsel‘, die deren anstößiges Potential radikal umkehrt. Bemerkenswert ist, dass Grimmelshausen und Cramoisy die prominentesten katholischen Reaktionen auf den Text darstellen. Beide Autoren haben in ganz unterschiedlichen Kontexten die Provokation der Isle of Pines wahrgenommen und sie auf eine sehr unterschiedliche Weise textuell zum Verschwinden gebracht. Während Cramoisy den Nachrichtenwert der Entdeckungsgeschichte bewahren will, interessiert dies Grimmelshausen offenbar nicht. Er erkennt vielmehr das literarische Potential der farbenfrohen Inselerzählung für seinen Romanschluss in ihrer Anschließbarkeit an das für ihn wichtige Einsiedlermotiv. Dies führt ihn zu seiner umfassenden Kontrafaktur und Austreibung der nevilleschen Polygamie- und Fortpflanzungsthematik. Auch dies unterstreicht die Relevanz der politisch-konfessionellen wie der literarischen und publizistischen Kontexte für die Rezeption und Adaptationspraxis der frühneuzeitlichen Erzählung. Und es zeigt auch, dass die meisten Autoren sehr wohl erkannten, mit welcher Art von Erzählung sie es zu tun hatten.