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Das vormoderne China kannte keine Disziplin der Rhetorik, schon gar nicht in der Systematik eines Aristoteles, eines Cicero oder Quintilian. Das in der griechisch-römischen Antike entwickelte und bis Ende des 18. Jahrhunderts als Fundament gehobener Bildung dienende Trivium aus Grammatik, Logik und Rhetorik ist China fremd, Rhetorik als Wissenschaft wurde hier erstmals unter europäischem Einfluss betrieben. Im Gegensatz zur griechisch-römischen Tradition haben die öffentliche Rede, vor allem die Gerichtsrede, und die öffentliche Debatte keine wesentliche Rolle gespielt. Große Redner, wie sie aus Griechenland und Rom bekannt sind, sind nicht fassbar. Das meiste des über die chinesische Rhetorik Bekannten betrifft die dritte ihrer fünf Produktionsstadien: die elocutio, die Umsetzung des in der inventio gefundenen und in der dispositio ausgewählten und angeordneten Stoffes, also die literarische Rhetorik.

Weil das chinesische Altertum in Übereinstimmung mit dem Fehlen eines Lehrsystems über schwache Ansätze einer systematischen Terminologie nicht hinausgegangen ist, liegt der Gedanke nahe, in chinesischen literarischen Texten selbst nach rhetorischen Figuren oder Ausdrucksmitteln zu suchen, die in der westlichen Literatur gefunden wurden und mit lateinischen und griechischen Termini bezeichnet werden. Das hat, sich an der Systematisierung der literarischen Rhetorik durch Heinrich Lausberg (1912–1992) orientierend und auf literarische Zeugnisse der klassischen Periode des 5. bis 3. Jahrhunderts v. Chr. beschränkt, Ulrich Unger (1930–2006), langjähriger Ordinarius für Sinologie in Münster, in der als Lehrbuch konzipierten Rhetorik des Klassischen Chinesisch (1994) getan. Mit Erfolg, wie der Autor geltend macht und von vielen Dritten anerkannt wurde: „Hat man das Augenmerk einmal auf die Kunstformen der Rhetorik gerichtet, findet man sie überall. […] Was die Formen im einzelnen angeht, so zeigt sich, daß ein Großteil dessen, was von der abendländisch-antiken Rhetorik her bekannt ist, auch im Chinesischen gebräuchlich war. Daher ist es ohne weiteres möglich, die abendländisch-antiken Termini auf das Chinesische zu übertragen.“Footnote 1

Der heute gebräuchliche chinesische Begriff für Rhetorik und Stilistik ist xiuci 修辭, die Lehre von der Rhetorik heißt xiucixue 修辭學. Als systematische Wissenschaft begann xiucixue erst im 20. Jahrhundert, ihr Gründervater ist Chen Wangdao 陳望道 (1890–1977), der in Japan studiert hatte, wo Ende des 19. Jahrhunderts der Terminus shujigaku (chin. xiucixue) als Übersetzungswort für ‚Rhetorik‘ geprägt worden war. In den 1930er Jahren erschien mit dem Xiucixue fafan 修辭發凡 Chen Wangdaos ein bis heute wegweisendes Werk, das der über Huang Qingxuan 黃慶萱 in seiner Tradition stehende Klaus Joachim Horsten so skizziert: „In dem Grundriss versucht Chen Wangdao, die Vielzahl der poetologischen Termini und Theorien, welche sich auf die Formulierungsmöglichkeiten im Chinesischen beziehen, und welche die chinesischen Literaturtheoretiker im Laufe der Jahrhunderte autochthon entwickelt haben, zu sichten und zu erfassen und in die Einheit einer wissenschaftlichen Systematik zu bringen. An diesem Werk sind die meisten der Xiucixue-Bücher, von denen es in China heute eine unübersehbare Vielzahl gibt, orientiert.“Footnote 2 Horsten selbst vermeidet die Rückübersetzung von xiucixue in „Rhetorik“ und zieht stattdessen das wörtliche „Lehre vom Zurechtlegen der Worte“ oder auch „Lehre von den Wortzurechtlegungsmustern“ vor und erklärt: „Im deutschsprachigen Raum gibt es kein Äquivalent zu dieser Art Lehre.“Footnote 3 – Mit seiner durch Beispiele aus der gesamten chinesischen Literaturgeschichte entnommenen Vorstellung von dreißig „Wortzurechtlegungsmustern“ sensibilisiert Horsten für Feinheiten, die in der sinologischen Texterfassung meistens übergangen werden, wenn nicht unerkannt bleiben. Gleichzeitig und im Gegensatz zu Unger konfrontiert er (westliche) Leserinnen und Leser mit befremdlichen Termini der chinesischen xiucixue: „gantan ‚Gefühlsseufzer‘“, „shewen ‚Fragenstellen‘“, „moxie ‚Beschreiben‘“, oder auch „cuozong ‚Verhedderung‘“, „daozhuang ‚wechselndes Umhüllen‘“, „tiaotuo ‚Springen und Auslassen‘“, um nur die ersten und die letzten der dreißig von Horsten vorgestellten und im Anhang seiner Arbeit synoptisch präsentierten Begriffe zu nennen. Man erkennt hier ohne weiteres, welche und wie viele Diskussionen die Frage anstoßen kann, ob – wie Unger es tat – bei der Interpretation stilistisch anspruchsvoller chinesischer Texte festen und eingeführten westlichen Termini der Vorzug zu geben oder nicht standardisiertes, ungewohntes chinesisches Vokabular zu favorisieren sei.

Wenn China keine der abendländischen Tradition vergleichbare systematische Rhetorik hervorgebracht hat, wenn Rhetorik ebenso wenig wie Logik und Grammatik ein Unterrichtsfach war und die Kunst des gepflegten (schriftlichen) Ausdrucks eher am Beispiel vermittelt und eingeübt wurde, lässt sich das auf eine häufig beobachtete Feststellung reduzieren: In der chinesischen Kultur hat das Schriftliche über das Mündliche dominiert. Der japanische Wissenschaftshistoriker Nakayama Shigeru (1928–2014) findet in der Interpretation dieser Tatsache fundamentale Unterschiede zwischen der wissenschaftlichen Tradition des chinesischen Kulturraums und der des Westens. China, auch Japan, sei herkömmlich der „documentary scholarship“, der Westen lange dem „rhetorical learning“ verbunden gewesen.Footnote 4 Die „dokumentierende Gelehrsamkeit“ sei von der frühen und relativ leichten Verfügbarkeit des Papiers in China und der dortigen frühen Erfindung des Buchdrucks im 10. Jahrhundert begünstigt worden, wenn sie auch nicht damit begonnen habe; zu ihren wesentlichen Kennzeichen gehöre das schon seit dem 7. Jahrhundert verbreitete anonym begutachtete und daher tendenziell egalitäre schriftliche Examen bei der Rekrutierung der breit gebildeten beamteten Elite sowie bei der Eignungsprüfung praktischer Berufe, während die mündliche Prüfung der „dokumentierenden Gelehrsamkeit“ fremd blieb und auch auf die Kunst des Vortrags kein Wert gelegt wurde.Footnote 5 Anders das „rhetorische Lernen“ des Westens: Aufgekommen mit den griechischen Naturphilosophen und Sophisten, blieb diese Kultur des rivalisierenden Lernens in materieller Hinsicht durch das Fehlen des Papiers als leichtem und billigem Schriftträger und der relativ späten Erfindung des Buchdrucks im Westen lange am Leben; erst die Verbreitung von Papier und Druck habe ihr Ende eingeleitet. Und während in China das schriftliche Examen Dreh- und Angelpunkt der Elitebildung war, blieben im Westen bis ins 18. Jahrhundert hinein mündliche Prüfungen und Verteidigungen von Thesen die wesentlichen Mittel von Examina, ist das flinke mündliche Parieren bis heute ein Begleiter guter Karrieren. – Aber auch darauf macht Nakayama aufmerksam: Dass die westliche Kultur des rhetorischen Lernens eine einzigartige Mobilität und einen damit einhergehenden Meinungsaustausch erforderte und ermöglichte, während die frühe Verbreitung des Buchdrucks in China und die Möglichkeit, sich für kleine Münze weiterbilden oder auch nur unterhalten zu können, mit entsprechenden Nachteilen erkauft wurde. „The early dissemination of paper and printing in China was not necessarily an aid to creative scholarly activity. […] In China printing had become common by Southern Sung times (1127–1280), so that even someone in a rural area could buy one of the printed reference books designed for examination candidates and study it by himself […]. But in the medieval West, where the lack of printing techniques made conversation and scarce manuscripts indispensable for study, scholars and students traveled from town to town in search of both. One can readily imagine the degree to which these journeys quickened the mind and accelerated the exchange of information.“Footnote 6

Die folgenden Ausführungen gelten Überlegungen des Han Fei 韓非 (ca. 280–233 v. Chr.), auch Han Feizi, „Meister Han Fei“, genannt. Er ist der Denker des chinesischen Altertums, der sich am ausführlichsten zu Fragen des politischen Beratens geäußert hat. Um die Besonderheiten seines Denkens und Argumentierens möglichst authentisch vorzustellen, wird Han Fei selbst mit seinen zwei relevanten Schriften ausführlich zu Wort kommen. Wenn diese dem deutschen Lesepublikum unter verschiedenen Aspekten befremdlich erscheinen, mag es sich mit der Vorstellung befreunden, dass sie bis in die Gegenwart zum geläufigen Bildungsgut der chinesischen Welt gehören. – Man beachte nur das Urteil des herausragenden Gelehrten und Politikers Guo Moruo 郭沫若 (1892–1978) in seinen die Gründung der Volksrepublik China begleitenden und die kommunistische Partei legitimierenden Zehn Schriften der Kritik: „Han Fei war ein äußerst kluger Mann mit außergewöhnlich scharfem, manchmal erschreckend scharfem Verstand. Wie präzise sind doch seine psychologischen Analysen des Menschseins in seinen Aufsätzen ‚Shui nan‘ und ‚Nan yan‘!“Footnote 7

1 Han Fei. Leben und Werk

Eine kurze Lebensbeschreibung in dem von Sima Qian 司馬遷 (ca. 145 -– ca. 86 v. Chr.) und dessen Vater Sima Tan (gest. 110 v. Chr.) verfassten eminenten Geschichtswerk Aufzeichnungen der Historiographen, Shiji, enthält einige biographische Informationen über Han Fei. Sie sind verbunden mit einer ansatzweisen Deutung seines Schaffens und einer Interpretation seiner Persönlichkeit und nicht frei von Ungereimtheiten: Han Fei entstammte dem Königsgeschlecht des Staates Han, dessen Namen er trägt, es ist aber unklar, welcher König sein Vater war. Der Teile des heutigen südlichen Shanxi und des nördlichen Henan ausmachende Staat Han sah sich im 3. Jh. v. Chr. erheblichem außenpolitischen Druck ausgesetzt und verlor Teile seines Hoheitsgebietes an den mächtig aufsteigenden Staat Qin, der schließlich im Jahr 230 v. Chr., also bald nach Han Feis Tod, das Königreich Han kassieren sollte. Dem folgte innerhalb eines Jahrzehnts die Einverleibung von weiteren fünf einst bedeutenden Staaten der chinesischen Oikumene, bevor 221 v. Chr. die bekannte Reichseinigung unter dem Ersten Kaiser vollzogen werden konnte.Footnote 8

Die Lebensbeschreibung betont dreierlei für unseren Zusammenhang Wichtiges: Erstens habe Han Fei sich das Schicksal seines bedrängten Heimatstaates angelegen sein lassen und politikberatend Einfluss zu nehmen versucht. Zweitens sei er ein Stotterer gewesen, habe sich aber gut auf den schriftlichen Ausdruck verstanden.Footnote 9 Drittens wird eine Han Feis Leben bis zuletzt überlagernde Bekanntschaft herausgehoben. Nämlich die mit dem nahezu gleichaltrigen, aus Chu stammenden Li Si 李斯 (ca. 280–208 v. Chr.), die auf die Zeit gemeinsamen Studiums unter dem eine Generation älteren Xun Qing 荀卿 (ca. 316–ca. 237 v. Chr.) zurückgeht. Dessen Zeitpunkt lässt sich mit großer Wahrscheinlichkeit in die Jahre zwischen 255 v. Chr. und 247 v. Chr. datieren, die Studenten waren damals schon nicht mehr ganz jung, ihr Lehrer ein betagter Mann.Footnote 10 Das Shiji versichert, das Verhältnis zwischen den beiden Studenten sei von einem Gefühl der Inferiorität auf Seiten des Li Si geprägt gewesen, aber es bestimmt dieses nicht genauer und lässt zweifeln, ob mit dem Gefühl der Schwäche tatsächlich intellektuelle Unterlegenheit gemeint sei.Footnote 11

Viel wichtiger scheint mir indes der Hinweis auf das Stottern Han Feis. Mit Sicherheit darf angenommen werden, Sima Qian habe das Stottern als wesentliche, wenn nicht die Eigenschaft Han Feis schlechthin betrachtet,Footnote 12 und es ist deshalb naheliegend, seinen Sprachfehler psychologisierend zu deuten und ihm das Lebensgefühl des Außenseiters zuzuweisen, wie es etwa Lundahl getan hat.Footnote 13 Aber vielleicht hält diese Deutung doch nicht stand. Womöglich wollte Sima Qian mit dem Verweis auf sein Stottern auf Han Feis Talente jenseits der flinken Zunge hindeuten: auf eine herausgehobene analytische Begabung etwa, auch auf Charakterstärke eines Mannes, der sich nur stockend am Gespräch beteiligen konnte und dennoch das Wort ergriff. Jedenfalls auf vertiefte Bildung und, wie erwähnt, einen guten schriftlichen Ausdruck. Mit nahezu gleichlautender Formulierung beschreibt Sima Qian nämlich auch den eminenten Dichter Sima Xiangru 司馬相如 (179–117 v. Chr.): „Er stotterte, aber er verstand sich auf das Abfassen von Schriften.“Footnote 14 Noch viel stärker kehrte Yang Xiong 楊雄 (53 v. Chr.–18 n. Chr.), auch er ein Dichter ersten Ranges und einer der eigenwilligsten Denker des chinesischen Altertums, seinen eigenen Sprachfehler heraus, als er in seiner Autobiographie sein Stottern in einer Reihe mit entschieden positiven Wesenszügen nannte und sich als aufrechten Einzelgänger darstellte: „Ich habe einen weiten Überblick, es gibt nichts, was ich nicht gelesen hätte. Als Mensch bin ich locker und entspannt, ich stottere und kann nicht rasch sprechen, ich bin schweigsam und gebe mich gerne tiefgehenden Gedanken hin, ich bin ruhig und greife nirgends ein, habe wenige Begierden, bin nicht hinter Reichtum und Ehren her, lass mich von Armut und Geringheit nicht beunruhigen, und ich bemühe mich nicht, meine Kanten abzuschleifen, um mir in meiner Zeit einen Namen zu machen.“Footnote 15

Die von Sima Qian verbürgten Lebensstationen Han Feis sind rasch aufgezählt. Unter dem Eindruck des außenpolitischen Drucks auf seinen Heimatstaat, der „Schwächung durch Gebietsverluste“, habe Han Fei sich „mehrfach mit schriftlichen Mahnungen an den König von Han gewandt“, der ihn aber aus unbekannten Gründen „nicht in Dienst nehmen konnte“, wie es euphemistisch heißt.Footnote 16 Erst nachdem der Staat Qin seine Angriffe auf den Staat Han verstärkt hatte, wurde Han Fei in Dienst genommen und mit einer Gesandtschaft an den Hof von Qin betraut, wo der nachmalige Erste Kaiser Chinas als König herrschte. Das war um 234 v. Chr. Über die Hintergründe der Gesandtschaftsreise und die Aufgaben des Botschafters ist nichts verbürgt, aber viel gemutmaßt worden: Möglicherweise wurde Han Fei, an dessen Schriften der König von Qin Gefallen gefunden hatte (s. u.), an den Staat Qin „verkauft“, um weitere Angriffe auf Han abzuwehren, möglicherweise sollte er auch die Einstellung der Angriffe von Qin auf Han erwirken.Footnote 17 Wie dem auch sei, fand das Leben des Han Fei in Qin ein Ende. Er starb im Gefängnis, von seinem einstigen Mitschüler Li Si in den Freitod getrieben.

Außer über sein Leben informiert Sima Qian auch über Han Feis Werk. Er macht eine Angabe über seinen Umfang, den er mit „mehr als zehn Mal zehntausend Wörtern“ angibtFootnote 18, und liefert damit ein wichtiges Indiz dafür, dass das als Han Feizi, „Meister Han“ tradierte Werk seinem Umfang nach im Laufe der Überlieferung nicht stark gewachsen ist: Der textus receptus beläuft sich auf ca. 107.000 Schriftzeichen, womit das Han Feizi ein sehr ansehnliches Opus ist, das seinem Umfang nach das Lunyu des Konfuzius, aber auch die Schriften des Mengzi 孟子 oder die von Han Feis Lehrer Xun Qing leicht in den Schatten stellt. Des Weiteren nennt Sima Qian die Titel verschiedener Schriften, die das Gesamtwerk konstituieren und bis heute die Überschriften einzelner Kapitel des Han Feizi abgeben. Für die Bestimmung der Authentizität dieser sowie inhaltlich oder sprachlich verwandter Abschnitte sind auch das wichtige Angaben.Footnote 19 Drittens zitiert Sima Qian in der Lebensbeschreibung des Han Fei und an anderen Stellen seines Shiji aus Schriften des Han Fei, lässt diesen sich also durch sein eigenes Wort selbst präsentieren; das unten eingehend zu besprechende „Shui nan wird sogar in toto vorgestellt. Viertens schließlich hebt Sima Qian hervor, Han Fei habe seine Vorschläge zu politischen Reformen schriftlich vorgebracht. Ob er damit andeuten wollte, Han Fei habe dies seines sprachlichen Handicaps wegen getan, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen, denn gewiss könnte niemand die Frage beantworten, ob seinerzeit im Allgemeinen, im Staat Han im Besonderen, der mündliche politische Rat höherstand oder doch die schriftliche Eingabe als vornehmer galt.

Unter den knappen werkbezogenen Informationen Sima Qians ragen indes seine Behauptungen über die Motive, die Han Fei überhaupt schreiben ließen, sowie zu Ort und Zeitpunkt seines Schreibens und zur Verbreitung seines Werkes heraus. Sie sind, wie eingangs erwähnt, leider nicht ganz frei von Ungereimtheiten.

  1. (a)

    In seiner Lebensbeschreibung nennt er Han Feis Werk die Überlegungen eines Zurückgewiesenen, der unter den obwaltenden Umständen und seiner Ablehnung als Berater „gelitten“ und „Bedauern empfunden“ habe und aus dieser Grundstimmung heraus „vergangene Wechsel von Erfolgen und Verlusten betrachtet“, also historische Betrachtungen über das politische Auf und Ab angestellt habe.Footnote 20 Aber will Sima Qian das für alles, was Han Fei verfasste, gelten lassen, oder ist sein Wort: „Deshalb“, wegen der besagten Zurückweisung nämlich, „verfasste er ‚Gu fen‘, ‚Wu du‘, ‚Nei wai chu[shuo]‘, ‚Shuo lin‘ und ‚Shui nan‘ in mehr als zehn Mal zehntausend Wörtern“ nur auf die hier namentlich herausgehobenen Abschnitte seines Oeuvres zu beziehen?Footnote 21 Ist also zu verstehen, Han Fei habe Schriften wie die genannten fünf verfasst, die freilich nur einen Bruchteil von zehn Mal zehntausend Wörtern zählen?

  2. (b)

    Wie erwähnt, zitiert Sima Qian innerhalb seiner Lebensbeschreibung des Han Fei dessen „Shui nan“ in Gänze.Footnote 22 Er tut dies, ohne sich einer persönlichen Bemerkung zu enthalten, wofür er aber leider abermals nur vage Worte wählte: „Han Fei wusste um die Schwierigkeiten des Überzeugens/Zuredens und ging in seiner Schrift ‚Shui nan‘ sehr in die Einzelheiten. Doch am Ende starb er in Qin, und er war außerstande, sich selbst [der Schwierigkeiten] zu entledigen.“Footnote 23 – Diese Worte aber hallen wider am Ende der Lebensbeschreibung Han Feis, wo Sima Qian bekennt: „Ich bedauere nur, dass Meister Han das ‚Shui nan‘ verfasste, ohne imstande gewesen zu sein, sich selbst [der entsprechenden Schwierigkeiten] zu entledigen.“Footnote 24

  3. (c)

    Anders äußert sich der Historiograph Sima Qian in seinen autobiographischen Notizen, die sein großes Werk beschließen. Dort zählt er Han Fei, ebenso wie implizit sich selbst, zu jenen Autoren, die aus persönlicher Not heraus und dieser trotzend sich dem Schreiben widmeten und in ihren Schriften ihrer „Verbitterung Lauf gelassen“ (fa fen 發憤) haben. So seien, sagt er „Shui nan“ und „Gu fen“ im Gefängnis in Qin entstanden.Footnote 25 Mehr sagt er nicht, im Besonderen nicht, ob „Shui nan“ und/oder „Gu fen“ als eine Art Apologie des Han Fei zu lesen sei.

  4. (d)

    Einem weiteren Zeugnis Sima Qians zufolge erreichten Schriften des Han Fei den Hof von Qin, zwei davon („Gu fen“ und „Wu du“) erregten die besondere Aufmerksamkeit des dortigen Königs, der sich daraufhin bemühte, ihren Autor kennenzulernen – ja die Interpretation ist nicht abwegig, der fortgesetzte Druck auf den Staat Qin habe dem Ziel gedient, Han Fei an den Hof von Qin zu bringen.Footnote 26

Wir müssen die nicht ganz widerspruchsfreien, im Falle des „Gu fen“ sogar eindeutig widersprüchlichen Aussagen des Sima Qian stehenlassen. Es könnte sein, Han Fei habe im Gefängnis Kapitel seines Werkes überarbeitet, die zuvor in vorläufigen Versionen in Umlauf waren. Diese Annahme ist jedenfalls wahrscheinlicher als der Gedanke, der Häftling habe erst im Gefängnis zu schreiben begonnen. Denn, um ein letztes Mal den Historiographen zu zitieren, Sima schreibt, der im Gefängnis von Qin einsitzende Han Fei „wollte sich selbst erklären, erhielt aber keine Audienz“.Footnote 27 Von hier betrachtet, ließe sich annehmen, er habe im Gefängnis eine Apologie verfasst.

2 „Shui nan“

Han Feizi 12, „Shui nan“Footnote 28

 

[A]

1

         凡說之難,

 

         非吾知之有以說之之難也;

 

         又非吾辯之能明吾意之難也;

 

         又非吾敢橫失而能盡之難也。

 

[B]

5

凡說之難,Footnote 29 在知所說之心, 可以吾說當之。

 

所說出於為名高者也, 而說之以厚利, 則見下節而遇卑賤, 必棄遠矣。

 

所說出於厚利者也, 而說之以名高, 則見無心而遠事情, 必不收矣。

 

所說陰為厚利而顯為名高者也, 而說之以名高, 則陽收其身而實疏之; 說之以厚利, 則陰用其言顯棄其身矣。

 

此不可不察也。

 

[C]

10

夫事以密成, 語以泄敗。未必其身泄之也, 而語及所匿之事, 如此者身危。

 

彼顯有所出事, 而乃以成他故, 說者不徒知所出而已矣, 又知其所以為, 如此者身危。

 

規異事而當, 知者揣之外而得之, 事泄於外, 必以為己也, 如此者身危。

 

周澤未渥也, 而語極知, 說行而有功則德忘, 說不行而有敗則見疑, 如此者身危。

 

貴人有過端, 而說者明言禮義以挑其惡, 如此者身危

15

貴人或得計而欲自以為功, 說者與知焉, 如此者身危。

 

彊以其所不能為, 止以其所不能已, 如此者身危。

 

 

       與之論大人, 則以為間己矣;

 

       與之論細人, 則以為賣重;

20

          論其所愛, 則以為藉資;

 

           論其所憎, 則以為嘗己也;

 

           徑省其說, 則以為不智而拙之;

 

           米鹽博辯, 則以為多而交之;

 

           略事陳意, 則曰怯懦而不盡;

25

          慮事廣肆, 則曰草野而倨侮。

 

此說之難, 不可不知也。

 

[D]

 

凡說之務, 在知飾所說之所矜而滅其所恥。

 

彼有私急也, 必以公義示而強之。

 

          其意有下也, 然而不能已, 說者因為之飾其美而少其不為也。

30

          其心有高也, 而實不能及, 說者為之舉其過而見其惡而多其不行也。

 

[彼]有欲矜以智能, 則為之舉異事之同類者, 多為之地; 使之資說於我, 而佯不知也以資其智。

 

          欲內相存之言, 則必以美名明之, 而微見其合於私利也。

 

          欲陳危害之事, 則顯其毀誹 [,] 而微見其合於私患也。

 

譽異人與同行者, 規異事與同計者。

35

          有與同汙者, 則必以大飾其無傷也;

 

          有與同敗者, 則必以明飾其無失也。

 

彼自多其力, 則毋以其難概之也;

 

          自勇其斷, 則無以其謫怒之;

 

          自智其計, 則毋以其敗窮之。

40

大意無所拂悟, 辭言無所繫縻, 然後極騁智辯焉。此道所得親近不疑而得盡辭也。

 

[E]

 

伊尹為宰, 百里奚為虜, 皆所以干其上也。此二人者, 皆聖人也, 然猶不能無役身以進, 如此其汙也。今以吾言為宰虜, 而可以聽用而振世, 此非能仕之所恥也。

 

夫曠日彌久, 而周澤既渥, 深計而不疑, 引爭而不罪, 則明割利害以致其功, 直指是非以飾其身。

 

以此相持, 此說之成也。

 

[F]

45

昔者鄭武公欲伐胡, 故先以其女妻胡君以娛其意, 因問於群臣: 「吾欲用兵, 誰可伐者?」大夫關其思對曰: 「胡可伐。」武公怒而戮之, 曰: 「胡, 兄弟之國也, 子言伐之何也?」胡君聞之, 以鄭為親己, 遂不備鄭, 鄭人襲胡, 取之。

 

宋有富人, 天雨牆壞, 其子曰: 「不築, 必將有盜。」其鄰人之父亦云。暮而果大亡其財。其家甚智其子, 而疑鄰人之父。此二人說者皆當矣, 厚者為戮, 薄者見疑, 則非知之難也, 處之則難也。故繞朝之

50

言當矣, 其為聖人於晉, 而為戮於秦也, 此不可不察。

 

[G]

 

昔者彌子瑕有寵於衛君。衛國之法, 竊駕君車者罪刖。彌子瑕母病, 人聞, 有夜告彌子, 彌子矯駕君車以出。君聞而賢之曰: 「孝哉!為母之故, 忘其犯刖罪。」異日, 與君遊於果園, 食桃而甘, 不盡, 以其半啗君。君曰: 「愛我哉!忘其口味, 以啗寡人。」及彌子色衰愛弛, 得罪於君, 君曰: 「是固嘗矯駕吾車, 又嘗啗我以餘桃。」故彌子之行未變於初也, 而以前之所以見賢而後獲罪者, 愛憎之變也。

55

故有愛於主, 則智當而加親; 有憎於主, 則智不當見罪而加疏。故諫說談論之士, 不可不察愛憎之主而後說焉。

 

[H]

 

夫龍之為虫也, 柔可狎而騎也; 然其喉下有逆鱗徑尺, 若人有嬰之者, 則必殺人。人主亦有逆鱗, 說者能無嬰人主之逆鱗, 則幾矣!

[A]

Bei den Schwierigkeiten des Zuredens handelt es sich nicht um die Schwierigkeit = die Frage, ob ich intellektuell (知) das Mittel finde, zugunsten von etwas zu reden; [3] auch nicht um die Frage, ob ich mit meinem rhetorischen Geschick in der Lage bin, meine Überlegungen (意) klarzumachen; auch nicht um die Frage, ob ich den Mut habe, rasch und tabufrei [ein Problem] zu erschöpfen.Footnote 30

[B]

Die Schwierigkeiten des Zuredens bestehen immer darin, das Herz (心) dessen, dem zuzureden ist, zu erkennen, auf dass mein Zureden ihm entsprechen/entgegenkommen/ihn treffen (當之) kann.Footnote 31

[6] Wenn der, dem zuzureden ist, auf Steigerung seiner Reputation aus ist, während [ich ihm] mit dickem Profit zurede, dann wird er [in mir] jemanden von niederer Integrität sehen und [mir] wie einem ganz Gemeinen begegnen, und sicher werde [ich] weit [von ihm] verstoßen.Footnote 32

Wenn der, dem zuzureden ist, auf dicken Profit aus ist, während [ich ihm] mit Steigerung seiner Reputation zurede, dann wird er [in mir] einen am Kern der Sache nicht Interessierten sehen, und [ich] werde sicher nicht angenommen werden.Footnote 33

Wenn der, dem zuzureden ist, hintenherum (陰) die Verstärkung seines Profits, aber nach außen hin (顯) die Steigerung seiner Reputation betreibt und [ich ihm] mit [Aussicht auf] Steigerung seiner Reputation zurede, dann wird er [mich] zum Schein (陽) behalten, sich in Wirklichkeit (實) aber von [mir] entfernen. Und wenn [ich ihm] mit dickem Profit zurede (den er ja heimlich wünscht), dann wird er hintenherum (陰) diesen Worten (言) folgen, doch [mich] nach außen hin (顯) fallenlassen. – [9] Das darf nicht unbeachtet bleiben.

[C]

[10] Angelegenheiten gelingen durch Verschwiegenheit und misslingen, wenn etwas durchsickert.Footnote 34 Wenn aber die Worte [des Zuredenden] eine Sache berühren, die [der andere noch] verborgen hatte, dann ist er in Gefahr, auch wenn er sie nicht persönlich durchsickern ließ.

Wenn jener [, dem zuzureden ist,] nach außen hin (顯) auf eine bestimmte Sache aus ist, vermittels ihrer aber eine andere Sache gelingen lassen will, und der Zuredende nicht nur die bestimmte Sache kennt, auf die er [nach außen hin] aus ist, sondern auch [weiß], warum er sie macht, dann ist er in Gefahr.Footnote 35

[12] Wenn man in einer besonderen Sache seine Stimme erhebt und es trifft (當) und ein Wissender es von außen abtastet und davon erfährt und [folglich] die Sache nach außen durchsickert, wird [der, dem zuzureden ist,] gewiss ihn [, der ihm zugeredet hat,] dahinter vermuten, und wenn es so ist, ist er in Gefahr.

[Angenommen, einer, der zuredet,] steht noch nicht in allumfassender Gunst, ist aber in seinen Worten (語) schon äußerst kenntnisreich: Wird dann seinen Überlegungen (說) gefolgt und sie sind von Erfolg gekrönt: dann kann er die Güte (德) [seines Herrn künftig] vergessen;Footnote 36 wird seinen Überlegungen (說) nicht gefolgt und es gibt eine Niederlage: dann wird er misstrauisch betrachtet. Wenn es so ist = in beiden Fällen aber ist er gefährdet.

Ein Geehrter geht über das rechte Maß hinaus, und einer, der zuredet (說者) stellt mit klaren Worten über Riten und Rechtlichkeit seine Schlechtigkeit bloß. Wenn es so ist, ist er in Gefahr.Footnote 37

[15] Einer der Geehrten gerät an einen Plan [eines Beraters] und möchte sich diesen selbst zum Verdienst anrechnen, doch der Zuredende (說者) gibt [anderen] Kenntnis davon. Wenn es so ist, ist er in Gefahr.Footnote 38

[Einer, der zuredet,] drängt zu etwas, was [der, dem er zuredet,] nicht leisten kann, oder hindert ihn an etwas, wovon er nicht ablassen kann: Wenn es so ist, ist er in Gefahr.

Ebenso [gilt]:

[18] Sprichst [du] zu jemandem über große Männer, dann meint er, [du] kritisierst ihn.Footnote 39

Sprichst [du] zu ihm über unbedeutende Männer, dann meint er, [du] nimmst ihn für nicht mächtig).Footnote 40

Sprichst [du] über das, was er liebt, dann meint er, [du machtest dir dein Wissen um seine Vorlieben] zum Vorteil geltend.

[21] Sprichst [du] über das, was er hasst, dann meint er, [du] wolltest ihn austesten.

Bist [du] in deinen Überlegungen direkt und ökonomisch, dann hält er dich für ungeschickt.Footnote 41

Bist du in deinen Erörterungen detailversessen, dann hält er dich für einen Aufschneider und lässt dich fallen.Footnote 42

[24] Begnügst du dich mit einem Abriss der Schwierigkeiten bei der Darlegung deiner Überlegungen (意), dann wird er sagen, du seist kleinmütig und feige und erschöptest [die Sache] nicht.

Bedenkst du alle Schwierigkeiten [ohne Tabus] und stellst sie breit dar, dann wird er sagen, du seist ein Bauer, taktlos und verletzend.

Diese Schwierigkeiten des Zuredens muss man kennen.

[D]

[27] Die Aufgabe des Zuredens besteht darin, das auszuschmücken zu wissen, worauf der, dem zugeredet wird, etwas hält, und das zu vermeiden, wessen er sich schämt. [Das heißt im Einzelnen:]

Wenn jener [, dem du zuredest,] in einer persönlichen Notlage ist, bestärke ihn, indem du unbedingt zeigst, dass/wie [die Beseitigung seiner Notlage] der allgemeinen Gerechtigkeit/dem Allgemeinwohl [dient]. Wenn er von niederer Gesinnung ist und er nicht davon ablassen kann, schmücke ihm [mit deinem] Zureden das, was er für schön hält, und erkläre ihm das, was er nicht tut, für unbedeutend. [30] Wenn ihm sein Herz nach Hohem geht, er aber in Wirklichkeit außerstande ist, dies zu erreichen, betone ihm [mit deinem] Zureden die Nachteile [davon], zeige die schlechten Seiten [seiner hohen Ziele] und bestärke ihn darin, sie nicht auszuführen.

Wenn einer sich mit Wissen und Fähigkeiten brüsten will, zitiere ich ihm weitere Präzedenzien und gewähre ihnen viel Platz. So sorge ich dafür, dass er seine Argumente von mir abhängig macht = sich auf meine Argumentation stützt und ich ihn mit Wissen versorge, während ich mich unwissend gebe. Will er (= der Berater) ihm rettende Worte auftischen, dann wird er diese unbedingt mit einem schönen Namen erhellen und in Andeutungen zeigen, dass dies mit seinem persönlichen Vorteil übereinstimmt. [33] Will er ihm eine gefahrvolle Sache darlegen (und ihn davon abhalten), dann wird er die (absehbare) Verleumdung und Kritik an ihr vor Augen führen und in Andeutungen zeigen, dass dies mit seinen persönlichen Befürchtungen übereinstimmt.

Lob’ einen spezifischen Menschen, dass [deine Empfehlung] mit seiner = des zu Beratenden [grundsätzlichen] Art zu handeln übereinstimmt, plan’ eine spezifische Angelegenheit, dass sie mit seiner [grundsätzlichen] Art zu planen übereinstimmt.Footnote 43 Wenn du dich dann gemeinsam mit ihm (ihnen?) befleckst, dann ist es wichtig zu bemänteln [und zu behaupten], dass bezogen auf das Große kein Schaden entstanden ist; [36] und wenn du gemeinsam mit ihm (ihnen?) unterliegst, dann ist es wichtig zu bemänteln [und zu behaupten], dass bezogen auf das, worin er glänzt, nichts verloren ist.Footnote 44

Wenn jener seine Stärke für unübertrefflich hält, dann unterlasse es, ihm mit seinen Schwierigkeiten (= dem, was er nicht kann) Trotz zu bieten;Footnote 45 wenn er seine Entscheidungen für mutig hält, dann erzürne ihn nicht mit seinen Fehlern;Footnote 46 [39] wenn er seine Pläne für klug hält, dann bring ihn nicht wegen seiner Niederlagen in Verlegenheit.

Deine allgemeinen Überlegungen seien nicht im Widerspruch [zum Beratenen] und deine Worte sollen dich in nichts verwickeln;Footnote 47 – wenn es so ist, wirst du in äußerster Geschwindigkeit/Freiheit klug zu ihm reden können.

Auf diesem Weg erlangst du Vertrautheit und persönliche Nähe ohne Misstrauen und kannst deine Worte ausschöpfen = alles sagen.

[E]

Yi Yin machte sich zum Hausmeier und Baili Xi ließ sich gefangensetzen, und beide taten das, um das Ohr ihres Höchsten zu gewinnen. Beides waren Weise und doch konnten sie nicht vorankommen, ohne [von selbst] ihre Dienste anzubieten: so sehr mussten sie sich beflecken. [42] Wenn ich mich nun heute mit meinen Worten zum Hausmeier oder Gefangenen mache und es gelingt, Gehör und Anstellung zu finden und die Welt aufzurütteln, dann hat sich dafür ein geeigneter Dienstling doch nicht zu schämen. Erst nachdem du schon über eine sehr lange Zeit umfassende Gunst genießt und du bei noch so tiefen Plänen nicht in Verdacht gerätst und nicht beschuldigt wirst, wenn du etwas verfichtst, kannst du klar Nutzen und Schaden einer Sache voneinander trennenFootnote 48 und [ihn] so zum Erfolg führen, kannst geradewegs auf Richtig und Falsch hinweisen und ihn somit schön dastehen lassen. Wenn [Berater und Fürst] sich auf diese Weise gegenseitig halten, dann ist das Zureden vollkommen.Footnote 49

[F]

[45] Einst wollte Herzog Wu von Zheng die [Barbaren] Hu angreifen und gab deshalb als erstes dem Fürsten der Hu seine Tochter zur Frau, um seinen Sinn zu erfreuen. Dann fragte er seine Beamtenschaft: „Ich möchte gerne Krieg führen – wer kann angegriffen werden?“, worauf sein Großwürdenträger Guan Qisi entgegnete: „Die Hu können angegriffen werden.“ Herzog Wu geriet in Zorn, ließ ihn öffentlich hinrichten und sagte: „Der Staat der Hu steht zu uns in einem brüderlichen Verhältnis. Wie kann dieser Mann da sagen, wir sollten sie angreifen?“ – Als der Fürst der Hu davon hörte, nahm er an, Zheng sei ihm verwandtschaftlich zugetan, und unterließ es daher, sich gegen Zheng zu rüsten. Zheng aber überfiel die Hu und kassierte sie.

[48] In Song gab es einen reichen Mann. Als einst durch Regen die Mauer [seines Anwesens] beschädigt worden war, sagte sein Sohn: „Wenn wir sie nicht wieder feststampfen, werden gewiss Räuber kommen“, und eben dies sagte auch ein Alter in seiner Nachbarschaft.Footnote 50 – Tatsächlich verlor [der reiche Mann], nachdem es dunkel geworden war, viel Gut [an einen Räuber]. Seine Familie aber verdächtigte den Alten in der Nachbarschaft, während sie die Klugheit seines Sohnes sehr hervorhob. Die Überlegungen (說) dieser beiden Personen waren treffend (當); wenn aber der [vormals] Geschätzte hingerichtet und der [vormals] Unbedeutende verdächtigt wurde, dann [zeigt das], dass es nicht schwierig ist, etwas zu erkennen, sondern schwierig ist, es zu platzieren (= an den Mann zu bringen).Footnote 51 Ebenso: Die Worte des Rao Zhao waren treffend, und doch wurde er in Qin hingerichtet, während er in Jin als Weiser galt. Das darf nicht unbeachtet bleiben.

[G]

[51] Einst stand Mizi Xia in der Gunst des Fürsten von Wei.Footnote 52 Nach dem Gesetz des Staates Wei wurde das unbefugte Anspannen der fürstlichen Karosse mit der Amputation eines Fußes bestraft. Die Mutter des Mizi Xia erkrankte, jemand hörte davon und berichtete es nachts dem Mizi, und der fälschte [eine Erlaubnis], die fürstliche Karosse für eine Ausfahrt anspannen zu dürfen. Als der Fürst davon hörte, würdigte er ihn: „Wie pietätvoll! Für seine Mutter ignoriert er sogar die Strafe der Amputation.“ Bei anderer Gelegenheit erging sich [Mizi Xia] mit seinem Fürsten in einem Obstgarten, biss von einem Pfirsich und befand ihn für süß, aß ihn nicht ganz auf, sondern ließ die Hälfte davon seinen Fürsten kosten. Der Fürst darauf: „Wie er mich liebt! Um mich kosten zu lassen, vergisst er sogar seinen eigenen Appetit.“ – Als aber [später], nachdem seine Schönheit verfallen und die Liebe [seines Fürsten zu ihm] erschlafft war, Mizi Xia sich gegenüber seinem Fürsten etwas zuschulden kommen ließ, sagte der Fürst: „Das ist ganz der, der einst [54] mit gefälschtem [Zertifikat] meine Karosse anspannte, und ein anderes Mal mich mit einem halben Pfirsich abspeiste.“ Also: Das Verhalten des [älteren] Mizi hatte sich gegenüber dem zu Anfang nicht geändert. Wenn ihm aber das, wofür er früher als ein Würdiger betrachtet wurde, später nur eine Verurteilung eintrug, so deswegen, weil Liebe in Hass umgeschlagen war.

Also: Solange er die Liebe seines Herrschers genoss, ‚passte seine Klugheit‘ und er gewann an Vertrautheit; sobald er von seinem Herrn gehasst wurde, ‚passte seine Klugheit nicht mehr‘, er sah sich Schuldzuweisungen ausgesetzt und wurde in wachsender Distanz gehalten. Also: Ein Herr, der mahnt und zuredet, Themen aufbringt und diskutiert, kommt nicht umhin zu beobachten, ob er es mit einem (ihn) liebenden oder hassenden Herrscher zu tun hat, bevor er zu ihm spricht.

[H]

[57] Ein Lindwurm ist ein Wurm, und solange er weich und nahbar ist, ist er [sogar] zu reiten; doch unter der Kehle hat er gegenläufige Schuppen im Durchmesser eines zhi, und wenn ihn dort jemand berührt, dann wird er ihn gewiss töten. Der Herrscher über die Menschen hat auch seine gegenläufigen Schuppen: Wenn es einem, der ihm zuredet, gelingt, die gegenläufigen Schuppen des Herrschers über die Menschen nicht zu berühren: dann hat er es schon beinahe geschafft.

Jeder Versuch, „Shui nan“ zu interpretieren, muss damit beginnen, den zu den durchschnittlich langen Abschnitten des Hanfeizi gehörenden Text formal zu erfassen. Dabei sind chinesische Editoren leider nicht sehr behilflich, denn sie haben es traditionell vorgezogen, ihre Texte nicht zu interpungieren und nicht in Absätze zu gliedern, und sie haben überdies ihre Kommentare in den Haupttext eingefügt: gerade so, als würden Fuß- und Endnoten nicht separiert, sondern dem Fließtext einverleibt und dort lediglich durch eine kleinere Schrifttype formal markiert. Moderne Editoren sind dieser Praxis häufig noch treu. Schon gar nicht bemühen sie sich, die Texte so anzuordnen, dass ihre Strukturen ins Auge fallen, wie das im vorstehenden Abdruck von „Shui nan“ versucht wird. Dort ist der Text in acht Abschnitte gegliedert.

Die seine Grob- und Feinstruktur beachtende Anordnung des Textes „Shui nan“ zeigt selbst dem ungeschulten Auge einige Auffälligkeiten: Die Abschnitte sind erstens ungleich lang. Sie haben zweitens ungleiche Strukturen. Im ersten Teil (A–D) lassen formale und inhaltliche Erwägungen einzelne Zeilen einrücken, im zweiten Teil (E–H) ist dies nicht der Fall. Etliche der eingerückten Zeilen enthalten parallele Formulierungen und korrespondieren in ihren ersten Schriftzeichen, mitunter auch (zusätzlich) in den Schriftzeichen unmittelbar nach einer durch Komma markierten Zäsur (Zeile 18 bis 24) miteinander. Konzentriert sich der Blick nur auf die mit Satzanfängen identischen Zeilenanfänge, erkennt er auch in den nicht eingerückten Zeilen auffällige Parallelen (Zeilen 6–7–8; 28–31–37). Aber auch jenseits dieser Übereinstimmungen zeigt der Text Parallelismen in einzelnen Wendungen (1–5–27 [fan shui zhi X 凡說之X]; 9–26–50–55 [bu ke bu X 不可不X]). Gerade diese gleichförmigen und sich über eine größere Distanz wiederholenden Formulierungen sind als Anzeichen wohlüberlegter Komposition des Textes zu werten. Betrachtet man zuletzt die Ebene einzelner Schriftzeichen, fallen dem etwas erfahreneren Leser bzw. der Leserin einige häufige Wiederholungen ins Auge: Die beiden Personalpronomina der ersten Person wu 吾 und wo 我, die Konsekutivpartikel ze 則, die assertorischen Partikel bi 必, auch die Prohibitive wu 無 und wu 毋 sowie die beiden titelgebenden Wörter shui 說 und nan 難. Der Autor des Textes nennt sich nie bei seinem Namen, mitunter schreibt er aus der Ich-Perspektive, mitunter redet er aus der Perspektive eines auktorialen Beobachters über eine dritte Person bzw. zu dieser. Ungenannt bleibt desgleichen der Adressat des Textes, niemand wird direkt angesprochen. Das führt zurück zu der eingangs schon zitierten Andeutung Sima Qians, „Shui nan“ sei neben „Gu fen“ im Gefängnis in Qin entstanden.Footnote 53 Wäre dann nicht der König von Qin, dessen Interesse an Schriften des Han Fei Sima Qian andernorts ja behauptet, als der intendierte Leser anzunehmen?Footnote 54 Und fügte es sich dazu nicht, wenn sich Han Fei im „Shui nan“ (Zeile 42) mit Baili Xi vergleicht, der einstens freiwillig in Gefangenschaft gegangen sei, um so das Ohr seines Fürsten zu gewinnen? Oder ist es nicht doch plausibler, mit Lundahl anzunehmen, „Shui nan“ sei, unabhängig von Ort und Zeitpunkt seiner Abfassung, für Schüler des Han Fei verfasst worden?Footnote 55 Diese Annahme könnte immerhin eine Erklärung dafür bieten, weshalb „Shui nan“ mit keinem Wort darauf eingeht, für welche inhaltlichen Überzeugungen Han Fei und der von ihm anvisierte Berater sich denn verwenden wollte und sollte: Schüler des Han Fei müssen das ja gewusst haben, ließe sich argumentieren.

Um die wesentlichen Aussagen von „Shui nan“ herauszustellen, lohnt zunächst eine Betrachtung seiner umfangreicheren ersten Hälfte (A–E). Dass mit dem Ende des Abschnitts E eine starke inhaltliche Zäsur einhergeht, zeigt der E abschließende Satz: „Wenn [Berater und Fürst] sich auf diese Weise gegenseitig halten, dann ist das Zureden vollkommen.“ „Shui nan“ dreht sich in allem um die in seinem Titel angedeutete Frage, was das Beraten – von höhergestellten Personen mit Gewalt über das Wohlergehen, wenn nicht Leib und Leben des Beraters – zu einem schwierigen Unterfangen macht. Die Feststellungen, mit denen der Text eröffnet, sind negativer Art: „Bei den Schwierigkeiten des Zuredens handelt es sich nicht um die Frage, ob ich intellektuell das Mittel finde, zugunsten von etwas zu reden; auch nicht um die Frage, ob ich mit meinem rhetorischen Geschick in der Lage bin, meine Überlegungen klarzumachen; auch nicht um die Frage, ob ich den Mut habe, rasch und tabufrei [ein Problem] zu erschöpfen.“ Diesen drei negativen Aussagen werden sodann zwei positive kontrastiert, mit denen die Abschnitte B (Zeile 5) und D (Zeile 27) eingeleitet werden. Es sind die beiden zentralen Aussagen: „Die Schwierigkeiten des Zuredens bestehen immer darin, das Herz (心) dessen, dem zuzureden ist, zu erkennen, auf dass mein Zureden ihm entsprechen/entgegenkommen/ihn treffen (當之) kann.“ (B) Und: „Die Aufgabe des Zuredens besteht darin, das auszuschmücken zu wissen, worauf der, dem zugeredet wird, etwas hält, und das zu vermeiden, wessen er sich schämt.“ (D).

Mir scheint es lohnend darauf hinzuweisen, dass „Shui nan“ verschiedentlich von dang, ‚es treffen/übereinstimmen/treffend sein‘, spricht. Das Wort hat verschiedene Nuancen. In Zeile 5 kann der Eindruck entstehen, ein Überzeugungsversuch sei erfolgreich, wenn es ihm gelinge, den zu Überzeugenden in seiner Ratio und seiner Emotio (seinem Herzen: xin) zu treffen; in Zeile 12 wird dang intransitiv verwendet, in den Zeilen 49 und 50 ist von der „Angemessenheit der Überlegungen“ (shuo/shui dang) resp. der „Angemessenheit der Worte“ (yan dang) die Rede, die für sich genommen nicht ausreichen, mit einer Überredung/Überzeugung Erfolg zu erzielen. Auch jenseits des „Shui nan“ betont Han Fei diesen Gedanken, etwa im Abschnitt „Ren zhu“.Footnote 56

Leider äußert sich Han Fei in „Shui nan“ nicht zu den Kriterien der „Angemessenheit“. Das tut er aber in dem wichtigen Abschnitt „Wu du“, mit dem er Sima Qian zufolge die Aufmerksamkeit des Königs von Qin erregte. Durch die Parallelisierung von „Angemessenheit“ und „Brauchbarkeit“ bekennt sich Han Fei dort klar als Utilitarist, der überdies dem Fürsten die Prüfung der Vorschläge seiner Berater abverlangt: „Heute verhalten sich die Fürsten über die Menschen so zu den Worten: Sie erfreuen sich der Beredsamkeit, ohne Angemessenheit zu verlangen; und wenn sie jemanden für eine Tätigkeit einstellen, lassen sie sich von seinem Ruf bezaubern, ohne Erfolg von ihm einzufordern. Somit ist jeder, der heute das Wort erhebt, um Beredsamkeit bemüht und kreist nicht um Brauchbarkeit. Daher überfüllen diejenigen [Gelehrten], die die früheren Könige empfehlen und von Menschlichkeit und Rechtlichkeit reden, die Höfe, und die Politik entkommt den [daraus resultierenden] Wirren nicht.“Footnote 57 Auch in „Liu fan“, das mit diesem an „Wu du“ erinnernden Satz endet, werden „Brauchbarkeit“ und „Erfolg“ zu Standards erhoben: „Wenn ein klarsichtiger Herrscher jemandes Worte hört, wird er unbedingt deren Brauchbarkeit einfordern, und wenn er jemandes Agieren betrachtet, wird er unbedingt dessen Erfolg verlangen. Erst dann wird nicht mehr über eitle althergebrachte Lehren geplaudert, und prahlerisches, betrügerisches Agieren wird nicht mehr geschmückt.“Footnote 58

Und ein drittes ist im Zusammenhang mit dem Postulat, der erfolgreiche Berater habe „das Herz dessen, dem zuzureden ist, zu erkennen“, erst recht aber im Zusammenhang mit der im Teil D im Detail ausgeführten Forderung, er habe „auszuschmücken“, zu thematisieren: Die Frage, ob dies als Einladung, sich den Launen des Fürsten zu fügen, zu interpretieren sei. Mir scheint das unangebracht. Eher ist Han Fei die Sorge zu unterstellen, der politische Entscheidungsträger könne die notwendige Festigkeit verlieren. Zu beachten ist, wie sich Han Fei in „Wu du“ über die Gelehrten in einem ungeordneten Staat äußert, die sich gerade auf das Ausschmücken ihrer eigenen Reden verstehen, anstatt sich in den Dienst des Fürsten zu stellen: „In einem in Verwirrung geratenen Staat ist also dies Sitte: Seine Gelehrten zitieren den Weg der früheren Könige und berufen sich damit auf Menschlichkeit und Rechtlichkeit, tragen üppige Gewänder und schmücken ihre Reden. Damit ziehen sie die Gesetze ihrer Zeit in Zweifel und spalten die Gesinnung des Herrn über die Menschen.“Footnote 59 – Beachtenswert ist es schließlich auch, wenn Han Fei jenseits des „Shui nan“ vor nicht rationaler Einflussnahme auf den Fürsten warnt. Am deutlichsten tut er das in einem Abschnitt mit dem sprechenden Titel „Acht Heimtücken“ („Ba jian“), deren vierte unsere besondere Beachtung verdient. Han Fei hat ihr den Slogan „Unheil nähren“, yang yang 養殃, zugewiesen. Sie besteht darin, dass Beamte die zum Ruin des Volkes führenden sinnlichen Freuden des Herrschers fördern und ihre „eigenen Vorteile dazwischenpflanzen“: „Der Herrscher über die Menschen freut sich an schönen Palästen und Zimmern, Terrassen und Teichen, er liebt geschmückte Knaben und Mädchen, Hunde und Pferde und erfreut damit sein Herz: Das aber ist das Unheil des Herrschers. Von ‚Unheil nähren‘ spricht man [also], wenn die Untertanen die Kraft des Volkes erschöpfen für die Verschönerung von Palästen und Zimmern, Terrassen und Teichen, wenn sie Steuern und Abgaben erhöhen, um Knaben und Mädchen, Hunde und Pferde zu schmücken und damit den Herrscher zu erfreuen und sein Herz durcheinanderzubringen, wenn sie [mit anderen Worten] seinen Wünschen folgen und [ihre] eigenen Vorteile dazwischenpflanzen.“Footnote 60

Jenseits des Inhalts aber gilt es einiges zu unterstreichen und Fragen zu stellen. Zunächst diese: Woher gewinnt der Autor seine Erkenntnisse? Wie trägt er sie vor? Duldet er Widerspruch, diskutiert er abweichende Meinungen und verteidigt seine eigene? Und weiter: Wenn sich „Shui nan“ inhaltlich in den behaupteten Aussagen erschöpft – welche argumentative und sonstige Funktion kommt dann überhaupt seiner zweiten Hälfte zu, wie verhalten sich die beiden Hälften zueinander?

Wie gewinnt Han Fei seine Erkenntnisse? Nicht im Dialog, nicht im Abwägen unterschiedlicher Positionen, er argumentiert nicht mit eigenen Erfahrungen, auch nicht etwa mit Schulwissen oder den Unterweisungen einer Autoritätsperson. Er stellt Behauptungen auf, die, häufig von assertorischen Partikeln unterstrichen, so sehr den Charakter unumstößlicher Dogmen haben, dass sie die Frage nach ihrer Richtigkeit gar nicht dulden. Streng genommen lässt sich nicht einmal sagen, Han Fei deduziere seine Maximen aus den historischen bzw. als historisch ausgegebenen Episoden, welche die zweite Hälfte des „Shui nan“ ausmachen. Denn diese Episoden sind doch nur in wenigen Strichen gezeichnet und taugen allenfalls dem schon Überzeugten als Beweise oder dem, der die von Han Fei verschwiegenen Einzelheiten kennt und seinen Interpretationen zustimmt. Doch mehr als dies, dürften die Episoden in den Teilen F, G – und erst recht H – nur bei großzügiger und die Logik nicht strapazierenden Interpretationen als ‚Belege‘ für Maximen der Abschnitte A–E heranzuziehen sein. Am deutlichsten gilt das für die Metapher der gegenläufigen Schuppen eines Herrschers, mit der die zuvor ja gar nicht vorgetragene Maxime, den Herrscher (bzw. einen zu Beratenden im Allgemeinen) nicht an seiner empfindlichsten Stelle zu berühren, formuliert wird. Aber auch Han Feis Folgerung seiner in G zitierten Episode – dass nämlich der Ratgeber beachten müsse, ob er geliebt oder gehasst werde – formuliert einen Gedanken, der zuvor (A–E) nicht in dieser Deutlichkeit ausgesprochen worden war. Und Gleiches gilt für Han Feis Folgerung aus seinen historischen Erzählungen in F: Wenn er davon spricht, die Schwierigkeit in der Kunst des Zuredens liege darin, seine Vorstellungen und deren Argumente zu „platzieren“ (chu; Zeile 49), nimmt er einen im weiteren Text nicht benutzten Begriff auf, und das ist in diesem sonst mit so vielen Wiederholungen arbeitenden Text doch auffällig. Alles in allem ist also zu konstatieren, dass die gerne in kategorischen Maximen formulierten Aussagen des „Shui nan“ und die von ihnen abgeleiteten Anweisungen in Form von Geboten und Verboten nicht weiter autorisiert werden.

Wie originell sind eigentlich die in „Shui nan“ unterbreiteten Überlegungen des Han Fei? Dies zu fragen bedeutet, dem überlieferten Werk seines zeitweiligen Lehrers Xun Qing Aufmerksamkeit zu widmen. Auch wenn beobachtet und gemutmaßt wurde, Han Fei habe es an positiven Erwähnungen seines Meisters fehlen lassen, und dies deute auf inhaltliche und vielleicht persönliche Entfremdungen hin,Footnote 61 läßt sich doch in dessen Werk Xunzi einiges für unseren Zusammenhang Relevantes finden. Vornehmlich in dessen Abschnitt „Fei xiang“, mithin in einem Kapitel, das wahrscheinlich in die Zeit datiert, als Han Fei in Lanling zu Xun Qings Schülern zählte.Footnote 62 Dort findet sich bereits der Begriff „Schwierigkeiten des Zuredens“, der Han Fei als Überschrift diente, ja man kann sich zu der Behauptung verstehen, Xun Qing habe dort den Keim der späteren Ausführungen seines Schülers gelegt. Wie der Jüngere, so sah auch er die wichtigsten Herausforderungen des Zuredens darin, den Mittelweg zu finden und sich anzupassen. „Im Allgemeinen liegen die Schwierigkeiten des Zuredens darin, dass dabei [Ideen] über das Allerhöchste dem Allerniedrigsten begegnen und [Vorstellungen der idealen Vergangenheit über] die perfekte Ordnung es mit dem ärgsten Chaos [der Gegenwart] aufzunehmen haben.Footnote 63 Es ist [daher] nicht angängig, [das Ziel] direkt anzusteuern. Führt man [Beispiele und Analogien] von weither an, besteht die Gefahr, falsch zu liegen, hält man es mit der Gegenwart, besteht die Gefahr der Banalität. Ein Experte [des Zuredens] bleibt zwischen diesen beiden: Er führt gleichermaßen [Beispiele und Analogien] von weither an, ohne falsch zu liegen, wie er, ohne banal zu werden, es mit der Gegenwart hält; er bewegt sich mit der Zeit und dem Auf und Ab der Generationen, ist mal gesetzt und mal drängend, mal überschäumend und mal zurückhaltend, er passt sich an wie [Wasser] in einem Kanal und wie [Holz] in einer Zwinge. Er muss sich gewunden ausdrücken, nur dann leiden [seine Prinzipien] keinen Schaden.“Footnote 64

In anderen Hinsichten dachte Xun Qing allerdings weiter, als Han Fei es tun sollte. Etwa wenn er ausdrücklich ein natürliches Mitteilungsbedürfnis des Menschen, besonders aber des vorbildlichen Edlen anerkannte, oder von der ästhetischen, ja der sinnlichen Kraft des gesprochenen sowie des geschriebenen Wortes wusste; auch dann, wenn er Regeln des gewinnenden Diskussionsbeitrags benannte und von der „Kunst der überzeugenden Rede“ (tan shui zhi shu) sprach, wobei er das mündliche wie das geschriebene Wort gleichermaßen meinte: „Alle Menschen reden gerne über das, was sie bevorzugen, und für den Edlen gilt das im Besonderen.Footnote 65 Beschenkt er jemanden mit Worten, wiegt das schwerer als Gold und Edelsteine, Perlen und Jade; lässt er jemanden Worte betrachten, ist [ihm] das schöner als die bunteste Farbenpracht; lässt er jemanden Worte hören, hat [er] eine größere Freude als an Glocken und Trommeln, Zither und Harfe. Also wird der Edle der Worte nicht müde. Doch bei unkultivierten Menschen verhält es sich umgekehrt: Sie schätzen nur den sachlichen Gehalt von etwas und kümmern sich nicht um dessen Garnierung/Schmuck, und so werden sie Zeit ihres Lebens der Befleckung durch banale Sitten nicht entgehen.“Footnote 66 „Die Kunst der überzeugenden Rede: Gehe sie an mit Würde und Ernst, verweile in ihr mit Geradheit und Aufrichtigkeit, halte dich mit Festigkeit und Stärke an sie (= bleib fest und willensstark), mach sie mit Hilfe von Trennungen und Unterscheidungen verständlich, mach sie mit Hilfe von Beispielen und Zitaten deutlich, präsentiere sie leidenschaftlich und gefällig;Footnote 67 halte sie wertvoll, schätze sie, behandle sie als etwas Kostbares und betrachte sie als etwas Heiliges. Wenn dir das gelingt, wird es keiner je versäumen, deine Rede anzunehmen, und selbst wenn sie die anderen nicht erfreut, wird sie doch jedem kostbar sein. Von einem solchen [Redner] sagt man, er sei imstande, [anderen] das kostbar zu machen, was ihm selbst kostbar ist.“Footnote 68

Und noch mit anderen Gedanken mag Han Fei Anleihen bei seinem Lehrer gemacht haben. Wenn er von einer gelungen politischen Einflussnahme verlangte, dass sie „treffe“ (dang), erinnert er an Xun Qings Charakterisierung des Gesprächs eines Weisen als spontan das Richtige treffend. Wenn andererseits Xun Qing bei gleicher Gelegenheit dem Gespräch kleiner Leute Erfolg und Verdienst (gong) absprach, nahm er vielleicht auch hier Überlegungen vorweg, die der Utilitarist Han Fei wie gezeigt weitertragen sollte: „Es gibt die Disputation/die Redekunst der kleinen Leute, die Disputation/die Redekunst solcher von Dienst leistenden Edlen und die Disputation/die Redekunst von Weisen: (1.) Ein Weiser disputiert so: Er macht sich im Voraus keine Gedanken und plant nicht frühzeitig, er legt einfach los und trifft das Richtige, [seine Worte] sind von vollendetem Schmuck und frei von Absurditäten;Footnote 69 ob er bei etwas bleibt oder zu anderem wechselt, wird er sich unentwegt den Veränderungen anpassen. (2.) Ein Dienst leistender Edler disputiert so: Er bedenkt im Voraus und plant frühzeitig, doch selbst seine Worte aus dem Stegreif sind des Anhörens wert, sie sind „geschmückt“ und dringen zum Kern einer Sache vor, sie sind umfassend und halten es mit dem Korrekten. (3.) [Für kleine Leute gilt:] Hört man auf ihre Reden, dann sind ihre Worte geschliffen, haben aber keine Linie; nimmt man sie in Dienst, dann wird man viel getäuscht und hat keinen Verdienst; nach oben hin sind sie außerstande, sich einem klarsichtigen König zu fügen, nach unten hin sind sie außerstande, harmonische Ordnung in die Hundert Geschlechter zu bringen. […] Diese nennt man die schlimmsten unter den bösen Menschen, und sollte ein weiser König sich erheben, hätte er sie als erstes zu töten, bevor er sich danach Banditen und Wegelagerern zuwendete. Denn Banditen und Wegelagerer sind Veränderungen zugänglich, diese aber sind für Veränderungen nicht zu erreichen.“Footnote 70

3 „Nan yan“

„Shui nan“ ist nicht der einzige Text, in dem sich Han Fei systematisch zu Schwierigkeiten des politischen Beratens äußerte. Ein weiterer Abschnitt des Han Feizi ist ihm schon dem Titel nach verwandt – „Nan yan“, wörtlich „Schwierigkeiten zu sprechen“ oder „Es fällt schwer zu sprechen“ oder „Warum es [mir] schwerfällt zu sprechen“. „Nan yan“ ist als Denkschrift zu erkennen, denn es hat einen als „großer König“ angesprochenen Adressaten, während der Schreiber auf sich selbst zwei Mal als chen Fei „ich, Ihr Untertan [Han] Fei“ referiert; auch die abschließende Floskel yuan da wang shu cha zhi ye „ich wünschte, Sie, großer König, machten sich [das Voranstehende] reiflich klar“ fügt sich als Stilelement in eine Eingabe. Indes ist der Adressat, ja selbst der Autor nicht unumstritten. Als Empfänger des undatierten kurzen Schreibens sind wahlweise der König von Han und der König von Qin ins Spiel gebracht worden, es wurde sogar erwogen, „Nan yan“ sei vom Gefängnis heraus an den König von Qin gerichtet worden.Footnote 71 Aber letztlich werden bei diesen Überlegungen nur Argumente der Plausibilität ins Feld geführt, und das gilt auch für die Frage, ob tatsächlich Han Fei selbst der Autor gewesen sein kann. Hätte dieser, so sagen Skeptiker, sich unterfangen, seinen König als Dummkopf zu titulieren? Ist das nicht vielmehr ein Indiz für eine spätere Autorschaft? Und sind die gedanklichen und inhaltlichen Übereinstimmungen zwischen „Nan yan“ und „Shui nan“ wirklich Anzeichen für die Abfassung durch Han Fei selbst, können sie nicht ebenso mit der Annahme erklärt werden, ein anonymer jüngerer Autor des „Nan yan“ habe aus „Shui nan“ geborgt, um seinem Text die Autorität des Han Fei zu verleihen? – Unlösbare und vielleicht auch nicht weiter wichtige Fragen.

Han Feizi 3, „Nan yan“Footnote 72

 

[A]

1

臣非非難言也, 所以難言者:

 

言順比滑澤, 洋洋纚纚然, 則見以為華而不實;

 

敦厚恭祗, 鯁固慎完, 則見以為拙而不倫;

 

多言繁稱, 連類比物, 則見以為虛而無用;

5

微說約, 徑省而不飾, 則見以為劌而不辯;

 

激急親近, 探知人情, 則見以為譖而不讓;

 

閎大廣博, 妙遠不測, 則見以為夸而無用;

 

家計小談, 以具數言, 則見以為陋;

 

言而近世, 辭不悖逆, 則見以為貪生而諛上;

10

言而遠俗, 詭躁人閒, 則見以為誕;

 

捷敏辯給, 繁於文采, 則見以為史;

 

殊釋文學, 以質性言, 則見以為鄙;

 

時稱詩書, 道法往古, 則見以為誦。

 

此臣非之所以難言而重患也。

 

[B]

15

故度量雖正, 未必聽也; 義理雖全, 未必用也。大王若以此不信, 則小者以為毀訾誹謗, 大者患禍災害死亡及其身。故子胥善謀而吳戮之, 仲尼善說而匡圍之, 管夷吾實賢而魯囚之。故此三大夫豈不賢哉!而三君不明也。

 

上古有湯至聖也, 伊尹至智也。夫至智說至聖, 然且七十說而不受, 身執鼎俎為庖宰, 昵近習親, 而湯乃僅知其賢而用之。故曰: 以至智說至聖未必至而見受, 伊尹說湯是也。Footnote 73 以智說愚必不聽, 文王說紂是也。

20

故文王說紂而紂囚之; 翼侯炙; 鬼侯腊; 比干剖心; 梅伯醢; 夷吾束縛; 而曹羈奔陳; 伯里子道乞; 傅說轉鬻; 孫子臏腳於魏; 吳起收泣於岸門, 痛西河之為秦, 卒枝解於楚; 公叔痤言國器, 反為悖, 公孫鞅奔秦; 關龍逢斬; 萇宏分胣; 尹子阱於棘; 司馬子期死而浮於江; 田明辜射; 宓子賤、西門豹不鬭而死人手; 董安于死而陳於市; 宰予不免於田常; 范睢折脅於魏。

 

此十數人者, 皆世之仁賢忠良有道術之士也, 不幸而遇悖亂闇惑之主而死。然則雖賢聖不能逃死亡避戮

25

辱者何也?則愚者難說也, 故君子難言也。且至言忤於耳而倒於心, 非賢聖莫能聽, 願大王熟察之也!

[A]

Ich, Ihr Untertan [Han] Fei, tue mich nicht deshalb schwer mit dem Reden, weil es mir schwerfällt zu reden.

Wenn jemand in seinen Worten illuster und flüssig, überschäumend und ausladend ist, dann gilt er als blumig, aber nicht fruchttragend.

[3] Ist er aufrichtig und respektvoll, geradlinig und profund, dann gilt er als ungeschickt und außerhalb der Ordnung stehend.Footnote 74

Wenn einer viel redet und ausgiebig zitiert, ähnliche Fälle aneinanderreiht und Vergleiche anstellt, dann gilt er als eitel und für nichts zu gebrauchen.Footnote 75

Ist einer sparsam in seinen Worten und schmückt er direkt und ökonomisch nichts aus, dann gilt er als schneidend und rhetorisch ungeschickt.Footnote 76

[6] Besteht einer darauf, sich vertraulich zu nähern, ist er übergriffig, die Gefühle des anderen kennenzulernen, dann gilt er als aufdringlich und nicht höflich zurückstehend.Footnote 77

Ist einer großartig und breit, geht in die Höhe und in die Weite, ohne etwas auszuloten, dann gilt er als gespreizt und für nichts zu gebrauchen.

Rechnet einer wie ein Familien[vater] und redet über Kleinklein, macht er viele Worte um Details, dann gilt er als engstirnig.Footnote 78

[9] Bleibt einer in seinen Worten beim Alltag (oder: redet einer in Alltagssprache) und läuft er dem in seinen Ausdrücken nicht zuwider, dann gilt er als einer, der am Leben hängt und dem Höchsten nach dem Mund redet.Footnote 79

Entfernt er sich in seinen Worten vom Alltag (oder: redet er gehobene Sprache) und weicht darin von anderen ab, dann gilt er als bombastisch.

Ist einer gewitzt und zungenfertig und üppig in Schmuck und Zierrat, dann gilt er als weitschweifig.Footnote 80

[12] Wenn einer Schmuck und Gelehrsamkeit ganz beiseitelässt und mit Schlichtheit spricht, dann gilt er als unkultiviert.Footnote 81

Wenn einer jederzeit die Lieder und die Dokumente zitiert und empfiehlt, das Altertum zum Vorbild zu nehmen, dann gilt er als einer, der bloß etwas herunterbetet.Footnote 82

Das ist es, warum es mir, Ihrem Untertan [Han] Fei, schwerfällt zu reden und ich vor Ungemach zurückschrecke.Footnote 83

[B]

[15] Ebenso gilt: Selbst wenn einer in seinen Abmessungen und Abwägungen korrekt ist, findet er deswegen noch nicht notwendigerweise Gehör; auch wenn er vollständig auf der Linie von Rechtlichkeit und Ordnung liegt, findet er deswegen noch nicht notwendigerweise Verwendung. Wenn Sie, großer König, das nicht für glaubwürdig halten, dann [bedenken Sie nur], wie in kleinen Fällen [Menschen ihrer „Reden“ wegen für] Beleidiger und Verleumder gehalten wurden, in großen Fällen aber Unheil und Katastrophen, ja Tod und Vernichtung sie ereilte: [Wu] Zixu etwa verstand sich zwar gut auf das Planen, und dennoch richtete der Staat Wu ihn hin; Zhongni verstand sich gut auf das Reden/Überzeugen, und doch umzingelte ihn Kuang; Guan Yiwu war ein wahrer Würdiger, und doch setzte ihn Lu in Gefangenschaft. – Wie wären denn diese drei Großwürdenträger keine Würdigen gewesen? Die drei Fürsten (die ihre Missgeschicke veranlassten) waren nicht klarsichtig.

[18] Im höchsten Altertum war Tang der [Mann der] äußersten Vollkommenheit und Yi Yin der von äußerster Klugheit. Und doch hatte der [Mann] äußerster Klugheit, nachdem er jenem von äußerster Vollkommenheit siebzig Mal zuzureden [versucht] hatte, ohne vorgelassen worden zu sein, sich mit Dreifuß und Opfertisch zu [seinem] Hausmeier zu machen und so in seine Nähe zu kommen und sich ihm vertraut zu machen, bevor Tang ihn als Würdigen erkannte und in Dienst nahm. Deshalb heißt es: Selbst wenn einer mit äußerster Klugheit einem von äußerster Vollkommenheit zuredet, bringt er es nicht unbedingt dahin, empfangen zu werden: Das zeigen Yi Yins [vergebliche Versuche,] Tang zuzureden. Wenn aber einer mit [gewöhnlicher] Klugheit einem Dummen zuredet, findet er gewiss kein Gehör: das zeigen König Wens [vergebliche Versuche,] Zhou zuzureden.Footnote 84

Ebenso: Wen wang redete dem Zhou zu, aber Zhou setzte ihn gefangen; Markgraf Yi wurde (für seine Ratschläge) geröstet; Markgraf Gui wurde zu Trockenfleisch gedörrt; Bigan wurde das Herz herausgeschnitten […].Footnote 85

[24] Diese zehn und mehr Männer waren allesamt menschliche, würdige, loyale Herren auf dem Rechten Weg. Unglücklicherweise begegneten sie unvernünftigen und verdrehten, verdunkelten und verwirrten Herrschern und fanden so den Tod. Und warum gelingt es selbst Würdigen und Weisen nicht, Tod und Untergang zu entfliehen, Hinrichtung und Schande zu entgehen? Weil einem Dummen schwer zuzureden ist. Daher fällt es einem Edlen schwer zu reden.Footnote 86 Überdies sind extreme Worte dem Ohr verleidet und dem Herzen zuwider, außer Würdigen und Weisen ist keiner imstande, [ihnen] zuzuhören. Ich wünschte, Sie, großer König, machten sich das reiflich klar.

„Nan yan“ gehört zu den kürzesten Abschnitten des Han Feizi und ist prima vista in zwei Teile gegliedert, wie sie in den Editionen von Chen Qitian (Han Fei zi jiaoshi) und Chen Qiyou (Han Feizi jishi und Han Feizi xin jiaozhu) markiert sind, während Wang Xianshen (Han Feizi jijie) keine Binnengliederung vornimmt. In der kürzeren einleitenden Partie werden, in syntaktisch gleichförmigen, eingängigen Formulierungen, zwölf die Haltung eines Beraters gegenüber dem Beratenen, den Inhalt sowie den sprachlichen Ausdruck schriftlicher oder mündlicher Vorschläge betreffende Dilemmata aufgezählt, die allesamt dem Berater zum Verhängnis werden können.Footnote 87 Der etwa um die Hälfte längere ausleitende Teil benennt ungefähr zwei Dutzend allseits bekannte historische Personen als Beispiele misslungener Beratungen, m. a. W. als Belege für die in der Überschrift auf den knappsten Nenner gebrachte These: „Es fällt schwer zu sprechen.“ Ihm fehlt die stilistische Einheitlichkeit des ersten Teils.

Darüber hinaus ist der erste Teil insofern markant vom zweiten unterschieden, als er von den beiden besagten autoreferentiellen Hinweisen umrahmt ist: „Ich, Ihr Untertan [Han] Fei, tue mich nicht deshalb schwer mit dem Reden, weil […]“, hebt er an, und er endet mit: „Das ist es, warum es mir, Ihrem Untertan [Han] Fei, schwerfällt zu reden […].“ Solche Hinweise auf den Autor und seine persönliche Betroffenheit fehlen im zweiten Teil völlig, ja dort wird nicht ein einziges Personalpronomen benutzt. Gleichwohl können erfahrene Leser/innen nicht daran zweifeln, dass der Autor auch hier nur leicht verborgen hinter allgemeinen Aussagen auf sich selbst verweist; und ganz eindeutig spricht er von sich in der floskelhaften Formulierung, mit der „Nan yan“, ungezählten chinesischen Eingaben gleich, endet: yuan da wang shu cha zhi ye, „Ich wünschte, Sie, großer König, machten sich das [Vorstehende] reiflich klar.“ Der Text ist also als sehr persönliches Bekenntnis des in eigener Sache schreibenden Autors zu lesen. Und zwar eines Autors, der (noch im Gefängnis?) von einem hohen Selbstwertgefühl getragen ist: Durch die den Text eröffnenden und ihn schließenden sich korrespondierenden Wendungen Chen Fei … suo yi nan yan zhe (Zeile 1; „Der Grund, weswegen es mir, Ihrem Untertan [Han] Fei, schwerfällt zu reden“) und Gu junzi nan yan ye (Zeile 25; „Daher fällt es einem Edlen schwer zu reden.“) macht er deutlich, wie hoch er von sich denkt, und dass die von ihm ausgemachten Probleme für jeden „Edlen“ gelten.

Der zweite Teil des Textes wirkt auf moderne Leser/innen in seiner letztlich doch nur aus unbewiesenen Behauptungen bestehenden Analyse oberflächlich und ermüdet mit seinem name dropping, das den Blick für das Detail zu verhängen droht.Footnote 88 Bei genauer Lektüre scheint es gleichwohl, der Autor habe hier drei verschiedene Aussagen getroffen:

  1. (1)

    Berater geraten in Bedrängnis, wenn sie uneinsichtigen Herrschern begegnen – in seinen Worten: wenn „Würdige“ auf „nicht klarsichtige Fürsten“ treffen.

  2. (2)

    Selbst in dem scheinbar günstigen Fall, dass „höchstes Wissen“ auf Beraterseite und „höchste Vollkommenheit“ auf Seiten des Fürsten zusammentreffen, ist Erfolg nicht gewiss: „Wenn einer mit äußerster Klugheit einem von äußerster Vollkommenheit zuredet, bringt er es nicht unbedingt dahin, empfangen zu werden: Das zeigen Yi Yins [vergebliche Versuche,] Tang zuzureden.“

  3. (3)

    Wenn Alltagswissen auf einen durchschnittlichen Herrscher trifft, ist hingegen der Misserfolg garantiert: „Wenn aber einer mit [gewöhnlicher] Klugheit einem Dummen zuredet, findet er gewiss kein Gehör: das zeigen König Wens [vergebliche Versuche,] Zhou zuzureden.“

Bei allen historischen Beispielen misslungener Beratung aber ist ein und dasselbe Muster festzustellen: Es ist der Beratene/der Herrscher, der seinen Berater verkennt, seinen Rat ausschlägt und den Ratgeber maßregelt, ja in den Tod schickt. Misslungene Beratungen sind m. a. W. für Han Fei nicht solche, in denen der Beratene/der Herrscher selbst die Konsequenzen zu tragen hat, etwa mit dem Untergang seines Landes oder dem Verlust seiner Herrschaft, sondern solche, in denen der Ratgeber den Kürzeren zieht und zu Schaden kommt.

Die Eingabe schließt, wie zitiert, mit der Bitte: „Ich wünschte, Sie, großer König, machten sich das [Vorstehende] reiflich klar.“ „Das Vorstehende“ aber bedeutet: mein Dilemma, das darin besteht, jede mir denkbare Haltung als schriftlicher oder mündlicher Ratgeber gegen mich deuten lassen zu müssen, darin, auf einen uneinsichtigen Fürsten zu treffen – „Einem Dummen ist ja schwer zuzureden“ – und dafür im äußersten Fall bezahlen zu müssen, wie das schon zahlreiche Männer vor mir zu tun hatten.

4 Schluss

Zu Beginn dieses Aufsatzes musste vor Zumutungen einer distanten Kultur gewarnt werden. Gleichzeitig wurde zu bedenken gegeben, dass man es bei den beiden vorzustellenden Texten, besonders dem „Shui nan“, mit Schriften zu tun hat, die bis heute zum gehobenen chinesischen Bildungsgut gehören. Es fiele leicht, Dutzende, vielleicht in die Hunderte gehende Stimmen zu den beiden Werken zusammenzutragen oder die von chinesischen Kommentatoren angeführten Beispiele für typische Dilemmata von Beratern zu benennen, die ihrer Meinung nach die Zeitlosigkeit der von Han Fei vorgestellten Typologie beweisen.Footnote 89

Zu den bedeutendsten frühen Kritikern des Han Fei gehört neben dem mehrfach zu Wort gekommenen Sima Qian der ebenfalls schon angesprochene Yang Xiong. Er thematisierte die sofort ins Auge fallende moralische Neutralität des Han Fei und wies ihn als einen konfuzianische Prinzipien verratenden Denker in die Schranken. Dabei bediente er sich einer für ihn typischen ebenso lakonischen wie anspielungsreichen Sprache: „Ein Edler wird in Übereinstimmung mit den Riten tätig und hört in Übereinstimmung mit der Rechtlichkeit auf. Trifft er [damit] auf ein Pendant [bei seinem Fürsten], tritt er vor, andernfalls zieht er sich zurück. Sicher ist er nicht besorgt darüber, wenn er nicht auf sein Pendant trifft.Footnote 90 Wenn man aber [wie Han Fei] einem anderen zuredet und dabei besorgt ist, nicht auf sein Pendant zu treffen, dann wird man doch vor überhaupt nichts mehr haltmachen.Footnote 91 […] Beim Zureden nicht dem rechten Weg zu folgen, hat [uns] besorgt zu machen, doch wenn wir dem rechten Weg folgen, ohne ein Pendant zu treffen, ist das kein Grund zur Sorge.“Footnote 92

Die Vorschläge des Han Fei sind an den Berater eines absolutistischen Fürsten gerichtet. Das erklärt, weshalb er sich nirgends zum Auftreten in einem Streitgespräch äußert, nichts zum ‚Stimmenfang‘ sagt und sich auch nur wenig zu möglichen Vorteilen der Diskussion rivalisierender Vorschläge äußert. In einer anderen Schrift verrät er geradezu seine Angst vor der Diskussion. Nämlich in dem schon einmal zitierten „Ba jian“, wo acht Heimtücken abgehandelt werden, mit denen ein Herrscher beeinflusst werden kann. Dort empfiehlt Han Fei einem „klarsichtigen Fürsten“ (ming jun 明君), „nicht zuzulassen, dass die Beamten übereinander reden“,Footnote 93 und rät ihm, die Menschen in seiner Umgebung zu bewegen, „kein Wort zu viel zu sprechen“.Footnote 94 Auch empfiehlt er dem Herrscher, der Einigkeit der Menschen in seiner engsten Umgebung zu misstrauen, und warnt vor ihrer taktischen Überlegungen geschuldeten Geschlossenheit.Footnote 95 Und ebenfalls in „Ba jian“ spricht Han Fei ein Grundproblem jedes autokratischen Herrschers an – dass er aufgrund seiner Lebensumstände, seiner Abgeschiedenheit und Entrücktheit der Diskussion nicht gewachsen und deswegen leicht zu manipulieren ist: „Weil er von dem gewöhnlichen Gerede abgeschirmt ist und nur selten Diskussionen beiwohnt, ist ein Herrscher von den rhetorisch Geschickten leicht zu bewegen. Seine Untertanen suchen [folglich] unter den Lehnsfürsten nach geschickten Rhetoren und versorgen diejenigen, die im eigenen Staat sich auf das Überreden verstehen, auf dass diese zu ihrem eigenen Vorteil reden.“Footnote 96