Wir möchten mit einer persönlichen Frage beginnen. Wie sind Sie zum Resilienzkonzept bzw. Resilienzbegriff gekommen?

Zurückschauend gab es da drei Schritte: Das erste Mal, dass mir der Begriff über den Weg lief, war in der ersten Hälfte der 2010er-Jahre. Resilienz bezogen auf den städtischen Raum wurde da in einem ökologischen Kontext thematisiert.

Die zweite Auseinandersetzung erfolgte im Zuge der Erarbeitung des Stadtentwicklungskonzeptes Leipzig 2030. 2016/17 gab es die neue Bevölkerungsprognose, die einen starken Bevölkerungszuwachs in Leipzig erwarten ließ. In der mittleren Variante wurde ein Anstieg auf 730.000 Einwohner*innen prognostiziert. Zwischen der niedrigsten und der höchsten Variante lag eine Spannbreite von rund 100.000 Einwohner*innen. Da stand die Frage: Wie gehen wir mit dieser ungewissen Entwicklung um? Teile des Resilienzbegriffs wie die Robustheit von Stadtstrukturen und ihre Anpassungsfähigkeit waren vor diesem Hintergrund wichtige Elemente für die Stadtentwicklungsstrategie, auch wenn wir den Begriff im Konzept selbst nicht verwendet haben.

Der dritte Zeitpunkt war 2020/21 im Rahmen meiner Mitgliedschaft im Expertenbeirat des Bundesinnenministeriums zur Erarbeitung des Memorandums Urbane Resilienz. Dort wurde der Fokus darauf gelenkt, wie das Konzept der Resilienz in der aktuellen Situation der Pandemie helfen kann. Und angesichts der neuen Krisen dieses Jahres sieht man auch, wie aktuell das Thema nach wie vor ist. Ich habe den Eindruck, die Schlagzahl von Entwicklungen, die man so nicht voraussehen konnte, die aber Stadtentwicklung enorm beeinflussen, wird immer höher.

Das Memorandum ist dann angenommen worden auf der nationalen Stadtentwicklungskonferenz 2021?

Genau, das Memorandum Urbane Resilienz – Wege zur robusten, adaptiven und zukunftsfähigen Stadt wurde da öffentlich vorgestellt. Die Inhalte waren in einem Expertenbeirat mit acht berufenen Mitgliedern erarbeitet worden. Wichtig war aus meiner Sicht, dass die Mitglieder des Expertenbeirats keine Fachthemen vertreten haben, sondern alle querschnittsorientiert mit unterschiedlichen Hintergründen im urbanen Kontext aktiv sind: Neben Planer*innen und Stadtentwickler*innen waren eine Vertreterin vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe sowie eine zivilgesellschaftliche Aktivistin vertreten, sodass diese Perspektiven urbaner Resilienz in der Stadtentwicklung intensiv mitdiskutiert wurden. Fachlicher Input aus Ökologie und Freiraumplanung, Wirtschaft und Immobilienentwicklung, Kultur- und Sozialwissenschaften sowie Zivilgesellschaft wurde zusätzlich über eine digitale Fachveranstaltung mit über 50 Stakeholdern eingebunden.

In welchen Feldern der Stadtentwicklung wird Resilienz diskutiert?

Wenn ich den Resilienzbegriff auf das System Stadt beziehe, dann betrifft er letztlich alle Felder von Stadtentwicklung, vom Wohnen über die wirtschaftliche Entwicklung bis hin zu Freiraum und Gesundheit. Die Frage ist ja: Wo hilft uns das Konzept der urbanen Resilienz weiter, damit Städte und Gemeinden besser auf unvorhergesehene Entwicklungen reagieren können? Dabei geht es nicht nur im Sinne der Robustheit um ein Zurückfedern in den Ausgangszustand. Vielmehr ist es notwendig, das, was passiert, zu verarbeiten und daraus Transformationsprozesse anzustoßen und Stadt weiterzuentwickeln.

Gibt es da Handlungsfelder oder Probleme, die Sie sehen, die vorrangig sind?

Darauf schaut sicher jeder mit einer etwas anderen Perspektive. Bei den letzten Vorträgen, die ich zu urbaner Resilienz gehalten habe, waren mir vier Aspekte besonders wichtig: die Verknüpfung von Katastrophenschutz und Stadtentwicklung, eine vorausschauende kommunale Flächenpolitik, flächendeckende Stadtteilorientierung und die konsequente Einbindung von bürgerschaftlichem Engagement.

Wenn wir uns heute integrierte Stadtentwicklungskonzepte und -strategien anschauen, thematisieren diese in der Regel weder Risikovorsorge noch Katastrophenschutz. Aber auch umgedreht – darüber habe ich mich im kommunalen Alltag häufig geärgert – sind Feuerwehr, Rettungsdienst und Katastrophenschutz weitgehend unabhängig von den Stadtentwicklungsstrategien aktiv. In der Regel werden nur immer höhere Standards aufgerufen, die dann im kommunalen Handeln umgesetzt werden sollen. Das müssen wir grundlegend ändern und die lebenswerte Stadt mit dem Katastrophenschutz zusammendenken. Dazu gehören unbedingt das direkte Gespräch und die Suche nach gemeinsamen intelligenten Lösungen. Diese Auseinandersetzung mit urbaner Resilienz bei der Erarbeitung von Stadtentwicklungskonzepten kann dabei helfen, die Sichtweisen und Akteure zu integrieren.

Eine weitere wichtige Grundlage zur Stärkung urbaner Resilienz ist aus meiner Sicht eine langfristige und strategische kommunale Flächenpolitik. Durch das starke Wachstum der Großstädte, das mit einer zunehmenden Flächenknappheit verbunden ist, hat sich die Wahrnehmung dieses Themas auf kommunaler Ebene bereits deutlich verändert. Viele Städte haben sich auf den Weg gemacht und erste Schritte einer strategischen Flächenpolitik umgesetzt. Mit Blick auf urbane Resilienz müssen wir da aber noch weiterdenken und die Unwägbarkeiten der künftigen Entwicklung mehr in den Blick nehmen. Um handlungsfähig zu bleiben, müssen Kommunen auch Flächen für Unerwartetes freihalten, gerade bei der Innenentwicklung. Im Memorandum wird dafür der Begriff der „Dehnungsfugen“ einer Stadt verwendet. Diese werden angesichts des hohen Handlungsdrucks für Klimaschutz, bezahlbares Wohnen, Kitas und Schulen noch viel zu wenig berücksichtigt.

Das führt mich zu meinem dritten Schwerpunkt, das Denken und Agieren in Quartieren. Quartiersorientierung ist ja nichts Neues in der Stadtentwicklung. Seit mehr als 20 Jahren wird dies in städtebaulichen Förderprogrammen wie Soziale Stadt (heute Sozialer Zusammenhalt) aufgegriffen. Auch die Leipzig-Charta von 2007 fokussiert auf die besondere Unterstützung benachteiligter Stadtteile. Aber genau da liegen auch die aktuellen Grenzen: Die meisten Städte sind dann stadtteilorientiert unterwegs, wenn städtebauliche Förderprogramme zur Verfügung stehen. Darüber hinaus ist eine systematische integrierte Stadtteil- und Quartiersentwicklung eher Wunsch als kommunale Wirklichkeit. Gerade die Pandemieerfahrungen zeigen uns aber, wie wichtig es ist, dass wir flächendeckend Stadtteile als umfassende Lebensräume entwickeln. Das Leitbild der „15-min-Stadt“ formuliert dies sehr anschaulich. In der kommunalen Praxis muss dieses funktionale Leitbild um Strukturen des Quartiersmanagements und der Gemeinwesenarbeit ergänzt werden, auch wenn dafür keine Förderprogramme zur Verfügung stehen.

Damit verbunden ist mein vierter Punkt: Stärkung des bürgerschaftlichen Engagements in der Quartiersentwicklung, sodass eine Selbstorganisation in Krisensituationen möglich ist. Eine Managementstruktur im Quartier muss nicht unbedingt hoheitlich eingesetzt werden, die kann auch – Community Organizing weitergedacht – zivilgesellschaftlich organisiert sein. Sie benötigt aber Schnittstellen zu Politik und Verwaltung, damit neue Lösungsansätze nicht an bürokratischen Hürden scheitern. Ein gutes Beispiel dafür finde ich Wir im Quartier von der Stiftung Ecken wecken im Leipziger Westen. Dort wird Koproduktion zur Quartiersentwicklung in guter Zusammenarbeit mit Zivilgesellschaft, Politik und Verwaltung systematisch organisiert. Im Sinne urbaner Resilienz können dadurch in Krisensituationen Engagierte vor Ort aktiv werden, wenn die öffentliche Hand ihre Aktivitäten konzentrieren muss.

Die Frage ist, wie kommt dann Resilienz in die Planungsentscheidungen, wie wird integriert?

In Plandokumenten taucht der Begriff der Resilienz bisher kaum auf. Das ist auch nicht verwunderlich, da ja die breite Diskussion um urbane Resilienz – wie bereits dargestellt – erst vor zwei Jahren begonnen hat. Ein sinnvoller erster Schritt wäre aus meiner Sicht zu schauen, wo gerade informelle strategische Konzepte fortgeschrieben werden – ob nun ein integriertes Stadtentwicklungskonzept, ein Stadtteilentwicklungs- oder ein Fördergebietskonzept. Im Zuge der Konzeptentwicklung oder -fortschreibung können Fragen hinsichtlich der Robustheit und Anpassungsfähigkeit der Strukturen eingebracht und neue Akteure hinzugezogen werden. Dadurch werden meist keine komplett neuen Themen aufgerufen, aber der Fokus der Diskussion kann sich erweitern, und im Ergebnis werden Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz in kommunalen Strategien verankert.

Erst im nächsten Schritt erwarte ich, dass entsprechende Festsetzungen zur Stärkung urbaner Resilienz auch in der formellen Planung, also der Bauleitplanung, Niederschlag finden. Die strategischen Konzepte helfen sowohl dabei, einen Bewusstseinswandel herbeizuführen, als auch ganz konkrete Festsetzungen zu begründen. Die Redundanz von Infrastrukturen könnte ein Thema sein, zu deren Realisierung die formellen Planungsinstrumente wichtig sind. Ob dann in der Begründung des Bebauungsplans wirklich der Begriff der Resilienz auftaucht, mag dahingestellt sein. Aber das ist ja auch nicht zwingend, wenn die damit verbundenen Inhalte umgesetzt werden.

Würden Sie sagen, dass Resilienz ein Thema ist, das durch Katastrophen und Krisen getrieben ist?

Die aktuelle Diskussion ist tatsächlich durch diese hohe Frequenz von unerwarteten Ereignissen im Sinne von Katastrophen und Krisen entstanden, die einen hohen Einfluss auf die Stadtentwicklung haben. Aber ich finde die englischen Begriffe in der Resilienzdefinition von UN-Habitat besser geeignet: shocks and stresses. Diese machen deutlich, dass es auch um niedrigschwelligere Stresssituationen für ein städtisches System geht, die man vielleicht nicht als Krise oder Katastrophe bezeichnen würde.

Wir würden gerne nochmal zurückkommen zum Thema der knapper werdenden Flächen. Es wird seit Jahren viel über diese Doppelte Innenentwicklung gesprochen. Wie nachhaltig oder wie resilienzfördernd wird überhaupt die Doppelte Innenentwicklung betrieben?

Aus der Frage höre ich eine gewisse Skepsis heraus, ob Kommunen Doppelte Innenentwicklung überhaupt konsequent umsetzen. Das denke ich schon, wobei ihre Durchsetzungskraft bei privaten Flächen begrenzt ist. Man muss sich aber bewusst machen, wie lange konzeptionelle Diskussionen benötigen, bis sie in der gebauten Umwelt sichtbar werden. Die Entwicklung eines neuen Stadtteils auf einer Bahnbrache benötigt häufig 20 Jahre oder mehr von den ersten Ideen bis zum Abschluss der Baumaßnahmen.

Schauen wir dazu konkret auf Leipzig: Die Diskussion um Doppelte Innenentwicklung und Flächenknappheit ist in Leipzig angesichts des starken Bevölkerungswachstums Mitte der 2010er richtig gestartet. Ich denke, in den strategischen Dokumenten finden wir das Ziel ungefähr ab 2017/2018 formuliert. Wenn man bedenkt, dass ein Bebauungsplan heute häufig bis zur Rechtskraft fünf Jahre und mehr benötigt, werden wir die ersten gebauten Lösungen erst in den nächsten Jahren sehen können. Wie erfolgreich Doppelte Innenentwicklung betrieben wird, können wir aus meiner Sicht künftig in den großen neuen Stadtteilen wie Leipzig 416 sehen. Da gibt es immense Veränderungen gegenüber dem Planungsverständnis der letzten 20 Jahre.

Ist dies auch ein Thema, das in anderen Städten eine Rolle spielt?

Ich denke, das ist die Frage, in welcher Phase von Stadtentwicklung sich die jeweilige Stadt befindet. In München läuft die Diskussion zum Beispiel schon seit Jahren, weil die Flächenknappheit dort schon viel länger Handlungsdruck ausgelöst hat. Aber bestimmte Prinzipien, die mit Doppelter Innenentwicklung verfolgt werden – gleichzeitig mehr Dichte und mehr Grün – spielen deutschlandweit in den großen Städten spätestens seit Mitte der 2010er Jahre eine wichtige Rolle. Man hat gemerkt, dass Innenentwicklung, so wie sie bis dahin betrieben wurde, sowohl bezogen auf das ökologische System der Stadt als auch auf die Akzeptanz durch die Bewohnerschaft ihre Grenzen hat. Doppelte Innenentwicklung ist eine Möglichkeit, mit den Zielkonflikten der Innenentwicklung umzugehen und Herausforderungen des Klimawandels zu lösen. Vor diesem Hintergrund wird inzwischen oft auch von der dreifachen Innenentwicklung gesprochen.

Wir möchten gerne nochmal Bezug nehmen auf die Bedeutung der Quartiere. Woher kommt dieser Optimismus, dass auf der Quartiersebene zentrale Kräfte für Resilienz initiiert werden können und dass sie von großer Bedeutung für die resiliente Stadtentwicklung sind?

Bezogen auf das Memorandum ergibt sich dieser Optimismus zumindest zum Teil aus den Erfahrungen, die in den ersten Monaten der Coronapandemie gesammelt wurden. Die Ausgangsbeschränkungen und das Vermeiden des ÖPNV machten deutlich, wie wichtig die kurzen Alltagswege zu Einkauf, Schule und Kita oder Freiraum im direkten Wohnumfeld sind. Gleichzeitig sind relativ schnell Plattformen entstanden, die Nachbarschaftshilfe im Quartier organisiert haben.

Aber ist das nicht auch zeitlich begrenzt gewesen? Also diese Euphorie hat doch zwischenzeitlich – jetzt haben wir schon eine dritte Coronawelle – nachgelassen. Nachbarschaftliches Engagement und Solidarität sind wieder erlahmt. Also hat man da nicht möglicherweise mehr Wunschvorstellungen?

Das Memorandum formuliert aus den Pandemieerfahrungen heraus Ziele für die Zukunft. Deren Realisierung sind aber keine Selbstläufer, sondern es braucht konkrete Unterstützung im kommunalen Handeln. Gerade bürgerschaftliches Engagement erlahmt schneller, wenn es nur aus dem individuellen Engagement Einzelner besteht. Es bedarf Strukturen der Engagementförderung, -vernetzung und -anerkennung. Da sind wir wieder beim Leipziger Wir-im-Quartier-Ansatz, der eine Infrastruktur umfasst, die das Engagement im Stadtteil koproduktiv unterstützt.

Gibt es im Quartier Grenzen von Resilienz? Können Quartiere auch kippen in dem Sinn, dass keine Anpassungsfähigkeit mehr existiert?

Ich verstehe das als eine Frage danach, wie anpassungsfähig einzelne Teile von Städten eigentlich sind. Aus meiner Sicht ist es letztlich eine politisch-planerische Entscheidung, ob ein schrittweiser Transformationsprozess im Quartier vorangetrieben oder die Frage nach einem kompletten „Neuanfang“ gestellt wird. Aus den Erfahrungen mit der behutsamen Stadterneuerung heraus wird die Antwort bei bewohnten Quartieren wohl eher in die Richtung einer Transformation unter Einbeziehung der Bewohner*innen gehen. Für Gewerbegebiete, die nicht mehr zukunftsfähig transformierbar sind, ist ein solcher Neuanfang eher vorstellbar.

Ja, aber wenn eben nicht mehr genug Menschen da sind? Hatten wir ja alles in ostdeutschen Städten. Und das gibt es ja heute noch.

Aber die Erfahrungen mit dem Stadtumbau in Ostdeutschland haben auch gezeigt, dass ein Aufgeben und neu Planen ganzer Quartiere kaum realistisch umsetzbar ist.

Ist Resilienz etwas, was in Konkurrenz oder im Konflikt mit anderen kommunalen Zielen oder auch mit anderen Leitbildern steht?

Handlungsbedarfe, die aus der Stärkung der Resilienz resultieren, können natürlich mit anderen kommunalen Zielen im Konflikt stehen. Nehmen wir als Beispiel die Redundanz von Infrastruktur. Da wird plötzlich mehr Fläche benötigt, die dann nicht mehr als Wohn- oder Freiraum zur Verfügung steht. Insgesamt unterstützt das Resilienzkonzept aus meiner Sicht aber viele Schwerpunkte, die auch unter dem Leitbild der nachhaltigen Entwicklung von Städten vorangetrieben werden. Da gibt es viele Schnittmengen.

Kommen wir zu dem Passus in Ihrem Buch, wo die Leitbilder dargestellt werden, u. a. Resilienz. Wie steht Resilienz zu anderen Leitbildern von Stadtentwicklung?

Meine pragmatische und sicherlich wissenschaftlich nicht ganz saubere These ist, dass die verschiedenen Leitbilder von Stadtentwicklung, die heute genutzt werden – Nachhaltigkeit, Resilienz, Gemeinwohl – einen großen gemeinsamen Kern haben. Viele Handlungserfordernisse, die sich aus den Leitbildern für die Stadtentwicklung ergeben, sind identisch. Das betrifft auch das städtebauliche Leitbild der „Europäischen Stadt“. Im Detail hat dann natürlich jedes Leitbild etwas andere Prioritäten. Vor diesem Hintergrund ist es meines Erachtens gar nicht so entscheidend, aus welcher Leitidee heraus eine Kommune ihre Stadtentwicklungsstrategie entwickelt. Wichtiger ist, dass sie Stadtentwicklung überhaupt entlang einer ethischen Grundorientierung strategisch umsetzt und nicht allein aus dem politischen Tagesgeschäft heraus betreibt. In der einen Stadt eignet sich das Nachhaltigkeitskonzept besser für eine strategische Diskussion, in der anderen Stadt der Gemeinwohlansatz und in einer dritten – zum Beispiel nach einer Hochwasserkatastrophe – auch das Resilienzkonzept. Egal, welches Leitbild genutzt wird, es sollte dann im Strategieprozess geschaut werden, ob sich aus den anderen Leitbildern heraus ergänzende Handlungsbedarfe ergeben.

Welche Rolle spielt Resilienz bei der Aktualisierung der Leipzig-Charta 2020?

Bei der Fortschreibung der Leipzig-Charta war es wichtig, dass die Grundprinzipien einer nachhaltigen und akteursbezogenen Stadtentwicklung erkennbar bleiben, also das Dokument im Sinne einer Charta auch längerfristig Akzeptanz findet. Ich finde, das ist gut gelungen. Resilienz wird da sicher an einigen Punkten mitgedacht, aber nicht direkt angesprochen. Deshalb wurde kurz nach der Beschlussfassung der neuen Leipzig-Charta 2020 das Memorandum Urbane Resilienz erarbeitet.

Wie kann der Resilienzansatz in kleineren Städten in den Planungsprozess Eingang finden?

Viele kleinere Städte brauchen Unterstützung und externe Beratung, weil häufig das fachlich spezialisierte Personal in der Verwaltung nicht vorhanden ist. Manche Städte haben Mühe, ihre planerischen Alltagsaufgaben gut zu bewältigen. Deshalb haben aus meiner Sicht integrierte Stadtentwicklungskonzepte eine Schlüsselfunktion, da dort Resilienzaspekte als Grundlage für spätere Planungen grundsätzlich durchdacht und verankert werden können.

In Sachsen wird derzeit die Arbeitshilfe zur Erstellung integrierter Stadtentwicklungskonzepte fortgeschrieben. Ich halte es für wichtig, dass dies auch unter dem Blickwinkel der urbanen Resilienz erfolgt und die Dienstleister, die die Kommunen unterstützen, dazu fachlich fortgebildet werden.

Wir hatten ja vorher die Begrifflichkeiten „Schock“ und „Stress“, die Ihnen sympathischer sind als „Katastrophe“ oder „Krise“. Wir verwenden auch die Begriffe „Dilemma“ und „Paradoxie“. Sind das auch aus Ihrer Planerperspektive Begriffe, die zur Resilienzdebatte gehören?

In der planerischen Resilienzdebatte habe ich diese Begriffe bisher kaum gehört. Aber vielleicht ist das nur eine Frage der Fachsprache. Denn nach meinem Verständnis haben Dilemmata und Paradoxien viel mit planerischen Zielkonflikten und unbeabsichtigten Wirkungen in komplexen städtischen Systemen zu tun.

Sollte urbane Resilienz auch im regionalen Kontext gedacht werden?

In kleineren Kommunen sind viele Herausforderungen sowieso nur im regionalen Miteinander zu lösen. Aber auch bei den großen Städten bedarf es aus meiner Sicht einer besseren regionalen Zusammenarbeit. Die Priorität sehe ich aber weniger in regionalen Resilienzstrategien als vielmehr in der verbindlichen Kooperation bei Klimaschutz, Mobilität und Siedlungsentwicklung. Da steht sich leider die kommunale Planungshoheit – die ich grundsätzlich sehr schätze – selbst im Weg.

Kommen wir zum Thema bürgerschaftliches Engagement: Wie kann man bürgerschaftliches Engagement und partizipatives Mitwirken noch mehr stimulieren und verbessern in Bezug auf Resilienz?

Aus meiner Sicht benötigen Städte eine kommunale Engagementkultur. Menschen, die sich engagieren, müssen Unterstützung durch Politik und Verwaltung erfahren. Sie brauchen gute Bedingungen für ihr Engagement, sodass sie Selbstwirksamkeit erfahren. Ansonsten entsteht das Gefühl, an unsichtbaren Barrieren zu scheitern, und eine Frustration, die weiteres Engagement hemmt.

Erst danach kommt für mich die Aktivierung des Engagements weiterer Menschen. Dabei erscheint es mir wichtig, einen nahtlosen Übergang von der Beteiligung an Planungsprozessen hin zum eigenen Engagement zu ermöglichen. Gerade bei Stadtentwicklungs- oder Klimaschutzkonzepten ist die Umsetzung nicht allein Aufgabe der öffentlichen Hand. Vielmehr geht es darum, dass viele Akteur*innen mit ihren eigenen Beiträgen zusammenwirken.

Eine Abrundungsfrage zum Schluss: Was erwarten Sie jetzt vom Memorandum Urbane Resilienz in Bezug auf das Thema Resilienz?

Ich erwarte zunächst eine Sensibilisierung für das Thema. Die Kommunen merken, dass sich ihre Steuerungsfähigkeit zwischen Flüchtlingswelle, Coronapandemie, Energiekrise, Hochwasser und extremer Trockenheit verringert. Arbeits- und Denkweisen müssen sich deshalb verändern. Das kann durch das Memorandum angestoßen werden.

Der Begriff der Resilienz muss dazu in der kommunalpolitischen Diskussion nicht unbedingt genutzt werden. Wenn man Robustheit und Anpassungsfähigkeit diskutiert, ist das vielleicht einfacher zu verstehen für Bürger*innen und ehrenamtliche Stadträte. Wir haben viel erreicht, wenn im kommunalen Diskurs bewusst nachgefragt wird: Ist diese Maßnahme vor dem Hintergrund von Unwägbarkeiten der Zukunft, von möglichen weiteren Schocks oder Stresssituationen sinnvoll? Wie können wir die Maßnahmen so verändern, dass unsere Stadtstrukturen dadurch robuster werden? Wie kann Risikovorsorge in eine vorausschauende Stadtentwicklung eingebunden und mehr Koproduktion mit der Zivilgesellschaft erreicht werden? Dann ist, glaube ich, schon viel gewonnen.