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1 Einleitung

Urbane Räume sind Hotspots für Umweltstressoren wie Lärm, Hitze und Luftverschmutzung. Diese Stressoren wirken sich negativ auf die menschliche Gesundheit aus und stellen dadurch Städte hinsichtlich ihrer Resilienz gegenüber gesundheitsrelevanten Umweltexpositionen vor Herausforderungen. Eine hohe und/oder dauerhafte Lärmbelastung kann – durch Schädigung des Gehörs sowie das Hervorrufen körperlicher Stressreaktionen – nicht nur das subjektive Wohlbefinden beeinträchtigen, sondern auch zu Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen führen (Umweltbundesamt 2021a). Hitze kann insbesondere bei vulnerablen Personen durch eine Überlastung des körpereigenen Kühlsystems Regulationsstörungen und Kreislaufprobleme hervorrufen (siehe Hertel et al. in diesem Band). In Phasen extremer Hitze kommt es so vermehrt zu Todesfällen (Umweltbundesamt 2022). Diese hitzebedingte Mortalität gewinnt vor dem Hintergrund des Klimawandels und zunehmender Hitzeperioden noch einmal verstärkt an Relevanz. Die europaweite Luftverschmutzung hingegen ist in den letzten Jahrzehnten zwar zurückgegangen (EUA 2020a), dennoch zeigt sie sich auch heute als drängendes gesundheitsrelevantes Problem. Laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) ist die kardiovaskuläre sowie respiratorische Gesundheit einer Bevölkerung umso besser, je geringer die Luftverschmutzung im betreffenden Land ist. Eine Reduzierung luftgetragener Schadstoffe kann zudem die Häufigkeit von Schlaganfällen und Erkrankungen wie Krebs verringern (WHO 2021). Feinstaub, Stickstoffdioxid und Ozon werden dabei als die Schadstoffe angesehen, die die menschliche Gesundheit derzeit am meisten bedrohen (EUA 2020a; Umweltbundesamt 2019a). Aus diesem Trio hebt die WHO (2021) den Feinstaub noch einmal besonders hervor: Kein anderer Schadstoff habe weltweit mehr Auswirkungen auf den Menschen. Die Europäische Umweltagentur schätzt, dass die Feinstaubbelastung allein im Jahr 2018 379.000 vorzeitige Todesfälle innerhalb der EU bedingte (EUA 2020b, S. 7). Auch in Deutschland finden sich – gemessen an den Grenzwerten von EU und WHO – noch immer zu hohe Konzentrationen des Stoffes (Umweltbundesamt 2019a).

In Ballungsgebieten sind Emissionen aus Kraftfahrzeugen eine der Hauptquellen von Feinstaub; er gelangt zum einen aus den Verbrennungsmotoren in die Luft, zum anderen aber auch durch Reifen- und Bremsabrieb sowie durch Aufwirbelung des Staubes auf der Straßenoberfläche (Umweltbundesamt 2021b). Die Abwärme der Abgase sorgt zudem für zusätzliche Hitze und führt so, gerade in Gebieten dichten Verkehrs, zu zunehmenden Belastungen. Zu diesen trägt auch der Straßenverkehrslärm bei, durch den sich ein Großteil der Menschen in Deutschland (75 % der Bevölkerung) gestört fühlt (Umweltbundesamt 2019b). In Plänen zur Reduzierung von Umweltbelastungen kommt dem Verkehr deshalb besondere Relevanz zu. Neben technischen Maßnahmen geht es dabei vor allem darum, den motorisierten Verkehr insgesamt zu reduzieren. Dies kann insbesondere durch eine sinnvolle Stadt- und Regionalplanung gelingen, die durch eine Förderung des öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) sowie des Rad- und Fußverkehrs gekennzeichnet ist (Umweltbundesamt 2009, S. 10).

Ausgehend von der sich so ergebenden gesellschaftlichen Relevanz des Radfahrens und Zufußgehens beschäftigt sich dieser Beitrag mit der Gruppe der Radfahrer*innen und Fußgänger*innen. Deren Leistung zur Vermeidung von Umweltbelastungen dürfte unangefochten sein, und so soll hier eine andere Seite der Beziehung fokussiert werden. Zwar produzieren Radfahrer*innen und Fußgänger*innen kaum eigene Umweltbelastungen, sie sind jenen der motorisierten Verkehrsteilnehmer*innen – dem Lärm, der Hitze, der Luftverschmutzung – jedoch ungefiltert ausgesetzt. Radfahrer*innen und Fußgänger*innen sind im Allgemeinen nicht höheren Schadstoffkonzentrationen ausgesetzt als Autofahrer*innen oder Passagiere des ÖPNV, durch die erhöhte Atmung im Zuge der körperlichen Betätigung inhalieren sie im Vergleich jedoch höhere Schadstoffdosen (Cepeda et al. 2017; Ramos et al. 2016). Wird aktive Mobilität im Zusammenhang mit einer gesundheitsfördernden Umwelt beworben, ergibt sich so das Paradox, dass jene, die mit ihrem Mobilitätsverhalten zu einem Abbau gesundheitlicher Risiken beitragen, von diesen zunächst verstärkt betroffen sind. Konzentriert man sich auf das zehnte im Memorandum Urbane Resilienz genannte Handlungsfeld „öffentlichen Raum und Mobilitätswende resilient gestalten“, muss es, neben der generellen Reduzierung des motorisierten Verkehrs, auch darum gehen, die Exposition von Radfahrer*innen und Fußgänger*innen im Speziellen zu minimieren. Eine Ebene, die in diesem Sinne adressiert werden kann, ist das individuelle Verhalten der Verkehrsteilnehmer*innen: Durch ein gesteigertes Risikobewusstsein könnten diese zu Anpassungen in ihrem Verhalten und zu einer Vermeidung stark belasteter Orte angeregt werden.

Den Stressoren Lärm, Hitze und Luftverschmutzung ist jedoch gemein, dass sie räumlich und zeitlich stark kontextabhängig verteilt sind und sich diese Verteilung kaum antizipieren lässt. Eine Möglichkeit, Radfahrer*innen und Fußgänger*innen dazu zu befähigen, sind personengetragene Sensoren (engl. Wearables) zur Messung von Stressoren. Diesen sogenannten Wearables sind dabei zwei Aspekte zu eigen: Erstens wird die Exposition einer Person aufgezeichnet, und zweitens fungiert diese Person als Erforscher*in des urbanen Raums. Personenbezogene Umweltdaten eröffnen so nicht nur Wege für eine flexible persönliche Anpassung an ein sich veränderndes Stadtklima und für die Identifizierung von Hotspots urbaner Schadstoffe. Das personalisierte Belastungsfeedback kann auch dazu eingesetzt werden, das Bewusstsein für gesundheitsrelevante Stressoren zu schärfen und gesundheitsschützendes Verhalten zu fördern.

In diesem Beitrag arbeiten wir Lösungen für Konflikte bei der individuellen Anpassung heraus, geben einen Überblick über die aktuelle Entwicklung von Wearables für die Umweltexposition und stellen den aktuellen Stand der personengebundenen Umweltsensorik im urbanen Umfeld dar. Wir analysieren Studien, welche Auswirkungen des persönlichen Feedbacks zu Lärm, Hitze und Luftverschmutzung untersuchen, und fassen die Ergebnisse zu Verhaltensanpassung, erhöhtem Bewusstsein und Wissen der Studienteilnehmer*innen zusammen. Im Rahmen des ExpoAware-Projekts haben die Autor*innen in zwei Feldexperimenten Daten zu multiplen Umweltstressoren von Radfahrer*innen und Fußgänger*innen in der Stadt Leipzig erhoben. Die Daten wurden mithilfe von mobilen Sensoren in Kombination mit einer speziell entwickelten mobilen App aufgezeichnet, die den Teilnehmer*innen täglich ein Feedback zu ihrer Belastung gab. Darüber hinaus wurden die Wahrnehmung des Expositionsniveaus und der persönlichen Bedrohung durch Umweltstressoren sowie die Absichten, das Verhalten zu ändern, um die Bedrohungen zu vermeiden bzw. ihnen weitgehend auszuweichen, mithilfe von Fragebögen erfasst. Die Fragebögen wurden wiederholt eingesetzt, um Veränderungen in der Bereitschaft der Teilnehmer*innen, ihr Mobilitätsverhalten zu ändern, festzustellen. Im Rahmen des ersten Feldexperiments wurde zudem eine sozialwissenschaftliche Untersuchung mittels qualitativer Interviews durchgeführt. In diesem Beitrag möchten wir das Studiendesign und die ersten Ergebnisse des Projekts vorstellen und deren Nutzen für eine verbesserte Resilienz gegenüber gesundheitsrelevanten Umweltexpositionen in Städten erläutern.

2 Mobile Sensoren zur Erfassung der individuellen Belastung

Umweltstressoren in Städten werden in der Regel über wenige Messstationen erfasst. Die Verteilung der Stressoren ist jedoch lokal sehr unterschiedlich und unterliegt großen Schwankungen. Dabei spielen verschiedene Faktoren, wie die bauliche Struktur, die Nähe zu grüner Infrastruktur (GI, siehe Karutz et al. in diesem Band) und die damit verbundenen Effekte von Windrichtung in Kombination mit Windstärke, eine große Rolle. Um die individuelle Exposition gegenüber Umweltstressoren wirklich erfassen zu können, werden personenbezogene Messungen auf den Wegen benötigt. Durch technische Innovationen in den vergangenen Jahren können heute intelligente Technologien wie mobile Sensoren verbreitet eingesetzt werden. Sie geben Einblick in die tatsächliche Exposition von Individuen. Im gleichen Zug kann in Messkampagnen mit diesen Sensoren die Verteilung der Stressoren in der Stadt erfasst werden. Die geringe Größe und das geringe Gewicht dieser Geräte, ihre niedrigen Kosten, die hohe zeitliche Auflösung der Daten sowie die Möglichkeit, die Daten direkt an Server zu übertragen, erleichtern den Einsatz in großangelegten Multistressor-Studien.

Die persönliche Exposition gegenüber Umweltstressoren hängt von den individuellen Routen und Tätigkeiten ab. Expositionsstudien haben gezeigt, dass Daten mit hoher räumlicher und zeitlicher Auflösung notwendig sind, um eine genaue Abschätzung der persönlichen Exposition zu erhalten. Mittlerweile ist eine große Bandbreite an Wearables verfügbar. Sie reicht von kostengünstigen Geräten für den privaten Gebrauch bis hin zu professionellen Geräten, die einen oder mehrere Umweltparameter gleichzeitig erfassen können. So werden Messpunkte mit Datum, Uhrzeit und Position sowie verschiedene Umweltparameter erfasst, wie:

  • Hitze: Lufttemperatur, relative Luftfeuchtigkeit

  • Luftqualität: Gase (NOX, COX, O3), partikelförmige Schadstoffe (PM1, PM2.5, PM10, BC, PNC, UFP, TSP)

  • Lärm (dB-A)

Parallel zu den technischen Innovationen in diesem Bereich nehmen auch die wissenschaftlichen Studien zu, in denen tragbare Sensoren zur Erfassung von Umweltstressoren eingesetzt werden. Helbig et al. (2021) geben einen Überblick über die Studien der letzten Jahre (55 Studien). Anfänglich wurden vermehrt Studien zur Erfassung der Luftqualität (12 Veröffentlichungen im Jahr 2015) durchgeführt, doch nahm diese Dominanz schnell ab, und Lärm- und Hitzemessungen erhielten ein ähnliches Interesse. Es ist hervorzuheben, dass Wearables zur Erfassung von Hitze im urbanen Umfeld noch unterrepräsentiert sind. Die jüngsten Entwicklungen (insbesondere seit 2019) zeigen, dass zunehmend Multiparameter-Wearables (Erfassung von Luftqualität, Lärm und Hitze gleichzeitig) verwendet werden, was angesichts der multifaktoriellen Umweltsituation in urbanen Regionen angemessen erscheint. Die Entwicklung neuer Sensoren, die in der Lage sind, sowohl Mehrfachexpositionen zu erfassen als auch Aspekte der Benutzerfreundlichkeit und Datensicherheit zu berücksichtigen, ist für die zukünftige Erfassung individueller Belastung von großer Bedeutung. Diese rasch fortschreitende Entwicklung von Sensoren wird in naher Zukunft eine breite Anwendung ermöglichen.

Bei der Untersuchung der Exposition in verschiedenen Umgebungen wurde festgestellt, dass die Teilnehmer*innen einen großen Teil der Zeit in Innenräumen verbringen. Die höchste Schadstoffkonzentration wurde jedoch nicht zu Hause gemessen, sondern im passiven Verkehr und/oder beim Pendeln. Interessanterweise stellten mehrere Autor*innen fest, dass die Schadstoffkonzentrationen innerhalb einzelner Strecken stärker schwanken als im Laufe eines bestimmten Tages. Es gibt Spitzenwerte hoher Konzentrationen abhängig vom Messzeitraum an stark befahrenen Strecken und bei der Benutzung öffentlicher Busse (Spinazzè et al. 2015). Es wird deutlich, dass die persönliche Exposition in Abhängigkeit von verschiedenen Einflussfaktoren (z. B. Verkehrsmittel, Stadtstruktur, GI) stark variiert. Die Charakterisierung dieser Faktoren hinsichtlich des Ausmaßes ihres Einflusses sowie ihrer gegenseitigen Beeinflussung in Zusammenhang mit der entsprechenden Fortbewegungsform (Rad, zu Fuß) muss in Zukunft weiter erforscht werden. Weiterhin muss in Studien der Zusammenhang zwischen der Expositionsdauer sowie -intensität und den gesundheitlichen Auswirkungen der Umweltexposition in verschiedenen Umgebungen untersucht werden, insbesondere auch mit Blick auf die höhere Inhalationsrate bei körperlicher Anstrengung beim Gehen oder Radfahren.

Bei der Analyse der Studienorte in Helbig et al. (2021) fällt auf, dass diese hauptsächlich in den Metropolen Europas und Nordamerikas liegen. Das wirft wieder die Frage des Eingangstextes nach dem sozialen Aspekt der urbanen Resilienz auf (siehe Rink et al. in diesem Band). In Ländern des globalen Südens haben die Menschen im Vergleich zum globalen Norden viel gehäufter mit Hitze zu kämpfen, jedoch gibt es dort nur ganz vereinzelt Studien dazu. Es wäre wünschenswert, künftige Studien in Regionen durchzuführen, die hier unterrepräsentiert sind (z. B. Afrika, Asien), die aber aufgrund der hohen Exposition und der hohen Bevölkerungsdichte von besonderem Interesse sind. Weiterhin ist die Erfassung sozioökonomischer Parameter der Teilnehmer*innen und das In-Bezug-Setzen zu deren Exposition eine wichtige Aufgabe für künftige Studien.

3 Verhaltensanpassung durch Feedback

Verhaltensanpassungen im Alltag können die Belastung durch Umweltstressoren reduzieren. Dazu gehört etwa das regelmäßige Lüften im Haushalt, etwa beim Kochen, wenn hohe Feinstaubbelastungen entstehen. Auch eine Änderung der alltäglichen Wege kann in manchen Fällen die Belastung verringern, etwa indem man Hauptverkehrsstraßen meidet und weniger belastete (Um-)Wege für alltägliche Strecken wählt. Auch bei Hitze können präventive Verhaltensweisen die körperliche Belastung verringern, etwa das Aufsuchen von Schattenplätzen zum Abkühlen. Mobile Sensoren können Personen dabei unterstützen, die sonst unsichtbaren Umweltbelastungen – wie etwa Feinstaubkonzentrationen oder Lärmpegel – sichtbar zu machen, indem sie ein Feedback zur aktuellen Belastung bereitstellen. Verschiedene Studien haben untersucht, inwiefern ein Belastungsfeedback zu Hitze, Lärm oder Feinstaub das belastungsrelevante Verhalten von Personen beeinflussen kann (Becker et al. 2021). Diese Studien zeigen, dass ein persönliches Belastungsfeedback häufig mit großem Interesse entgegengenommen wird und Personen dabei hilft, ihr Wissen über ihre Umweltbelastung zu erweitern. Jedoch kann ein Belastungsfeedback nur dann zu Verhaltensänderungen animieren, wenn diese einfach umzusetzen sind. Einige Studien zeigen, dass das Vermeiden von Feinstaubbelastungen im Stadtverkehr als sehr schwierig empfunden wird, weil Alternativrouten entweder nicht zur Verfügung stehen oder eine Änderung der Routen mit großen Einschränkungen des Alltags verbunden wäre (Haddad und de Nazelle 2018; Tan und Smith 2021). Diese Schwierigkeit der Verhaltensanpassung führt bei einigen zu Resignation und Apathie (Heydon und Chakraborty 2020).

Diese Befunde aus der Zusammenschau verschiedener Studien spiegeln die Vorhersagen der Schutzmotivationstheorie wider (Rogers 1975), die besagt, dass zur Bildung einer Schutzmotivation nicht nur die Wahrnehmung eines Gesundheitsrisikos notwendig ist, sondern auch die Überzeugung, über ausreichende eigene Bewältigungsressourcen zu verfügen. Für eine Verhaltensanpassung nach einem Belastungsfeedback ist es also wichtig, dass neben den Risiken der Belastung auch Möglichkeiten kommuniziert werden, wie eine Person diese Belastungen verringern kann. Eine hohe Risikowahrnehmung ohne die Wahrnehmung von Ressourcen zum Selbstschutz kann zu emotionsfokussierter Bewältigung führen – in anderen Worten: zur Verdrängung des Problems, zu Fatalismus oder Resignation (Rippetoe und Rogers 1987).

4 Das Projekt ExpoAware

Im DFG-Projekt ExpoAware (Messkampagnenname „UmweltTracker“) wurden die Umweltstressoren über mobile Sensoren von freiwilligen Radfahrer*innen und Fußgänger*innen in der Stadt Leipzig erfasst (siehe Schema in Abb. 15.1). ExpoAware fügt sich in das Konzept des Stadtlabors Leipzig ein (siehe Banzhaf et al. in diesem Band), in dem Daten und Forschungsergebnisse von in Leipzig durchgeführten Projekten zusammengeführt werden, und liefert hier sowohl Umweltdaten als auch sozialpsychologisch interpretierbare Daten.

Abb. 15.1
figure 1

Im Projekt ExpoAware gemessene Umweltparameter

Leipzig ist mit ca. 610.000 Einwohner*innen die achtgrößte Stadt Deutschlands und liegt im Nordwesten des Bundeslandes Sachsen. Das Stadtgebiet umfasst 297,8 km2 und wird von Süden nach Norden und Nordwesten von einem ausgedehnten Auenwaldgebiet durchzogen. Leipzig eignet sich als Studienort, da auch hier laut DWD-Bericht Stadtklimatische Untersuchungen in Leipzig aus dem Jahr 2016 die Folgen des Klimawandels bereits zu erkennen sind (Deutscher Wetterdienst Potsdam 2022). Von 1986 bis 2015 stieg die Jahresmitteltemperatur der Luft um rund 1,5 K. Bei Feinstaub wird der gesetzliche Grenzwert der Jahresmittelkonzentration an allen Messstationen in Leipzig eingehalten, wohingegen der Grenzwert für die Tagesmittelkonzentration von 50 Mikrogramm pro Kubikmeter je nach betrachteter Messstation an mehreren Tagen im Jahr überschritten wird (Stadt Leipzig 2022a). Ein rückläufiger Trend dieser Überschreitungen ist jedoch erkennbar. Bei einer Onlineumfrage zur Lärmbelastung 2011 in der Stadt Leipzig gaben 78 % der Befragten an, dass sie die Lärmbelastung in Leipzig als stark bis sehr stark empfinden (Stadt Leipzig 2022b). Mobile Sensoren sind ideal für die Messung von Umweltstressoren in Leipzig, die sowohl über das Stadtgebiet als auch über die Zeit stark variieren. Auf diese Weise lassen sich sogenannte Hot und Cold Spots, also Orte mit extrem hohen und niedrigen Umweltstressoren, identifizieren und deren Ursachen analysieren.

Im Rahmen des DFG-Projekts wurden zwei Messkampagnen durchgeführt (Abb. 15.2), in denen die Teilnehmer*innen jeweils eine Woche lang ihre Umweltbelastung auf ihren täglichen Wegen messen konnten (s. Abb. 15.3 zum Ablauf der Messkampagne). Zusätzlich zu den Messungen mit den Sensoren füllten sie Fragebögen zu ihrer Wahrnehmung und ihrem Verhalten aus. In der ersten Messkampagne bekamen sie nach den Messungen einen Feedbackbericht mit Histogrammen zu ihren Lärm-, Hitze- und Feinstaubbelastungen. Um den Teilnehmer*innen die Einordnung der Werte zu erleichtern, wurde ihnen eine Skala mit Vergleichsbeispielen für LautstärkeFootnote 1 und LufttemperaturFootnote 2 zur Verfügung gestellt. Die Werte der Feinstaubmessungen wurden in Bezug zu einer früheren Messkampagne in sechs Stufen eingeteilt.

Abb. 15.2
figure 2

Überblick Messkampagnen im ExpoAware-Projekt

Abb. 15.3
figure 3

Zeitlicher Ablauf der 1. Messkampagne im ExpoAware-Projekt

In der zweiten Messkampagne wurde das Feedback über eine speziell entwickelte mobile App gegeben. Die Teilnehmer*innen konnten nach dem Hochladen ihrer Daten ein Belastungsfeedback für Temperatur, Feinstaub und Lärm auf den gefahrenen Routen auf einer Karte und im Zeitverlauf abrufen. Weiterhin wurde ihnen auf Basis einer modellierten Emissionskarte eine weniger belastete alternative Route vorgeschlagen. Beide Studien hatten ein experimentelles Design, bei dem eine Experimentalgruppe, die die Sensoren verwendete und Feedback bekam, mit einer Kontrollgruppe verglichen wurde, die im gleichen Abstand Fragebögen ausfüllte, jedoch keine Sensoren trug. Die Fragebögen erfassten verschiedene Aspekte der Schutzmotivationstheorie (Rogers 1975), insbesondere die Risikowahrnehmung, die Wahrnehmung von Ressourcen zur Risikoeindämmung und die persönliche Schutzmotivation. Des Weiteren wurden neben demografischen Angaben auch Fragen zu Verkehrsgewohnheiten und -präferenzen gestellt, und es wurden Intentionen zu kollektivem Handeln abgefragt.

Die Auswertung der Fragebögen der ersten Messkampagne zeigt, dass das Tragen der Sensoren eine erhöhte Risikowahrnehmung bewirkte, jedoch keine Änderung der Bewältigungsressourcen hervorrufen konnte. Eine Änderung der Schutzmotivation durch das Tragen der Sensoren fand sich nur bei Personen, deren Wegeverhalten keinen starken Gewohnheiten unterliegt.

Im Rahmen des Projekts wurde eine Visualisierungs- und Analyseanwendung implementiert, die es erlaubt, die Daten der Messkampagne in Kombination mit Daten zu Bebauungsstruktur, Wetter, GI und Verkehr auszuwerten (Helbig et al. 2022). Es konnte gezeigt werden, dass gerade Wege, auf denen sich viele Radfahrer*innen bewegen und die es durch ihre Beschaffenheit auch erlauben, schnellere Geschwindigkeiten zu fahren, durch ihre Lage direkt an Hauptstraßen mit hohen Stickoxidwerten belastet sind. Die bisherige Auswertung zeigt auch die Temperaturunterschiede, die vor allem an heißen Tagen zwischen Parks und stark versiegelter Fläche entstehen. Dort heizt sich vor allem in der zweiten Tageshälfte die Umgebung stark auf und kann bei gleichzeitig dichter Bebauung schlecht durchlüftet werden.

Die Ergebnisse der Messkampagnen sind ein wichtiger Beitrag, um die Rahmenbedingungen für den Rad- und Fußverkehr zu verbessern und diesen attraktiver zu machen. Die Mobilitätswende, und somit die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs und gleichzeitig die Förderung aktiver Mobilität, ist ein entscheidender Faktor auf dem Weg hin zu einer resilienten Stadt. Stadtplaner*innen können durch die Integration von Ergebnissen mobiler Messungen in ihre langfristige Planung das Level an Umweltstressoren in Städten reduzieren und auch kurzfristig besser auf Extremereignisse (z. B. Hitzewellen) reagieren. Dadurch haben mobile Sensoren das Potenzial, ein wichtiger Baustein auf dem Weg zu resilienten Städten zu sein.

5 Praxistheoretische Interpretation

Während die Psychologie einen möglichen Einfluss von Umweltstressoren auf die Routenwahl über die Schutzmotivation von Individuen erklärt, kann der Zusammenhang anhand kultur- und sozialwissenschaftlicher Theorien aus einer anderen Perspektive erfasst werden. Als ein geeignetes Werkzeug hierfür zeigt sich die Praxistheorie. Deren Wert liegt insbesondere in der Möglichkeit, Aktivitäten abstrakt zu betrachten, ohne sich auf Einzelpersonen zu konzentrieren (Spotswood et al. 2015, S. 25). Die Formen aktiver Mobilität, Radfahren und Zufußgehen, werden so nicht als Ergebnis individualisierten Verhaltens, sondern als eigene Phänomene, als Praktiken, ins Zentrum der Betrachtung gerückt. Jede Praktik umfasst dabei verschiedene Elemente, die sie in einer Gesellschaft als solche kennzeichnen: bestimmte Materialien als wesentlicher Teil der Ausführung, spezifische Kompetenzen im Sinne von Fähigkeiten und Wissen sowie soziale und symbolische Bedeutungen, die einer Praktik anhängen (Shove et al. 2010).

Um Radfahren und Zufußgehen als Praktiken erfassen und den Zusammenhang zwischen Umweltstressoren und Routenwahl einer praxeologischen Analyse unterziehen zu können, wurde im Rahmen der ersten Messkampagne des ExpoAware-Projekts eine sozialwissenschaftliche Untersuchung mittels ausführlicher qualitativer Interviews mit fünf der Proband*innen durchgeführt. Da die Erkenntnisse zu den beiden Praktiken dabei ähnlicher Natur waren, jedoch deutlich mehr Aussagen zum Radfahren getroffen wurden, soll sich die Darstellung der Ergebnisse an dieser Stelle exemplarisch auf diese Praktik beschränken.

Anhand der Aussagen der Proband*innen kann das Radfahren als Praktik rekonstruiert werden: Relevante Materialien liegen insbesondere im Bereich der Infrastruktur; auf Straßen und Wegen vollzieht sich die Ausführung, sie tragen ebenso zum Erleben der Praktik bei wie die allgemeinere Umgebung (begrünt vs. bebaut). Kompetenzen liegen zum Beispiel im Bereich der Ortskenntnis. Diese bedingt, wie einfach eine Route geplant und gefunden werden kann. Bedeutungen kommen dem Radfahren in vielerlei Hinsicht zu: Neben der Zweckmäßigkeit, einen Weg von A nach B zurückzulegen, und der Schnelligkeit und Effizienz, die das Fahrrad in der Großstadt mit sich bringt, sind auch Flexibilität, Freiheit und Autonomie als Werte von Relevanz. Hinzu kommt ein genussvolles Erleben, das die Proband*innen im Sinne von Bewegung, Entspannung, Spaß oder dem Erleben urbaner und begrünter Umwelten beschreiben. Hier zeigt sich deutlich, dass das Radfahren mehr als ein Mittel zum Zweck (ein Ziel zu erreichen) ist und der Aktivität als Praktik eine ganz eigene Bedeutung zukommt. Dies unterscheidet die Praxistheorie in besonderer Weise von individualistischen Verhaltenstheorien.

Nichtsdestotrotz ist die Praktik des Radfahrens durch das Element des Weges häufig in andere Praktiken eingebunden, die beeinflussen, welchen Elementen bei der konkreten Ausführung welche Relevanz zukommt. Grundsätzlich kann zwischen Wegen unterschieden werden, die dem Radfahren an sich dienen (Freizeitwege im Sinne von Radtouren), und zweckgebundenen Wegen, die zurückgelegt werden, um eine andere Praktik ausführen zu können. Freizeitwege sind räumlich und zeitlich weniger durch andere Praktiken strukturiert. Hier gewinnen die Elemente des genussvollen Erlebens an Bedeutung. In Abgrenzung zu Freizeitwegen sind zweckgebundene Wege auch durch Elemente angrenzender Praktiken geprägt. Wird beispielsweise der Arbeitsweg betrachtet, ist dieser durch den Arbeitsort räumlich und die Arbeitszeit zeitlich strukturiert. Er ist zudem in den Verlauf des Alltags eingebunden und kann so zusätzlich von weiteren angrenzenden Praktiken, die ebenfalls zeitliche Anforderungen stellen, beeinflusst werden. Dies hat zur Folge, dass Bedeutungen von Schnelligkeit und Effizienz an Relevanz gewinnen. Diese können mit den Elementen des genussvollen Erlebens konkurrieren – jedoch auch mit diesen koexistieren.

Unter diesen Bedingungen spannt sich die Routenwahl auf, die idealerweise eine solche Koexistenz verschiedener positiv besetzter Bedeutungen ermöglicht. Inwiefern dies jedoch gelingen kann, ist zu einem großen Teil von der gegebenen Infrastruktur abhängig. Die Erfahrungen, von denen die Interviewpartner*innen in dieser Hinsicht berichteten, unterscheiden sich dabei durch die unterschiedlichen Gegebenheiten, die jeweils vorgefunden werden: Während ein Proband beschrieb, ohne einen größeren Umweg einen Großteil seines Arbeitsweges durch den Park zurückzulegen und das Radfahren so genießen zu können, berichtete ein anderer davon, auf seinem Arbeitsweg drei große, vom motorisierten Verkehr dicht befahrene Knotenpunkte nicht umgehen zu können.

Diese Bedeutung der Infrastruktur ist es schließlich auch, die hinsichtlich eines (unbewussten) Vermeidens belasteter Wege zum Tragen kommt. Auf eine Exposition gegenüber Luftverschmutzung angesprochen, berichteten die Proband*innen zwar, das Radfahren selbst als eine umweltfreundliche Praktik wahrzunehmen, mit der ein eigener Schadstoffausstoß vermieden wird, übermäßige Besorgnis hinsichtlich eigener gesundheitlicher Risiken bestand jedoch nicht. Zwar bevorzugen Radfahrer*innen genau jene Infrastrukturen, die gemäß einfacher Heuristiken mit einer geringeren Belastung in Verbindung stehen (begrünte Umwelten abseits verkehrsreicher Straßen), jedoch wurde eine Exposition nicht als ein übergeordnetes Kriterium bei der Routenwahl benannt. Dass der Zusammenhang trotzdem besteht, lässt sich darauf zurückführen, dass die infrastrukturellen Elemente, die ein genussvolles Erleben des Radfahrens an sich ermöglichen, mit jenen komplementär sind, die in Zusammenhang mit einer geringen Belastung stehen.

Aufbauend auf den Erkenntnissen der qualitativen Interviews bietet die praxeologische Interpretation des Radfahrens und der Routenwahl eine neue Perspektive auf die Möglichkeiten zur Stärkung der gesundheitsbezogenen Resilienz der Bevölkerung und die Rolle mobiler Sensoren. In Einklang mit bisherigen Erkenntnissen zeigt sich auch hier, dass ein personenbezogenes Belastungsfeedback nur selten ausreicht, um die Routenwahl nachhaltig zu beeinflussen. Die Erklärung dessen liegt jedoch weniger in individuellen Entscheidungen als vielmehr in 1) der Alltagsstruktur, die durch unterschiedliche Praktiken einen zeitlichen und räumlichen Rahmen vorgibt, und 2) der Infrastruktur, die bestimmte Wege ermöglicht oder verunmöglicht und so zum Gegenstand der Intervention werden kann. Aufgrund der Komplementarität der infrastrukturellen Elemente eines genussvollen Erlebens des Radfahrens und hinsichtlich einer geringen Exposition (s. o.) – wodurch sich die Wahl sauberer Routen quasi von selbst in die Bedeutungen des Radfahrens einfügt – ergeben sich besondere Chancen: Durch die Adressierung der Infrastruktur – im Gegensatz zum individuellen Verhalten – kann zum einen die Gefahr einer Individualisierung des Problems vermieden werden, welche insofern problematisch ist, als unterschiedliche Bevölkerungsgruppen mit unterschiedlichen Bewältigungsressourcen ausgestattet sind (Umweltgerechtigkeit). Zum anderen besäßen entsprechende Maßnahmen – in Form von Infrastrukturen, die eine Koexistenz der verschiedenen positiven Bedeutungen des Radfahrens ermöglichen – nicht nur das Potenzial, die gesundheitsbezogene Resilienz der Bevölkerung zu stärken, sondern könnten auch die positiven Bedeutungen des Radfahrens fördern und im Sinne einer nachhaltigen Mobilität dazu beitragen, mehr Menschen für das Fahrrad zu begeistern. Mobile Sensoren wiederum können in diesem Zusammenhang wertvolle Erkenntnisse für die Gestaltung von Infrastrukturen liefern, indem sie im Rahmen groß angelegter Studien dabei helfen, mehr über die Verortung von Umweltstressoren im urbanen Raum sowie über die Wege der Menschen zu erfahren.

6 Fazit

Die Exposition von Individuen gegenüber Umweltstressoren spielt in Anbetracht der Auswirkungen dieser Stressoren auf die Gesundheit der Menschen eine große Rolle. In diesem Beitrag haben wir die Entwicklungen der Sensortechnik skizziert sowie deren Anwendung in Studien in den letzten Jahren dargestellt. Weiterhin wurde die Bedeutung von Belastungsfeedback diskutiert sowie das Radfahren und Zufußgehen aus Sicht der Praxistheorie eingeordnet. Die Implementierung einer Visualisierungs- und Analyseanwendung für das ExpoAware-Projekt konnte einen ersten Einblick in die Verteilung der Umweltstressoren liefern und so Gebiete und Randbedingungen identifizieren, welche einer umfassenden Analyse bedürfen.

Im Beitrag wurde gezeigt, dass Informationen über die individuelle Exposition mit Handlungsempfehlungen einhergehen müssen, welche helfen, diese zu reduzieren. Geschieht dies nicht, führt das zur Verdrängung des Problems, zu Fatalismus oder Resignation. Auf die Wege in der Stadt bezogen kommt also der Qualität der Rad- und Fußinfrastruktur eine besondere Bedeutung zu. Nur dort, wo es attraktive Wege mit geringer Belastung gibt, können Individuen durch angepasstes Wegeverhalten ihre Exposition mindern. Neben der damit gesteigerten gesundheitsbezogenen Resilienz kann so auch die positive Bedeutung des Radfahrens gefördert werden. Dadurch kann ein Beitrag zur notwendigen Mobilitätswende geleistet werden, welche in Anbetracht der Klima- und Ressourcenkrise in den letzten Jahren stark an Bedeutung gewonnen hat. Diese Erkenntnisse schließen sich an den Beitrag von Schicketanz in diesem Band an, welcher sich auf das Mobilitätsverhalten von Kindern fokussiert. Neben der Reduzierung der Expositionsbelastung werden hier auch andere Aspekte deutlich, die für eine zukunftsweisende Infrastruktur beachtet werden müssen. Dazu zählen wie von Schicketanz angeführt neben der Sicherheit (sowohl im Verkehr als auch im Allgemeinen, was die Abgeschiedenheit und Beleuchtung von Wegen angeht) auch das Vorhandensein von Raum für Erholung, Bewegung, Spiele, Begegnung und Kommunikation auf den Routen in der Stadt. Die Bewegungsförderung von Kindern prägt ihr späteres Mobilitäts- und Bewegungsverhalten und ist so eine Investition in die Mobilitätswende.

Durch den Einsatz mobiler Sensoren und die wissenschaftliche Analyse und Einordnung der Ergebnisse können Städte und Kommunen wichtige Informationen darüber erhalten, wie Infrastrukturen zukünftig umgestaltet oder neu angelegt werden sollten. Supplementär dazu ist die Simulation, beispielsweise von Stadtklima, wie sie Hertel et al. in ihrem Beitrag in diesem Band beschreiben, zu sehen. Durch die Kombination von Mess- und Simulationsergebnissen für das Stadtgebiet kann in Zukunft ein noch genaueres Bild gezeichnet werden, aus welchem sich ein Handlungsbedarf in einzelnen Quartieren ableiten lässt.