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1 Einleitung

Deutsche Städte stehen vor zunehmenden und parallel ablaufenden Herausforderungen: Neben Klimawandel und Coronapandemie erfordert auch die Bewegungsmangelkrise (physical inactivity crisis; Voss 2018) eine Anpassung und Neuausrichtung der Stadtentwicklung. Kinder und Jugendliche in Deutschland bewegen sich immer weniger (infas 2018). Der Bewegungsmangel und die damit verbundene Gewichtszunahme verstärkten sich noch einmal deutlich während der Coronapandemie, da sich das alltägliche Leben nach drinnen verlagerte und Kindergärten und Schulen geschlossen waren (Vogel et al. 2022). Dabei sind die positiven Effekte körperlicher Bewegung gut bekannt: Sie erhöht die körperliche Fitness und senkt das Risiko von Typ-2-Diabetes, Adipositas und Herz-Kreislauf-Erkrankungen (Cooper et al. 2005; Ramanathan et al. 2014; Stark et al. 2019). Außerdem wirkt sie positiv auf die mentale Gesundheit, kognitive Fähigkeiten und das Selbstbewusstsein (Voll und Buuck 2005).

Neben organisiertem Sport und dem freien Spiel ist die aktive Fortbewegung, also insbesondere das Laufen und das Fahrradfahren, ein wichtiger Teil alltäglicher Bewegung. Eine der zentralen Fortbewegungsarten von Kindern und Jugendlichen in deutschen Metropolen ist das zu Fuß gehen. Allerdings sinkt der Anteil der zu Fuß zurückgelegten Wege (infas 2019).

Wie Städte dem zunehmenden Bewegungsmangel besonders bei Kindern entgegenwirken und damit die urbane Resilienz gegenüber der physical inactivity crisis stärken können, soll in diesem Beitrag diskutiert werden. Eine resiliente Stadt wird einerseits als widerstands- und anpassungsfähig bei Krisen mit dem Ziel einer Umgestaltung hin zu einer nachhaltigen Stadt verstanden (BMI 2021). Andererseits ist eine Stadt nur dann resilient, wenn ihre Bewohner*innen individuell gesund und resilient und damit in ihrer Gesamtheit gesund und widerstandsfähig sind.

Um der abnehmenden aktiven Fortbewegung entgegenzuwirken, bedarf es eines Handelns auf vielen Ebenen: auf individueller und familiärer Ebene, im Bereich der Kindereinrichtungen und Schulen sowie auf Stadtteil- und gesamtstädtischer Ebene. In diesem Beitrag soll vor allem das Quartier als konkreter Bewegungsraum für Kinder in den Blickpunkt rücken. Es wird vom Sachverständigenrat für Umweltfragen als strategisches Handlungsfeld für urbane Resilienz beschrieben (SRU 2020) und ist ein „Labor“, in dem Probleme und lokale Folgen identifiziert, analysiert und bearbeitet werden können (Drilling und Olaf 2019; siehe Schmidt et al. in diesem Band). Dieser Beitrag fokussiert innerhalb des Quartiers vorrangig auf das Schulumfeld beziehungsweise -einzugsgebiet.

Im ersten Teil werden zunächst das Konzept der Resilienz sowie ausgewählte Studien zur individuellen Resilienz bei Kindern und zur Gesundheitsförderung vorgestellt. Im Anschluss werden Ergebnisse zweier Fallstudien zum Schulumfeld von Grundschüler*innen erläutert. Dabei steht die Perspektive der Kinder im Mittelpunkt: Welche Aspekte ihres Schulumfeldes bzw. -weges nehmen sie wahr und wie bewerten sie diese? Daraus werden Maßnahmen zur Bewegungs- und Gesundheitsförderung der Kinder abgeleitet, die die individuelle Resilienz steigern können. Abschließend werden Konflikte und Lösungen im Hinblick auf einzelne Aspekte eines resilienten, gesundheitsfördernden Quartiers diskutiert.

2 Resilienz und Gesundheit von Kindern

Das Konzept der Resilienz hat einen seiner Ursprünge in der Psychologie. In diesem disziplinären Zusammenhang wird Resilienz als „psychische Widerstandsfähigkeit gegenüber biologischen, psychologischen und psychosozialen Entwicklungsrisiken“ beschrieben (Wustmann 2005). Es kann auch als optimale Anpassung an schwierige Lebensbedingungen bezeichnet werden (Geene et al. 2013). Dahinter steht die Frage, was einen Menschen gesund erhält – Resilienz steht damit in engem Zusammenhang mit dem Konzept der Salutogenese (Antonovsky 1979). Gemessen und damit vergleichbar gemacht wird die individuelle Resilienz im deutschsprachigen Raum vor allem mit der Resilienzskala RS-25 (Schumacher et al. 2005). Sie misst anhand von 25 Items die persönliche Kompetenz (z. B. Eigenständigkeit, Bestimmtheit, Ausdauer) sowie die Selbstakzeptanz (z. B. Anpassungsfähigkeit, Flexibilität).

Eine der ersten Studien zur Resilienz bei Kindern stammt von der US-amerikanischen Psychologin Emmy Werner (Werner et al. 1971). Ab 1955 beobachtete sie knapp 700 Kinder auf der Insel Kauai (Hawaii). Ein Drittel dieser Kinder wuchs unter schwierigen Lebensbedingungen auf. Jedoch entwickelten von dieser Risikogruppe nur zwei Drittel auffällige Verhaltensmuster. Ein Drittel der Kinder entwickelte sich trotz biologischer und sozialer Risikofaktoren positiv. Ebendiesen Kindern wurden von Werner besondere Eigenschaften und Problemlösungsstrategien attestiert – sie wiesen eine hohe Resilienz auf.

Auch in Deutschland wurden in den letzten Jahren vermehrt quantitative Resilienzstudien zu Kindern durchgeführt. In Längsschnittstudien galt es herauszufinden, welche Faktoren zu einer erhöhten Resilienz bei Kindern führen (Resilienz- bzw. Schutzfaktoren): Die Bielefelder Invulnerabilitätsstudie untersuchte bei Heimkindern die Resilienzfaktoren außerhalb der Familie (Lösel et al. 1990). Die Mannheimer Risikokinderstudie zu Resilienz im Entwicklungsverlauf von der frühen Kindheit bis zum Erwachsenenalter befasste sich mit knapp 400 Kindern mit unterschiedlichen Risikokonstellationen (Laucht 2012). Im Rahmen der Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS) des Robert Koch-Instituts wurde in einem Modul das seelische Wohlbefinden und Verhalten im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen erhoben (BELLA-Modul; Wille et al. 2008; Ravens-Sieberer et al. 2015). In einer Studie des Frankfurter Instituts für Sozialarbeit und Sozialpädagogik (ISS-Frankfurt a. M.) im Auftrag der Arbeiterwohlfahrt (AWO-ISS-Studie) untersuchte man bei Grundschüler*innen Lebenslage und Lebenschancen mit dem Fokus auf Kinderarmut (Holz et al. 2005).

Als wichtigste Resilienz- bzw. Schutzfaktoren für Kinder haben sich in diesen Studien folgende herausgestellt: eine stabile emotionale Beziehung zu einer primären Bezugsperson, eine offene, warme und klar strukturierte Erziehung durch ebendiese Bezugsperson sowie soziale Unterstützung außerhalb der Familie zur Erhöhung der sozialen Kompetenzen, der Problemlösungsfähigkeit und des Selbstbewusstseins (Wassell und Daniel 2002; Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2013). Diese Faktoren müssen auf allen Ebenen gefördert werden. So spielen die Orte 1. der primären Sozialisation (Familie), 2. der sekundären Sozialisation (Kita, Schule) und 3. der tertiären Sozialisation (Sozial-, Sport- und Freizeitangebote im Sozialraum) eine wichtige Rolle, um die Lebenswelten der Kinder ohne spezielle Zugangshürden gesund zu gestalten (Geene et al. 2013). Schließlich bietet das Quartier den alltäglichen Lebens- und Identifikationsraum, in dem Kinder aufwachsen und sich ihre soziale Orientierung aneignen (Abb. 14.1).

Abb. 14.1
figure 1

Resilienzumfeld für Kinder

Ein Teil der individuellen Resilienz ist angeboren. Will man die Resilienz fördern, gilt der Grundsatz: je früher, desto besser (Zander und Roemer 2016). Es geht in der Gesundheitsförderung sowohl darum, das gesundheitsbezogene Verhalten des Einzelnen zu unterstützen, als auch um das Ziel, die sozialen, ökonomischen und ökologischen Verhältnisse gesundheitsfördernd zu verändern (Geene et al. 2013). Die WHO bezeichnet diese umfassenden Verhältnisse als „Setting“, in dem Menschen ihren alltäglichen Aktivitäten nachgehen, in dem Umwelt-, Organisations- und persönliche Faktoren interagieren und in dem Gesundheit und Wohlbefinden beeinflusst werden (WHO 1998). Auch Krankenkassen in Deutschland begreifen inzwischen den Kindergarten und die Schule und seit 2010 auch das Quartier als prioritäre Handlungsorte der Gesundheitsförderung (GKV 2010).

Ein beispielhaftes Projekt zur Förderung der Resilienz von Kindern („Kinder stärken“) wurde in Freiburger Kindertagesstätten in besonderen Problemlagen durchgeführt (Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2013). Das Ziel des Projektes war die Stärkung der individuellen psychologischen Resilienz der Kinder. Dazu wurden nicht nur Kurse für die Kinder durchgeführt, sondern es wurde auch das gesamte Setting in den Blick genommen mit einer Beratung für deren Eltern, der Weiterbildung und Supervision der pädagogischen Fachkräfte sowie Vernetzung im Sozialraum. Außerdem wurde im Sinne des ganzheitlichen Gesundheitsverständnisses der WHO neben der mentalen auch die physische Gesundheit gefördert (WHO 1946). Im Ergebnis konnte das Selbstwertgefühl der Kinder gestärkt und die kognitive Entwicklung verbessert werden. Die Eltern berichteten über eine gestiegene Erziehungssicherheit und die pädagogischen Fachkräfte über eine höhere Arbeitszufriedenheit (Fröhlich-Gildhoff und Rönnau-Böse 2013).

Die vorgestellten Analysen belegen, dass Gesundheits- und Resilienzförderung das individuelle Verhalten durch die Verbesserung der Verhältnisse ändern kann. Ausgehend von Antonovskys Salutogeneseansatz werden Schutz- bzw. Resilienzfaktoren untersucht, die den Menschen gesund erhalten. Eine Förderung ebendieser ist schon im Kindesalter wichtig und stark an das Setting der Kinder (Familie, Kindergarten, Schule, Wohnumfeld und Quartier) gebunden. Quartiere können nur dann resilienter werden, wenn die gebaute und natürliche Umwelt, aber auch das soziale Nachbarschaftsgefüge weniger krisenanfällig, bewegungsfreundlicher und damit gesundheitsfördernd gestaltet werden. Wie nun gesunde und resiliente Quartiere durch die Augen der Kinder wahrgenommen und gestaltet werden können, diskutieren die folgenden Abschnitte anhand von zwei Fallstudien in Berlin und Leipzig.

3 Fallstudie Berlin

Die erste Fallstudie im Bezirk Berlin-Mitte befasste sich mit der Frage, welche Räume Kinder in ihrem Schulumfeld als bewegungsfördernd oder -hemmend wahrnehmen. Ein Ziel der Studie war es zudem, die Kompetenzentwicklung im Bereich räumliche Orientierung mit passenden Medien und Methoden im Sachkundeunterricht zu unterstützen.Footnote 1

Im Juni 2017 wurde dazu mit 9- bis 10-jährigen Schüler*innen der Hansa-Grundschule eine stationäre Unterrichtseinheit zum Thema Kartenentstehung und Kartenlesen durchgeführt. Im Anschluss folgte eine Schulumfeldbegehung mit analogen Karten und GPS-Geräten in Kleingruppen (4–6 Schüler*innen). Begleitet wurden die Kinder von Lehramtsstudierenden, die bei der technischen Umsetzung halfen und die Beschreibung und Bewertung der kartierten Orte notierten.

Neben einer interaktiven Webmap (Humboldt-Universität zu Berlin 2017), die die Studierenden erstellten, wurden die 136 von den Kindern kartierten Orte in einem qualitativen Geoinformationssystem (GIS) visualisiert (Abb. 14.2). Dazu wurden alle mit den GPS-Geräten aufgenommenen Punktkoordinaten in die Software QGIS eingefügt. Anschließend wurden sie mit den vor Ort festgelegten Bewertungen (gut = grün, mittel/unentschieden = gelb, schlecht = rot) versehen und um die Beschreibung und Bewertung ergänzt. Iterativ wurden dann die Merkmale zusammengefasst und in 13 Kategorien eingeteilt.

Abb. 14.2
figure 2

Wahrnehmungskartierung von Kindern der Hansa-Grundschule in Berlin-Mitte (Juni 2017)

Unter den beschriebenen Merkmalen befinden sich einerseits bereits aus der Literatur bekannte bewegungshemmende und -fördernde Faktoren. Dazu zählen Verkehrsdichte, Spielplatzversorgung und Fußwegqualität. Andererseits zeigen sich bislang wenig bekannte Faktoren wie beispielsweise temporäre Treffpunkte wohnungsloser Menschen, Geruchsbelästigung, umgewidmete Spielorte (z. B. Treppengeländer) und ästhetische Aspekte.

4 Fallstudie Leipzig

Die zweite Fallstudie in Leipzig fragte ebenfalls nach Faktoren, welche die körperlich aktive Fortbewegung fördern oder hemmen. Zudem wurde untersucht, inwiefern die räumliche Wahrnehmung von Kindern entlang ihrer Schulwege von ihrer Fortbewegungsart und Begleitung abhängig ist.

Dazu führte die Autorin von Februar bis Juli 2020 in drei Leipziger Quartieren Walking Interviews durch. Die Untersuchung war Bestandteil des Stadtlabors Leipzig am UFZ (siehe Banzhaf et al. in diesem Band). 14 Kinder zwischen 7 und 10 Jahren und ihre Eltern wurden entlang der Schulwege begleitet. Eine GPS-App trackte die Wege und via Audiorecorder wurden die leitfadengestützten Interviews aufgenommen. Die Kinder wurden aufgefordert, ihre Schulwege anhand von geokodierten Smartphone-Fotografien zu dokumentieren.

Die Interviews wurden in MAXQDA transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet. Der Zeitstempel der Interviewaufnahmen und GPS-Tracks ermöglichte die Geokodierung aller ortsbezogenen Äußerungen. So konnten verortete Interviewaussagen gemeinsam mit den Fotos und GPS-Tracks in QGIS eingefügt werden, welches zur Visualisierung und weiteren Auswertung der Studie genutzt wurde (Abb. 14.3).

Abb. 14.3
figure 3

Schulwegkartierung von Kindern einer zentrumsnahen Leipziger Grundschule (Februar bis Juli 2020)

Die Fallstudie zeigt, dass bei der Wahrnehmung des Schulweges, unabhängig von der Fortbewegungsart und Begleitung, verkehrsbezogene Bedenken im Vordergrund stehen. In allen Interviews wurden Orte beschrieben, die als gefährlich wahrgenommen werden. Vermehrt finden sich diese negativen Assoziationen mit Orten entlang des Weges in Interviews mit Eltern, deren Kinder (noch) nicht alleine laufen. Demgegenüber beschreiben unbegleitete Laufgruppen zahlreiche positiv assoziierte Orte und Interaktionen mit der Umwelt. Beispielsweise suchen sie sich Abkürzungen oder Alternativrouten, Spielorte in der gebauten und natürlichen Umwelt (z. B. Pfützen, Bachlauf, Treppen, Klingelputzen) oder erledigen Einkäufe (z. B. im Supermarkt, beim Bäcker). Die Kinder, die ihre Schulwege bereits ohne Begleitung der Eltern zurücklegen, sind sehr aussagefähig zu ihrer räumlichen Wahrnehmung und teilen ihr Wissen in den Interviews gerne.

5 Gesunde und resiliente Quartiere für Kinder: Konflikte und Lösungsvorschläge

Die beiden Fallstudien aus Quartieren in Berlin und Leipzig zeigen, dass Kinder im Grundschulalter bereits ein differenziertes Wissen über ihre räumliche Umgebung besitzen. Sie kennen ihre alltäglichen Schulwege und verbinden auch mit Orten im Schulumfeld, die sie nicht täglich sehen, Erinnerungen wie einen Spielplatzbesuch oder Familienausflug. Gerade sich aktiv fortbewegende Kinder kennen ihre Umwelt sehr genau und beschreiben diese detailliert. Für gewöhnlich unbegleitet laufende Kinder und Laufgruppen interagieren verstärkt mit ihrer Umwelt, wollen entlang ihrer Wege Neues entdecken und sich zusätzlich im Spiel betätigen. Wege bedeuten dann nicht nur das Überwinden einer bestimmten Distanz, sondern sie bieten Raum für Erholung, Bewegung, Spiele, Begegnung und Kommunikation. Das sollte sich auch in der Gestaltung öffentlicher Gehwege widerspiegeln. Es bedarf einer Vielfalt von Umweltmerkmalen und damit eines Freiraums für Spiele und einer die Sinne stimulierenden Umgebung (Michail et al. 2021).

Um Kinder verstärkt zur aktiven Fortbewegung zu motivieren, ist es entscheidend, ihnen den Erwerb räumlichen Wissens zu ermöglichen. Dazu braucht es auf der einen Seite das Vertrauen der Erwachsenen und Eltern in die Fähigkeiten des Kindes. Eltern sind die Hauptentscheidenden über die Mobilität ihrer Kinder. Die elterlichen Präferenzen und Prioritäten sollten ebenso wie die Wahrnehmung ihrer Kinder analysiert werden (Waygood 2020). Auf der anderen Seite braucht es als sicher wahrgenommene Räume, in denen Eltern ihre Kinder Stück für Stück unbegleitet laufen (oder Fahrrad fahren) lassen können. Dabei spielt die Verkehrssituation eine zentrale Rolle, wie die Ergebnisse der beiden Fallstudien sowie anderer Untersuchungen zeigen (Michail et al. 2021).

5.1 Individuelle Resilienz – resiliente Quartiere

Die Widerstandsfähigkeit von Kindern gegenüber Krisen zu steigern, kann nur unter Einbeziehung von Familie bzw. Bezugspersonen, Schule und Quartier funktionieren (Abb. 14.1). Die Fallstudien zeigen, dass neben der familiären Ebene auch der Freundeskreis von zentraler Bedeutung ist. Findet sich beispielsweise eine Laufgruppe in direkter Nachbarschaft oder überschneiden sich Teile eines Weges, ist die körperliche Bewegung entlang des Weges ein Nebeneffekt. Die Kinder interagieren, kommunizieren und empfinden das als großen Wert an sich (Fallstudie Leipzig). Des Weiteren verknüpfen Kinder z. B. Wohnungen von Freunden oder Erlebnisse mit bestimmten Orten und identifizieren sich so stärker mit ihrem Umfeld (Fallstudie Berlin). Die körperliche Aktivität wird nach Äußerungen von Kindern und Eltern durch kleinräumige Hemmnisse behindert. Dies betrifft z. B. mit Mülltonnen zugestellte Fußwege, die nicht nur einengen, sondern auch eine Geruchsbelästigung sind, Baustellenlärm, rasende Autos, schwer einsehbare Kreuzungen oder nicht gut beleuchtete Durchgänge. Stadtplanerisch ist für diese Kinderperspektive ein stärkeres Problembewusstsein erforderlich.

5.2 Leitbild: Stadt der kurzen Wege

Das Leitbild der Stadt der kurzen Wege als zentrales Konzept nachhaltiger Stadtentwicklung hebt der Sachverständigenrat für Umweltfragen in seinem Gutachten aus dem Jahr 2020 hervor (SRU 2020). „Kompakte, nutzungsgemischte Stadtstrukturen mit einer hohen Lebensqualität“ zu schaffen, steht dabei im Fokus. Die beiden vorgestellten Fallstudien unterstreichen die Wichtigkeit kurzer Wege. Die Fortbewegung entlang von Schulwegen hängt zentral von der zurückzulegenden Distanz ab. Je kürzer der Weg ist, desto eher wird er fußläufig zurückgelegt. Das ist vor allem in dichter besiedelten, zentrumsnahen Quartieren der Fall (Schicketanz et al. 2022). Eine Nutzungsmischung bietet Abwechslung entlang von Wegen und fördert die fußläufig erreichbare Nahversorgung im Wohnumfeld. Dazu gehören u. a. Bäckereien und Supermärkte oder Spielplätze und Parks zur Versorgung, Erholung und Bewegung. Den Trends der Verhäuslichung (Sozialisations- und Lebensraum liegt stärker im Elternhaus als im öffentlichen Raum) und Verinselung (Freizeitaktivitäten werden zunehmend in institutionalisierten Räumen statt an Orten eigenständiger Erreichbarkeit ausgeübt) kann dies allerdings nur bedingt entgegenwirken (Bittkau und Stölting 2018).

5.3 Aktive Mobilität in Städten

Die Förderung der körperlichen Aktivität von Kindern hat nicht nur individuelle gesundheitsfördernde und präventive Effekte. Sie begleitet Kinder ihr Leben lang und prägt das spätere Mobilitäts- und Bewegungsverhalten (Lampert et al. 2017). Mehr Fußverkehr führt auf Quartiersebene zu einer Belebung des öffentlichen Raumes und ermöglicht Begegnungen sowie Kommunikation. Die Reduzierung des motorisierten Individualverkehrs erhöht gleichzeitig die Sicherheit vulnerabler Gruppen (u. a. Kinder, Menschen mit Behinderung, Ältere) (SRU 2020). Zusätzlich sollten direkte gesundheitsbezogene Belastungen wie Lärm, Hitze und Feinstaub in den Blick genommen werden, um den Fuß- und Radverkehr in Städten zu stärken, fordern Helbig et al. in diesem Band. Der Modal Shift hin zu mehr Fuß- und Radverkehr verlangt auch bewegungsfreundliche Stadtstrukturen. Dies schließt Gehwege ohne Stolperfallen und Sitzgelegenheiten zum zwischenzeitlichen Ausruhen sowie für Begegnungen ein.

5.4 Konflikte und Lösungen

Die empirischen Ergebnisse der beiden Fallstudien belegen: „Schulwege sind mehr als das Zurücklegen von Strecken im Raum. Sie sind Erlebnis-, Erfahrungs- und Lernwege“ (Limbourg 2009). Einige deutsche Städte verfolgen das Ziel, für das Spiel und die Bewegung von Kindern attraktiver zu werden. Zum Beispiel orientiert sich die Stadt Griesheim am Leitbild der bespielbaren Stadt (Bittkau und Stölting 2018). Es wurden 100 dauerhafte Spielobjekte in der gesamten Stadt errichtet. In einem mehrjährigen Beteiligungsprozess erarbeitete der Pädagoge Bernhard Meyer gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen Elemente für den öffentlichen Raum, die zu Bewegung und Spiel animieren. In der Stadt Bremen ist die Spielleitplanung ein kommunales Planungsinstrument (Abt 2017). Es ermöglicht unter anderem die Errichtung von Spielstraßen auf Zeit, um den öffentlichen Raum für Kinder aufzuwerten.

Quartiere und ganze Städte für Kinder gesundheitsfördernd und resilient zu gestalten, verursacht allerdings auch Konflikte. Nicht selten kollidieren die Bedürfnisse von Kindern unterschiedlicher Altersklassen vom Kleinkind- bis zum Jugendalter. Wo die einen Wege bevorzugen, die vom Autoverkehr befreit sind und sogar Umwege in Kauf nehmen, suchen sich die anderen Abkürzungen, auch wenn diese über stark befahrene Straßen führen (Fallstudie Leipzig). Was für Jugendliche ein willkommener Treffpunkt mit Sitzmöglichkeit ist, empfinden spielende Kinder als störend (Fallstudie Berlin). Erst zaghaft nehmen Initiativen zu, bei der Gestaltung öffentlicher Räume vielfältige Akteure einzubinden und tatsächlich an der Planung partizipieren zu lassen (Hilgenböcker et al. 2021; Landwehr und Kolip 2021).

Die Sichtbarkeit von Kindern im öffentlichen Raum erhöhte sich auch während der coronabedingten Lockdowns. Als 2020 Schulen, Sportvereine und zum Teil sogar Spielplätze geschlossen waren, wurden städtische Parks stärker frequentiert. Vielfältige Räume wie Treppen, Geländer und Plätze wurden zunehmend „bespielt“ und kreativ verändert, indem beispielsweise Hütten gebaut wurden. Mobilität und Bewegungsfreude zeigten sich also gerade dort, wo öffentliche Räume und natürliche Freiflächen verfügbar, zugänglich und attraktiv waren und wo Eltern und Kinder die Möglichkeit hatten, diese zu entdecken (Moore et al. 2022). Diese Gelegenheiten sind in Städten zwischen den sozial unterschiedlich strukturierten Quartieren oft ungleich verteilt. Quartiersbezogene Gesundheitsförderung braucht entsprechende Aufmerksamkeit, um in allen städtischen Teilräumen kindgerechte gesundheitsfördernde Angebote zu schaffen (Bengel et al. 2009).

6 Zusammenfassung und Schlussfolgerungen

Bezugnehmend auf die Ausgangsfrage dieses Beitrages „Wie können Quartiere die Gesundheit und Resilienz unserer Kinder fördern?“ werden nachfolgende Antworten formuliert. Sie bewegen sich auf unterschiedlichen Bezugsebenen:

  • Individuell: Die Entwicklung der kognitiven Fähigkeiten von Kindern hängt mit deren körperlicher Bewegung zusammen (Voll und Buuck 2005). Bietet ein Quartier vielfältige Möglichkeiten zur aktiven (Fort-)Bewegung, fördert das gleichzeitig Fähigkeiten wie das Kommunizieren, Planen, Entscheiden und Reagieren sowie die körperliche Fitness.

  • Familiär: Die Hauptfaktoren individueller Resilienz sind die sichere Bindung zu einer Bezugsperson, eine warme und offene Erziehung sowie die soziale Unterstützung über die Bezugsperson(en) hinaus. Eine Vielzahl psychisch und physisch gesunder Kinder bildet in Summe einen wichtigen Teil der resilienten Gesellschaft.

  • Schulisch: Gesundheitsförderung an Schulen sollte ganzheitlich angegangen werden. Handlungsbereiche sind hier: eine altersgerechte Entwicklungsförderung, eine gesunde Ernährung und Bewegung, Sprachförderung, regelmäßiger Sportunterricht sowie die „Stärkung von individuellen Ressourcen und Schutzfaktoren“ (BzgA 2019).

  • Im Quartier: Um gesunde und resiliente Quartiere zu gestalten, bedarf es einer Verminderung räumlich konzentrierter gesundheitsrelevanter Umweltbelastungen sowie sozial gerechterer Lebensbedingungen (Prescott und Logan 2016). In Bezug auf die aktive Mobilität sind eine problemlose Begehbarkeit öffentlicher (Fuß-)Wege, die Bespielbarkeit öffentlicher Grünflächen und eine fußläufige Erreichbarkeit von Infrastruktureinrichtungen zentrale Voraussetzungen.

  • In der Forschung: Die Perspektive der Kinder auf ihre alltäglichen Wege und Räume sollte stärker in den Fokus rücken. Elternunabhängige aktive Mobilität ermöglicht das Aneignen räumlichen Wissens und ebendieses bietet wiederum die Grundlage für mehr Selbständigkeit im öffentlichen Raum. Kinder nehmen ihre Umwelt anders wahr als Erwachsene und können selbst Probleme beschreiben und Lösungen dazu erarbeiten. Das sollte in der Forschung stärker thematisiert und in der Stadtplanung berücksichtigt werden.