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1 Einleitung

Gebäudebegrünung wird immer mehr als multifunktionales Anpassungsinstrument diskutiert, auch mit Blick auf urbane Resilienz (Bustami et al. 2018). Ausgehend von der Definition von urbaner Resilienz geht es grundsätzlich um die Aufrechterhaltung oder rasche Wiederherstellung zentraler Funktionen städtischer Systeme im Angesicht von Krisen und Schocks (siehe Rink et al. in diesem Band). Zwei Spezifizierungen dieser allgemeinen Definition sind für die Betrachtung der Resilienzaspekte von Fassadengrün (FG) wichtig: Resilienz wogegen? Und Resilienz von welchem System bzw. auf welcher Ebene?

Erstens wird festgestellt, dass es nicht „die“ urbane Resilienz gibt, sondern vielmehr muss Resilienz auf eine bestimmte Gefahr, Krise oder ein Risiko bezogen werden (siehe Rink et al. in diesem Band). Hier muss also zunächst geklärt werden, worauf genau sich die Resilienzeffekte von FG beziehen und wie multiple Nutzen bewertet werden können. Der Fokus dieses Beitrags liegt auf den Effekten von FG auf die Umgebungstemperatur, also der Resilienz urbaner Räume gegen Hitzestress (siehe dazu auch Hertel et al. in diesem Band).

Als Wirkungsebene wird für die Analysen das Quartier gewählt. Auch wenn die grüne Infrastruktur Wirkungen im gesamten Stadtgebiet entfaltet, sind die Effekte von FG hauptsächlich lokal, sowohl in Bezug auf Nutzen, als auch auf Kosten und potenzielle negative Auswirkungen. Diese Effekte gehen häufig über die einzelne Wohneinheit oder den Gebäudekomplex hinaus (z. B. Kühlung der Straße). Wie Schmidt et al. in diesem Band formulieren, stellt das Quartier für viele Resilienzmaßnahmen eine geeignete Interventionsebene dar, weil die Menschen hier Auswirkungen von Hitze im Alltag direkt wahrnehmen. Überdies bietet sich die Quartiersebene besonders als Experimentier- und Lernfeld an (siehe ebd.). Dies ist aus Sicht der noch recht jungen FG-Forschung ein zentraler Aspekt, auch wenn die Übertragbarkeit erfolgreicher Innovationen auf andere Teile der Stadt kritisch geprüft werden muss.

Wir wollen in diesem Beitrag der Frage nachgehen, inwieweit die vielfältigen Funktionen von Fassadengrün einen Beitrag zu Hitzeresilienz im Quartier leisten können. Im Folgenden untersuchen wir dafür zunächst basierend auf Literaturauswertungen und eigenen Modellierungen die direkte Wirkung von Fassadengrün auf das Mikroklima im Quartier. Die Ergebnisse kontrastieren wir daraufhin mit der subjektiven Wahrnehmung von Bewohner*innen in zwei Quartieren Leipzigs (mit und ohne FG), die wir in einer Haushaltsbefragung ermittelt haben. Die Ergebnisse entspringen dem Projekt Lebendige Wände, das als Bestandteil des Leipzig Lab (siehe Banzhaf et al. in diesem Band) die Wirkung von FG und die Einstellungen von Mieter*innen bzgl. der Begrünung ihrer Gebäudefassaden erforscht.

2 Effekte von Fassadengrün bei Hitze auf Quartiersebene

FG wird mit einer Vielzahl von positiven – und einigen negativen – Effekten assoziiert. Diese schließen neben der im Folgenden primär diskutierten Kühlwirkung insbesondere die Verbesserung der Luftqualität durch das Binden von Feinstaub (Gorbachevskaya und Herfort 2012; Radić et al. 2019), die ästhetische Aufwertung des Quartiers (Kozamernik et al. 2020), damit verbundene Effekte für das psychische Wohlbefinden sowie Beiträge für die urbane Biodiversität (siehe Zandersen et al. in diesem Band) mit ein. Auch die Reduktion von Lärm und Vibration durch die höhere Absorptionsleistung von Pflanzen im Verhältnis zu kahlem Mauerwerk wird als positiver Effekt genannt (Liberalesso et al. 2020). FG ist sehr flächeneffizient und konkurriert damit kaum um den begrenzten urbanen Raum. So kann der städtische Grünanteil ohne eine Verdichtung, welche die Ventilation und somit den Abtransport von Hitze behindern würde, erreicht werden (Wollschläger et al. 2022). Kritisch wird diskutiert, inwiefern grüne Infrastruktur, und damit auch FG, durch die Aufwertung des Quartiers zu Verdrängungseffekten führt (Haase et al. 2017). Tatsächlich belegen einige Studien Wert- und Mietsteigerungen durch Fassadenbegrünung (Manso et al. 2021).

Die Mediation extremer Temperatur, insbesondere hochsommerlicher Hitze, zählt zu den meistgenannten Effekten von Gebäudegrün. Mit dem Voranschreiten des Klimawandels nehmen die Auftretenswahrscheinlichkeit und auch die Intensität von Hitzewellen, insbesondere in urbanen Räumen, zu (IPCC 2021; Zhang et al. 2022). Die Wirkung von Fassadenbegrünung auf die Umgebung lässt sich auf Veränderungen der Energiebilanz zurückführen (Foken 2017). Diese beschreibt die Aufteilung der auf der Oberfläche eintreffenden Nettostrahlung in die Energieflüsse Konvektion, Evapotranspiration und Wärmeleitung in das Gebäude. Grundsätzlich wird zwischen dem Effekt auf das Innenraumklima und dem Effekt auf das städtische Klima unterschieden.

2.1 Kühlung der Umgebungsluft

FG kann über (Evapo-)Transpiration Wasser an die Atmosphäre abgeben, sodass der konvektive Abtransport von Wärme reduziert wird und ein relativer Kühleffekt beobachtet werden kann. Diese veränderte Aufteilung der eintreffenden Energie ist sehr stark von den Umgebungsbedingungen und Pflanzeneigenschaften abhängig, was die deutlichen Unterschiede in der Literatur bezüglich der Effektstärke erklärt (Wouw et al. 2017; Convertino et al. 2019). Während die Kühlwirkung an der Oberfläche der Außenwand erheblich sein kann (Hoelscher et al. 2016), ist der Effekt auf die Umgebungsluft weniger ausgeprägt und nimmt mit zunehmender Distanz ab: Daemei et al. (2018) simulierten den Einfluss von FG auf das urbane Klima in Teheran und konnten einen Abkühleffekt von 0,39–0,75 ºC im Sommer feststellen, wobei der Effekt in einer Entfernung von 0,5 m nicht mehr ausgeprägt war. Hoelscher et al. (2016) konnten bei Messungen keine klaren Unterschiede in der Umgebungsluft feststellen. Die relativ geringen Kühleffekte von FG hinsichtlich der Umgebungstemperatur lassen sich auch auf die geringere Oberflächenalbedo der Blätter im Vergleich zu unbedeckten, meist helleren Wänden zurückführen: Es wird weniger solare Strahlung reflektiert, und damit steht mehr Energie an der Oberfläche zur Verfügung. Aufgrund der geringeren reflektierten Strahlung kann jedoch trotzdem eine Verbesserung des thermischen Komforts für die Menschen in der Umgebung erreicht werden (Alexandri und Jones 2008). Die Kühleffekte von FG sind insbesondere bei einem hohen Pflanzenbedeckungsgrad bzw. großer Pflanzenbiomasse stark ausgeprägt (Pérez et al. 2017). Das bedeutet, dass ein gesundes Pflanzenwachstum und damit regelmäßiger Rückschnitt und eine ausreichende Befestigung des Bewuchses erforderlich sind. Zudem sollte zur Aufrechterhaltung der Kühlleistung und auch der allgemeinen Pflanzenvitalität während sommerlicher Trockenheit eine Bewässerung des FG in Erwägung gezogen werden (Heusinger und Weber 2015). Bei anhaltender Trockenheit werden die Stomata der Pflanzen (die Spaltöffnungen der Epidermis, die zum internen und externen Gasaustausch einer Pflanze dienen) geschlossen, sodass die Transpirationsleistung der Pflanzen nicht mehr aufrechterhalten werden kann und die Kühlwirkung auf das Außenklima abnimmt. Auch das fotosynthetische Gewebe kann in Dürrephasen geschädigt werden, was zu einem Absterben der Blätter und letztendlich zum Verlust der verschattenden Wirkung auf die Gebäudewand führen kann (Hunter et al. 2014).

2.2 Kühlung des Innenraumklimas und indirekte Effekte

Durch FG wird die Außenwand des Gebäudes verschattet und damit die Oberflächentemperatur der Gebäudewand gesenkt. Dadurch kann der Wärmeeintrag in das Gebäude je nach Gebäudedämmung reduziert werden (Blanco et al. 2021). Durch eine stationäre Luftschicht zwischen Pflanzen und Gebäudewand wird zudem eine zusätzliche Isolierungswirkung erreicht. So kann der Energiebedarf für die Raumkühlung durch Klimaanlagen während Tagesspitzen gesenkt werden (Alexandri und Jones 2008; Convertino et al. 2021). Mit FG geht jedoch auch eine verringerte nächtlich Auskühlung einher, sodass begrünte Wände und angrenzende Innenräume länger warm bleiben, was für das menschliche Wohlbefinden meist unerwünscht ist (Koch et al. 2020; Blanco et al. 2021).

Das Schaffen von (schattigen) Verweilorten in Gebäudenähe, z. B. Bänke vor dem Haus oder im Hof, ermöglicht die Anpassung der Bewohner*innen an Hitzestress durch Erholungsmomente. Hier kann Fassadengrün über die eigentliche Kühlleistung hinaus durch Verschattung, geringere Strahlungsreflexion und natürlicheres Ambiente dazu beitragen, die Hitzebelastung für Bewohner*innen erträglicher zu machen und das allgemeine Wohlbefinden zu steigern (Manso und Castro-Gomes 2016).

3 Klimasimulation an Modellfassaden

Im Projekt Lebendige Wände wurde basierend auf numerischen Simulationen das Kühlpotenzial von Grünfassaden für die Umgebung untersucht. Dazu wurde das mikrometeorologische Modell ENVI-met (Version 5), welches für die Bewertung des thermischen Komforts im Außenraum geeignet ist, verwendet (Acero und Arrizabalaga 2018; Erlwein und Pauleit 2021). Das Modell ENVI-met ist so ausgelegt, dass es Gebäudebegrünung in die mikrometeorologischen Simulationen einbeziehen kann. So wurde in der Studie von Daemei et al. (2018) für Grünfassaden eine gute Übereinstimmung zwischen den Simulationen und experimentellen Untersuchungen festgestellt.

Die Simulationen wurden für das Quartier Bayerischer Bahnhof in Leipzig durchgeführt, da hier im Projektverlauf FG installiert werden soll. Dabei wurden im Modell die nach Südosten ausgerichteten Giebelfassaden begrünt. Für die Begrünung wurde eine Höhe von zwölf Metern angenommen, wobei es sich um Kletterpflanzen handelt, die vergleichbar mit Efeu sind. Das Simulationsgebiet wurde mit einer räumlichen Auflösung von 2 m digitalisiert. Als Input für die Simulationen wurden die Wetterdaten der nächstgelegenen DWD-Wetterstation (Leipzig-Holzhausen) genutzt. Dabei wurde der 12.07.2022 als geeigneter Tag gewählt, da dieser wolkenfrei war bei einer relativ konstanten westlichen Windrichtung, sodass eine Maximaltemperatur von 30 °C erreicht wurde.

Mittels Betrachtung der Differenz zwischen einer Simulation mit und ohne Grünfassade kann die Wirkung derselben auf die Umgebung abgeschätzt werden. Es kann eine Verdunstungskühlung beobachtet werden. Dabei steigt auch die Luftfeuchte in der Umgebung der Grünfassaden an. Die Reduktion der Temperatur fällt mit bis zu 0,05 °C relativ gering aus und lässt sich nur in der unmittelbaren Umgebung der begrünten Fassade feststellen (Abb. 13.1). Wir haben auch die Wirkung von Wasserverfügbarkeit auf die Kühlwirkung simuliert. Der Einfluss der Bewirtschaftung auf die Umgebung um die Fassaden ist in Abb. 13.2 dargestellt. So lässt sich durch die Bewässerung der Fassaden eine signifikante Verstärkung des Kühleffekts beobachten. Kritisch ist der Effekt bei Trockenheit, da die Pflanzen ohne verfügbares Wasser die Transpiration und somit die Kühlleistung nicht mehr aufrechterhalten können. Unter solchen Bedingungen weist das modellierte FG sogar einen leicht erwärmenden Einfluss auf die Umgebungstemperatur auf.

Abb. 13.1
figure 1

Durch ENVI-met Simulationen bestimmte Temperaturänderung bei Begrünung der Fassaden für den 12.07.2022

Abb. 13.2
figure 2

Simulierter Tagesgang der Temperaturänderung durch Fassadenbegrünung und entsprechende Bewirtschaftungskonzepte für den 12.07.2022

4 Fallstudie: Die Perspektive von Bewohner*innen in zwei Leipziger Quartieren

Die Literaturauswertung und unsere eigenen Simulationen bescheinigen FG eine messbare, wenngleich sehr geringe direkte Kühlwirkung auf die Umgebungsluft. Isoliert betrachtet lässt sich hier – wenn überhaupt – nur durch massive Skalierung, also die Begrünung möglichst vieler Gebäudeflächen, ein signifikanter Resilienzeffekt erzielen. Es zeigt sich aber auch, dass weitere Effekte, z. B. die Kühlung des Innenraumklimas und die Schaffung schattiger Verweilorte in Gebäudenähe, die Wirkung flankieren und damit in Summe höhere Resilienzeffekte möglich sind. Wir haben daher in unserer Haushaltsbefragung Mieter*innen aus zwei Quartieren ausgewählt. Neben der Untersuchung der subjektiven Einschätzung der Kühleffekte von FG haben wir die generelle Einstellung zu FG erfragt. Ziel dabei war es, das oft genannte Argument fehlender Akzeptanz (Knifka et al. 2023) besser zu verstehen und damit die Frage, warum trotz der vielen genannten Vorteile FG in Deutschland immer noch ein Nischenphänomen ist, beantworten zu können.

4.1 Datenerhebung und Untersuchungsgebiet

Die Fallstudie wurde in zwei Wohnquartieren Leipzigs durchgeführt. Im April/Mai 2022 fand eine schriftliche Befragung statt. Dafür wurden 695 Wohnungen ausschließlich in Plattenbaubeständen der Leipziger Wohn- und Baugesellschaft (LWB) angelaufen und 261 Fragebögen zur eigenständigen Beantwortung durch die Mieter*innen verteilt. Hiervon wurden 239 Fragebögen nach ca. einer Woche wieder persönlich abgeholt oder per Post zurückgeschickt, von denen 231 auswertbar waren (Rücklaufquote 81,6 %). Davon ließen sich 113 dem Quartier Bayerischer Bahnhof und 117 dem Kolonnadenviertel zuordnen. Die Antworten wurden digitalisiert und einfachen Plausibilitäts- und Konsistenzchecks unterzogen. Die weitere Auswertung fand mittels statistischer Software (R und MS Excel) statt. Die beiden Quartiere wurden aufgrund bestimmter Merkmale ausgewählt, die im Folgenden kurz erläutert werden sollen.

Das Quartier Bayerischer Bahnhof befindet sich südöstlich des Stadtzentrums und besteht aus 11-geschossigen Plattenbauten (WBS 70). Das Untersuchungsgebiet ist auf vier Gebäudekomplexe mit insgesamt 352 Wohneinheiten begrenzt. Die durchschnittliche Wohnungsgröße beläuft sich laut Befragung auf 61 m2, das Nettoäquivalenzeinkommen liegt bei 2051 EUR.Footnote 1 Keines der vier Wohngebäude verfügt bislang über eine begrünte Fassade.

Das Kolonnadenviertel liegt in der inneren Westvorstadt und ist durch eine gemischte Baustruktur, zu der Plattenbauten gehören, gekennzeichnet. Das Quartier gilt als besonders lebenswert, u. a. aufgrund der zentralen Lage. Die Wohnungsgrößen liegen laut Befragung ebenfalls bei durchschnittlich 61 m2, das Haushaltseinkommen bei 2081 EUR, also etwas über dem des Quartiers am Bayerischen Bahnhof. Unser Untersuchungsgebiet umfasst LWB-Gebäude, welche bereits über mindestens eine begrünte Fassade verfügen.

Die untersuchten Quartiere weisen somit Unterschiede auf. Insofern sind direkte Vergleiche zwischen den Antworten unter Vorbehalt zu lesen.

4.2 Ergebnisse

4.2.1 Wahrnehmung von Hitze

Die Wahrnehmung sommerlicher Hitze im Außenbereich ist im gesamten Untersuchungsgebiet deutlich ausgeprägt: 65 % der Befragten gaben an, diese als stark oder sehr stark zu empfinden. Die Stadt Leipzig hat bereits in den Jahren 2014 und 2018 das Hitzeempfinden der Bewohner*innen erfragt. Damals empfanden im Stadtdurchschnitt 35 % bzw. 47 % Hitze als belastend oder sehr belastend (Stadt Leipzig 2019). Hier lässt sich von einem weiter zunehmenden Trend ausgehen, auch wenn die Datengrundlage sich unterscheidet. Im Vergleich zu Hitze werden andere Umweltstressoren wie Luftverschmutzung oder Lärm mit jeweils 33 % als deutlich weniger belastend bewertet. Zustimmung findet auch die Frage, ob sich der Klimawandel im Quartier auswirke (57 %). Hier zeigt sich allerdings ein erheblicher Unterschied in der Wahrnehmung zwischen den beiden Quartieren: Während im Kolonnadenviertel 60 % Auswirkungen feststellen, sind es am Bayerischen Bahnhof nur 53 %. Dieser Unterschied ist größer als bei der Hitzewahrnehmung (63 % bzw. 66 %).

4.2.2 Einstellung zu Fassadengrün

Die Befragten wurden gebeten, ihre Zustimmung zu 15 positiven und ebenso vielen negativen Aussagen über FG auf einer 5-Punkte-Skala anzugeben. Außerdem sollten sie drei Aussagen auswählen, die für sie am wichtigsten waren. Insgesamt wird FG positiv bewertet. Im Durchschnitt liegt die Zustimmung („stimme eher zu“ und „stimme voll zu“) bei positiven Aussagen bei 59 %, bei negativen Aussagen bei 31 %. Neun der zehn Aussagen mit der höchsten Zustimmung sind positiv. Es dominieren Assoziationen mit Natur/Biodiversität, einer Verbesserung der Luftqualität und Klimaschutz. Der Kühleffekt auf die Umgebungsluft sticht dabei nicht besonders hervor: Er rangiert mit 53,3 % Zustimmung im Mittelfeld. Umgekehrt sind auch neun der zehn Aussagen mit der höchsten Ablehnung negativ. Bei den negativen Aussagen führen Bedenken, dass Fassadenbegrünung eine Sanierung des Hauses behindern oder „Ungeziefer“ anziehen könnte. Wenig Zustimmung erfahren die Aussagen, dass FG zu viel Wasser verbrauche, dass es das Brandrisiko erhöhe oder sonstige Gefahren darstelle. Die Beobachtung wird durch das Ergebnis der Priorisierungsfrage gestützt. Die Mieter*innen nannten auf die Frage nach den wichtigsten Aussagen zu 71 % positive.

Ein Vergleich der beiden Quartiere zeigt signifikante Unterschiede in den Einstellungen. Grundsätzlich liegt die Zustimmung zu positiven Aussagen im Kolonnadenviertel mit 62 % gegenüber 55 % am Bayerischen Bahnhof höher, während die Zustimmung zu negativen Aussagen am Bayerischen Bahnhof mit 35 % gegenüber 26 % im Kolonnadenviertel höher ist. Es fällt auch auf, dass der Anteil neutraler Bewertungen („teils/teils“) am Bayerischen Bahnhof, dem Quartier ohne FG, höher ist (30 % gegenüber 25 %). Abb. 13.3 zeigt eine Auswahl von 4 der 30 positiven (blau gekennzeichnet) und negativen Aussagen (rot gekennzeichnet). Bei der Einschätzung des Kühleffekts zeigt sich, dass die Bewohner*innen der Häuser mit bestehendem FG die Kühlleistung deutlich stärker wahrnehmen als diejenigen ohne eigene Erfahrung. Der positive Effekt auf die Biodiversität wird dagegen von beiden Gruppen sehr stark bewertet, sogar noch etwas stärker im Quartier ohne FG. Der deutlichste Unterschied zwischen den Quartieren findet sich bei der Einschätzung der Kosten bzw. Effekte auf die Mieten. Hier steht die große Sorge im Quartier Bayerischer Bahnhof einem sehr niedrigen Wert im Kolonnadenviertel gegenüber. Dort wiederum werden Pflegeprobleme wie zugewachsene Fenster verhältnismäßig hoch bewertet. Die hier aufgezeigten Unterschiede in der Wahrnehmung von FG spiegeln sich auch in der konkreten Bewertung von FG am eigenen Haus wider.

Abb. 13.3
figure 3

Zustimmung zu positiven und negativen Aussagen zu Fassadengrün. Unterscheidung der Quartiere Bayerischer Bahnhof (A) ohne FG und Kolonnadenviertel (B) mit FG

4.2.3 Bewertung von Fassadengrün am eigenen Haus

Befragte aus dem Quartier Kolonnadenviertel, die alle mindestens eine begrünte Fassade an ihrem Wohnhaus haben, wurden gebeten, diese quantitativ und qualitativ zu bewerten. Insgesamt zeigte sich bei den Mieter*innen eine hohe Zufriedenheit mit den begrünten Fassaden. 70 % bewerten die Fassaden positiv oder sehr positiv, nur 15 % negativ oder sehr negativ (Abb. 13.4).

Abb. 13.4
figure 4

Antworten auf die Frage: „Wie bewerten Sie die begrünte Fassade allgemein?“ (Teilsample Kolonnadenviertel)

76 Befragte haben ihre Bewertung erklärt. Die negativen Bewertungen werden mit einer Reihe von Faktoren begründet. Mit Abstand am meisten Gewicht (33 Nennungen) hat die als unzureichend empfundene Pflege des FG. Eine typische Aussage ist: „Die bepflanzte Fassade muss auch regelmäßig beschnitten werden, dies passiert bei uns nicht.“ Die Kritik findet sich interessanterweise nicht nur bei denjenigen, die ihrer begrünten Fassade kritisch gegenüberstehen, sondern übergreifend. So antwortet z. B. eine Person, die die Fassade insgesamt als positiv bewertet: „Es braucht Pflege (Fenster freihalten, Bewässerung), bringt aber viel Lebensraum für Vögel (Spatzen, Tauben etc.) und entspannt.“ Es wird insbesondere immer wieder der Punkt genannt, dass Pflanzen in die Fenster wachsen und damit die Wohnung verdunkeln (4) – „Unsere Wohnung ist extrem verdunkelt, die Fenster wachsen permanent zu“ – sowie Beschädigungen hervorrufen (7). Auch vertrocknete, nicht entfernte Pflanzen als ästhetische Belastung werden in diesem Zusammenhang genannt. Neben der mangelhaften Pflege beklagen zwölf Bewohner*innen das Eindringen von Insekten, Mäusen oder Ratten. Einzelne weitere Kritikpunkte sind anfallender Schmutz durch die Fassaden sowie die erlebte Mietsteigerung: „Schön, aber leider Miete ist zu hoch gestiegen.“

Befragte, die die Fassade insgesamt als positiv bewerten, heben vor allem den ästhetischen Wert (22 Nennungen) und die Biodiversität (12) hervor. Auch allgemeines Wohlbefinden (9) und die Stärkung von Natur in der Stadt (6) werden genannt. Häufig wird dies im Zusammenhang gesehen: „In einer grünen Umgebung fühlt man sich wohl, es wohnen viele Vögel darin, sogar Eichhörnchen kamen zu Besuch.“ Es fällt auf, dass die positive Betonung der Biodiversität in direktem Widerspruch zu den Klagen über Ungeziefer steht. Dies wird teilweise auch artikuliert, so beschreibt eine befragte Person positiv, dass Vögeln und Insekten zusätzlicher Lebensraum geboten wird, möchte letztere aber nicht in der Wohnung haben. Wie bei der Biodiversität wird der ästhetische Mehrwert wiederholt mit gesteigertem Wohlbefinden in Verbindung gesetzt: „Der Anblick erfreut und beruhigt.“ Die Kühlwirkung der Fassade wird selten explizit genannt (4). Sie klingt aber immer wieder bei der allgemeinen Beschreibung des Mehrwerts für Wohlbefinden durch. So wird die begrünte Fassade als „Refugium an den zunehmend heißen Tagen bereits im Frühjahr“ beschrieben.

Auffallend ist, dass bei den Begründungen häufig differenzierte Abwägungen eine Rolle spielen: Z.B. wird genannt, dass die schöne Ästhetik unerwünschten Effekten wie Ungeziefer gegenüberstehe, oder dass die Lautstärke durch Vögel erhöht, dies aber dank der höheren Aufenthaltsqualität im Hof kein Problem sei. Mehrfach wurde auch darauf hingewiesen, dass Begrünungen am Gebäude ausgeweitet und andere (kein Efeu) sowie mehr unterschiedliche Pflanzen gepflanzt werden sollten: „Eine drastisch höhere Bedeckung (> 50 %) wäre wünschenswert. Auch eine höhere Pflanzenvielfalt (auch Sträucher, Bäume etc.) wäre schön.“

Im Quartier am Bayerischen Bahnhof, wo noch keiner der vier Gebäudekomplexe begrünt ist, wurden die Bewohner*innen gefragt, ob sie grundsätzlich eine Begrünung befürworten würden und mit welcher Begründung. 60 % der Befragten würden eine Begrünung bejahen, 25 % sind dagegen (15 % „weiß nicht“). Diese Zahl lässt auf überwiegende Zustimmung zu FG schließen, die aber geringer ist als im Kolonnadenviertel.

Typische positive Effekte wie der Klimaschutz, die Verbesserung der Luftqualität und die Ästhetik dominieren die Gründe für eine Begrünung. Die Biodiversität und die Stärkung von Natur in der Stadt werden zwar vergleichbar häufig genannt wie im Kolonnadenviertel, allerdings deutlich allgemeiner. Ein weiterer positiver Grund ist der Schutz des Gebäudes, insbesondere vor Graffiti (mehrmals genannt, dagegen nie im Kolonnadenviertel).

Bei den Argumenten gegen eine Begrünung spielt die Sorge vor mangelhafter Pflege eine sehr geringe Rolle – ganz anders als im Kolonnadenviertel. Auch Insektenbefall, Verdunklung und Beschädigungen am Gebäude werden kaum genannt. Dafür wird die Frage nach Kosten bzw. Mietsteigerungen gestellt und der Nutzen allgemein oder für bestimmte Varianten hinterfragt: „Begrünte Fassade auf Ostseite, was soll das im Sommer bringen?“ Es wird mehrfach explizit gesagt, dass Informationen fehlen, um fundiert antworten zu können: „Für die Fassadenbegrünung fehlen mir die Informationen, z. B. Pflege, Kosten oder Reinigungsaufwand.“

5 Diskussion

Die Bewohner*innen der beiden untersuchten Quartiere leiden bereits heute unter einem starken Hitzeempfinden im Hochsommer. Zukünftige Hitzeperioden können insbesondere im urbanen Raum eine Belastung für die Gesundheit der Menschen und die Funktionen des Systems Stadt darstellen (siehe Hertel et al. in diesem Band). Anpassungsmaßnahmen, die die urbane Resilienz bei derartigen Ereignissen stärken, werden daher immer wichtiger (siehe Rink et al. in diesem Band).

Der direkte Kühleffekt von FG auf die Umgebungsluft und das Innenraumklima wird in der Literatur belegt, wenngleich als gering eingeschätzt. Dies bestätigen erste Simulationsergebnisse: Auch bei einer optimierten Bewässerung scheint das Kühlpotenzial durch die vereinzelte Begrünung sehr begrenzt. Die tatsächlichen Effekte werden im Projekt Lebendige Wände in den nächsten Jahren durch detaillierte Messungen ermittelt. Dennoch bescheinigen Bewohner*innen des Kolonnadenviertels FG eine positive Wirkung auf Außen- und Innentemperatur. Im Verhältnis zu anderen Eigenschaften wird die Temperaturregulation zwar nicht als besonders wichtige Eigenschaft von FG hervorgehoben. Es werden aber eine Reihe zusätzlicher Effekte, die die Resilienz gegen Hitze auf Quartiersebene stärken, genannt. So genießen Aussagen zur Steigerung des Wohlbefindens und der Luftqualität sehr hohe Zustimmung. Unklar ist die Situation bei der Aussage, dass FG einen Beitrag zum Klimaschutz leistet (sehr hohe Zustimmung). Diese Aussage war in Bezug auf den globalen Klimawandel gemeint, wurde aber ggfs. von einigen Befragten auf das urbane Mikroklima bezogen.

Das oft genannte Akzeptanzproblem von FG hat sich in unserer Erhebung nicht bestätigt. Vielmehr sehen wir einen hohen Anteil von positiven Einstellungen gegenüber FG. Eine deutliche Mehrheit derjenigen, die bereits in begrünten Häusern leben, sieht dies positiv und die meisten derjenigen, bei denen dies noch nicht der Fall ist, wünschen sich eine Begrünung ihrer Häuser. Hier scheint ein Missverständnis vorzuliegen: Beschwerden über ungepflegte, vertrocknete oder verdunkelnde Begrünung sind nicht mit einer grundsätzlichen Ablehnung derselben zu verwechseln. Im Gegenteil: Die qualitativen Antworten deuten auf eine emotionale Verbindung vieler Bewohner*innen zu „ihrem“ FG hin, die über den funktionellen Nutzen hinausgeht. Das konkrete Erleben spielt in der positiven Beurteilung des FG eine große Rolle, wie die Schilderungen von Tierbeobachtungen oder dem Klang des Vogelgezwitschers im Hof zeigen. Statt die Einstellungen zu FG grundsätzlich infrage zu stellen, sollte also konkret auf die Bedürfnisse der Bewohner*innen eingegangen und eine faire Verteilung von Kosten und Nutzen beachtet werden.

Im Quartier am Bayerischen Bahnhof liegt ein Informationsdefizit vor. Dies wird am deutlichsten bei der Sorge vor hohen Kosten durch FG, die im Kolonnadenviertel kaum eine Rolle spielen. Um ungepflegte Fassaden oder Insektenbefall wiederum machen sich am Bayerischen Bahnhof die wenigsten Gedanken. Um Frustration vorzubeugen, sollte hier proaktiv gehandelt werden. Einerseits benötigt die geplante Installation neuer Grünfassaden ein langfristiges Pflegekonzept, andererseits gilt es, unter den Bewohner*innen ein Bewusstsein zu fördern, dass eine begrünte Fassade auch einmal welk oder etwas überwuchert aussehen kann. Dennoch überwiegen auch hier bereits die positiven Erwartungen an die Begrünung, denn, wie eine Person schreibt, „man muss es halt mal ausprobieren“.

Fassadengrün kann nur ein Teil des Puzzles resilienter Stadtentwicklung sein und darf nicht isoliert betrachtet werden. So haben viele Mieter*innen geschrieben, dass sie FG grundsätzlich wünschenswert finden, darüber aber nicht andere Aspekte vernachlässigt werden dürften: „Die Blumenwiese verwildert. Eher sollten die Grünflächen im Umfeld mehr gepflegt werden“. Ähnlich sieht es eine andere Person: „Statt Fassadenbegrünung: lieber mehr Parks, Flüsse, Springbrunnen, viel mehr Bäume und Wälder im Wohngebiet!“ Diese wahrgenommene Konkurrenz zwischen Elementen grüner Infrastruktur sollte in folgenden Arbeiten genauer beleuchtet werden. Tatsächlich kann zwar ein Wohnungsunternehmen nicht ohne Weiteres Parks mit Flüssen und Wäldern anlegen, z. B. bei der Ausgestaltung städtischer Fördermaßnahmen spielen derartige Priorisierungen aber durchaus eine Rolle.

6 Fazit

Wie unsere Ergebnisse zeigen, sind die entsprechenden Bewertungen nicht trivial: Wenn es um die Steigerung von Hitzeresilienz im Quartier gehen soll, ist die Begrünung von Fassaden zunächst als gering einzuschätzen. Bei einer umfassenderen Betrachtung ihres Potenzials für das Wohlbefinden der Bewohner*innen im Hochsommer dagegen fällt die Bewertung sehr viel positiver aus. Die Multifunktionalität von FG – wie auch anderer grüner Infrastruktur – ist eine Kerncharakteristik und sollte bei Vergleichen, z. B. mit zielgenauen technischen Ansätzen für Klimatisierung, mitgedacht werden. Da auch weitere Umweltstressoren wie Luftverschmutzung mit Hitze zusammenhängen (siehe Helbig et al. in diesem Band, Kap. 15), sollte die von Rink et al. in diesem Band geforderte Spezifizierung „Resilienz wogegen“ hier nicht zu eng gefasst werden.