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1 Blau-grüne Infrastrukturen im urbanen Raum

Für eine Verbesserung der Resilienz von Städten im Kontext des Klimawandels ist die Anpassung der Städte an kommende Veränderungen unerlässlich (siehe Rink et al. in diesem Band). Ein Instrument für die Umsetzung eines integrierten Regenwassermanagements im urbanen Raum sind blau-grüne Infrastrukturen. Der Begriff „blau-grün“ spricht für sich: Die Ressource Wasser (blau) wird mithilfe von Vegetation (grün) bewirtschaftet. Blau-grüne Infrastrukturen gibt es in vielen Varianten und Komplexitätsgraden: Sie reichen von einfachen Mulden über Rigolensysteme (Muldenrigole, Baumrigole) bis hin zu Gebäudebegrünungen mit Gründächern oder Fassadengrün. Die Funktion blau-grüner Infrastrukturen liegt meist in der Retention von Niederschlagswasser bei Starkregenereignissen, um lokalen Überschwemmungen vorzubeugen. Manche dieser Systeme, wie z. B. Zisternen oder Retentionsboxen, ermöglichen auch ein Regenwassermanagement für Perioden der Trockenheit. Neben der Pufferfunktion für Niederschlagswasser spielen diese multifunktionalen Technologien eine wesentliche Rolle für die urbane Biodiversität, die Reduzierung innerstädtischer Wärmeinseln durch Verdunstungsprozesse, die Verbesserung der Luftqualität und die Ästhetik, aber auch indirekt für die Verbesserung des Wohlbefindens der Quartiersbewohner*innen durch die Schaffung sozialer Austauschräume (siehe Schmidt et al. in diesem Band). Allerdings ist die Realisierung all dieser Funktionen von verschiedenen Faktoren abhängig, wie zum Beispiel der Vegetationsart oder der Retentionskapazität, und diese Faktoren können sich gegebenenfalls gegenseitig ausschließen.

Der Einsatz von blau-grünen Infrastrukturen ist besonders in stark versiegelten Stadt- sowie Gewerbe- und Industriegebieten von großer Bedeutung. Gerade diese Siedlungsstrukturtypen werden künftig wesentlich von den Folgen des Klimawandels betroffen sein. Ansel et al. (2013) haben die Hindernisse und Umsetzungsprobleme beim Bau von Gründächern in deutschen Kommunen identifiziert. Neben den Interessenkonflikten zwischen den kommunalen Fachbehörden und der mangelhaften Standardisierung der Förderinstrumente ist es der fehlende Informationspool an Best-Practice-Beispielen, der dazu führt, dass die Umsetzung begrünter Dächer in Deutschland nicht ihr volles Potenzial erreichen kann. Dennoch gibt es inzwischen in vielen deutschen Städten zahlreiche Initiativen, die den Nutzen von blau-grünen Infrastrukturen für die nachhaltige Stadtentwicklung erkannt haben und fördern: Unter dem Titel Zukunftsinitiative Klima.Werk bündeln sich im Ruhrgebiet 16 Städte mit dem Ziel einer blau-grünen Stadtentwicklung. Berlin hat zu diesem Thema eine eigene Regenwasseragentur eingerichtet, die eine Vermittlungsfunktion zwischen Forschung und Praxis innehat. Zahlreiche weitere Städte fördern zudem Gründächer mit eigenen Richtlinien. In Leipzig sind Gründächer ein wesentlicher Bestandteil des Konzeptes des abflusslosen Quartiers Leipzig 416, das in Zusammenarbeit mit dem UFZ und zahlreichen weiteren Institutionen im Rahmen des BMBF-finanzierten Projekts Leipziger BlauGrün erarbeitet wurde.

2 Forschungsinfrastruktur am UFZ

Im Rahmen der Erforschung der Multifunktionalität blau-grüner Infrastrukturen wurden am UFZ verschiedene blau-grüne Forschungstechnologien aufgebaut. Mit Unterstützung des Europäischen Fonds für Regionale Entwicklung EFRE wurde auf einem UFZ-Gebäude ein Forschungsgründach errichtet, das aus vier Dachsegmenten in der Größe von jeweils 80 m2 besteht. Die drei Gründachvarianten umfassen I) eine Extensivbegrünung mit einer niedrigen Substrathöhe und trockenheitsresistenten Pflanzenarten, II) eine einfache Intensivbegrünung mit einer höheren Substratstärke und anspruchsvolleren Pflanzenarten und III) ein Sumpfpflanzendach mit einer Wasserspeichermatte, die von Sumpfpflanzen durchwurzelt ist. Auf dem vierten Dachsegment befindet sich ein Kiesdach, das als Referenz dient.

Die Dachsegmente sind mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, um Energie- und Wasserbilanzen zu ermöglichen. Mithilfe von Insektenfallen werden die Insektenbesuche auf den Gründächern erfasst und somit ihr Einfluss auf die Biodiversität der Insekten in der Stadt ermittelt. Aus Mitteln des BMBF wurde zusätzlich auf einem UFZ-eigenen Carport ein Retentionsgründach aufgebaut, das mit einer intelligenten Drosselung und zahlreichen Sensoren versehen wurde, um eine vorhersage- bzw. sensorbasierte Wasserretentionssteuerung zu ermöglichen. Die Palette der blau-grünen Forschungsinfrastrukturen wurde durch den Bau von drei Baumrigolen in einer Leipziger Straße erweitert, der von der Stadt Leipzig finanziert wurde. Eine Baumrigole ist die Kombination aus einer Baumscheibe und einer Muldenrigole und dient der Retention und Versickerung des Regenwasserabflusses der Straße sowie der Mikroklimaverbesserung durch die Verdunstungsleistung des in der Baumrigole gepflanzten Baums. Die drei installierten Baumrigolen unterscheiden sich im Wesentlichen in der Ausführung des Retentionskörpers und sind mit Sensoren zur Messung der Bodenfeuchte ausgestattet. Die Baumrigolen und das UFZ-Forschungsgründach sind Bestandteil des Leipzig Lab (siehe Banzhaf et al. in diesem Band).

Die detaillierten Langzeitmessungen auf diesen Infrastrukturen dienen dazu, dringend benötigte Kennzahlen zu den blau-grünen Infrastrukturen und ihrer Multifunktionalität zu erfassen, um dadurch großskaligere Effekte auf Quartiers- und Stadtebene besser abschätzen zu können und somit sichere Planungsbedingungen zu schaffen.

3 Retentionsleistung verschiedener Gründachtypen

Gründachsysteme stellen ein wichtiges Element des Regenwassermanagements in Städten dar. Hier sickert das Niederschlagswasser langsam in die Substratschicht ein, welche das hydrologische Verhalten der oberen Bodenschicht nachahmt, woraufhin es teils über die Dachvegetation verdunstet und teils in der Drainageschicht gespeichert und gezielt abgegeben wird. Dabei weisen Gründächer mit einer höheren Substratstärke ein höheres Speichervolumen im Vergleich zu dünnschichtigen Gründächern auf. Laut Forschungsgesellschaft Landschaftsentwicklung Landschaftsbau e. V. (FLL 2013) halten extensiv begrünte Dächer im Jahresmittel 50–60 % und substratstarke intensive Gründächer bis zu 90 % des Niederschlagswassers zurück. Die durchschnittliche Systemlösung eines Gründachs hat je nach Substratstärke ein Speichervolumen von 30 l/m2, wodurch es das während eines Starkregenereignisses anfallende Wasser problemlos aufnehmen kann (Schmauck 2019). Die Retentionsleistung ist allerdings stark von der Anordnung und den Eigenschaften der Substratschicht abhängig. Die Begrünungsart spielt ebenfalls eine entscheidende Rolle, wobei eine Gras-Kraut-Bepflanzung bei intensiven Gründächern eine höhere Retentionsleistung aufweist als eine Sedum-Moos-Bepflanzung eines extensiven Gründaches (Gößner et al. 2021). Die Regenwasserretention kann durch weitere technische Komponenten wie Retentionsräume und Zisternen verbessert werden, die das Speichervolumen erhöhen und zur aktiven oder passiven Bewässerung genutzt werden können. Dabei kommen großdimensionierte Dränelemente aus Kunststoff zum Einsatz, die bei intensiven Gründächern bis zu 250 l/m2 Niederschlagswasser zwischenspeichern können (Schmauck 2019). Auch wenn Retentionselemente große Wassermengen aufnehmen können, entscheiden die entsprechenden Gebäudeeigenschaften und Richtlinien über die zusätzlich möglichen Gewichtslasten, die auf den Dachflächen verbaut werden können. Die Wasserspeicher der Retentionsgründächer können z. B. über Wasserstandsmessungen sowie mithilfe von Niederschlagsvorhersagen gezielt gesteuert und nur dann entwässert werden, wenn das zu erwartende Wasservolumen das vorhandene Nutzvolumen übersteigt. Der Wasserabfluss lässt sich bei allen Retentionssystemen gezielt einstellen, um somit das Wasser gedrosselt an die dezentrale Kanalisation oder Versickerungsanlage abzugeben.

Gründächer mit besonders hohen Retentionsleistungen versprechen, den Auswirkungen klimabedingter urbaner Probleme wie überlastete Entwässerungsnetze, hohe städtische Temperaturen und bauliche Versiegelungen entgegenzuwirken und sie abzuschwächen. Dennoch gibt es weiteren Forschungsbedarf, da insbesondere keine Langzeituntersuchungen über das Zusammenwirken der unterschiedlichen technischen Lösungen der Gründachsysteme hinsichtlich ihrer Aufbauschichten, Materialien, Substrate und Vegetationsarten vorliegen (Gößner et al. 2021). Maßgebend dabei ist auch die Einordnung und Untersuchung von Gründächern im blau-grünen Infrastrukturverbund, um dem Ziel einer resilienten Stadt gerecht zu werden.

4 Gründächer und urbane Biodiversität

Innerhalb von Städten gehören Dächer zu den Standorten mit den extremsten Umweltbedingungen: Sie sind der Sonneneinstrahlung und Winden oft ungeschützt ausgesetzt, und ihre exponierte Lage sowie die auf Gründächern häufig nur wenige Zentimeter dünne Substratschicht führen zu starken Temperatur- und Feuchtigkeitsschwankungen (Baryła et al. 2019; Schmauck 2019). Diese Bedingungen schränken das Spektrum der Organismen ein, die auf Dächern existieren können. Allein die Höhe von Häusern und ihr inselartiger Charakter führen dazu, dass viele Organismen die Dächer nicht erreichen, sich nur eingeschränkt von Dach zu Dach ausbreiten können und aufgrund zufälliger Ereignisse (z. B. Dürre, letale Parasitierung) leicht wieder von dort verschwinden (Vasl et al. 2019).

Untersuchungen der Biodiversität (die Vielfalt innerhalb der Arten, zwischen den Arten und der Ökosysteme; Vereinte Nationen 1992) von Gründächern zeigen, dass diese meist weniger Arten beherbergen als vergleichbare Flächen am Boden, aber mehr Arten als konventionelle Dächer (z. B. Teer-, Ziegel- oder Kiesdächer), die nicht gezielt begrünt wurden, auf denen sich aber spontan Arten ansiedeln können (Knapp et al. 2019). Trotz der extremen Umweltbedingungen sind Gründächer also ein potenzieller Lebensraum für verschiedene Organismen. Durch die ersten eingebrachten Samenpflanzen (Topfware oder Saatmischung) wird ein Ökosystem geschaffen, in dem sich Tiere als Konsumenten sowie Pilze und Bakterien als Destruenten einstellen. Zu nennen sind, wie auch Erhebungen auf dem Forschungsgründach des UFZ zeigen (z. B. Fischinger 2022; Sehrt 2021), besonders Samenpflanzen, Moose, Flechten, Pilze, Bakterien, Gliedertiere (Insekten, Spinnentiere, Asseln, Tausendfüßer), Würmer, Schnecken sowie temporär auch Vögel und Fledermäuse.

Welche Artengemeinschaften sich ausbilden, ist nach Gründachtypen zu differenzieren und wird maßgeblich durch die Substratwahl und -menge festgelegt. Eine überwiegende Verwendung von groben Materialien im Interesse von Gefügestabilität sowie Erosions- und Staubminderung kann pflanzliches Leben außerhalb der eingebrachten Wurzelballen auf die Existenz von Moosen und Algen begrenzen. Extensive Gründächer, die biologisch am besten untersucht sind und am häufigsten angelegt werden, bieten trockenheitsangepassten und teils thermophilen Arten Lebensraum. Daneben ist die Intensivbegrünung mit größeren Substratmengen und damit verbundenem höherem Wasser- und Nährstoffangebot die zweite weitverbreitete und vergleichsweise traditionelle Ausprägung eines Gründachs. Die dort lebenden Organismen können den auf extensiven Gründächern herrschenden Trocken- und Hitzestress nicht tolerieren. Extensive Gründächer beherbergen deshalb tendenziell weniger Arten als intensive Gründächer (Knapp et al. 2019). Seit einigen Jahren werden global, aber in starkem Maße auch in Deutschland neue Wege bei der Dachbegrünung beschritten, z. B. mit Retentions- und Sumpfpflanzendächern für den Klima- und Artenschutz. Letztere ermöglichen die Ansiedelung von Arten der Feuchtgebiete. Mittels stark differenzierter Dachstrukturen (u. a. Sandlinsen, Totholz, Kleinstgewässer) werden die Voraussetzungen für Biodiversitätsdächer geschaffen, deren Heterogenität sich besonders günstig auf die Artenvielfalt auswirkt (Thuring und Grant 2015). Selbst eine gartenbaulich-landwirtschaftliche Ausrichtung bis hin zur Nutztierhaltung wurde erfolgreich erprobt und verdient im Kontext der biologischen Vielfalt Erwähnung.

Saisonal und im Lauf der Jahre wandelt sich die Artenzusammensetzung eines Gründachs. Inwieweit dabei spontan auftretende Pflanzenarten die gewollte Vegetation verändern, hängt entscheidend vom Substrat (wichtig ist u. a. ein Humus ohne keimfähige Samen), vom Sameneintrag von außen und von der Intensität der gärtnerischen Pflege ab. Aufgrund der Konkurrenz zwischen Pflanzenarten können im Extremfall alle gepflanzten oder angesäten Arten verdrängt werden (Thuring und Dunnett 2019). Solche Verdrängungs- bzw. Sukzessionsprozesse treten auch bei anderen Organismengruppen eines Gründachs auf (z. B. Bakterien, Pilze, Mikroarthropoden; Rumble et al. 2018). Eine Rückkehr zu vorher existierenden Lebensgemeinschaften ist möglich, wenn z. B. durch Pflegemaßnahmen im Boden noch vorhandene Samen aktiviert werden (Vanstockem et al. 2018). Mit Blick auf die Biodiversität sollte bei der Pflege bedacht werden, dass die Vielfalt an Pflanzen die Vielfalt abhängiger bzw. assoziierter Arten maßgeblich bestimmt (Fabián et al. 2021). Beispielsweise können Nachtfalter auf Gründächern Fledermäusen als Nahrungsquelle dienen (Partridge et al. 2020). Zudem sollten Arten aus der gebietseigenen, einheimischen Flora berücksichtigt werden, um einer Homogenisierung der Bepflanzung von Gründächern weltweit sowie dem Risiko biologischer Invasionen durch gebietsfremde Arten entgegenzuwirken (Kinlock et al. 2016; Schmauck 2019). Zu Tieren sollte ermittelt werden, welche Arten das Dach lediglich zufällig aufsuchen, welche ein Nahrungsangebot nutzen und welche sich dort erfolgreich reproduzieren sowie überwintern können. Eine hohe Dichte an Gründächern könnte sich stabilisierend auf die Vorkommen von Arten auswirken, denn dann können sie potenziell sogenannte Metapopulationen (interagierende Vorkommen auf mehreren Dächern) ausbilden. Beispielsweise reduzieren Insekten durch Pollenübertragung die genetische Isolation von Pflanzen auf Dächern (Ksiazek-Mikenas et al. 2019).

Zusammenfassend ist zu sagen, dass Gründächer nur ein eingeschränktes Artenspektrum unterstützen und folglich kein vollwertiger Ersatz für den Verlust von Lebensräumen am Erdboden sind. Unabhängig davon wird die Anerkennung einer Neuanlage von Gründächern als Kompensationsmaßnahme im Rahmen der Eingriffsregelung in Wissenschaft und Naturschutzpraxis diskutiert. Verursacher von Eingriffen in Natur und Landschaft sind nach § 15 Abs. 2 BNatSchG verpflichtet, unvermeidbare Beeinträchtigungen durch Maßnahmen des Naturschutzes und der Landschaftspflege auszugleichen oder zu ersetzen (Schmauck 2019). Gründächer sollten jedoch auch wegen ihrer eingeschränkten Zugänglichkeit und diverser Komplikationen bei Evaluierung und Monitoring a priori nicht zum Flächenpotenzial für Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen gehören. Wenn aber Gründächer mit einem gezielten Fokus auf den Schutz von Arten oder Gattungen, beispielsweise Insektenschutz, angelegt werden, könnte ein spezifisch konzipiertes und sachkundig begleitetes Gründach einen Sonderstatus erlangen und als Ersatzbiotop in Erwägung gezogen werden. Studien zum Arteninventar von nährstoffarmen extensiven Gründächern und von solchen mit feinkörnigen höheren Substratauflagen zeigen, u. a. auf dem Forschungsgründach des UFZ, dass solche Dachtypen Lebensraum für einheimische, gebietseigene und bestandsbedrohte Insekten, Pilze, Flechten und Samenpflanzen sein können und naturschutzfachliche Beachtung verdienen (z. B. Otto 2022; Witt 2016). Gründächer können somit ergänzende Elemente der blau-grünen Infrastrukturen sein (Schmauck 2019). Durch die kluge Vernetzung mit Lebensräumen am Boden (z. B. über Balkon- und Fassadenbegrünung) sowie durch eine vielfältige Gestaltung der Gründächer können sie zur Förderung der Biodiversität in Städten beitragen und somit auch zur Resilienz städtischer Ökosysteme, die eng mit der Biodiversität zusammenhängt (siehe Knapp und Dushkova in diesem Band).

5 Einfluss von Gründächern auf das lokale Mikroklima

Neben der Biodiversität ist auch die Senkung urbaner Temperaturen eine wichtige Ökosystemleistung von Gründächern, weil davon auszugehen ist, dass durch den Klimawandel Hitzewellen in ihrer Intensität und Häufigkeit zunehmen werden. Da solche Hitzeperioden durch das urbane Klima noch zusätzlich verstärkt werden, ist eine Evaluierung von Anpassungsmaßnahmen von großer Bedeutung. Hier spielen Modellstudien eine besondere Rolle, die die Potenziale der Temperaturabsenkung entweder direkt über dem Gründach selbst oder im größeren Maßstab auf Straßenniveau bestimmen. Dabei ist eine starke Variation der Ergebnisse solcher Simulationsstudien hinsichtlich des Ausmaßes, aber auch des zeitlichen Auftretens der Kühlungswirkung zu verzeichnen (siehe z. B. Rosenzweig et al. 2006; Chen et al. 2009; Ng et al. 2012). Diese Variation der Ergebnisse kann auf die Beeinflussung des Abkühlungspotenzials durch das lokale Klima und die Gebäudehöhe zurückgeführt werden (Morakinyo et al. 2017). Zu den Inkonsistenzen in Simulationen auf der städtischen Skala kommt noch die bisher nicht vollumfänglich erfasste Wirkung von Gründächern auf die lokale Mikrometeorologie hinzu.

Im Allgemeinen sind begrünte Dächer in der Lage, in den Sommermonaten die Oberflächentemperaturen zu senken (Bevilacqua et al. 2017). Die Absenkung der Lufttemperatur über Gründächern bewegt sich üblicherweise im Bereich von 1,5 K im Vergleich zur Referenzfläche (Heusinger und Weber 2015), wobei bei einer beschädigten Vegetation der Kühleffekt signifikant verringert ist (Speak et al. 2013). Solcerova et al. (2016) verglichen die Temperaturen auf mehreren Gründächern und einem weißen Kiesdach in Utrecht (Niederlande) in einer Höhe von 0,15 m über der Dachfläche. Dabei zeigten die Gründächer einen nächtlichen Abkühlungseffekt und eine Erwärmung am Tag, was zu einer leichten Nettoerwärmung der Luft durch die Gründächer führte.

Insgesamt sind Verallgemeinerungen bezüglich der thermischen Leistung von Gründächern schwierig, da die Unterschiede in der Lufttemperatur recht gering sind und weil es eine Vielzahl von Gründächern sowie Referenzdachdesigns gibt. Darüber hinaus haben auch die Messhöhe und Wetterbedingungen einen starken Einfluss auf die Messergebnisse (Jim und Peng 2012). Die thermische Leistung wird durch die Bewirtschaftungsregime und insbesondere durch die Substratfeuchtigkeit beeinflusst (Heusinger et al. 2018). Aus diesem Grund sollte für eine physikalisch umfassendere und genauere Bewertung der thermischen Effekte verschiedener Typen von Dachbegrünungen die Energiebilanz der Oberfläche berücksichtigt werden (Foken 2017), wobei die Aufteilung der auf der Oberfläche eintreffenden Nettostrahlung in einzelne Energieflüsse (Konvektion, Evapotranspiration und Wärmeleitung in den Boden) betrachtet wird. Der Konvektionsterm lässt Rückschlüsse auf die Erwärmung der unteren Atmosphärenschichten zu, wobei er für eine effektive Klimaanpassung im urbanen Raum möglichst gering sein sollte. Durch eine Erhöhung der Evapotranspiration der Gründächer, durch welche sie das gespeicherte Wasser an die Atmosphäre abgeben, wird der Konvektionsterm reduziert, und ein relativer Kühlungseffekt kann beobachtet werden (Wollschläger et al. 2021).

Die Anwendung etablierter Messverfahren für die Bestimmung aller Energieflüsse von Gründächern ist mit Schwierigkeiten verbunden, weshalb es bisher nur wenige experimentelle Studien gibt, in denen die thermische Leistung von Gründächern vollumfänglich beurteilt werden konnte. Auf Flächen mit eher begrenzter räumlicher Ausdehnung, wie es bei Gründächern meistens der Fall ist, lassen sich die Bodenwärmeleitung und die Evapotranspiration durch die Nutzung von Bodenwärmestromsensoren bzw. Lysimetern zuverlässig bestimmen. So gibt es einen allgemeinen Konsens, dass Gründächer sowohl den Wärmeeintrag in Gebäude verringern als auch die Evapotranspiration im Vergleich zu konventionellen Dächern erhöhen können (DiGiovanni 2013; Coutts et al. 2013).

Bei Anwendung der Eddy-Kovarianz-Methode (EC-Methode), welche die Standardmethode für die Bestimmung der Konvektion darstellt, werden jedoch sehr große Flächen erfasst, sodass für Gründächer repräsentative Messungen nur schwer möglich sind (Aubinet et al. 2012). In einer Studie von Heusinger und Weber (2016) wurden valide EC-Messungen über einem Gründach mit einer Größe von 8600 m2 in Berlin durchgeführt. Dabei wurde tendenziell in den Sommermonaten eine Kühlung des lokalen Mikroklimas festgestellt. Bei anhaltenden Trockenperioden nimmt aber auch der Wassergehalt von Gründächern ab, sodass die Verdunstungskühlung nahezu verschwindet. So scheint eine Intensivierung der Kühlleistung der Gründächer durch eine zusätzliche Bewässerung notwendig zu sein, um die Pflanzenvitalität und Verdunstungskühlung aufrechtzuerhalten, da diese von großer Bedeutung für eine günstige Aufteilung der auftreffenden Energie sind (Coutts et al. 2013; Heusinger et al. 2018).

6 Blau-grüne Infrastrukturen als Senke für urbane Schadstoffe

Blau-grüne Infrastrukturen haben das Potenzial, als Schadstoff-Barrieren in urbanen Wasserkreisläufen zu wirken und so der hohen Schadstoffbelastung in urbanen Räumen entgegenzuwirken bzw. die nötige Wasserqualität für eine zirkuläre Wassernutzung in lokalen Wasserkreisläufen (z. B. zur Grünflächenbewässerung) bereitzustellen. Ein Überblick über typische organische Schadstoffklassen in blau-grünen Infrastrukturen findet sich in Tab. 11.1, während typische Eintragspfade und Gefährdungspotenziale in Abb. 11.1 skizziert werden. Folgende Schadstoffeigenschaften sind dabei kritisch für urbane Wasserkreisläufe:

Tab. 11.1 Einträge organischer Schadstoffe im urbanen Raum (Müller et al. 2020; Wicke et al. 2021)
Abb. 11.1
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Schematische Darstellung möglicher Eintragspfade (mit gekennzeichnet) und Senken (fett markiert) wassergebundener Schadstoffe in einem städtischen Wasserzyklus mit blau-grünen Infrastrukturen

  • geringe Abbaubarkeit unter den lokalen Umweltbedingungen (Persistenz),

  • geringer Rückhalt durch natürliche und technische Barrieren (Mobilität) sowie

  • umwelt- und/oder humantoxische Eigenschaften (Toxizität).

Stoffe, die alle drei Eigenschaften besitzen (z. B. kurzkettige perfluorierte Alkylsubstanzen, PFAS), werden als PMT-Stoffe (Persistent, Mobil, Toxisch) bezeichnet. Doch auch PM-Stoffe gelten als besorgniserregend, da langfristige toxikologische Auswirkungen äußerst schwer vorhersagbar sind.

Blau-grüne Infrastrukturen, welche die natürlichen Rückhalte- und Abbauprozesse nutzen und durch Einbezug technischer Maßnahmen und innovativer Materialien gezielt befördern, sind daher Gegenstand aktueller Forschungsarbeiten am UFZ. Diese umfassen das Verständnis und die Steuerung mikrobieller Abbau- und Transformationsprozesse sowie die Herstellung geeigneter Materialien (Adsorbentien) zum permanenten Rückhalt nicht abbaubarer und zum temporären Rückhalt biologisch nur langsam abbaubarer Substanzen (Trap and Treat). Als Adsorbentien kommen hier umweltverträgliche Kohlenstoffmaterialien und Mineralien infrage, die durch ihre Affinität zu den Schadstoffen deren Konzentration im Wasser sehr stark senken und selber beladen werden.

6.1 Biologische Abbau- und Transformationsprozesse urbaner Schadstoffe

Blau-grüne Infrastrukturen (Abb. 11.1) bieten prinzipiell ähnliche mikrobielle schadstoffabbauende Akteure und Prozesse wie strukturähnliche natürliche Ökosysteme (z. B. Bodenökosysteme oder Feuchtgebiete). Eine wichtige Rolle kommt dabei den Pflanzen zu. Diese ermöglichen nicht nur die Zufuhr von Energie und organischem Kohlenstoff für abbauende mikrobielle Gemeinschaften im Wurzelraum, sondern können auch Schadstoffe über die Blätter und Wurzeln aufnehmen, innerhalb der Pflanzen transportieren und ggf. chemisch umwandeln. Pflanzen in blau-grünen Infrastrukturen und deren mikrobielle Gemeinschaften können somit als sonnenlichtgetriebene Hotspots für den Umsatz und Abbau anthropogener Chemikalien betrachtet werden (Fester et al. 2014).

Der biologische Abbau einer Chemikalie hängt nicht nur von der Stabilität ihrer chemischen Struktur gegenüber biochemischen Reaktionen ab, sondern auch von ihrer Bioverfügbarkeit sowie der Aktivität, Diversität und Abbaustabilität mikrobieller Gemeinschaften, welche essentielle Treiber des natürlichen Schadstoffabbaus sind und u. a. von Bakterien, Archaeen und Pilzen gebildet werden. Wechselwirkungen zwischen Pflanzen und Mikroorganismen sind dabei für die Bioverfügbarkeit und Biotransformation von Schadstoffen sowie die Stabilität mikrobieller Ökosysteme von großer Bedeutung. Konzepte zur Förderung bzw. Nutzung natürlicher Abbau- und Transformationsprozesse urbaner Schadstoffe in blau-grünen Infrastrukturen sollten daher integrierende Maßnahmen beinhalten, die sowohl auf eine funktionelle Vegetation als auch auf funktionelle mikrobielle Gemeinschaften abzielen. Als Inspiration für solche Ansätze können Pflanzenkläranlagen dienen, in denen ein künstliches, vereinfachtes Ökosystem zur Entgiftung organischer Schadstoffe eingesetzt wird. Obwohl solche Systeme in der Praxis sehr erfolgreich sind, werden sie oft als Black Box behandelt, und es mangelt an einem soliden mechanistischen Verständnis der funktionellen Belastbarkeit und der „Reaktionsfähigkeit“ solcher Pflanzen-Mikroben-Ökosysteme (Fester et al. 2014).

6.2 Adsorbentien zur Unterstützung der Schadstoffeliminierung

Trotz hoher mikrobieller Aktivität können Schadstoffe aus blau-grünen Infrastrukturen ausgetragen werden – weil sie entweder schwer abbaubar oder hoch mobil sind (PM-Stoffe) oder weil starke Wasserströme z. B. bei Starkregenereignissen nur eine kurze Verweilzeit in blau-grünen Infrastrukturen erlauben. Der UFZ-Ansatz ist daher, die Verweildauer der Stoffe durch den Einbau geeigneter Adsorbentien zu erhöhen und so den biologischen Abbau (Schadstoffeliminierung) zu befördern. Dabei kommt u. a. die durch energieintensive Hochtemperaturprozesse hergestellte Aktivkohle zum Einsatz. Derzeit wird aber auch an Adsorbentien geforscht, die aus nachwachsenden Rohstoffen und mit geringerem Energieaufwand gewonnen werden können. Dazu gehören Biochar (hergestellt aus trockener Biomasse bei ca. 600 °C) und Hydrochar (unter Druck bei 200 °C aus feuchter Biomasse durch sog. „hydrothermale Karbonisierung“, HTC, hergestellt). Beide Verfahren eröffnen zugleich Strategien zur maßgeschneiderten Anpassung von Partikelgröße (Balda et al. 2022) und Adsorptionsverhalten, um gewünschte Schadstoffe gezielt abzufangen (Saeidi et al. 2020; Zhou et al. 2021) und deren effiziente und langzeitwirksame Entfernung zu erreichen.

Neben der Adsorptionsstärke und Adsorptionsspezifität spielt auch die Adsorptionsgeschwindigkeit von Schadstoffen an Sorbentien eine wesentliche Rolle. Dies ist z. B. wichtig bei Starkregenereignissen nach langen Trockenperioden.

Die Adsorptionsgeschwindigkeit kann durch die Größe und Porosität der Adsorbentien gesteuert werden. So können z. B. aus µm-dicken Aktivkohlefasern zusammengesetzte Vliese Schadstoffe innerhalb von nur 2–4 min nahezu vollständig entfernen (Saeidi et al. 2020). Alternativ können auch µm-große Adsorberpartikel gezielt in Böden eingespült und so an Bodenpartikel angelagert werden (Georgi et al. 2015). Sie erhöhen das Rückhaltevermögen von Böden erheblich und verhindern die Ausbreitung der Schadstoffe. Dieses bereits in der Sanierung etablierte Konzept ist auch für den vorsorgenden Grundwasserschutz in Regenwasserinfiltrationszonen blau-grüner Infrastrukturen von hohem Interesse. So eingebrachte Adsorbentien können auch für die Anlagerung von schadstoffabbauenden Mikroorganismen und damit auch für die Stimulierung des biologischen Abbaus von Vorteil sein.

Biologisch nur schwer abbaubare Schadstoffe stellen für blau-grüne Infrastrukturen eine besondere Herausforderung dar. Das UFZ verfolgt diesbezüglich zwei Strategien: Abbaufördernde Reagenzien (Katalysatoren) auf Basis natürlich vorkommender Metalle (z. B. Eisen oder Mangan) können genutzt werden, um schwer abbaubare in biologisch besser abbaubare Stoffe umzuwandeln. Ein weiterer vielversprechender Ansatz ist die Elektrosorption, d. h. das gezielte Be- und Entladen von Sorbentien mittels elektrischer Potenziale für vor Ort regenerierbare Adsorber zur Reinigung urbaner Wasserströme.

Im Sinne eines vorsorgenden Umgangs mit Chemikalien sollten aber Verwendungsbeschränkungen für besonders persistente, mobile und schwer entfernbare Schadstoffe in zukünftige Regularien einfließen.

7 Fazit

Im Artikel wurde dargestellt, dass blau-grüne Infrastrukturen und insbesondere Gründächer eine enorme Vielseitigkeit zeigen. Diese Multifunktionalität ist prinzipiell vorhanden, bei der konkreten Planung sollte aber eine Hauptfunktion gewählt werden (z. B. Retention bei Starkregen), auf die das Gründach dann technisch ausgerichtet ist und betrieben wird. Weitere Funktionen wie z. B. die der Schadstoffsenke oder die Förderung der Biodiversität sind weiterhin vorhanden, deren Effekte können aber dann weniger ausgeprägt sein. In Bezug auf eine erhöhte Resilienz der Städte bedeutet eine Fokussierung auf bestimmte Funktionen des Gründachs eben auch keine urbane „Multiresilienz“, sondern eine Resilienz in den konkret gewählten Bereichen, wie z. B. der Anpassung an stärkere Hitzewellen oder der Entlastung der Kanalnetze über bestimmte Gründachtypen und ihre Funktionen. Unsere zukünftige Arbeit wird neben der hier dargestellten Forschung zur Biodiversität, zum Einfluss von blau-grünen Infrastrukturen auf das Mikroklima sowie der Untersuchung ihres Potenzials, als Schadstoffsenken zu dienen, zukünftig auch die Ermittlung des Wasserrückhaltungspotenzials verschiedener Gründachtypen beinhalten.