Die Protokolle der Weisen von Zion sind eine der folgenreichsten Fälschungen der Menschheitsgeschichte. Was als Marginalie in die Welt kam, wurde über mehrere Popularisierungsinstanzen (vgl. Cohn 1998, 23–173; Hagemeister 2012) zum global verbreiteten theoretischen Grundbuch der angewandten Judenfeindschaft. Ihre Wirksamkeit wird dabei durch die Tatsache ihrer Falschheit kaum beeinträchtigt; im Gegenteil dienen die Protokolle antisemitischen Weltdeutungen bis heute als Beleg für den ›wahren‹ Charakter des Judentums und seiner ehemals heimlichen Ziele – weil die Protokolle das bestätigen, was ›man‹ (als antisemitischen Weltdeutungen anhängende Person) weiß oder immer schon geahnt hat. Im Unterschied zu den unzähligen auf Fremdbeobachtung und Ferndiagnose basierenden Schriften des Antisemitismus überliefern die Protokolle ein Archiv dieses spezifischen ›Wissens‹ in der besonderen Präsentationsform eines Protokolls, das vermeintlich direkte Aussagen der Urheber einer jüdischen Weltverschwörung beinhaltet. Es ist vorgebliches Wort- und Ereignisprotokoll dessen, was bei einem geheimen Treffen beraten wurde und über die Ziele der Verschwörer und somit alle Gefahren für die nicht-jüdische Welt Auskunft gibt.

Es steht außer Zweifel, dass die Protokolle »eine schlimme Geschichte« sind, »bei der alle hätten merken können, daß es sich um Fiktion handelte« (Eco 1994, 174), denn es sei »außer in einem Roman von Sue wenig glaubhaft […], daß die ›Bösen‹ ihre ruchlosen Pläne so offen und schamlos ausbreiten« (Eco 1994, 180). Wer aber die Protokolle über ihren fiktiven beziehungsweise fiktionalen Charakter zu begreifen versucht, verkennt ihre Funktion und Wirksamkeit als Dokument des Antisemitismus, der glauben will, was seinen Zwecken dienlich ist. »Fiktive Protokolle« (Eco 1994, 155) sind nicht dagegen gefeit, als faktuale Zeugnisse gelesen und behandelt zu werden, vor allem dann, wenn sich in diesen Texten Elemente finden, die bereits bekannt sind und partiell ins kulturelle Wissen Eingang gefunden haben. Vor dem Hintergrund eines (zumindest in der Latenz) weit verbreiteten Antisemitismus können auch fiktive Protokolle primär von einem Publikum affirmativ rezipiert werden, das zu rationalen Unterscheidungen von fiktiven und faktischen Aussagen nicht bereit ist, sondern zwischen wahr/falsch qua Wunschdenken selegiert. Dass es sich freilich um fingierte Pseudo-Protokolle handelt, tangiert die vom Ressentiment getriebene Weltdeutung des Antisemitismus weder historisch noch gegenwärtig (vgl. Levy 2012).

Die Protokolle haben daher einen Doppelcharakter, der über die Anlehnung an die kodifizierte Form des Protokolls eine »Verknüpfung von Irrationalität und formal-systematischer Vernunft« (Becker et al. 1977, 2) betreibt. Der Paratext allein, der den Protokoll-Charakter indiziert, erfüllt bereits den Wunsch nach einem ›Wahrheitsdokument‹, um den Wahn – für dessen Deckung bestätigendes Material gesucht wird, das auf dem Weg seriöser Forschungen niemals gefunden werden kann – zu legitimieren. Die Protokolle sind ein dokumentarischer Strohhalm des modernen Antisemitismus, der sich an einen scheinbar faktischen Beleg klammert, weil er unbedingt daran festhalten will, dass sich das ›Weltjudentum‹ darin selber demaskiere, wie bei Theodor Fritsch (1852–1933), einem der engagiertesten deutschen antisemitischen Publizisten, zu lesen ist: »Die Maske fällt! Der Jude blickt uns überall entgegen – sich selbst verratend« (Fritsch 1933a, 3).

In diesem Text werde ich diesen Eingangsthesen nachgehen, indem ich den Protokoll-Begriff ernst nehme und diesen für die Protokolle auf drei Ebenen verfolge. Zunächst skizziere ich, wie die Protokolle in ihren historischen Rückbezügen funktionieren. Sie stellen als Ergebnisprotokoll fest, was der Antisemitismus über sein Feindbild, dessen Wesen, Geschichte und Interessen ›weiß‹ und archiviert diese in einer Gesamtschrift. Die Protokolle gewinnen dadurch einen archivalischen Charakter, indem sie, wie das Protocoll in Zedlers Universal-Lexicon (1741) bestimmt wird, als eine Art »Gerichts-Buch« verwendet werden, »worein man alles dasjenige aufschreibet und einzeichnet, was daselbst vorgehet und abgehandelt wird, dergleichen die Richter und Notarien haben« (Zedler 1741, Sp. 973). Als solche können sie »bei Bedarf hervorgeholt werden« (Niehaus und Schmidt-Hanissa 2005, 14), um Anklage, Beweisführung und Maßnahmen gleichermaßen zu begründen. Damit wirken die Protokolle zweitens auch funktional als Protokoll, sie werden als tatsächliche Protokolle rezipiert und konsolidieren einen Common Ground des modernen Antisemitismus, dessen »toxische Aura« (Horn 2012, 3) selbst dorthin wirkt, wo das Buch gar nicht gelesen wird. Die dritte Ebene der Untersuchung zielt auf eine (psychologisierende) Erklärung dieser Wirksamkeit, da sich für den Antisemiten im Protokoll die Rationalität des bürokratischen und kapitalistischen ›jüdischen‹ Geistes selbst beweise, den das antisemitische Ressentiment als typisch annimmt. Besonders prominent wurde diese geistige Verwandtschaft kurz vor dem Entstehungszeitpunkt der Protokolle in Werner Sombarts Der moderne Kapitalismus (1902) (vgl. Krieger 2009) behauptet.

Die Protokolle – historisch

Die Protokolle der Weisen von Zion sind, so behauptet es der Paratext, die nachträglichen Verlautbarungen der »Verhandlungs˗Berichte«, die 1897 in Basel im geschlossenen Kreis der Verschwörer vorgetragen worden sein sollen. Sie rekurrieren, ohne dass dies explizit genannt wird, auf den ersten »Weltkongreß der Zionisten«, der Ende August 1897 in Basel stattfand, bei dem sich Theodor Herzl öffentlich zu seiner ›messianischen‹ Aufgabe bekannte und das sogenannte »Basler Programm« verabschiedet wurde, das auf die Schaffung einer rechtlich gesicherten Heimstätte in Palästina (vgl. Herzl 1985, 213) hinwirken sollte. Die Protokolle adaptieren diese Basis, indem sie den Vorsatz, durch die Staatsgründung eine Heimstätte für die Juden und Jüdinnen aus aller Welt zu schaffen, zu einer weltumspannenden Ermächtigungsphantasie fiktionalisieren, in die allerlei politische Positionen und Ambitionen eingebaut sind, die einer monarchischen und klerikalen Gesellschaftsordnung zuwiderlaufen. Was die Protokolle in diesen – je nach Fassung bis zu vierundzwanzig – Sitzungen bieten, ist eine »Superverschwörungstheorie« (Butter 2018, 34), in der Ereignis˗ und Systemverschwörungstheorien zu einem Masterplan verbunden sind, der die Möglichkeit der Steuerung welthistorischer Prozesse über sämtliche Grenzen von Sprachen, Nationen, Klassen, Religionen und partikularen Interessen hinweg behauptet. Die Weisen bilden den ›Senat‹, deren Protokolle über ihre Vorsätze berichten, aber auch in der Weise eines »senatus consultum« (vgl. Vismann 2011, 84) Empfehlungen aussprechen, wie zukünftiges Handeln ausgerichtet werden sollte. Die Protokolle geben nicht nur minutiös und eindeutig Aufschluss über die Ziele der jüdischen Weltverschwörung, sie sollen auch deren Existenz qua attestierter Selbstauskunft beweisen. Die Protokolle fungieren gleichsam als Leaks, die vorgeben, aus dem innersten Planungszentrum der Weltverschwörung O˗Töne zu liefern. Die Form der Selbstauskunft hat ein historisches Vorbild im ebenfalls fiktionalen Dokument, das dem Ex-Jesuiten Hieronymus Zaharowski 1614 als Monita Secreta zugeschrieben wurde. Die Monita Secreta gaben vor, die »echten« Regeln des Ordens und seine ›geheimen Instruktionen‹ zu offenbaren, und stellten eine Blaupause für spätere Verschwörungsbehauptungen zur Gesellschaft Jesu und ihrem ›Streben nach der Weltmacht‹ dar. Die Protokolle von Zion hingegen protokollieren die Verantwortung für politische Entscheidungen und die von diesen bedingten sozio-ökonomischen Prozesse im 19. Jahrhundert, die Karl Polanyi 1944 als Great Transformation (Polanyi 1957) beschrieben hat; in den Protokollen werden diese gebündelt und als intentional angestrebte Wirksamkeit einer einzigen gesellschaftlichen Gruppe ausgegeben, die alle Fäden zur Steuerung globaler Prozesse in den Händen hält. Kapitalistische Produktions- und Eigentumsverhältnisse, Marktwirtschaft und Parlamentarismus, Presse- und Meinungsfreiheit, nicht zuletzt Kriege und globale Konflikte werden somit nicht länger als Resultate unzähliger Debatten und Entscheidungen mit unvorhersehbaren Folgen dargestellt, sondern auf einen einzigen Ursprung reduziert. Was die Protokolle damit für jene leisten, die ihnen Glauben schenken, ist ein Ausschluss von Kontingenz: Es gibt keine Zufälle in der Welt, sondern alles ist Ergebnis strategischer Planung und intentionalen Handelns von bestimmbaren Personen. Die Protokolle entwerfen das negativ geframete Ideal einer ausdrücklich falschen Totalität, einer totalen Herrschaft im Zeichen der Entdifferenzierung. Alle Systeme laufen in der Herrschaft eines »neuen Königs« (Protokolle 1998, 94) zusammen, sodass es keine Autonomie von Teilsystemen und keine alternativen Akteure mehr geben werde. Ein Gegenprogramm zur legitim erachteten monarchistischen Herrschaft, in deren Zeichen »klassenkämpferische Züge […] von oben« (Sammons 2021, 115) gegen Liberalismus und Sozialismus, Freimaurerei und Humanismus, die allesamt als Agenten des Verschwörungs- und Zersetzungswerks des ›Judentums‹ ausgegeben werden, betrieben werden.

Die rasch in viele Sprachen übersetzten Protokolle entfalteten zunächst im Russischen Reich und ab 1920 auch in Deutschland starke Wirkung. Davon zeugen einige äußerst auflagenstarke kommentierte Fassungen. Ludwig Müller von Hausen veröffentlichte unter dem Pseudonym Gottfried zur Beek 1920 die erste deutsche Ausgabe, Alfred Rosenberg legte 1923 einen ausführlichen Kommentar vor, 1924 gab Theodor Fritsch eine dritte deutsche Version heraus. In diesen Ausgaben wird sichtbar, dass dieses »angeblich an die Öffentlichkeit gelangte[] Geheimdokument« nur dann zu einem mächtigen »Beweismittel« werden können, wenn es »in ein spezifisches Verschwörungsnarrativ integriert« wird (Butter 2018, 165). Der bereits zitierte Fritsch ist es, der die formale Gestaltung der Protokolle besonders ernst nimmt.

Wenn es eine Tatsache ist, daß – wie die Protokolle rühmend verkünden – die jüdische Internationale heute die Völker beherrscht – seit Jahrzehnten beherrscht –, wenn sie mit allen Mitteln der List, des Truges, der Massenbetörung und der Finanz-Machenschaften die Schicksale der Völker lenkt – wenn die Fürsten und Staatsmänner nur Drahtpuppen in ihren Händen waren: so ist es auch unabweisbare Tatsache, daß alle großen politischen Geschehnisse der letzten Jahrzehnte ein Werk der Juden sind und nur mit deren Willen und Einverständnis sich vollzogen haben – auch das furchtbare Verbrechen des Weltkrieges! – Sie allein sind die Verantwortlichen für die furchtbare Notlage der Völker! (Fritsch 1933c, 78)

Die Vielfalt von Interessengruppen wird von Fritsch auf drei Instanzen heruntergebrochen: Auf »Adel« und »Volk« sowie das diese einander entfremdende Judentum, das vom sukzessive ent-privilegierten Adel die alleinige Macht übernommen und die Leibeigenschaft durch den permanenten Mangel ersetzt habe (Protokolle, 36, 40 f.; Fritsch 1933, 16 f.). Diese Prozesse, die alle Staaten und Menschen unter die »Zwingherrschaft des Kapitals« (Fritsch 1933, 10) gebracht hätten, werden über eine entscheidende Konkretisierung plausibilisiert. Die Protokolle machen konkret, was in den abstrakten, hyperkomplexen und über-individuellen Strukturen der Ökonomie ansonsten kaum sichtbar und erst recht nicht greifbar wird, nämlich das Wirken der »unsichtbaren Hände« (Protokolle 1998, 48), einem Bild, mit dem Adam Smith 1776 die Selbstregulation des Marktes beschrieben hat. Sie bedeutete die »zivilisatorische Koordinierungsleistung in Semantiken der Ökonomie«, indem sie die untereinander im Wettbewerb stehenden Einzelinteressen zum Gemeinwohl vermittelte (Diner 2017, 55). In den Protokollen aber wird die »black box« der ›unsichtbaren Hand‹ geöffnet, und die Verschwörer setzen sich und ihre Interessen an die Stelle des symbolischen »Epithet[s] für Gott« und »Symbol[s] für die Vorsehung« (Diner 2017, 56). Vor allem im Nachgang des Gründerkrachs 1870 erfuhr die »Abstraktion der ›unsichtbaren Hand‹« in der Verknüpfung mit dem »Walten vorgeblicher jüdischer Drahtzieher« (Diner 2017, 57) konkrete Illustrationen. Was die von Gott verlassene, moderne Welt im Inneren zusammenhalte, wird in der Weltverschwörung zusammengebracht. Die Verschwörer, wie sie in den Protokollen erscheinen, fungieren demnach als »eine Art Plombe für das unverstandene Wirken der ›unsichtbaren Hand‹« (Diner 2017, 59).

Das Protokollarische des Titels verweist auf ein konkretes vergangenes Ereignis, das der Text dokumentiert, womit zugleich unterstellt wird, dass das protokollierte Ereignis auch stattgefunden hat. In dieser Hinsicht wurden die Protokolle als Korrelat (Hagemeister 2013, 553) zu Theodor Herzls real˗utopischen Schriften Der Judenstaat (1896) und Altneuland (1902) gelesen, deren zionistische Vision eines unabhängigen jüdischen Staates prospektiv auf die Zukunft gerichtet ist. Die Protokolle fungieren in dieser Lesart als Warnung, um das zu verhindern, was der Zionismus realpolitisch anstrebe. Dass Herzl zeitweilig – u. a. von Alfred Rosenberg (Rosenberg 1923, 7) – als vermeintlicher (Mit-)Verfasser der Protokolle gehandelt wurde, verstärkte die Wahrnehmung als Komplementärstück. Der Eindruck, dass eine Einzelperson für die Protokolle verantwortlich zeichne, wird durch die zahlreichen, protokoll-untypischen Ich-Aussagen und Singular-Formulierungen ausgestellt. Besonders an diesen Stellen aber wird plausibel, dass, wie Carlo Ginzburg ausgeführt hat (Ginzburg 2012), in Maurice Jolys Dialogue aux enfers entre Machiavel et Montesquieu (1864) das für die Form entscheidende Vorbild zu sehen ist, das die machiavellistische Position auf die ›Weisen von Zion‹ überträgt. Die Behauptung des Protokollarischen soll allerdings auch die Identifikation mit Autor und/oder Sprecher-Subjekt verhindern: Die Protokolle drängen zu einer »inversive[n] Lektüre« (Horn 2012, 20), die nur dann im Sinne der intendierten ›Erkenntnis‹ erfolgen kann, wenn die Distanz gewahrt bleibt.

Diese distanzierte, protokollarische Perspektive gewinnt an Kontur, zieht man weitere Quellen und literarische Vorbilder der Protokolle hinzu. Denn die Distanz ist dem Mythos der jüdischen Weltverschwörung von Beginn an über die Erzählweise und die mit ihr verbundene Beobachterperspektive eingeschrieben. Ein literarischer Ursprung der Fiktion einer weltumspannenden jüdischen Konspiration liegt, wie auch Umberto Eco und Wolfgang Benz betonen, im ersten Band des von Sir John Retcliffe, i.e. Herrmann Ottomar Friedrich Goedsche (1815–1878), verfassten Romans Biarritz aus dem Jahr 1868. Darin findet sich das Kapitel Auf dem Judenkirchhof in Prag (Retcliffe 1868, 141–193), in dem zwei Figuren Zeugen einer nächtlichen Zusammenkunft auf dem jüdischen Friedhof in Prag werden. Dreizehn verhüllte Gestalten berichten über ihre politischen wie ökonomischen Erfolge, ihre weiteren Vorhaben in zwölf europäischen Staaten bzw. Reichen und die damit verbundene Eroberungspolitik. Goedsches Roman hat dazu beigetragen, »die Denkfigur« einer transnationalen Verschwörung mit Weltmachtambitionen »populär zu machen, weil er eine literarische Schablone lieferte, die unbegrenzt genutzt werden [konnte]«, freilich aber der Verschränkung mit weiteren (pseudo-)historischen Bausteinen bedurfte, um als »säkulare[s] ›Beweisdokument‹ über das vermeintliche Streben der Juden nach Weltherrschaft« faktische Glaubwürdigkeit beanspruchen zu können (Benz 2015, 68). Theodor Fritsch ist einer der ersten, der aus der nächtlichen Konspiration eine historische Rede macht, indem er ihren fiktiven Charakter verschweigt – diese erscheint 1887 als »Die Groß-Rabbiner-Rede vom Juden-Kirchhof in Prag« (Fritsch 1893, 385–392) in dessen Antisemiten-Katechismus, einem an den Luther’schen Katechismus angelehnten »Handbuch der Judenfrage« (so der spätere Haupttitel).

Umberto Eco hat (nicht nur) diese Szene in seinem Roman Der Friedhof in Prag (2010, übers. 2011) aufgegriffen, um eine mögliche Entstehungsgeschichte der Protokolle zu rekonstruieren. Er erfindet dazu einen geeigneten Autor, Simon Simonini, Enkel des historischen Verfassers des »Simonini˗Briefs« (1806), der dem Abbé Barruel und seiner Schrift Mémoires pour servir à l’histoire du Jacobinisme vorwarf, die Rolle jüdischer Drahtzieher hinter der Französischen Revolution übersehen zu haben. Simonini ist eine dazu prädestinierte Figur, wird er doch von seinem Großvater zum paranoiden Antisemiten erzogen. Gerücht (vgl. Eco 1994, 177; Adorno 1994, 141) und Hörensagen bilden die Basis: »Über die Juden weiß ich nur das, was mich mein Großvater gelehrt hat« (Eco 2011, 11). Durch einen Zufall wird Simonini zum »indicateur« (Eco 2011, 194) und Dokumentenfälscher: »Eine schöne Tätigkeit, aus dem Nichts einen notariellen Akt zu erzeugen, einen echt aussehenden Brief zu verfassen, ein kompromittierendes Geständnis zu formulieren, ein Dokument zu erschaffen, das jemanden ins Verderben stürzen wird. Die Macht der Kunst…« (Eco 2011, 25). Eco entwirft Simonini als getriebenen Paranoiker, der in Folge eines Verbrechens eine Persönlichkeitsspaltung durchmacht – für ihn gilt, was für die antisemitischen Wahnideen gilt: »Wenn geschrieben steht, was da geschrieben steht, ist es mir wirklich passiert. Den geschriebenen Dokumenten vertrauen« (Eco 2011, 34). Simoni ist dem Notar Rebaudengo behilflich, »falsche Akten« (Eco 2011, 104) zu fabrizieren, allerdings »keine Fälschungen, sondern neue Kopien eines echten Dokuments, das verlorengegangen oder aufgrund eines banalen Zwischenfalls nie produziert worden ist, aber es hätte sein können oder müssen« (Eco 2011, 105). Das Argument für die Wirksamkeit fiktionaler Protokolle entwickelt Eco aus der Macht des Dokuments und seiner Epitexte, die nur als Fiktionen eine bestimmte ›Sicherheit‹ gewährleisten:

Nie, nie, niemals darf man mit echten oder halbechten Dokumenten arbeiten! Wenn sie irgendwo existieren, könnte jemand sie finden und beweisen, dass etwas nicht stimmt […] Um überzeugend zu sein, muss das Dokument ganz neu geschaffen werden, und vom Original darf man möglichst gar nichts zeigen, sondern nur wie vom Hörensagen reden, damit man zu keiner existierenden Quelle zurückgehen kann (Eco 2011, 235).

Die Protokolle entstehen letztlich als ein solches Dokument, das Simonini im Auftrag des russischen Geheimdienstes, der Ochrana, anfertigt: ein »exemplarische[r] Text«, der zu »Hass« anstacheln und den Gedanken an eine »Endlösung« (Eco 2011, 496) wecken solle.

Eco zeigt in seinem Roman, wie die Assemblage des modernen Antisemitismus von Romanautoren (Alexandre Dumas, Eugene Sue, Maurice Joly, Herrmann Goedsche) und Hasardeuren politischer Intrigen (Abbé Barruel, Pjotr Ratschkowski, Sergej Nilus) im 19. und frühen 20. Jahrhundert, die auf verschiedene Weisen voneinander abschreiben, schrittweise vollzogen worden ist, die feindliche, der Verschwörung verdächtigte Gruppen (Templer, Jesuiten, Rosenkreuzer, Freimaurer, Illuminaten, Jakobiner, Sozialisten) auf einen gemeinsamen Ursprung zusammenführt, um schließlich in den Protokollen als einer Art Summa contra Judaei fixiert zu werden. Eine Übersicht der Stoff˗Transmission (Abb. 14 in Eco 1994, 181) zeigt das Neben˗ und Durcheinander von fiktionalen Texten und historischen Anhaltspunkten, die schließlich ineinander verwoben wurden.

Aus Goedsches Romanfiktion macht der bzw. machen die Verfasser der Protokolle um 1900 schließlich einen, wie der Paratext feststellt, faktualen Text, der seine Ursprünge in der Fiktion vollständig invisibilisiert. Dass die Verfasser die protokollarische Perspektive aber nicht auch in einen protokollarischen Stil kleiden, könnte als ein eklatanter Makel und erstes Indiz dafür gewertet werden, dass es sich nicht um ein tatsächliches Protokoll handelt, sondern nur paratextuell den Anspruch auf die Autorität des Protokolls erhoben wird. Die formale Abweichung lässt sich aber auch strategisch deuten. Michael Butter hat darauf hingewiesen, dass in »unzähligen Texten, die seit dem 18. Jahrhundert versuchen, die verschiedensten Verschwörungen zu beweisen«, um eine ›seriöse‹ Form gerungen wird, sodass »die Dramatik in der Regel von einem drögen Stil und Hunderten von Fußnoten sowie umfangreichen Apparaten überlagert« wird. »Was diese Texte erzählen, ist – zumindest für diejenigen, die sich überzeugen lassen – aufregend; wie sie es tun, dagegen nicht« (Butter 2018, 57). Die Protokolle mögen nicht ›aufregender‹ gestaltet sein, aber die im Protokoll gegebenen Selbstauskünfte ersparen den Anmerkungsapparat. Der gesamte Text ist sein eigener Belegapparat. Bereits bei Goedsche ist die Augen˗ und Ohrenzeugenschaft der Beobachter ein ausreichendes Surrogat für Hunderte von Fußnoten. Ungewöhnlich ist das Protokoll jedoch in der Hinsicht, dass es sich nicht um ein Dokument handelt, das wie im Falle anderer Verschwörungen in mühseliger Kleinstarbeit aus unzähligen versteckten Hinweisen zusammengeklaubt wurde (vgl. Butter 2018, 99), sondern um Abschriften aus den »Verhandlungs˗Berichten« des Basler Kongresses. In dieser Behauptung wird die Übermacht der Verschwörer von Zion ausgestellt – sie brauchen sich nicht zu verstecken. Nur vor dem Hintergrund eines ressentimentgeleiteten »Wahns« (Cohn 1998, 16 ff.), der es ermöglicht, sich durch historische Fakten und empirische Daten nicht von einer alternativen Semiotik, die in allen möglichen Zeichen ›jüdische‹ Codes entdeckt, abbringen zu lassen, können die Protokolle ihre Wirksamkeit entfalten. Dass antisemitische Texte von fiktiven Zerrbildern ohne reale Deckung sprechen, liegt darin begründet, wie u. a. bei Monika Schwarz-Friesel und Jehuda Reinharz zu lesen ist, dass sie sich überwiegend bis vollständig in der Abstraktion bewegen: »Jude ist als Lexem ein Konkretum, aber es hat bei vielen Antisemiten den Status eines Abstraktums, da diese sich nicht auf reale Juden, sondern auf eine geistige Kategorie in ihrem Kopf beziehen« (Schwarz-Friesel und Reinharz 2013, 295). Die Unterscheidung zwischen der Wahr- oder Falschheit dieser Kategorie kann nur die externe Beobachtung treffen; ihr Resultat bleibt ebenfalls auf das Außen beschränkt, denn der »Antisemit glaubt sein Weltbild nicht obwohl, sondern weil es falsch ist: es geht um den emotionalen Mehrwert, den der antisemitische Hass für Antisemit(inn)en bedeutet« (Salzborn 2020). Vor diesem Hintergrund wird auch verständlich, warum die Vielzahl von Textvarianten, die logischen Widersprüche im Text und die Abweichungen in den Übersetzungen kein Problem für die affirmative Rezeption der Protokolle darstellen, da die verschiedenen Fassungen »als zeitlich aufeinanderfolgende Manifestationen eines seit langem bestehenden jüdischen Komplotts« (Cohn 1998, 39) gedeutet werden.

Die Protokolle – funktional

So wie die Textsorte des Protokolls qua Definition, so beanspruchen auch die Protokolle »in besonderer Weise die Gültigkeit dessen, was sie schriftlich fixier[en]« (Niehaus und Schmidt-Hanissa 2005, 7). Die Wirkung der Protokolle besteht nicht allein in der Fixierung und Distribution von Information, in der Archivierung von Wissensbeständen, sondern sie zielen über einen impliziten Appel darauf, dass »etwas entschieden wird«, wie es im Vorwort zu diesem Band heißt. Dies geschieht nicht in der Befehlsform (vgl. Vismann 2011, 84), die angestrebten Ziele werden als Vorsätze bzw. als Fortsetzung des bisherigen Handelns ausgegeben. »Sie erklären einerseits bereits Geschehenes und erlauben andererseits Vorhersagen über die Zukunft« (Butter 2018, 53). Aus dem Bericht der res gestae werden aktuelles und zukünftiges Handeln extrapoliert. Besonders durch diese Engführung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bekommen die Protokolle eine appellative Funktion. Diese besteht darin, das beschriebene angekündigte Handeln, nicht zuletzt aus Gründen des Selbstschutzes, unterbinden zu müssen. Wer die Protokolle liest, wie sie gelesen werden wollen, ist implizit zur Tat aufgefordert, da sie sich im Rahmen ihrer Selbstbeschreibung durch perfekte Funktionalität auszeichnen – alles, was sie beschreiben, ist bereits eingetreten oder wird in naher Zukunft zuverlässig eintreten.

Auf ihrer Grundlage wurden, zunächst vor allem in Russland (u. a. 1903 in Kischinjow), spontane Pogrome initiiert (Cohn 1998, 39, 54, passim) und auch langfristige politische Entscheidungen – der Entrechtung und sozialen Marginalisierung von Juden und Jüdinnen – vorangetrieben. Fritsch und andere betonen, dass sich in den Protokollen vor allem ein besonderer »Wille« ausdrücke, dem ein ebensolcher entgegengesetzt werden müsse. Entsprechend sei »die wichtigste und wertvollste« Erkenntnis, dass die

Juden [...] nicht nur vermöge ihres Kapitals und all der schlauen Machenschaften [herrschen], [...] sondern durch die Kraft eines schonungslosen Willens; und andererseits ist die geschwächte Willenskraft der nichtjüdischen Völker eine Ursache ihrer Niederlage. Die Willenskraft der Nichtjuden wurde aber vor allem gelähmt, weil sie die Zusammenhänge unserer heutigen Ereignisse und ihre Urheber nicht kannten. Wer im Dunkeln tappt und von unsichtbaren Feinden angegriffen wird, kann nicht Mut entwickeln und sich erfolgreich wehren (Fritsch 1933c, 73).

Die Protokolle werden daher als das Medium einer doppelten Erkenntnis ausgestellt. Nicht nur der ›Feind‹ gibt sich voll zu erkennen, auch die eigenen Fehler und Schwächen werden ex negativo offensichtlich. Das »Erkennen des Feindes und seiner Kampfmittel ist die erste Voraussetzung für eine erfolgreiche Gegenwehr«, weshalb die Verbreitung der Protokolle »in allen Schichten unseres Volkes« als die »erste Voraussetzung unserer Gesundung« (Fritsch 1933c, 73) ausgegeben wird. Vor allem der politischen Führung, jenen »Männer[n], die künftig die Leitung der Volksgeschicke in die Hand nehmen wollen«, sind dazu aufgerufen,

ein ähnlich klares Programm zu schaffen, wie es in diesen ›Protokollen‹ gegeben ist. Man könne es vielleicht die ›Arischen Gegenprotokolle‹ nennen. Es müßte in gleicher unerbittlicher Folgerichtigkeit, mit welcher hier Trug und Verbrechen begründet sind, den Schutz der ehrenhaften Menschheit, die Verteidigung der Gesittung und Vernunft begründen (Fritsch 1933c, 76).

Fritsch wendet die Protokolle folglich agitatorisch, aus denen er die »unabweisbare Forderung« ableitet:

Das Judentum darf nicht länger unter uns geduldet werden! Es ist eine Ehrenpflicht der gesitteten Nationen, dieses räudige Geschlecht auszuscheiden, da es schon durch seine Anwesenheit alles verpestet, die Völker geistig und seelisch krank macht, gleichsam die geistige Luft vergiftet, in der wir atmen (Fritsch 1933c, 76).

Fritschs Kommentar wird damit zu einer Art Einweisungsprotokoll für Vertreibung, Deportation und Genozid. Denn die genozidale ›Lösung‹ ist bereits klar vorformuliert, wenn den Juden »die Mission des Ungeziefers im Naturhaushalte« zugeschrieben wird, dem mit »Sauberkeit« und »Reinigung« begegnet werden müsse, damit »für den Juden keine Stätte mehr unter uns sein [wird]! Mit der Ausscheidung des Judentums würde mit einem Schlage ein Großteil der Übel verschwinden, an denen die Kulturvölker heute kranken« (Fritsch 1933c, 77). Diesem impliziten Appel der Protokolle, als Handlungsanweisung für ein Eliminierungsprojekt zu dienen, sind unzählige Deutsche im Dienste des Nationalsozialismus gefolgt (Cohn 1998, 9).

Die Protokolle – psychologisierend

Die eigentliche Perfidie des Titels liegt darin, dass er von der antisemitischen Warte aus als protokollierende Selbstbeschreibung eines »jüdischen Geistes« begriffen wird, der sich seinen, von ihm unterworfenen Feinden gegenüber selbst entlarvt. Es ist nur in erster Hinsicht ein Dokument, in dem die Weltmachtpläne des Zionismus festgehalten sind; in einer anderen ist er vielmehr eines, das die nahezu unvorstellbare Andersartigkeit ›jüdischen‹ Denkens und Wesens zum Ausdruck bringe. Theodor Fritsch schreibt in der Einführung zu seiner Ausgabe der Zionistischen Protokolle (1924):

Die Bezeichnung ›Protokolle‹ ist insofern verfehlt, als es sich nicht um eine Verhandlungs-Niederschrift handelt, sondern um die von einer Versammlung vorgetragenen Richtlinien und Programmpunkte einer verschwörungsartigen Verbindung, die das Ziel verfolgt, durch geistige und wirtschaftliche Bevormundung der Völker eine sich über den ganzen Erdball erstreckende Oberherrschaft aufzurichten. Der Scharfsinn, die tiefen psychologischen Einblicke, die listige Verschlagenheit, mit denen dieses Ziel verfolgt wird, sind erstaunlich; und so bilden diese »Protokolle« (wir behalten diese Bezeichnung bei, da sie allgemein üblich geworden ist) geradezu ein Meisterstück machiavellischer Menschenbeherrschungskunst (Fritsch 1933b, 8).

Der bis zu Fritschs Ausgabe der Protokolle bereits längere Zeit gehegte Zweifel an der Echtheit habe daher rein gar nichts mit der Frage nach Fiktionalität oder Faktualität zu tun. Der Zweifel am Ursprung der Protokolle könne sich nur deswegen halten, weil die »von den Juden gepflegte Methode, die Protokolle als eine Lüge und Fälschung hinzustellen« besonders bei den Deutschen verfange. Der »arglose, naive und vertrauensselige Deutsche« könne sich in der »Geradheit seiner Seele […] nicht vorstellen, daß soviel List, Tücke und Bosheit in Menschenhirnen wohnen könnte« (Fritsch 1933b, 8). Der seit Tacitus’ Germania bekannte und unverändert gebliebene gutmütig-naive Deutsch-Germane müsse nur von der Möglichkeit überzeugt werden, dass alles »in Menschenhirnen« wohnen könne – dann würden die Protokolle auch zum wahrhaftigen Protokoll eines radikal anderen Geistes im Zeichen von »List, Tücke und Bosheit«, deren Urheber tatsächlich »ihre Karten vor aller Welt aufdecken« (Fritsch 1933b, 7). Fritsch rahmt seine Ausgabe der Protokolle mit einem Kommentar, in dem er seine Eindrücke abschließend zusammenfasst:

Ich kann mir nicht vorstellen, daß ein arischer Kopf ein solches System spitzbübischer Niedertracht und so schamloser Folgerichtigkeit auszudenken fähig wäre. Es mag zugegeben werden, daß bei der Übertragung in andere Sprachen die zuweilen recht gewundene Ausdrucksweise hie und da seitens des Übersetzers – vielleicht unbewußt – eine gewisse Verschärfung und Übertreibung erfahren hat, aber über die Echtheit der Grundgedanken kann ein Zweifel nicht bestehen. Um so weniger, als in diesen Leitsätzen mit Tatsachen gerechnet wird, die vor zwei Jahrzehnten in der Öffentlichkeit noch gar nicht bekannt waren, z. B. die Abhängigkeit der Freimaurerei von der Judenschaft. Auch entsinne man sich, daß im Abschnitt III bereits von dem »Weltkrieg« die Rede ist, an den im Jahre 1897 oder 1901 noch kein Mensch dachte, der nicht zur verschworenen Sippe gehörte. Und welchen Anlaß hätte ein Nichtjude gehabt, sich die Mühe zu geben, den Juden einen bis ins einzelne gehenden Plan auszuarbeiten für die Ausplünderung und Unterjochung der nichtjüdischen Völker? Wäre ein nichtjüdisches Gehirn überhaupt fähig gewesen, diese verschlagenen und bübischen Pläne – z. B. hinsichtlich der Finanzgebarung – auszuhecken? Die ganze Denkweise, die diesen Darlegungen zugrunde liegt, ist den arischen Gehirnen so fremd, daß sie vielen unfaßbar erscheint. Es gehört die perverse Geistesrichtung talmudisch geschulter Köpfe dazu, solche Gedanken zu hegen (Fritzsch 1933b, 73).

Als eigentliche »Ungeheuerlichkeit« kommt hinzu, dass diese Gedanken und Pläne nicht nur gedacht, sondern auch aufgezeichnet worden sind. Der bürokratische Geist erweist sich also gerade darin, dass er selbst über das protokollarisch berichtet, was andere Mächte strenger Geheimhaltung unterworfen hätten. So ist in den Protokollen auch die Rede von »unsere[r] Verwaltungskunst«, die auf »schärfster Beobachtung« beruhe (Protokolle 1998, 46) und auf eine »Überstaatliche Verwaltung« (Protokolle 1998, 49) ziele. Aus Offenbarungen wie diesen folgt für Fritsch, dass diese Niederschrift unbedingt echt sein müsse:

Nein, die »Zionistischen Protokolle« sind unbedingt echt; wer das nicht sehen will, entbehrt entweder jedes psychologischen und politischen Instinktes – oder er hat ein Interesse daran, die Aufdeckung der Wahrheit zu verhindern. Auch die unerbittlichen Konsequenzen, wie sie in Abschnitt XVI für die Rechtsprechung und die Behandlung der Richter gezogen werden, dürften schwerlich einem nichtjüdischen Kopfe entsprungen sein. Dazu gehört die jüdische Hartherzigkeit, jüdischer Fanatismus. Deutsches Denken ist viel zu maßvoll, zu sehr von Billigkeit und Gerechtigkeit beherrscht, um so grausamer Folgerungen fähig zu sein. Hier zeigt sich deutlich der jüdisch-teuflische Pferdefuß (Fritzsch 1933c, 74).

Die Echtheit beweist sich für Fritsch und andere Antisemiten darin, dass sie den »in allen Teilen das Gepräge talmudischer Welt- und Lebensauffassung und den Stempel echt jüdischer Nichtswürdigkeit« erkennen und in den »jüdischen Geständnissen« einen »vollgültige[n] Beweis für die Staatsgefährlichkeit der Juden« erblicken (Fritzsch 1933c, 75).

Fritsch begründet seine Ausgabe daher auch mit der die Wahrhaftigkeit der Textgrundlage, die eine »wirklich sinngetreue Wiedergabe des Inhalts« leisten müsse und daher nur in einer reduzierten Form, also ohne einen umfangreichen Stellenkommentar und weitere Materialen (historische Dokumente, Abbildungen), abgedruckt werden müsse, um so die »bedeutsamen Bekundungen jüdischen Machtstrebens in knappster Form den weitesten Kreisen zugänglich zu machen« (Fritsch 1933b, 8).Footnote 1

Anders als Joseph Goebbels, der die Protokolle für eine Fälschung hielt, da er nicht an eine solche Selbstoffenbarung glaubte, sieht Fritsch in deren Verbreitung einen Ausdruck der typischen ›jüdischen‹ Hybris. Es entspräche nämlich dem ›jüdischen‹ Geist, diese »Ungeheuerlichkeiten« der Protokolle vor der Welt aufzudecken und vorzuführen, wie der »Betrug […] so wunderbar fein eingefädelt« (Fritsch 1933c, 69) wurde. Darin beweise sich die erfolgreiche skrupellose Tücke, die nur Resultat einer besonderen intellektuellen Überlegenheit sein könne, die sich vor den von ihr unterworfenen Völker nicht länger fürchte. »Angesichts dieser beschämenden Tatsachen«, so Fritsch, »wird der Oberflächliche geneigt sein, den Juden eine tatsächliche geistige Überlegenheit zuzugestehen« (Fritsch 1933c, 71). Er gesteht zu, dass »in diesen ›Zionistischen Protokollen‹ eine Unsumme von Lebensklugheit verborgen liegt«, die allerdings durch »den gemeinen Zweck« entwürdigt werde, »dem sie dienen soll«. »Wenn diese Köpfe«, so Fritsch weiter, »die solche Dinge ausklügelten, nicht gesellschaftsfeindliche Sonderinteressen verfolgten, so könnten sie beinahe als die berufenen Männer erscheinen, einen Staat scharfsinnig und mit feinem psychologischen Verständnis zu leiten« (Fritzsch 1933c, 71). Partikularismus lautet der Vorwurf, der das Eigeninteresse über das Gemeinwohl stellt und daher als verderblich erkannt und abgelehnt werden müsse.

Wer dennoch nach dem Lesen dieser Protokolle noch immer an dem bitteren Ernst zweifelt, dem sei folgendes gesagt: Selbst angenommen, diese Schriftstücke wären nicht aus jüdischer Hand hervorgegangen, so blieben sie dennoch ein Meisterwerk der Kennzeichnung jüdischer Gedanken und Pläne. Sie könnten nur von einem genialen Kopfe geschaffen sein, der in die tiefsten Gründe der jüdischen Seele schaute. Ja, der Verfasser müßte ein Prophet genannt werden, denn er hätte Jahrzehnte voraus erraten, welche Absichten und Pläne das Weltjudentum durchführen wollte (Fritzsch 1933c, 75).

Woher die Protokolle stammen, wird nebensächlich, wenn sie nur in der richtigen Weise aufgefasst und als tatsächliches Protokoll ›jüdischen‹ Denkens und Trachtens begriffen werden.

Zweifel an der möglichen Echtheit der Protokolle waren bereits früh aufgekommen. Sie wurden schließlich im Berner Prozess (1935–1937) durch eine Reihe von Zeugenaussagen und Fachgutachten kritisch geprüft und gegen nationalsozialistische Fürsprache gerichtlich als »Fälschung«, »Plagiat« und »Schundliteratur« erklärt (vgl. Krah 2017, 11). Überzeugte Antisemiten wie Carl SchmittFootnote 2 focht dies nicht an, sondern führte zu einer Kette an vermeintlichen Gegenbeweisen, die Hintergründe und Urheberschaft anders zu belegen trachteten, um die Autorität der Protokolle weiterhin aufrecht erhalten zu können. Ulrich Fleischhauers (1876–1960) »Sachverständigengutachten« (Fleischhauer 1935) legte das Fundament für die beharrlichen nationalsozialistischen Bezüge auf die Protokolle, die auch nach 1945 nicht abgerissen sind. Reprints, digitale Archive und Schattenbibliotheken sorgen dafür, dass die Protokolle heute in vielen Sprachen fast überall auf der Welt kostenlos bezogen und gelesen werden können – und, wie nicht zuletzt einige islamische Staaten (vgl. Matussek 2012) zeigen, immer noch rezipiert werden.

Solange die Protokolle in der Welt zirkulieren, werden sie »pathologische Phantasien als verkleidete Ideen« (Cohn 1998, 11) in die Köpfe von Menschen bringen. Sei es als Buch, als PDF oder zerlegt in kleinen Sequenzen auf Twitter und TikTok, erfüllen sie weiterhin »ihre Funktion [als Protokoll], insofern man auf sie zurückgreifen kann« (Niehaus und Schmidt-Hanissa 2005, 14) – um die enorme Komplexität der modernen Welt einfach zu erklären, und für jedes Problem eine handhabbare Lösung angeben zu können. Sie sind damit seit ihrem ersten Erscheinen eines der zentralen Medien des modernen Antisemitismus. Die Protokolle aber zu vernichten, um »eine unliebsame Wirklichkeit zu tilgen« (Vismann 2011, 90), ist in einer digitalen Welt nahezu aussichtslos geworden.