Proto-Colloquium und Apparat

Im Anfang war die Vor-Schrift. Von AdelungFootnote 1 über Duden und GrimmFootnote 2 bis Kluge, Wiktionary und Zedler herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass der Begriff »Protokoll« vom mittellateinischen protocollum und dieses vom mittelgriechischen πρωτόκολλον herrührt; der Terminus bezeichnet sowohl Instrument als auch Verfahrenstechnik einer Proto-Verwaltung.Footnote 3 Vom vorgeleimten Blatt mit seinem Echtheitszertifikat für ägyptische Papyri (eine Wahrung des quasi amtlichen Dekorum-GebotsFootnote 4) über kurze Inhaltsangaben bis etwa zu einer Regelsammlung, die zuerst der Rolle und später dem Akt in Form eines Votums vorangestellt war (etwa im französischen Sprachgebrauch), entwickelten sich Nutzung und Zuschreibungen. Stets ging und geht es um Nachweise und Vorgaben, Beanspruchungen von Wahrheit und Deutungsmacht.Footnote 5 Dieses vorgeschaltete »Protokoll« (bezeichnenderweise ein Kompositum und zugleich eine Vor-Schrift im zweifachen Wortsinn) lässt sich noch als Übersetzung unterschiedlicher Medienkanäle in eine Schrift, die auf Anleitung abgestellt ist, verstehen; es ist zugleich »aufgeschriebenes Geschehen und Prozesshandlung. […] Protokolle werden zu Akten« (Vismann 2011, 98). D. h., dass die Aufsetzung eines Protokolls auch im Sinne eines späteren Verständnisses von der Niederschrift eines Verlaufs und dessen Aktanten zu verstehen ist:Footnote 6 Schrift als Protokoll- bzw. Verarbeitungssystem (die approbiert selektive Wiedergabe von ›Wirklichkeit‹) operiert hier von einer Verbindlichkeit – Verb-Bindung – her, die eine Ordnung (ein Resultat) festzustellen hat.

Im Amt und seiner Verwaltung markieren Protokolle an der Schwelle zu Rechtssicherheit, Funktionalität, Erwartbarkeit und Gesetzmäßigkeit, dass etwas wie dargestellt passiert sei bzw. wie es zu passieren habe bzw. wie Differenzen zu operationalisieren sind. Dabei ist ein administratives »Protokoll« nicht ohne den institutionellen Apparat und (s)einen wesentlich regelkonformen Prozess möglich.Footnote 7 Das »Protokoll« gibt es somit nur in bestimmten Bedingungsgefügen; alle anderen Mitschriften sind AufzeichnungenFootnote 8 (was nicht ausschließt, dass eine solche durch Einspeisung in den Behördenapparat, etwa einen Gerichtsakt, den Status eines »Protokolls« erlangt).

Dieser Apparat des administrativen Protokolls ist zwischen Handlungen und verhandelnden Akten (beides actaFootnote 9) platziert. Er besteht – grob sortiert – aus dem Auftrag zur Mitschrift (›Anlass‹), deren Anfertigung, ihrer Protokollierung (amtliche Registrierung bzw. Aufnahme), einem Befund dazu, der Genehmigung (oder allfälliger Zusätze), Gültigkeit (allenfalls noch Mundierung) und Ablage (inkl. rekursiver Eigenschaften; allenfalls auch mittels Aufnahme in einen Akt), hat somit unterschiedliche Sicherungs- und Steuerungssystematiken eingebaut. Die Verwaltungs- bzw. Medientechnik des Protokollierens und die daran anschließende Entscheidung der Zulässigkeit des Dargestellten (das meint auch die internen Schnittstellen) verschaffen Verwaltung und Rechtsprechung eine Grundlage ihres Handelns.

Michael Niehaus zitiert gleich zu Beginn seines Aufsatzes über die »Epochen des Protokolls« aus Cornelia Vismanns Buch über die »Akten« deren ersten Satz aus dem Beginn des Unterkapitels über »Senatorische acta (Protokolle)«: »Aus Übertragung soll Überlieferung werden.« (Niehaus 2011, 141) Liest man den Satz in seinem eigentlichen Zusammenhang nach, findet man »Wo Übertragung war, soll Überlieferung werden.« (Vismann 2000, 83Footnote 10) Der Unterschied ist kein geringer, markieren doch bei Vismann Präteritum und Komma eine Ruptur im Ablauf (es knirscht in den Scharnieren, und das ist entscheidend: Vismanns Satz weist zweifach Übertragungen, auch die funktionalen, aus). An dieser Stelle zwischen »Übertragung« und »Überlieferung«Footnote 11 passiert eine ganze Menge, und die Vergangenheitsform hat ebenso eine eigene Bedeutung wie das Komma, das vor allem für eine Pause einsteht. Zwischen der Übertragung und der Überlieferung hat die Verwaltung die Entscheidung gesetzt.Footnote 12 Keine Mitschrift, keine Aufzeichnung welchen medialen Zuschnitts auch immer, wandert ansatzlos ins Archiv. Das Protokoll wird vielmehr, soll es entscheidungsgemäß Protokoll sein, protokolliert und einem Gesamtzusammenhang zugewiesen. Ein stratifiziertes Verwaltungssystem (Vismanns anschließender, zweiter Satz handelt von der »Macht des Senats«, der dritte von »Kontrolle«) lässt entscheiden, was ad acta gehört und also legitime Überlieferung werden kann. Und noch einen Unterschied gibt es zwischen den beiden Sätzen von Niehaus und Vismann: Eine »Übertragung« ist auch (noch) ortsgebunden, es ist wesentlich, wo das ›übertragene‹ Ereignis stattfand, das aufgezeichnet wurde, um andernorts ›überliefert‹ zu werden. Gerade für das amtliche Protokoll, das ohne institutionalisierte Aufnahme – Protokollierung (die Erfassung, Aufnahme und Verortung eines Stücks in das amtliche System), Registereintrag und Approbation – gar keins gewesen sein wird, ist die über Rede und Schrift geschaffene Koppelung von Raum, Zeit und Ablauf wesentlich.Footnote 13 Die Zulässigkeit einer derartigen Verschaltung ist die Voraussetzung für eine zulässige (es gibt in diesem System keine andere) »Überlieferung«. In der knappen Feststellung, dass ›wo Übertragung war, Überlieferung werden soll‹, in diesem schmalen Satz mit diversen Tempusformen und einem Satzzeichen inmitten, ist das administrative Grundprinzip des Apparats Protokoll mit angelegt. Niehaus hat sehr richtig bemerkt: »Was ins Protokoll gehört und wer das Protokoll führt, ist immer auch eine Frage der Macht« (Niehaus 2011, 143). Diese abzusichern und zu veranschaulichen ist die Aufgabe der zahlreichen Handgriffe und Erfordernisse rund ums amtliche ›Protokoll‹, die im Lauf der Zeit entwickelt wurden (und als sozusagen amtliche Kulturtechniken Instrumente im Sinne einer Machttechnik sein können): Erfassung, Protokollierung, Veraktung, Approbation, Ablage, Rekursion et cetera.

Um derart die spezifische Verwaltungspraxis in einem je herzustellenden rechtlichen Rahmen – Aufgabe der Juristerey und ihrer Politik (eine ›Stanzung‹ von Wahrheit auf deren Richtigkeit hin, von der Fiktion zum Fakt) –, ihre Kulturtechniken und die Durchsetzung medialer Verfahren, die Formatierung (›Zurichtung‹) und damit Beherrschung der Schreibflächen zu verstehen, lässt sich – anders formuliert – mit Hilfe einer Kulturtechnikforschung arbeiten, die den Anspruch stellt, »vor die Reifizierung von Apparaten und Substantiven zurückzugreifen, um einen Zugriff auf die Verben und Operationen zu ermöglichen, aus denen die Substantive und Artefakte erst hervorgegangen sind« (Schüttpelz 2006, 87). Dabei erweist sich, dass die sprachlichen Handlungen durch institutionelle Zugriffe (die Einhegung durch Schrift und deren Approbation) zu institutionell anerkannten Tatsachen festgeschrieben werden.

Selektion und Scheidung: Die drei Protokolle

Wenn sich von Amts wegen sagen lässt, wie einmal etwas gewesen sein wird, werden Protokolle diese Wirklichkeit belegen; dass ›im Internet‹ erfolgreich Daten transferiert werden und elektronisch kommuniziert wird, regeln Protokolle; damit Staatsbesuche in der Regel gewaltfrei ablaufen, geben Protokolle den diplomatischen Takt vor. Bei allen Unterschieden in der Begriffsanwendung, dem Zeitpunkt der Zuschreibung (danach–währenddessen–vorab) und der jeweiligen prozeduralen Komplexität bleibt dem administrativen, dem technischenFootnote 14 und dem diplomatischen ProtokollFootnote 15 eine Gemeinsamkeit mit dem altgriechischen πρωτόκολλον erhalten: Es geht um Regeln und Prozessvorgaben, um Instrumente des ScheidensFootnote 16 und damit Entscheidens.Footnote 17

Ein Protokoll im amtlichen Gebrauch ist derart zuvorderst ein zweifaches Instrument: der Selektion und des Trennens zum einen,Footnote 18 der Entscheidung über das zulässige »Operationalisieren von Differenzen« (Steinhauer 2016, 53) andererseits. Protokolle sind funktional gemachte Elemente eines Apparats;Footnote 19 so wie Zahnräder eines Uhrwerks für sich genommen, und nicht im Verbund passgenau verzahnt, operativ nutzlos sind, bedeuten auf sich gestellte ›Protokolle‹ in welcher Erscheinungsform auch immer nichts. Sie sind, genauer besehen, zum Zeitpunkt ihrer Abfassung noch nicht einmal Protokolle. Erst wenn die Vor- und Mitschriften davon, wie es gewesen sein wird, zu solchen erklärt wurden, wenn eine Entscheidung über ihren Status als »Protokolle« sie zu solchen und für zulässig erklärt (d. h. diese Montage einer Mitschrift zur rechtsprinzipiellen und damit alleingültigen Rekonstruktion wurdeFootnote 20), ist der Begriff tatsächlich auf sie anzuwenden und sind sie funktionale Resultate, die Prozesse sortieren (formatieren, paketieren, verbinden, begrenzen, speichern) helfen. Als Instrumente bzw. operativ genützte Objekte und (eventuell Hyper-)Referenzen bringen sie ein sortiertes Unten nach obenFootnote 21 zu entscheidungsfähigen Subjekten, oder sie dienen als Medien der rechtmäßigen Umsetzung des Oben für UntenFootnote 22 (wie sich auch bei diplomatischen bzw. Vertrags-Footnote 23 und technischen Protokollen – Transmission Control Protocol [TCP], Internet Protocol [IP], Hypertext Transfer Protocol [HTTP] etc. – beobachten lässt, die Routinen ermöglichen und zugleich Resilienz sichern, die Robustheit von vorgeschriebenen Abläufen stärken sollen), wenn es darum geht, wie das eine war und das andere im Sinne des Verwaltungs-Tempus par excellence, des Futur II,Footnote 24 gewesen sein wird.

Für das diplomatische wie das technische Protokoll und hieraus jeweils abzuleitende Abläufe scheint das besonders konsequent zu gelten: Im Anfang war ein Protokoll,Footnote 25 »das heißt es folgt einem standardisierten Verfahren« (Krajewski 2010, 265). Wobei auch im technischen Bereich das zu regelnde Verhältnis zwischen Herrn und Knecht (gerne in der Gegenüberstellung Master & Slave bzw. Client & Server reproduziert) ein asymmetrisches ist – es sozusagen systemstabilisierend auch hier ein Verhältnis von Oben zu Unten gibt, wobei die Kulturtechnik des Scheidens der Codierung überantwortet wurde –, ausgehandelt und im Protokoll festgeschrieben. (Sonst funktioniert das mit dem Datentransfer nicht.) Weil die Verständigungsprobleme von Netzwerken, Computern, Maschinen, Rechnern als diplomatische Entscheidungsprobleme verstanden wurden, die es zu lösen galt, nannten »Computerfachleute […] die Instrumente, mit denen sich delikate kommunikative Aufgaben formalisieren ließen, ›Protokolle‹«Footnote 26 (Gugerli 2018, 148). Es geht um Vereinbarungen, das Festlegen und in Folge Beachten von Regeln und (analog formuliert:) Handlungsschritten.

Ein Beispiel: Ab 1964 wurde von Paul Baran (im Dienst der RAND Corp.) die Differenzierung von zentralisierten, dezentralisierten und verteilten Netzwerken hinsichtlich ihrer jeweiligen Resilienzfähigkeiten vorgenommen. Wenige Jahre danach machte sich – im Auftrag Eisenhowers und als Antwort auf den Sputnik-Schock – auch die Advanced Research Project Agency (ARPA) Gedanken über die optimale Verteilung von Verteidigungs- und Kommunikations- (d. h. Entscheidungs-) Anlagen, d. h. Fähigkeiten im unmittelbaren Interesse des militärisch-industriellen Komplexes und seiner späterhin ›nationalen Sicherheit‹. Die Vorstellung der robusten Aufrechterhaltung von Kommunikations- und damit Handlungsräumen,Footnote 27 die Idee der Schaffung von (v. a. militärischer) Resilienz durch Redundanz – redundante Leitungen als Sicherung –, wie sie schon in Barans Arbeit »On Distributed Networks« (einer elfteiligen Serie von Forschungs-Memoranden) über Netzwerke und mit dem Vorschlag der Paket- bzw. blockweisen Vermittlung versprochen wurde, sollten nun ›Internet‹-Protokolle mit der Abarbeitung von Routinen gewährleisten. Die Kommunikationspunkte wurden verteilt, die Inhalte segmentiert und nach der jeweiligen Übermittlung wieder verbunden (technische Redundanz ist gewährleistet, während die Protokolle durch Lastenverteilung die Funktionsfähigkeit ermöglichen, indem sie den Datenverkehr regeln; die schönsten Netzwerk-Theorien können nicht funktionieren, solange diese Frage der ›Knoten‹ – an denen die Protokolle arbeiten – nicht geklärt ist).

Die über Protokolle geregelte Technisierung von InteraktionFootnote 28 (abarbeitend und lenkend: teilen und betreiben) unterhält zwangsläufig ein Naheverhältnis zu Diplomatischen Protokolle – entwickelt aus dem Zeremoniell und im Moment ihrer Anwendung Beleg für eine erfolgte AushandlungFootnote 29 –, die a priori (abzuarbeitende Handlungsaufträge: teilen und herrschen) regeln. Diesen gegenüber werden administrative ›Protokolle‹ (einschließlich aller medialen wie juridischen Dynamiken) – Aufschreibe- oder a posteriori-Protokolle – zu »Protokollen« erklärt und zur Geltung gebracht.

Protokollierung des Protokolls

Kennen Sie aber dann schon die ganze Bedeutung des Protokolls, des Herrn Sekretärs, der Dorfregistratur?

(Franz KafkaFootnote 30)

Ein ›Protokoll‹ ist nicht einfach das, was beobachtet, mitgeschrieben (etwa bei GeschäftsvorgängenFootnote 31) und hinterlegt wurde, sondern muss als ›wahr‹ erkannt und (einschließlich seiner medialen Umstände) bestätigt werden. Für das Protokoll von Amts wegenFootnote 32 gilt: Protokolle müssen protokolliert werden, ehe sie in einem Akt Aufnahme finden.Footnote 33

Protokoll und Protokollierung als Kulturtechniken eines Scheidens und Einziehens von AbständenFootnote 34 greifen, sobald die in den Diensten einer Komplexitätsreduktion dokumentierte Verfertigung der Welt ostentativ bestätigt, wie es gewesen (und Kontingenz zur Konsequenz erklärt worden) sein wird. Das Vertrauen gilt der Vermittlung und nicht dem Unvermittelten (das aus der Sicht des Amtes immer schon vergangen gewesen sein wird). Insofern als administrative Protokolle stets vermittelte (u. a. approbierte) MontagenFootnote 35 darstellen müssen, sind es Schriften zweiter OrdnungFootnote 36 und Teil der amtlichen Beglaubigungsstrategie. Vergleichbar mit der Beobachtung zweiter Ordnung geht es um einen Distanzgewinn, der die Autorität der Zuschreibung als ›richtige Wiedergabe‹ stärkt. Bei Niklas Luhmann kann man zur Beobachtung zweiter Ordnung lesen: »Die in der Beobachtung operativ verwendete, aber nicht beobachtbare Unterscheidung ist der blinde Fleck des Beobachters« (Luhmann 1990, 231). Setzt man anstelle der Beobachtung deren aktive Umsetzung (deren je spezifische Ausführung und mediale Form die Angelegenheit gewiss noch komplexer und recht eigentlich zusätzliche Differenzierungen erforderlich macht), also die Beobachtung und deren Niederschrift, das ›Protokoll‹, hat man nicht nur das Problem der Protokollschrift und ihrer ›Richtigkeit‹ auf dem grünen Tisch, sondern auch die Lösung: ein Protokoll ist dann eines, wenn es protokolliert, per Entscheidung für richtig befunden und in der Folge als »Protokoll« operationalisiert wurde. Wo vormals der »blinde Fleck des Beobachters« war, steht nun die Unterschrift des Vorgesetzten.

Davor ist es eine Aufzeichnung, einfach nur ›Text‹. Erst die Protokollierung des Protokollierten macht das ›Protokoll‹ zum »Protokoll«, das mithin stets als Beweisschrift – Beobachtungszeugnis und Übertragungsschrift – zweiter Ordnung in die amtliche Welt gekommen sein wird.Footnote 37 Schriftlich vorliegende Begründungszusammenhänge, Sachverhaltsdarstellungen mit notwendigem Authentizitätsanspruch, Rechtsgutachten, Stellungnahmen und strukturierte Genehmigungsverfahren gehören zu den Kulturtechniken, die begründete Verwaltungsentscheidungen begleiten – und auf ein als korrekt geführt beglaubigtes Protokoll zu verweisen bedeutet hierbei nicht bloß, dass ein Prozessgeschehen von Bedeutung in einer je gegenständlich gemachten Sache stattgehabt hat, sondern auch, dass eine Berufungsgrundlage geschaffen wurde und Entscheidungen gefallen sind.

Ein genehmigtes Protokoll ohne erfolgende Einsprüche, Gegendarstellungen und Zusätze – wahrscheinlich gilt: auch mit diesen, sofern ein Zusammenhang her-, genauer noch: festgestellt werden kann – besagt nichts weniger als: so ist es gelaufen. (Im Futur II der Verwaltungsformate und amtlich regulierten Datenströme: So wird es gewesen sein.) Die Autorität einer Protokollführung stellt sich weniger über die Anwendung eines stilus relativus als vielmehr über die Bestätigung durch Beteiligte, die Genehmigung der Aufnahme in einen Verfahrenszusammenhang und eine wie auch immer als ordnungsgemäß gerechtfertigte ›Verfügung: ad acta‹ ein. Derart basal zeichnet sich eine mitschreibende, protokollierende Verwaltungsarbeit, wesentlich als Verarbeitungssystem einer Form von Ordnung zugeeigneter Kulturtechniken verstanden, durch Selbstbezüglichkeit aus.

Kulturtechniken sind Techniken, mit deren Hilfe symbolische Arbeiten verrichtet werden. […] Diese symbolische Arbeit […] ordnet gleichsam die Welt und ermöglicht es den Kulturen, Begriffe von sich selbst zu entwickeln. Symbolische Arbeiten bedürfen eigener Techniken: der Kulturtechniken des Sprechens und Verstehens, Bildens und Darstellens, Rechnens und Messens, Schreibens und Lesens, Singens und Musizierens. Und […] Kulturtechniken unterscheiden sich von allen anderen Techniken durch ihren potentiellen Selbstbezug, durch eine Pragmatik der Rekursion (Macho 2007, 181).

Folgt man diesen Differenzierungen, ist nicht einfach alles »Kulturtechnik« (und ohnehin nicht alles ›Verwaltungsarbeit‹), sondern ist zunächst danach zu fragen, inwieweit jeweils symbolische Arbeit (symbolische Operationen und nicht allein ›Technik‹) vorliegt, insofern als nur diese sich selbst zu enthalten vermag. Das ist wiederum eine der Garantieleistungen, die Protokollen abverlangt werden: die richtig abbildende, darin anzuerkennende ›Wahrschrift‹ einer damit konstituierten Wahrheit zu sein.Footnote 38 Daher sind es zwangsläufig Beobachtungsschriften zweiter Ordnung,Footnote 39 die – sofern radikal komplexitätsreduzierend als ›korrekt‹ approbiert – Recht geschrieben haben werden.

Ein administrativer Pakt

Das Protokoll kann es ebenso wenig geben, wie eine gleichnamige Textsorte sich terminologisch festzurren und funktional in die Zeile bringen ließeFootnote 40 (eher schon handelt es sich um ein eigenes Genre), da über Jahrhunderte hinweg unterschiedliche Bedingungsgefüge und Wissensbetriebe – so auch die Verwaltung – den Begriff usurpierten und in ihr je eigenes Arsenal der Verfahrensweisen einverleibten. Wenn aber aufgrund dieser nicht ansatzweise deckungsgleichen Definitionsansprüche mit je zugewiesener Deutungsmacht über das ›Protokoll‹ keine begriffliche Debatte wie über den ›Roman‹ oder die ›Novelle‹ geführt werden kann, können die hierin je Einzelfall spezifisch gebündelten Kulturtechniken in einer Zusammenschau – unter Berücksichtigung der jeweiligen Verfahrensordnungen – Aufschluss über die Protokolle geben. Als im je zuständigen Wahrheitsregime zulässig gemachte Formen der Komplexitätsreduktion legen sie eine konstruierte und bestätigte Zeugenschaft davon ab, wie etwas gewesen sein wird. Anders formuliert: Die als korrekt erkannten Protokolle (Entscheidungsschriften zweiter Ordnung) sind in ihren apparativen Zusammenhängen sanktionierte Ereignisketten. Das gilt nicht nur für schriftliche Formen (Stichworte, Gedächtnisprotokoll, Stenografie etc.Footnote 41), sondern auch für Bild-Footnote 42 und Ton-Protokolle im Archiv, für Vorschriften bei diplomatischen und zeremoniellen Anlässen sowie für die algorithmische Echtzeitexekutive der Internetprotokolle.

Die auf Authentizität abzielende Rede von »Protokollen« als der wirklichen Wirklichkeit, so auch die von administrativen, lässt zumeist den Verweis auf den Apparat beiseite und macht sich stattdessen jenen Effekt der Verständigung zunutze, den Lejeune 1994 der Lektüre autobiographischer Textsorten wie Tagebuch, Brief oder Autobiographie als »Pakt« des Vertrauens in die Richtigkeit eines So ist es gewesen zuschrieb (de Man 1993 widersprach heftigFootnote 43). Analog dazu ließe sich annehmen, dass der Protokoll-Rede so etwas wie ein administrativer Pakt zugrunde liegt, folgend Lejeunes Autobiographie-Verständnis als Gattungsvertrag (oder -pakt): Etwas, das wesentlich über Textauszeichnungen und -zuschreibungen geschieht, vereinbarte und kanonisierte Merkmale.Footnote 44 Ausgangspunkt für eine solche Zuweisung sind Ermächtigung und Abnahme (derart fungiert das Protokoll als funktionales Äquivalent dessen, was früher ›Vertrauen‹ genannt wurdeFootnote 45). Die ubiquitäre Verwendung eines Protokoll-Begriffs inkludiert ein Verständnis von Verwaltung und beruht auf einem derart verbreiteten Muster (es geht nicht um bewusste, reflektierte Handlungen, sondern um den Effekt angeeigneter Überzeugungstechniken): Es wird angestrebt, die jeweiligen Adressat:innen des recht eigentlich falsch verwendeten Begriffs – eine Mitschrift wird nicht durch Zuruf zum Protokoll, sondern durch Verfahren, Aushandlung oder dazu auch gegenüber Dritten befugte Approbation – zur Akzeptanz (kein Ein- und Widerspruch) zu bewegen, mit anderen Worten: sie in einen administrativen Pakt einzubinden. Quasi: ich sage, dass etwas »protokolliert« sei (dass es also gespeichert und mit rekursiven Qualitäten versehen jederzeit aufrufbar Zeugnis zu geben vermag von dem, was geschehen sei) – und weil ich ›protokolliert‹ sage, möchte ich erreichen, dass das als gleichsam amtlich anerkannt, mithin als Wirklichkeitsdarstellung akzeptiert wird. Die derart allgemein verbreitete wie auch die spezifisch amtliche Möglichkeit der Begriffsverwendung, die verbatime Vorlage des administrativen Pakts – eines ›Protokoll‹-Begriffs ohne weiteren Instanzenzug, ohne Approbation –, wird von Vertrauen auf die Richtigkeit und/oder von der Autorität einer vorgestellten Institution gestärkt. (Da dies so erfolgreich funktioniert, lässt sich auf ein Bedürfnis zu verzeichnen schließen. Der administrative Pakt vermag dieses zu stillen.) Das alles hängt damit zusammen, worauf mehrere Arbeiten in den letzten 20 Jahren zum ProtokollFootnote 46 hingewiesen haben: dass es schier nicht möglich ist, vor dem Akt und seiner ins Recht gesetzten Bestandsaufnahmequalität einen alternativ gültigen Anspruch durchzusetzen. (Es gibt keine »Wahrheit« außerhalb des dazu in Kraft gesetzten und entsprechend ausgezeichneten Protokolls.Footnote 47)

Ein Protokoll als Resultat ist stets eine Vorgabe: wie etwas auszuführen/umzusetzen sein wird (Zeremoniell/Diplomatie), was in diesem Nu des algorithmisch gesteuerten Ablaufs der Fall sei (Internet), was geschehen sein wird (Verlaufsprotokoll nach Abnahme/Bestätigung; damit sehr eigentlich eine vorgegebene Interpretation des Geschehenen). Im Gegenzug korrespondiert das (seitens der Verwaltung/Administration/Bürokratie gegebene) Versprechen der Rechtssicherheit mit der einverlangten Verpflichtung zur Wahrheit der Angaben (Formular, Protokoll, die sich selbst bestätigenden Aktenläufe). Büger:innen bleiben sich derart selbst in der Pflicht, weil sie diese an ihre administrative Techniken und Pakte übertragen haben. Man hat sich protokollieren, kollationieren und mundieren zu lassen.

Vorschrift

Administrative ›Protokolle‹ müssen protokolliert zu »Protokollen« erklärt werden, um anschließend amtlicherseits zum Ausweis eines stattgehabten Ablaufs zu dienen und Regelkonformität zu gewährleisten (es sind Instrumente des Scheidens: selektieren und entscheiden a posteriori); Technische »Protokolle« regeln technische Interaktionen, sie ordnen und lenken (abarbeitend und lenkend: teilen und betreiben im Nu – ein Erscheinen und zugleich Dokumentieren, wobei beides sich gegenseitig bedingt; eine Art rasende Dialektik im StillstandFootnote 48), wo welche Pakete im vernetzten Datentransfer auflaufen oder abgerufen werden; Diplomatische »Protokolle« sind wie ein Zeremoniell Ergebnis von Aushandlungen zum Diskurs- und Körperreglement und regeln Abläufe (es sind abzuarbeitende Handlungsaufträge: teilen und herrschen a priori). Bei allen Unterschieden in der Anwendung des Begriffs »Protokoll« ist bemerkenswert, dass für eine derartige Zuschreibung nicht eine wie immer sich darstellende äußere Form ausschlaggebend ist, sondern stets mindestens eine für legitim erklärte und mit diesem Anspruch durchkommende Instanz in den Entscheidungsprozess eingebunden sein muss.Footnote 49 Wenn »Aktenarbeit Kampf gegen die Entropie [ist]« (Siegert 2003, 73), sind Protokolle – hinter denen jeweils ein ganzer Apparat amtlich mobil gemacht wurde – ein wesentliches Mittel in dieser Auseinandersetzung. Ein administratives Protokoll, eine prozessual funktionalisierte Montage, macht Differenzen operationalisierbar; denn im Apparat Protokoll werden mittels Einhaltung (zuvor ausverhandelter, das meint auch: angeordneter) formaler Kriterien, Protokollierung und Approbation die Funktionen ›Übertragung‹ und ›Überlieferung‹ zu einem Schwelleninstrument gefügt, das ein Oben und ein Unten zu scheiden hilft. Oben stellt die Mit- als Wirklichkeits- und damit Vorschrift heraus; Unten dankt diese »Unsicherheitsabsorption« mit dem Vertrauen darauf, wie es gewesen sein wird.