FormalPara Zusammenfassung

Im Dienstleistungsunternehmen Krankenhaus ist das Personal ein entscheidender Erfolgs- und Wettbewerbsfaktor und damit ein zentraler Aufgabenbereich für das Management von Krankenhäusern. Ausgehend von der betriebswirtschaftlichen Relevanz des Personals für Krankenhäuser sowie vom Grundverständnis eines professionellen Personalmanagements beschreibt der Beitrag ausgewählte branchenspezifische Rahmenbedingungen und Herausforderungen des Werte- und Strukturwandels mit besonderem Fokus auf das ärztliche Personal und das Pflegepersonal. Auf der Grundlage von analytischen Herleitungen und empirischen Erkenntnissen sowie erprobten Praxisbeispielen werden Konsequenzen beschrieben, die sich bei der Veränderung von Versorgungsstrukturen, der Arbeitsmarktlage und des demographischen Wandels, der Etablierung von Arbeitszeitmodellen und weiteren Maßnahmen zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen, der Internationalisierung des Gesundheitsmarktes, der Akademisierung der Pflege sowie der fortschreitenden Digitalisierung der Arbeitswelt ergeben. Abschließend wird auf Erfahrungen und Lerneffekte bezüglich des Personalmanagements aus der Corona-Pandemie für Krankenhäuser geblickt.

In the hospital as a service provider, the staff is a decisive success and competitive factor and thus a key area of responsibility for the hospital management. Based on the economic relevance of the hospital staff as well as on the basic understanding of professional human resources management, the article describes selected sector-specific framework conditions and challenges caused by a shift in values and structural changes with a special focus on medical and nursing staff. Based on analytical derivations and empirical findings as well as proven practical examples, the authors describe consequences of changing care structures, the labour market situation and demographic change, the establishment of working time models and further measures to improve working conditions, the internationalisation of the health care market, the academisation of nursing care as well as the advancing digitalisation of the working world. Finally, experiences and learning effects regarding human resources management from the Corona pandemic for hospitals are considered.

1 Ausgangsbedingungen

1.1 Betriebswirtschaftliche Bedeutung des Krankenhauspersonals

Charakteristisches Merkmal von Krankenhäusern ist die auf die Anwesenheit von Patientinnen und Patienten bezogene (kundenpräsenzbedingte) Erstellung von Dienstleistungen. Die spezifische Krankenhausleistung der Patientenversorgung mit Diagnostik, Therapie, Pflege und Versorgung kommt in intensiven Abhängigkeiten zwischen dem hochqualifizierten Krankenhauspersonal und den Patientinnen und Patienten mit ihren Persönlichkeits- und Krankheitsartenmustern im Rahmen eines Interaktionsprozesses zum Ausdruck. Diese situative, verhaltensabhängige Beziehung stellt dabei einen wichtigen branchenspezifischen Faktor für die Qualität der Leistungserbringung dar. Das Expertenwissen und die Persönlichkeit der Ärztinnen und Ärzte und der Pflegekräfte, das engagierte Mitwirken aller Führungskräfte und Mitarbeitenden auch der übrigen Berufsgruppen ist bestimmend für das Behandlungsergebnis und mithin für den Erfolg des Unternehmens Krankenhaus.

Um den Unternehmenserfolg zu gewährleisten, müssen demnach die personellen Kapazitäten in Abhängigkeit von den Erfordernissen des einzelnen Krankenhauses sichergestellt sein. Unter den gegenwärtigen Arbeitsmarktbedingungen gelingt das – je nach Region und spezifischer Fachqualifikation – häufig nicht. Die Bundesanstalt für Arbeit (BfA) stuft für das Jahr 2021 verschiedene Gesundheitsberufe als Engpassberufe ein. Besonders betroffen sind die Pflegeberufe mit einem Engpasswert von 2,8Footnote 1 sowie bestimmte Facharztgruppen (z. B. Anästhesie mit dem Wert 2,6; Chirurgie mit dem Wert von 2,2). Eine Reduktion von Personalkapazität in den Krankenhäusern kann bei gleichbleibenden oder steigenden Leistungen zu einer Verschlechterung der Arbeitssituation führen (hoher Zeitdruck, Zusatzdienste u. a.), was zu Lasten der Versorgungsqualität der Patientinnen und Patienten geht und zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen beim Personal führen kann (Marburger Bund 2020; DGB-Index 2018). Führt steigenderArbeitsdruck zu mehr krankheitsbedingten Fehltagen oder selbst veranlasster Arbeitszeitreduzierung oder gar zu einer beruflichen Umorientierung, können Engpässe weiter verstärkt werden. Rund 40 % der Pflegekräfte denken mehrmals im Jahr daran, ihren Arbeitgeber zu wechseln und rund 35 % sogar daran, ihren Beruf aufzugeben (DBfK 2019; s. hierzu auch grundlegend die NEXT-Studie, Hasselhorn et al. 2005). Bei jungen Ärztinnen und Ärzten ist die Wechselbereitschaft mit rd. 35 % ähnlich hoch. Außerdem wünschen sich rd. 56 % Teilzeitmodelle, die eine Vereinbarkeit von Familie und Beruf möglich machen (Hartmannbund 2021). Der Trend zur Teilzeitarbeit und zu weniger Überstunden hält bei den Ärztinnen und Ärzten an. Immer mehr nehmen Elternzeit in Anspruch (+7,7 % im Vergleich zum Vorjahr) (BÄK 2021). Auch häufen sich die Meldungen, dass Medizinerinnen und Mediziner ihre patientennahe Tätigkeit zugunsten einer Beschäftigung außerhalb von Krankenhäusern aufgeben und in die Wirtschaft, Forschung, Medizintechnik oder Pharmaindustrie wechseln (z. B. Ärzteglück 2021). Die Arbeitsbelastung ist auch in anderen patientennahen Berufen gestiegen, z. B. bei den Hebammen (Albrecht et al. 2019), mit der Folge, dass (neben weiteren Gründen) auch hier Personalknappheit herrscht und die stationäre Geburtshilfeversorgung gefährdet ist.

Perspektivisch wird aufgrund des demographischen Wandels mit steigender Nachfrage nach Gesundheitsleistungen einerseits und einer Reduktion der Erwerbstätigen andererseits prognostiziert, dass sich der Fachkräftemangel in den Krankenhäusern weiter verschärfen wird. Da verschiedenste Statistiken als Datengrundlage sowie Methoden zur Ermittlung des Personalbedarfs insbesondere im Pflegedienst zur Anwendung kommen (Oswald und Bunzemeier 2020; Albrecht et al. 2017), ist es nicht möglich, eine zuverlässige Prognose zur zukünftigen Personallücke im Gesundheitswesen oder Krankenhauswesen abzugeben bzw. vorhandene Prognosen miteinander zu vergleichen. Die Schätzung der aktuellen PWC-Studie (2022) geht bis zum Jahr 2035 für das Personal im Gesundheitswesen insgesamt von einem Engpass von 35 %, d. h. rd. 1,8 Mio. fehlenden Mitarbeitenden aus.

Auf der Aufwandsseite zeigt sich die Personalintensität im Krankenhaus – auch bedingt durch die Notwendigkeit, die Betriebsbereitschaft aufrechtzuerhalten – an einem Personalkostenanteil an den Betriebskosten von ca. 62 % im Jahr 2020, wobei wiederum ca. zwei Drittel der Personalkosten nur auf die Berufsgruppen der Ärztinnen und Ärzte und der Pflege entfallen (Statistisches Bundesamt 2022a). Personalkosten umfassen Löhne und Gehälter, Zuschläge/Zulagen/Sachbezüge, Sozialabgaben, Altersversorgung, Beihilfen sowie sonstige Personalaufwendungen. Sie verhalten sich weitestgehend fix, d. h., dass sie sich bei einem niedrigeren Patientenaufkommen, bei saisonalen Schwankungen oder anderen Leistungsveränderungen in ihrer Höhe nicht ändern. Weil Personalkosten kurzfristig nicht auf Belegungsschwankungen reagieren, kommt es bei nicht ausgelasteten Kapazitäten zu finanziellen Engpässen. Aufgrund des stationären Fallzahlrückgangs in den Krankenhäusern seit Beginn der Corona-Pandemie von durchschnittlich rund 13,5 % im Jahr 2020 und ähnlich niedrigem Niveau im Jahr 2021 (Augurzky et al. 2022) ist es folglich zu einem deutlichen Anstieg der durchschnittlichen Fallkosten gekommen (2020 rd. 23 % höher als 2019; Statistisches Bundesamt 2022aFootnote 2). In welchem Umfang die Personalkosten von den Kostenträgern refinanziert werden, hängt von der Ausgestaltung des Entgeltsystems für Krankenhäuser ab. Im Jahr 2020 wurden die „Pflegepersonalkosten am Bett“ aus den Fallpauschalen herausgenommen. Sie werden seitdem über ein Pflegebudget finanziert, das über einen krankenhausindividuellen Pflegeentgeltwert abgezahlt wird (§ 6 Abs. 4 KHEntgG). Die restlichen Personalkosten werden weiter über Fallpauschalen und Festpreis (Landesbasisfallwert) vergütet. Die Umsetzung der modifizierten Finanzierung der Pflegepersonalkosten in der Praxis zeigt, dass bezüglich der Abgrenzung der Pflegepersonalkosten weiterer Regelungsbedarf besteht, mit möglichen Konsequenzen auch für den Einsatz anderer medizinischer Berufsgruppen in der pflegerischen Versorgung (z. B. Hebammen). Perspektivisch ist bei veränderten Versorgungsstrukturen eine Anpassung oder Neugestaltung der bestehenden Personalkostenfinanzierung bzw. des Krankenhausfinanzierungssystems notwendig, da sich bei der Spezialisierung von stationären Leistungen, einem stärkeren Ausbau der ambulanten Versorgung und der Übernahme von sektorenübergreifenden Versorgungsprozessen durch die Krankenhäuser auch die Personalstrukturen und -kosten verändern.

Führt man die Aspekte der Leistungsfähigkeit und der Kostenwirtschaftlichkeit des Faktors Personal zusammen, so zeigt sich deren Bedeutung für eine qualitativ hochwertige Patientenversorgung: die Erfüllung des Versorgungsauftrages und die langfristige Existenzsicherung des Unternehmens.

1.2 Ziele und Aufgaben des Personalmanagements

Davon ausgehend sind aus personalpolitischer Sicht zwei untrennbar miteinander verbundene Orientierungspunkte bei der Gestaltung der Personalarbeit durch das Personalmanagement zu berücksichtigen:

  1. 1.

    Die Erwartungen der am Krankenhaus tätigen Menschen mit ihren Wertevorstellungen und Bedürfnissen an das Unternehmen Krankenhaus, z. B. in Form von gerechter Bezahlung, Karrierechancen, guten Arbeitsbedingungen u. a. (Sozialziele des Krankenhauses)

  2. 2.

    Die qualitativ und quantitativ optimale Patientenversorgung sowie eine wirtschaftlich optimierte Kosten-Leistungs-Relation, Arbeitsproduktivität u. a. (Sach- und Formalziele des Krankenhauses)

Aus dieser Zielkonstellation ergeben sich vielfältige wechselseitige unternehmensbedingte und soziale Beziehungen – zwischen dem Krankenhaus und dem gesamten Personal, zwischen dem Krankenhaus und den spezifischen Mitarbeitergruppen (Berufsgruppen, Abteilungen, Generationen u. a.) und zwischen dem Krankenhaus und den einzelnen Mitarbeitenden. Die Gestaltung dieses Beziehungsgefüges zielt zum einen darauf ab, das Krankenhaus mit Personal unterschiedlicher Quantität und Qualität am richtigen Ort und zur richtigen Zeit unter Beachtung des Gebots der Wirtschaftlichkeit auszustatten, zum anderen über gezielte Anreize zu erreichen, dass das Personal motiviert ist, sich in das Leistungsgeschehen des Krankenhauses im Sinne der optimalen Patientenversorgung zu integrieren.

Zu lösen sind durch das Personalmanagement damit gegenwärtig und zukünftig sowohl

  • sachbezogene Fragestellungen, d. h. die Ermittlung des Personalbedarfs einschließlich der Gestaltung eines adäquaten Qualifikationsmixes über alle Berufsgruppen hinweg, die Feststellung einer Personalüber- oder -unterdeckung, die Beschaffung und Auswahl des Personals, Personalveränderungen und die Personalentwicklung, das Personalkostenmanagement und die Vergütung sowie Entscheidungen zur (Neu-)Gestaltung der Leitungsstruktur als auch

  • verhaltensbezogene Fragestellungen der Mitarbeiterführung und -motivation.

Die Personalmanagemententscheidungen werden durch externe Rahmenbedingungen wie den Arbeitsmarkt und die Ausbildung, das Arbeitsrecht, die Tarifsysteme und Vorschriften zur Berufsausübung eingeschränkt. Der Gestaltungsspielraum für das Personalmanagement wird darüber hinaus durch ordnungspolitische Bestimmungen wie die Einhaltung von Qualitätsstandards (Strukturvorgaben), vorgegebene Personalzahlen (z. B. Pflegepersonaluntergrenzen) und Vorgaben zur Personalbedarfsermittlung (z. B. mittels PPR 2.0) bestimmt. Unter Berücksichtigung dieser Begrenzungen sind Entscheidungen bezüglich der qualitativen und quantitativen Personalsicherung vor dem Hintergrund der strategischen Zielsetzung und Planung des Krankenhauses vorzunehmen (z. B. Bestimmung des Personalbedarfs zur Realisierung einer geplanten Fusion) und bezogen auf die Anforderungen der einzelnen Leistungsbereiche des Krankenhauses auf dispositiver Ebene zu präzisieren (z. B. Ermittlung des Personalbedarfs in den einzelnen Fachabteilungen und medizinischen Institutionen), um dann in Form von operativen Maßnahmen umgesetzt werden zu können (z. B. Personaleinsatzplanung auf den Stationen). Diese Vorgehensweise entspricht dem Ansatz eines integrierten Managements, da das Personalmanagement mit den Strategie- und Strukturentscheidungen des Krankenhausmanagements verknüpft wird (Oswald 2019). Dabei muss es dem Krankenhaus vor dem Hintergrund der komplexen Rahmenbedingungen gelingen, sowohl ein zentrales Konzept zur Steuerung des Gesamtunternehmens als auch ein daraus abgeleitetes dezentrales Führungskonzept zur Optimierung der einzelnen Geschäftsbereiche und zur Förderung der Effektivität und Effizienz der Leistungsbereiche zu implementieren (Schmidt-Rettig 2017). Über die Dezentralisierung von Managementaufgaben mit Etablierung einer berufsgruppenbezogenen, dualen Leitungsstruktur auf der Ebene des mittleren Managements (gemeinsame, auf die Managementerfordernisse gerichtete Fachabteilungsleitung mit ärztlicher und pflegerischer Abteilungsleitung) kann erreicht werden, dass sich eine Selbststeuerungskompetenz (grundlegend: Pältz 2015) bei den leitenden Ärztinnen/Ärzten und Pflegekräften entwickelt. Die Fähigkeit, Managemententscheidungen gegen möglicherweise eigene innere und/oder äußere Widerstände zu treffen und durchzusetzen, weil sie einem übergeordneten Ziel dienen – der optimalen Patientenversorgung –, ist grundlegend für die Wahrnehmung der Führungsaufgaben im Krankenhaus. Die Abteilungsleitungen können die organisatorischen und führungsbezogenen Rahmenbedingungen für die notwendige Zusammenarbeit aufstellen und deren Einhaltung absichern. Zur interdisziplinären Leistungsabstimmung sowohl innerhalb des Krankenhauses als auch mit Blick auf eine sektorenübergreifende Versorgung bedarf es des Einsatzes von Behandlungspfaden (AWMF 2022; Ernst und Bunzemeier 2022). Diese können dann auch die Grundlage für eine leistungsorientierte Personalbedarfsermittlung bilden (Oswald et al. 2022). Zur Wahrnehmung der ökonomischen, organisatorischen und personellen Managementaufgaben werden bei den medizinischen und pflegerischen Leitungskräften zusätzliche Kompetenzen benötigt, für die das Personalmanagement über entsprechende Qualifikationskriterien bei der Personalauswahl und/oder über Qualifikationsangebote die Grundlage schaffen muss. Infolge des hohen Personalanteils betrifft die Qualifikation in besonderem Maße Kenntnisse und Fähigkeiten zur Personalbedarfs- und -einsatzplanung sowie zur Führung und Koordination der Mitarbeitenden.

Dem Personalmanagement kommt weiterhin die Aufgabe zu, Anreizsysteme zur Verbesserung der Leistungsbereitschaft der verschiedenen Berufsgruppen zu entwickeln. Hierzu sind die unterschiedlichen Motivationskonstellationen der Führungskräfte und Mitarbeiter(-gruppen) zu bestimmen. Neben Anreizen, die extrinsisch motivieren (z. B. Vergütung, Arbeitssituation, Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten), sind dabei vor allem Anreizinstrumente bedeutsam, die die intrinsische Motivation stärken. Anknüpfungspunkt ist hier die Krankenhauskultur. Die ihr zugrunde liegenden Wertevorstellungen sind aufgrund des sich im Zeitablauf vollziehenden Wertewandels regelmäßig zu überdenken und zu berücksichtigen. Aktuell betrifft dies die zunehmende Wertschätzung für die Leistungen der Pflege (s. verschiedene politische Initiativen wie Konzertierte Aktion Pflege, Einführung von Personaluntergrenzen u. a.), eine stärkere ökologische Orientierung vor allem bei der jüngeren Generation (TUI-Stiftung 2022: Jugendstudie „Junges Europa 2022“; Calmbach et al. 2020: Sinus-Jugendstudie 2020) sowie generell die veränderten Einstellungen von jüngeren Mitarbeitenden zur Arbeitswelt in Form eines ausgewogenen Verhältnisses zwischen Berufs- und Privatleben (Work-Life-Balance) oder sogar in Form einer klaren Trennung von Beruf und Freizeit (Work-Life-Separation) (Scholz 2016). Anzustreben ist ein möglichst breit geteilter unternehmensbezogener Wertekonsens, da darüber eine stärkere Identifikation der Mitarbeitenden mit den Unternehmenszielen erreicht werden kann (Meyer und Allen 1984). Die nicht gemeinsamen Werte und Normen zwischen der Krankenhausorganisation und den Mitarbeitenden müssen seitens der Unternehmensleitung ggf. formal geregelt werden (z. B. Sicherstellung der 24-Stunden-Bereitschaft geht vor Freizeitausgleich). Darüber hinaus muss das Management die Beschäftigten motivieren, Kulturunterschiede im Unternehmen auf allen Führungs- und Ausführungsebenen zu akzeptieren und gleichzeitig innerhalb der betriebswirtschaftlichen Grenzen Freiräume im Hinblick auf das Ausleben bestimmter Werte und Normen zulassen. Dieser verhaltensbezogene Grundsatz ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass die Zusammenarbeit zwischen den Mitarbeitenden unterschiedlicher Berufsgruppen, Generationen, Geschlechter, nationaler Herkunft/Ethnie, Persönlichkeiten u. a. gelingt.

Wie lassen sich die Rahmenbedingungen und Herausforderungen des Personalmanagements berufsgruppenspezifisch in Handlungsoptionen bei gleichzeitiger Berücksichtigung der Unternehmensziele umsetzen? Anhand von analytischen und empirischen Erkenntnissen sowie ausgewählten Praxisbeispielen mit besonderer Relevanz für die Praxis werden Lösungsansätze aus der Personalmanagementpraxis dargestellt. Die Beispiele sind exemplarisch und können nur einen kleinen Teil der aktuellen Projekte und Modellvorhaben abbilden. Der Fokus liegt hierbei auf Medizin und Pflege, die gemeinsam den Großteil der medizinischen Leistungserbringung repräsentieren.

2 Rahmenbedingungen und Herausforderungen des Personalmanagements im Werte- und Strukturwandel

2.1 Veränderung der Versorgungsstrukturen

Die Umsetzung der Vorstellungen für zukunftsfähige, sektorenübergreifende Versorgungsstrukturen führt zu einer Neuorganisation von Behandlungsprozessen unter Anwendung von Managementprinzipien auf den Versorgungsprozess zur effizienten Allokation von Mitteln und Ressourcen im Sinne eines Managed-Care-Ansatzes. Die in der Fachwelt diskutierten Versorgungsmodelle reichen vom Ausbau der stationären Versorgung (Zentralisierung, Praxiskliniken, Tele-Portale u. a.) über die Weiterentwicklung der bestehenden gesetzlichen Ansätze (MVZ, ASV, Besondere Versorgung, DMP u. a.) bis hin zum Ausbau der ambulanten Versorgung (Polykliniken, Tageskliniken, Verknüpfung stationäre und ambulante Pflege u. a.). Je nach Modell sowie Krankenhausplanungsansatz kommt es zu einer Reduzierung der Kapazitäten und Verschiebung von Versorgungsaufträgen zwischen den stationären Angeboten und zwischen den stationären und ambulanten Angeboten sowie ggf. zu einer modifizierten Aufgabenstellung der Krankenhäuser. Für die einzelnen Krankenhäuser werden die erheblichen Leistungsverschiebungen zu einer Neupositionierung führen (stärkere Spezialisierung der stationären Leistungen, stärkerer Ausbau der ambulanten Leistungen, Übernahme von Leistungen zur Prävention u. a., Eigentümerwechsel, Fusionen und Kooperationen). Die Aufgaben des Personalmanagements werden ausgehend von den aktuellen Strukturen durch diese Neuausrichtungen bestimmt sein. Die Relevanz dieses Trends wird auch daraus ersichtlich, dass die Deutsche Krankenhausgesellschaft als Vertreterin der deutschen Kliniken ein Positionspapier entwickelt hat, das Wege in eine krankenhausgestützte, ambulante Versorgung aufzeigt (DKG 2022). Mit den Neustrukturierungen der Leistungsangebote bzw. der Reduzierung des stationären Leistungsangebots sowie daraus resultierten veränderten Finanzierungsstrukturen können veränderte Personalstrukturen mit neuen Qualifikationsanforderungen die Folge sein. Die Analyse des Personalbestandes, des Personalbedarfs und der Personalkosten sowie die Ableitung der Maßnahmen zur Personalveränderung und letztlich der Personaleinsatz müssen sich aus dem strategischen Personalstrukturkonzept ergeben. Bei der Ausbildungsplanung, Weiterbildung und Personalauswahl sind neu entstehende Berufsfelder infolge der neuen Aufgaben und technologischen Entwicklungen zu berücksichtigen (z. B. unterschiedlichste Arztassistenzberufe (Günther et al. 2021), neue Berufe für digitale Gesundheit (Stiftung Münch 2020)).

Um die Versorgung stärker im ambulanten Bereich zu etablieren, müssen diese Angebote umfangreicher und spezifischer gestaltetet und institutionalisiert sowie die Prozesse zwischen dem stationären und dem ambulanten Bereich patientenadäquat optimiert werden. Diese fließenden Übergänge in den Versorgungsprozessen ermöglichen dann auch vielgestaltige Arbeitserfahrungen. Während sich medizinische Fachkräfte üblicherweise für eine Beschäftigung im stationären oder im niedergelassenen Bereich entscheiden müssen, wird die Ambulantisierung zunehmend weitere Modelle ermöglichen. Im Klinikalltag können Dienstzeiten perspektivisch durch bessere Planbarkeit und weniger Nachtdienste familienfreundlicher gestaltet werden. Versorgung wird sich stärker am Patienten, weniger an Sektoren ausrichten. Bereits heute gibt es Krankenhäuser, die derartige sektorenübergreifende Beschäftigungsmodelle planen oder sogar bereits umsetzen.

  • So integriert die Uniklinik Köln eine optionale sechsmonatige ambulante Praxisrotation in die fünfjährige Facharztausbildung zum Augenarzt. Mangelndes Wissen über den Arbeitsalltag einer niedergelassenen Praxis ist einer der Gründe, warum Augenarztpraxen Probleme haben, Nachwuchs zu finden. Dieses Wissen soll der medizinische Nachwuchs im MVZ erlangen und neben dem Berufsalltag Fertigkeiten trainieren, die an einer großen Klinik weniger eingesetzt werden, weil dort weniger Basisversorgung stattfindet. Gleichzeitig unterstützen die Teilnehmenden während der Rotation die Praxen personell (Uniklinik Köln 2022).

  • Etwas Ähnliches plant Sachsen-Anhalts Gesundheitsministerin Petra Grimm-Benne in Gardelegen und Schönebeck für die Krankenhausabteilungen für Kinder- und Jugendmedizin, die wegen Personalmangel geschlossen wurden. Die beiden Universitätsklinika in Magdeburg und Halle sollen dem ländlichen Raum helfen und gleichzeitig ihren Fachärzten die Möglichkeit geben, die Versorgung im ländlichen Raum kennenzulernen. Solche Verbünde könnte es mit Magdeburg für den Landesnorden und mit Halle für den Süden geben. Außerdem könnte es einfacher werden, bestimmte Behandlungen via Telemedizin durchzuführen. Das Pilotprojekt soll jetzt konzipiert werden (Ärztezeitung 2022).

2.2 Arbeitsmarktlage und demographische Entwicklung

Die stark angespannte Arbeitsmarktlage, die im Gesundheitswesen strukturell und nicht konjunkturell bedingt ist, stellt Krankenhäuser vor große Herausforderungen. Bestimmend für das qualitative und quantitative Arbeitsmarktangebot für Krankenhäuser sind insbesondere gesetzliche Vorgaben über Ausbildungsinhalte und Ausbildungskapazitäten (Approbationsverordnung für Ärzte, Weiterbildungsverordnung für Ärzte, Pflegeberufegesetz, staatliche Planung der Studienplätze für Ärzte und Studienplatz- und Ausbildungsplatzplanung für PflegeberufeFootnote 3) sowie zum anderen das Erwerbsverhalten der Beschäftigten (Familiengründung, Teilzeitarbeit u. a.) insbesondere in den Berufen mit einem hohen Frauenanteil wie der Pflege mit rd. 80 % (BfA 2022).

Innerhalb dieser Rahmenbedingungen versuchen Krankenhäuser, über verschiedene Maßnahmen zur Personalgewinnung und -bindung dem Fachkräftemangel zu begegnen. Über eine vermehrte Schaltung von Stellenanzeigen, das Setzen finanzieller Anreize, Anwerbungen aus dem Ausland, die verstärkte Beschäftigung von Honorarkräften, Wiedereinstiegsprogramme, die Einschaltung von privaten Arbeitsvermittlern und das Abwerben von Personal aus anderen Einrichtungen werden in der Praxis Pflegekräfte akquiriert (DKI 2021). Daneben gibt es innovative Konzepte zur Pflegepersonalgewinnung, wie das folgende Beispiel zeigt:

  • Neue Wege der Personalgewinnung geht z. B. das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf mit einem Online-Matchingtool für Gesundheits- und Krankenpflegerinnen und -pfleger. Mithilfe der „jukebox“ werden die Zufriedenheit der Beschäftigten erhöht, Fluktuation reduziert und die Abwanderung insgesamt reduziert. Um die Vorstellungen von Interessierten über ihren zukünftigen Arbeitsplatz mit dem Angebot des UKE zusammenzubringen, wurde ein Matching entwickelt. Dazu wurden 35 Fragen, die verschiedene Aspekte des Pflegeberufs abbilden, allen Pflegekräften vorgelegt, die sie auf Passung zu ihrer eigenen Station beantwortet haben. Interessierte Kandidatinnen und Kandidaten können entweder direkt auf den Stationsseiten „stöbern“ oder ebenfalls die Fragen beantworten. Sie erhalten dann eine Top-10-Liste der Stationen und Bereiche, die am besten zu ihren Vorstellungen passen. Anschließend können Bewerberinnen und Bewerber ganz unkompliziert direkt telefonisch oder per Mail Kontakt zur Stationsleitung aufnehmen und sich zur Hospitation oder Vorstellung verabreden sowie auch unmittelbar eine Bewerbung übermitteln.

Auch bei der Ärzteschaft legt das Personalmanagement den Schwerpunkt auf eine Verstärkung von Marketingmaßnahmen, bessere Konditionen und die Anwerbung von ausländischem Personal. Karriere- und Einsatzplattformen (z. B. viantro GmbH, doctari GmbH) und digitale Informations- und Beratungsangebote (z. B. „Bis der Arzt kommt – der Recruiting-Podcast von Ärztestellen“, der Stellenmarkt des Deutschen Ärzteblatts) können die Suche nach einem geeigneten Bewerber unterstützen.

Begleitend zu den kurzfristigen Personalmanagementmaßnahmen schaffen Krankenhäuser förderliche Arbeitsbedingungen für Berufseinsteiger, Berufsrückkehrer und die übrigen Beschäftigten. Bei der Länderauswahl ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass eine aktive Rekrutierung von Fachkräften aus Ländern, in denen ein kritischer Fachkräftemangel herrscht, aus ethischen Gründen unterbleibt (siehe hierzu den Verhaltenskodex der WHO von 2010 für die internationale Anwerbung von Gesundheitsfachkräften (Global Code of Practice on the International Recruitment of Health Personnel)). Dabei sind die gesetzlichen und tariflichen Regelungen zum Arbeitseinsatz (Bereitschaftsdienste, Grenzen für tägliche/wöchentliche Höchstarbeitsstunden etc.) und zur Vergütung (Tarifvertrag) zu berücksichtigen. Darüber hinaus gehören für Pflegekräfte in den meisten Krankenhäusern Angebote zur Gesundheitsförderung und zum Gesundheitsmanagement, systematische Qualifizierungs- und Entwicklungsmöglichkeiten, Führungskräfteentwicklung sowie die optimale Arbeitszeitgestaltung. Ausbaufähig ist die Entlastung der Pflege von patientenfernen Tätigkeiten, Einfluss- und Gestaltungsmöglichkeiten für das eigene Tätigkeitsfeld durch einen geeigneten Qualifikationsmix auf den Stationen, flexible Dienstzeiten und die Erstellung eines Maßnahmenplans für die Weiterqualifizierung der Pflegekräfte (DKI 2018). Strukturierte Anknüpfungspunkte des Personalmanagements zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Pflege bieten die Befragungsergebnisse der Studie „Ich pflege wieder, wenn …“, die die Erwartungen von Pflegekräften fünf Themenschwerpunkten zuordnen (Auffenberg et al. 2022) (s. Tab. 6.1).

Tab. 6.1 Erwartungen von Pflegekräften an die Arbeitsbedingungen. (In Anlehnung an Auffenberg et al. 2022)

Mit Blick auf organisatorische Neustrukturierungen über Prozessverbesserungen und neue Aufgabenteilungen zwischen den patientennahen Berufsgruppen können in der Praxis Erweiterungen von Kompetenzen und beruflichen Perspektiven erreicht werden.Footnote 4

  • Im Klinikum Lüdenscheid wurde ein Case Management eingeführt. Durch die Umsetzung des Expertenstandards „Entlassmanagement“ und durch die Etablierung von Case Managerinnen und -managern wurde eine Entlastung des Personals auf Station erreicht. Durch einen kontrollierten Ressourceneinsatz und die Reorganisation von Prozessen konnten zudem Kosten eingespart werden – bei einer gleichzeitig verbesserten Patientenversorgung.

  • An der Klinik für Psychiatrie, Psychotherapie und Neurologie der Alexianer in Köln wird das Therapiemanagement für die nicht ärztlichen oder psychologischen Therapien von Pflegekräften durchgeführt. Diese neuen „Therapiemanagerinnen und -manager“ senken den Bedarf an Reorganisation der Therapiepläne, der durch Schnittstellenprobleme zwischen ärztlichem und pflegerischem Personal entstand. Die Ärzteschaft wird durch das Projekt entlastet, aus dem Pflegedienst wird die Möglichkeit eigenverantwortlichen Handelns positiv herausgestellt.

  • Ein aktuelles Modellvorhaben stärkt die Versorgungskompetenz von Pflegefachpersonal durch Übertragung ärztlicher Tätigkeiten auf Kranken- und Altenpflegekräfte. Ab Jahresbeginn 2023 können Pflegefachkräfte im Rahmen des Projektes für vier Jahre in allen Bundesländern im Bereich Diabetes mellitus und chronische Wunden Blutabnahme, Wundabstrich, Bewertung der Laborwerte sowie die Ableitung, Veranlassung und Empfehlung von entsprechenden Maßnahmen vornehmen oder im Bereich der Demenz eigenständig eine Folgeverordnung von Ergotherapie für psychisch-funktionelle Behandlung zur weiteren Stabilisierung und Verbesserung im Bereich Orientierung, Tagesstrukturierung und Durchführung täglicher Routinen veranlassen, ohne vorab eine Ärztin oder einen Arzt aufzusuchen (G-BA 2022).

  • Als weiteres Beispiel seien stellvertretend für die Vielzahl an Ansätzen für die Neuordnung von Aufgaben die Maria-Hilf-Kliniken in Mönchengladbach genannt. Hier wurde die Aufgabenverteilung angesichts zunehmender Expansionserfordernisse, gleichzeitigem Ärztemangel und dem Bedürfnis, Pflegekräfte zu entlasten, umstrukturiert. Nach einer umfassenden Analyse der traditionellen Aufgabenzuordnung zu den einzelnen Berufsgruppen wurde die Zuteilung auf den bettenführenden Stationen neu strukturiert. So wurden u. a. neue nichtmedizinische Berufsgruppen in der Leitstelle und im Service geschaffen. Der Zuständigkeitsbereich der Pflegekräfte konnte um die Übernahme patientennaher Tätigkeiten vom ärztlichen Personal erweitert werden, da die neuen Berufsgruppen ihrerseits Aufgaben von der Pflege erhielten. Die neue Struktur wurde in allen 27 Stationen der Klinik eingeführt.

Der demographische Wandel verstärkt aufgrund einer älter werdenden Belegschaft nicht nur den Fachkräftemangel, sondern sorgt auch für eine zunehmende Anzahl älterer Patientinnen und Patienten in Krankenhäusern.

  • Im Alfried-Krupp-Krankenhaus Rüttenscheid wird seit fast 20 Jahren Menschen mit Demenz besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Die Geschäftsführung erkannte schon damals, dass bei steigendem Anteil älterer Patientinnen und Patienten deren Bedürfnisse häufig nicht optimal versorgt werden, da diese oft Demenz als Nebendiagnose mitbringen. In dem interdisziplinären Projekt „Blickwinkel Demenz“ werden „Demenzschwestern“ ausgebildet und „Demenzteams“ für eine bessere Versorgung kognitiv beeinträchtigter Patienten zusammengestellt. Aus diesem Modellprojekt hat sich das Konzept „Blauer Punkt“ entwickelt, das die besondere Hilfsbedürftigkeit Demenzkranker in den Fokus rückt. Das Demenzmanagement „Blauer Punkt“ wurde nach der früheren hausinternen Kennzeichnung für Demenzpatientinnen und -Patienten in der Pflegedokumentation benannt. Teile des Projekts sind die Einführung eines Demenzmanagements, Schulung des Personals, Schaffung klarer Strukturen, wie mit betroffenen Patienten umzugehen ist, und die Ausweitung des Konzepts auf den Standort Essen-Steele. Ebenso wurde nachweislich durch schnellere Entlassungen und Verhinderungen des Auftretens eines Delirs die Versorgung der Demenzpatienten verbessert.

Durch den medizinisch-technischen Fortschritt wird die Zahl älterer und chronisch kranker Menschen im Krankenhaus erhöht. Zahlreichen Menschen kann inzwischen geholfen werden, bei denen noch vor einigen Jahrzehnten keine Behandlungsoptionen mehr bestanden. Diese Entwicklung geht auch mit einer zunehmenden Spezialisierung in Medizin und in Pflege einher.

  • Der zunehmenden Spezialisierung des Wissens in der Pflege trägt das Klinikum Aschaffenburg Rechnung, indem es Pflegeexperten in unterschiedlichen Bereichen etabliert hat. Die Pflegeexperten sind nicht nur in der Patientenversorgung tätig, sondern unterstützen und beraten ihre Kolleginnen und Kollegen bei Pflegeproblemen in der Praxis. Sie tragen auf diesem Weg entscheidend dazu bei, die Pflegequalität zu sichern.

Die Evaluationen diverser Projekte zeigen, was bereits die Analysen zu Magnetkrankenhäusern seit dem Ende des letzten JahrhundertsFootnote 5 ergaben – die Beteiligung der Mitarbeitenden an der Prozessgestaltung, eine offene Kommunikation zwischen den Berufsgruppen und ein angemessener Personalmix haben weitreichende positive Auswirkungen auf die Patienten- und Mitarbeitendenzufriedenheit, die Qualität der Versorgung und den wirtschaftlichen Erfolg (vgl. Kap. 7 in diesem Band).

2.3 Arbeitszeitmodelle zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf

Für Krankenhäuser wird es auch angesichts der Arbeitsmarktlage immer wichtiger, die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu gewährleisten (s. oben). Über alle Gesundheitsberufe hinweg fordern die Mitarbeitenden heute eine Anpassung der Personalkonzepte, die insbesondere für Führungskräfte oftmals noch auf tradierte Rollenbilder ausgelegt sind. Zahlreiche Krankenhäuser warten mit innovativen Projekten zur Personalgewinnung und zu New Work auf. Dabei reicht das Spektrum von Kinderbetreuung über Wunscharbeitszeiten, Springer-Pools, Führung in Teilzeit, mehr Mitsprachemöglichkeiten der Mitarbeitenden und neuen Wegen der Mitarbeitendengewinnung bis zu Väterbeauftragten, Wäsche- oder Essensservice.

  • Das „Familiengerechte Krankenhaus“ der Medizinischen Hochschule Hannover hat beispielsweise seit einigen Jahren ein ganzes Bündel von Maßnahmen eingesetzt, um ihren Mitarbeitenden, Forschenden und Studierenden mit Kindern eine bessere Abstimmung zwischen Kindererziehung, Familie und Beruf bzw. Studium zu ermöglichen. Die Maßnahmen reichen von der Regelbetreuung von Kindern über die Notfallbetreuung, Maßnahmen zum Wiedereinstieg bis hin zur aktiven Förderung von Ärztinnen und Ärzten nach der Elternzeit.

  • Das Friedrich-Ebert-Krankenhaus in Neumünster hat in seiner strategischen Zielplanung explizit die Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf aufgenommen.

  • Das Projekt „Familie und Beruf“ der SHG-Kliniken Völklingen bietet – hier stellvertretend für die zahlreichen Initiativen der Krankenhäuser exemplarisch dargestellt – ein besonders umfassendes Beispiel dafür, wie Kliniken das Thema Familienfreundlichkeit vorantreibenFootnote 6: Als Ergebnis einer Befragung der Belegschaft wurde eine Zielvereinbarung zwischen Krankenhausleitung und Betriebsrat mit konkreten Maßnahmen zur Vereinbarkeit von Familie, Freizeit und Beruf beschlossen. Die eigens aus diesem Anlass gegründete Servicestelle Familie und Beruf und das ebenfalls neu gegründete Familienhaus Sterntaler beraten in enger Kooperation zu allen Fragen rund um das Thema Vereinbarkeit von Familie und Beruf, unterstützen und organisieren Angebote für die Mitarbeitenden. Die Handlungsfelder des Projekts reichen von einem umfassenden Informations- und Beratungsangebot, Kommunikationsplattformen, familienfreundlichen Maßnahmen und Serviceleistungen für Familien über die Gewährung geldwerter Leistungen bis hin zur Verankerung der Familienfreundlichkeit in der Unternehmenskultur. Kurzzeitige Kinderbetreuung, Regelbetreuung von Kindern unter drei Jahren, Ferienprogramme in allen Schulferien oder eine Genesungsbetreuung im Haushalt der Eltern sind nur ein Teil des Projektangebots. Auch bei der Organisation externer Betreuung wird unterstützt. Für zu Pflegende ist eine flexible, stundenweise Unterbringung möglich. Bei Bedarf einer vollstationären Unterbringung werden Angehörige bevorzugt aufgenommen und sogar ambulante häusliche Betreuungs- und Unterstützungsangebote ermöglicht. Das Projekt umfasst außerdem haushaltsnahe Dienstleistungen wie Wäscheservice oder Haushaltshilfen, Einkaufsvorteile für Mitarbeitende, Beratung zum Wohnumfeld für neue Mitarbeitende und deren Partner sowie Integrationsunterstützung für ausländische Mitarbeitende, aber auch Qi Gong oder Kurse zum Thema gesunde Ernährung, einen Elternzeitlerstammtisch, einen Elternzeitler-Springerpool, Kontaktschreiben, eine Konzernzeitung und noch vieles mehr. Die Hilfestellungen beziehen sich dabei nicht nur auf die Belegschaft, sondern auch auf die Familienangehörigen.

Um Mitarbeitenden eine verlässliche Dienstplanung anbieten zu können, muss eine belastbare Personalbedarfsbemessung möglich sein. Nur so können Notfälle, Springer Pools und Wunscharbeitszeiten handhabbar gemacht werden. Die Krankenhauslandschaft unterstützt hier eine gesetzliche Regulation für bessere Vorgaben.

2.4 Internationalisierung des Gesundheitsarbeitsmarktes

Zahlreiche Migrationsbewegungen und der Fachkräftemangel stellen das Gesundheitswesen vor vielfältige Schwierigkeiten. Aber die Migration und der Fachkräftemangel können auch von Nutzen sein: So finden Menschen mit Migrationswunsch durch den bestehenden Fachkräftemangel leichter eine Arbeit als Gesundheitsfachkraft und für die Bundesrepublik bietet sich durch die Migranten eine Chance, dem demographischen Wandel und dem Fachkräftemangel durch Zugezogene entgegenzuwirken. Berücksichtigt man die Charakteristika der Gesundheits- bzw. Krankenhausleistungen, ergeben sich für Krankenhäuser allerdings Grenzen des Einsatzes von ausländischem Personal. Insbesondere Sprachbarrieren, die in rund 75 % der Krankenhäuser mit ausländischem Personal auftreten, gefolgt von fachlich-qualifikatorischen Problemen mit 30 % (DKI 2017) bergen Hürden für die Zusammenarbeit des Personals und die Behandlung, Pflege und Betreuung der Patientinnen und Patienten. Dementsprechend müssen sich alle Überlegungen des Personalmanagements zur Gewinnung von ausländischem Personal an der Zielsetzung ausrichten, die Versorgung sowohl fachlich als auch sprachlich zu sichern. Die Festlegung, aus welcher Region/welchem Land (EU, übriges Europa, außereuropäisches Ausland) und in welchem Umfang (prozentualer Anteil) ausländisches Personal eingesetzt werden kann, ohne die Patientenversorgung zu gefährden, ist daher neben der grundsätzlichen Frage einer fairen Rekrutierung von internationalen Fachkräften (WHO 2021) wesentlich.

57.200 Ärztinnen und Ärzte aus dem Ausland arbeiten zurzeit in der Bundesrepublik, das ist mehr als jeder zehnte Mediziner. Im Jahr 2020 gab es einen Zuwachs um ca. 2 %, die absolute Zahl internationaler Ärztinnen und Ärzte steigt stetig – wenn auch langsamer als in den Vorjahren – an und hat sich in den letzten 25 Jahren verfünffacht (BÄK 2021). Der Anteil ausländischer Pflegekräfte liegt mit 13 % sogar noch höher (Bundesagentur für Arbeit 2022). Im Mittel beschäftigten die Krankenhäuser im Jahr 2021 rund 20 ausländische Pflegekräfte auf Allgemeinstationen und drei ausländische Pflegekräfte auf den Intensivstationen pro Krankenhaus. Von diesen stammen rund elf Pflegende für die Allgemeinstationen und zwei für die Intensivstationen aus den Staaten der Europäischen Union (DKI 2021). Insgesamt waren im Jahr 2020 zwei Drittel (67 % beziehungsweise 29.900) aller anerkannten Berufsabschlüsse im Bereich der medizinischen Gesundheitsberufe zu verzeichnen (Statistisches Bundesamt 2021). Diese Zahlen zeigen das Ausmaß der Bedeutung, das der Migration von Fachkräften für die hiesige Versorgung zukommt.

Damit Fachkräften, in deren Ländern über den heimischen Bedarf hinaus ausgebildet wird und damit durch eine Abwerbung kein Mangel im Ursprungsland verursacht oder verstärkt wird, eine Perspektive eröffnet wird, hat das BMG das staatliche Label „Faire Anwerbung Pflege Deutschland“ geschaffen. Die Kliniken verpflichten sich, die ausländischen Pflegefachkräfte bei der Integration zu unterstützen und sie wie die heimische Belegschaft zu bezahlen (www.faire-anwerbung-pflege-deutschland.de). International existiert außerdem der WHO-Verhaltenskodex als Grundlage für die Rekrutierung von Gesundheitspersonal, der die Länder aufführt, in denen aktuell ein Mangel an bestimmten Gesundheitsfachkräften herrscht (WHO 2021).

Viele Kliniken bieten internationalen Bewerberinnen und Bewerbern darüber hinaus bereits umfassende Strukturen:

  • Beispielsweise hat das Diakonissen-Stiftungs-Krankenhaus in Speyer ein Einarbeitungs- und Integrationskonzept für ausländische Pflegende implementiert. Hier besuchen die künftigen Beschäftigten bereits im Heimatland SprachkurseFootnote 7, die dann vor Ort teils schon mit konkreten Inhalten z. B. für die Pflegedokumentation fortgesetzt werden. Außerdem ist ein Tandemsystem Teil des Programms, durch das erfahrene Pflegekräfte mit guten Kommunikationsfähigkeiten einen standardisierten Einarbeitungskatalog vermitteln. Dieser umfasst stationsspezifische pflegerische Tätigkeiten, vorhandene Strukturen und Abläufe, Auffrischung von theoretischem Wissen, Routineabläufe und Hospitationen in anderen Bereichen. Regelmäßige Ziel- und Standortgespräche werden durchgeführt, individuelle Wissenslücken oder Verständnisprobleme identifiziert und flexible Lösungen gefunden – unterstützt durch eine Pflegepädagogin, Praxisanleitende und eine Integrationsbeauftragte. Die Integrationsbeauftragte hilft den ausländischen Pflegenden zusätzlich bei allen dienstlichen und privaten Problemen, vermittelt möblierte Wohnungen der Klinik und gibt Hilfestellung bei der Familienzusammenführung und Arbeitsplatzsuche für den Ehepartner.Footnote 8

Verschiedene Kliniken bieten Anpassungsqualifizierungen, Sprachkurse, Integrationsmanager und -beauftragte sowie Unterstützung bei Behördengängen oder Wohnungssuche. Generell werden länderspezifische Ausbildungsmodalitäten im Vorfeld beleuchtet (z. B. Dauer der Ausbildung, Höhe der theoretischen- und praktischen Ausbildungsanteile, kulturbedingte Definition von Pflege, Arbeit und Lernen, Tätigkeiten und Aufgabengebiete in den jeweiligen Herkunftsländern), um die Situation und die Kompetenzen der ausländischen Bewerberinnen und Bewerber besser einschätzen zu können und somit unnötige Schwierigkeiten auf beiden Seiten zu vermeiden.

Und nicht nur die Kliniken, auch die Deutsche Krankenhausgesellschaft unterstützt internationale Bewerber mit ausländischen Bildungsabschlüssen für die Bereiche Operationstechnische und Anästhesietechnische Assistenz (aus EU-Ländern und vor allem aus Drittstaaten). Mehr als 1.000 Anerkennungsverfahren von Bewerberinnen und Bewerbern hat die DKG bearbeitet und unterstützt bei der Durchführung der Anpassungslehrgänge. Hierdurch konnte für die Krankenhäuser eine Vielzahl entsprechend qualifizierter Fachkräfte gewonnen werden; die Erfolgsquote unterstreicht die Sinnhaftigkeit dieser Maßnahme: Rund 95 % aller erfolgreichen Teilnehmenden von Anpassungslehrgängen werden in eine Festanstellung übernommen.

2.5 Akademisierung der Pflege

Mit dem Ziel, die Versorgungsqualität für Patientinnen und Patienten und ihre Angehörigen zu verbessern sowie berufliche Karrierewege auszubauen und darüber die Attraktivität des Pflegeberufes zu steigern (VPU et al. 2022), wird die Akademisierung der Pflege seit vielen Jahren in all ihren Facetten diskutiert. Im Verhältnis dazu wird dieses Potenzial bislang noch kaum ausgeschöpft. Weniger als ein halbes Prozent der stationär Pflegenden hat einen pflegewissenschaftlichen Abschluss (0,45 %), in der ambulanten Pflege ist der Anteil sogar noch geringer (0,34 %) (Deutscher Bundestag 2019). Damit liegt die Bundesrepublik weit unter dem vom Wissenschaftsrat empfohlenen Akademisierungsanteil von 10 bis 20 % (Wissenschaftsrat 2022).

Die Tendenz zumindest ist steigend. Seit 2020 ist in Deutschland die Ausbildung im neuen Beruf der Pflegefachfrau beziehungsweise des Pflegefachmanns möglich. Die bis dahin getrennten Ausbildungen in den Berufen Gesundheits- und Krankenpfleger/in, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger/in sowie Altenpfleger/in wurden zum Berufsbild Pflegefachfrau/-mann zusammengeführt. Zu Beginn des Jahres 2022 waren etwas über 100.000 Personen in Ausbildung zu diesem Beruf, ein Anstieg um 7 % im Vergleich zum Vorjahr (Statistisches Bundesamt 2022b).

Diverse Studien weisen auf einen deutlichen Zusammenhang zwischen der beruflichen Qualifikation und der Pflegequalität hin. Erstrebenswert scheint den Ergebnissen zufolge dabei insbesondere ein ausgewogener Qualifikationsmix unter Integration akademisierter Pflegekräfte nicht nur in der Führung, sondern auch in der Versorgung am Bett zu sein (Wissenschaftsrat 2022).

Wie sich der Bedarf künftig entwickeln wird, ist absehbar. Die geburtenstarken Jahrgänge sind auch in der Pflege stark vertreten und werden zur Verrentung hin das bestehende Defizit vergrößern. Dem demographischen Wandel kann nur mit neuen Konzepten begegnet werden. Um diesen teilweise noch unbekannten Konzepten bestmöglich gerecht werden zu können, ist es sinnvoll, eine breite Qualifikationsspanne aufzubauen. Die Krankenhäuser benötigen praktisch ausgebildete Pflegekräfte ebenso wie Pflegekräfte, die pflegewissenschaftliche Erkenntnisse direkt ans Bett tragen können. Außerdem sind Pflegekräfte mit einer Managementqualifikation notwendig. Die Grundlage für die Übernahme von mehr medizinischen Leistungen, Spezialisierung und für ein anderes Selbstverständnis der Pflege kann ebenfalls durch akademische Aus- und Weiterbildungen ausgebaut und die Kommunikation zwischen Pflege und Ärzteschaft kann vereinfacht werden.

Fehlanreize wie Finanzierungsungerechtigkeiten zwischen ausgebildeten und studierten Pflegekräften gilt es dabei nicht nur in Bezug auf die spätere Lohnausgestaltung, sondern bereits in der Ausbildung zu vermeiden, z. B. in Bezug auf fehlende Vergütung der Praxiseinsätze. Strukturelle Weiterentwicklungen sind notwendig, um auch akademisierte Pflege nachhaltig ans Bett zu bringen und die Stärken der verschiedenen Pflegequalifikationen zu vereinen, statt sie gegeneinander abzuwägen.

  • Einige Kliniken wie das Universitätsklinikum Münster oder das Florence-Nightingale-Krankenhaus Düsseldorf arbeiten bereits seit Längerem an der Integration akademisierter Pflegekräfte mit Master- und Bachelorabschlüssen im Sinne erweiterter Qualifikationsmixe in der direkten Versorgungspraxis.

  • Das Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf entwickelte eine Potenzialanalyse, um geeignete Führungskräfte intern zu identifizieren, und fördert bei Fach- und Führungskarrieren auch akademische Laufbahnen.

  • In der Oberpfalz werden Bachelorstudenten am Bett eingesetzt, um aktuelles Fachwissen mit dem Erfahrungswissen der Pflegenden auf den Stationen produktiv zu verbinden, Entwicklungs- und/oder Veränderungsbedarf zu erkennen und daraus definierte Arbeitsaufträge für die akademisch qualifizierte Pflegefachkraft zu entwickeln.

Eine Weiterentwicklung von Qualifizierungsmöglichkeiten an Hochschulen für Pflegefachkräfte in Anlehnung an internationale Standards und basierend auf dem Pflegeberufegesetz fordern die Fachvertreter aus Pflegewissenschaft und Pflegepraxis (VPU et al. 2022). Der Gliederungsvorschlag einer hochschulischen Pflegebildungslandschaft unterscheidet inkl. der nicht-akademisierten ausgebildeten Pflege fünf Qualifikations- und Einsatzbereiche von Pflegefachpersonen analog Europäischem Qualifikationsrahmen (EQR) (Abb. 6.1).

Abb. 6.1
figure 1

Qualifikation und Einsatzbereiche von Pflegefachpersonen analog EQR. (Quelle: VPU et al. 2022)

Die primärqualifizierenden Bachelor-Studiengänge qualifizieren danach zur Pflegefachfrau/zum Pflegefachmann. In die Master-Studiengänge mit unterschiedlichen Schwerpunktsetzungen und Spezialisierungsmöglichkeiten können die bislang geläufigen Weiterbildungen inkludiert werden (Critical Care, Psychiatrische Pflege, Onkologische Pflege, Pädiatrische Pflege, Global oder Community Health, Angewandte Pflegeinformatik, Pflegetechnik und Robotik, Notfallpflege, Geriatrische Pflege, Klinische Pflegeexpertise/APN, Pflegewissenschaft, Transplantationspflege) (VPU et al. 2022). Zu berücksichtigen sind noch Studiengänge zur Erlangung von Management- und Führungskompetenzen für leitende Pflegekräfte (und für leitende Ärztinnen und Ärzte), z. B. berufsbegleitende Programme zum Pflegemanagement, MBA-Programme.

Auf der Grundlage dieser Strukturen kann das Personalmanagement klare Anforderungsprofile, Arbeitsplatzbeschreibungen und Stellenbeschreibungen formulieren, eine Grundlage für die Personalbedarfsermittlung erarbeiten, die Vergütung festlegen und damit letztlich die Anforderungen an eine quantitativ und qualitativ adäquate Pflege sicherstellen.

2.6 Fortschreitende Digitalisierung der Arbeitswelt

Auch wenn die Digitalisierung in den deutschen Krankenhäusern noch stark ausbaufähig (Digitalradar 2022; Bitkom-Umfrage 2022) und ihr Potenzial für die Patientenversorgung und die Arbeitswelt des Krankenhauspersonals noch nicht in Gänze absehbar ist (ebenso die Risiken, Hindernisse und Grenzen des Technikeinsatzes), verändert die digitale Transformation die Versorgung und Arbeitswelt in den Krankenhäusern schon jetzt (z. B. Bitkom-Umfrage 2021; Evans et al. 2018; Bräutigam et al. 2017). Einzelne Ansätze der digitalen Transformation lassen unterschiedliche Einsatzbereiche in den Krankenhäusern erkennen. Das Spektrum reicht von

  • Programmen, die Arbeitszeitmodelle optimieren,

  • neuen Lernformen wie CAre Reflection Online, bei der eine digitale Lernumgebung für die Pflegeausbildung entwickelt wird, sodass Lernende unabhängig von Zeit und Ort und auch über andere Kanäle als üblich Theorie und Praxis miteinander verknüpfen können,

  • über diverse Formen der Robotik: Eines der wohl bekanntesten Bespiele sind die Stroke Robots, die seit Jahren in der US-Amerikanischen Mayo Clinik bei Schlaganfällen eingesetzt werden. Spezialisten schalten sich mit Hilfe des Roboters zu den Patienten, untersuchen und befragen sie und besprechen sich darüber hinaus mit weiteren Spezialisten zu einem Fall, alles innerhalb kürzester Zeit und über enorme Entfernungen hinweg. Diagnosealgorithmen wie Automation in Medical Imaging des Fraunhofer Instituts erzielen hervorragende Ergebnisse, Operationsrobotik ist z. B. in Form der DaVinci-Operationsroboter in der Uniklinik Jena bereits seit über einem Jahrzehnt im Einsatz und Pflegeroboter unterstützen Pflegekräfte insbesondere bei körperlich fordernden Arbeiten wie der Lagerung. Aber auch psychische Unterstützung wird durch humanoide Roboter wie „Pepper“ geleistet, der in einer Kinderklinik der Charité erstmals im Einsatz ist und dort bei den kleinen Patientinnen und Patienten durch Unterhaltung und Ablenkung Angst und Nervosität minimieren kann.

Robotik und Künstliche Intelligenz bergen ein enormes Potenzial. Menschliche Kompetenzen wie Intuition, Kreativität, Empathie und Zuwendung können sie nicht ersetzen, aber als wichtige Erfolgsfaktoren in die Entwicklung sinnhafter Tools eingebunden werden. Ihr Einsatz kann überdies die Gesundheit der Patientinnen und Patienten sowie der Gesundheitsfachkräfte verbessern, indem körperlich schwere Hebe- und Tragearbeiten übernommen werden oder KI-gesteuerte Pflegebetten bei Bedarf entlastende Liegepositionen vorschlagen und durchführen, um schmerzhafte Druckgeschwüre zu vermeiden. Der Personalmangel kann z. B. durch Serviceroboter oder sprachgesteuerte Pflegedokumentation abgemildert werden (vgl. auch Kap. 12 in diesem Band).

Die Etablierung der Telematik-Infrastruktur und die Ausgestaltung der elektronischen Patientenakte setzt eine Öffnung der IT-Systeme voraus und stellt somit eine Herausforderung für die IT-Sicherheit von Krankenhäusern dar. Auf die Bewältigung dieser Aufgaben muss künftig bereits in der Ausbildung Wert gelegt werden, da der bereits existierende Fachkräftemangel sich auch hier eklatant zu verschärfen droht. Auf der anderen Seite können digitale Kooperationen, insbesondere auch bei der sektorenübergreifenden Versorgung ganz neue Versorgungsformen ermöglichen (s. Abschn. 6.2.1). Dies beginnt bei Videosprechstunden und Telemedizin, die in der Pandemie einen regelrechten Schub erfahren haben, über Case- und Care Management und führt zu eng verzahnten kooperativen Versorgungsformen, die eine gesicherte gemeinsame Datenbasis benötigen, bis hin zur Verzahnung mit Forschungsprojekten, um Daten zur Weiterentwicklung der personalisierten Medizin aus den Behandlungsdaten zu extrahieren oder Studienkandidaten automatisch identifizieren zu können.

  • Im Projekt Herzeffekt MV soll durch die elektronische Vernetzung der einzelnen Patienten- und Behandlungsdaten aller an der Patientenversorgung beteiligten und oftmals räumlich weit entfernten Institutionen in einem Care-Zentrum ein wohnortnaher Zugang zu spezialisierter Medizin in Mecklenburg-Vorpommern geschaffen werden. Die Patientinnen und Patienten oder Medizinerinnen und Mediziner können beispielsweise den gemessenen Blutdruck via Telefon oder Computer zum Fallmanagement des Care-Centers senden. Erkennt das Fallmanagement Auffälligkeiten in den Daten, kann eine weitere Behandlung durch das angebundene Fachpersonal erfolgen.

  • Ein weiteres vielversprechendes Projekt in der Pflege ist das neue Pflege-Expertensystem CarelT, eine unter Einbezug von Pflegefachkräften in der Pflegepraxis entwickelte Pflege-Expertensoftware. Das Zollernalb-Klinikum in Balingen hat mit smarten Geräten und Technologien die Digitalisierung in der Pflege vorangetrieben, um zur Entlastung der Pflegekräfte beizutragen. Die Software kann einfach in Krankenhausinformationssysteme und andere Gesundheitssoftware integriert werden und wurde zunächst auf zwei chirurgischen Stationen als Pilotprojekt eingeführt. Über digitale Visitenwagen mit Monitoren, die mit Scanfunktion ausgestattet sind, sowie zusätzliche Tablets zur Aufnahme der Anamnese werden Daten direkt in die Fallakten übertragen. Auch drahtlose medizinische Messgeräte erlauben eine schnelle Datenerfassung, sodass die Messwerte direkt in der digitalen Kurve ersichtlich sind. Eine Identifikation der dokumentierenden Pflegekräfte, Patienten oder Medikamentendispenser findet dabei über Barcodes statt. Automatisch erstellte pflegerelevante Kennzahlen können direkt an das Controlling weitergeleitet werden. Durch die Einführung der Software ist ein Zeitgewinn von über drei Stunden pro Patientin oder Patient bei der Dokumentation zu verzeichnen. Die zusätzlich gewonnene Zeit kann direkt für die Patientenversorgung verwendet werden.

Nicht zuletzt sind eine adäquate digitale Ausstattung und Vernetzung sowie moderne Prozesse auch Faktoren für die Gewinnung von Personal. Neue Teamstrukturen und Möglichkeiten der Weiterqualifikation ziehen nicht nur zukunftsorientiert denkende Fachkräfte an, sondern erleichtern auch der jetzigen Prozessorganisation Innovationen zu integrieren. Dabei lohnt es sich immer auch in Bezug auf die Methodik, einmal über das Bekannte hinaus zu blicken und sich das Know-how über Prozesse und Methoden aus anderen Branchen oder Bereichen nutzbar zu machen.

3 Personaleinsatz und Personalsicherheit in Pandemiezeiten

Die Corona-Pandemie hat Krankenhäuser vor große Herausforderungen gestellt und das Personalmanagement oftmals gezwungen, bewährte Personalkonzepte infrage zu stellen. Das Krankenhauspersonal sah sich einer enormen physischen und psychischen Belastung ausgesetzt. Mehr Fachkräfte als in den Zeiten vor Corona fielen aufgrund von Krankheit, Quarantäne, wegfallenden Betreuungsmöglichkeiten von Kindern oder zu pflegenden Angehörigen oder eigener Vulnerabilität aus. Besonders erhöht war die subjektive Belastung und der psychosoziale Stress bei den Mitarbeitenden in Covid-19-Risikobereichen sowie bei den Pflegekräften, da sie besonders viel Zeit mit Patientinnen und Patienten und deren Angehörigen verbringen (Kramer et al. 2020; Bräutigam et al. 2014). Bereits im ersten Pandemiejahr 2020 verzeichnete der Fehlzeiten-Report im Gesundheits- und Sozialwesen im Vergleich zu anderen Branchen den stärksten Krankheitsanstieg (von 6,0 % auf 6,2 %). Pflegekräfte waren auch schon vor der Pandemie deutlich länger und häufiger arbeitsunfähig als andere Berufsgruppen (2019: Pflege = 7,5 %, andere Berufsgruppen = 5,4 %) (Hower und Winter 2021). Um dem verschärften Personalmangel kurzfristig zu begegnen, wurden bereits Verrentete, anderweitig aus dem Beruf Ausgeschiedene, Studierende oder Teilzeitkräfte für zusätzliche Dienste angeworben (Hower und Winter 2021; DKI 2021). Krankenhäuser bereiteten die Ärzteschaft und Pflegenden in Kurzzeitschulungen für den Intensivbereich vor, erfahrende Kräfte lernten andere Kräfte an. Krisenstäbe wurden gebildet und neue Abläufe und Verfahrensregeln wurden erarbeitet (Blase et al. 2022).

Für den Einsatz in den Krankenhäusern unter erheblicher zusätzlicher Arbeitslast und teilweise noch unklarer Gefährdungslage wurden dem medizinischen Fachpersonal hohe Aufmerksamkeit und Respektsbekundungen zuteil. Dies wurde nicht nur in Teilen von den medizinisch-pflegerischen Berufen als nicht ausreichend wahrgenommen, sondern es wurden weitere konkrete Schritte im Personalmanagement gefordert. Neben angemessener Bezahlung, gesellschaftlicher Wertschätzung, mehr Kolleginnen und Kollegen und guten Arbeitszeitmodellen spielt auch die Sicherheit eine wesentliche Rolle. Die Menge an hochansteckenden Corona-Fällen hat die Bedeutung von Hygienefachpersonal, Isolierkonzepten und -möglichkeiten noch einmal deutlich unterstrichen (Hower und Winter 2021).

Um Patienten- sowie Personalsicherheit zu optimieren, wurden Corona-Ambulanzen und -Stationen eingerichtet, mit Kampagnen für Impfungen und Tests geworben und das Personal über moderne Formate wie Klinik-Podcasts über Neuerungen informiert. IT-gestützte Plattformen zur besseren Planung und neue Funktionen wie Pandemiebeauftragte wurden geschaffen, um den schnellen Veränderungen bestmöglich begegnen zu können. Als zu Beginn der Corona-Pandemie Schutzkleidung rar war, wurden mithilfe von 3D-Druckern in einigen Kliniken Schutzvisiere hergestellt. Das „Corona-Taxi“, eine Flotte von Kleinbussen mit Ärztinnen und Ärzten, Pflegekräften und studentischen Aushilfen besuchten Corona-Patientinnen und -Patienten, die zu Hause isoliert waren, und überprüfen dort deren Gesundheitszustand.

Die Herausforderungen in Pandemiezeiten bei knappen personellen Ressourcen sind nur mit einem Paket an Maßnahmen zu bewältigen: adäquate Personalbemessung, wertschätzende Kompetenzbereiche, flexible Dienstpläne, umfangreiche Unterstützung in verschiedenen Lebensphasen, mehr Eigenverantwortung, unternehmerische Agilität und finanzielle Anreize.

Einzubetten sind die Maßnahmen in ein Managementkonzept, das die Grundlage für den Personaleinsatz, die Steuerung und die Führung des Personals unter Pandemiebedingungen legt (Blase et al. 2022; Hower und Winter 2021). Darin müssen auch Richtlinien zur Kompetenzentwicklung des Personals sowie Führungsprinzipien mit Inhalten zum Umgang mit Mitarbeitenden in Krisenzeiten aufgenommen werden. Außerdem ist es notwendig, eine Vertrauens- und Sicherheitskultur zu fördern sowie eine Kultur des Zusammenhalts zu entwickeln, damit das stark physisch und emotional belastete Personal die komplexen Anforderungen in Krisensituationen meistern kann.

4 Fazit

Auf dem Weg in die Zukunft werden Qualität, Leistungsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit des Krankenhauses maßgeblich davon bestimmt, ob und inwieweit es gelingt, das Beziehungsgefüge zwischen der Organisation Krankenhaus auf der einen Seite und dem darin tätigen Personal auf der anderen Seite optimal zu gestalten. Voraussetzung dafür ist eine zukunftsorientierte Anpassung des Personalmanagements. Es bewegt sich dann im Spannungsfeld der Erwartungen der Mitarbeitenden und den inhaltlichen (fachlichen), organisatorischen sowie technischen Notwendigkeiten der Krankenhausarbeit. Nicht zuletzt sind auch die hohen regulatorischen Anforderungen eine Herausforderung an das Klinikmanagement. Hier gilt es auch im übergeordneten politischen Rahmen Spielräume für innovative Gestaltung von Versorgung zu schaffen. Dies sollte neben klassischen Maßnahmen des Personalmanagements wie z. B. der partizipativen Gestaltung eines Qualifikationsmixes für zukünftige Versorgungsaufgaben im digitalen Zeitalter auch das Überdenken von Versorgungsstrukturen, insbesondere derer der sektorenübergreifenden Versorgung umfassen. Digitale Versorgungsangebote ermöglichen hier neue Flexibilität und auch Teilhabe des medizinischen Fachpersonals an „New Work“. Die Komplexität des Themas zeigt klar, dass Erklärungsmodelle, die auf unidirektionale Lösungen abstellen, ihre Berechtigung zunehmend verlieren. Ein Zusammenwirken verschiedener Initiativen sowie die vertrauensorientierte Kooperation auf Akteurs- und Politikebene im Sinne der medizinischen Fachkräfte und der Patientenversorgung werden hierbei entscheidend sein, um gemeinsam Wege für die Bewältigung der Personalengpässe von heute und morgen zu finden.