FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Klaus Kubeczko

FormalPara Leitautor_in

Astrid Krisch

FormalPara Beitragende_r Autor_in und Koordination der Strukturkapitel

Michael Ornetzeder

FormalPara Revieweditor

Jens Libbe

FormalPara Zitierhinweis

Kubeczko, K. und A. Krisch (2023): Netzgebundene Infrastrukturen. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo

  • Netzgebundene Infrastruktursysteme bilden zentrale Grundlagen für alltägliches Leben und Wirtschaften. Die europäische Gesetzgebung legt daher für die Betreiber von Infrastrukturen explizit eine Gemeinwohlverpflichtung fest. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Solange die Nutzung und Instandhaltung netzgebundener Infrastrukturen mit fossilen Energieträgern in Zusammenhang steht (z. B. Energieaufwand für Fahrzeuge, Verteilung und Nutzung von Erdgas etc.), sind auch die dadurch bedingten Handlungen nicht klimafreundlich. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Konsens herrscht darüber, dass mangels geeigneter Lenkungsmaßnahmen der weitere Ausbau von netzgebundenen Infrastrukturen durch Nutzung fossiler Energien zu mehr Treibhausgasemissionen führt. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Regulatorische Rahmenbedingungen haben unbestritten einen großen Einfluss auf die Gestaltung von Organisationsstrukturen der Infrastruktursysteme (Kap. 11). Insbesondere herrscht Konsens darüber, dass die Liberalisierung der Märkte im Rahmen der EU den Status quo prägt. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Der Anteil der grauen Energie durch die Bereitstellung netzgebundener Infrastruktur ist ein substanzieller Faktor für klimafreundliches Leben. Das belegen Studien z. B. zur Schieneninfrastruktur und zum Wohnbau. Da insbesondere die Siedlungsdichte großen Einfluss auf die Ausgestaltung der Infrastruktur hat, kommt der Raumplanung eine große Bedeutung zu. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

Notwendige Veränderungen

  • In der Innovationsforschung wird vielfach darauf verwiesen, dass – aufbauend auf gesetzlichen Grundlagen (z. B. Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz 2021) – neue Organisations- und Akteursmodelle zu entwickeln und im Rahmen von regulatorischen Experimenten zu testen sind. (mittlere Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Regulierungsbehörden haben zunehmend den gesetzlichen Auftrag, zusätzlich zu den bisherigen vorwiegend wettbewerbsrechtlichen Aufgaben zur raschen Verwirklichung der Transformation des Energiesystems beizutragen. Es bleibt zu beobachten, wie sich dies auf die zukünftige Gestaltung der Spielregeln für die Akteur_innen auswirken wird. (hohe Übereinstimmung, diverse Literaturbasis)

Akteur_innen und Institutionen

  • Der Einfluss der öffentlichen Hand auf die Gemeinwohlverpflichtung der Betreiber von Netzinfrastrukturen in den Bereichen Energie und Mobilität besteht eindeutig aufgrund der Verantwortlichkeiten bezüglich der Daseinsvorsorge. Auf dieser Basis und als Mehrheitseigentümer von zentralen Unternehmen wie ÖBB, ASFINAG, APG, Wiener Netze und vielen weiteren Verteilernetzbetreibern in den Bundesländern hat die öffentliche Hand vielfältige gestalterische Möglichkeiten. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

Gestaltungsoptionen

  • Die öffentliche Hand kann als Gesetzgeber, aber auch als Nachfrager und Beschaffer Einfluss auf die Gestaltung der Netzinfrastrukturen ausüben. Im Rahmen der privatwirtschaftlichen Verwaltung kann die öffentliche Hand – als Verantwortliche für die Daseinsvorsorge – zu einem Wandel in Richtung klimafreundliche Lebensweise entscheidende Beiträge leisten. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Um der zunehmenden Vernetzung technischer Infrastrukturen Rechnung zu tragen (z. B. Energie-IKT, Verkehr-IKT, Energie-Wasser etc.), hat die öffentlichen Hand die Möglichkeit, das Beschaffungswesen so zu gestalten, dass die Innovationsorientierung zur Erreichung von Missionen verstärkt wird. Im wissenschaftlichen FTI-politischen Diskurs herrscht breiter Konsens über die Bedeutung funktionaler Ausschreibungen (Directive 2014/24/EU), bei denen der Beschaffer Funktionen definiert und Anbieter geeignete Lösungen vorschlagen. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Langfristige Strategien, solide Investitionspläne, verlässliche rechtliche Rahmenbedingungen, internationale und nationale Abstimmungen, aber auch regionale und lokale Raumordnungsinstrumente sowie missionsorientierte Forschung und Entwicklung sind notwendig, um Netzinfrastrukturen in Richtung Klimafreundlichkeit zu verändern. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Die mit der Gestaltung netzgebundener Infrastruktursysteme verbundene Komplexität bedingt einen hohen Abstimmungsbedarf zwischen öffentlichen, privaten und zivilgesellschaftlichen Akteur_innen. In der Forschung zu egalitären Governance-Ansätzen werden horizontale und vertikale Mehrebenen-Governance-Mechanismen als wichtige Instrumente betrachtet, um Strategie-, Planungsprozesse und Maßnahmen am klimafreundlichen Leben auszurichten und sektorale sowie räumliche Schnittmengen zu nutzen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

22.1 Hintergrund und Ziele

Netzgebundene Infrastrukturen, wie Strom-, Daten-, Straßen- oder Schienennetze, Wasser- oder Gasleitungen, stellen zentrale Grundlagen für alltägliches Leben und Wirtschaften dar (European Commission, 2021). Sie sind somit Strukturen, die klimafreundliches Leben befördern oder verhindern. Sie beeinflussen alle Bereiche des täglichen Lebens und werden umgekehrt von alltäglichen Handlungen gestaltet. Die Funktionen von Infrastrukturnetzen bestimmen maßgeblich die Treibhausgasemissionen, die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit von Nationalstaaten bis hin zu lokalen Gebietskörperschaften, aber insbesondere auch alle Handlungsfelder, die in Teil 2 behandelt wurden. Planung und Bereitstellung von Infrastrukturen kann dementsprechend ein bedeutender Faktor in der Gestaltung eines klimafreundlichen Lebens sein.

Die Hauptverursacher von Treibhausgasemissionen liegen in den Sektoren Energie und Industrie (43,4 Prozent im Jahr 2018), Verkehr (30,3 Prozent), Landwirtschaft (10,3 Prozent) sowie Gebäude (10,0 Prozent) (Umweltbundesamt, 2020). Netzgebundene Infrastruktursysteme sind die Basisstrukturen in diesen Sektoren. Daher hat die Anpassung und der Umbau der Netzinfrastrukturen eine zentrale Rolle für die Bewältigung der Herausforderungen der Klimakrise (Engels et al., 2021).

Vor diesem Hintergrund beschäftigt sich dieses Kapitel mit der Frage, inwieweit die Gestaltung und Bereitstellung von Netzinfrastrukturen ein klimafreundliches Leben ermöglichen oder verhindern und welche Gestaltungsoptionen sich in Österreich aus sozialwissenschaftlicher Sicht ergeben, um die nationalen Klimaziele zu erreichen. Das Kapitel hat keinen Anspruch, einen vollständigen Überblick über Literatur zu Aus-, Um- oder Rückbaubedarf in einzelnen Infrastrukturbereichen in materieller Hinsicht (Leistungs- oder Speicherkapazitäten) zu geben.

22.1.1 Was sind netzgebundene Infrastrukturen?

Unter netzgebundenen Infrastrukturen verstehen wir allgemein Ver- und Entsorgungssysteme, die häufig als „Netzinfrastruktur“ oder „großtechnische Infrastrukturen“ (Mayntz & Hughes, 2019; Wissen & Naumann, 2008) bezeichnet werden. Diese Netze stellen sowohl auf lokaler als auch auf regionaler und (inter-)nationaler Ebene die Grundlagen für soziales und wirtschaftliches Leben dar. Sie stellen die Ver- und Entsorgung von Energie, Transportdienstleistungen, Telekommunikation, Wasser, Abwasser etc. sicher und haben unterschiedlichste Anforderungen – von Versorgungssicherheit, Umwelt-, Gesundheits- und Sozialverträglichkeit bis zu Wirtschaftlichkeit – zu berücksichtigen.

Auf europäischer Ebene werden die netzgebundenen Infrastrukturen für Energie, Verkehr und Telekommunikation rechtlich als Teil der Daseinsvorsorge angesehen. Telekommunikations-, Verkehrs- und Energieversorgungsdienste werden als gemeinwohlorientierte Leistungen von „allgemeinem wirtschaftlichem Interesse“ bezeichnet. Es liegt allerdings „in der Verantwortung der staatlichen Stellen, die Aufgaben der Leistungen der Daseinsvorsorge und die Weise ihrer Erfüllung auf den entsprechenden lokalen, regionalen oder nationalen Ebenen … zu definieren“ (Kommission der Europäischen Union, 2000).

Netzgebundene Infrastrukturen, wie Verkehrs-, Energie-, Informations- und Kommunikations-, Abwasser- und Trinkwasserinfrastrukturen, sind soziotechnische Systeme, die durch ihre Eigenschaft der standardisierten Verbindungen und Knotenpunkte zur physischen und kommunikativen Raumüberwindung von Menschen, Gütern, Daten und Ressourcen dienen (Mayntz, 1988). Sie stellen zentrale Grundvoraussetzungen für die Daseinsvorsorge, d. h. marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeiten im Interesse der Allgemeinheit dar. Als soziotechnische Infrastruktursysteme beinhalten sie technische Komponenten, die als integrale Bestandteile Strukturen und Dynamiken sozialer Handlungszusammenhänge prägen und verändern, gleichzeitig aber auch sozial geprägt und organisiert sind (Mayntz, 1988). Verkehrsnetze, Energienetze, Datennetze, Trinkwasser und Abwassernetze bilden die physische Basis soziotechnischer Infrastruktursysteme, die wir als Mobilitätssystem, Logistiksystem, Energiesystem, Informations- und Kommunikationssysteme kennen. Infrastrukturen sind also „technische, soziale, kulturelle und politische Hervorbringungen“ (van Laak, Dirk, 2020).

Zentrale Bestandteile dieser soziotechnischen Systeme sind dabei gebaute Netzverbindungen (z. B. Leitungen, Straßen etc.) und Knotenpunkte (z. B. Flughäfen, Bahnhöfe, Umspannwerke etc.) aus Stahl, Beton, Asphalt, Kupfer, Glasfaser etc. sowie Technologien, die zusammen mit dem institutionellen und organisatorischen Gefüge als Basis der Daseinsvorsorge und der Wirtschaftsstruktur eines Staates dienen. Die Nutzung dieser Dienstleistungen der netzgebundenen Infrastruktursysteme bestimmen alltägliches Handeln unmittelbar und hinsichtlich der Klimaauswirkung dieses Handels mittelbar, aber zum Teil mit weitreichenden Folgen.

Bei netzgebundenen Infrastruktursystemen hat sich aufgrund von EU-Vorgaben eine rechtliche Entflechtung zwischen der Produktion der grundlegenden Infrastrukturen (z. B. der Netze, Gebäude oder Anlagen) und der Bereitstellung der konkreten Dienstleistung bzw. der Nutzung dieser Leistung etabliert. In der europäischen Gesetzgebung manifestiert sich eine Dienstleistungsorientierung auf Basis einer Gemeinwohlverpflichtung. Der verbindende Charakter soziotechnischer Infrastruktursysteme ist somit eines ihrer zentralen Wesensmerkmale. Larkin (2013) spricht beispielsweise davon, dass Infrastrukturen nicht nur die materielle Basis bilden, sondern auch die Verbindungen (von Menschen, Stoffen, Informationen etc.) im Raum ermöglichen. Auch Barlösius (2019) betont die soziale Komponente von Infrastruktursystemen, die gesellschaftliche Ordnungsfunktionen übernehmen.

Netzgebundene Infrastrukturen zeichnen sich durch die Vernetzung von materiellen Komponenten und ihrem institutionellen bzw. sozial eingebetteten Kontext aus, die unsere Gesellschaft ökonomisch, sozial oder kulturell miteinander vernetzen (van Laak, Dirk, 2020). Infrastrukturnetze sind auf sehr reale, aber oft sehr komplexe Weise an der Aufrechterhaltung von „sociotechnical geometries of power“ (Graham & Marvin, 2001) beteiligt. Ein soziotechnisches Infrastruktursystem umfasst Akteur_innen (Firmen, private und öffentliche Organisationen und Einrichtungen sowie Individuen), institutionelle Rahmenbedingungen und Spielregeln (z. B. Regulierungen, aber auch dominierende Narrative) und Aktivitäten, die sich auf die Bereitstellung, Durchführung und Nutzung von Infrastrukturdienstleistungen (z. B. Mobilität, Wärme, Daten, Kommunikation etc.) beziehen.

Wenn es um den Aufbau- oder die Veränderung von soziotechnischen Infrastruktursystemen geht, spricht man häufig von Pfadabhängigkeiten oder Beharrungskräften, die deren Wandel erschweren (Ambrosius & Franke, 2015). Netzgebundene Infrastrukturen sind vielfach durch Strukturen geprägt, die Ende des 19. Jahrhunderts entstanden sind und in weiterer Folge ausgebaut, weiterentwickelt (z. B. durch Digitalisierung) oder saniert wurden (Tietz & Hühner, 2011). Als erschwerende Bedingungen für die Veränderung von Infrastruktursystemen werden folgende genannt: die lange Nutzungsdauer (Investitionszyklen über mehrere Jahrzehnte), institutionelle Vereinbarungen (z. B. schwer zu schaffende oder zu verändernde gesetzliche Grundlagen für deren Errichtung oder bauliche Veränderung oder kulturelle Leitbilder „guter“ Infrastrukturentwicklung), komplexe Organisationsstrukturen, hohe Investitionskosten, technologische Entwicklungen, die Monopolstellungen bestehender Netzwerke oder der Verbrauch an natürlichen Ressourcen (Frantzeskaki & Loorbach, 2010). Die verschiedenen Elemente entwickeln sich in der Regel gemeinsam und verstärken sich gegenseitig, womit sie ein stabiles und schwer zu veränderndes System bilden. Ein grundlegender Wandel der Produktions- und Verbrauchsysteme ist jedoch notwendig, um Klima und Umwelt zu verbessern und nichtnachhaltige Verhaltensweisen zu reduzieren. Beispielsweise setzt sich das Trinkwassersystem aus unterschiedlichen heterogenen Elementen, wie Versorgungs-, aber auch Verschmutzungsquellen, mehreren Verwaltungsgrenzen und zahlreichen Beteiligten einschließlich verschiedener Regierungsebenen zusammen. Dies erfordert einen strukturellen Wandel der etablierten soziotechnischen Rahmenbedingungen, die das Verhalten und die Entscheidungsfindung der Akteur_innen prägen (Bos & Brown, 2012). In den letzten Jahren hat sich zunehmend eine kritische Perspektive auf die Pfadabhängigkeiten und Lock-ins von Infrastruktursystemen entwickelt, die Beharrungskräfte und Transformationstendenzen gemeinsam betrachtet. Engels et al. (2021) sehen die Stabilität von Infrastruktursystemen in einem Wechselverhältnis zu den veränderlichen und anpassungsfähigen Elementen, die in Anbetracht eines wachsenden Drucks auf Infrastruktursysteme hin zu klimafreundlichen Strukturen notwendig für die Funktionsfähigkeit eines Systems sind (z. B. bei neu hinzukommenden digitalen Infrastrukturen, die ein großes räumliches, aber vor allem auch zeitliches Veränderungspotenzial aufweisen). Ebenso spielen mit Fortschreiten der Klimakrise die Folgen des Klimawandels eine immer größere Rolle. Auch in Bezug auf Störungen und Funktionsunterbrechungen von Infrastruktursystemen hat sich ein dynamisches Verständnis von Infrastrukturen in den letzten Jahren verstärkt durchgesetzt. Einer soziologischen Perspektive auf Infrastrukturen geht es gleichermaßen um die transformierenden wie die stabilisierenden Eigenschaften von Infrastrukturen und ihren Einfluss auf soziale Beziehungen (Engels et al., 2021).

22.2 Status quo

22.2.1 Netzwerkinfrastrukturen und ihre Rolle für ein klimafreundliches Leben

Netzgebundene Infrastrukturen stellen zentrale Grundlagen dar, die eine klimafreundliche Lebensweise befördern oder behindern können und sind somit von großer Bedeutung für strukturelle Weichenstellungen einer klimafreundlichen Zukunft. Sie stellen die Grundlage für alltägliches Handeln und für das wirtschaftliche Leben dar und tragen maßgeblich zur wirtschaftlichen und sozialen Leistungsfähigkeit einer Gesellschaft bei (European Commission, 2021). Somit sind sie ausschlaggebend für z. B. Lebensstile, Mobilitätsverhalten, Energieverbrauch etc. Sowohl technische Maßnahmen bei der Bereitstellung als auch die Praxis der Nutzung von Infrastrukturnetzen sind förderlich oder hinderlich für ein klimafreundliches Leben, sie „haben zum einen die Kraft der sozialen Strukturierung (power of social structuration) und zum anderen der ökologischen Vermittlung (power of ecological mediation)“ (Kropp 2017, S. 201).

Die Energieversorgung basiert derzeit zu zwei Dritteln auf fossilen Energieträgern (Bruttoendenergieverbrauch 2018 (BMK, 2020)), mit deren Verbrennung ein erheblicher Teil der Treibhausgasemissionen entsteht. Auch die Aufwendungen in Wasser- und Abwasserbewirtschaftung (z. B. Baumaterial, Strom für Pumpen, Wartungsarbeiten etc.) gehen üblicherweise mit einem Verbrauch fossiler Energieträger und somit Treibhausgasemissionen einher (Winker et al., 2019). Eine grundlegende Umgestaltung des Energiesystems ist daher notwendig, um klimafreundliches Handeln auch in anderen Sektoren zu ermöglichen.

Banko et al. (2022) stellen fest, dass die Emissionen aus der Nutzung der Straßeninfrastruktur gerade in Hinblick auf eine noch nicht dekarbonisierte Fahrzeugflotte relevant sind, da die Infrastrukturvorhaben langlebig sind und die Treibhausgasemissionen noch länger negativ beeinflussen. Auch der Infrastrukturbau verursacht durch Material- und Energieeinsatz Treibhausgasemissionen sowie Luftschadstoff- und Lärmemissionen. Während Landes- und Gemeindestraßen zwischen 2008 und 2018 um 28,25 Prozent und Bundesstraßen im selben Zeitraum um 5,67 Prozent verlängert wurden, verringerte sich das Schienennetz zwischen 2007 und 2017 um 16,1 Prozent (Umweltbundesamt, 2019). Es steht fest, dass das Verkehrssystem zukünftig so umgebaut werden muss, dass das Angebot für Verkehrsmittel des Umweltverbundes mindestens gleichwertig mit der Attraktivität des Straßenverkehrs sein muss, um eine Veränderung des Mobilitätsverhaltens im Sinne einer klimafreundlichen Lebensweise anzustoßen (Banko et al., 2022).

Soziotechnische Infrastruktursysteme wirken durch die langen Investitionszeiträume, die mit ihrer Entwicklung einhergehen, als strukturierende Elemente dauerhaft auf alltägliches Handeln und Wirtschaften. Viele Infrastrukturen (z. B. Schienenwege, Wasserkraftbauten, Hochwasserschutz, Wasserversorgung- und Entsorgungssysteme) haben eine Lebensdauer von ca. hundert Jahren, weshalb die erforderlichen Investitionskosten nur über lange Zeiträume aufzubringen sind und mit weitreichenden Fragen zum Umfang der zusätzlichen Infrastruktur, die in Zukunft erhalten werden muss, einhergeht (Blöschl, 2018).

22.2.2 Herausforderungen netzgebundener Infrastruktursysteme für ein klimafreundliches Leben

Durch ihre Langlebigkeit ist die Planung und Veränderbarkeit von soziotechnischen Infrastrukturen mit großen Unsicherheiten verbunden, Prognosen sind daher oft mit großen Schwankungsbreiten versehen (Kleidorfer et al., 2018). Die Planung und der Bau von Infrastruktursystemen müssen vorausschauend erfolgen, da die durchschnittliche Lebensdauer solcher Investitionen mehrere Jahrzehnte beträgt (Kleidorfer et al., 2009) und die Planung bis zur Errichtung auch deutlich mehr als ein Jahrzehnt dauern kann. Zukünftige Entwicklungen müssen für Infrastrukturnetze lange im Voraus abgeschätzt werden können, da deren Entwicklung persistente Strukturen im Raum erzeugt, die nur mit hohem Aufwand wieder rückgängig zu machen sind. Hier stoßen viele Planungsansätze an ihre Grenzen (Urich & Rauch, 2014), was auch die Behörden in der Genehmigungsphase vor Herausforderungen stellt. Eine vorausschauende und adaptive Planung von Infrastrukturnetzen ist allerdings im Bereich der Strominfrastruktur für Übertragungsnetze langjährige Praxis ist (APG, 2013).

Zunehmend werden Informations- und Kommunikationstechnologien eingesetzt, um Infrastrukturleistungen auf Kundenbedürfnisse zuschneiden zu können. Dadurch wird es beispielsweise möglich, in den Bereichen Strom-, Wärme- oder Trinkwasserversorgung vermehrt diversere Tarifmodelle auf der Basis kontinuierlicher Verbrauchsmessung (Smart Meter) einzusetzen, um Einfluss auf das Verbrauchsverhalten zu nehmen (Tietz & Hühner, 2011) oder um den kapitalintensiven Ausbau von Infrastrukturen zu vermeiden oder zu verzögern. Dafür braucht es allerdings detaillierte Nutzungsprofile mit sensiblen persönlichen Daten, die mitunter einen Eingriff in die Privatsphäre bedeuten (Lange & Santarius, 2018).

Neuere Studien zeigen, dass zwischen digital unterstützten und konventionellen Dienstleistungen in Bezug auf Klimafreundlichkeit oft keine signifikanten Unterschiede bestehen, im Gegenteil, durch personalisierte Werbung und die Nutzung von Sharing-Optionen steigt die Nutzung energieintensiver Dienstleistungen sogar und somit verwandeln sich viele klimafreundliche Optionen in ihr Gegenteil (Lange & Santarius, 2018). Klimapolitisch relevant ist auch die Inanspruchnahme der Dateninfrastruktur (Ausbau des Internets), einerseits als Alternative zur physischen Mobilität (z. B. Reduzierung von Pendlerverkehr), andererseits durch das Schaffen energieintensiver Dienstleistungen wie Cloudlösungen und 5G-Anwendungen. Einige Autor_innen sehen den Energieverbrauch dieser digitalen Dienste kritisch, wobei die Schätzungen dazu einer großen Schwankungsbreite unterliegen (die Szenarien reichen von Treibhausgasemissionen pro Jahr im Ausmaß von 10 bis 80,55 Megatonnen CO2). Für das Jahr 2030 wird in internationalen Studien im Worst-case-Szenario berechnet, dass der Energiebedarf für Rechenzentren, Kommunikationsnetze und Endgeräte bis zu 51 Prozent des globalen Gesamtbedarfes an elektrischer Energie ausmachen werden, sollten Effizienzsteigerungen moderat bleiben (Franz, 2021).

Eine weitere, wenig beleuchtete klimapolitische Herausforderung ist der Anteil der grauen bzw. indirekten Energie. Unter „grauer Energie“ versteht man die Summe jener Energie, die für die Herstellungs-, Transport-, Verteil- sowie Vernichtungsprozesse erforderlich ist, während die „direkte oder weiße Energie“ den Energieaufwand für die Nutzung eines Gutes oder einer Technologie umfasst (Hübner, 2014; Latsch et al., 2013). Die Einschätzungen zum Anteil der grauen Energie in Infrastruktursystemen variieren stark. Beispielsweise zitiert ein Schweizer Umweltmagazin (ZUP, 2008) den Energieplanungsbericht 2012 (Kanton Zürich, 2012), in dem die graue Energie aus der Infrastruktur (Straße, Schiene) mit deutlich über 50 Prozent der Gesamtenergiebilanz von Regional-, Schnell- und Hochgeschwindigkeitszügen angegeben wird.

Der Energieaufwand für die Errichtung der netzgebundenen Infrastrukturen für den Wohnbau, wie Straßen und Leitungsbau, Außenanlagen etc., wird über die Lebenszeit gerechnet zu einem substanziellen Faktor für klimafreundliches Leben. So machte 2010 die graue Energie für ein Einfamilienhaus in Passivbauweise in einer Siedlungsanlage 73 Kilowattstunden pro Quadratmeter und Jahr (bei einer Gesamtnutzungsdauer von 100 Jahren) aus, wovon ca. 30 Prozent auf den Energieeinsatz für den Ausbau der Infrastruktur (Straßen und Leitungsbau) entfallen. Das entspricht in etwa der über die Lebensdauer der Gebäude notwendigen Betriebsenergie (d. h. der Energieeinsatz für Heizen, Warmwasser und sonstigen Energieverbrauch über die kommenden 100 Jahre) (Bußwald, 2011). Damit ist die Wahl der Lage von Neubauten für die Erreichung der Treibhausgasreduktionsziele ähnlich wichtig wie die Dekarbonisierung der Betriebsenergie (siehe auch für Kanada Norman et al., 2006). Gegenwärtige raumplanerische Entscheidungen über den Siedlungsbau und der damit verbundenen grauen Energie haben somit auch unmittelbare Auswirkungen darauf, wie emissionsintensiv der Ausbau von netzgebundenen Infrastrukturen ist.

Netzgebundene Infrastruktursysteme für Ver- oder Entsorgungsaufgaben sind durch eine Konzentration einzelner Sektoren (Strom, Gas, Fernwärme, Wasser, Abwasser etc.) gekennzeichnet. Dabei werden die Aufgaben meist auf einzelne Sparten reduziert, was in Bezug auf die Herausforderungen der Klimakrise zu einer mangelnden Koordination dieser Systeme untereinander, aber auch zu einer fehlenden Abstimmung mit Siedlungsstrukturen führt. Sektorspezifische Planungen einzelner Infrastruktursysteme entziehen sich oft der Steuerungsfunktion durch kommunale Planungsstrukturen. Giffinger et al. (2021) verweisen für den Bereich der Digitalisierung auf die kompetenzrechtliche Zersplitterung zwischen Bund, Ländern und Gemeinden, die eine konsistente gemeinsame Strategie und Implementierung im Sinne eines klimafreundlichen Lebens erschwert. Hier kommen kommunalen Querverbundunternehmen oder auch Stadtwerken eine zentrale Rolle zu, um diese Koordinationsaufgabe verstärkt wahrzunehmen, wobei die Koordination hier vorwiegend informell erfolgt, sofern dies im Rahmen der rechtlichen Entflechtung im Bereich der marktbezogenen Tätigkeiten der Daseinsvorsorge erlaubt ist. Formelle Planungsinstrumente mit vorausschauender Entwicklungsplanung wurden oft zugunsten einer Maßnahmen- oder Investitionsplanung durch betriebswirtschaftlich agierende Akteure in den einzelnen Sektoren aufgegeben (Tietz & Hühner, 2011).

Welche Organisationsformen im Zuge der Anpassung und des Umbaus der Netzinfrastrukturen für die Bewältigung der Herausforderungen adäquat sind (z. B. öffentlich-private Partnerschaft, Commons-öffentliche Partnerschaft, Genossenschaft), wird die Forschung zu Institutionen und Organisationsentwicklung noch länger beschäftigen. Die Forschung geht davon aus, dass in Hinblick auf neue Zielsetzungen – wie die Unterstützung eines klimafreundlichen Lebens – sowohl soziale als auch technische Elemente in Abstimmung zueinander verändert werden müssen (Ropohl, 2009).

Betreiber von Netzwerkinfrastrukturen haben, bedingt durch inhärente ökonomische Mechanismen (Netzwerk-, Skalen- und Lock-in-Effekte), eine Monopolstellung; man spricht von einem natürlichen Monopol. Sie haben damit die technische Kontrolle über den Zugang zur Nutzung der jeweiligen Netzwerkinfrastruktur (z. B. Wer kann Strom/Wärme/Gas/Wasser ins Netz einspeisen? Wer kann eine Straße benutzen? Können bestimmte Datenpakete im Internet prioritär behandelt werden?). Aufgrund der Rahmenbedingungen des Wettbewerbsrechts, insbesondere der Einführung von Regulierungsbehörden, hat sich in der Praxis gezeigt, dass diese Machtposition gegenüber den Nutzer_innen nicht einfach ohne Sanktionsmöglichkeiten eingesetzt werden kann. Auch die Möglichkeit, Monopolrenten abzuschöpfen, beispielsweise im Bereich der Energienetze, wurden durch Regulierungen deutlich verringert (d. h. wenn die Einnahmen aus der Nutzung die Gesamtkosten der Bereitstellung deutlich überschreiten).

Eine weitere Herausforderung bei der Transformation soziotechnischer Infrastruktursysteme in Österreich ist ihre Einbettung sowohl in größere (europäische oder globale) Infrastruktursysteme als auch – aus einer sozial-ökologischen Betrachtung – in einen ökonomischen (als Basis für Bereitstellungssysteme), räumlichen (monozentrische, polyzentrische und ländliche Raumstrukturen) und ökologischen (Landverbrauch, Ressourcen, Klima etc.) Kontext. Ebenso werden in der Literatur der demografische Wandel, aber auch sich verändernde Konsummuster und Prozesse der Deindustrialisierung als Herausforderungen für die Transformation von Infrastruktursystemen genannt (Libbe & Kluge, 2006).

22.2.3 Bezüge zu Handlungsfeldern und anderen Strukturbedingungen

Alle im Bericht behandelten Handlungsfelder haben eine strukturelle Basis in soziotechnischen Infrastrukturen. Die Tab. 22.1 gibt einen Überblick, in welchen Handlungsfeldern bestimmte Netzinfrastrukturen eine wichtige Basis bilden und welche Möglichkeiten ihnen zukommen, um Klimafreundlichkeit zu gewährleisten.

Tab. 22.1 Möglicher Beitrag der Infrastruktursysteme in Handlungsfeldern. (Eigene Darstellung)

Infrastrukturnetze sind zentrale Bestandteile im Bereich des Wohnens, wo Energie- und Wassernetze das tägliche Leben maßgeblich beeinflussen. Im städtischen Bereich stellen einige Autor_innen einen Dogmenwechsel von zentralen zu dezentralen Entwässerungssystemen sowie die Einbindung grüner (Flächen) und blauer (Wasserökosysteme) Infrastruktur fest, die sowohl im akademischen Diskurs, in der EU-Politik (COM(2019) 236 final, 2019) als auch in der Praxisanwendung an Relevanz für ein klimafreundliches urbanes Leben gewinnt, da urbane Abwassernetze durch dezentrale Lösungsansätze entlastet werden. Die Konsequenzen der jeweiligen Anpassungsmaßnahmen sind allerdings noch wenig erforscht (Back et al., 2019).

Neben dem Ausbau von Mobilitätsalternativen ist das Handlungsfeld Mobilität und Verkehr (Kap. 6) generell stark geprägt von der Ausgestaltung netzgebundener Infrastruktursysteme, wobei hier auch Verkehrsreduzierung und -vermeidung als zentrale Strategien für ein klimafreundliches Leben zählen. Die Kombination verschiedenster Maßnahmen (Inter- und Multimodalität) zu klimafreundlichen Mobilitätsdienstleistungen ist hier besonders wichtig. Den Themen aktive Mobilität, Umweltverbund und Stärkung des öffentlichen Verkehrs werden von einigen Autor_innen wichtige Beiträge auf dem Weg zu klimafreundlichen Lebensweisen zugeschrieben, beispielsweise durch die Errichtung von Radschnellwegen (Banko et al., 2022).

Nachdem netzgebundene Infrastruktursysteme auch für das wirtschaftliche Leben Grundvoraussetzungen darstellen, ist bei der Erwerbsarbeit eine große Schnittmenge von Wirtschafts- und Produktionsstrukturen mit Infrastrukturnetzen auszumachen, die eine Transformation hin zu einem klimafreundlichen Leben begünstigen oder behindern. Viele Green Jobs (Abschn. 7.2.1) sind direkt oder indirekt eng mit Infrastruktursystemen verbunden (von Installateur_innen und Elektriker_innen bis zu Jobs in der öffentlichen Verkehrsinfrastruktur etc.). Auch digitale netzgebundene Infrastrukturen (Abschn. 7.4.1) können im Bereich der Erwerbsarbeit als klimafreundliche Alternative zu einer Transformation beitragen. Ebenso sind netzgebundene Infrastrukturen unmittelbar mit Freizeit- und Tourismusaktivitäten verbunden (Kap. 9).

Funktionierende soziotechnische Infrastruktursysteme sind für viele der anderen Strukturbedingungen (Teil 3) von Bedeutung. Auch Recht, Governance, Raumplanung, technologische Entwicklungen etc. sind bestimmend dafür, dass die beschriebenen Infrastruktursysteme Leistungen der Daseinsvorsorge erbringen können.

Wichtig sind in diesem Kontext beispielsweise die räumlichen Effekte der Siedlungsentwicklung, die unmittelbar mit den vorhandenen bzw. neu zu erschließenden Infrastrukturnetzen zusammenhängen. In Österreich kann beobachtet werden, dass der Infrastrukturausbau der Siedlungsentwicklung folgt. Die Siedlungsentwicklung ist in vielen Regionen durch Streusiedlungen, geringe Siedlungsdichte und hohen Flächenverbrauch gekennzeichnet, was mit einem erhöhten Infrastrukturausbau und damit einem höheren Einsatz von grauer Energie einhergeht (Bußwald, 2011). Zudem sind netzgebundene Infrastruktursysteme meist auf Siedlungswachstum, nicht jedoch auf schrumpfende Regionen ausgerichtet. Verstärkte Suburbanisierungstendenzen führen zu einem verstärkten Ausbau von Ver- und Entsorgungsnetzen in Stadtrandzonen, aber auch im ländlichen Raum, womit hohe Kosten und der Verlust von Grünland verbunden sind (Tietz & Hühner, 2011).

Soziale und räumliche Ungleichheit, die unter anderem durch den tendenziell höheren Ressourcenbedarf für Haushalte in zersiedelten Regionen aufgrund von z. B. längeren Wegen und oft größerem Energiebedarf entsteht, ist nicht zu vernachlässigen. Individuelle Energiearmut kann einem klimafreundlichen Leben durch eine verminderte finanzielle Handlungsfähigkeit im Weg stehen, da die Möglichkeit, auf erneuerbare Energien umzusteigen, damit abnimmt (Bußwald, 2011). Auch die ungleichen Mobilitätsbedürfnisse und die Anforderungen an das verkehrsgebundene Infrastrukturnetz sind relevante Faktoren. Wie schon in Kap. 4 angesprochen, führen dezentrale Siedlungsstrukturen zu einem erhöhten Zwang zum motorisierten Individualverkehr.

Im gesellschaftlichen Diskurs um die Klimakrise werden die unterschiedlichen Prioritäten der Gestaltung von Infrastruktursystemen für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen besonders sichtbar. Beispielsweise rechtfertigt die öffentliche Hand das Aufnehmen von Krediten mit Wirtschaftswachstum und Beschäftigungswirkung. In Österreich sind die politischen Diskussionen derzeit noch von der Persistenz etablierter Argumentationen gekennzeichnet, beispielsweise die autogebundene Debatte in der Verkehrspolitik. Im kritischen Diskurs stellt sich immer auch die Frage nach der Abschätzung von Technikfolgen. Ein Beispiel dafür ist etwa die die Frage der Nachhaltigkeit möglicher zukünftiger Anwendungsfelder von grünem Wasserstoff in einem dekarbonisierten Energiesystem und des dafür notwendigen Infrastrukturausbaus.

22.2.4 Rolle der Infrastruktursysteme für die Daseinsvorsorge

Allgemein wird bei Dienstleistungen, die im öffentlichen Interesse und im Sinne des Gemeinwohls erbracht werden und wesentlich für das Funktionieren einer modernen Gesellschaft sind, von Daseinsvorsorge gesprochen: „Leistungen der Daseinsvorsorge (oder gemeinwohlorientierte Leistungen) sind marktbezogene oder nichtmarktbezogene Tätigkeiten, die im Interesse der Allgemeinheit erbracht und daher von den Behörden mit spezifischen Gemeinwohlverpflichtungen verknüpft werden.“ (Kommission der Europäischen Union, 2000) Insbesondere Energieversorgungs-, Verkehrs- und Telekommunikationsdienste werden im Interesse der Allgemeinheit von den Mitgliedstaaten mit besonderen Gemeinwohlverpflichtungen verbunden (Kommission der Europäischen Union, 2000). Diesbezügliche Infrastrukturleistungen werden als marktbezogen eingestuft und können nicht nur vom Staat, sondern auch durch privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen angeboten werden. Die Bürger_innen profitieren von einem kontinuierlichen, preisgünstigen und demokratisch kontrollierten Dienst (Libbe & Nickel, 2016).

Daseinsvorsorge als zentraler Bereich staatlicher Zuständigkeit hängt wesentlich von der Verfügbarkeit von netzgebundener Infrastruktur sowie von deren räumlicher Verteilung und Nutzbarkeit ab. Die Ausgestaltung der Daseinsvorsorge bestimmt somit, ob sie die Transformation netzgebundener Infrastrukturen für ein klimafreundliches Leben befördert oder hemmt.

Gesellschaftliche Herausforderungen wie Klimawandel wirken sich auf den Aufbau und die nachhaltige Sicherung der Daseinsvorsorge ebenso aus wie auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit eines Staates. Es ist die Aufgabe der europäischen, nationalen und regionalen Politik und öffentlichen Verwaltung, aber auch der Infrastrukturbetreiber, dafür zu sorgen, dass Leistungen bereitgestellt werden, die national und regional eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen.

22.2.5 Kritische Infrastruktur und ihre Rolle für ein klimafreundliches Leben

Netzgebundene Infrastruktursysteme, wie Energie- und Wasserversorgung, Kommunikations- oder Verkehrsnetze, sind eine zentrale Grundlagen moderner Gesellschaften, die seit dem späten 19. Jahrhundert auf den Funktionen dieser Infrastrukturleistungen beruhen. Diese grundlegenden Systeme werden seit rund 20 Jahren als „kritisch“ bezeichnet, da Störungen, Funktionsausfälle oder Verlust dieser Infrastrukturen potenzielle Bedrohungen für das Funktionieren der gesellschaftlichen Ordnung, der Gesundheit, Sicherheit oder das wirtschaftliche und soziale Wohl der Bevölkerung oder das effektive Funktionieren staatlicher Einrichtungen darstellen (Engels et al., 2021).

In einer zunehmend vernetzten Welt ergeben sich Bedenken, inwiefern Infrastruktursysteme von neuartigen Technologien verstärkt abhängig sind, womit diese Systeme verstärkt kaskadenartigen Risiken ausgesetzt sind. Solche Risiken – von digitaler Sicherheit über Klimafolgen – stellen Infrastruktursysteme im 21. Jahrhundert vor neue Herausforderungen. Sie erfordern die Entwicklung konventioneller, aber vor allem auch resilienzorientierter Strategien (NIAC, 2009), um einen angemessenen Schutz vor unerwünschten Folgen ungewisser, unerwarteter und oft dramatischer Ereignisse auf kritische Infrastruktursysteme zu gewährleisten (Linkov & Palma-Oliveira, 2017). Resilienz oder die Anpassungsfähigkeit von Infrastruktursystemen (Shakou et al., 2019) sind besonders in Fragen des Klimawandels wichtig, da sich mittlerweile ein Verständnis von der Chance von Elastizität und Veränderlichkeit zur Erhaltung von essenziellen Funktionen angesichts von Krisen durchgesetzt hat, das konventionelle Vorstellungen von persistenten und stabilen Strukturen ablöst (Engels et al., 2021). Beispielsweise sprechen Kropp et al. (2021) davon, dass Hitzewellen zusätzlichen Strombedarf für Kühlsysteme erforderlich machen, womit Versorgungsengpässe und Überlastungen von Verteil- und Übertragungsnetzen und letztlich großflächige Blackouts einhergehen können (Allhutter et al., 2022).

Bestehende Infrastruktursysteme werden in der Klimakrise zu zentralen Elementen, die sowohl als Chance als auch als Hemmnis für ein klimafreundliches Leben gesehen werden können. Die Robustheit der netzgebundenen Infrastrukturen ist jedenfalls eine große Herausforderung für eine notwendige Klimawandelanpassung, z. B. Starkregen als besonderes Problem für Regionen mit hohem Versiegelungsgrad (Kleidorfer et al., 2014), Streckenunterbrechungen durch Vermurungen oder kleinräumiger Wassermangel in Österreich (Hanger-Kopp, 2019; Schöner et al., 2011) etc.

Informationen zu bestehenden Risiken oder Daten über die Anfälligkeit und Exposition von Infrastruktursystemen gegenüber Schocks und Stressfaktoren sind für den Aufbau von Widerstandsfähigkeit und Resilienz unerlässlich. Grundlegende Instrumente für die Ausrichtung von Plänen und Investitionen und für die Ermittlung von transformativen Maßnahmen beruhen dabei auf der Verfügbarkeit von Daten über Katastrophenschäden, Risikobewertungen oder Prognosen zum Klimawandel, die zwar als prioritär behandelt werden, aber nicht überall gleichmäßig verfügbar sind. Eine Reihe von internationalen Vereinbarungen schaffen die Rahmenbedingungen, um Handlungsprioritäten für spezifische Maßnahmen zum Aufbau von Resilienz zu entwickeln (z. B. UNFCCC-Ziele für die nachhaltige Entwicklung etc.). Auf nationaler und lokaler Ebene werden Resilienzkriterien zunehmend in Politiken zum Klimawandel integriert. Eine Harmonisierung mit verwandten Politikfeldern, die Resilienz in einen größeren Kontext einbetten, fehlt aber bislang noch (United Nations Task Team on Habitat III, 2015).

22.3 Notwendige strukturelle Bedingungen

22.3.1 Trends in einzelnen Infrastruktursystemen

Es scheint unbestritten, dass es zu wesentlichen Anpassungen der Infrastruktursysteme aufgrund der Notwendigkeit der Dekarbonisierung und der technologischen Entwicklungen der Digitalisierung kommen wird (siehe Tab. 22.2). Auch sind durch den Klimawandel vermehrt Ressourcenverknappungen und Extremwetterereignisse zu erwarten. Es wird daher zu einer tiefgreifenden Veränderung der netzgebundenen Infrastruktursysteme kommen (Engels et al., 2021). Dekarbonisierung und Digitalisierung sind starke gesellschaftliche und technologische Treiber für den Umbau und die Anpassung der netzgebundenen Infrastruktur und für die damit einhergehenden neuen Anwendungsmöglichkeiten (Telekonferenzen, autonomes Fahren, Smart-Home-Energiemanagement etc.) und neuen Formen, wie das Leben organisiert wird (Homeoffice, Gig-Economy, Plattform-Ökonomie etc.).

Tab. 22.2 Überblick über einige Trends, die gegenwärtig Einfluss auf die (Um-)Gestaltung einzelner Infrastruktursysteme ausüben. (Eigene Darstellung)

Zu beobachten ist auch eine zunehmende Vernetzung technischer Komponenten innerhalb einzelner Infrastruktursysteme (z. B. Energie-IKT, Verkehr-IKT, Energie-Wasser etc.) (van Laak, Dirk, 2020), der Sektorenkopplung (z. B. Stromerzeugung aus Biogas und Klärschlamm) (Schaubroeck et al., 2015) oder der Kopplung von Wärme-, Gas- und Stromsektor mit all den Potenzialen und Herausforderungen (Büscher et al., 2020).

22.3.2 Integrierte Betrachtung netzgebundener Infrastruktursysteme

Im Bereich netzgebundener Infrastrukturen besteht in den kommenden Jahren eine große Herausforderung darin, verschiedene Systeme und unterschiedliche Sektoren miteinander zu koppeln, um die Möglichkeiten der Digitalisierung für die Herausforderungen der Klimapolitik produktiv zu machen und um eine Funktionsfähigkeit dieser integrierten Systeme im Fall von Funktionsstörungen koordiniert zu bewältigen (Engels et al., 2021). Dabei entsteht allein schon beim Zusammenspiel unterschiedlicher Infrastruktursektoren eine höhere Komplexität (Monstadt & Coutard, 2019).

Neben technischen Fragen der Kopplung unterschiedlicher Infrastruktursysteme rücken hier zunehmend Fragen der Governance und der politischen Koordination und Steuerung in den Fokus. Die grundsätzlichen politischen Ziele sind mit einer großen Anzahl an Beteiligten und Betroffenen auszuhandeln und festzulegen (Büscher, 2018; Engels et al., 2021).

Grundsätzlich geht es um ein verbessertes Zusammenwirken zwischen unterschiedlichen soziotechnischen Infrastruktursystemen. Beispielsweise geht es im Verkehrsbereich um die Intermodalität bzw. um die Verbesserung einer leichten Verbindung zwischen unterschiedlichen Verkehrsmodi. Der Sektor Energie soll, verstärkt durch die Elektrifizierung des öffentlichen Verkehrs und des Individualverkehrs, mit dem Verkehrssektor verschnitten werden. Auch eine aktive Integration mit anderen Bereichen der Daseinsvorsorge (z. B. Bildung, Gesundheitsbereiche etc.) steht zur Diskussion (Engels et al., 2021).

22.4 Akteure und Institutionen

Die Akteursstrukturen haben sich aufgrund der rechtlichen Entflechtung im Zuge der europäischen Gesetzgebung in den Bereichen Energie-, Verkehrs- und Telekommunikationsnetze (z. B. organisatorisch-rechtliche Trennung von Dienstleistung und Netzbetrieb) und der Privatisierung (z. B. Ausgliederung von Staatsbetrieben) geändert. Im Vergleich zu anderen Ländern sind in Österreich auf Bundes-, Landes- und Gemeindeebene große Teile nach wie vor im Eigentum oder, zumindest aufgrund der Stimmrechtsverhältnisse, unter der Kontrolle der Gebietskörperschaften. Dort, wo entflochtene Einheiten entstanden sind, sind sie in vielen Fällen – soweit rechtlich möglich – organisatorisch unter einer Dachorganisation (z. B. Holdingkonstruktion) geblieben. Einhergehend mit den Umstrukturierungen der vergangenen Jahrzehnte sind markt- und dienstleistungsorientierte Akteursstrukturen entstanden. Für die Entwicklung digitaler Infrastrukturen in Smart Cities zeigen Kropp et al. (2021), dass dies zukünftig zu Abhängigkeiten von extern beauftragten Dienstleistern führen kann, womit ein eingeschränkter Zugang zu relevanten Planungsdaten oder zu einer eingeschränkten digitalen Souveränität der Kommunen und ihrer Handlungsfähigkeit, lokal nachhaltige Pfade zu definieren, einhergehen könnte.

Giffinger et al. (2021) sehen insbesondere die langen Lebenszyklen von Infrastrukturen als relevanten Faktor, der nach Entscheidungsfindungen in einem vielfältigen und komplexen Umfeld verlangt, das nicht nur durch eine Vielfalt von Akteuren, sondern auch durch oft widersprüchliche Zielvorgaben und Interessenslagen gekennzeichnet ist.

Zentrale Akteure im Bereich netzgebundener Infrastrukturen sind: Infrastrukturbetreiber; (staatliche und private) Infrastruktureigentümer; Dienstleister im Sinne von Unternehmen, die die gemeinwohlorientierte Leistung als Bereitsteller erbringen (z. B. Strom-Gas-Wärmelieferung); Koordinationseinrichtungen (z. B. Plattformen für intermodalen Verkehr, Clearingstellen etc.); Nutzer_innen der Energie, Mobilitäts-, Logistik-, Informations-, Kommunikations-, Ver- und Entsorgungs-Dienstleistungen. Weitere Stakeholder mit Einfluss auf die Ausgestaltung der gemeinwohlorientierten Leistung sind: (öffentliche und private) Finanzierungseinrichtungen, Unternehmen als Technologiebereitsteller sowie Forschungs- und Qualifizierungseinrichtungen. Abgesehen davon sind öffentliche (politisch-administrative) Einrichtungen (einschließlich der Regulierungsbehörden) Akteure, die Rahmenbedingungen definieren.

22.4.1 Öffentliche Hand

Rolle von Bund, Ländern und Gemeinden

In Österreich könnte die öffentliche Hand als Mehrheitseigentümer zentraler Infrastrukturbereitsteller eine gestalterische Rolle spielen. So sind ASFINAG und ÖBB Infrastruktur AG mit je 100 Prozent direkt im Eigentum des Staates und die Austrian Power Grid AG (APG – Netzbetreiber des Hochspannungsnetzes) ist eine100-Prozent-Tochter der Verbund AG, die wiederum mit 81 Prozent Beteiligung von Bund und Landesenergieversorgern ebenfalls staatlich dominiert wird. Die Gestaltungsmöglichkeiten für die Anpassung bzw. Ausrichtung an klimapolitischen Zielsetzungen in den Bereichen Energie und Verkehr sind dementsprechend und aufgrund der Gemeinwohlverpflichtung der öffentlichen Verwaltung und der Unternehmen der Daseinsvorsorge grundsätzlich gegeben.

Im Bereich der Telekommunikationsinfrastruktur verfügt der Bund durch seine Beteiligung am größten Akteur, der A1 Telekom Austria AG (51 Prozent ausländischer Konzern, 28 Prozent ÖBAG, 21 Prozent Streubesitz) nur eine Sperrminorität und damit über keine formalen Gestaltungsmöglichkeiten aufgrund der Eigentümerrolle. Gestaltungsmöglichkeiten ergeben sich für die öffentliche Hand durch die Möglichkeit, Auflagen zur Erbringung von Universaldiensten (z. B. Grundversorgung mit Telefon, Internet) durch die Unternehmen zu erteilen.

Im europäischen Vergleich findet man in Österreich in den meisten Infrastrukturnetzen eine dezentrale Eigentümerstruktur, bei der die Infrastrukturbetreiber großteils von öffentlichen Gebietskörperschaften zumindest als Miteigentümer kontrolliert werden. Die Rechtsform hat sich in einigen Infrastrukturnetzen in den letzten Jahren nur vereinzelt geändert, beispielsweise in Form von Ausgliederungen durch Eigengesellschaften. Die Telekommunikationsinfrastrukturnetze sind im Unterschied privatwirtschaftlich dominiert.

Rolle der EU

Die politischen Rahmensetzungen und der Ordnungsrahmen von netzgebundenen Infrastruktursystemen ändern sich zunehmend durch vermehrte Weisungen von internationaler, insbesondere europäischer Ebene (z. B. im Bereich der Trinkwasserversorgung durch neue Richtlinien, die in nationales Recht umgesetzt werden müssen). Von diesen Veränderungen sind insbesondere kommunale Gebietskörperschaften betroffen, da sie traditionell im Rahmen ihrer Selbstverwaltung die öffentliche Versorgung sicherstellen.

Die Rolle der Regulierungsbehörden

Von den Marktteilnehmern unabhängige Regulierungsbehörden sind für die Umsetzung der gesetzlichen Spielregeln und Einhaltung der institutionellen Rahmenbedingungen verantwortlich. Die Unabhängigkeit der Regulierungsbehörden trug in ihrer Rolle als Wettbewerbshüter dazu bei, dass mächtige Monopolisten kontrolliert werden konnten. Doch im neuen Kontext der Transformation macht es diese Unabhängigkeit schwierig, eine Balance zwischen den Interessen der Konsument_innen, anderer Marktteilnehmer und Stakeholder aufrechtzuerhalten, während zusätzliche Aufgaben zur Erreichung klimapolitischer Zielsetzungen auf die Regulierungsbehörden zukommen (Bolton & Foxon, 2015).

22.4.2 Akteure in den jeweiligen Infrastruktursystemen – etablierte und neue Akteure

In der wissenschaftlichen Literatur gehen viele davon aus, dass es zu wesentlichen Anpassungen der Infrastruktursysteme aufgrund der Notwendigkeit der Dekarbonisierung und der technologischen Entwicklungen der Digitalisierung kommen wird und dass damit verbunden Änderungen in den Akteurslandschaften der Infrastruktursysteme einhergehen (Berggren et al., 2015; Geels, 2014). Im Folgenden werden die Akteurslandschaften für Energie, Verkehr, IKT und Wasser skizziert.

Energie

Die Akteurslandschaft im Bereich des Betriebs der Energienetze bei Strom und Gas ist geprägt durch die Trennung des monopolistischen Netzbetriebs von Erzeugung und Vertrieb. Aufgrund der Liberalisierung der gemeinwohlorientierten Leistungen wurde der Betrieb der Energienetze rechtlich von den Energiedienstleistungen entflochten. Die 122 Stromverteilernetzbetreiber und 21 Gasverteilernetzbetreiber sind in der Regel privatwirtschaftlich organisierte Unternehmen mit Aufgaben des Netzbetriebs, der Netzplanung und des Netzausbaus.

Kleinere Stadtwerke haben eine im europäischen Recht vorgesehene Sonderstellung, wodurch sie von der rechtlichen Entflechtung von Netzbetrieb von Erzeugung und Lieferung ausgenommen sind. Besonders dezentral strukturiert ist die Steiermark; hier gibt es auch einige kleine private regionale Stromversorger mit eigenem Netzbetrieb. Fern- und Nahwärmeinfrastruktursysteme sind von der Trennung des monopolistischen Netzbetriebs von Erzeugung und Vertrieb nicht betroffen. Mit einer Länge von über 5600 Kilometern werden in Österreich Fernwärmenetze von Stadtwerken und vielen anderen Betreibern in Österreich betrieben (Büchele et al., 2021).

Die Kontrolle im Bereich Strom- und Gas wird durch die Regulierungsbehörde E-Control erfüllt, deren Aufgabe es ist, den Wettbewerb zu stärken. Seit Juli 2021 hat die E-Control auch den gesetzlichen Auftrag, zur raschen Verwirklichung der Transformation des Energiesystems beizutragen (E-Control-Gesetz § 4.5).

Verkehr

Die Straßen- und Schieneninfrastruktur wird von Bund, Ländern und Gemeinden von der öffentlichen Verwaltung oder durch ausgelagerte Unternehmen (ASFINAG, ÖBB-Infrastruktur AG, Wiener Stadtwerke etc.) betrieben.

Auch der Betrieb der Schienennetze wurde aufgrund der Marktliberalisierung rechtlich von den Beförderungsdiensten entflochten. Mit Ende 2020 sind 77 Eisenbahnunternehmen in Österreich zugelassen, die das ÖBB-Netz nutzen. Davon sind 33 private Eisenbahnunternehmen. 59 Unternehmen haben die Berechtigung, im ÖBB-Netz Züge zu führen (Jahresbericht der Schienen-Control GmbH für 2020, 2021).

Die Regulierungsbehörde Schienen-Control GmbH ist für die Wettbewerbsregulierung zuständig.

Information und Kommunikation

Die österreichische Telekommunikationslandschaft besteht aus drei Mobiltelefonnetzbetreibern (A1 Telekom Austria AG, Hutchison Drei Austria GmbH, T-Mobile Austria GmbH) und einer Vielzahl von kleineren Mobilfunkanbietern (RTR, 2021a). Die großen Anbieter sind zu unterschiedlichen Anteilen in der Hand ausländischer Investoren. Im Bereich Breitbandinternet haben sieben Anbieter ca. drei Viertel der Marktanteile (A1 Telekom Austria AG, Salzburg AG, Wien Energie, Innsbrucker Kommunalbetriebe AG, Energie AG und nöGIG); der Rest der über 200 kleineren Netzanbieter verteilt sich über einzelne Regionen (RTR, 2021b).

Zur politischen Kontrolle existieren unterschiedliche regulatorische Institutionen, die Steuerungsmechanismen für den Aus- und Umbau sowie den Betrieb von Telekommunikationsnetzen bereitstellen, insbesondere über die österreichischen Regulierungsbehörden Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR) und die Telekom-Control-Kommission (TKK).

Als neue Akteure digitaler Infrastrukturen setzen sich auch zunehmend Online-Plattformen als Teil der Infrastruktursysteme durch, da sie die gleichen Netzwerk-, Skalen- und Lock-in-Effekte wie „traditionelle“ netzgebundene Infrastrukturen aufweisen und von ihnen profitieren (Krisch & Plank, 2018). Ausgehend vom ursprünglichen Gedanken der Sharing Economy (Botsman & Rogers, 2010) wird in der Literatur zunehmend die Kritik an neuen Monopolisierungstendenzen laut. Forderungen nach Sicherstellung des öffentlichen Interesses werden gestellt (Frenken et al., 2020). Der Einfluss großer internationaler Konzerne, die intermediäre Plattformen (z. B. im Verkehr durch Uber) betreiben, ist auch bei physischen IKT-Infrastrukturen (z. B. Speicherfarmen für Cloud Services durch Amazon, Unterwasserdatenkabel durch Facebook oder Google) nachweisbar (Brake, 2019). Die öffentliche Hand nimmt hier zunehmend ihre Verantwortung und ihre Handlungsmöglichkeiten durch lokal verankerte Plattformalternativen wahr (z. B. Wiener Mobilitäts-App Wien Mobil) (Krisch & Plank, 2021).

Wasser und Abwasser

Insgesamt ist die Wasserwirtschaft (Wasserversorgung und Abwasserentsorgung) in Österreich durch einige wenige große Landes- bzw. städtische Versorger und viele kleine kommunale Anlagen gekennzeichnet. Die Branchenstruktur in der Siedlungswasserwirtschaft in Österreich ist sehr kleinteilig, da durch die hohe Anzahl an Streusiedlungen ein großer Anteil an Klein- und Kleinstversorgern vor allem in ländlich-peripheren Regionen besteht. Die Zahl der Wasserversorger wird in Österreich auf rund 5500 geschätzt, davon sind ca. 165 regionale Abwasserverbände, 1900 kommunale Anlagen und ca. 3400 Wassergenossenschaften (Getzner et al., 2018).

Die Gesetzgebungskompetenz und der Vollzug liegen größtenteils bei den neun Bundesländern, insbesondere in Bezug auf Investitionen, Abgaben und Zuschüsse. Dementsprechend ergeben sich aus dem föderalen System Österreichs sehr unterschiedliche Regelungen und Rechtslagen. Die Aufsicht über die Gewässer und die dazugehörigen Anlagen ist auf Landesebene bei den Landeshauptleuten bzw. den Bezirksverwaltungsbehörden angesiedelt. Das Wasserrechtsgesetz ermöglicht es den Landesgesetzgebern, einen Anschlusszwang an das öffentliche Versorgungssystem vorzusehen. In den Landesgesetzen ist außerdem die Anschluss- und Benützungspflicht geregelt.

Die Organisation der Siedlungswasserwirtschaft wird auf kommunaler Ebene geregelt, wobei die Durchführung von Wasserversorgung und Abwasserentsorgung durch Unternehmen, Regiebetriebe (als Teil der kommunalen Verwaltung), Verbände (im Sinne einer gemeinsamen Besorgung der Aufgaben durch kooperierende Gemeinden) oder Genossenschaften stattfindet. Die kommunale Ebene ist verantwortlich für die Festlegung und Einhebung der Tarife und Investitionen. Die Durchführung der Versorgungsleistung kann von einem von der Gemeinde betriebenen wirtschaftlichen Unternehmen organisiert werden (z. B. Stadtwerke).

Die in Kap. 6 zur integrierten Betrachtung von Infrastruktursystemen bereits angesprochenen notwendigen Synergien zwischen unterschiedlichen Infrastrukturnetzen sind auch in der verstärkten interkommunalen Kooperation für Infrastruktursysteme relevant. Beispielsweise nehmen im Bereich der Wasserinfrastrukturen Regionalverbände (z. B. im Hochwasserschutz) als Instrumente der interkommunalen Zusammenarbeit an Bedeutung zu, um die Funktionsfähigkeit und Resilienz der Infrastrukturnetze auch in Zukunft zu gewährleisten (Hogl, 2015).

Auch Stadtwerke können diese Funktion verstärkt wahrnehmen, da sie prädestiniert scheinen, um die Aufgabe der Kopplung unterschiedlicher stadttechnischer Infrastrukturbereiche zu organisieren. Stadtwerke sind in der Lage, erhebliche Synergieeffekte zu erschließen, indem sie einerseits die Vorteile der Kund_innennähe und andererseits die Kenntnisse der Betriebsstrukturen der Verteilernetze über verschiedene Infrastrukturbereiche hinweg vereinen. Darüber hinaus sind sie mit den kommunalen Verwaltungsstrukturen gut vernetzt, von Stadtplanung über Hoch- und Tiefbau bis zu Bauämtern. Die Vorteile, die durch die Koordinationswirkung von Stadtwerken entstehen, reichen von der Steigerung der regionalen Wertschöpfung durch den Verbleib von Arbeits- und Kapitaleinkommen in der Region bzw. Stadt über ihren positiven Beitrag zu den kommunalen Finanzen bis hin zu ihrem Einfluss auf lokale Gestaltungspläne von netzgebundenen Infrastrukturen, die sie unmittelbar mit der Ausrichtung an klima- und umweltpolitischen Zielen verknüpfen können (Tietz & Hühner, 2011). Dieses Argument schließt auch an alltagsökonomische Überlegungen an, wo lokale Ankerinstitutionen den Wandel hin zu lokalen Wirtschaftskreisläufen aktiv steuern und damit zur Transformation verschiedener Systeme beitragen können (Foundational Economy Collective, 2019).

Als neuere Akteur_innen bei netzgebundenen Infrastrukturen werden in der Literatur Bürger_innengruppen bzw. generell die Bevölkerung bzw. betroffene Personengruppen genannt. So wird Bürger_innengruppen eine aktive Rolle bei kritischen Infrastrukturen im Risikomanagement in sämtlichen Phasen von Prävention über Katastrophenmanagement bis zum Wiederaufbau zugeschrieben, da den betroffenen Personengruppen ein agileres Tätigwerden in Dauer und Umfang insbesondere durch selbstorganisierte Gruppen attestiert wird, als dies der öffentlichen Hand möglich ist. Durch die Bottom-up-Strategien der Integration von direkt betroffenen Personengruppen kann der bürokratische Aufwand der öffentlichen Hand reduziert bzw. umgangen und so ein hoher Grad an unmittelbarer Zielerreichung geschaffen werden. Kritisch ist in diesem Zusammenhang allerdings auf den begrenzten Zeitraum des bürgerschaftlichen Engagements hinzuweisen, der üblicherweise keine beständigen Strukturen schaffen kann. Außerdem besteht das Risiko, dass parallele politische Strukturen entstehen, die nicht oder nur unzureichend demokratisch legitimiert sind (Thaler et al., 2015).

Insgesamt plädieren relevante Autor_innen für die Notwendigkeit einer Mischung aus zentralisierten und dezentralisierten Akteursstrukturen sowie formellen und informellen Governance-Ansätzen, die bei der Transformation von netzgebundenen Infrastrukturen hin zu einem klimafreundlichen Leben notwendig sind. Damit könne auf die unterschiedlichen Transformationsphasen der Systeme eingegangen werden, da informelle Governance-Ansätze besonders in frühen Phasen von Transformationsprozessen (z. B. in der Anpassungs- und Übergangsphase) effektiv einsetzbar sind, während formelle und zentralisierte Ansätze in späteren Phasen der Transformation wirksamer werden (Rijke et al., 2013). Dies ermöglicht, entweder Infrastruktursysteme in verschiedenen hierarchischen Ordnungsstufen integriert zu betrachten (z. B. Abhängigkeiten zwischen Bahn und Energieversorgung) oder aber hierarchiefrei zu konzipieren (z. B. bei „distributed systems“, wo dezentrale Mechanismen und Koordination eine zentrale Steuerung ersetzt) (Engels et al., 2021).

22.5 Handlungsmöglichkeiten und Gestaltungsoptionen

22.5.1 Investitionen in Infrastrukturen

Investition in und Finanzierung von Neubau oder Umbau von Netzinfrastrukturen oder deren Stilllegung kann ein großer Hebel sein, um klimafreundliches Leben zu befördern. Diese finanzierten Maßnahmen (z. B. ein sehr gutes Fahrradnetz plus einer Bevorrangung von Fahrradfahrer_innen) ermöglichen Menschen unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen und Regionen auf klimafreundliche Mobilitäts- und Energiedienstleistungen etc. umzusteigen.

Da die Eigentümerschaft in Österreich sehr stark in öffentlicher Hand ist, stellt sich die Frage der Finanzierbarkeit als Teil der privatwirtschaftlichen Tätigkeiten des Staates. Der Ausbau der Verkehrsinfrastruktur, der Energienetze und sonstiger Infrastrukturen der Daseinsvorsorge hängt eng mit politischen Entscheidungsprozessen und der Möglichkeit der EU-konformen Mittelaufbringung zusammen. Damit verbunden ist auch die Finanzierung durch den Finanzsektor, wie Public-Privat-Partnerships und Beteiligungen von Investoren mit langfristigen Veranlagungsstrategien (z. B. Pensionsfonds), aber auch von Investor_innen mit kurzfristigen bis spekulativen Interessen. Im Bereich der Kommunikationsinfrastruktur für Breitbanddienste und Mobiltelefonie sind die Investitionsentscheidungen außer im Wege von Subventionierung (z. B. Breitbandinternet im ländlichen Raum) im Wesentlichen vom Willen der privaten Eigentümerschaft abhängig. Letztendlich ist die öffentliche Hand aber immer ein zentraler Akteur, um die Netzinfrastrukturen zu gestalten, wenn auch in unterschiedlichen Funktionen.

22.5.2 Regulatorische Maßnahmen

In der Funktion als Gesetzgeber können rahmensetzende Maßnahmen beschlossen werden, wie beispielsweise Bedingungen bei Lizenzvergaben, Baugenehmigungen, Geschwindigkeitsbeschränkungen, steuerliche Maßnahmen, um die Nutzung zu steuern.

2021 wurde beispielsweise der Mobilitätsmasterplan 2030 als wirkungsorientierte Strategie für Luft-, Wasser-, Schienen- und Straßenverkehr veröffentlicht, der für eine klimafreundliche Verkehrswende verkehrsvermeidende Siedlungsstrukturen vorschlägt und eine weitere Zersiedlung mit induzierten Mobilitätszwängen vermeiden will (Banko et al., 2022).

Weiters können Veränderungen in den Zielsetzungen und Aufgaben von staatlichen Agenturen zusätzlichen Spielraum schaffen, um die Netzinfrastrukturen auch im Sinne klimafreundlichen Lebens zu gestalten.

Banko et al. (2022) weisen darauf hin, dass bei der Bewertung der Treibhausgasemissionen der Infrastrukturvorhaben unbedingt neben den direkten Emissionen auch die Lebenszyklusemissionen (inklusive Bauphase, Betriebsphase und Entsorgung) Berücksichtigung finden müssen, um die Klimawirkung von Infrastrukturnetzen umfassend beurteilen zu können. Banko et al. (2022) empfehlen die Orientierung an der Commission Notice „Technical guidance on the climate proofing of infrastructure in the period 2021–2027“ (European Commission, 2021), welche eine derartige Vorgehensweise für die Beurteilung von langlebigen Infrastrukturvorhaben beschreibt.

22.5.3 Innovationsorientierte Maßnahmen

In der Literatur wird auf verschiedene Ansätze verwiesen (z. B. Social-Technical Transitions, Social-Ecological Systems, Transitionsmanagement), die die Rolle von Innovation für den fundamentalen Wandel komplexer Systeme wie netzgebundener Infrastrukturen hin zu einem klimafreundlichen Leben analysieren (Markard et al., 2012; Tödtling et al., 2021). Sie bilden wesentliche rationale Legitimationsargumente für innovationsorientierte Maßnahmen, um die Transformation von soziotechnischen Infrastrukturen zu befördern.

Die Handlungsfelder für nachhaltigkeits- und innovationsorientierte Infrastrukturpolitik finden sich u. a. in folgenden Bereichen:

  • Beschleunigung der Mobilitätswende von Personen und der Verkehrswende für Güter (z. B. E-Mobilität, Co-Modalität, Smart Cities, bidirektionales Laden, Regelungsalgorithmen für systemdienliche Ladestrategien etc.)

  • Transition der Energiesysteme (z. B. Smart Grids, energieproduzierende Gebäude, Smart Cities, alternative Antriebsysteme für E-Mobilität, erneuerbare Energien, individuelle und automatisierte Strategien für die Teilnahme an den Energiemärkten (Schitter, 2020)).

  • Verbesserungen im Abfall- und Ressourcenmanagement (z. B. Online-Messmethoden, innovative Aufbereitungsmaßnahmen zur Reinigung etc.)

Besonders geeignet scheinen Maßnahmen, die über etablierte Modelle der Forschung-, Technologie- und Innovationsförderung hinausgehen. Vorgeschlagen wird beispielsweise innovationsorientierte öffentliche Beschaffung (Edquist et al., 2018). So empfiehlt auch die Europäische Kommission, in der öffentlichen Beschaffung Spezifikationen auch als Funktions- und Leistungsvereinbarungen zu formulieren, mit dem expliziten Ziel, Innovationen zu ermöglichen (Edquist & Zabala-Iturriagagoitia, 2021).

In Hinblick auf den rechtlichen Regulierungsrahmen, aber auch auf finanzielle Anreizsysteme sind derzeit noch viele Fragen offen, weshalb einige Autor_innen Demonstrationsprojekte als Experimentierräume für neue Infrastrukturlösungen vorschlagen (Libbe & Nickel, 2016). International intensiv diskutierte Instrumente stehen im Zusammenhang mit dem Ansatz des regulatorischen Experimentierens (Veseli et al., 2021). Seit dem Beschluss des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzespakets ist regulatorisches Experimentieren in Form von durch die E-Control genehmigten Ausnahmen in sogenannten Regulatory Sandboxes möglich (Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzespaket – EAG-Paket, 2021).

Kropp et al. (2021) halten es für wichtig, über technikzentrierte Lösungen hinausgehend integrative Ansätze zu fördern, um Wege hin zur Klimaneutralität zu eröffnen. Hier spielen insbesondere soziokulturelle Innovationen eine große Rolle, um die technischen Perspektiven mit den sozialen Bedingungen und ihrem architektonischen und infrastrukturellen Erbe zu verbinden.

22.5.4 Planerische Maßnahmen

Transformation der netzgebundenen Infrastruktur erfordert einen Wandel der Planungskultur (Frantzeskaki & Loorbach, 2010). Dafür muss Wissen über die vielfältigen Interdependenzen von netzgebundenen Infrastruktursystemen Eingang in die Planung finden (Krisch & Suitner, 2020), wie auch Kropp (2018) betont: „Ein zielgerichteter Transformationsprozess ist also herausgefordert, die vielseitig stabilisierten Selbstverständlichkeiten in den unterschiedlichsten Medien, von der Technik über die Betriebsorganisation bis hin zu den Versorgungsleitbildern, zu rekonfigurieren.“ (Kropp, 2018, S. 185) Næss (2016) verweist ebenso auf die Bedeutung des Wissens darüber, wie und warum die gebaute städtische Umwelt das menschliche Handeln und das soziale Leben beeinflusst, und eines angemessenen Verständnisses der kausalen Natur solcher Einflüsse als Voraussetzung, um nachhaltige Strategien in der räumlichen Planung entwickeln zu können. Transitionsmanagement ist beispielsweise in den Niederlanden ein bereits gut erprobter Ansatz für eine neue Planungskultur zur Entwicklung von Infrastruktursystemen (Frantzeskaki & Loorbach, 2010).

Horizontale und vertikale Mehrebenen-Governance-Mechanismen helfen dabei, Strategie- und Planungsprozesse sowie Instrumente an einem klimafreundlichen Leben auszurichten und sektorale sowie räumliche Schnittmengen zu nutzen (Markard et al., 2020; Thaler et al., 2021). Nicht nur klassische Planungsinstrumente wie Flächenwidmungs- und Bebauungsplanung müssen Strukturen für ein klimafreundliches Leben schaffen, sondern auch die Unsicherheitsbetrachtung muss zum Standardwerkzeug der Planer_innen werden, um mit Komplexität besser umgehen zu können. Hier schlagen einige Autor_innen einen Paradigmenwechsel vor, der eine Abkehr von garantierter Bedarfsdeckung und ökonomischer Effizienz hin zu einer multiperspektivischen Nebenfolgensensitivität einleitet, beispielsweise im Sinne einer erweiterten Umwelt-, Sozial- und Klimaverträglichkeitsprüfung (Kropp, 2018). Auf übergeordneter Planungsebene fordern einige Autor_innen die Einbeziehung zusätzlicher Kriterien zur Beurteilung von Ausbaumaßnahmen bei Infrastrukturnetzen, wie beispielsweise induzierte Effekte, die schon bei der Trassenplanung bzw. der Alternativenprüfung von Bauvorhaben einbezogen werden sollen (Banko et al., 2022). Auf lokaler Ebene verweisen einige Autor_innen auf die optimierte Siedlungsstrukturanalyse (Simperler et al., 2018), die Informationen zur optimalen Einbindung dezentraler Infrastruktursysteme (z. B. Entwässerungssysteme) in Abhängigkeit von räumlichen Strukturtypen liefert (Back et al., 2019).

Eine integrierte Planungskultur über unterschiedliche räumliche, administrative und sektorale Ebenen ist ebenfalls ein essenzieller Bestandteil, um netzgebundene Infrastruktursysteme klimafreundlich zu gestalten und Schnittmengen zu nutzen (z. B. Verbindung von Mobilitätshubs mit anderen sozialen Daseinsvorsorgebereichen oder der Beitrag von Wasserinfrastrukturen zur Energiewende (Libbe & Nickel, 2016)). Auch im Zusammenhang mit der Digitalisierung werden nur dann Effektivitätssteigerungen erwartet, wenn in der Umsetzung ein inter- und transdisziplinäres Verständnis etabliert und siloartige Organisationsformen überwunden werden (Giffinger et al., 2021). Die Sektorenkopplung ist ebenso eine wichtige Integrationsschnittstelle unterschiedlicher Infrastruktursysteme. Die Befürworter_innen dieses Ansatzes diskutieren die Sektorenkopplung nicht nur im Zusammenhang mit ihrem Potenzial zur Steigerung der Ressourceneffizienz, sondern sind sich einig, dass sie eine wesentliche Voraussetzung zur Verringerung der Treibhausgasemissionen und zur Verlangsamung des Klimawandels ist (Büscher et al., 2020).

22.5.5 Gesellschaftliche Reflexion und Neuausrichtung der Infrastrukturpolitik

Soziales Lernen, das durch Realexperimente gefördert wird, ist neben anderen Faktoren von großer Bedeutung für die Überwindung der Beharrungskräfte und Widerständigkeit von Infrastruktursystemen (Kropp, 2018) und die Umstrukturierung der derzeitigen soziotechnischen Systeme, da das Verständnis für die Systembedingungen sowie die sozialen, ökologischen und ökonomischen Zusammenhänge von Infrastruktursystemen durch die Einbindung in einen kollektiven Lernprozess gemeinsam entwickelt wird (Kropp, 2017). Soziales Lernen trägt potenziell zur Veränderung von Normen, Werten, Zielen, operativen Verfahren und Akteur_innen bei, die für Entscheidungsprozesse und Maßnahmen zur Umsetzung von Nachhaltigkeitsideen in die Praxis erforderlich sind. Das Experimentieren wird als wichtiges Instrument zur Unterstützung des Übergangs zur Nachhaltigkeit angesehen, da es einen Ort für umfassende Lernerfahrungen bietet (Groß et al., 2005). Hier orten viele Autor_innen Aufholbedarf, da es beispielsweise im Wassersektor bisher fast ausschließlich eine Konzentration auf technische Experimente gab, während der Bedeutung von Governance-Experimenten für das soziale Lernen nur wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde (Bos & Brown, 2012).

Es bedarf neuer Kooperationsformen zwischen Ver- und Entsorgungsträgern mit den Bürger_innen, wobei der Gemeinde die kommunale Daseinsvorsorge und somit die Koordination des Transformationsprozesses im Sinne der Gemeinwohlinteressen obliegt (Libbe & Nickel, 2016). Die Herausforderung besteht darin, passgenaue Angebote zu entwickeln, die auch unter Berücksichtigung des Klimaschutzes spezifische Infrastrukturbedürfnisse (z. B. Mobilitätsbedürfnis) der Bevölkerung einbeziehen. Diese Angebote gemeinsam mit den Akteur_innen und den verschiedenen Zielgruppen vor Ort zu erarbeiten, ist die Grundlage zur mittelfristigen Entwicklung klimaneutraler Infrastrukturnetze, die von den Bürger_innen mitgetragen werden (Kropp, 2018).

In der Literatur wird auch auf das Konfliktpotenzial von Beteiligungsprozessen hingewiesen, das sich beispielsweise bei der Auswahl des Designs von Maßnahmen für die Transformation von Infrastrukturnetzen ergeben kann (Kropp, 2018). Böschen et al. (2015) stellen vielfältige Deutungs-, Legitimations-, Mittel- und Identitätskonflikte fest, die insbesondere fehlende politische Gestaltungskraft und Kompetenzen im Umgang mit komplexen Systemen, aber auch unklare Anreizsysteme und die Gefahr der Verstetigung von Umweltproblemen mit der Transformation von Infrastruktursystemen offenlegen.

Kropp (2017) unterscheidet hier zunächst nach politischer und sozialer Partizipation, wobei erstere auf die Beeinflussung des politischen Systems abzielt, während letztere eher generell gesellschaftliche Handlungsräume und die darin agierenden Organisationen beeinflussen will. Beispielsweise kann dies die Bildung von Interessengruppen bei Infrastrukturbauten, das Sammeln von Spenden, die Beteiligung an Ko-Produktionsprozessen (z. B. Energie- oder Car-Sharing-Genossenschaften), individuelle Nutzungsanpassungen durch Nachfrage nach „grünem Strom“ oder Aufbau und Betrieb von Infrastrukturen im Zuge einer Quartiersentwicklung (z. B. TransformTernitz (Klima- und Energiefonds, 2022)) sein. Kropp (2017) unterscheidet weiter zwischen formeller und informeller Beteiligung an Infrastrukturprojekten. Informelle Beteiligungsprozesse sind niederschwellig und damit leichter zugänglich, aber in der Praxis oft von offiziellen Entscheidungsprozessen abgekoppelt.

Generell lässt sich feststellen, dass in der Literatur Bürger_inenbeteiligung in der Infrastrukturentwicklung kontrovers diskutiert wird. Die Rolle von Bürger_innen schwankt zwischen einem Ausloten akzeptabler Varianten (wann, wie und wo Infrastrukturentwicklung passieren soll) und der Einbindung in die Planung und Entwicklung zukünftiger Infrastruktursysteme (ob, wie und warum Infrastrukturentwicklung passieren soll). Um einer Bürger_innenbeteiligung als postdemokratischer Simulation entgegenzuwirken, schlagen einige Autor_innen vor, dass Zivilgesellschaft als vierte Stimme neben Wirtschaft, Wissenschaft und Politik schon bei der Problemdefinition gleichberechtigt eingebunden werden soll, um eine Diskussion der Auswahl und Entwicklung zukünftiger Infrastruktursysteme als Ko-Produktionsprozess ernst zu nehmen (z. B. in Form von Stadtteilkraftwerken im Gemeinschaftseigentum der lokalen Nutzer_innengemeinschaft oder transnationaler Städtenetzwerke zur Erhöhung der Resilienz) (Kropp, 2017). Auch „Zukunftskammern“ als langzeitorientierte Beteiligungsinstitution oder „materielle Partizipation“ zur Sichtbarmachung von (Nicht-)Nutzung von Versorgungsangeboten (z. B. eingesparte CO2-Emissionen oder verringerte Pro-Kopf-Wasserverbräuche) können als kollektives Infrastrukturhandeln Bedeutung erlangen (Kropp, 2017). Einig ist sich die Fachliteratur dahingehend, dass eine frühzeitige Einbindung von Nutzer_innen, bevor Entscheidungen getroffen werden, erforderlich ist. Einige Autor_innen weisen darauf hin, dass die Art der Beteiligung an relativ enge rechtliche und verfahrensseitige Vorgaben geknüpft ist (Grünwald et al., 2015).

Infrastruktur ist übergreifend und interkommunal zu denken, denn die Infrastrukturnetze enden nicht an den Landes-, Stadt- oder Gemeindegrenzen. Infrastruktursysteme sind als verzahnte und integrierte Systeme mit dem Umfeld zu betrachten. Die Teilhabe von verschiedenen Akteur_innen, insbesondere der Verbraucher_innen, mit lebensweltlichen und alltäglichen Praktiken und Wissen wird als zentrale Ressource zur Entwicklung eines bedürfnisgerechten Leistungsangebots eingeschätzt (Knothe, 2008). Neue demokratische Instrumente, wie Bürger_innenforen oder -versammlungen, können dabei helfen, die Wertvorstellungen und -zuschreibungen der Bürger_innen zur Transformation netzgebundener Infrastruktursysteme zu ermitteln (Bärnthaler et al., 2021). Experimente und neue Formen der Beteiligung von Nutzer_innen in einer aktiven Rolle (z. B. als Prosumer im Lastmanagement in Energienetzen, als Betreiber_innen von Mikronetzen) weisen ein breites Spektrum an noch wenig erforschten Spielräumen institutioneller Dynamiken auf. Diese sind Ausdruck des Versuchs, unterschiedliche normative Orientierungen miteinander zu vereinbaren und auszubalancieren. Dabei sind sie mit Kompromissen und Risiken konfrontiert, z. B. damit, dass große Hoffnungen und Versprechen nicht erfüllt werden. Es ist ein Prozess mit offenem Ausgang, der verschiedene Akteur_innen anzieht, die unterschiedliche Aktivitäten entfalten, unterschiedliche normative Ausrichtungen verfolgen und unterschiedliche Rollen einnehmen (Wittmayer et al., 2021).