FormalPara Koordinierende_r Leitautor_in

Karin Fischer

FormalPara Leitautor_innen

Julia Eder und Anke Schaffartzik

FormalPara Koordination der Strukturkapitel

Michael Ornetzeder

FormalPara Revieweditor

Matthias Schmelzer

FormalPara Zitierhinweis

Fischer, K., J. Eder und A. Schaffartzik (2023): Globalisierung: Globale Warenketten und Arbeitsteilung. In: APCC Special Report: Strukturen für ein klimafreundliches Leben (APCC SR Klimafreundliches Leben) [Görg, C., V. Madner, A. Muhar, A. Novy, A. Posch, K. W. Steininger und E. Aigner (Hrsg.)]. Springer Spektrum: Berlin/Heidelberg.

FormalPara Kernaussagen des Kapitels

Status quo

  • Durch räumlich fragmentierte Produktionsprozesse werden für die österreichischen Importe an Gütern und Dienstleistungen, sei es für die Weiterverarbeitung in der heimischen Produktion oder für den Endkonsum, außerhalb Österreichs Treibhausgase emittiert und Umweltschäden verursacht, die auch als österreichischer Anteil an der Klimakrise interpretiert werden können. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Auf europäischer Ebene gibt es im Rahmen des European Green Deal zwar verschiedene Initiativen, die direkte und indirekte Effekte auf die Struktur und Organisation globaler Warenketten haben. Die Umgestaltung von globalen Warenketten nach ökologischen Gesichtspunkten ist dabei aber kein explizites Ziel. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • EU-weite Strategien des European Green Deal im Bereich Kreislaufwirtschaft und Bioökonomie befinden sich in Österreich im Projektstadium. Österreichische Unternehmen beteiligen sich an industriepolitischen EU-Initiativen für eine klimafreundliche Produktion und erhalten industriepolitische Unterstützung auf nationaler Ebene. Die nationale Industriepolitik ist allerdings klimapolitisch weniger ambitioniert als jene auf EU-Ebene. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

Notwendige Veränderungen

  • Um die Klimaziele zu erreichen, sind absolute Reduktionen im österreichischen Konsum inklusive der für seine Befriedigung erforderlichen Vorleistungen notwendig. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Der klimafreundliche Umbau von globalen Warenketten verlangt nach sektorweiten und sektorübergreifenden Maßnahmen, die in eine umfassende Industriestrategie integriert werden. Dazu, wie der Umbau gestaltet werden kann, braucht es weitere Forschung. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

Akteur_innen und Strukturen

  • An der Gestaltung globaler Warenketten wirken unterschiedliche Akteur_innen mit ungleicher Machtausstattung mit. Sie sind durch widersprüchliche Interessen gekennzeichnet und in sich nicht homogen. Das trifft auf die involvierten Ministerien, Interessenverbände und die Unternehmen zu. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

  • Die österreichische Politik setzt die auf internationaler und europäischer Ebene vereinbarten Maßnahmen langsam und eher zögerlich um. (hohe Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Der österreichische Unternehmenssektor inklusive seiner Interessenverbände reagiert auf die auf europäischer Ebene getroffenen Anreizstrukturen für klimafreundliche Produktion eher zurückhaltend. (hohe Übereinstimmung, schwache Literaturbasis)

Gestaltungsoptionen

  • Individuelle Lebensstilveränderungen reichen nicht aus, um die negativen Konsequenzen globaler Warenketten im erforderlichen Ausmaß zu reduzieren. (mittlere Übereinstimmung, mittlere Literaturbasis)

  • Die Bepreisung von Kohlenstoff zur Verminderung von Treibhausgasemissionen in Gestalt von Emissionshandelssystemen und CO2-Steuer-Modellen können Warenketten emissionsärmer machen. Weltweit einheitliche Maßnahmen schaffen die Voraussetzung, unfaire Wettbewerbsbedingungen für Unternehmen, globale Rebound-Effekte und Carbon Leakage zu vermeiden. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Lieferkettengesetze (national, EU, global), die transnational tätigen Unternehmen rechtsverbindlich ökologische Sorgfaltspflichten entlang ihrer gesamten Lieferkette auferlegen, bilden ein wirksames Instrument für die Realisierung klimapolitischer Ziele. Für umweltbezogene Sorgfaltspflichten braucht es noch die Entwicklung rechtswirksamer Instrumente und operabler Lösungen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • Zirkuläre Wirtschaftsmodelle und regionalwirtschaftliche Ansätze können die Struktur und Organisation globaler Warenketten verändern. Für einen Um- und Rückbau („Rescaling“) global fragmentierter Produktion nach ökologischen Kriterien und klimapolitischen Erfordernissen gibt es bislang für Österreich (und verbundene Standorte) keine konkreten Vorschläge. Dafür braucht es weitere Forschung. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

  • In der Auseinandersetzung mit globalen Warenketten zeigt sich, dass Reduktionen im Ressourcenverbrauch und ein Rescaling unbedingt so umzusetzen sind, dass es dabei nicht zur Verschärfung von Ungleichheiten kommt, weder auf internationaler noch auf nationaler Ebene. Ansätze für eine Ökologisierung von globalen Warenketten sind immer dahingehend zu überprüfen, ob sie dem Leitbild global kooperativer Transformation folgen. (hohe Übereinstimmung, starke Literaturbasis)

15.1 Globale Warenketten: Status quo und Dynamiken des Wandels

Produktionsketten für Güter und Dienstleistungen sind häufig international fragmentiert, sodass notwendigerweise auch die Orte der Produktion und jene des Konsums auseinanderfallen. Das heißt auch, dass die mit der Produktion von Waren und Dienstleistungen für den Konsum in einem Land bzw. für einen spezifischen Lebensstil in Verbindung stehenden Umweltauswirkungen anderswo anfallen und andere Lebensstile betreffen („environmental burden shifting“). Konsummuster und Lebensstile in reichen Ländern – wie wir arbeiten, essen, reisen, wohnen – werden erst durch globale Warenketten möglich. Für die Klimakrise ist das internationale Auseinanderklaffen von Pro-Kopf-Emissionen und von Klimawandelauswirkungen (Chancel & Piketty, 2015) besonders relevant.

Grundsätzlich sind Globalisierung, globale Warenketten und multinationale Konzerne kein neues Phänomen (Fischer, 2021). Beginnend im 16. Jahrhundert schufen die westlichen Kolonialmächte ein Netz ungleichen Austauschs. Unter Einsatz von Gewalt und Zwang degradierten sie die Kolonien zu Rohstofflieferanten und gründeten ihren wirtschaftlichen Aufstieg auf die Aneignung und Ausbeutung der „Four Cheaps“ (Moore, 2020): billige Arbeit, billige Nahrung, billige Energie und billige Rohstoffe. Doch die Ressourcenflüsse, auf denen internationale Machtverhältnisse aufbauen, sind durchaus variabel: War vormals Industrieproduktion in den Zentren selbst beheimatet, sind es heute Steuerungs- und Kontrollfunktionen in Gestalt von Unternehmensdienstleistungen sowie Patente, die die Überlegenheit zentraler Akteur_innen – Staaten und dort beheimateter Konzerne – in globalen Warenketten absichern (Fischer et al., 2021).

Ein Weltmarkt für (agro-)industrielle Massenprodukte und Dienstleistungen entstand ab den 1970er Jahren mit der Herausbildung einer neuen internationalen Arbeitsteilung. Seither werden an Standorten in sogenannten Billiglohnländern einfache und mittlerweile auch technologisch anspruchsvolle Waren für die Verbrauchermärkte im Globalen Norden gefertigt. Die Herstellung eines Endprodukts durchläuft dabei mehrere Stationen; sie wird entlang technisch und/oder funktional trennbarer Schnittstellen zerlegt und an verschiedene Standorte ausgelagert. Ein Zwischenprodukt, eine Komponente, eine Dienstleistung ist also das Vorprodukt für weitere Produktionsschritte und Dienstleistungsinputs an anderen Orten. Laut Weltbank erreicht der Anteil des Handels in globalen WarenkettenFootnote 1 am weltweiten monetären Gesamthandel gegenwärtig 50 Prozent (World Bank, 2020).

Eine Reihe von Entwicklungen haben die intensivierte Globalisierung, die wir seit den 1970er Jahren beobachten, begünstigt. Die Steuerung global fragmentierter Produktionsprozesse verlangt nach mobilen Informations- und Kommunikationstechnologien (Mikroprozessoren, Internet) sowie nach modernen Transportmöglichkeiten (Containerschifffahrt, Luftfracht), die auf der Nutzung fossiler Energie beruhen (UNEP, 2020). Mindestens genauso wichtig waren politische Veränderungen, die im Zuge der „neoliberalen Wende“ seit den 1980er Jahren vorangetrieben wurden, insbesondere die Liberalisierung des Kapital- und Zahlungsverkehrs, des Außenhandels, der Energie- und Infrastrukturmärkte sowie eine unternehmensfreundliche Steuergesetzgebung. Die Liberalisierung der Gütermärkte und des Dienstleistungshandels, die in zahlreichen multi- und bilateralen Handels- und Investitionsabkommen festgeschrieben ist, machen „verlängerte Werkbänke“ überhaupt erst profitabel [Kap. 1611].

Generell beanspruchen die Hocheinkommensländer durch ihre Handelsbilanzen mehr Ressourcen (Material, Energie, Land) und verursachen mehr Emissionen in anderen Ländern, als sie für den Weltmarkt zur Verfügung stellen bzw. innerhalb ihrer Grenzen zulassen. Anders ausgedrückt: Hocheinkommensländer sind „Externalisierungsgesellschaften“ (Lessenich, 2016), das heißt, sie lagern die ökologischen Kosten und Lasten ihrer Lebensweise in andere Länder bzw. Gesellschaften aus. Der ökologisch ungleiche Tausch ermöglicht Ländern mit hohem Einkommen, sich Ressourcen anzueignen und gleichzeitig durch internationalen Handel Profite zu erwirtschaften (Dorninger et al., 2021). Sowohl extraktive Expansion als auch Massenkonsum sind ohne ökologisch ungleichen Tausch nicht denkbar; die Ungleichheit ist Voraussetzung für das globale Wachstum in der Ressourcennutzung mit all seinen Folgen für die globale Nachhaltigkeit. Jede national gesetzte Maßnahme, die ernsthaft auf Nachhaltigkeit abzielt, muss zwangsläufig Überlegungen zu ökologisch ungleichem Tausch einbeziehen.

Forschung zeigt: Je größer das Pro-Kopf-Einkommensgefälle zwischen Import- und Exportländern, desto schadstoffintensiver sind die Wertschöpfungsexporte (Duan et al., 2021). Die Autor_innen sprechen daher von „globalen Verschmutzungsketten“ („global pollution chains“). Länder mit hohem Einkommen verlagern ihre Emissionen in Länder mit niedrigem Einkommen, indem sie die schmutzigen Produktionsstufen oder überhaupt die Produktion auslagern, während gehobene Unternehmensdienstleistungen, Forschung & Entwicklung, Design, Marketing etc. im Inland verbleiben. Eine solche Hierarchisierung von Aktivitäten kann global, aber auch auf europäischer Ebene beobachtet werden, wenn man beispielsweise an die großflächige, monokulturelle Exportlandwirtschaft in Osteuropa und im Süden Europas oder an die Auftragsfertigung in der Elektronikindustrie in Mittel- und Osteuropa denkt. Emissionen und Abfälle der Produktion fallen insbesondere in sogenannten Verschmutzungsoasen („pollution havens“) an, dort, wo die Umweltgesetzgebung weniger streng ist oder nicht konsequent umgesetzt werden kann (Birdsall & Wheeler, 1993).

Wie es auch für andere Hocheinkommensländer der Fall ist, werden für die österreichischen Importe an Gütern und Dienstleistungen in durchschnittlich ärmeren Volkswirtschaften hohe Emissionen erzeugt. Der österreichische Verbrauch verursacht global gesehen 30 Prozent mehr Ressourcenextraktion und mehr als 50 Prozent mehr Treibhausgasemissionen als in Österreich extrahiert bzw. emittiert wird. Dieser Unterschied wäre noch größer, wenn Österreich nicht als Exporteur in die globalen Warenketten eingebunden wäre: Es werden in Österreich sowohl Güter produziert (z. B. Stahl) als auch montiert (z. B. Kfz-Teile), deren CO2-Fußabdruck dann wiederum den importierenden Ländern zugerechnet wird (Eisenmenger et al., 2020) [Kap. 1].

Wie kommt es dazu, dass Produktion dort intensiviert wird, wo sie auch mit höheren Umweltauswirkungen verbunden ist? Neben Überschneidungen von niedrigen Löhnen und hoher Emissionsintensität an Produktionsstandorten spielen hier zwei wissenschaftlich identifizierbare Zusammenhänge eine Rolle. Zum einen findet global gesehen die Produktion nicht vor allem dort statt, wo sie den niedrigsten CO2-Fußabdruck hätte. Stattdessen tendieren Investitionen (und eine Ausdehnung der Produktion) dazu, ein existierendes fossiles Energiesystem vorauszusetzen und werden dadurch vor allem dort getätigt, wo die CO2-Intensität hoch ist (Malm, 2016). Entscheidend für die Auslagerung sind neben naturräumlichen Bedingungen (z. B. bei Nahrungsmittelketten oder der Rohstoffextraktion) die in bilaterale Außenbeziehungen eingebetteten strategischen Entscheidungen der Unternehmen, für die häufig eine Reduktion der Lohn- und Lohnnebenkosten vorrangig ist (Statistik Austria, 2019). Zum anderen können klimapolitische Maßnahmen in einem Land dazu führen, dass emissionsintensive Produktionsschritte ausgelagert werden, was als „Carbon Leakage“ bezeichnet wird. Strengere Umweltauflagen, die eigentlich zum Schutz des Klimas beitragen sollen, können zu Auslagerungen und global gesehen sogar zu einem Anstieg der CO2-Emissionen führen, auch wenn heimische Emissionen stagnieren oder sogar zurückgehen (Jakob, 2021; Jakob & Marschinski, 2013).

Klimarelevante Umweltprobleme in globalen Warenketten hängen zum einen zusammen mit dem Energie-, Material- und Landverbrauch für den Transport von Rohstoffen, Zwischengütern und Endprodukten (UNEP, 2020, S. 52–61) und mit dem damit verbundenen Ressourcen- und Abfallaufwand für Verpackung. Der internationale handelsbezogene Güterverkehr – als grober Anhaltspunkt für die Transportströme innerhalb der globalen Warenketten – ist laut Schätzungen für 30 Prozent der verkehrsbedingten und sieben Prozent aller globalen CO2-Emissionen verantwortlich (OECD, 2017, S. 22–23, mit Bezug auf das International Transport Forum).Footnote 2 Zum anderen fallen an den Orten der Fertigung und der Rohstoffextraktion Ressourcenverbrauch (z. B. Wasser, Energie) und Umweltschäden (z. B. Rodung, Luftverschmutzung, Bodenkontamination) an. Ein Viertel bis ein Drittel aller globalen CO2-Emissionen, 20 bis 25 Prozent der globalen Landnutzungsveränderungen und 35 Prozent aller konsumierten Energieressourcen werden dem internationalen Handel von Gütern und Dienstleistungen zugerechnet. Der Nahrungsmittelsektor inklusive der Düngemittelindustrie ist für 19 bis 29 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich (Pendrill et al., 2019; Vermeulen et al., 2012). Solche Zahlen beruhen auf Schätzungen und unterschätzen die tatsächlichen Umweltfolgen. Selbst Fußabdruckberechnungen unterschätzen die tatsächlich entstehenden Biokapazitätsdefizite, weil sie Verluste z. B. durch Bodenerosion, Entwaldung und Erschöpfung des Grundwassers nicht berücksichtigen (Global Footprint Network research team, 2020).

15.1.1 Die Einbindung der österreichischen Volkswirtschaft in grenzüberschreitende Warenketten: Klimarelevante Folgen

Österreich ist als kleine, offene Volkswirtschaft hinsichtlich Produktion und Konsum stark in weltwirtschaftliche Produktions- und Austauschprozesse eingebunden. Knapp die Hälfte (48 Prozent) aller österreichischen Exporte in monetären Einheiten bemessen findet innerhalb von globalen Warenketten statt (WTO, o.J., Daten für 2015).Footnote 3 Damit weist Österreich im Vergleich mit anderen Ländern des Globalen Nordens und „emerging economies“ im Globalen Süden eine überdurchschnittliche Beteiligung auf. Im Durchschnitt ist die Einbettung österreichischer Produktionsstandorte in globale Warenketten für die Herstellung von Investitions- und Vorleistungsgütern wesentlich höher als für Konsumgüter. Das ist typisch für Hocheinkommensländer.

Österreichische Standorte sind in Form von Rückwärts- und Vorwärtsintegration in globale Warenketten eingebunden. Rückwärtsintegration bedeutet, dass für Fertigungsschritte in Österreich Zwischengüter bzw. Wertschöpfungsanteile aus dem Ausland importiert und hierzulande weiterverarbeitet werden. Der ausländische Wertschöpfungsanteil in Österreichs Exporten lag 2015 bei 26,5 Prozent (OECD-WTO, 2015; WTO, o.J.). Chemische und Grundstoffindustrie, Maschinenbau, Elektro- und Fahrzeugindustrie greifen auf importierte Vorleistungen zurück; die Fahrzeug(zuliefer)industrie in Österreich weist mit fast 50 Prozent den höchsten Anteil an ausländischer Wertschöpfung auf. Die meisten Importe kommen aus Deutschland; diese sind allerdings rückläufig, genauso wie Vorleistungen aus der EU-12. Demgegenüber steigen die Wertschöpfungsimporte aus den BRIC-Staaten, vor allem aus China und Russland.Footnote 4 Während aus Russland vorrangig Bergbauprodukte kommen, werden aus chinesischen Produktionsstätten Metalle, Metallprodukte, Agrarerzeugnisse, elektrische Maschinen und elektrotechnische Waren bzw. Teile davon importiert (Kulmer et al., 2015, S. 39–40; Stöllinger et al., 2018).

Welche Materialien werden für die Produktion importiert? Der relativ höchste ausländische Wertschöpfungsanteil steckt in Grundstoffen (Koks, Holz, Metall, Bergbauprodukte, Papier, Zellstoff). Generell besteht eine ausgeprägte Abhängigkeit von Rohstoffimporten, der Großteil in jeder Rohstoffgruppe kommt aus nichteuropäischen Ländern. Metalle werden zu 71 Prozent, fossile Energieträger zu 58 Prozent und Mineralien zu 55 Prozent aus dem nichteuropäischen Ausland für die Weiterverarbeitung zu Zwischengütern (und anschließenden Export) eingeführt, wobei sich die Importe von Mineralien und fossilen Energieträgern seit 2000 erhöht haben (Giljum et al., 2017, jeweils ohne Endnachfrage, Zahlen für 2016). Auch 40 Prozent des Biomasseeinsatzes werden aus dem Ausland importiert (Eisenmenger et al., 2020, S. 35; nach Kalt et al., 2021 30 Prozent). Zusätzlich zur Entnahme auf österreichischen Landflächen werden ein Drittel der verarbeiteten Feldfrüchte und die Hälfte des verarbeiteten Holzes importiert (Eisenmenger et al., 2020).

Der Anteil der österreichischen Inputs in Exporten (Vorwärtsintegration) liegt bei 21,3 Prozent und besteht vor allem aus produktionsbezogenen Dienstleistungen, Investitionsgütern und Inputs für langlebige Konsumgüter (z. B. Maschinenteile, Fahrzeugteile). Alleine die gehobenen Unternehmensdienstleistungen sorgen für ein Drittel des heimischen Wertschöpfungsanteils an den Exporten. Auch die Wertschöpfung im österreichischen Groß- und Einzelhandel und Transportsektor fließt der ausländischen (End-)Nachfrage zu. Die inländische Wertschöpfung ist höher als jene, die in importierten Produkten enthalten ist. Das bedeutet, dass österreichische Unternehmen Vorleistungen mit niedrigerer Wertschöpfung importieren und diese „aufgewertet“ exportieren. Das entspricht den Ergebnissen der Forschung zu Warenketten: Aktivitäten mit vergleichsweise weniger Wertschöpfung finden im Globalen Süden oder in Osteuropa statt, hochwertige Aktivitäten wie unternehmensbezogene Dienstleistungen in den Hocheinkommensländern (UNCTAD, 2020).

Österreich exportiert zwar den größten Teil seiner Wertschöpfung nach Deutschland, von dort gelangen Exporte dann aber vielfach nach China, Kanada und in die USA (Stöllinger et al., 2018, S. 30–31). Das verdeutlicht den Warenkettencharakter heutiger Produktionssysteme. Dass sich wirtschaftliche Beziehungen in der „Factory Europe“ verdichten, soll nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die regionale Verdichtung von Fertigungsprozessen mit „global sourcing“ – bei Rohstoffen, Maschinenteilen, Halbleitern etc. und der darin enthaltenen Arbeit – und globalen Exporten überlagert.

Daten zu monetären und materiellen Export- und Importflüssen geben zwar erste Anhaltspunkte für die Einbindung der österreichischen Volkswirtschaft in globale Warenketten, reichen jedoch nicht aus, um ein abschließendes Bild zu zeichnen. Denn über die Handelsflüsse hinaus sind – vor allem in der Abschätzung von Umweltfolgen der Produktion und des Konsums – sogenannte indirekte Vorleistungen, sowohl in Österreich als auch anderswo, von großer Bedeutung. Wenn in der österreichischen Viehwirtschaft Soja aus Brasilien verfüttert wird, dann geht der Fleischkonsum in Österreich mit gravierenden Landnutzungsveränderungen auf der anderen Seite des Atlantiks einher. Solche Zusammenhänge sind oftmals intuitiv eingängig, aber nicht direkt aus der internationalen Handelsstatistik abzulesen. Sie sind abbildbar mithilfe von monetären Input-Output-Tabellen, die Verflechtungen unterschiedlicher Wirtschaftssektoren national und international messen und indirekte Vorleistungen schätzen (Plank et al., 2021). Vor allem die Verflechtungen unterschiedlicher Sektoren werden jedoch in der Praxis viel zu wenig berücksichtigt: Gelingt beispielsweise in der Produktion eine Emissionsreduktion in einem Sektor, zum Beispiel in der Automobilzulieferindustrie in Österreich, können Emissionen in einem vor- oder nachgelagerten Sektor im Ausland hoch sein oder gar steigen. Energieeffiziente Fertigungsprozesse und „saubere“ Dienstleistungsinputs in der Automobilzulieferindustrie in Österreich sind auf Rohmaterialen (z. B. Lithium, Kupfer, Bauxit, Magnesium) und Zwischengüter angewiesen, die anderswo unter hohem Ressourcenaufwand und Umweltverbrauch (z. B. Energie, Wasser, Flächenverbrauch) abgebaut bzw. hergestellt werden (Piñero et al., 2019).

Studien zum globalen Rebound-Effekt – dem Paradoxon, dass durch den Einsatz ressourcensparender Technologie und die Steigerung der Ressourceneffizienz Anreize geschaffen werden, mehr Energie zu verbrauchen – verdeutlichen, dass zum Beispiel Kosteneinsparungen durch Energieeffizienz den Output und Export (und damit Energieverbrauch und Emissionen) steigern können (Barker et al., 2009; Wei & Liu, 2017). Modellrechnungen zum globalen Rebound-Effekt sind vergleichsweise selten und fehlen für Österreich. Für Deutschland zeigt eine Studie, dass eine zehnprozentige Verbesserung der Energieeffizienz in der deutschen verarbeitenden Industrie mit einem globalen Rebound von 48 Prozent verbunden ist. Das bedeutet, dass fast die Hälfte der erwarteten Energieeinsparung durch verbesserte Energieeffizienz in der Produktion durch Rebound-Effekte aufgezehrt wird (Koesler et al., 2016).

Doch nicht nur emissionsseitig sind Warenketten entscheidend, wenn wir Österreichs Rolle in der Klimakrise verstehen wollen. Mit der erhöhten Klimavulnerabilität österreichischer Produktions- und Konsummuster setzt sich das Projekt COIN („Cost of inaction: Assessing the costs of climate change for Austria“) auseinander. Durch Importe wasserintensiver Konsumgüter (wie z. B. Textilien) „spart“ Österreich zwar Wasser in der inländischen Produktion, erreicht jedoch auch einen Importanteil von 93 Prozent für das Wasser, das es braucht, um den Endkonsum zu befriedigen. 34 Prozent davon stammen aus Ländern, in denen es bereits jetzt regionale Wasserknappheit gibt (China, Pakistan, Indien und Russland) und die sich mit der fortschreitenden Klimakrise weiter verschärfen wird (Coin-Int, 2019a). Auch wegen der besonderen Abhängigkeit von Wasserressourcen ist die Landwirtschaft in vielen Ländern schon jetzt stark von der Klimakrise betroffen, was – wegen der Einbindung in globale Warenketten – auch die Versorgung in Österreich betrifft: 66 Prozent des in Österreich konsumierten Getreides (für Tierfutter, Lebensmittelindustrie und industrielle Verwertung) stammt aus Importen. Dieser Anteil macht zugleich schon jetzt 98 Prozent der künstlichen Bewässerung aus, die global notwendig ist, um Österreichs Endkonsum zu decken (Coin-Int, 2019b).

Durch seine Integration in Warenketten verbindet Österreich also nicht nur Produktionsstandorte mit unterschiedlichen Emissionsintensitäten miteinander, sondern auch unterschiedlich klimavulnerable Regionen. Das bedeutet: Selbst wenn Österreich eine ausgeglichene Außenhandelsbilanz hätte – also genauso viele Ressourcen von globalen Märkten beziehen würde, wie es bereitstellt (Österreich ist aber Netto-Importeur) –, wäre diese Bilanz hinsichtlich der Umweltauswirkungen noch lange nicht ausgeglichen. Eine „Gegenrechnung“ der Rückwärts- gegen die Vorwärtsintegration der österreichischen Wirtschaft ist aus klimapolitischer Sicht nicht aufschlussreich. Aus globaler Perspektive interessieren die absoluten Emissionen und die mit ihnen verbundenen Umweltauswirkungen, die es zu reduzieren gilt, egal wo in der Welt sie stattfinden.

15.1.2 Bestehende Ansätze internationaler und europäischer Klimapolitik und deren Umsetzung in Österreich

In der Europäischen Union (EU) und in Österreich gibt es verschiedene klimapolitische und industriepolitische Ansätze, die die Struktur von Warenketten beeinflussen (können). In der EU ist das wichtigste Instrument zur Regulierung von Emissionen aus großen Energie- und Industrieanlagen seit 2005 das europäische Emissionshandelssystem (European Union Emissions Trading System, EU-ETS, im Folgenden ETS). Dieses marktorientierte Instrument soll CO2- und andere Treibhausgasemissionen reduzieren und dazu beitragen, das Emissionsreduktionsziel zu erreichen, zu dem sich die EU im Rahmen des Pariser Abkommens (COP16) verpflichtet hat, nämlich die Reduzierung seiner Treibhausgasemissionen um 40 Prozent bis 2030 (im Vergleich zu 1990). Dieses Ziel wurde im Rahmen des europäischen Green Deal (EGD) „auf mindestens 50 % und angestrebte 55 %“ (Europäische Kommission, 2019a) angehoben. Am ETS müssen Energieanlagen und energieintensive Industrien teilnehmen, z. B. die Eisen- und Stahlverhüttung, Kokereien, Raffinerien und Cracker (Dampfspaltungsanlagen), Zement- und Kalkherstellung, Glas-, Keramik- und Ziegelindustrie, die Papier- und Zelluloseproduktion sowie der Flugverkehr und ab 2024 die Seeschifffahrt (Europäische Kommission, 2023a). Im November 2019 präsentierte die High Level Expert Group on Energy-intensive Industries (HLG EIIs) einen „Masterplan for a Competitive Transformation of EU Energy-intensive Industries“ (Europäische Kommission, 2019c). EU-ETS II reguliert ab 2027 die Emissionen im Straßenverkehr und von Gebäuden.

Mit dem sogenannten Cap-and-Trade-System hebt das ETS weder eine Steuer auf Emissionen ein, noch legt es einen Preis für Emissionen fest. Vielmehr benötigen Firmen die Erlaubnis, in einem bestimmten Ausmaß CO2 zu emittieren. Diese Erlaubnis erhält man durch den Erwerb von Emissionszertifikaten, sogenannten „allowances“. Eine vorher festgelegte Menge dieser Zertifikate, die sich im Laufe der Zeit verringert, wird jedes Jahr ausgegeben. Es gibt eine maximale Menge an CO2, die innerhalb der vom ETS abgedeckten Sektoren emittiert werden darf („cap“). Unternehmen steht es allerdings frei, Zertifikate zu kaufen, wenn sie nicht in der Lage sind, die Emissionen zu reduzieren („trade“). Zudem gibt es Gratiszuteilungen an Unternehmen, bei denen wegen der Kostenbelastung durch das ETS das Risiko besteht, dass sie zu Carbon Leakage beitragen, also die Produktion in Drittstaaten außerhalb der EU verlagern (WKO, 2020). Beschlüsse im Rahmen des „Fit für 55“-Pakets haben das ETS nachgeschärft. Die Zuteilung kostenloser Emissionszertifikate nimmt in höherem Tempo ab; bis 2040 soll es keine Gratiszuteilungen mehr geben. Die EU reagierte damit auf die Kritik, dass der Überschuss an (Gratis-)Zertifikaten Klimaschutzinvestitionen verzögert und den Unternehmen Extragewinne beschert hat. Zudem werden die Mitgliedstaaten verpflichtet, die Einnahmen aus der Versteigerung von Zertifikaten zur Gänze für Klimaschutzmaßnahmen auszugeben.

Einschätzungen über die Motive für die Einführung des ETS und dessen Wirksamkeit gehen in der Literatur auseinander. Während einige darin den Willen der EU zur globalen Führungsrolle in Sachen Nachhaltigkeit sehen und den Einfluss von Umwelt-NGOs erkennen (Fischer, 2009), werten Kritiker_innen das ETS als taktisches Mittel zur Verwässerung verbindlicher Reduktionsverpflichtungen und eine kosteneffiziente Maßnahme, die vor allem die internationale Konkurrenzfähigkeit nicht gefährdet. Es wird kritisiert, dass marktbasierte Lösungen zu hohe Erwartungen an technologische Innovationen knüpfen; diese dürfen verpflichtende Klimaziele nicht ersetzen. Darüber hinaus spielen beim ETS Importe keine Rolle, was angesichts der transnationalen Produktionsbeziehungen ein Problem darstellt (Beckmann & Fisahn, 2009; Corporate Europe Observatory, 2020; Krüger, 2015, Überblick über Positionen in Bailey et al., 2011).

Im Bereich der Industriepolitik existieren aktuell mehrere EU-Initiativen, die auch für klimafreundlichere Warenketten sorgen sollen. Ende 2019 präsentierte die Europäische Kommission (EK) den European Green Deal (EGD), der Richtlinien und Vorgaben für die Mitgliedsländer beinhaltet. Dieser legt Klimaambitionen und einen vorläufigen Zeitplan fest und benennt Maßnahmen, die in verschiedenen Feldern getroffen werden sollen und die auch globale Warenketten betreffen (Europäische Kommission, 2019a, 2019b).

Laut EGD soll Nachhaltigkeit zu einem Querschnittthema aller EU-Politikbereiche werden. Im Bereich der Agrarpolitik wird eine „Vom-Hof-auf-den-Tisch-Strategie“ („From Farm to Fork“) vorgeschlagen. Um die Resilienz regionaler und lokaler Lebensmittelsysteme zu verbessern, hält die Kommission fest, kürzere Lieferketten unterstützen und die Abhängigkeit von Langstreckentransporten verringern zu wollen (Europäische Kommission, 2020c, S. 12–13) [Kap. 3]. Zumindest im Agrarbereich wird die Verkürzung von Warenketten explizit als Ziel genannt.

In seiner Gesamtheit weist der EGD jedoch in Richtung ökologische Modernisierung. Diese soll durch die Steigerung von Energie- und Materialeffizienz und durch technologische Innovationen die Klimakrise lösen. In seiner jetzigen Form bleibt der EGD wachstums- und innovationsorientiert sowie EU-zentriert. Globale Überlegungen fokussieren auf die Stärkung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit am Weltmarkt, auf geopolitische Erwägungen und auf Fragen der Rohstoffsicherung (Europäische Kommission, 2019a, 2020b, 2020d).

Jäger & Schmidt (2020, S. 35, 44) betonen allerdings, dass eine effizientere Ressourcennutzung in der Vergangenheit nicht zu einem geringeren Ressourcenverbrauch geführt hat, weil der Wachstumsimperativ des kapitalistischen Wirtschaftssystems weiter fortbesteht. Sie gehen außerdem davon aus, dass auch bei grünem Wachstum in Zukunft vermehrt globale Ressourcenkonflikte zu erwarten sind und dass die Folgen des Klimawandels vor allem die ärmeren Länder, insbesondere die städtischen und ländlichen Arbeiter_innen in der globalen Peripherie, treffen werden. Corporate Europe Observatory (2020) bezeichnet den EGD gar als „Grey Deal“, weil nach Einschätzung der Autor_innen die Lobby für fossile Energieträger ihren Einfluss auf die Formulierung des europäischen Green Deal geltend machen konnte.

Der EGD wurde im Februar 2023 durch den Industrieplan zum Grünen Deal ergänzt. Er ist der Beitrag der EU im globalen Wettlauf um grüne Subventionen und soll vor allem Entwicklung, Herstellung und Einsatz CO2-neutraler Technologien und Produkte im europäischen Raum fördern. Das übergeordnete Ziel besteht darin, die Konkurrenzfähigkeit der europäischen Industrie am Weltmarkt zu erhalten bzw. diese in jenen Feldern aufzubauen, in denen sie verloren gegangen oder bisher nicht vorhanden ist. Im Gegensatz zu früheren industriepolitischen Publikationen kommt ein stärker interventionistisch orientierter Ansatz zum Tragen. Gleichzeitig bleibt eine der vier Säulen des Industrieplans offener Handel, der die notwendigen Lieferketten „reißfest“ machen und diversifizieren soll. Teil des Industrieplans sind das Netto-Null-Industrie-Gesetz sowie das Gesetz über kritische Rohstoffe (Europäische Kommission, 2023b und 2023c). Während ersteres auf Investitionen in die Entwicklung und Produktion sauberer Technologien abzielt, soll zweiteres den Zugang zu kritischen Rohstoffen sichern. Um „sichere und widerstandsfähige Lieferketten“ zu gewährleisten, sollen Rohstoffquellen diversifiziert und die Zusammenarbeit mit „verlässlichen Partnern“ ausgebaut werden. Die geoökonomische und geopolitische Dimension der Rohstoffsicherung für die Energietransformation wird als „Klimakolonialismus“ oder „grüner Imperialismus“ kritisiert (Paul & Gebrial, 2021).

Zur Stärkung strategischer europäischer Wertschöpfungsketten werden von der EU seit 2014 Important Projects of Common European Interest (IPCEI) gefördert. Die Förderung grüner Technologien spielt eine Rolle, allerdings sind diese klar auf Innovationen ausgerichtet und streben keinen Bruch mit bestehenden Produktionspfaden an: „The dominance of innovation further emphasises this focus on addition to rather than disruption of existing unsustainable industries.“ (Pichler et al., 2021, S. 144, Hervorhebungen im Original)

Aktuell sind österreichische Unternehmen an drei IPCEI-Projekten in den Feldern Mikroelektronik (ME I), Batterieherstellung (EuBatIn) und Wasserstoff (Hy2Use und Hy2Tech) beteiligt (BMAW, 2023). Außerdem wird die Teilnahme am IPCEI Mikroelektronik II (ME II) angestrebt. Das IPCEI „Low CO2 Emissions Industry (LCI)“ schaffte es in Österreich nicht von der Phase I „Bedarfserhebung“ in die Phase II „Interessenbekundung“ (BMK, 2022a). Dieses sieht die Kooperation von Unternehmen in der EU entlang der gesamten Wertschöpfungskette nach Prinzipien der Kreislaufwirtschaft vor, um die Ressourcen- und Energieeffizienz zu erhöhen. Insgesamt sollen die bestehenden und geplanten IPCEI Innovationen fördern, wo diese marktgetrieben nicht (ausreichend) entstehen (Europäische Kommission, 2020b, S. 14). Ihr Hauptfokus liegt aktuell auf der Absicherung der europäischen Wettbewerbsfähigkeit sowie auf der Herstellung technologischer Souveränität bei strategischen Gütern. Ökologische Nachhaltigkeit spielt eine Rolle, ist diesen Zielen aber untergeordnet.

Auf nationaler Ebene veröffentlichte das Bundesministerium Digitalisierung und Wirtschaftsstandort (BMDW, 2021) Informationen zu der in Erarbeitung befindlichen Standortstrategie 2040 „Chancenreich Österreich – digital, nachhaltig wirtschaften“. Ein Schwerpunktbereich ist mit „Nachhaltigkeit und Wertschöpfungsketten“ überschrieben. Ergebnisse wurden bislang allerdings keine präsentiert (Stand Juni 2023). Parallel initiierte das Bundesministerium für Klimaschutz, Umwelt, Energie, Mobilität, Innovation und Technologie (BMK) das Projekt „Grüne Industriepolitik“, das drei Projektberichte und eine Begleitstudie vorlegte (Diendorfer et al., 2021). Das Ziel des Projekts bestand darin zu erheben, welche Unterstützung die österreichische Industrie für die Dekarbonisierung benötigt und wie Emissionen, z. B. durch eine Umgestaltung der Vorketten, reduziert werden können (BMK, 2022b). Inwieweit die erhobenen Daten Eingang in die Praxis finden, bleibt vorerst offen.

Ein weiteres klimarelevantes EU-Projekt, das bestehende Warenketten modifizieren könnte, ist die Bioökonomie-Strategie (2012, aktualisiert 2018, siehe Europäische Kommission, 2018). Der Ansatz ist eng verwoben mit jenem der Kreislaufwirtschaft und versucht vom Einsatz fossiler Rohstoffe zum Einsatz nachwachsender Ressourcen zu gelangen [zu Bioökonomie siehe auch Kap. 5; zur Kreislaufwirtschaft weiter unten und im Detail Kap. 14]. Österreich hat 2019 eine Strategie für Bioökonomie verabschiedet, einen Aktionsplan erstellt und mit „Bioeconomy Austria“ eine Plattform gegründet, um die Bioökonomie in Österreich zu stärken (BMNT, BMBWF & BMVIT, 2019; BMNT, BMBWF & BMVIT, o.J.; Bioeconomy Austria, o.J.). Die Maßnahmen zielen auf Forschung, soziotechnische Innovationen und öffentliche Förderung. Gleichzeitig gilt die Bioökonomie als Wachstumsmotor in ländlichen Regionen und als Arbeitsplatzbeschaffer.

Bioökonomie-Strategien werden in der Literatur unterschiedlich bewertet (für einen Überblick siehe Kiresiewa et al., 2019). Die einen sehen darin einen wichtigen Beitrag zu Klimaschutz und nachhaltiger Entwicklung und heben das Innovationspotenzial der Biowissenschaften hervor. Kritiker_innen verweisen auf die in den Strategien vernachlässigte globale Dimension, wie z. B. die negativen Umweltauswirkungen in den Exportländern, die Inwertsetzung von Biodiversität im Globalen Süden oder die internationale Konkurrenz bei Forschung und Entwicklung. Der Wettbewerbsvorteil europäischer Unternehmen bei Umwelttechnologien könne ärmere Länder bei Erwerb und Anwendung vor Probleme stellen und bestehende Ungleichheiten weiter vertiefen (Backhouse et al., 2021; Backhouse & Lühmann, 2020).

Eine Bilanzierung der in Österreich verbrauchten Biomasse zeigt, dass diese zu 55 Prozent aus der heimischen Forst- und Landwirtschaft und zu 30 Prozent aus den Nachbarländern stammt; Biomasse aus Nicht-EU-Ländern (verwendet vor allem für Tierfutter) macht 7,6 Prozent des Biomassefußabdrucks aus (Kalt et al., 2021). Biomasse zur Energiegewinnung ist stark regional verankert. Dennoch braucht es nach Kalt et al. (2021), gerade weil es sich um einen globalen „Wachstumsmarkt“ handelt, eine integrierte Analyse globaler Biomassestoffströme und des Fußabdrucks, den sie in den Exportländern hinterlassen [zu den Ziel- und Interessenkonflikten bei Bioökonomiestrategien siehe Kap. 5].

Neben der Bioökonomie hat in der EU das Konzept der Kreislaufwirtschaft während der letzten Jahre immer größere Bedeutung erlangt (Europäische Kommission, 2020a). Es zielt darauf ab, von einem linearen Modell der Produktion und des Konsums zu einem nachhaltigen, kreislaufartigen Modell zu gelangen [Kap. 14]. Zirkuläre Wirtschaftsmodelle würden die Struktur von Warenketten verändern. Die Europäische Investitionsbank hat im Jahr 2019 mit fünf nationalen Förderbanken aus Deutschland, Frankreich, Italien, Spanien und Polen die „Gemeinsame Initiative für die Kreislaufwirtschaft“ gestartet. Bis 2023 sollen mindestens zehn Milliarden Euro investiert werden (EIB, 2020). In Österreich wurde auf Vorschlag des BMK Ende 2022 eine nationale Kreislaufwirtschaftsstrategie beschlossen. Darin werden neben einer Steigerung der Ressourcenproduktivität und des Recyclings auch absolute Reduktionsziele beim Ressourcenverbrauch formuliert (BMK, 2022c). Die Erstellung wurde vom Umweltbundesamt und der überparteilichen Plattform ÖGUT betreut; das Beratungsunternehmen Pöchhacker Innovation Consulting lieferte Analysen zu Förderinstrumenten und Initiativen, die in EU-Mitgliedsländern im Einsatz sind (z. B. Scherk & Pöchhacker-Tröscher, 2022). Mit „Circular Futures“ besteht eine Multi-Stakeholder-Plattform, die sich als Think Tank und Katalysator „für mehr Kreislaufwirtschaft in Österreich“ versteht (Circular Futures, o.J.).

Eine Zwischenposition zwischen linearen Warenketten und kreislaufförmigen Warenketten nehmen „closed-loop supply chains“, „green supply chains“ oder „environmental supply chains“ ein, die als nachhaltig ausgerichtete Warenketten auch die Wiederverwertung oder Entsorgung eines Produktes nach Gebrauch miteinbeziehen. Farooque et al. (2019) kritisieren allerdings, dass diese Konzepte kreislaufwirtschaftliches Denken nicht systematisch integrieren. Sie führen daher eine umfassende Literaturstudie zu „Circular Supply Chain Management (CSCM)“ durch, welches das Management von Warenketten mit dem Konzept der Kreislaufwirtschaft verbindet, und benennen Forschungslücken, die in dieser Hinsicht bestehen.

Das Konzept der Kreislaufwirtschaft stellt zwar auf globale Umweltrisiken ab und sucht diese zu minimieren; auch die Notwendigkeit der Kreislaufförmigkeit von globalen Warenketten wird als Bedingung für nachhaltige Produktion betrachtet (Geissdoerfer et al., 2017). Wie sich die Anwendung kreislaufwirtschaftlicher Konzepte auf Lieferketten auswirkt, muss jedoch im Einzelfall untersucht werden. Es gibt Hinweise, dass eine regional gut funktionierende Kreislaufwirtschaft Nachhaltigkeitsprobleme an anderen Orten verursachen kann: „There are many examples of efficiency, environmental and social gains in local and regional economies that have resulted, either directly or indirectly, through supply chains, value chains, product life cycles and their networks, into difficult problems in other locations“ (Korhonen et al., 2018, S. 42). So kann beispielsweise eine hocheffiziente Nutzung von Energie und Ressourcen in der Papierindustrie hierzulande mit Holzeinschlag und Entwaldung andernorts einhergehen.

Jüngst gelangten globale Lieferketten im Zuge der COVID-19-Pandemie in die öffentliche Diskussion. Dies war allerdings weniger klimapolitischen Erwägungen geschuldet. Die Debatte kreiste vielmehr um Fragen von Versorgungssicherheit bei „kritischen“ oder „essenziellen“ Gütern. Re- oder Backshoring – die Rückverlagerung von Teilen oder der gesamten Produktion in die großen Verbrauchermärkte – beinhaltet zumindest indirekt eine klimapolitische Dimension durch eine Verkürzung der Transportwege und (potenziell) strengere Umweltauflagen. Eine Studie zu den EU-Lieferketten ausgewählter Medizinprodukte, von Halbleitern und Solarpanelen stellte fest, dass es auf EU-Ebene keine Einigkeit über einzuschlagende Resilienzstrategien gibt (Raza et al., 2021a). Raza et al. (2021a, S. 74) gehen jedoch davon aus, dass die „grüne Wende“ wahrscheinlich zu kürzeren und stärker regionalisierten Warenketten führen wird, da verschiedene geplante EU-Politiken wie die Einpreisung ökologischer Externalitäten, die Harmonisierung nationaler Regulierungsregime und die Förderung der Kreislaufwirtschaft Offshoring und Outsourcing in der Produktion weniger rentabel machen. Bislang klaffen politische Absichtserklärungen und Studien zu möglichen Reshoring-Projekten auf der einen und reale Unternehmensstrategien auf der anderen Seite allerdings auseinander (Kolev & Obst, 2022). Eher sind es geopolitische Konflikte, Probleme mit der Qualität oder die Abhängigkeit von einem einzigen Zulieferer, die Konzerne zur Veränderung ihrer Beschaffungsmodelle bewegen (Butollo, 2020).

Öffentliche Beschaffung ist eine weitere Möglichkeit, lokale und regionale Warenketten zu stärken und die Ökologisierung der Wirtschaft voranzutreiben. Die im Jahr 2014 verabschiedeten EU-Vergaberichtlinien ermöglichen bei öffentlichen Vergaben neben der Anwendung des Billigstbieterprinzips auch das Bestbieterprinzip sowie die Auswahl des Angebots mit den geringsten Kosten (gerechnet über den gesamten Lebenszyklus). Beim Bestbieterprinzip muss neben dem Angebotspreis mindestens ein weiteres Zuschlagskriterium angegeben werden. Die Kriterien müssen außerdem gewichtet werden. Hier bietet sich öffentlichen Einrichtungen die Möglichkeit für „strategische Beschaffung“, die auch ökologische (und/oder soziale) Kriterien in die Ausschreibung miteinbezieht. Da das öffentliche Beschaffungsvolumen in den meisten europäischen Staaten hoch ist, hat die öffentliche Verwaltung eine relevante Nachfragemacht und kann somit nachfrageorientierte Industriepolitik betreiben (Salhofer, 2019).

In Österreich gab es bereits vor der Verabschiedung des neuen Bundesbeschaffungsgesetzes im Jahr 2018 die Möglichkeit, das Bestbieterprinzip anzuwenden. Etwas mehr als die Hälfte der Vergaben wurden laut einer WIFO-Studie zwischen 2009 und 2016 nach dem Bestbieterprinzip abgewickelt, allerdings wurde in 44 Prozent der Fälle der Preis mit mindestens 80 Prozent gewichtet und in 20 Prozent der Bestbieterverfahren gar mit 95 Prozent. Die Studienautor_innen Hölzl et al. (2017, S. 37) bemerken dazu: „Eine derart häufige äußerst geringe Gewichtung preisfremder Kriterien in Bestbieterverfahren wird von keinem anderen untersuchten Land [FR, UK, NL, FI, SE, DE, IT, SI, PL; Anm. d. A.] erreicht.“

Der bereits zehn Jahre bestehende Aktionsplan nachhaltige öffentliche Beschaffung (naBe) wurde 2021 mit neuen Kriterien für die Beschaffung von 16 Produktgruppen erweitert. Es soll die regionale Wertschöpfung gefördert werden und „Bewusstsein für die Auswirkungen entlang der gesamten Lieferkette eines Produkts“ geschaffen werden (naBe, 2021). In Österreich betonen zahlreiche Gemeinden, z. B. Wien und Linz, auf ökologische und nachhaltige Beschaffung zu achten (Stadt Linz, o.J.; Stadt Wien, o.J.). Die systematische Umgestaltung von Warenketten nach ökologischen Gesichtspunkten ist dabei aber kein Ziel.

Schließlich gibt es Initiativen, durch Lieferkettengesetze transnationalen Konzernen umweltbezogene Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferketten aufzuerlegen. Seit 2015 tagt im Menschenrechtsrat der Vereinten Nationen eine zwischenstaatliche Arbeitsgruppe, um ein internationales Abkommen (UN-Treaty) auf den Weg zu bringen. Der vorliegende dritte Entwurf beinhaltet das Recht auf eine sichere, saubere, gesunde und nachhaltige Umwelt als Teil der Grundfreiheiten, ohne Umweltgesetze und Sanktionsmöglichkeiten bei Verletzung zu spezifizieren. Die EU-Kommission hat eine Richtlinie für ein EU-Lieferkettengesetz vorgelegt, die das EU-Parlament im Juni 2023 nachgebessert und beschlossen hat (Europäisches Parlament, 2023). In der EU ansässige Unternehmen ab 250 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 40 Millionen Euro werden zu Sorgfaltspflichten entlang ihrer Lieferkette verpflichtet. Auch Unternehmen, die Teil eines Konzerns mit mindestens 500 Beschäftigten und 150 Millionen Umsatz sind, sollen einbezogen werden. Sie müssen Klimaschutzpläne umsetzen und negative Auswirkungen auf Umwelt oder auf Menschenrechte, die sie verursacht haben oder mit denen sie in Verbindung stehen, beseitigen. Zivilrechtliche Haftung, das heißt dass Betroffene vor einem EU-Gericht Klage einreichen und Entschädigung erwirken können, ist vorgesehen; Behörden können Sanktionen und Strafen verhängen. NGOs kritisieren die rechtlichen Hürden für Betroffene und Ausnahmen für den Finanzsektor. Trilog-Verhandlungen (Rat, Parlament, Kommission) entscheiden über den endgültigen Text [Stand Juni 2023; andere Initiativen im internationalen Klimaschutzrecht Kap. 11].

15.2 Notwendige Veränderungen aus globaler Perspektive

Die gegenwärtige Phase der Globalisierung ist durch eine starke wirtschaftliche Verflechtung gekennzeichnet. Die Bedeutung globaler Warenketten lässt sich daran bemessen, dass der Handel mit Zwischengütern, die zumindest eine weitere Verarbeitungsstufe in einem anderen Land durchlaufen, stark angestiegen ist. Er macht mittlerweile beinahe doppelt so viel wie der Handel mit Endprodukten aus. Weltweit expandieren sowohl das Handelsvolumen als auch die ausländischen Direktinvestitionen rascher als die Produktion (UNCTAD, 2020).

Ein selektives Freihandelsregime und Finanzialisierungsprozesse [Kap. 16] prägen die gegenwärtige Phase der Globalisierung und damit auch die Organisation globaler Warenketten. Weltwirtschaftliche Austauschprozesse sind einer weitgehend liberalisierten Regulierung unterworfen, die in zahlreichen multi- und bilateralen Handels- und Investitionsabkommen festgeschrieben ist. Ein Preiswettbewerb auf weitgehend offenen Märkten steht dem Schutz globaler Gemeingüter (z. B. Biodiversität, unterirdische Süßwasserreservoirs, Ackerböden, Weltmeere) und damit einem klimafreundlichen Leben entgegen.

In diese auch als „neoliberale Globalisierung“ (Altvater & Mahnkopf, 1997) bezeichnete liberalisierte Weltwirtschaftsordnung sind auch die Gesellschaften des Globalen Südens einbezogen. Im Zuge der internationalen Schuldenkrise Anfang der 1980er Jahre wurden diese durch sogenannte Strukturanpassungsmaßnahmen auf umfassende Liberalisierungen und Weltmarktintegration verpflichtet. Die Auflagen für neue Kredite zur Schuldentilgung beinhalteten den Abbau von Schutzzöllen und anderen Importrestriktionen, das Setzen von Exportanreizen und die Rücknahme von Preisstützungen für Agrarprodukte (Bull et al., 2006). Die Folge war eine Ausweitung von Agrarexporten und die Ansiedlung von Lohnfertigungsindustrien für die Verbrauchermärkte des Globalen Nordens. Gerade arme Länder haben durch eine einseitige Exportorientierung die Fähigkeit zur Eigenversorgung verloren (UNDP, 2011, Kap. 1). Die weltwirtschaftliche Öffnung Chinas und der Zusammenbruch der Sowjetunion erweiterten Anfang der 1990er Jahre – ohne äußeren Druck – das Reservoir billiger und hinreichend qualifizierter Arbeitskräfte für die Massenproduktion für den Weltmarkt.

Österreich ist stark in nicht-nachhaltige globale Wertschöpfungsprozesse eingebunden. Die Gesellschaft profitiert zwar von der in globalen Warenketten organisierten Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen in vielerlei Hinsicht, etwa durch die Verfügbarkeit und Verbilligung von Produkten und den Zugang zu Energiedienstleistungen. Gleichzeitig zeigen die Forschungen zur Klimaveränderung, dass den „Preis“ dafür Menschen an anderen Orten und die Umwelt zahlen (IPCC, 2022).

Für eine klimafreundliche Lebensweise in Österreich besteht die Herausforderung zum einen darin, die Rahmenbedingungen für individuelle Konsumentscheidungen und Alltagsroutinen zu verändern, zum anderen ein Wirtschaftsmodell zu gestalten, das die Befriedigung von Grundbedürfnissen priorisiert. Dieses muss die Her- bzw. Bereitstellung von umwelt- und sozialverträglichen Produkten und Dienstleistungen garantieren, ohne Überkonsum einerseits und materielle Armut andererseits (Bärnthaler et al., 2021).

Mit einem einzelnen Maßnahmenpaket – sei es markt- und innovationsorientiert oder auf öffentliche Bereitstellungssysteme zielend – kann eine solch weitreichende Transformation nicht gelingen. Dies vor allem deshalb, weil nicht nur die Umweltauswirkungen unserer Gesellschaft zu transformieren sind, sondern gleichzeitig „gutes Leben für alle“ ermöglicht werden muss, was in der Praxis noch nirgends gelingt (O’Neill et al., 2018). Eine solche sozialökologische Transformation ist ein gesamtgesellschaftliches Unterfangen und kein Projekt, das von vereinzelt handelnden Individuen zu bewerkstelligen ist.

Notwendige Veränderungen, die bei der Organisation von globalen Warenketten ansetzen, betreffen zum einen ihre klimafreundliche Re-Regulierung. Dazu gehören erstens Gütesiegel und unternehmerische Selbstverpflichtungen, die verantwortungsvolle Konsumentscheidungen ermöglichen. Zweitens geben die auf EU-Ebene geschnürten und national umzusetzenden Klimapakete Regularien vor, die der Verwirklichung der im Europäischen Klimagesetz vereinbarten Ziele dienen. EU-Rechtsinstrumente zielen auf eine CO2-Bepreisung, die aufgrund steigender CO2-Emissionspreise die räumliche und organisatorische Gestaltung von Warenketten beeinflussen kann. Schließlich besitzen Lieferkettengesetze, die derzeit auf unterschiedlichen Ebenen (UN, EU, national) diskutiert und vorgelegt werden, das Potenzial, das Markthandeln von transnationalen Konzernen – und damit ihre globalen Produktionsnetzwerke – zu verändern. Neben solchen Regulierungsinitiativen kann es aus klimapolitischen Erwägungen Sinn machen, Warenketten zu kürzen und umzubauen. Angesprochen sind hier Konversionsstrategien und eine Ökologisierung industrieller Produktion, und zwar nicht nur an einem Standort oder in Österreich, sondern sektorübergreifend und in transnationaler Perspektive. Für solche Umbaupläne ist es nötig, genauer herauszuarbeiten, welches Vorgehen bei welcher Art von Warenkette am vielversprechendsten ist. Wissenschaftliche Forschung gibt es dazu bisher kaum. Während solche Regulierungen für den privaten Sektor einen Rahmen vorgeben würden, können striktere, staatlich vorgegebene Umweltstandards und zum Teil auch Verbote stärker in die Überlegungen einbezogen werden (Pichler et al., 2021). Der öffentliche Sektor kann zum Beispiel bei Beschaffung und Auftragsvergabe eine Vorbildrolle einnehmen.

Neben innovationsorientierten Maßnahmen und der Förderung von kreislauforientierten und regionalwirtschaftlichen Umbauplänen für globale Warenketten scheint es angesichts des „Klimanotstands“ („climate emergency“) unabwendbar, das absolute Ausmaß des Ressourcenkonsums und der Abfälle und Emissionen drastisch zu reduzieren. Diese gesellschaftliche Zielvorgabe obliegt zuallererst den Hocheinkommensländern, allerdings ohne dabei bestehende Ungleichheiten zu verschärfen [zu den verteilungspolitischen Auswirkungen Abschn. 17.2.3]. Eine „Just Transition“ ist auch im globalen Maßstab bei der anstehenden Transformation zu berücksichtigen. Wenn die Lebensbedingungen weltweit und dauerhaft gewahrt werden sollen, braucht es vor Ort Weichenstellungen in Richtung klimafreundlicher Produktion und Lebensweise, die gleichzeitig mit entsprechenden globalen oder weltwirtschaftlichen „Leitplanken“ flankiert sind, um Externalisierung und Standortkonkurrenz hintanzuhalten. Mögen Entkoppelungseffekte von Ressourcennutzung und Wohlstand für erfolgreiche Wirtschaften des Globalen Nordens einen Zielhorizont darstellen, geht es für arme Länder überhaupt erst darum, Bedingungen für eine sozial inklusive, die Grundbedürfnisse befriedigende und Ernährungssouveränität gewährleistende Entwicklung zu schaffen (Oberle et al., 2019). Während einige Autor_innen finanzielle Kompensationszahlungen für arme Länder vorschlagen, etwa als Kompensation für CO2-Steuern (Baranzini et al., 2017), sprechen andere von „ökologischer Schuld“ und „Klimakolonialismus“ (Martinez, 2014), weil die für die sozialökologische Transformation im Globalen Norden notwendigen Rohstoffe – wie Lithium oder Seltene Erden – aus dem Globalen Süden extrahiert werden. Forderungen von Regierungen und transnationalen Umweltgerechtigkeitsbewegungen gehen in die Richtung, globale Gemeingüter zu definieren, Rohstoffe im Boden zu lassen und die betreffenden (armen) Länder dafür zu entschädigen (Sovacool & Scarpaci, 2016; Villamayor-Tomas & García-López, 2021).

Die globalisierten Produktions- und Konsummuster machen deutlich, dass Klimapolitik nur dann erfolgreich umgesetzt werden kann, wenn sie auf unterschiedlichen Ebenen, also lokal, national, europäisch und international ansetzt, wobei jede Ebene mit eigenen Herausforderungen konfrontiert ist und diese jeweils auf der darüberliegenden Ebene zunehmen (Dreidemy & Knierzinger, 2021).

15.3 Strukturbedingungen, Akteur_innen, Handlungsspielräume

Globale Warenketten werden meist von transnationalen Konzernen (TNK) gesteuert, die häufig in Ländern des Globalen Nordens ihre Zentrale haben. TNK können ihre Zulieferer auf ökologische Standards verpflichten. Allerdings zeigen Studien, dass solche Anreize oder Anforderungen weniger klimapolitisch als kostensparend motiviert sind (z. B. Einsparungen bei Energie, Müllentsorgung, Wasserverbrauch) und der Erschließung grüner Wachstumsmärkte dienen (Ponte, 2020). Während sich TNK – vor allem in Branchen mit hohem Reputationsrisiko – so ein grünes Image verschaffen, wälzen sie die Kosten dafür oft auf die Zulieferer ab. Integrierte ökologische Produktion entlang der Warenkette ist damit nicht gewährleistet.

Auf (transnationale) Unternehmenstätigkeit nehmen eine Reihe von politischen Akteur_innen und Regulierungsinstanzen Einfluss. Nationale und supranationale Staaten und ihre Organe sowie internationale Organisationen, etwa die WTO, die OECD und verschiedene UN-Organisationen, aber auch private Zertifizierungsagenturen entwerfen und implementieren klimarelevante Regulierungen auf (sub- und supra-)nationaler Ebene. Wichtige international koordinierte Politikbereiche sind etwa Handels- und Investitionspolitik, Forschungsförderung, Produktnormen und Steuerpolitik. (Supra-)nationale Staaten treten als gestaltende Regulierungsinstanz und als „facilitator“ von unternehmerischer Tätigkeit auf. Sie treten auch als Produzenten in Erscheinung, besonders in strategischen Sektoren wie der Energiebereitstellung oder Grundstoffindustrie, oder als Konsumenten durch öffentliche Beschaffung.

Auch nationale und international koordinierte Interessenverbände, z. B. Unternehmervereinigungen, Gewerkschaften oder Verbraucherverbände, Klima-NGOs und soziale Bewegungen suchen auf das institutionelle Gefüge aus lokalen, nationalen und internationalen Regulierungen, in die globale Warenketten eingebettet sind, einzuwirken. Das reicht von direkter politischer Intervention bei politischen Mandatsträger_innen über öffentliche Kampagnen und Lobbying bis hin zu Beratungstätigkeiten. Auch Verbraucher_innen wirken durch ihre Konsumentscheidungen auf Warenketten ein (für einen Überblick Fischer et al., 2021). In Österreich bietet die institutionalisierte Sozialpartnerschaft ein weiteres Feld, in dem um Fragen der Klimapolitik gerungen wird [für eine Einschätzung der Akteurskonstellationen in Österreich und der EU siehe Kap. 11 und 12].

Klar ist, dass die beteiligten Akteur_innen mit unterschiedlichen Machtressourcen ausgestattet sind und ihre Möglichkeiten, auf die Gestaltung von globalen Unternehmenstätigkeiten einzuwirken, höchst ungleich verteilt sind. Auf internationaler Ebene sind UN-Initiativen wie die des Weltklimarats und des Umweltprogramms (UNEP) zwar hinsichtlich normativer Ziele wirkmächtig, in der Umsetzung aber relativ zahnlos, weil sie lediglich Empfehlungen für eine Bewertung und Evaluierung entsprechender Programme formulieren können. In „harten“ Regulierungsinstanzen wie der EU hat die Kommission weitgehende Rechte; sie ist aber, anders als das Europäische Parlament, in Klimaschutzfragen eher defensiv eingestellt [Kap. 11]. Der (supranationale) Staat ist also kein homogener Akteur: Seine Organe und Institutionen können unterschiedliche Ziele vertreten und in unterschiedlichem Maß für klimapolitische Anliegen offen sein (Jessop, 2003).

Generell sollte hinsichtlich der priorisierten Gestaltungsperspektiven keine Dichotomie „TNK gegen den Rest“ gezeichnet werden. Nationalregierungen können zwar die ökologische Regulierung von Warenketten vorantreiben. Genauso gut können sie aber auch für TNK förderliche Rahmenbedingungen durchsetzen, um die Position des eigenen Standorts in der internationalen Arbeitsteilung zu erhalten. Das gilt auch für Europa, wo es unterschiedliche und mit Klimapolitik inkompatible Entwicklungs- oder Wachstumsmodelle gibt. Im Kontext des europäischen Standortwettbewerbs sind zum Beispiel osteuropäische Regierungen zum Teil bemüht, Standorte mit niedrigen Faktorkosten, vor allem für Arbeit und Energie, sowie mit niedrigen Gewinnsteuern für fragmentierte Produktionsketten attraktiv zu machen.

Auch der private Unternehmenssektor ist nicht homogen. Unternehmen unterscheiden sich in ihren klimapolitischen Intentionen, aber auch hinsichtlich ihrer Handlungsspielräume je nach Unternehmensgröße, Art der Einbettung in Warenketten und Wirtschaftsbereich. Die österreichischen Niederlassungen von TNK mit dem Headquarter im Ausland haben wenig Spielraum für die Entwicklung eigener Nachhaltigkeitsstrategien (Pichler et al., 2021). Einheimische KMU sind in den österreichischen Versorgungsstrukturen besonders wichtig [Kap. 14]. Viele von ihnen sind aber auch als Zulieferer spezialisierter Komponenten und Dienstleistungen in globale Warenketten eingebunden. Für diese stellt die nachhaltige Umstrukturierung ihres Geschäftsmodells eine noch größere Herausforderung dar als für TNK, auch wenn die Finanzierungsmöglichkeiten von KMU in Österreich als relativ gut beurteilt werden [Kap. 14]. Insbesondere bei der Umsetzung tiefgreifender Maßnahmen zum ökologischen Umbau von Warenketten zeigen sie Zurückhaltung [ebd.]. Die in Österreich zahlreich vertretenen, aber in der Öffentlichkeit wenig bekannten „Hidden Champions“, z. B. die Lenzing AG, Engel Austria oder die Keba AG, wiederum verfügen wegen ihrer Eigenständigkeit einerseits über Handlungskompetenz, andererseits müssen sie sich in ihrem Nischensegment als europäischer Marktführer oder als einer der Top 3 ihrer Branche auf dem Weltmarkt behaupten, was den Handlungsspielraum wieder einschränkt. Auch innerhalb der Gewerkschaftsbewegung treten widersprüchliche Interessen zutage, je nachdem, ob in einem organisierten Bereich Exportorientierung und/oder Importabhängigkeit besteht oder ob dieser eher binnenorientiert ist.

Um globale Warenketten umbauen oder regulieren zu können, braucht es nicht nur regulatorische Maßnahmen, sondern auch soziale Träger_innen solcher Maßnahmen. Die Herausforderung besteht darin, viele verschiedene Akteur_innen zur Herausbildung einer Allianz zu bewegen, die sich auf einen Minimalkonsens hinsichtlich der Förderung ökologischer Warenketten einigen kann und die bei widersprüchlichen Interessen Kompromisse aushandeln kann. Dass nicht alle beteiligten Gruppen homogen sind, ist hier ein Vorteil, da so eine breitere Allianz quer über Interessengruppen hinweg entstehen kann. Bei den Gestaltungsoptionen muss deshalb im Zentrum stehen, wie bestehende einschränkende Strukturen durch konkretes Handeln aufgebrochen werden können.

15.4 Gestaltungsoptionen

Das klare, aber sehr anspruchsvolle Ziel eines klimafreundlichen Lebens berührt tendenziell alle Infrastruktur-, Produktions- und Konsumbereiche der Gesellschaft inklusive Werthaltungen, Normen und Routinen. Marktbasierte oder innovationsorientierte Instrumente alleine oder auch nur sektorale Lösungen sind deshalb genauso unzureichend wie auf das einzelne Individuum oder eine einzelne Regulierungsinstanz wie den Nationalstaat zu fokussieren. Gestaltungsoptionen betreffen de facto alle Skalenebenen („scales“) der Weltgesellschaft.

Eine multiskalare und eine Warenketten- oder multisektorale Gestaltungsperspektive beinhaltet, die Wirkweise von Maßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen (lokal, national, regional, global) und in verschiedenen Wirtschaftssektoren miteinander in Bezug zu setzen, um Probleme auf dem Weg zu einem klimafreundlichen Leben nicht zu verschieben, sondern möglichst ganzheitlich zu erfassen und komplementäre Maßnahmen entwerfen zu können.

Die Gestaltungsoptionen folgen einer multiskalaren und multisektoralen Perspektive. Wir beginnen beim Individuum und den Rahmenbedingungen für verantwortungsvollen Konsum, stellen dann Maßnahmen zur ökologischen Regulierung globaler Warenketten vor und diskutieren abschließend Transformationspfade, die eine grundlegende Neugestaltung von Warenketten zum Ziel haben.

15.4.1 Verantwortungsvoller Konsum und ressourcenleichte Lebensstile

Ein klimafreundlicher Lebensstil braucht Rahmenbedingungen, innerhalb derer verantwortungsvolle Konsumentscheidungen tatsächlich getroffen werden können. Unter den derzeitigen Bedingungen exponentiellen Wachstums ist Konsument_innen in der Regel nur die Möglichkeit gegeben, das geringere zweier Übel zu wählen. So können z. B. Produkte aus biologischer Landwirtschaft weniger klimabelastend sein als Produkte aus konventioneller Landwirtschaft (z. B. Hörtenhuber et al., 2010), doch darf auch die biologische Produktion nicht beliebig ausgeweitet (extensiviert) werden, wenn gleichzeitig Senken und Lebensräume erhalten werden sollen. Produkte aus biologischer Landwirtschaft können dann Teil eines klimafreundlichen Lebensstils sein, wenn die beanspruchten Ressourcen einen gerechten Anteil innerhalb planetarer Grenzen nicht übersteigen (Steffen & Stafford Smith, 2013). Solche Bedingungen – nicht nur für oftmals kurzkettigere landwirtschaftliche Güter, sondern noch viel mehr für verarbeitete Industriegüter – gehen weit über das hinaus, was individuelle Konsument_innen mit der Geldbörse bewirken können. Dass sie dennoch oftmals als die Hauptverantwortlichen für eine sozialökologische Transformation adressiert werden, wird in der wissenschaftlichen Literatur als „consumer scapegoatism“ bezeichnet, also als das Zum-Sündenbock-Machen von Konsument_innen (Akenji, 2014).

Das schmälert nicht das bewusstseinsbildende Potenzial, das Initiativen für ein klimafreundlicheres Leben – z. B. Fairtrade oder Kampagnen wie Clean Clothes oder Fair-IT, die auf sozial und ökologisch verträgliche Lieferketten drängen – besitzen. Wenn es allerdings bei dem alleinigen Fokus auf Konsumentscheidungen bleibt, wird verschleiert, dass es verbindliche Regeln für Markthandeln und nachhaltige und inklusive Bereitstellungssysteme braucht, um Produktions- und Konsumnormen zu verändern und, vor allem in Österreich und anderen Ländern des Globalen Nordens, das absolute Ausmaß von Produktion und Konsum drastisch zu reduzieren. Alternative Konsumweisen können dann einen positiven Beitrag zur Nachhaltigkeit leisten, wenn sie die Reduktion von Umweltauswirkungen entlang globaler Warenketten ermöglichen. Wenn nachhaltiger Konsum jedoch zusätzlich zu und nicht anstelle von bereits bestehendem Konsum stattfindet, wird dadurch die Ressourcennutzung in einer Art Rebound-Effekt (Barker et al., 2009; Wei & Liu, 2017) ausgedehnt.

Neben der Politisierung sozioökologischer Ungleichheiten auf Haushaltsebene (Energiereichtum versus Energiearmut, Überkonsum versus Unterversorgung), ist auch das Sichtbarmachen von wirkmächtigen Ansatzpunkten und Alternativen notwendig. Dies beinhaltet, nicht nur für den nötigen klimafreundlichen Umbau von Energiesystemen und Infrastrukturen zu werben, sondern auch ein fundamentales Umdenken in den Gesellschaften des Globalen Nordens zu propagieren. Dies ist gleichbedeutend mit einer kulturellen Transformation (Göpel, 2016), die die Grundversorgung aller Menschen in den Vordergrund stellt und Wohlstand (auch) in nichtmateriellen Kategorien erfasst. Vorschläge zielen darauf, Versorgungssysteme umzugestalten und darauf auszurichten, allen ein komfortables, vom Überfluss befreites Leben zu ermöglichen. Zeitwohlstand, befriedigende soziale Beziehungen, (vor)sorgende Gemeinschaften, ein sich entfaltendes Geistes- und Seelenleben, Zugang zu intakter Natur und Erfahrungen von Selbstwirksamkeit und Sinn werden als „neue Währungen“ benannt, in denen Wohlstand bemessen wird.

Die große kulturelle Herausforderung im Globalen Norden liegt darin, die Vision vom guten Leben, von Fortschritt und Zivilisation nicht mehr mit der Vorstellung von ökonomischem Wachstum und anderen Eckpfeilern unseres nichtnachhaltigen Wirtschaftssystems zu koppeln. Zweifelsohne geht es hierbei für die hochkonsumierenden Segmente der Bevölkerung darum, mit weniger Ressourcen auszukommen, aber eben gleichzeitig einen Zugewinn an Lebensqualität zu verzeichnen (Postwachstum bzw. Degrowth). Dadurch würde auch der Druck auf andere Segmente der Bevölkerung, weiterhin exponentielles globales Wachstum zu ermöglichen, reduziert werden („environmental justice“). Die inter- und intragenerationellen Ressourcennutzungsmuster weisen hohe Variabilität auf (O’Neill et al., 2018); nach welchen Gesichtspunkten sie umzugestalten sind, muss Gegenstand eines demokratischen, gesamtgesellschaftlichen Verhandlungsprozesses sein (Brand et al., 2021), in dem nicht der Erhalt einer Wirtschaftsform ex ante über der nachhaltigen Befriedigung von Grundbedürfnissen steht.

15.4.2 Globale Warenketten regulieren

Die Bepreisung von Kohlenstoff zur Verminderung von Treibhausgasemissionen – in Gestalt von Emissionshandelssystemen oder CO2-Steuer-Modellen – bildet einen Eckpfeiler marktbasierter regulatorischer Maßnahmen in der Klimapolitik (für einen Überblick über außerhalb der EU bestehende CO2-Bepreisungen siehe World Bank, 2021). Ein Hauptargument für die Einführung einer CO2-Bepreisung lautet, dass es sich um eine Maßnahme mit hoher ökologischer Wirksamkeit zu relativ geringen Kosten handelt und dass technologische Innovationen stimuliert werden. Allerdings braucht es weltweit einheitliche Maßnahmen (Baranzini et al., 2017; van den Bergh et al., 2020). Erst das schaffe die nötigen Voraussetzungen, so die Autor_innen, unfaire Wettbewerbsbedingungen und Carbon Leakage – das Ausnützen von regulatorischen Unterschieden im Bereich der Umweltpolitik durch transnationale Konzerne – zu verhindern. Nur so könne der makroökonomische bzw. globale Rebound-Effekt begrenzt werden.

Baranzini et al. (2017, S. 9) schätzen die Herausforderung, auf internationaler Ebene eine einheitliche CO2-Steuer zu erreichen, geringer ein als Verhandlungen über andere klimapolitische Maßnahmen. Eine globale CO2-Steuer (gebunden an Pro-Kopf-Einkommen oder -Emissionen) würde von einem „self-enforcement mechanism“ profitieren, weil Länder nicht danach trachten würden, einen niedrigen nationalen Kohlenstoffpreis auszuhandeln, und Anreize besser aufeinander abgestimmt werden können. Kompensationsmaßnahmen für arme Länder könnten, analog zu innerstaatlichen Korrekturen, unerwünschten Verteilungseffekte entgegenwirken [zu nationalen Verteilungswirkungen siehe Kap. 17]. Van den Bergh et al. (2020) schlagen eine Doppelstrategie vor, um eine global einheitliche CO2-Bepreisung voranzutreiben: eine sich ständig erweiternde „carbon-pricing coalition“, die Druck auf die Staatengemeinschaft ausübt, sowie Verhandlungen unter dem Dach der UNO im Kontext der Klimarahmenkonvention (ähnlich Felbermayr, 2021).

Da ein globales Emissionshandelssystem und globale Obergrenzen für Emissionen als politisch und institutionell als schwieriger eingeschätzt werden, ist es sinnvoll, zunächst mit regionalen Emissionshandelssystemen zu starten bzw. diese zu verbessern (Baranzini et al., 2017, S. 11). Die Reform des ETS enthält erhebliche klimapolitische Fortschritte. Für die Einhaltung der Ziele von Paris sind sie nach Einschätzung der Kritiker_innen dennoch nicht ausreichend. Umwelt-NGOs geht der Abbau der kostenlosen Zertifikate an Industrie und Energiewirtschaft zu langsam. Sie kritisieren die Zugeständnisse an die Großindustrie und fordern höhere Zertifikatpreise. Arme Haushalte würden hingegen im ETS II (Verkehr und Gebäude) nur unzureichend abgesichert. Der Klimasozialfonds sei zu gering dotiert, so die Kritik (Held et al., 2022).

Zum Paket „Fit für 55“ gehört auch der Kohlenstoff-Grenzausgleichsmechanismus (Carbon Border Adjustment Mechanism/CBAM), der als Reaktion auf die Kritik am ETS im Juli 2021 beschlossen wurde. CBAM soll eine Kohlenstoff-Grenzsteuer auf Importe und eine Erstattung der Kohlenstoffkosten, die die EU-Produzenten für ihre Exporte tragen, beinhalten. Der Mechanismus wird ab 2026 auf importierte Rohstoffe und Waren angewandt, die ein hohes Carbon-Leakage-Risiko aufweisen, bei deren Produktion im EU-Ausland also hohe Emissionen erzeugt werden (z. B. Zement, Düngemittel, Aluminium, Strom, Eisen und Stahl). Während die zweite Komponente einen Großteil des ökologischen Fortschritts, der durch ein EU-Kohlenstoffpreissystem erreicht werden soll, zunichtemachen könnte, könnte eine europäische Kohlenstoffsteuer (1) die ökologische Transformation unterstützen, (2) Carbon Leakage erschweren und (3) Mittel für Klimaschutzmaßnahmen im EU-Haushalt bereitstellen. Sie könnte Importe aus energieintensiven Industrien drosseln und zu einer kohlenstoffunabhängigen EU beitragen (null Importe von fossilen Energieträgern Öl, Gas, Kohle) (Landesmann & Stöllinger, 2020). Wird eine solche Abgabe als interne Steuer konzipiert, stünde sie keiner WTO-Regulierung entgegen (Stöllinger, 2020). Da es in komplexen Lieferketten faktisch unmöglich ist, die CO2-Fußabdrücke für Endprodukte von den Leitunternehmen einzufordern, schlagen Krenek et al. (2018) vor, die im ETS für manche Sektoren errechneten Benchmarks als Zoll-Berechnungsgrundlage heranzuziehen.

Damit sie sozial verträglich ist, bräuchte eine solche Steuer entsprechende Begleitmaßnahmen, mit denen sichergestellt wird, dass bestehende ökonomische und soziale Ungleichheiten nicht verschärft werden. Die Auswirkungen des CBAM auf Produktionsstandorte und Handelspartner, insbesondere im Globalen Süden, sind allerdings in der Forschung (und in der politischen Debatte) unterrepräsentiert. Eine Risikoabschätzung zeigt, dass die Folgen einer solchen Steuer ungleich verteilt sind. Sie würde vor allem Länder in Afrika, Südosteuropa und Osteuropa (außerhalb der EU) und zum Teil in Asien aufgrund ihrer einseitigen Exportabhängigkeit und Spezialisierungsmuster bzw. Art der Einbindung in globale Warenketten treffen (Eicke et al., 2021). Forschung zu potenziellen und unbeabsichtigten Risiken für Länder des Globalen Südens könnten dazu beitragen, neue globale Spaltungstendenzen und eine Verschärfung von Ungleichheit zu vermeiden. Eicke et al. (2021) schlagen vor, die Einnahmen aus dem CBAM für globale Klimagerechtigkeit zu verwenden, etwa für Dekarbonisierungsprozesse und Emissionsreduzierung an den jeweiligen Produktionsstandorten in der globalen Peripherie.

Lieferkettengesetze zielen unmittelbar auf die Regulierung grenzüberschreitender Unternehmenstätigkeit. Um unfairen Wettbewerb zu verhindern, sind solche Regulierungen auf jeder Ebene und insbesondere auf globaler Ebene anzustreben (De Schutter, 2020). Umweltbezogene Sorgfaltspflichten haben in den vorliegenden Gesetzen (Deutschland, Frankreich; EU-Entwurf und UN-Treaty) vergleichsweise nur in geringem Umfang Aufnahme gefunden (Kunz & Wagnsonner, 2021; Schilling-Vacaflor, 2021). Anders als Menschenrechte, die in verschiedenen Rechtsakten kodifiziert sind, erfordert die komplexe Rechtslage in Bezug auf Umweltbelange und Klimaschutz (Rechtswahl, Geltungsanspruch, Haftung etc.) die Entwicklung rechtswirksamer Instrumente und operabler Lösungen. Krebs et al. (2020) schlagen angesichts der Vielzahl von Umweltrechtsakten Generalklauseln vor, die es erlauben, auf Verträge und Normen branchen- und risikobezogen Bezug zu nehmen. Regeln für Markthandeln können auch ökologisierte Bereitstellungsysteme ermöglichen, indem z. B. Unternehmen, die ökologische Standards in ihrer Lieferkette unterlaufen, von öffentlichen Aufträgen ausgeschlossen werden. Das sieht das derzeit gültige deutsche Lieferkettensorgfaltsgesetz vor.

15.4.3 Globale Warenketten kürzen oder umbauen

Der Um- oder Rückbau von global fragmentierten Warenketten erfordert Eingriffe staatlicher oder supernationaler Akteur_innen sowie von Unternehmen. Die Gestaltungsoptionen in diesem Bereich liegen zwischen zwei Polen: Beim einen Pol werden ausschließlich marktbasierte Anreize gesetzt, die Unternehmen zum eigenständigen Umbau der Produktion motivieren sollen. Am anderen Ende steht eine staatlich geplante sozial-ökologische Industrie- oder Transformationsstrategie, die sektorweite Umbaupläne in ein größeres Ganzes, mit flankierender Wirtschafts-, Klima- und Sozialpolitik, integriert. In Reinform tritt keines von beidem auf. Wissenschaftliche Positionen und die Akzentsetzungen einzelner Länder neigen aber stärker in Richtung des einen oder des anderen Pols.

Für Unternehmen zeigen Denkena et al. (2022), dass durch die ökologische Planung von industriellen Fertigungsprozessen die Energie- und Ressourceneffizienz in allen Produktionsphasen erhöht werden kann. Dies kann als Folge von einem „environmental impact assessment“ für alle Produktionsstufen erreicht werden. Durch eine Optimierung der Ressourceneffizienz sind in ihrem Anwendungsfall Energieeinsparungen von bis zu 21 Prozent möglich. Mangels vorliegender Studien sollte untersucht werden, wie viele Unternehmen in Österreich bereits auf umfassendes „environmental impact assessment“ jeder Produktionsstufe ihrer Warenketten setzen, ob die globalen Zusammenhänge (möglicher globaler Rebound-Effekt, mögliches Carbon Leakage etc.) dabei ausreichend berücksichtigt werden und ob dies zu systematischer ökologischer Planung des Produktionsprozesses führt.

Radikalere Ansätze ziehen dem Umbau von Warenketten durch einzelne Unternehmen eine staatliche gelenkte sozial-ökologische Konversionsstrategie vor. Diese soll einen Bruch mit den bestehenden Produktionsstrukturen und den dazugehörigen Konsummustern einleiten (Eder & Schneider, 2018, S. 120–121). Für einzelne Sektoren sollen Umbau- oder Rückbaupläne entwickelt werden, die Bestandteile einer übergeordneten sozial-ökologischen Transformationsstrategie sein sollten, die auch einen sozial gerechten Übergang gewährleistet (Pichler et al., 2021, S. 148). Welche Auswirkungen dies auf globale Warenketten hätte, also ob beispielsweise Carbon Leakage befördert werden könnte, wird in der Debatte bisher nicht ausreichend berücksichtigt.

Im Folgenden werden Gestaltungsoptionen für einzelne politische Programme und Strategien aufgezeigt, die im Kapitel „Status quo“ bereits eingeführt wurden. Der europäische Green Deal (EGD) befindet sich auf EU-Ebene in der Umsetzungsphase. Dieser regt den Umbau von Warenketten an, indem die Kreislaufwirtschaft ein zentrales Element darstellt, und spricht sich gleichzeitig für die Schaffung neuer innovativer Warenketten aus (Europäische Kommission, 2019b). Pianta & Lucchese (2020, S. 7) verweisen darauf, dass der EGD mit einer ambitionierten Industriepolitik verwoben werden sollte und dass der Handlungsspielraum für staatliche Eingriffe auf nationaler und auf EU-Ebene erhöht werden müsste. Nachhaltigkeit bezeichnen sie als politisches Projekt. Für sie wäre deshalb das geteilte Verständnis, dass Umweltprobleme nicht marktbasiert gelöst werden können, ein grundlegender Ausgangspunkt für radikalere Politik.

Auch das Potenzial von IPCEI könnte in ökologischer Hinsicht noch stärker ausgeschöpft werden. Laut Polt, Linshalm & Peneder (2021) werden IPCEI derzeit vorrangig als industriepolitisches Instrument eingesetzt. Eine stärkere Verbindung mit anderen Politikfeldern wie dem EGD sollte angestrebt werden. Die Beschreibung der IPCEI-Zielsetzungen lässt eine solche Verknüpfung auch zu (Polt et al., 2021, S. 30). Wichtig wäre es, bei neu geplanten IPCEI die Struktur der gesamten Warenkette nach ökologischen Kriterien zu analysieren.

Die Förderung der Kreislaufwirtschaft kann weiters eine Strategie darstellen, um global fragmentierte Produktion räumlich (wieder) einzuhegen. Die Beurteilung der konkreten kreislaufwirtschaftlichen Projekte muss aber immer mit all ihren Folgewirkungen entlang der Warenkette und somit auch an anderen Orten beurteilt werden. Hier besteht eine wichtige Forschungslücke. Schroeder et al. (2018) sprechen sich für die Schaffung einer transdisziplinären Forschungsagenda aus, die auf den Globalen Süden fokussiert und untersucht, „how the circular economy agenda can deliver opportunities for sustainable GVCs, contribute to the Sustainable Development Goals, and promote sustainable societies as well as addressing environmental degradation and pollution in the Global South“ (Schroeder et al., 2018, S. 78). Auch österreichische Wissenschaftler_innen könnten in diesem Feld einen wichtigen Beitrag leisten.

Während der EGD die EU im Blick hat, gibt es auch Vorschläge für einen Global Green New Deal (Global GND), zum Beispiel jenen, den Kevin P. Gallagher und Richard Kozul-Wright 2019 für die UNCTAD (UN-Konferenz für Handel und Entwicklung) ausgearbeitet haben (Gallagher & Kozul-Wright, 2019). Die Vorschläge verbinden internationale Klimapolitik mit fortschrittlicher Beschäftigungspolitik und einer neuen multilateralen Governance. Globale Warenketten werden als grundlegende Organisationsform globaler Produktion erwähnt, aber konkrete Überlegungen zu deren klimagerechten Umgestaltung gibt es wenige. Die Autoren werben vielmehr für eine Revision geltender internationaler Handels- und Investitionsabkommen. Mit einem temporären und genau zu definierenden „WTO climate waiver“ sollen etwa nationale Maßnahmen für den Klimaschutz von den geltenden internationalen Handelsregeln ausgenommen werden. In einer Broschüre der Rosa-Luxemburg-Stiftung zum Global GND verweisen beispielsweise Paul & Gebrial (2021, S. 10) darauf, dass die Dekarbonisierung im Mobilitätssektor, insbesondere die Förderung von Elektromobilität, bestehende Warenketten signifikant umstrukturieren wird. Allerdings könne die Versorgung des Globalen Nordens mit grüner Energie auf Kosten der Menschen im Globalen Süden gehen (Stichwort „Klimakolonialismus“). Wie globale Warenketten, z. B. im Bereich Mobilität, sozial und ökologisch nachhaltig umgestaltet werden können, ist aber in keinem der Vorschläge ausreichend ausgearbeitet. Darauf sollten Politik und Wissenschaft in Zukunft größere Aufmerksamkeit legen.

Auf österreichischer Ebene deuten die bisher bekannten Schlagwörter zur Standortstrategie 2040 darauf hin, dass sie dem Ideal der ökologischen Modernisierung verpflichtet bleibt und auf grünes Wachstum und technische Innovation abzielt, die sie durch gezielte Leuchtturmprojekte fördern will (BMDW, 2021). Das zeigt sich schon beim Framing als „Standortstrategie“. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist noch nicht entschieden, welche Interessen und Zielvorgaben sich letztendlich durchsetzen. Der Aushandlungsprozess verlief schleppend und es ist auffällig, dass in den genannten Strategien, Projekten und Programmen wenig Bezug zwischen grenzüberschreitenden Warenketten und Dekarbonisierung der Industrie hergestellt wird. Die Standortstrategie und das Projekt „Grüne Industriepolitik“ wären eine gute Gelegenheit, eine systematische Analyse der wichtigsten Warenketten mit österreichischer Einbindung nach ökologischen Gesichtspunkten zu veranlassen. Erst auf Grundlage einer solchen Untersuchung können weitreichende Überlegungen zu deren Umbau erfolgen.

Eine andere Form, globale Warenketten umzubauen und dabei zu verkürzen, ist Reshoring oder Nearshoring, also die Rückverlagerung von Produktionsstätten in den Absatzmarkt oder in seine Nähe. Während der letzten Jahre, insbesondere im Zuge der COVID-19-Pandemie, wurde Reshoring in der EU vor allem in Zusammenhang mit Versorgungssicherheit bei strategischen Gütern diskutiert. Raza et al. (2021a, S. 24, S. 28–31, S. 74–76) streichen allerdings hervor, dass die Fertigungsorganisation nicht allein aus diesem Blickwinkel betrachtet werden sollte. Auch der Erhalt und Ausbau der für die sozial-ökologische Transformation notwendigen produktiven und technologischen Fertigkeiten sollte laut den Autoren bei den Überlegungen zum Reshoring eine Rolle spielen. Zudem betonen sie, dass in den meisten Fällen Reshoring EU-weit koordiniert werden müsste, um ökonomisch effizient zu sein, und dass das Potenzial von Reshoring sektorspezifisch untersucht werden muss.

Radikalere Ansätze zu Deglobalisierung, z. B. von Walden Bello (2009, S. 461–462), sprechen sich für eine Verankerung des Prinzips der ökonomischen Subsidiarität in der Produktionsweise aus. Das bedeutet, dass die Herstellung von Gütern und die Bereitstellung von Dienstleistungen immer auf der niedrigsten räumlichen Ebene („scale“) stattfinden soll, auf der dies zu vertretbaren Kosten möglich ist. Dadurch wird die Marktlogik durch eine Gesellschaft-Natur- und Bereitstellungsperspektive ersetzt. Der Gebrauchswert gewinnt gegenüber dem Tauschwert an Relevanz und die Ökonomie des Alltags wird gestärkt [Kap. 14]. Anstatt Re- oder Nearshoring steht bei diesem Lösungsansatz Rescaling nach ökologischen und/oder sozialen Kriterien im Zentrum, konkret die Verschiebung ökonomischer Aktivitäten hin zu niedrigeren räumlichen Ebenen (Bärnthaler et al., 2021; Raza et al., 2021b, S. 27). Die Priorisierung einer Ökonomie des Alltags und eine Orientierung an menschlichen Bedürfnissen („human needs“) impliziert, dass bestimmte Wirtschaftssektoren schrumpfen (weil sie nicht der Befriedigung menschlicher Grundbedürfnisse dienen) oder transformiert werden (weil sie zwar wichtige Produkte oder Dienstleistungen zur Verfügung stellen, dies aber auf nicht nachhaltige Weise tun). Im „zonalen Übergangsprogramm“ von Bärnthaler et al. (2021) schrumpfen demgemäß (globale) Börsen- und Immobilienmärkte, während die (global fragmentierte) Automobilproduktion gleichermaßen einer Konversion und Schrumpfung überantwortet wird. Einer Bereitstellungsperspektive folgend, sollen öffentliche Dienstleistungen und lokale Infrastrukturen – von Gesundheit über Bildung bis zur Energie- und Nahrungsmittelversorgung – gestärkt und ökologisiert werden (Bärnthaler et al., 2021, S. 11–13).

Ein Rescaling globalisierter Produktion kann durch politische Regulierungen und mithilfe von Instrumenten wie öffentlicher Beschaffung (siehe unten) erreicht werden. Ein Rescaling im Sinne einer Verkürzung von globalen Warenketten ist nicht in jeder Branche wirtschaftlich gleich sinnvoll, da das Produktionsvolumen für angemessene Skalenökonomien je nach Sparte variiert (New Economics Foundation, 2010, S. 61). In einer kombinierten Betrachtung von menschlichen Bedürfnissen, Skalenerträgen (Qualität, Effizienz, Preis) sowie Wohlfahrtseffekten (Arbeit) schlägt NEF vor, etwa Feldfrüchte und andere Nutzpflanzen im Landkreis, Baumaterial, verarbeitete Nahrungsmittel und erneuerbare Energie auf regionaler Ebene und Kleidung und Stahl auf nationaler Ebene bereitzustellen. Für die Autoproduktion gibt NEF den Kontinent als geeignete Marktgröße an, für die Herstellung pharmazeutischer Produkte ist es die globale Ebene. Persönliche Dienstleistungen sind selbstredend auf der niedrigsten (lokalen) Ebene angesiedelt, Wasserversorgung und universitäre Bildung sollten regional und Versicherungsdienstleistungen und Elektrizität national organisiert werden. Während Luftfahrt als kontinentales Unternehmen ausgewiesen wird, erreicht keine Dienstleistung die globale Ebene. Eine gesellschaftliche Orientierung an menschlichen Bedürfnissen impliziert, dass eine Reihe von Branchen schrumpft, z. B. Werbung, Textilindustrie und Finanzdienstleistungen. Die von der NEF ausgearbeitete Folie müsste aber noch über die österreichische Wirtschaftsstruktur gelegt werden, um Aussagen über konkrete Potenziale des Rescalings in Österreich oder innerhalb der EU machen zu können. Gleiches gilt für die Übergangsskizze von Bärnthaler et al. (2021, S. 12).

Eine Möglichkeit von staatlicher Seite, nachhaltige Warenketten zu stärken und ein Rescaling hin zu niedrigeren räumlichen Ebenen zu fördern, ist nachfrageorientierte Industriepolitik in Form von öffentlicher Beschaffung einzusetzen. Raza et al. (2021a, S. 75) schlagen vor, dass öffentliche Beschaffung als horizontale Politikform unter anderem dazu genutzt werden kann, Zulieferer zu fördern, die „commit to using domestic production capacities and sourcing from regional suppliers, respectively.“ Hölzl et al. (2017) kommen in ihrer Studie zum öffentlichen Vergabewesen in Österreich zu dem Schluss, dass die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Verwendung des Bestbieterprinzips, das auch Nachhaltigkeitskriterien in Ausschreibungen aufnehmen und bei der Vergabe berücksichtigen kann, in Österreich bereits ausreichend gegeben sind. Sie benennen „weiche Faktoren“ – fehlende Überzeugungsarbeit, Ressourcen, Kompetenzen und Anreize bei den ausscheibenden Stellen – als größte Hindernisse für die höhere Gewichtung preisfremder Kriterien. Hier sollte angesetzt werden, wenn der bestehende Spielraum im Bereich der öffentlichen Beschaffung zukünftig ausgeschöpft werden soll. Außerdem benötigt es zusätzliche Begleitforschung, die die Effektivität und den Wirkungsgrad ökologischer Beschaffungsmechanismen erhebt, da bisher „das Wissen und die Daten über Vergaben in Österreich sehr fragmentiert, kaum zugänglich und daher begrenzt [sind]. Informationen und Daten werden derzeit nicht systematisch gesammelt, auch weil die Vergabestellen nicht die Mittel haben ihre Vergabeaktivitäten systematisch zu evaluieren“ (Hölzl et al., 2017, S. 56).

Unsere Analyse zeigt auf, dass die Vorschläge zum Umbau von Warenketten oft wenig konkret sind und erst an den österreichischen Kontext angepasst werden müssten. Zugleich wird offensichtlich, dass es eine Vielzahl von politischen Initiativen gibt, die es ermöglichen würden, auch den ökologischen Umbau oder die Kürzung globaler Warenketten miteinzubeziehen. Oftmals fehlt aber eine systematische Herangehensweise an diese Thematik und auch die notwendige wissenschaftliche (Begleit-)Forschung.