9.1 Einleitung

Digitale Systeme prägen unsere Welt seit Jahrzehnten. Ähnlich lange existiert bereits das Forschungsfeld der künstlichen Intelligenz (KI, vgl. Russell & Norvig, 2016), aber erst durch die Möglichkeiten heutiger Rechner und Netzwerke sind die Fortschritte, insbesondere im Bereich des maschinellen Lernens, auch als allgegenwärtige Technologie im Alltag angekommen.

Künstliche Intelligenz (KI)

Künstliche Intelligenz (KI) ist eine disruptive Technologie, die unter Rückgriff auf große Datenmengen menschenähnliche Wahrnehmungs- und Verstandesleistungen simulieren kann. Dieses „intelligente“ Verhalten drückt sich u. a. in Formen von Mustererkennung, logischem Schlussfolgern, selbstständigem Lernen und eigenständiger Problemlösung aus.

Digitale Sprachassistenten, selbstfahrende Autos, Gesichtserkennung in Kameras –intelligente Systeme sind inzwischen an vielen Stellen zu finden (Hitron et al., 2018). Die Potenziale der Technologie werden aktuell in vielen Bereichen, wie z. B. der Medizin, entdeckt. Genauso entstehen aber auch problematische Anwendungsfelder. Beispiel dafür sind automatisch generierte „deep fakes“ von Audio- oder Videodaten, die eine Einschätzung der Glaubwürdigkeit von Quellen schwer bis unmöglich machen, oder die bisher nicht regulierten intelligenten Waffensysteme. Die Gesellschaft wird sich daher in den nächsten Jahren und Jahrzehnten verstärkt mit der Frage auseinandersetzen müssen, wie man mit den Möglichkeiten dieser Technologie umgeht (Mazarakis et al., 2019).

Eine sinnvolle gesellschaftliche Diskussion benötigt ein Verständnis der prinzipiellen Funktionsweise und damit einhergehend auch der Möglichkeiten und Grenzen künstlich intelligenter Systeme. Dafür reicht es weder aus, künstliche Intelligenz rein aus einer Anwendungsperspektive zu betrachten, noch muss dafür künstliche Intelligenz in der Tiefe eines Informatikstudiums verstanden werden. Ziel muss vielmehr sein, grundlegende Prinzipien an einfachen Beispielen zu vermitteln, um diese dann für eine Reflexion über die Technologie nutzen zu können – zum Beispiel hinsichtlich der Frage, wie man mit Bias in trainierten Systemen umgeht. Der Rat der Europäischen Union fordert hier etwa als Teil der Schlüsselkompetenzen für lebenslanges Lernen, dass Bürgerinnen und Bürger intelligente digitale Systeme in ihrem Alltag erkennen und effektiv nutzen können sollen (Europäische Union, 2018).

Für Themen von gesellschaftlicher Tragweite scheint eine Einbindung in den verpflichtenden Schulunterricht naheliegend. Dabei ergeben sich in der gegenwärtigen Situation drei Probleme:

  1. 1.

    Maschinelles Lernen und künstliche Intelligenz sind Themen der Informatik. Ein entsprechendes verpflichtendes Schulfach existiert in Deutschland bisher aber nur in wenigen Bundesländern (Gesellschaft für Informatik e. V. (GI), 2021).

  2. 2.

    Dort wo Informatikunterricht existiert, sind die Curricula teilweise nicht modern genug, um die Themen zu berücksichtigen. Auch im Lehramtsstudium bzw. in Maßnahmen zur Nachqualifikation von Informatik-Lehrkräften finden die Themen oft keinen Eingang, da es dafür noch nicht als zentral genug (für die Informatik) gesehen wird. So findet sich in den Bildungsstandards der Gesellschaft für Informatik für die Sekundarstufe II nichts zu den Themen „künstliche Intelligenz“ oder „maschinelles Lernen“ (Arbeitskreis „Bildungsstandards SII“ der Gesellschaft für Informatik e. V., 2016), dasselbe gilt auch für die ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen an die Lehramtsausbildung (Kultusminister Konferenz, 2008). Es fehlt somit an curricularen Vorgaben und in der Folge auch an Lehrmaterial für diese Themen.

  3. 3.

    Es stellt sich damit zunächst die grundsätzliche Frage, welche Aspekte der künstlichen Intelligenz bzw. des maschinellen Lernens man im Kontext von Schulunterricht thematisieren kann und möchte (Sulmont et al., 2019; Schlichtig et al., 2019). Die modernen Verfahren erfordern typischerweise Mathematik, die weit über das Schulniveau hinausgeht (Mariescu-Istodor & Jormanainen, 2019). Gleichzeitig findet Informatikunterricht in Deutschland, wenn er verpflichtend ist, meist eher am Anfang der Sekundarstufe I statt und vergrößert so noch die Kluft zwischen dem, was mathematisch von den Schülerinnen und Schülern leistbar ist, und dem, was man benötigen würde, um beispielsweise das Training in einem neuronalen Netz zu verstehen. Belässt man den Unterricht aber auf einer reinen „Blackbox“- oder Analogie-Ebene, verstärkt man damit – speziell bei jüngeren Lernenden – möglicherweise falsche Eindrücke über die „Intelligenz“ von Maschinen (Williams et al., 2019), die diese oftmals als Vorstellung in den Unterricht bringen (Rücker & Pinkwart, 2016).

Aus dieser Ausgangslage entsteht das Desiderat für Unterrichtsmaterial bzw. Lernumgebungen zu Themen der KI bzw. des maschinellen Lernens, die in und optimalerweise auch außerhalb des Informatikunterrichts von Lehrkräften eingesetzt werden können, die nicht notwendigerweise selbst zu diesem Thema fachlich oder fachdidaktisch ausgebildet wurden. Das Material muss darüber hinaus auch niederschwellige, z. B. phänomenologische Zugänge zu den Themen ermöglichen und diese dabei gleichzeitig nicht als reine Black-Box betrachten.

In diesem Beitrag wird die Konzeption einer von mehreren Online-Lernumgebungen vorgestellt, die aufbauend auf diesen Ansprüchen und fachdidaktischen Ansätzen der Informatik entwickelt wurden.

9.2 Das „KI-Labor“

Die Webseite „KI-Labor“ wird von der Arbeitsgruppe Didaktik der Informatik an der Universität Kiel entwickelt und bereitgestellt.Footnote 1 Das Ziel der Lernumgebungen ist es, unterrichtliche Zugänge zu mehreren klassischen und bis heute relevanten Verfahren der künstlichen Intelligenz zu ermöglichen. Die Lernumgebungen können dabei explorativ von den Schülerinnen und Schülern bearbeitet oder als Teil eines stärker instruktional ausgerichteten Unterrichts eingebettet werden. Grundsätzlich sind die Lernumgebungen für die Klassenstufen 10–13 vorgesehen, in besonderen Fällen ist aber auch ein Einsatz in anderen Kontexten denkbar – etwa im Rahmen von Wahlpflichtunterricht in Informatik unterhalb der 10. Klasse.

Die Lernumgebungen thematisieren die drei typischen Lernverfahren des maschinellen Lernens: Beim Verstärkungslernen werden Informationen aus der „Umwelt“ als Reaktion auf das Verhalten eines trainierbaren Systems gesammelt und diese zur Verbesserung des Systems verwendet. Beim überwachten Lernen werden Systeme anhand von existierenden Daten auf ein bekanntes, erwünschtes Ergebnis trainiert. Künstliche neuronale Netzwerke stellen hier sicherlich den bekanntesten Vertreter dar. Im Gegensatz dazu ist bei Verfahren des unüberwachten Lernens kein solches erwünschtes Ergebnis bekannt (vgl. Russell & Norvig, 2016).

Künstliches neuronales Netzwerk

Ein künstliches neuronales Netzwerk beschreibt eine Struktur von verknüpften Knoten. In dieser Struktur werden drei verschiedene Schichten unterschieden. Es gibt den Input-Layer, darauffolgend einen oder mehrere Hidden-Layer und abschließend einen Output-Layer. Jede Einheit besitzt verschiedene Gewichte, mit denen die Daten verarbeitet werden. Die Gewichte der Knoten werden durch ein Training mit menschen- oder computergenerierten Daten ermittelt.

Bisher existieren drei Lernumgebungen, die hier zunächst kurz skizziert und im weiteren Verlauf des Artikels noch ausführlicher beschrieben werden:

  1. 1.

    „Tic-Tac-Toe“: Verstärkungslernen am Beispiel Tic-Tac-Toe. Durch wiederholte Spiele gegen einen menschlichen Gegner lernt das System aus Verlusten und verbessert kontinuierlich das eigene Spiel.

  2. 2.

    „Das Perceptron“: Überwachtes Lernen mit einem Perceptron. Im Rahmen einer Geschichte wird in die Funktionsweise von Perceptren als einfachste künstliche neuronale Netze sowie die Kombination von mehreren Perceptren eingeführt.

  3. 3.

    „MNIST“: Handschrifterkennung durch künstliche neuronale Netze als Beispiel für überwachtes Lernen. Neben der Verwendung eines bereits trainierten Systems erlaubt diese Lernumgebung auch das selbstständige Training der Netze. Ein Fokus liegt hier auf der Reflexion der Möglichkeiten und Grenzen eines leistungsfähigen Systems.

Neben diesen Lernumgebungen existieren sechs weitere „Experimentier-Umgebungen“, die zukünftig noch zu vollständigen Lernumgebungen ausgebaut werden, aktuell aber bereits als Ergänzung zu den existierenden Lernumgebungen eingesetzt werden können:

  1. 1.

    „Cartpole“: Verstärkungslernen am Beispiel des „Cartpole-Experiments“. In dieser Variante des Verstärkungslernens ist kein menschlicher Akteur notwendig, der Computer lernt durch Interaktion mit der (simulierten) Umwelt.

  2. 2.

    „Objekterkennung“: Ein komplexes Anwendungsbeispiel für künstliche neuronale Netze. Es werden Objekte mittels eines bereits fertig trainierten Modells in der Webcam erkannt.

  3. 3.

    „Klassifikation“: Erweiterung der Objekterkennung um die Möglichkeit, neue Klassen von Objekten zum trainierten Modell hinzufügen und trainieren zu können.

  4. 4.

    „Landschaft erzeugen“, „Gesichter erzeugen“, „MNIST-Daten erzeugen“: Alle drei Umgebungen thematisieren das unüberwachte Lernen mit „generative adversarial networks“ (GANs). Dabei arbeiten zwei künstliche neuronale Netzwerke „gegeneinander“. Ein Netz erzeugt Ausgaben, die bekannten Daten ähneln sollen. Ein zweites Netz klassifiziert diese Ausgaben in „echt“ oder „generiert“. Im Training wird dabei das Ergebnis der Klassifikation als verstärkender Input für beide Netzwerke verwendet. Dadurch lassen sich z. B. künstliche Bilder von Gesichtern oder Landschaften generieren.

Alle Lernumgebungen sind anhand von gemeinsamen theoretischen Überlegungen konzipiert worden, die hier zunächst allgemein vorgestellt und in den nächsten Abschnitten an konkreten Beispielen aufgegriffen werden:

  1. 1.

    Es gibt grundsätzlich eine oder mehrere interaktive Experimentierumgebungen in den Umgebungen, die es ermöglichen, dass Schülerinnen und Schüler mit einem KI-System interagieren. Diese Herangehensweise hat sich für die Erarbeitung von Themen des maschinellen Lernens bereits als wirksam erwiesen (Hitron et al., 2019) und folgt grundsätzlich der Idee des „active learning“ (Freeman et al., 2014). Die Interaktion erfolgt dabei aber in einer Art und Weise, die über das reine Verwenden eines Systems hinausgeht und somit die „Black-Box“ bis zu einem bestimmten Grad öffnet. Im Gegensatz zu anderen unterrichtlichen Kontexten, in denen die betrachteten informatischen Systeme tatsächlich voll von den Lernenden durchdrungen werden sollen, geht es aufgrund der oben dargelegten Einschränkungen in diesen Lernumgebungen um die Bildung geeigneter, aber letztlich unvollständiger mentaler Modelle (Ben-Ari, 1998).

  2. 2.

    Die Lernumgebungen bieten Aufgaben, anhand derer das Experimentieren bzw. der Arbeitsfluss gesteuert wird. Die Aufgaben bieten immer auch Gelegenheiten zur Reflexion der gemachten Beobachtungen bzw. regen den Transfer des Gelernten an. Hier wird im Sinne des „experiential learning“ ebenfalls auf aktives, konstruktivistisches Lernen zurückgegriffen (Kolb, 1984). Die Umgebungen bieten eine Mischung aus Phasen des „tinkering“ und klaren strukturierten Phasen, um auf die unterschiedlichen Arbeitsweisen von Schülern und Schülerinnen einzugehen (Burnett et al., 2016).

  3. 3.

    Auf instruktionales Material wird größtenteils verzichtet, um die Einbettung in verschiedene unterrichtliche Kontexte zu ermöglichen. Insbesondere wird eine Vermenschlichung der Systeme vermieden und deren feste, algorithmische Struktur in den Vordergrund gestellt. Damit sollen Fehlvorstellungen über „denkende Maschinen“ vermieden bzw. verringert werden (Rücker & Pinkwart, 2016). Um auch ein selbstgesteuertes Lernen zu ermöglichen, ist eine Anbindung an existierendes Lehrmaterial möglich (siehe unten). Speziell können die Lernumgebungen somit auf die folgenden Arten eingesetzt werden:

  1. a)

    im Sinne des „preparatory problem solving“ als Einstieg in ein Thema (Kapur, 2015),

  2. b)

    als Material für interessierte Schüler*innen, die selbstentdeckend arbeiten,

  3. c)

    als Übungs- bzw. Reflexionsgelegenheit im Anschluss an eine instruktionale Einheit.

Aus technischer Sicht werden alle Umgebungen des KI-Labors direkt als Javascript im Browser ausgeführt, es ist somit beispielsweise nicht notwendig, eine stabile Internetverbindung während des Experimentierens zu haben, und es muss auch keine weitere Software installiert werden. Intern wird hauptsächlich auf die „TensorFlow“-Bibliothek und das Web-Framework „AngularJS“ zurückgegriffen, um eine moderne und performante Webseite zu erhalten, in der auch große Datensätze noch sinnvoll von typischen Rechnern verarbeitet werden können. Gleichzeitig sind, für Lernumgebungen, die einen Anwendungskontext darstellen, die Datensätze aber bewusst so groß gewählt, dass zum einen interessante Ergebnisse – etwa die Objekterkennung mit einer Webcam in Echtzeit – realisiert werden können und zum anderen auch das Training einige Zeit dauert, sodass die Rechenleistung, die für moderne KI notwendig ist, wenigstens in Ansätzen direkt erfahrbar wird.

In den nächsten Abschnitten werden die drei Lernumgebungen im Detail vorgestellt und dabei auch die Umsetzung der eben dargelegten Designentscheidungen nochmals aufgegriffen.

9.2.1 Die Lernumgebung „Perceptron“

Ein Perceptron stellt den Grundbaustein von künstlichen neuronalen Netzen – ein einzelnes künstliches Neuron – dar. Die Ausgabe eines Perceptrons wird berechnet als Funktionswert einer nichtlinearen „Aktivierungsfunktion“, angewendet auf die gewichtete Summe von mehreren (numerischen) Eingaben. Die iterative Verbesserung dieser Gewichte anhand von vorgegebenen Eingabe-Ausgabe-Paaren ist der Lernprozess (Russell & Norvig, 2016).

In der Lernumgebung wird eine interaktive Geschichte erzählt, in der ein Bauer mithilfe seiner Tochter maschinelles Lernen für die Klassifikation von Birnen anhand verschiedener Merkmale einsetzen möchte. Die Steuerung des Arbeitsflusses ist somit durch den Geschichtsverlauf fest vorgegeben, das Tempo der Bearbeitung aber individuell steuerbar. Geschlechtsspezifische Stereotype der Informatik wurden durch die Verwendung einer Informatikerin innerhalb der Geschichte adressiert (Cheryan et al., 2015).

Abb. 9.1
figure 1

Ein interaktives Element der Lernumgebung „Das Perceptron“

An verschiedenen Stellen enthält die Geschichte konkrete Aufforderungen, selbst aktiv zu werden. Ausgehend von dem Problem wird zunächst in einer Experimentierumgebung händisch, interaktiv nach guten Werten für die Gewichte eines Perceptrons gesucht (Abb. 9.1). Anschließend werden die Grenzen eines einzelnen Perceptrons, das für eine leicht modifizierte Problemstellung bereits nicht mehr ausreicht, im Sinne des „productive failure“ (Sinha & Kapur, 2021) direkt von den Lernenden erfahren, indem sie für einige Zeit erfolglos nach Gewichten suchen müssen. Als Lösung des Problems werden mehrere Perceptren zu einem einfachen neuronalen Netz kombiniert und auch hier wieder händisch nach passenden Gewichten gesucht. Aus dieser sehr mühsamen Suche ergibt sich der Bedarf nach einer automatisierten Lösung – dem Trainingsalgorithmus, der dann als Abschluss der Geschichte lediglich in Form einer Animation vorgestellt wird.

Auch wenn es sich dabei nur im weitesten Sinne um ein Spiel handelt, werden dennoch zentrale Elemente des „game-based learning“ in der Lernumgebung umgesetzt (Plass et al., 2016): ästhetisches und narratives Design, Belohnung bei korrekt ausgeführter Aufgabe und ein direktes Feedbacksystem in einer simulierten Umgebung.

Die Lernumgebung liefert den für die Aufgabenbearbeitung nötigen instruktionalen Input als Teil der Geschichte in sehr knapper Form. Im Unterricht kann eine Einbettung in weitergehende Erklärungen sowohl hinsichtlich der Mathematik (Ableitungen von Funktionen, Gradienten) wie auch der Informatik (iterative Verbesserung der Gewichte, Bestimmung der Performanz) erfolgen. Eine Kombination der Lernumgebung mit den anderen Umgebungen zu neuronalen Netzen ist ebenfalls möglich, entweder um als Ausblick die Leistungsfähigkeit künstlicher neuronaler Netze zu erfahren oder um nach einem entsprechenden Einstieg an einem einfachen Beispiel mehr über den Aufbau der Netze zu lernen.

9.2.2 Die Lernumgebung „Tic-Tac-Toe“

Die Lernumgebung zum Verstärkungslernen am Beispiel Tic-Tac-Toe folgt einer Idee von Gardner und Michie (1982), die bereits in den 1970er-Jahren als haptisches Lernmaterial („MENACE“) – man spricht dabei heute im Informatikunterricht auch von „Unplugged“-Methoden (Bell el al., 2015) – vorgeschlagen wurde: Ausgehend von einer Liste aller möglichen Spielsituationen und aller darin jeweils möglichen Züge wählt ein „nichtmenschlicher“ Spieler zufällig aus, welcher Zug gespielt werden soll. Führt eine Auswahl zu einer unmittelbaren Niederlage oder gibt es keine möglichen Züge mehr in einer Situation, so wird der letzte auf diese Art gewählte Zug aus der Liste der Möglichkeiten gestrichen. Über eine Reihe von Spielen entwickelt sich anhand dieses einfachen Prinzips ein Spieler, der einfache Spiele bereits perfekt spielen kann. Es existieren für diese Idee auch moderne Umsetzungen für den Informatikunterricht (Opel et al., 2019).Footnote 2

Die Lernumgebung stellt eine Reihe von Aufgaben bereit, die die Grundidee des Lernalgorithmus im Sinne des selbstentdeckenden Lernens nach und nach entwickelt. Es ist dabei möglich, die Veränderungen der „Wissensbasis“ des künstlichen Spielers zu beobachten, indem man entweder selbst gegen ihn spielt oder auch einen bereits fertigen Spieler als Gegner einsetzt (Abb. 9.2).

Abb. 9.2
figure 2

Die Lernumgebung „Tic-Tac-Toe“

Die Lernumgebung bzw. das darin thematisierte Verfahren erfordert nur wenige informatische oder mathematische Kenntnisse und stellt gleichzeitig ein sehr einfaches Lernverfahren dar, an dem sich grundlegende Fragen zur KI oder ein Einblick außerhalb von Informatikunterricht realisieren lassen.

9.2.3 Die Lernumgebung „MNIST“

Die letzte detaillierter vorgestellte Lernumgebung thematisiert die Leistungsfähigkeit künstlicher neuronaler Netze anhand eines existierenden großen Datensatzes, der z. B. für den Vergleich der Leistungsfähigkeit von KI-Systemen verwendet werden kann.

Abb. 9.3
figure 3

Handschrifterkennung mit neuronalem Netz in der Lernumgebung

Basierend auf diesem „MNIST“-Datensatz mit rund 70.000 Bildern von handgeschriebenen Ziffern wird ein neuronales Netz trainiert, dass als Eingabe ein Bild bekommt und als Ausgabe die Wahrscheinlichkeit dafür ausgibt, dass eine bestimmte Ziffer auf diesem Bild zu erkennen ist. Die Netzstruktur ist dabei deutlich komplexer als in der Lernumgebung zum Perceptron. Es wird hierbei auf Industrie-typische Netzarchitekturen und Software zurückgegriffen. Eine Visualisierung der Netze oder spezifischer Details ist damit nicht mehr sinnvoll, vielmehr soll die Leistungsfähigkeit der Systeme an einem konkreten Beispiel getestet und damit experimentiert werden können.

Die Lernumgebung ist in zwei Teile aufgeteilt und startet zunächst mit einem fertig trainierten Netz, das man dann durch selbst mit der Maus oder dem Touchpad gezeichnete Ziffern testen kann (Abb. 9.3). Es wird explizit nicht nur die wahrscheinlichste Ziffer, sondern alle Wahrscheinlichkeiten dargestellt, sodass es für die Lernenden möglich ist zu erkennen, dass der Entscheidung oftmals eine deutliche Unsicherheit zugrunde liegt. Auch trifft das Netz, so wie es trainiert wurde, in einigen Fällen falsche Entscheidungen – das liegt unter anderem auch daran, dass die Ziffern aus dem US-amerikanischen Raum stammen und sich damit in einigen Fällen (z. B. bei der Ziffer 4) in der typischen Schreibweise von der deutschen unterscheidet. Drei Aufgaben leiten die Lernenden durch eine systematische Analyse der Performanz dieses Systems, speziell auch im Vergleich zu Menschen. Eine Reflexion über die Bedeutung der Trainingsdaten und damit im weiteren Sinne auch über die Bedeutung von Bias lässt sich außerhalb der gestellten Aufgaben ebenfalls gut mit der Lernumgebung thematisieren.

Im zweiten Teil der Lernumgebung kann das neuronale Netz selbst trainiert werden. Das bedeutet, dass neben einer von mehreren möglichen Netzstrukturen auch einige typische Parameter für das Training gesetzt werden müssen und anschließend einige Zeit vergeht, bis ein fertig trainiertes Netz zur Verfügung steht. Dieses lässt sich wie im ersten Schritt auf seine Genauigkeit hin überprüfen und auch mit dem eingangs getesteten Netz vergleichen. Auf diese Weise wird der typische Arbeitsprozess des Problemlösens mit Verfahren des maschinellen Lernens – der ggf. mehrfach von der Modellauswahl über die Optimierung des Trainings bis zur Evaluation der Systemgüte führt – an einem realen Datensatz und mit einem komplexen Modell selbst durchlaufen. Allerdings bleibt der Möglichkeitsraum dabei stark eingeschränkt und auch Fragen nach der Datenaufbereitung werden ausgeklammert, um den Fokus nicht auf Details zu verlieren. Die Aufgaben in diesem Teil der Lernumgebung leiten diesen Prozess Schritt für Schritt an und regen abschließend eine Reflexion über die Anpassung der Technologie an andere Eingabedaten an – also einen einfachen Transfer.

Die Lernumgebung enthält, dem oben dargestellten Desiderat folgend, bewusst kein instruktionales Material zur Funktionsweise neuronaler Netze. Diese ist im Schulkontext nicht vollständig thematisierbar und es bleibt damit die Entscheidung der Lehrkraft, in welcher Tiefe sie die gemachten Beobachtungen erklären möchte: Es ist möglich, die Lerneinheit für sich alleine stehend im Sinne eines rein phänomenologischen Zugangs zu verwenden. Durch die Möglichkeiten der Veränderung der Trainingsparameter und die Exploration der so trainierten Systeme wird die Black-Box dennoch geöffnet.

Instruktion kann darüber hinaus natürlich auch durch die Lehrkraft selbst erfolgen oder man greift, für selbst-gesteuertes Lernen von (interessierten) Schülerinnen und Schülern, auf existierendes Online-Lehrmaterial zurück – zum Beispiel das entsprechende Kapitel des kostenlos und in deutscher Sprache verfügbaren Kurses „Elements of AI“Footnote 3. Dort findet sich der theoretische Hintergrund zur Funktionsweise und zum Training neuronaler Netze, auch mit Aufgaben, jedoch ohne die Möglichkeit des Experimentierens.

9.3 Fazit und Ausblick

In diesem Beitrag wurden drei Lernumgebungen für den Bereich des maschinellen Lernens bzw. der künstlichen Intelligenz vorgestellt. Aus den eingangs dargestellten Problemen ergibt sich ein Bedarf an Lehrmaterial, das ein gesellschaftlich relevantes informatisches Thema in verschiedenen fachlichen und außerfachlichen Kontexten unterrichtlich zugänglich macht.

Die vorgestellten Umgebungen leisten das anhand der theoretisch abgeleiteten Anforderungen, die zentral um die Möglichkeiten aktiv mit Systemen zu experimentieren, gestaltet sind. Diese Interaktionsmöglichkeit zielt dabei darauf ab, die Systeme nicht als Blackbox auf einer Anwendungsebene zu sehen, sondern bis zu einem gewissen Grad in das Innere blicken zu können, ohne dabei die dafür notwendigen umfangreichen mathematischen und informatischen Kompetenzen vorauszusetzen. Dennoch ist die Art der Interaktion in den verschiedenen Umgebungen unterschiedlich ausgestaltet – von der konkreten Manipulation von Modellparametern des Perceptrons über die Steuerung von Metaparametern beim Training des künstlichen neuronalen Netzes bis zur Verwendung der Systeme mit der Möglichkeit, Einblicke in die sich verändernden Daten zu gewinnen, etwa bei „Tic-Tac-Toe“.

Die Lernumgebungen variieren entlang der Dimension der Steuerung von der durch eine Geschichte stark vorstrukturierten Umgebung „Das Perceptron“ über die Umgebung „Tic-Tac-Toe“, in der die Aufgaben den Erkenntnisgewinn strukturieren, zur Umgebung „MNIST“, in der die Aufgabenreihenfolge lediglich einen Vorschlag darstellt und nur eine grobe Einteilung in zwei verschiedene Bereiche erfolgt.

Ebenso variieren sie daher auch sowohl in der Art der Aufgaben als auch hinsichtlich des Inputs innerhalb der Lernumgebungen. Durch die erarbeitende Struktur der Lernumgebungen „Tic-Tac-Toe“ und „Perceptron“ werden notwendige Information innerhalb der Lernumgebung präsentiert oder erarbeitet und die Aufgaben verbleiben somit sehr nah am Thema. Bei den anderen Lernumgebungen erfolgt ein phänomenologischer Zugang, der auf Input verzichtet. Daher sind die Aufgaben in diesen Umgebungen offener und beinhalten auch Elemente der Reflexion bzw. des Transfers. Eine Ergänzung um Input seitens der Lehrkraft oder durch andere, frei verfügbare Materialien ist möglich.

Bisher wurden die Lernumgebungen in ersten Pilotierungen mit Schulklassen eingesetzt. Eine systematische empirische Analyse ihrer Wirksamkeit, speziell auch hinsichtlich der Verwendung in fachfremden Szenarien, und die Ergänzung mit Lehrmaterial aus anderen Quellen müssen aber erst noch erfolgen. Die bisher gesammelte anekdotische Evidenz durch Rückmeldungen der Lehrkräfte weist darauf hin, dass Schülerinnen und Schüler gerne mit den Lernumgebungen arbeiten und diese im Unterricht der angestrebten Zielgruppe und mit der in Schulen vorhandenen Rechnerausstattung sinnvoll eingesetzt werden können.