8.1 Einleitung

Die Unterrichtsplanung ist eine zentrale und tägliche Aufgabe von Lehrkräften. Dabei müssen Inhalte, Ziele und Lernvoraussetzungen und Medieneinsatz aufeinander abgestimmt werden. In der Praxis scheint die Medienauswahl nicht auf dem Kriterium der Lernzieldienlichkeit, sondern häufig auf subjektiven Einschätzungen und Vorlieben zu basieren (Hattie, 2015). Um das zu ändern, fordert Hattie (2015), Lehrkräften das zur adäquaten Medienwahl notwendige Professionswissen zu vermitteln. Neben fachdidaktischem und allgemein pädagogischem Wissen brauchen Mathematiklehrkräfte beim Einsatz digitaler Technologien technisches Wissen und Wissen darüber, wie deren Einsatz das (fachliche) Lernen beeinflusst (Mishra & Koehler, 2006).

Vor diesem Hintergrund wird in der vorliegenden Studie die Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter untersucht als Beitrag zur Förderung digitaler Kompetenzen von angehenden Lehrkräften. Konkret wird dies am Inhaltsgebiet funktionale Zusammenhänge festgemacht, da Lichti (2019) empirisch belegt hat, dass mit interaktiven Arbeitsblättern zu diesem Thema ein hoher Lernzuwachs erreicht werden kann.

Interaktives Arbeitsblatt

Unter einem interaktiven Arbeitsblatt wird ein Applet auf Basis eines dynamischen Mathematik-Systems (DMS) mit zugehörigen Aufgabenstellungen verstanden.

Das Ziel des Beitrages ist es, Gestaltungsmöglichkeiten für die Vermittlung der Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter in der Hochschullehre aufzuzeigen. Dazu wird die Konzeption eines Lehr-Lern-Labor-Seminars vorgestellt und die Entwicklung der Studierenden im Laufe des Seminars anhand eines Fallbeispiels illustriert.

8.2 Theoretischer Hintergrund

In diesem Abschnitt werden zum einen das Potenzial des Einsatzes von interaktiven Arbeitsblättern und zum anderen die seitens der Lehrkräfte zum zielführenden Einsatz benötigten Fähigkeiten zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter vorgestellt.

8.2.1 Potenziale interaktiver Arbeitsblätter zu funktionalen Zusammenhängen

Dem Funktionsbegriff liegen nach Vollrath (1989) drei Aspekte, in der neueren Literatur meist Grundvorstellungen genannt, zugrunde: Zuordnung, Änderung bzw. Kovariation und die Funktion als Objekt. Im Gegensatz zur Zuordnungsvorstellung, die den meisten Lernenden wenig Schwierigkeiten bereitet, ist die Kovariationsvorstellung bei vielen Lernenden unterentwickelt (Malle, 2000). Lichti (2019) oder Digel et al. (Kap. 1 in Band 2) konnten zeigen, dass sich insbesondere die Kovariationsvorstellung durch den Einsatz interaktiver Arbeitsblätter auf Basis des DMS GeoGebra fördern lässt. Dies ist unter anderem dadurch zu erklären, dass die Lernenden dort systematische Variationen vornehmen können und entsprechend in Echtzeit Feedback durch das Programm erhalten. So sind unmittelbar Rückschlüsse auf die getätigten Änderungen und Abhängigkeiten möglich, was den schwierigeren dynamischen Funktionsbegriff in den Vordergrund stellt und schult (Doorman et al., 2012). Vor allem die Kovariationsvorstellung bildet eine Voraussetzung für das Aufbauen der schwer erfassbaren und globalen Sicht der Objektvorstellung (Breidenbach et al., 1992), die insbesondere in der Sekundarstufe II in den Vordergrund rückt.

Ein weiterer Vorteil des Einsatzes interaktiver Arbeitsblätter liegt darin, dass sie meist auf Basis von Multirepräsentationssystemen wie GeoGebra erstellt werden. Dadurch können simultan mehrere Repräsentationsformen eines Phänomens betrachtet und zueinander in Beziehung gesetzt werden. Dies kann aber Lernende überfordern, weswegen Unterstützungen beim Wechseln von Repräsentationsformen wie Dyna-Linking (dynamische Verknüpfung zwischen Repräsentationsformen, Ainsworth, 2006) oder Fokussierungshilfen (Roth, 2005) notwendig sind. So kann die kognitive Last reduziert werden, um Kapazitäten für das Erfassen und Reflektieren mathematischer Zusammenhänge zu schaffen. Gelingende Repräsentationswechsel aktivieren die Grundvorstellungen des Funktionsbegriffs und gelten als Indikator für entwickeltes funktionales Denken.

8.2.2 Problem beim Einsatz interaktiver Arbeitsblätter

Trotz der Gründe für einen Einsatz interaktiver Arbeitsblätter kann es zu Problemen beim Lernen kommen. Obwohl das Arbeiten mit multiplen Repräsentationsformen potenziell sehr fruchtbar für den Lernprozess ist, können Lernende davon überfordert werden, da sie zunächst jede Darstellungsform isoliert zu kohärenten, mentalen Modellen verarbeiten müssen, bevor sie diese in Beziehung zueinander setzen (Ferrara et al., 2006). Neben multiplen Repräsentationen können die Aufgabenstellung und die Interaktivität eine erhöhte kognitive Last verursachen. Da häufig das Kalkül in das Applet ausgelagert wird, liegt der Fokus der Aufgabenstellung auf dem Entdecken und Reflektieren mathematischer Zusammenhänge. Hierfür sind meist komplexe, lernbezogene kognitive Leistungen notwendig. So ist es nicht verwunderlich, dass die Entwicklung adäquater Aufgabenstellungen seit langer Zeit einen hohen Stellenwert in der Forschung zum Einsatz digitaler Technologien hat (Trgalová et al., 2018). Ähnliches gilt für das Design digitaler Materialien, da der Lernerfolg wesentlich davon abhängt, ob Lernende genug kognitive Ressourcen besitzen, um die interaktiven Informationen aufzunehmen, zu verarbeiten und zu integrieren (Mayer, 2005).

Zusammenfassend lassen sich Probleme beim Einsatz interaktiver Arbeitsblätter auf einen damit verbundenen hohen kognitiven Anspruch zurückführen. Deshalb liegt es nahe, interaktive Arbeitsblätter nur dann zu nutzen, wenn sie dem Erreichen fachlicher Ziele besser als andere Medien dienen. Dies scheint im Kontext der Ausbildung eines umfassenden Funktionsbegriffs gegeben. Beim Einsatz interaktiver Arbeitsblätter müssen dann aber eine Reihe multimedialer Gestaltungsprinzipien zur Minimierung extrinsischer kognitiver Last berücksichtigt werden. Als Orientierungsrahmen dafür dient das folgende Modell, das die aus der Theorie ableitbaren Kriterien zur Gestaltung interaktiver Arbeitsblätter systematisiert.

8.2.3 Cognitive Theory of Multimedia Learning und multimediale Gestaltungsprinzipien für den Einsatz interaktiver Arbeitsblätter

Um die kognitive Last durch das Instruktionsformat und -material gering zu halten, formuliert Mayer (2001) eine Reihe von Prinzipien zur Gestaltung digitaler Materialien. Dabei geht er davon aus, dass Lernende bei der Auseinandersetzung mit digitalen Materialien visuelle und verbale Informationen separat aufnehmen, beide Kanäle nur eine begrenzte Aufnahmekapazität haben und beide Informationen (zunächst) isoliert verstanden werden müssen, bevor sie mit dem Vorwissen und einander in Verbindung gebracht werden können. Diese kognitiven Prozesse adressiert Mayer (2001) mit der Cognitive Theory of Multimedia Learning (CTML). Die CTML umfasst eine Reihe von Mechanismen, die beschreiben, wie die Gestaltung von Material das Lernen bedingt (Mayer, 2001, 2005). Daraus leitet er multimediale Gestaltungsprinzipien für die Gestaltung von digitalen Materialien ab. Manche dieser Prinzipien, wie etwa das Kontiguitätsprinzip (Mayer, 2005; Hohenwarter & Preiner, 2008), sind bereits im DMS GeoGebra umgesetzt. So werden zu Objekten gehörige Informationen wie Werte oder Bezeichner direkt am Objekt eingeblendet, also Grafik und korrespondierender Text in räumlicher Nähe zueinander angeordnet. Andere Prinzipien wie das Segmentierungsprinzip, indem den Lernenden durch Interaktionsmöglichkeiten wie Knöpfe oder Schieberegler die Kontrolle über die Informationsaufnahme gegeben wird, sind leicht in GeoGebra umsetzbar. Für eine Auflistung aller multimedialen Gestaltungsprinzipien siehe Mayer (2005).

Neben diesen allgemeinen Gestaltungsprinzipien müssen für interaktive Arbeitsblätter noch Prinzipien der visuellen Gestaltung und Interaktivität berücksichtigt werden, da es beim Arbeiten mit interaktiven Arbeitsblättern zu einer erhöhten Belastung des visuellen Kanals kommt (Plass et al., 2009). Zu den Prinzipien der visuellen Gestaltung gehören (1) das Cueing, (2) die Auswahl von Repräsentationen und (3) Farbgebung.

Als (1) Cueing versteht man eine Signalisierungshilfe, um die Aufmerksamkeit der Lernenden auf wichtige Aspekte des Materials zu lenken. In der deutschen Literatur wird das Cueing meist als Fokussierungshilfe bezeichnet (Roth, 2005). Hier wird die Aufmerksamkeit der Lernenden z. B. durch Farbgebung oder Linienstärke auf die entscheidenden Elemente gelenkt.

Erhöhte kognitive Last beim Arbeiten mit interaktiven Arbeitsblättern auf Basis eines Multirepräsentationssystems entsteht auch durch den Einsatz (2) multipler Repräsentationsformen, denn die Lernenden müssen zunächst jede Repräsentationsform isoliert und dann ihre Wechsel verstehen. Um eine Überforderung der Lernenden zu vermeiden, ist ein konzeptueller Rahmen notwendig, der erklärt, welche Funktion einzelnen Repräsentationsformen zukommt und ob sie nötig sind, welche kognitiven Leistungen Lernende erbringen müssen, wenn sie mit multiplen Repräsentationsformen arbeiten, und wie diese unterstützt werden können. Mit ihrem DeFT-Framework (Design, Function, Task) bietet Ainsworth (2006) Lehrkräften einen Rahmen für Entscheidungen zum zweckdienlichen Einsatz von Repräsentationsformen in Lernsettings.

Die (3) Farbgebung als letztes Prinzip ist eine Möglichkeit, Cues bzw. Fokussierungshilfen zu setzen oder eine Beziehung zwischen verschiedenen Repräsentationsformen herzustellen.

Bei den interaktiven Prinzipien ist die Manipulation des interaktiven Arbeitsblatts durch Lernende hervorzuheben. So gibt es empirische Indizien dafür, dass die aktive Manipulation von Inhalten die mentale Anstrengung der Lernenden erhöht (Hegarty, 2004). Eine Animation hingegen führt nur zu einer passiven Auseinandersetzung mit dem Material. Aus der Perspektive der kognitiven Belastung können nicht-interaktive Animationen nicht die mentale Aktivität auslösen, die zu einer wünschenswerten Erhöhung der lernbezogenen kognitiven Belastung führt (Hegarty, 2004). Deshalb raten Hohenwarter und Preiner (2008), nach Möglichkeit alle für das Explorieren mathematischer Zusammenhänge wichtigen Objekte interaktiv zu gestalten.

8.2.4 Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter zu funktionalen Zusammenhängen

Auf Basis dieser Ausführungen wird im Folgenden ein theoretisches Modell für die Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter zu funktionalen Zusammenhängen vorgestellt.

Bei jeder didaktischen, methodischen oder gestalterischen Entscheidung sollte darüber reflektiert werden, ob und ggf. wie sie zum Erreichen von Lernzielen beiträgt. Diese Frage steht deshalb im Zentrum des Modells (Abb. 8.1) und ist zentral für den Einsatz digitaler Technologien. Ein lernzieldienlicher und reflektierter Einsatz interaktiver Arbeitsblätter auf der Basis von GeoGebra wird durch das Zusammenspiel von vier Bausteinen – dem fachdidaktischen Wissen zu funktionalen Zusammenhängen, dem Wissen zum Aufgabendesign, GeoGebra- und den CTML-Kenntnissen – erreicht. Kern und Ausgangspunkt des Modells ist das fachdidaktische Wissen zu funktionalen Zusammenhängen. Dazu gehören das Wissen über Grund- und Fehlvorstellungen, Wissen über Repräsentationsformen und ihre Wechsel sowie mögliche Probleme der Lernenden. Diese Besonderheiten werden dann mit den fachdidaktischen Möglichkeiten der Umsetzung in GeoGebra in Verbindung gebracht, wozu Lehrkräfte neben fachdidaktischem Wissen GeoGebra-Kenntnisse benötigen. Dazu gehört beispielsweise die Möglichkeit der systematischen Variation einer unabhängigen Größe und die parallele Betrachtung der Auswirkungen auf eine abhängige Größe sowie die Umsetzung davon in GeoGebra.

Abb. 8.1
figure 1

Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter zu funktionalen Zusammenhängen

Dem Aufgabendesign, als drittem Baustein des Modells, kommt im Mathematikunterricht allgemein und beim Einsatz digitaler Technologien im Speziellen ein hoher Stellenwert zu. So müssen die Aufgabenstellungen in interaktiven Arbeitsblättern zu funktionalen Zusammenhängen allgemeine Anforderungen erfüllen, wie nachhaltiges Lernen fördern, kognitiv aktivierend wirken sowie die Lernenden dazu befähigen, Lösungsstrategien zu entwickeln sowie anzuwenden (Roth, 2022). Ferner müssen die Aufgabenstellungen Grundvorstellungen des Funktionsbegriff ansprechen und eine logische Progression aufweisen (Digel et al., Kap. 1 in Band 2). Schließlich muss das Aufgabendesign eng an das Applet angepasst sein, um die extrinsische Last gering zu halten. So rät de Jong (2005), im Applet erforderliche Interaktionen bereits durch die Aufgabenstellung anzuregen, um so den Lernenden eine strukturelle Hilfe zu geben (vgl. „guided-discovery principle“, de Jong, 2005). Fragen können dann dergestalt: „was passiert mit X, wenn Y…“ (Hohenwarter & Preiner, 2008), sein. Darüber hinaus sollten die Aufgabenstellungen explizit eine Sicherung einfordern, denn diese regt die Lernenden zu einer vertieften Auseinandersetzung mit den Inhalten an und ermöglicht eine Weiterarbeit im Unterricht (Hohenwarter & Preiner, 2008; Roth, 2022).

Den Rahmen des Modells bildet die CTML, mit der als erweitertem Gelingensrahmen die Lernziele (noch besser) zu erreichen sind. Denn um die kognitive Beanspruchung der Lernenden, die vom Material ausgeht, gering zu halten, sind bei der Auswahl und der Entwicklung interaktiver Arbeitsblätter auf allen Ebenen multimediale Gestaltungsprinzipien zu beachten.

Um eine Passung zu den Lernzielen zu gewährleisten, ist es im Prozess der Beurteilung eines interaktiven Arbeitsblatts notwendig, diese Bausteine kontinuierlich zueinander in Beziehung zu setzen. Das bedeutet z. B., dass (angehende) Lehrkräfte sich während der Reflexion der Passung der Aufgabenstellung zum Lernziel auch überlegen müssen, welche Repräsentationsformen die Lernenden zur Bearbeitung der Aufgabe benötigen und zu welchen Schwierigkeiten es bei der Arbeit mit den Repräsentationsformen oder den Übersetzungen kommen kann. Darüber hinaus müssen sie sich entscheiden, wie mit GeoGebra diese Übersetzung, mithilfe von multimedialen Gestaltungsprinzipien, für die Lernenden unterstützt werden kann. Ziel ist es, kognitive Entlastung in Bereichen herbeizuführen, die nicht dem Lernziel zuzurechnen sind, um die vorhandenen kognitiven Ressourcen lernbezogen zu aktivieren.

8.2.5 Operationalisierung der Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter

Um die Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter messen zu können, wird zunächst eine Operationalisierung des theoretischen Konstrukts benötigt. Dabei handelt es sich um eine dreidimensionale Modellierung der Fähigkeit, bestehend aus (1) adressiertem Kriterium, (2) Wissen über die Verbindung dieser Kriterien und (3) die Verarbeitungstiefe der einzelnen Kriterien. Zu den (1) adressierten Kriterien gehören folgende aus dem Modell abgeleiteten Aspekte:

  • Lernzieldienlichkeit, die sich aus dem Zentrum des Modells ergibt,

  • Darstellungsformen, die aus einer Kombination aus fachdidaktischem Wissen und Wissen über GeoGebra resultieren,

  • Interaktivität, als einer der Vorteile des Einsatzes von GeoGebra beim Entwickeln funktionalen Denkens,

  • Aufgabenstellungen aus dem Aufgabendesign sowie

  • multimediale Gestaltungsprinzipien, die sich aus der CTML ableiten.

Diese wurden in einem Expertenrating (N = 13) hinsichtlich Vollständigkeit und Angemessenheit validiert. Das (1) Wissen über die einzelnen Kriterien ist jedoch nur eine notwendige Bedingung. Um eine Passung untereinander und zum Lernziel zu erreichen, benötigen Lehrkräfte außerdem (2) das Wissen darüber, wie sich die Kriterien wechselseitig bedingen, um das Wissen über diese Kriterien miteinander in Verbindung bringen (Abb. 8.1). Der dritte Aspekt der Fähigkeit ist (3) die Verarbeitungstiefe der Argumentation auf den einzelnen Kriterien. Darunter fällt, ob die untersuchte Person Kriterien lediglich beschreibt, wertet, die Wertung begründet oder gar mit Literatur belegen kann.

8.3 Das Lehr-Lern-Labor-Seminar an der Universität in Landau

Das Lehr-Lern-Labor-Seminar ist fester Bestandteil des Lehramtsstudiums Mathematik für Sekundarstufen an der Universität in Landau. Es ermöglicht den Studierenden, Praxiserfahrungen in einem komplexitätsreduzierten Rahmen zu sammeln. Konkret entwickeln Studierende Labor-Lern-Umgebungen zu Lehrplanthemen, in denen Schülerinnen und Schüler selbstständig mit gegenständlichen Materialien und interaktiven Arbeitsblättern auf Basis von GeoGebra experimentieren und Grundvorstellungen zu zentralen Konzepten des Mathematikunterrichts aufbauen sollen. Im Anschluss daran erproben die Studierenden ihre entwickelten Stationen mit Lernenden. Beispiele für die entwickelten Stationen finden sich unter: https://mathe-labor.de/stationen/.

Während der pandemiebedingten Schulschließung sollten Schülerinnen und Schüler auch im Distanzunterricht erreicht und Studierenden Praxiserfahrungen ermöglicht werden. Um digitale Laborbesuche stattfinden zu lassen, wurden rein digital durchführbare Stationen entwickelt. Dadurch rücken die digitalen Kompetenzen der angehenden Lehrkräfte in den Vordergrund und alle Studierenden stehen vor der Herausforderung, interaktive Arbeitsblätter zu konzipieren und zu gestalten. Vor dem Besuch des Lehr-Lern-Labor-Seminars besitzen nicht alle Studierenden bereits mediendidaktisches Wissen oder GeoGebra-Kenntnisse. Um die Entwicklung und den Einsatz ihrer entwickelten Lernumgebungen jedoch reflektieren zu können, benötigen sie die im Abschn. 8.2.4 vorgestellte Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter, wodurch das Erlernen dieser Fähigkeit ausgeschriebenes Ziel des Lehr-Lern-Labor-Seminars geworden ist.

8.4 Forschungsfragen

Um die Fähigkeit zur Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter weiterentwickeln zu können, ist es notwendig zu erkennen, wie angehende Lehrkräfte von sich aus bei der Beurteilung vorgehen, um ihnen individuelles Lernen im Rahmen des Lehr-Lern-Labor-Seminars zu ermöglichen. Daraus resultiert folgende Forschungsfrage:

  1. (1)

    Auf welche Bestandteile der Fähigkeit zur Beurteilung von interaktiven Arbeitsblättern zu funktionalen Zusammenhängen gehen Studierende bei der Beurteilung ein?

Im Anschluss daran kann untersucht werden, ob durch Interventionen im Rahmen des Lehr-Lern-Labor-Seminars die Fähigkeit weiterentwickelt werden kann und Studierende ihr Vorgehen bei der Beurteilung verändern. Hieraus ergibt sich folgende Forschungsfrage:

  1. (2)

    Inwiefern lässt sich die Fähigkeit zur Beurteilung von interaktiven Arbeitsblättern durch Interventionen im Rahmen eines Lehr-Lern-Labor-Seminars weiterentwickeln?

8.5 Studiendesign

8.5.1 Intervention und Datenerhebung

In der vorliegenden Studie wurden 21 Masterstudierende des Lehramts Mathematik der Sekundarstufen zu verschiedenen Messzeitpunkten untersucht. Dazu wurden die Studierenden zu Beginn, in der Mitte und am Ende des Lehr-Lern-Labor-Seminars bei der Beurteilung von interaktiven Arbeitsblättern videographiert (Abb. 8.2). Um die stattfindenden kognitiven Prozesse bei der Beurteilung interaktiver Arbeitsblätter visualisieren zu können, bietet sich das laute Denken als Forschungsmethode an (Sandmann, 2014). Die Datenerhebung soll eine Unterrichtsvorbereitung simulieren, in der Studierende auf https://geogebra.org/ gefundene Materialien bzgl. ihres Einsatzes im Unterricht beurteilen werden. Ein ähnliches Vorgehen findet sich auch bei Bromme (1981), der in seiner Interviewstudie mithilfe des lauten Denkens untersucht, auf welche Inhalte Lehrkräfte bei der Unterrichtsplanung eingehen und wie Prozesse der Unterrichtsplanung aussehen. Zwar werden beim lauten Denken nicht immer logische und gut strukturierte Gedanken geäußert, aber das Gesprochene spiegelt Ausschnitte von Denkhandlungen wider, die Aufschluss über kognitive Prozesse geben (Sandmann, 2014). Daneben werden die GeoGebra-Vorerfahrung und Lehrvorerfahrung über Selbstauskunft sowie das fachdidaktische Wissen zu funktionalen Zusammenhängen über einen eigens entwickelten Test als sekundäre Merkmale für eine spätere Typisierung erhoben.

Abb. 8.2
figure 2

Verlaufsskizze der Interventionen und Datenerhebungen

Interventionen finden auf zwei Ebenen statt. Zum einen bilden die Datenerhebungen selbst eine Intervention, denn an das laute Denken schließt sich jeweils ein Interview an. In diesem Interview werden Nachfragen zum lauten Denken gestellt, offen gelassene Aspekte durch Prompts adressiert und das Gespräch danach durch die Studierenden reflektiert und evaluiert. Zum anderen erhalten Studierende Input in Form eines Reflexionsschemas mit zugehörigem Erklärvideo und kontrastieren interaktive Arbeitsblätter im Rahmen des Seminars, um wesentliche Qualitätskriterien für interaktive Arbeitsblätter herauszustellen (Abb. 8.2).

8.5.2 Auswertungsmethodik

Da die Datenerhebung umfangreiches Material liefert und in der Studie Beurteilungstypen identifiziert werden sollen, bietet sich ein inhaltlich-reduzierendes Verfahren gefolgt von einem typenbildenden Verfahren an. Aus diesem Grund werden die Daten zunächst mit einer inhaltlich-reduzierenden qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz, 2018). Darauf aufbauend werden die Ergebnisse mit einer typenbildenden Inhaltsanalyse nach Kuckartz (ebd.) ausgewertet. Auf Basis der Operationalisierung des theoretischen Rahmens wird dazu das Material mehrfach kodiert. Aus der Kodierung ablesbar sind folgende Gesichtspunkte (Abb. 8.3):

Abb. 8.3
figure 3

Grafische Darstellung der Beurteilungen des Studierenden zum 1. Messzeitpunkt

  • abgeschlossene Denkprozesse, dargestellt durch einen schwarzen, vertikalen Strich,

  • adressiertes Kriterium (Lernzieldienlichkeit, Darstellungsform, Interaktivität, …),

  • Verarbeitungstiefe (beschreibend, …) und

  • Verknüpfungen von Kriterien innerhalb eines Denkprozesses.

Um die Kodierungen auf den drei Dimensionen der Operationalisierung darstellen zu können, bietet sich ein Strahl mit zeitlicher Abfolge als grafische Darstellung der Beurteilungsprozesse an (Abb. 8.3). Durch die Methode des lauten Denkens ist die Dauer des zeitlichen Verweilens bei einem Kriterium nicht gleichzusetzen mit dem Stellenwert des Kriteriums für den Studierenden. So werden beispielsweise in einem Halbsatz wichtige Verknüpfungen von einem Kriterium zum Lernziel geschaffen, während zu anderen Zeitpunkten in mehreren Sätzen die Aufgabenstellung beschrieben wird. Aus diesem Grund wurde sich gegen eine Darstellung der Verweildauer auf der horizontalen Achse entschieden. Deshalb gibt die horizontale Achse nur die zeitliche Abfolge der Kodierungen an. Über den Kriterien dient eine weitere Achse dazu, anzuzeigen, wie die Studierenden einen Aspekt des interaktiven Arbeitsblatts bewerten, wobei „+“ positiv, „−“ negativ und „o“ neutral bedeutet. Dies ist insofern wichtig, als dass die Verarbeitungstiefe „Ändern“ nur schwer erreicht werden kann, wenn etwas als positiv bewertet wurde. Die interaktiven Arbeitsblätter für die Interviews wurden so ausgewählt, dass auf allen Kriterien überwiegend negative Aspekte, aber auch positive Aspekte angebracht werden können. Anhand eines Fallbeispiels eines Studierenden sollen im Folgendem die Auswertungsmethodik und potenzielle Typen sowie deren Entwicklung vorgestellt werden.

8.6 Fallbeispiel

8.6.1 Darstellung der Ergebnisse zu den einzelnen Messzeitpunkten

Die im Rahmen des Seminars entstandenen Transkripte des lauten Denkens werden in die in Abschn. 8.5.2 erwähnte grafische Darstellung überführt. Abb. 8.3, 8.4, 8.5 zeigen drei dieser Darstellungen für einen Studierenden zu drei Messzeitpunkten. Um einen besseren Eindruck zu erhalten, was hinter diesen Visualisierungen steckt, findet sich unter https://dms.uni-landau.de/m/engelhardt/visusupport ein Beispiel einer Beurteilung zur Abb. 8.3. Darüber hinaus wird die Entwicklung dieses Studierenden im Rahmen des Seminars betrachtet. Es sei an dieser Stelle angemerkt, dass es sich hier nur um ein Fallbeispiel und erste Eindrücke eines Stellvertreters dieses Prototyps handelt.

Abb. 8.4
figure 4

Grafische Darstellung der Beurteilungen des Studierenden zum 2. Messzeitpunkt

Abb. 8.5
figure 5

Grafische Darstellung der Beurteilungen des Studierenden zum 3. Messzeitpunkt

Typen können auf Basis der drei Dimensionen der Operationalisierung gebildet werden. Zum ersten Messzeitpunkt werden Auffälligkeiten bezüglich aller drei Operationalisierungen sichtbar (Abb. 8.3). Merkmale des oberflächlich und kriterienbasiert beurteilenden Typs sind:

  • die Verarbeitungstiefe bleibt überwiegend auf der beschreibenden Ebene, erkennbar durch die hellen Farbtöne;

  • Kriterien werden kaum zueinander in Verbindung gesetzt, da in allen Prozessen maximal zwei verschiedene Kriterien angesprochen werden, meist jedoch nur eins;

  • der Studierende erkennt nur Aspekte, die ihm positiv auffallen;

  • resultierend sind meist kurze Beurteilungsprozesse, die häufig nur ein oder zwei, maximal aber drei Einheiten lang sind.

Insgesamt erscheint die Beurteilung zu diesem Zeitpunkt auf einer niedrigen Stufe stattzufinden. Beurteilungsprozesse bleiben kurz, da der Studierende meist weder die beschreibende Ebene verlässt noch die Kriterien in Beziehung zueinander setzt. Dies sind Merkmale eines oberflächlich und kriterienbasiert beurteilenden Typs.

Einen ähnlichen Eindruck liefert auch die grafische Darstellung zum zweiten Messzeitpunkt. Bis auf den letzten Beurteilungsprozess werden Kriterien gar nicht miteinander verknüpft und Prozesse bleiben häufig auf einer beschreibenden Ebene (Abb. 8.4). Vereinzelt finden Begründungen statt. Bis auf eine Anmerkung erkennt der Studierende erneut nur positive Aspekte im interaktiven Arbeitsblatt. Eine Begründung, warum der Studierende einen Aspekt als negativ bewertet, oder ein Vorschlag für eine diesbezügliche Veränderung am interaktiven Arbeitsblatt bleiben aus.

Ein anderes Bild offenbart sich zum dritten Messzeitpunkt. Auch wenn die Länge der einzelnen Beurteilungsprozesse sich nur teilweise verändert und auch nur vereinzelt Verknüpfungen innerhalb der Prozesse stattfinden, bringt der Studierende insgesamt weitaus mehr Aspekte an als zu den vorherigen Zeitpunkten (Abb. 8.5). Hervorzuheben ist auch, dass der Studierende hier das erste Mal Aspekte des interaktiven Arbeitsblatts explizit in Bezug zum Lernziel begründet. Außerdem steigt der Studierende an vielen Stellen tiefer in die Beurteilungen ein, was an der dunkleren Farbgebung zu erkennen ist. Insbesondere fällt auf, dass der Studierende viele Adaptionen am interaktiven Arbeitsblatt vorschlägt, da er hier zum ersten Mal mehrere Aspekte des interaktiven Arbeitsblatts als negativ beurteilt. Diese finden mehrfach auf Ebene der Interaktivität, Aufgabenstellung und multimedialen Gestaltungsprinzipien statt, während zum zweiten Zeitpunkt keine Handlungsalternative und zum ersten Zeitpunkt nur jeweils eine Handlungsalternative bezüglich Aufgabenstellung und multimedialer Gestaltungsprinzipien formuliert wurden.

8.6.2 Progression über die Messzeitpunkte

Über die Messzeitpunkte hinweg erscheint auffällig, dass die beiden Hauptkategorien, die sich im Besonderen aus dem Nutzen digitaler Technologien ableiten (multimediale Gestaltungsprinzipien und Interaktivität), zum einen selten kodiert wurden und zum anderen (im Fall der Interaktivität) zum ersten Messzeitpunkt lediglich beschrieben wurden. Auch nach einem ersten theoretischen Input werden diese beiden Kategorien selten kodiert und auf einer geringen Verarbeitungstiefe durchdrungen. Im Gegensatz dazu werden zum letzten Messzeitpunkt diese Kategorien mit anderen verknüpft und der Studierende erkennt auch im Applet vorhandene Defizite in diesen Kategorien. Nichtsdestotrotz verknüpft der Studierende Kategorien in nur vier von zehn seiner Beurteilungsprozesse und wenn, maximal zwei Kategorien miteinander, weswegen immer noch von einer kriterienbasiert beurteilenden Person auszugehen ist. Durch die tiefere Durchdringung des Materials ist zumindest nicht mehr von einem oberflächlich beurteilenden Typ auszugehen.

8.7 Diskussion und Implikationen für das Lehr-Lern-Labor-Seminar

Anhand dieser Darstellungen sollen erste vorsichtige Interpretationen getätigt werden. Mit Blick auf die Gestaltung des Seminars (Abb. 8.2) scheinen der theoretische Input sowie das erste Reflexionsgespräch dem Studierenden nicht entscheidend weiterzuhelfen. So mag der mangelnde Zugriff zu den ersten beiden Messzeitpunkten in seinem Fall daran liegen, dass der rein theoretische Input ihm nicht genügt, um vertieft den Einsatz der interaktiven Arbeitsblätter zu reflektieren. Hingegen die enaktive Facette des Entwickelns eigener interaktiven Arbeitsblätter oder das Kontrastieren von Best- und Worst-Practice-Beispielen scheint ihm Relevanz und eine Verknüpfung zur Theorie zu bieten, was in einer tieferen Auseinandersetzung zum dritten Messzeitpunkt resultiert und wo der Studierende zeigen kann, dass er den theoretischen Input anwenden kann. Dies könnte auch einen Einfluss darauf haben, dass der Studierende zu einem früheren Zeitpunkt keine bis kaum negative Beurteilungen äußert. Fehlende negative Beurteilungen können an mangelndem Wissen, aber auch an der sozialen Erwünschtheit des Rufs nach Digitalisierung des Unterrichts liegen. Am Fallbeispiel des Studierenden zeigt sich, dass das Konzept aufgehen kann: Ein isolierter theoretischer Input reicht nicht aus, eine Veränderung in der Beurteilung von interaktiven Arbeitsblättern herbeizuführen. Diese kann durch eine Ergänzung in Form des Arbeitens mit Beispielen erreicht werden, was an der Vernetzung der einzelnen Wissenselemente liegen könnte.

Ein Blick in die sekundären Merkmale des Studierenden verrät, dass er keine Vorerfahrungen mit dem Programm GeoGebra hat, jedoch ein hohes Ergebnis beim fachdidaktischen Wissenstest zu funktionalen Zusammenhängen besitzt. Letzteres unterstreicht, dass fachdidaktisches Wissen allein nicht genügt, um interaktive Arbeitsblätter zielgerichtet im Unterricht zu nutzen.

8.8 Ausblick

Dieser Beitrag stellt exemplarisch die Typisierung eines Studierenden anhand des Datenmaterials zum lauten Denken dar. Als nächster Schritt müssen alle Typen aus dem Datenmaterial herausgearbeitet werden. Ein weiterer Typ ist beispielsweise der verknüpfend und lernzielorientiert beurteilende Typ. Personen dieses Typs zeichnen sich dadurch aus, dass sie kontinuierlich ihre Argumentation auf das Lernziel zurückbeziehen und die einzelnen Kriterien untereinander verknüpfen, was sich häufig in langen Beurteilungsprozessen widerspiegelt. Der zweite Teil des Interviews, in dem Studierende durch Prompts angeregt werden, über weitere Aspekte eines interaktiven Arbeitsblatts zu reflektieren, wurde in der Auswertung noch nicht berücksichtigt. Hierbei erscheinen Unterschiede zwischen dem lauten Denken und dem leitfadengestützten Interview im Anschluss interessant, um etwaige Lernprozesse zu identifizieren. Außerdem ist noch offen, ob den resultierenden Typen eine Kompetenzstufe zugeschrieben werden kann.

Ferner ist es interessant, wie eine Veränderung des Typs erreicht werden kann und wie unterschiedliche Typen individuell gefördert werden können. Da davon ausgegangen wird, dass die Leitfadeninterviews einen Lernzuwachs bei den Studierenden bewirken, dies im Seminar typischerweise vom Dozierenden nicht durchgängig geleistet werden kann, muss den Studierenden eine Alternative dazu angeboten werden. Ein vielversprechender Ansatz hierfür ist ein adaptiver Lernpfad, durch den es möglich ist, jedem Studierenden zum eigenen Leistungsstand jeweils passgenaue, individuelle Prompts und Inputs zur Verfügung zu stellen.