In Deutschland bestehen Strukturen und Prozesse, die insgesamt eine sichere Arzneimittelversorgung bei hervorragender Qualität gewährleisten. Qualitativ hochwertige Arzneimittelversorgung heißt hier vor allem: hohe Zulassungsstandards, rascher Zugang der Patientinnen und Patienten zu neu zugelassenen Medikamenten und resiliente Lieferketten.

Bevor ein neues Arzneimittel auf den Markt kommt und Teil der Arzneimittelversorgung wird, durchläuft es eine klar definierte Prozesskette klinischer Prüfungen. Allen voran die Europäische Arzneimittelbehörde (EMA), aber auch das Bundesamt für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und das Paul-Ehrlich-Institut (PEI) als wichtige Rapporteure in der EU-Arzneimittelzulassung leisten hier sehr gute Arbeit: Sie gewährleisten hohe Zulassungsstandards und sorgen dafür, dass Arzneimittel, die in Deutschland und anderen europäischen Ländern auf den Markt kommen, sicher und wirksam sowie von hoher technischer Qualität sind. Die Zulassungsbehörden haben dabei auch den Bedarf in der Versorgung der Patientinnen und Patienten im Blick und Wege etabliert, dringend benötigte neue Medikamente schnell zur Verfügung zu stellen. Die bedingte Zulassung (conditional approval) unter Auflagen ist hierbei ein wichtiges Instrument, oder auch das Rolling-Review-Verfahren bei Ausnahmesituationen im Bereich der öffentlichen Gesundheit, wie der Covid-19-Pandemie. Im Rolling-Review-Verfahren reichen Unternehmen einige Kapitel ihres Zulassungsantrags schon vorab zur Bearbeitung bei der EMA ein. So kann der Zulassungsantrag nach und nach vervollständigt werden, bis alle Daten für einen formalen Zulassungsantrag vorliegen, der dann von der EMA mit einem deutlich verkürzten Zeitplan bearbeitet wird.

Neben den Zulassungsstandards ist die Innovationsoffenheit des jeweiligen Gesundheitssystems ein wichtiges Qualitätsmerkmal. Es ist eine großartige Errungenschaft, dass Patientinnen und Patienten in Deutschland ab Markteintritt eines neuen Arzneimittels sehr zügig Zugang zu teilweise erstmaligen Therapieoptionen für die jeweilige Erkrankung haben. Der europäische Pharmaverband (EFPIA) hat für einzelne Länder ermittelt, wie schnell neue Medikamente verfügbar sind und wie viele neue Medikamente in die Versorgung kommen. Deutschland belegt in beiden Kategorien den Spitzenplatz – der Länderkorb beinhaltet jeweils die EU- und weitere ausgewählte Länder. Im Durchschnitt erreichen hierzulande neue Medikamente bereits 133 Tage nach EU-Zulassung die Patientinnen und Patienten. In Österreich müssen sie 315 Tage und in Frankreich gar 497 Tage darauf warten. Auch die Verfügbarkeit zugelassener Arzneimittel ist in Deutschland mit 92 % für Patientinnen und Patienten deutlich besser als in europäischen Nachbarländern (IQVIA und EFPIA 2022). Denn für Personen mit beispielsweise einer onkologischen Erkrankung oder einer schweren chronischen Erkrankung kann jeder Tag zählen.

Seit dem Jahr 2000 haben Pharma- und Biotechfirmen auch verstärkt Medikamente gegen seltene Erkrankungen – Orphan Drugs – entwickelt. In den letzten zehn Jahren machten diese jeweils durchschnittlich knapp 30 % der jährlich neu eingeführten Medikamente aus (vfa 2022). Für diese Erfolgsgeschichte wurden auf EU-Ebene (Orphan-Drug-Verordnung im Jahr 2000) und im nationalen Kontext (frühe Nutzenbewertung in Deutschland) wichtige Innovationsanreize gesetzt. Folge dieser bewusst auf Innovation ausgerichteten Politik ist die steigende Anzahl zugelassener Orphan Drugs: Seit 2000 wurden rund 200 solcher Arzneimittel in der EU zugelassen (vfa 2022).

Die Innovationskraft der pharmazeutischen Industrie ist für die Arzneimittelversorgung von großer Bedeutung. So hat der Pharma- und Biotech-Standort Deutschland auf Grundlage der Forschung zur mRNA-Technologie und der daraus folgenden Entwicklung von Covid-19-Impfstoffen weltweit an Renommée gewonnen. Das Beispiel zeigt eindrücklich, dass Schlüsseltechnologien und Arzneimittelinnovationen „Made in Germany“ maßgeblich zur medizinischen Versorgung nicht nur in Deutschland, sondern global beitragen. Das unterstreichen auch die Exportüberschüsse Deutschlands bei pharmazeutischen Erzeugnissen (Böhmer et al. 2020).

Für die Arzneimittelproduktion bedarf es zudem funktionierender Lieferketten. Anders als häufig dargestellt ist der Pharmastandort Deutschland nicht einseitig von China und Indien abhängig, sondern gründet seine technologische Leistungsfähigkeit auf ein international diversifiziertes Lieferantennetzwerk. So stammen 90 % der importierten industriellen Vorleistungen (2017 rund 1,7 Mrd. €) für die Arzneimittelherstellung in Deutschland aus dem Inland, der EU oder der Schweiz (Kirchhoff 2022). Auch die etablierte und gut funktionierende Distributionsstruktur – ein komplexes System aus Pharma-Unternehmern, Großhändlern sowie Apotheken – hat flexibel auf die Einschränkungen der Corona-Krise reagieren und dadurch die Versorgung sicherstellen können. Eine Pandemie und ein Krieg in Europa stellen die Arzneimittelversorgung vor bisher beispiellose Herausforderungen für die Unternehmen. Eine Verschlechterung der Versorgung der Patientinnen und Patienten mit Arzneimitteln konnte hierzulande allerdings dank des hohen Engagements der Unternehmen nicht festgestellt werden. Denn: Die Lieferketten der pharmazeutischen Industrie funktionieren trotz, oder eher vor allem wegen, internationaler Vernetzung.

Die Arzneimittelversorgung hat in Deutschland ein hohes Niveau, was sich im raschen Zugang der Patientinnen und Patienten zu neu zugelassenen Medikamenten, resilienten Lieferketten und immer weiteren Arzneimittelinnovationen – auch gegen seltene Erkrankungen – äußert. Um dieses Niveau zu halten und vorhandene Verbesserungspotenziale zu nutzen, sind richtige Weichenstellungen essenziell. Exemplarisch sei hier als Herausforderung genannt, dass bereits jetzt die durch das AMNOG regulierten Arzneimittelpreise häufig unter dem europäischen Durchschnitt liegen, was in zunehmenden Parallelexporten resultiert (vfa 2021). Sobald erneut die Preise durch obligatorische Rabatte jeglicher Art gesenkt werden, kann der Warenabfluss zunehmen und zu Versorgungsengpässen führen. Alarmierend sind zudem die Debatten um die etablierten Orphan-Drug-Regelungen. Indem diese infrage gestellt werden – was weder medizinisch noch regulatorisch begründbar ist – werden negative Auswirkungen auf die dringend erforderlichen Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten auf diesem Gebiet riskiert. Letztlich würde dies vor allem Menschen mit seltenen Erkrankungen den Zugang zu Therapieoptionen verwehren und insbesondere die Erforschung und Entwicklung neuer Orphan Drugs in der Zukunft ausbremsen. Dies wäre angesichts von schätzungsweise 8.000 seltenen Erkrankungen und bisher 200 zugelassenen Orphan Drugs zum großen Nachteil für die Betroffenen.

Eine im Sinne der Versorgung nachhaltige Arzneimittelpolitik muss stets Augenmaß beweisen. Die Sicherung der hochqualitativen Arzneimittelversorgung muss daher ein zentrales Ziel sein und darf nicht zu Gunsten von kurzfristigen Einsparmaßnahmen aufgegeben werden. Innovationsfreundliche Rahmenbedingungen sind der Garant für stetigen medizinischen Fortschritt durch kontinuierliche Investitionen und Arzneimittelinnovationen. Bei weiterhin stabilen Versorgungsstrukturen und der Aufrechterhaltung etablierter Rahmenbedingungen, die unter anderem den frühen Zugang zu neuen Arzneimitteln gewährleisten, sorgt dies zwangsläufig für eine steigende Qualität der Arzneimittelversorgung.